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Präventionsbezogene Perspektiven mit durch anti-muslimischen Rassismus dehumanisierten Jugendlichen-of-Color aufbauen Prof. Dr. Maureen Maisha Auma Kindheit und Differenz (Diversity Studies) Hochschule Magdeburg-Stendal Berlin am 26.09.2019

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Prävent ionsbezogene Perspekt iven mit durch ant i -musl imischen Rass ismus dehumanis ie r ten

Jugendl ichen -of -Co lor aufbauen

Prof . Dr. Maureen Maisha AumaKindhei t und Di fferenz (Divers i ty Studies)

Hochschu le Magdeburg -Stendal

Ber l in am 26.09.2019

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Meine Übersicht für heute:

1.Diversität der

Zugehörigkeit/

Zuschreibung muslimisch.

2. Vulnerable Gruppen zwischen

Anerkennung und

Dehumanisierung.

3. Präventionsbezogene Fragen

und Aufgaben

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DIVERSITÄT DER ZUGEHÖRIGKEIT oder Zuschreibung muslimisch

Personen und Kollektive die muslimisch sozialisiert sind und/oder Islam praktizieren

oder aufgrund von genealogische oder phänotypische Merkmale als „Muslim*innen“

markiert werden.

Meine Perspektive klammert hier weiße Muslim*innen aus (mit Verweis auf spezifische Arbeiten dazu)

Es ist wichtig zu erfassen wer als „muslimisch“ anerkannt oder zugeschrieben wird und wer nicht und vor

allem warum.

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DIVERSITÄT DER ZUGEHÖRIGKEIT

Was ist AMR? Eine Arbeitsdefinition:

Jede Form der Marginalisierung, Exklusion,

Diskriminierung und Dehumanisierung aufgrund der

Zugehörigkeit oder Zuschreibung zur sozialen Gruppe

‚moslem‘ d.h. der muslimisch markierten Menschen.

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DIVERSITÄT DER ZUGEHÖRIGKEIT

AMR : Definition von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit)

Antimuslimischer Rassismus (AMR) ist ein kulturalistisch argumentierender Rassismus, der

sich gegen Muslim*innen und gegen Menschen richtet, die als Muslim*innen markiert sind,

und zwar unabhängig davon, ob die Betroffenen tatsächlich den Islam praktizieren und wie

religiös sie sind. Dem AMR liegt die Annahme einer grundsätzlichen und unvereinbaren

Andersartigkeit von (vermeintlichen) Muslim*innen zugrunde.

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VULNERABLE GRUPPEN

Diese Entwicklung, Gleichstellungsinstrumente zu entwerfen, um vulnerable

Gruppen formal anzuerkennen, ist eine relativ neue für den deutschsprachigen

Raum. DIE IDEE dahinter ist es, ungleich verteilte Anerkennungschancen,

respektive erhöhte Diskriminierungsrisiken, zum Ausgangspunkt für

Gleichstellungsmaßnahmen nehmen.

Offentlichen Institutionen kommt demzufolge eine zweifache Aufgabe zu:

Sie müssen einerseits Destigmatisierungsprozesse entwerfen, einleiten und

durchsetzen und andererseits ein neues Verhältnis zu den dehumanisierten,

vulnerablen Gruppen aufbauen, um konkrete Möglichkeiten auszuloten, wie sie die

(bislang verhinderte) soziale Mitgliedschaft marginalisierter Gruppen realisieren

können.

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„Die menschliche Lebensform im Ganzen ist durch die Tatsache gepragt, dass

Individuen nur durch wechselseitige Anerkennung zu sozialer Mitgliedschaft und

damit zu einer positiven Selbstbeziehung gelangen.“ AH/Klappentext.

Michele Lamont und Axel Honneth betonen die zentrale Bedeutung der

Anerkennung der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen als demokratischen

Wert inklusiver Gesellschaften. Soziale Gleichheit wird hier als Voraussetzung für

soziale Gerechtigkeit und soziale Inklusion betrachtet (Lamont, 2018; 419; Honneth,

2016; 7).

