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G 20011 Nachrichtenmagazin des Bundes der Vertriebenen OSTDIENST EUTSCHER DO D 57. Jahrgang / Nr. 06/2015 Personalien: Helmut Sauer zum 70. Geburtstag Politik: Deutsche Zwangsarbei- ter werden entschädigt

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Verbandszeitschrift des Bundes der Vertriebenen

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G 20011

Nachrichtenmagazin des Bundes der VertriebenenOSTDIENSTEUTSCHERDOD57. Jahrgang / Nr. 06/2015

Personalien:Helmut Sauer zum 70. Geburtstag

Politik:Deutsche Zwangsarbei-ter werden entschädigt

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AngekommenDie Integration der Vertriebenen in Deutschland

Erzwungene WegeFlucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts

Die GerufenenDeutsches Leben in Mittel- und Osteuropa

Landratsamt Kassel/Kreishaus18. Januar bis 12. Februar 2016Wilhelmshöher Allee 19-21 34117 Kassel

Rathaus Bremen – Untere Rathaushalle8. März bis 24. März 2016Am Markt 21 28195 Bremen

Fichtelgebirgshalle Wunsiedel17. Mai bis 21. Juni 2016Jean-Paul-Straße 595632 Wunsiedel

Rathaus Halle 27. August bis 4. Oktober 2016Marktplatz 106100 Halle (Saale)

Haus der Heimat8. Januar bis 20. Februar 2016Friedrichstr. 35 65185 Wiesbaden

Rathaus Bremen 8. März bis 24. März 2016Am Markt 2128195 Bremen

Stationen der Wanderausstellungen 2016

Museum der Schöfferstadt Gernsheim9. Januar bis 28. Februar 2016Schöfferplatz64579 Gernsheim

Zentrum

GeGen VertreibunGen

Alle Ausstellungen können gebucht werden. Informationen dazu unter Tel.: 030/85 74 14 15

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3DOD 05/2015

Liebe Leserinnen und Leser,

die Advents- und Weihnachtszeit, aber auch der Jahreswechsel sind traditionell durchdrungen von „frohen Botschaften“. Das kann die Botschaft sein, an die wir uns Jahr für Jahr in dieser Zeit erinnern und die uns vom Kommen unseres Hei-lands, von der Geburt Jesu Christi erzählt. Das kann auch die Botschaft sein, dass mit dem erneut beginnenden Jahres-kreis herausfordernde Projekte beginnen, die unser Leben zusätzlich mit Sinn erfüllen. Aber auch der Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr kann frohe Botschaften bereithalten.

Eine frohe Botschaft war sicher die vom Deutschen Bundestag mit dem Bundeshaushaltsgesetz für 2016 beschlossene Entschädigung ziviler deutscher Zwangsarbeiter. Dies ist ein Erfolg, den wir gemeinsam erreicht haben – mit unserem jahrelangen Einsatz im Bundesverband, in vielen Gliederungen, aber auch über den Verband hinaus. Ich bin persönlich froh und glücklich, dass das Schicksal dieser Menschen endlich mit einer symbolischen Geste anerkannt wird.

Das Jahr 2016 haben wir als BdV schon jetzt mit einer Botschaft bereichert: „Identität schützen – Menschenrechte ach-ten“ hat das Präsidium einstimmig als neues Leitwort beschlossen. Gerade in der Weihnachtszeit wird mir immer bewusst, wie sehr auch Glaube und Brauchtum Teil unserer Identität sind. Für jede Volksgruppe bedeuten sie einen festen Teil der Heimat. Für die gesamte Gesellschaft bedeuten sie Vielfalt. Der Schutz von Identität muss daher Teil einer modernen Menschenrechtspolitik sein.

Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Lieben und einen guten Start ins Neue Jahr.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bernd Fabritius MdB

Editorial

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4 DOD 06/2015

Großes Plus für deutsch-polnisches MiteinanderUnter den Aktivitäten der Vertriebenenverbände ist der „Deutsch-Polnische Kommunalpolitische Kon-gress“ der ostpreußischen Landsmannschaft einzigartig. In diesem Jahr fand er zum zehnten Mal statt. Der passende Anlass um auf eine Veranstaltungsreihe zurückzublicken, die intensive Momente, hoch-karätige Politprominenz und vor allem ein großes Plus für das deutsch-polnische Miteinander bietet. Seite 7

Franz Josef Strauß und die HeimatvertriebenenAm 6. September 2015 wäre der ehemalige Bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzende Franz Josef Strauß 100 Jahre alt geworden. Der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der am 3. Oktober 1988, exakt zwei Jahre vor dem offiziellen Zustandekommen der Deutschen Einheit, verstorben ist, hatte zeitlebens politisch dafür Sorge getragen, dass die Deutsche Frage offen gehalten

wurde. Er hat nie aufgehört, durch sein ganzes politisches Wirken, auf die Deutsche Einheit hinzuarbeiten. Seite 9

Europa rettet „Schlesischen Streuselkuchen“Schlesischer Streuselkuchen mag kein traditionelles Weihnachtsgebäck sein. Trotzdem werden viele deutsche Bäcker das am 7. Oktober 2015 vom Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg gefällte Urteil, das eben jene Backware zum Thema hat, als frühes Weihnachtsgeschenk verstanden haben. Das Gericht hat nämlich klargestellt, dass deutsche Bäcker auch weiterhin „Schlesischen Streu-selkuchen“ herstellen und verkaufen dürfen, ohne juristische Auseinandersetzungen mit polnischen Kollegen aus Schlesien befürchten zu müssen. Seite 15

Haus Schlesien: Ein Thema, zwei SichtweisenHaus Schlesien in Königswinter bot Kuratoren aus polnischen und deutschen Museen die Möglich-keit, Aspekte der Flucht und Vertreibung in den europäischen Kontext einzugliedern.Den Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland und Polen kommt im Bereich der Verständigungsarbeit eine wichtige Rolle zu. Gerade durch den binationalen Austausch kann der Blick aller Beteiligten für die

sensiblen und spannungsreichen Aspekte in der deutsch-polnischen Geschichte geschärft werden. Seite 22

Innenminister auf Kurzbesuch bei Sudetendeutschen in PragBei einer Auslandsreise nach Prag hat sich Innenminister Reinhold Gall am 21. Oktober 2015 ein Bild von der Situation der deutschen Minderheit in Tschechien gemacht. „Es ist mir gelungen, die Vertreter der deutschen Minderheit und ihre Arbeit kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen, auch um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie es um die Vermittlung und die Bedeutung der Sprache geht. Wie ich festgestellt habe, sind zwischen unseren Ländern schon gute Kontakte entstanden, vor allem im Bereich der Wissenschaft, die wir in Zukunft weiter ausbauen wollen“, hob Minister Gall hervor. Seite42

BdV-Archiv (2); LMO (1); Usien (1); Göllner (1); Innenministerium Baden Württemberg (1); OMV (1)

Inhalt

Titel: Göllner

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5DOD 06/2015 Politik

Deutsche Zwangsarbeiter werden entschädigtBemühungen des Bundes der Vertriebenen endlich erfolgreich

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB mit seinen Bundestagskollegen Dr. Reinhard Brandl (Berichterstatter im Haushaltsausschuss für den Bereich des Bundesministerium des Innern) und Klaus Brähmig (Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Zum Jahresende hat der Deutsche Bundestag endlich die Grundlage für eine humanitäre Geste für zivile deutsche Zwangsarbeiter geschaf-fen und damit eine langjährige For-derung des Bundes der Vertriebe-nen (BdV) aufgegriffen. Am 27. November 2015 hat der Bundestag den Bundeshaushalt für 2016 ver-abschiedet und nun auch den vom Haushaltsausschuss eingebrachten Beschluss einer symbolischen Zwangsarbeiterentschädigung auf eine finanzielle und rechtliche Grundlage gestellt.

Nach dem Beschluss sollen „ehemali-ge deutsche Zwangsarbeiter, die als

Zivilpersonen aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit oder Volkszugehö-rigkeit während des Zweiten Weltkriegs und danach zur Zwangsarbeit herange-zogen wurden“, einen einmaligen Aner-kennungsbetrag erhalten. So sollen in den kommenden drei Jahren insgesamt 50 Millionen Euro eingesetzt werden. Für 2016 sind 20 Millionen Euro, für die Jahre 2017 und 2018 jeweils 15 Millio-nen Euro Entschädigungsmittel einge-plant.

„Ich freue mich sehr, dass wir es geschafft haben, eines der Hauptanlie-gen des Bundes der Vertriebenen endlich entscheidend voranzubringen“, kom-mentierte BdV-Präsident Dr. Bernd Fabri-tius MdB dies in einer ersten Stellung-nahme.

Seit Jahrzehnten hat der BdV auf das Sonderschicksal dieser Menschen hinge-wiesen, das deutlich über das allgemeine Kriegsfolgenschicksal hinausgeht. Es ist Teil vieler deutscher Familiengeschich-ten. Die Umstände der Zwangsarbeit waren so verschieden wie die Lebens-schicksale dieser Menschen: Manche wurden an ihren Wohnorten durch Maßnahmen fremder Staatsgewalt

unmittelbar zwangsverpflichtet, manche von ihrem Wohnort zur Zwangsarbeit in Lager verschleppt, manche auf der Flucht aufgegriffen und in die Weiten Russlands deportiert und manche auf-grund staatlicher Weisungen in Massen-transporten weit weg von ihren Heimat-orten verbracht.

Für alle diese Schicksale gilt: Tod, Angst, Kälte, Hunger, Krankheit und Entkräftung haben viele das Leben, alle aber Lebenszeit und Lebensqualität gekostet. Diejenigen, die heute noch leben, können von den unmenschlichen und brutalen Haft-, Lager- und Lebensbe-dingungen und ihren bis heute nicht überwundenen Traumata berichten. Vie-le haben ihre Erlebnisse in Buchform gegossen, um sie der Nachwelt als Mahnmal zu hinterlassen. Herta Müller z.B. verarbeitete in ihrem Roman „Atem-schaukel“, nach dessen Erscheinen sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeich-net wurde, auch die Erinnerungen des Georg-Büchner-Preisträgers Oskar Pasti-or. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB bedauerte, „dass viele Betroffene

die nunmehr beschlossene Entschädi-gung nicht mehr erleben können.“ Er freute sich aber umso mehr „mit denen, die diese symbolische Anerkennung ihres Leides noch erfahren.“ Gerade die zivilen deutschen Zwangsarbeiter seien oft als „menschliche Kriegsreparationen“ verschleppt worden und erführen nun eine späte Wiedergutmachung. Dafür habe er sich im Bundestag eingesetzt.

Erika Steinbach MdB, die die Entschä-digungsforderung als ehemalige BdV-Präsidentin gemeinsam mit den jeweili-gen BdV-Präsidien über Jahre federfüh-rend immer wieder erhoben hatte, erklärte: „Es ist großartig, dass diese Ges-te für die deutschen Zwangsarbeiter nach zahllosen Verhandlungen nun doch noch möglich gemacht wird. Diese humanitäre Geste ist ein Gebot der Gerechtigkeit.“ Den Schwächsten der Schwachen werde auf die Art etwas von ihrer Würde zurückgegeben, betonte die heutige BdV-Ehrenpräsidentin.

Auch der Arbeitskreis Deutsche Zwangsarbeiter widmete sich dem The-ma mit Akribie und Hartnäckigkeit.

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6 DOD 06/2015Politik

LMO (2)

Die Beratungen des Haushaltsaus-schusses des Deutschen Bundesta-ges für den Bundeshaushalt 2016 sind mit großen Erfolgen in den Politikbereichen Vertriebene, Aus-siedler, Spätaussiedler, Integration und nationale Minderheiten abge-schlossen worden.

Die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Aussiedler dürfen sich

über den Beginn einer Bundesförderung aus dem Etat der Beauftragten der Bun-desregierung für Kultur und Medien (BKM) für das Museum für russland-deutsche Kultur in Detmold freuen, wo bereits Beachtliches auf der Basis priva-ten Engagements geleistet worden ist. Für das Haushaltsjahr 2016 sind 200.000 Euro Förderung vorgesehen, für die folgenden Jahre wurde eine Ver-pflichtungsermächtigung über noch ein-mal 800.000 Euro festgeschrieben. Das Ostpreußische Landesmuseum in Lüne-burg wird für eine neue Ausstellung 1 Mio. Euro erhalten.