Nach Lamont bildet die soziale Mitgliedschaft, die Zusicherung der soziopolitischen

Zugehörigkeit, eines der wertvollsten Güter, welche politische Gesellschaften

überhaupt zu verteilen haben. Das soziale Ansehen und die Realisierbarkeit von

Respekt hängen von dem gesellschaftlichen Status ungleich positionierter sozialer

Gruppen ab. Subjekte und Kollektive, deren identitätsstiftende Anteile sozial oder

kulturell abgewertet werden, leiden an einem Anerkennungsmangel, drastischer

formuliert an Anerkennungsverletzungen (Vgl. Fraser und Honneth, 2017; 24 und

Fraser, 2016; 278).

Diese stigmatisierten/marginalisierten Akteur*innen werden systematisch als

unvollständige Mitglieder einer Gesellschaft konstruiert. Eine Teilhabe auf

Augenhöhe wird für diese Akteur*innen daher nicht realisiert. Lamont hebt dabei

explizit die kollektive Dimension sozialer Missachtungserfahrungen und die Effekte

eines Mangels an Anerkennung hervor.

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Gesellschaftliche Missachtungserfahrungen betrachtet Lamont zudem als einen

faktischen Angriff auf den Selbstwert (an assault on worth) stigmatisierter Gruppen

(Lamont 2018; Lamont et. al. 2016; 281). Institutionen müssen sich daher

entschieden sowohl gegen stigmatisierende Praktiken und Diskurse (cultural

disrespect) als auch gegen sozioökonomisch verursachte Ungleichheiten (economic

exploitation) wenden. Institutionen müssen konsequent sowohl soziale als auch

kulturelle Pluralität fördern (Fraser und Honneth, 2017; 55).

Soziale Mitgliedschaft meint, dass Angehörige aller Bevölkerungsgruppen gute und

faire Bedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen einen positiven Selbst- und

Weltbezug aufzubauen und stabil zu halten. Die öffentliche Anerkennung als

marginalisierte Gruppe bildet dabei die formale Grundlage. Mittels angeleiteter

Destigmatisierungsprozesse können infolgedessen Respekt, soziale Wertschätzung

und rechtliche Gleichstellung für die Angehörigen marginalisierter Gruppen

nachträglich hergestellt werden (Vgl. Auma/Kinder/Piesche, 2019a).

Durch formale Anerkennung/Destigmatisierung wird es möglich, die soziale

Mitgliedschaft (die vollständige Zugehörigkeit zur Gemeinschaft/Gesellschaft) der

stigmatisierten Gruppe öffentlich zu verhandeln. Zudem nimmt das gesellschaftliche

Bewusstsein zu, dass rassistisch markierte (vulnerable) Gruppen besonders von

Schließungsprozessen, Marginalisierungserfahrungen und Partizipationsbarrieren

betroffen sind. Im `Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus` von 2017 wurden fünf

vulnerable Gruppen explizit genannt (NAP gegen Rassismus von 2017; 10 und 12).

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Your Happiness Matters!

In ihrem Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung bedürfen

mehrfachmarginalisierte Personen und Kollektive institutionelle

Unterstützungsstrukturen.

Eine gezielte Erhöhung der sozialen Resilienz und der politischen

Selbstwirksamkeitserfahrungen von marginalisierten Personen und Kollektiven muss aus

unserer Sicht zu den Grundlagen der Gleichstellungskonzeptionen inklusiver Gesellschaften

werden. Institutionen, die sich einer Gleichstellungsorientierung verpflichten und eine inklusive

Normalität herstellen, können zu einer wichtigen Anerkennungsressource werden, gerade für

mehrfachmarginalisierte Kinder/Jugendliche. Sie können ihre Realität von Stigmatisierung und

Exklusion bedeutend entlasten (Vgl. Lamont et. al, 2016).

Nach der Einführung von ‚Marriage Equality’, der ‚Ehe für Alle’, nahmen die Suizidraten von

LGBTI* Jugendlichen in den unterschiedlichen globalen Kontexten bedeutend ab (Davis, 2017;

Segal, 2017; Bailey/McGorry/Robinson, 2017).