Aus diesen Mitteln wird auch der Bau des Museums Friedland im Grenzdurch-gangslager gefördert. Der Bund wird die Hälfte der auf 20 Millionen Euro geschätzten Kosten übernehmen, die andere Hälfte trägt das Land Niedersach-sen. Damit entsteht an einem zentralen Ort gesamtdeutscher Nachkriegsge-schichte eine angemessene Einrichtung.

Mit der Bereitstellung von 600.000 Euro aus dem Titel „Allgemeine Investi-tionen“ der Beauftragten der Bundesre-gierung für Kultur und Medien für die Sanierung des historischen Packhauses in Flensburg wurde die Grundlage dafür gelegt, dass das von der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) gemeinsam mit der Vertretung der Dänischen Minderheit in Deutsch-land (Sydslesvig Forening) geplante „Haus der Minderheiten Europas“ dort künftig eine angemessene Heimstatt fin-den kann. Auch im Etat im Bundesmi-

nisteriums des Innern wurden erhebli-che Verbesserungen erreicht. Mit einer Erhöhung der Mittel für die Migrations-beratung für erwachsene Zuwanderer (MBE) um 10,5 Mio. Euro betragen die Mittel im Jahr 2016 nun insgesamt rund 45 Mio. Euro. Davon profitieren auch die Spätaussiedler.

Deutsche Minderheiten werden gefördert

Die Belange der deutschen Minderhei-ten im östlichen Europa und in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjet-union werden künftig ebenfalls stärker berücksichtigt. Der Titel „Allgemeine Hilfen“ im Einzelplan des Bundesminis-teriums des Innern wächst von 18,4 Mio. Euro um weitere zwei Mio. Euro. Damit ist insbesondere der Einstieg in die Absicherung der Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit der über 500 Ein-richtungen der deutschen Minderheit in der Republik Polen getätigt. Sie wurde bislang hauptsächlich aus Erträgen und dem Kapitalstock der Stiftung für die Entwicklung Schlesiens finanziert, deren Mittel aber 2017 zu Ende gehen wer-den. Der Dachverband der nationalen Minderheiten in Europa, die Föderalisti-sche Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), wird 2016 für Maßnahmen im Zusammenhang mit dem deutschen OSZE-Vorsitz im Jahr 2016 sowie zur Förderung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) zusätzliche Mittel in Höhe von 400.000 Euro erhalten.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Min-derheiten, Hartmut Koschyk MdB, wür-digte die Ergebnisse der Haushaltsbera-tungen als bedeutende Erfolge für Ver-triebene, Aussiedler und deutsche Min-derheiten. Es habe sich gezeigt, dass das deutsche Parlament deren berechtigten Anliegen besonders verbunden ist.

(PM)

Haushaltsberatungen für Vertriebene erfolgreich

Schon im Jahr 2000 vor allem durch die Landsmannschaft der Oberschlesier und die Landsmannschaft Schlesien initiiert, ermittelte er Betroffene in Einzel- und Sammelvorgängen und übergab seine Ergebnisse 2009 dem Lastenausgleichs-archiv in Bayreuth. Viele tausend Namen von Kindern, Frauen und Männern, die von Zwangsarbeit betroffen waren, fan-den so ihren Weg ins Bundesarchiv.

Immer wieder unterstützten auch die Unionsparteien sowie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Forderung zur Entschädigung deutscher Zwangsarbei-ter. Zuerst geschah dies 2003 mit einem Antrag des damaligen innenpolitischen Sprechers und heutigen Aussiedlerbeauf-tragten Hartmut Koschyk MdB an den Deutschen Bundestag. In der CDU war es etwa der Bundesvorsitzende der OMV der CDU/CSU Helmut Sauer, der das Schicksal deutscher Zwangsarbeiter innerhalb der OMV und auch z.B. auf CDU-Parteitagen thematisierte und auf diesem Wege mit in den Deutschen Bundestag trug. Dort wurde das Anlie-gen insbesondere von der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten unter deren jeweiligen Vorsitzenden aufgenommen und so von einer weiteren Seite in die Gremienar-beit der Fraktion eingebracht. Klaus Brähmig MdB, derzeitiger Vorsitzender der Gruppe, freute sich daher ebenfalls über die symbolische Anerkennung, die eine wichtige Geste der Wertschätzung für diese große Opfergruppe sei.

Die Rahmenbedingungen der nun beschlossenen Zwangsarbeiterentschädi-gung werden durch das Bundesministe-rium des Innern erarbeitet. Der BdV wird sich als Gesamtverband dafür ein-setzen, dass diese schnell erstellt und ohne formal unerfüllbare Bedingungen umgesetzt werden. Die Richtlinien müs-sen dem symbolischen Charakter der Entschädigung, dem Schicksal sowie dem hohen Lebensalter der Betroffenen und deren Angehörigen gerecht werden und dürfen sie nicht überfordern. Berücksichtigt werden muss auch, dass Zwangsarbeit meist nicht bescheinigt wurde und die Geschehnisse über 70 Jahre zurückliegen. Dies gilt besonders im Hinblick auf die noch in den Heimat-gebieten verbliebenen Betroffenen.

Sobald die Antragsmodalitäten bekannt sind, wird der BdV darüber informieren und Betroffene bei der Antragstellung unterstützen. (BdV)

Steigerungen in allen Bereichen

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Großes Plus für deutsch-polnisches Miteinander10. „Kommunalpolitischer Kongress“ der Landsmannschaft Ostpreußen

7DOD 06/2015 Politik

Unter den Aktivitäten der Vertriebenenverbände ist der „Deutsch-Polnische Kommunalpo-litische Kongress“ der ostpreußi-schen Landsmannschaft einzigar-tig. In diesem Jahr fand er zum zehnten Mal statt. Der passende Anlass um auf eine Veranstaltungs-reihe zurückzublicken, die intensive Momente, hochkarätige Politpro-minenz und vor allem ein großes Plus für das deutsch-polnische Mit-einander bietet.

Dieses Wochenende im Oktober hat-ten sich viele vorgemerkt. Vollbe-

setzt war der Kongress-Saal beim „10. Deutsch-Polnischen Kommunalpoliti-schen Kongress“ der Landsmannschaft Ostpreußen im Hotel Warmiński in Allenstein (Olsztyn). 65 Landräte, Bür-germeister, Kulturschaffende, deutsche Kreisvertreter und Vertreter der Deut-schen Minderheit – so viele Teilenehmer

wie noch nie – beschäftigten sich zwei Tage intensiv mit dem Thema „deutsch-polnische Erinnerungsorte“.

Fünf Vorträge standen auf dem Pro-gramm. Das Spektrum war breit: Es ging um „polnisch-ukrainische Erinnerungs-orte und ihre Bedeutung für Polen und Europa“, aber auch um die „Neuord-nung der polnischen Polizei nach der Wende 1989“. Den Anfang machte die Kunsthistorikerin Edyta Gładkowska. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildende Kunst der Universi-tät in Allenstein sprach über „deutsch-polnische Erinnerungsorte in Ermland und Masuren“. Die Erinnerung sei allge-genwärtig, erklärte sie. In Wirtschaft, Politik und Alltagsleben sei das kulturelle Erbe Ostpreußens präsent. Gleichzeitig sei aber „das Vergessen die offizielle Nar-ration Polens.“ Die Wissenschaftlerin: „Wir sind eine Posteinwanderer-Gesell-schaft. Tradition war viele Jahre nicht gewünscht, aber die Menschen verlan-gen nach Identität.“

Eine lebhafte und offene Diskussion schloss sich ihrem Vortrag an. Beiträge von deutscher und polnischer Seite brachten Verbindendes, aber auch Tren-nendes zur Sprache. Jeder weiß es: Die deutsch-polnische Geschichte hält eben-so viel Licht wie Schatten bereit – umso wichtiger ist es, sich darüber auszutau-schen.

Austausch von Meinungen und Erfahrungen

Seit eineinhalb Jahrzehnten veranstal-tet die Landsmannschaft Ostpreußen ihre Kongresse. Erklärtes Ziel der Veran-staltungen, die vom Bundesminister des Inneren unterstützt werden, ist es den Dialog zwischen den ehemaligen und den heutigen Bewohnern der Wojewod-schaft Ermland und Masuren zu fördern. Ein offener Austausch von Meinungen und Erfahrungen soll das Miteinander in einem zusammenwachsenden Europa

Kongresssaal im Hotel Warmiński. Im Vordergrund: Edyta Gładkowska, Repräsentantin der Landsmannschaft in Allenstein und Stephan Grigat, Sprecher der Landsmannschaft.

Gespräche am Rande: Edyta Gładkowska, Repräsentantin der Landsmannschaft in Allenstein, und Henryk Hoch, Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Gesellschaf-ten in Ermland und Masuren sowie des Deutschen Vereins in Osterode.

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8 DOD 06/2015Politik

Auch strittige Themen diskutieren

Nicht alles läuft so harmonisch ab im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen. Das zeigten weitere Wortbeiträge, die auch später noch für regen Mei-nungsaustausch sorgten. Umso wichti-ger ist es, darüber zu reden. „Weil wir strittige Themen diskutieren, weil wir uns austauschen können, kommen wir gemeinsam voran“, erklärte denn auch Gottfried Hufenbach, stellvertretende Sprecher der Landmannschaft Ostpreu-ßen, in seinem Schlusswort zum 10. Kommunalpolitischen Kongress der Landsmannschaft Ostpreußen.

Nachlesen lässt sich das alles auch: Im Frühjahr 2016 wird, wie in den Jahren zuvor, ein Band mit den gesammelten Aufsätzen des 10. Kommunalpolitischen Kongresses erscheinen. Frank Horns

weiterentwickeln und vertiefen. Es geht um Themen wie „Denkmalschutz und Wirtschaftsförderung“ (2004), „1000 Jahre deutsch polnische Nachbarschaft – Gegensätze und Gemeinsamkeiten“ (2013) oder, wie in diesem Jahr, um „Deutsch-Polnische Erinnerungsorte“.

Wichtigste grenzüberschrei-tende Aktivität

Der Kommunalpolitische Kongress zählt zu den wichtigsten grenzüber-schreitenden Aktivitäten der Lands-mannschaft. Zu seinen Teilnehmern zäh-

len auch immer wieder bekannte Namen. Wolfgang Schäuble und Tho-mas de Maiziére waren unter den Gäs-ten. 2008 schwärmte der damalige baye-rische Ministerpräsident Günther Beck-stein, ebenfalls einer der Teilnehmer: „Den Dialog zu suchen und zu führen,

auch über die schwierigen Themen der Vergangenheit, das hat die deutschen Heimatvertriebenen immer ausgezeich-net, und das ist im heutigen Europa der richtige Weg zur Verständigung und zum Verständnis.“ Der ehemalige polni-sche Staatspräsident Aleksander Kwas-niewski sah es ähnlich. Zum 2. Kongress im Jahr 2001 sandte er ein Grußwort und befand: „Durch Ihre Aktivitäten zei-gen Sie, wie man auf Grundlage des gemeinsamen Erbes der vergangenen Generationen – der Deutschen und der Polen – eine konstruktive Zusammenar-beit gestalten kann.“ Diese Tatsache sei einer der glaubwürdigsten und authenti-schen Beweise für die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen und der fortschreitenden europäischen Integration.“

„Ihr Vortrag hat mich tief berührt“

Das drückt sich bei den Kongressen oft in besonders intensiven und beeindru-ckenden Momenten aus. Ein Beispiel: Nach dem Vortrag von Edyta Gładkowska beim diesjährigen Kongress ergriff Dieter Chilla, Vertreter der Kreis-gemeinschaft von Ortelsburg, das Wort. Er sprach aus, was viele dachten: „Ihr Vortrag hat mich tief berührt.“

Chilla verwies auf die psychologische Erkenntnis, dass es krank an Körper und Geist mache, die eigene Vergangenheit zu verdrängen. Die Frage nach der eige-nen Identität ist wohl ebenso wichtig. Sensburgs Landrat Antoni Karas, der das Mikrofon nach Dieter Chilla übernom-men hatte, stellte an sich und an das Publikum eine bewegende Frage: „Wer bin ich eigentlich? Fühle ich mich als Pole oder doch eher als Masure?“ Er füh-le sich als Masure, erklärte er dann und beschrieb seine Verbundenheit mit den früheren Masuren und wie wichtig es ihm sei, auch die dortigen deutschen Friedhöfe zu pflegen.