Diese institutionelle Anerkennung scheint eine entscheidende Botschaft zu enthalten, die wir

wie folgt formulieren wollen: ‚Deine Art zu sein und zu lieben kommt gesellschaftlich vor. Sie

wird wertgeschätzt. Wir unterstützen dich darin, sie zu realisieren.“ Und weiter: „Diese

Gesellschaft kann sich glücklich schätzen dich zu haben. Wir brauchen dich und die Dinge, die

dich ausmachen, um unsere Community gut, fair und lebenswert zu machen’. Solche

Strategien der Destigmatisierung und der restorativen Sicherung der sozialen Mitgliedschaft,

sind in unserer Perspektive übertragbar auf andere mehrfachmarginalisierte, dehumanisierte

Gruppe.

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Verbindende Figuren und ihre Bedeutung für

präventionsbezogene Perspektiven

Gesellschaftliche Debatten über Radikalisierung und Extremismus sind in vielen

Fällen von negativer Emotionalisierung (Angstmache) und Dramatisierung

(Bilder von Grenzen, von klar erkennbarem Bösen/Bedrohung) eingerahmt

(Beelmann et. al. 2017, 90).

Hier geht die Perspektive derjenige Jugendlichen, die extremistisch handeln,

insofern unter, als das es nicht in erster Linie darum geht, nachzuvollziehen,

warum die gewaltvolle Durchsetzung ihrer politischen Ziele ihnen als in vielen

Fällen einzige, sinnvolle Option erscheint. Extremistische Deutungs- und

Handlungsweisen hängen aber durchaus mit einer hohen Sensibilität für

Ungerechtigkeit zusammen sowie mit einem Mangel an legitimen Optionen,

Gesellschaft aktiv mit zu formen (Beelmann et. al. 2017, 102).

Soziale Marginalisierungserfahrungen, das Gefühl abgelehnt, ausgegrenzt,

abgewertet oder abgehängt zu werden, sind entscheidende Faktoren dafür, ob

Kinder und Jugendliche selber Abgrenzungsverhalten entwickeln und in

extremistischen Angeboten Zuwendung und Zugehörigkeit suchen.

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PRÄVENTIONSBEZOGENE PERSPEKTIVEN:

1) EMPOWERMENT

2) NORMALISIERUNG

3) DEKONSTRUKTION

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Politische Selbstwirksamkeit erfahren

Für die Konzeption von Präventionsmaßnahmen leitet sich hieraus ab, dass es

wichtig ist, Kindern und Jugendlichen politische Selbstwirksamkeitserfahrungen zu

ermöglichen. Gerade für Kinder deren identitätsstiftenden Merkmale gesellschaftlich

abgewertet werden, Kinder, die zu marginalisierten Gruppen gehören (wenn sie

Teilidentitäten haben, die eine Zugehörigkeit zu mehr als einer marginalisierten

Gruppe beinhalten, dann werden diese Kinder als ‚mehrfachmarginalisiert’ oder als

Kinder mit einem hohen Diskriminierungsrisiko bezeichnet), gilt das besonders!

Kinder müssen die Möglichkeit bekommen sich als aktiv Mitgestaltende von

Gesellschaft zu erfahren. Sie müssen in den Narrativen und Bildern ihres Alltags, vor

allem in didaktischen Materialien, als Handelnde vorkommen. Solche Ressourcen der

symbolischen Anerkennung sind aber zum Nachteil von mehrfachmarginalisierten

Kindern und Jugendlichen ungleich verteilt (Auma, 2017). Es ist wichtig, Kindern im

Schulalltag einen Zugang zu mehrfachmarginalisierten Autoritätsfiguren zu geben.

Diese Figuren müssen zudem die Aufgabe übernehmen, gegenseitige Care-Arbeit zu

normalisieren, sprich: für sich selbst und für die Menschen, die zu ihrer

Nachbarschaft gehören, gut zu sorgen. Sie müssen Zugehörigkeit in ihrer

Gestaltbarkeit begreifbar machen.