„Gekommen, um zu diskutieren, sich auszu-tauschen und um das Verständnis füreinan-der zu fördern“: Gottfried Hufenbach bei seinem Begrüßungswort.

Professor Henryk Stroński von der Univer-sität Ermland und Masuren. Der Historiker sprach beim 10. Kongress über „polnisch-ukrainische Erinnerungsorte und ihre Bedeutung für Polen und Europa“.

LMO (2); BdV-Archiv (1)

Leitwort 2016

Identität schützen – Menschenrechte achten

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9DOD 06/2015 Politik

Zum 100. Geburtstag des Bayerischen Ministerpräsidenten/Von Hartmut Koschyk

Franz Josef Strauß und die HeimatvertriebenenAm 6. September 2015 wäre der ehemalige Bayerische Ministerprä-sident und CSU-Parteivorsitzende Franz Josef Strauß 100 Jahre alt geworden.

Der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der am 3. Okto-

ber 1988, exakt zwei Jahre vor dem offi-ziellen Zustandekommen der Deutschen Einheit, verstorben ist, hatte zeitlebens politisch dafür Sorge getragen, dass die Deutsche Frage offen gehalten wurde. Er hat nie aufgehört, durch sein ganzes poli-tisches Wirken, auf die Deutsche Einheit hinzuarbeiten. Die Beschäftigung mit Fragen der Deutschlandpolitik und der damit verbundenen Deutschen Einheit setzte bei Franz-Josef Strauß schon zu Beginn seiner politischen Tätigkeit ein und bildete bis zu seinem Tod einen zen-tralen Faktor seiner Politik. Die klare Haltung zur Deutschlandpolitik hat mich dazu bewogen, 1978 in die Junge Union und in die Christlich-Soziale Union in meiner Geburtsstadt Forchheim einzu-treten.

Unter Federführung des damaligen CSU-Generalsekretärs Franz Josef Strauß erschien bereits im Jahr 1949 eine 16-seitige Broschüre mit dem Titel „Unser Nein zu Bonn – Unser Ja zu Deutschland“. Darin wurde die auf eine unzureichende Berücksichtigung des föderativen Staatsaufbaus beruhende Ablehnung des Grundgesetzes durch Bayern erläutert und gleichzeitig das Bekenntnis zu einem neuen, geeinten deutschen Bundesstaat bekräftigt.

Mit der parlamentarischen Diskussion um den Deutschland- und EVG-Vertrag am 7. Februar und am 10. Juli 1952, äußerte sich Franz Josef Strauß erneut grundsätzlich zu deutschlandpolitischen Fragen. In seinem Redebeitrag vom 10. Juli 1952 sah er die langfristige Lösung der Deutschen Frage und letztlich die

Beim 39. Tag der Heimat 1988 wurde Franz Josef Strauß (M.) von BdV-Präsident Dr. Her-bert Czaja mit der Ehrenplakette des Verbandes ausgezeichnet. Rechts im Bild der damalige Generalsekretär Hartmut Koschyk, der jetzt Beauftragter der Bundesregierung für Aussied-lerfragen und nationale Minderheiten ist.

Wiedervereinigung Deutschlands nur im Rahmen einer Europäisierung der Deutschland-Frage und im Zusammen-hang mit geo- und sicherheitspolitischen Überlegungen.

Die ‚neue Ostpolitik‘ der seit 1969 regierenden sozialliberalen Koalition bezeichnete Franz Josef Strauß zurecht anstelle des Bahr-Wortes „Wandel durch Annäherung“ als „Wandel durch Anbie-derung“. Für Franz Josef Strauß gefähr-dete die sozial-liberale Ostpolitik die westdeutschen Verhandlungspositionen durch einseitige Vorleistungen. Deshalb forderte er zurecht eindringlich ein Fest-halten an dem Anspruch auf Recht und Freiheit für alle Angehörigen der Deut-schen Nation, verbunden mit dem Selbstbestimmungsrecht. Franz Josef Strauß kämpfte in der CSU leidenschaft-lich für das Festhalten an der deutschen Staatsangehörigkeit auch für die Deut-schen in der DDR und für das Festhalten am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. Beides wollten viele

Sozialdemokraten damals aufgeben. Des Weiteren reichte auf sein Drängen hin die Bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Alfons Goppel im Mai 1973 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen den Grundla-genvertrag mit der DDR vom 21. Dezember 1972 ein. Damit erreichte die Auseinandersetzung zwischen der sozi-alliberalen Regierung und der CDU/CSU-Opposition um den richtigen deutschlandpolitischen Weg den Höhe-punkt.

In ihrem Urteil vom 31. Juli 1973 bestätigten die Karlsruher Richter einer-seits die Vereinbarkeit des Vertragstextes mit dem Grundgesetz, schränkten aber andererseits durch neun Leitsätze seine Interpretationsmöglichkeiten ein. Im Sinne der Union konnte damit ein wich-tiger Weg zur Einheit Deutschlands offen gehalten und die deutsche Einheit im Jahr 1990 ohne große verfassungsrechtli-che Probleme verwirklicht werden. Erin-nern möchte ich auch daran, dass es

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10 DOD 06/2015Politik

KAS Warschau (1)

Strauß mehrmals seit den siebziger Jah-ren gelang, wie etwa im Fall des Bürger-rechtlers Rainer Bäurich, durch persönli-che Intervention Ausreisegenehmigun-gen für DDR-Bürger zu erreichen.

Neben der Wiedererlangung der deut-schen Einheit setzte sich der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteivorsit-zende aber auch zeitlebens für die Rech-te der Heimatvertriebenen ein. 1954 hat der Freistaat Bayern die Schirmherr-schaft über die Sudetendeutsche Volks-gruppe und 1978 die Patenschaft über die Landsmannschaft der Ostpreußen übernommen. Im Geiste von Franz-Josef Strauß fühlt sich der Freistaat Bayern aber den Anliegen aller deutscher Hei-matvertriebenen, Flüchtlinge und Spät-aussiedler verpflichtet und unterstützt sie im Sinne des § 96 BVFG bei Bewah-rung, Pflege und Weiterentwicklung ihrer Kultur.

1985 wurde während der Amtszeit von Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß das Sudetendeutsche Haus in München von der Sudetendeutschen Stiftung mit wesentlicher finanzieller Hil-fe des Freistaates Bayern errichtet. Die Sudetendeutsche Stiftung selbst war im Jahr 1970 im Zuge der seit 1954 beste-henden Schirmherrschaft des Freistaates Bayern für die Sudetendeutschen zur Förderung der Kulturarbeit der sudeten-deutschen Volksgruppe im In- und Aus-land errichtet worden.

Am 21. Juni 1987 wurde Strauß beim Deutschlandtreffen der Schlesier in Han-nover, an dem auch ich als damaliger BdV-Generalsekretär teilgenommen habe, durch den damaligen Bundesvor-sitzenden der Landsmannschaft Schlesi-en, Dr. Herbert Hupka, mit dem Schlesi-erschild, der höchsten Auszeichnung der Landsmannschaft, für seine Verdienste für die Heimatvertriebenen ausgezeich-net.

Bei der Abschlusskundgebung forderte Strauß, dass die Ausreise in die Bundes-republik nicht das einzige Entgegenkom-men gegenüber den in Polen lebenden Deutschen sein dürfe. Sie müssten in ihrer Heimat in der Öffentlichkeit die deutsche Sprache gebrauchen können. Ausreisewilligen müssten alle Möglich-keiten eingeräumt werden, zu deren Erfüllung sich die polnische Regierung im Warschauer Vertrag verpflichtet habe. Strauß wörtlich: ,,Dass Familien für fünf oder sechs Jahre zerrissen werden, ist unerträglich“.

Strauß unterstrich, dass die Wiederer-langung der Einheit alle Deutschen angehe und keinesfalls ein Hobby der Heimatvertriebenen darstelle. Sie hätten nach Flucht und Vertreibung eine einma-lige Friedensleistung vollbracht. Die Ver-treibung aus der Heimat verstoße „gegen göttliches und menschliches Recht“. Er verurteile es aufs schärfste, wenn ver-sucht werde, der Vertreibung den Cha-rakter des Unrechts zu nehmen und sie als gerechte Sühne für die Verbrechen der Nationalsozialisten hinzustellen. Dies sei historisch unhaltbar. Die Men-schen in Ostdeutschland hätten keinen größeren Anteil am Nationalsozialismus und am Ausbruch des Krieges gehabt als alle anderen Deutschen, meinte der CSU-Chef.

Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß wandte sich auf dem Deutsch-landtreffen der Schlesier, an dem 170.000 Heimatvertriebene in Hanno-ver teilnahmen, gegen „blauäugiges Wunschdenken“. Die Lösung der deut-schen Frage brauche einen „langen, lan-gen Atem“ und sei weder durch blinden Aktionismus noch durch Druck auf die Weltmächte zu erzwingen. Erst wenn die UdSSR keine Diktatur mehr sei, lasse sich ein Kompromiss finden.

„Leichentuch der Unfreiheit“

Im deutschlandpolitischen Teil seiner Rede äußerte der CSU-Vorsitzende, es werde verschiedentlich die Vorstellung erweckt, als könne die Wiedervereini-gung in Verbindung mit den Abrüstungs-gesprächen erreicht werden. Dies sei Wunschdenken. Zu einer realistischen Einschätzung der Lage gehöre die Erkenntnis, dass die Teilung nicht Ursa-che, sondern Folge der Ost-West-Span-nungen sei. Sie könne deshalb nicht iso-liert, sondern nur im Rahmen einer ganz Europa umfassenden Friedensordnung gelöst werden, die nicht ,,mit Friedhofs-ruhe unter dem Leichentuch der Unfrei-heit“ verwechselt werden sollte.

Eine seiner letzten deutschlandpoliti-schen Reden hat der Bayerische Minis-terpräsident und CSU-Parteivorsitzende vor dem Bund der Vertriebenen gehal-ten, dessen damaliger Generalsekretär ich gewesen bin. Es handelte sich um die Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat am 11. September 1988 im internationalen Kongresszentrum in Ber-

lin. Franz Josef Strauß hat bereits damals in seiner Rede einen umfassenden Ordnungs-entwurf hinsichtlich eines wiedervereinten Deutschlands gezeichnet, der sich nur zwei Jahre später bewahrheiten sollte.

Franz Josef Strauß machte in seiner Rede von damals deutlich, dass aufgrund wissenschaftlicher, technischer, industri-eller und soziologischer Entwicklungen und Wandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands ein nicht aufzuhaltender Prozess sei, der von der Deutschen Poli-tik jedoch aktiv gefördert werden müsse. Er verwies auf die starken und ungeheu-ren wirtschaftlichen Kräfte, die Möglich-keiten einer modernen Wissenschaft und Technik sowie auf die moralischen Kräfte des Rechtes und der Freiheit, die den in Freiheit lebenden Deutschen und dem freien Westen für die aktive Förde-rung dieses Prozesses zur Verfügung ste-hen. Franz Josef Strauß mahnte, über die kleinen Schritte Problemlösungen und menschlichen Erleichterungen nicht den Blick dafür zu verlieren, dass das Ziel der Deutschlandpolitik die Wiederherstel-lung der Einheit Deutschlands und des Selbstbestimmungsrechtes aller Deut-schen sein muss. Strauß damals wört-lich. „Ich fordere alle politischen demo-kratischen Kräfte auf, im Interesse der Wahrheit, des Rechtes und der friedli-chen Entwicklung einer demokratischen Zukunft Europas, an der Einheit und Freiheit Deutschlands festzuhalten und sie als politisches Ziel mit allen Nach-druck zu vertreten.“

Bleibendes Vermächtnis

Diese Berliner Rede war eine Rede über den Tag hinaus. Wer hätte damals am 11. September 1988 geahnt, dass diese Rede ein bleibendes deutschland-politisches Vermächtnis von Franz Josef Strauß sollte. Franz Josef Strauß setzte sich zeitlebens nachhaltig für die Wie-derherstellung der Deutschen Einheit ein und zurecht gedenken Heimatver-triebenen und Flüchtlinge, Deutschland insgesamt seines deutschlandpolitischen Lebenswerkes. Wir sind dem ehemalige Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß für sein Wirken zu dauerhaftem Dank und Anerkennung verpflichtet und werden ihm ein stetes und ehren-des Andenken bewahren.