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HANDELND VORKOMMEN IN DER GESELLSCHAFT:

Soziale Zugehörigkeit ist ein wesentlicher Schutzfaktor, um extremistischen Angeboten zu

widerstehen. Dafür bedarf es neben positiven Erfahrungen mit Diversität und von

Selbstwirksamkeit gerade für Kinder, die zu marginalisierten Gruppen gehören, auch

Vorbildfiguren „aus der Nachbarschaft“, die einem selbst ähnlich sind. Auch

institutionalisierte Formen von Anerkennung spielen eine gewichtige Rolle.

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DESTIGMATISIERUNG :

DEMARGINALISIERUNG: DENATURALISIERUNG:

Menschen, die gesellschaftlich marginalisiert, ausgeschlossen werden, als

Autoritätsfiguren dargestellen, als Wissende über die eigene Lebenswirklichkeit und

zugleich über die allgemeine soziale Wirklichkeit.

Soziales und emotionales Wohlbefinden erhöhen als Grundpfeiler einer

institutionellen Präventionskultur

In Krisensituationen immer zuerst nach den Helfenden zu schauen (always look for

the helpers), verstärkt die Wahrnehmung von Helfen als einer wichtigen und

gesellschaftsformenden Aktionsweise.

Anerkennung initiierenAnerkennung in Verhältnissen von Marginalisierung zu gestalten, bedeutet, von Anfang an

Diversitätsorientierung, also einen bewussten Umgang mit Heterogenität und mit politisch

wirksamen Differenzen zu verankern. Sie bedeutet zugleich, eine diskriminierungskritische

Orientierung zu verankern, also die vorhandenen sozialen Hierarchien, die Macht- und

Ohnmachtskonstellationen, die auf die Lebenswirklichkeit von Kindern wirken, thematisierbar

und begreifbar zu machen. Vor allem für Kinder, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position

mit hohen Diskriminierungsrisiken zu kämpfen haben, muss über kompensierende

Anerkennungsressourcen im Lebensumfeld Grundschule nachgedacht werden.

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Alaa Salah,

Aktivistin und Studentin

Foto der sudanesische Fotografin Lana Haroun

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In ihrem 1997 erschienenen Aufsatz „Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion: vom

Nutzen theoretischer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung für die Praxis“

formuliert Gudrun Axeli Knapp drei orientierende Perspektiven für eine substantielle

Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik. Besonders wichtig sei es,

„den Erfordernissen praktisch-politischen Handelns ebenso Rechnung zu tragen wie

den Einsichten feministischer Theorie“ (Vgl. Knapp, 1997). Die ausgearbeiteten drei

Leitlinien nennt Knapp ‚Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion’. „Mit diesen

Stichworten sollen drei Perspektiven konkretisiert werden, die sich wechselseitig

ergänzen und korrigieren, weil jede von ihnen alleine und nur für sich genommen die

Gleichstellungspolitik in ein spezifisches und inzwischen hinreichend bekanntes

Dilemma führt“ (Wetterer, 2002; 17).

Gleichheit bezeichnet hier die rechtliche Ebene (die Durchsetzung von Rechtsgleichheit bzw.

Gleichberechtigung). Es schließt das Verbot der direkten und mittelbaren Diskriminierung ein.

Das damit verbundene Problem/Dilemma sei die egalisierende Gleichbehandlung von

(historisch gemachten) Ungleichen.

Differenz betrifft die gezielte Wahrnehmung und Anerkennung von strukturell angelegten

Ungleichheitsrelationen (der Geschlechter). Das Dilemma (Differenzdilemma) besteht darin,

binäre Denk- und Klassifikations- und Einteilungsmuster (ciskulturelle Zweigeschlechtlichkeit) zu

wiederholen, normal zu machen und damit zu zementieren.

Dekonstruktion regt ein Befragen/Hinterfragen von Normen und Normalität an, als Korrektiv

und kritisches Potential als Mittel einer stetigen Reorganisation. Das Dilemma besteht darin, die

Dekonstruktion des verallgemeinernden Rahmens voranzutreiben, ohne dass die reellen

Ungleichheiten behoben sind. (Axeli-Knapp, 1997; 77ff).

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Die Komplexität einer Institutionalisierung von Gerechtigkeitsstrategien

(Gerechtigkeitsparadigmen) wird in der Arbeit der Inklusionsforscherin Mai-Anh Boger

prägnant diskutiert und weiter konkretisiert.

Boger nennt die drei von Axeli-Knapp formulierten Interventionslinien

1)Empowerment (Differenz), 2) Dekonstruktion (Dekonstruktion) und 3)

Normalisierung (Rechts-/Gleichheit).

Und auch Boger geht auf der Basis ihrer empirischen Arbeiten davon aus, dass alle

drei Strategien unerlässlich sind, um Ungleichheitsverhältnisse in ihrer Tiefenstruktur

nachhaltig zu verändern und um soziale Räume nachhaltig zu transformieren (Vgl.

Boger, 2017).

Jedes Gerechtigkeitsparadigma für sich weist eine begrenzte Reichweite auf, obwohl

es Unerlässliches leistet für die jeweilige Konkretisierung

(Gleichheit/Gleichstellungsdaten), De-Marginalisierung (Differenz/Empowerment)

oder Neu-Konzeption (Dekonstruktion/widerständige Reorganisation) hartnäckiger

Exklusionsrealitäten.

Für die (Re-) Konzeptualisierung von Präventionskonzeptionen ist eine flexible

Bezugnahme auf die drei Gerechtigkeitsparadigmen wichtig, weil sie sich in Knapps

Sprache „wechselseitig korrigieren“.

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Der Pluralitätsrechner

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„Der Pluralitätsrechner“ „ ... ... Das Bild wechselt: EMPATHY GAP blinkt es auf meinem Bildschirm. Die

Nachrichtensprecherin trägt jetzt ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift ‚I Met God, She’s Black’.

Es gibt einen neuen Pluralitätsrechner. Er erfasst zu hohe Dosen von Dehumanisierung. Das

Tagesprogramm aller öffentlichen Sender wird ständig neu berechnet und angepasst – sobald

Werte (und Normen) entstehen, die weit unter den vom Pluralitätsrechner ermittelten

Gerechtigkeitswerten liegen. Alle Personen, die zu hoher Diskriminierung ausgesetzt waren,

werden über ihre Uhren, Ohrringe, mobile Endgeräte oder Chip-Implantate entschädigt, indem

ihre Rundfunkgebühren verringert oder zurückgebucht werden. Zu Zeiten von Karneval und

Halloween zum Beispiel, zahlen rassismuserfahrene Personen daher keine Gebühren! Sie

machen sogar aufgrund von Whitewashing, Cultural Appropriation und Microaggressions ein

dickes Plus auf ihrem Pluralitätsrechner!13 (... a new plurality calculator ... what does your

justice regulator show? .... symbolizations of physical and emotional brutality, cultural violence

and overall stress are measured and carefully monitored, then duly compensated!).“14

Wie würde es aussehen, wenn dehumanisierte Subjekte und Kollektive nicht mehr die Aufgabe

aufgebürdet bekämen nachzuweisen, dass eine Erfahrung rassistische Auswirkungen hat, das

ihnen „etwas Rassistisches“ gerade passiert ist? Diese Imaginationen, über die Umkehrung der

Beweislast für Diskriminierung/Marginalisierung/Dehumanisierung von der stigmatisierten

Person, hin zu der stigmatisierenden Institution/Gesellschaft, waren die Geburtsstunde für

unseren „Pluralitätsrechner“. Er soll automatisch jede Dehumanisierung erfassen und berechnen

und eine gerechte Entschädigung vollziehen. Der Pluralitätsrechner rechnet nicht nur

anerkennungspolitisch, sondern auch mit dem Ziel der Umverteilung, der distributiven

Gerechtigkeit. Er erfasst daher jede Form der Sorgearbeit (Pflegearbeit, Erziehungsarbeit,

Reinigungsarbeiten) und entschädigt diese Arbeit, die ‚alle anderen Arbeiten’ erst möglich

macht, gerecht.