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11DOD 06/2015 Politik

zumal, dass sich unter den Festrednern zwar der EKD-Beauftragte für deutsch-polnische Beziehungen, Bischof Hans-Jürgen Abromeit, nicht jedoch derjenige für Heimatverbliebene und Spätaussied-ler, Kirchenpräsident i.R. Helge Klas-sohn, fand.

Perspektive der Vertriebenen

Dabei muss Bischof Abromeit ange-rechnet werden, dass sein Schlusswort auch die Perspektive der Heimatverblie-enen berücksichtigte: „Die Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostge-bieten war Unrecht. Diese Aussage ist nicht nur für die Seele der Vertriebenen wichtig gewesen, sie ist auch historisch wahr. Dies belegt die Denkschrift mit historischen und völkerrechtlichen Argu-menten.“

Heilsame und noch deutlichere Worte hätte freilich Kirchenpräsident Klassohn finden können, wie er sie bereits im Geistlichen Wort beim Tag der Heimat 2015 geäußert hatte: „Einen politischen Neuanfang zwischen den Völkern hatte

„Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ lautet der Titel der 1965 veröffentlichten sogenannten Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutsch-land (EKD). Mit ihr vollzog der Rat des größten deutschen Kirchen-bundes sowohl eine deutliche Kritik an der mangelhaften Aufnahme und Integration der Ostvertriebenen in Gesellschaft und Kirche – als auch einen außenpolitischen Vorstoß, indem er das Beharren der Bundes-republik auf Gebietsansprüche jen-seits der Oder-Neiße-Linie hinter-fragte.

Vor dem Hintergrund schwerer (kir-chen-)politischer Zerwürfnisse, die

die Schrift vor einem halben Jahrhundert verursachte, gedachte die EKD 2015 ihrer Veröffentlichung. Das zentrale Ereignis dabei war eine Gedenkstunde von EKD und Polnischem Ökumeni-schem Rat am 17. September in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin. Die Akzentuierung von Versöh-nung und Verständigung in den Anspra-chen – unter anderem von Bundesau-ßenminister Frank-Walter Steinmeier – steht im Einklang mit dem heutigen Wirken vieler Vertriebener.

Keine kritischen Töne

Dies ist gewiss einer der beiden Grün-de, warum seitens der EKD – anders als vor einem halben Jahrhundert – 2015 keine kritischen Töne gegenüber den organisierten Vertriebenen zu verneh-men waren. Der andere Grund scheint jedoch zu sein, dass die Vertriebenen selbst als gesellschaftliche und politische Akteure für die EKD zunehmend aus dem Blick geraten sind. Hierfür spricht

insbesondere die evangelische Ostdenk-schrift auch befördern wollen. In ihrem vorwärtsdrängenden Bemühen hatte sie dabei wohl nicht genug im Blick, dass viele von den schockierten, traumatisie-ten Vertriebenen unter dem Eindruck der von ihnen durchlittenen gewaltigen menschlichen Katastrophe noch Zeit zur Trauer und Raum zur Klage brauchten. So blieb bei vielen von ihnen eine tiefe Enttäuschung über ihre Kirche. Für die Evangelische Kirche in Deutschland bedauere ich diese Entwicklung zutiefst.“

Bei diesen Beobachtungen geht es in keiner Weise darum, die beiden Aspekte der Ostdenkschrift gegeneinander auszu-spielen. Jedoch muss konstatiert wer-den, dass der eine – die „Lage der Ver-triebenen“ – gerade auch mit seinen Implikationen für den zweiten – „das Verhältnis des deutschen Volkes zu sei-nen östlichen Nachbarn“ – anders als vor 50 Jahren zunehmend ausgeblendet wird. Hiermit ist nicht ein fehlendes Gedenken an die historische „Lage der Vertriebenen“ gemeint – so erinnerte der EKD-Ratsvorsitzende Landesbischof

Tagung „Unterwegs zur Versöhnung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, die unter anderem von der Evangelisch-Augsburgischen Kirche Polens mitveranstaltet wurde im März 2015.

50 Jahre Ostdenkschrift der Evangelischen KircheZwei unterschiedliche Veranstaltungen eröffnen verschiedene Perspektiven

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12 DOD 06/2015Politik

Heinrich Bedford-Strohm explizit daran, „dass die ursprüngliche Intention der Denkschrift in zwei Richtungen wies“: „Zum einen wurde auf die Lage der Menschen hingewiesen, die als Deut-sche nach dem Zweiten Weltkrieg durch Flucht und Vertreibung in das heutige Deutschland kamen.“

Nachwirkungen nicht thematisiert

Was jedoch fehlt, ist eine Berücksichti-gung der noch immer aktuellen Bedeu-tung von Flucht und Vertreibung und ihrer Nachwirkungen, bzw. ist fraglich, inwiefern es genügt, eine Aktualisierung auf den Vergleich zwischen Ostvertrie-benen und heutigen Flüchtlingen und Vertriebenen zu reduzieren. Dies ist umso bedenklicher, als gerade der aktu-elle Boom der Kriegskinder- und Kriegs-enkel-Szene spannende Bezüge zu den Analysen aufweist, die die Ostdenk-schrift über den Themenkomplex Trau-matisierung und (mehr als nur ökonomi-sche) Integration anstellt. Hiervon war kaum etwas zu vernehmen.

Auch die Würdigung der Denkschrift durch den Bundesaußenminister blende-te diesen Themenkomplex aus zuguns-ten eines Fortschrittsnarrativs, das die Anerkennung der Ostgrenze zu dem zentralen Fluchtpunkt in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen erhebt: „Die Schrift würdigte die schlim-men menschlichen Folgen der Vertrei-bung. Doch sie mahnte zugleich, die Unrechtstaten gegenüber Deutschen im Zusammenhang zu sehen, zu den furcht-baren Verbrechen der Nationalsozialis-ten, zum Leid und zum Schrecken, die von Deutschland ausgegangen waren. Die Verfasser ermutigten die Deutschen zur Versöhnung mit den östlichen Nach-barn und tasteten das Tabu der Anerken-nung der Oder-Neiße Linie an.“

Welche Zugänge zur Thematik unter Einbeziehung der (historischen) Persek-tive der Heimatvertriebenen möglich sind, zeigt die Theologin Prof. Dr. Ulrike Link-Wieczorek mit ihrem Aufsatz „Auf-gaben der Versöhnung für die Kirchen heute: Überlegungen im Anschluss an die Ostdenkschrift der EKD 1965“. Die-ser ist erschienen im zweisprachigen Tagungsband (Na drodze pojednania - 50-lecie Memorandum Wschodniego Kościoła Ewangelickiego w Niemczech/Auf dem Weg zur Versöhnung – Zum 50. Jahrestag der Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Warszawa 2015; weitere Informationen: http://www.ksiegarnia.augustana.pl/008d2/produkt.html) zur Tagung „Unterwegs zur Versöhnung“, die unter anderem von der Evangelisch-Augsbur-gischen Kirche Polens im März 2015 in Warschau veranstaltet wurde.

Selbst Kind aus einer ostpreußischen Vertriebenenfamilie, spürt das Mitglied der EKD-Kammer für weltweite Ökume-ne immer wieder der emotionalen Gemengelage nach, in die hinein die Denkschrift erschien und aus der heraus die Kritik an ihr erwuchs. Zu ihr gehörte

etwa „die Angst, dass sich in der Konstel-lation der Ost-West-Spannungen die Erfahrungen des Verlustes ein zweites Mal wiederholen könnten“. Zudem pro-blematisiert sie etwa die Identifizierung der Verwerfungen von Krieg und Vertrei-bung mit göttlichem Geschichtshan-deln. Es ist insbesondere der Beitrag von Link-Wieczorek, mit dem der Aufsatz-band deutlich macht: Auch nach dem Gedenkjahr lohnt sich die Beschäftigung mit der Ostdenkschrift – unter Berück-sichtigung und Einbeziehung der Hei-matvertriebenen.

Auf diese Einbeziehung muss auch angesichts der Gedanken zur Bedeutung eines offenen Austauschs im „engen Geflecht unserer Beziehungen“ hinge-wirkt werden, die Steinmeier in seiner Rede vortrug: „Über das Dokumenta-tions- und Informationszentrums der ‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh-nung‘ haben wir heftig gestritten. Ich bin überzeugt: Wenn wir sie im Geist der Versöhnung und der Freundschaft füh-ren, dann wird die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, insbesondere den Schrecken des letzten Jahrhunderts, Polen und Deutsche einander noch näher bringen. Dabei ist eines essenziell: die Perspektive des anderen zu respek-tieren – aus damaliger Sicht und aus der heutigen.“ Im ureigentlichen Geist der Ostdenkschrift müsste gerade der konst-ruktive Beitrag der Vertriebenenfunktio-näre, die sich in die Arbeit der Stiftung einbringen, gewürdigt – und die Einbe-ziehung der Perspektive der von ihnen vertretenen Betroffenen gefördert wer-den.

Tilman Asmus Fischer

„Das Völkerrecht kennt kein Strafrecht der Art, daß die angebliche Kollektiv-schuld eines Volkes oder die Schuld seiner Staatsführung, die einen Angriffs-krieg begonnen und sich während dieses Krieges völkerrechtswidrig verhalten hat, den Angegriffenen berechtigte, zur Sühne nach eigenem Ermessen Sanktio-nen zu ergreifen. Auch unter diesem Gesichtspunkt war es dem Angegriffenen nicht erlaubt, dem besiegten Angreifer einen Teil seines Gebietes wegzunehmen und die Bevölkerung daraus zu vertreiben.“ Aus der ‚Ostdenkschrift‘

INFO

Der EKD-Ratsvorsitzende Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm mit Bundesaußenminis-ter Frank-Walter Steinmeier am 17. September in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin.

epd (1); KNA (1)

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Briefe eröffneten Weg zur Verständigung

Feierliches Hochamt aus Anlass des 50. Jahrestages des Briefwechsels zwischen den polni-schen und den deutschen Bischöfen am 22. November 2015 in der Kapelle des Klosters Jasna Góra in Tschenstochau. Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (l.), und Kardinal Stanisław Dziwisz, Erzbischof von Krakau, im Gespräch in der Sakristei.

Wer Freude an der Untersuchung abwechslungsreicher Geschichts-vorgänge hat, möge sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen von August 1965 bis Dezember 1965 beschäftigen, die damals in wenigen Wochen alle Schattierun-gen aufwiesen vom offenen bis zum versöhnten Konflikt.

Am 1. September 1965 erinnerte die Polnische Bischofskonferenz zum

20. Jahrestag des Aufbaus „polnischen Kirchenlebens in den West- und Nordge-bieten“ daran, dass mit diesen Feierlich-keiten die allgemeine Überzeugung des polnischen Gottesvolkes – der Bischöfe, Priester und Gläubigen – ausgedrückt werde, diese Erde sei untrennbar mit dem polnischen Mutterland vereint. Der Primas Kardinal Wyszyński predigte einen Tag vorher im Breslauer Dom: „Wenn wir auf die Heiligtümer der Pias-ten schauen, uns hineinfühlen in ihre Sprache, dann wissen wir: bestimmt ist das kein deutsches Erbgut, das ist polni-sche Seele. Daher waren sie niemals und sind kein deutsches Erbgut! Sie reden zum polnischen Volk ohne Kommentar. Wir brauchen keine Erklärungen, ihre Sprache verstehen wir gut.“ Der deut-sche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Josef Jansen, machte daraufhin „die chauvinistische Haltung hoher polni-scher Kirchenkreise“ zum alleinigen Thema einer Unterredung im Staatsse-kretariat. Kardinal Döpfner zeigte auf einer Pressekonferenz zwar Verständnis für die schwierige Lage der Polen, die von ihrer Regierung bedrängt würden, eine endgültige Ordnung der kirchlichen Verwaltung in den deutschen Ostgebie-ten zu erreichen, und die schwierige Lage des Vatikans, der ohne gültige inter-nationale Verträge nicht bereit sei, Bis-tumsgrenzen zu verändern. Die Feststel-lung, es bestehe leider die Gefahr, dass

der polnische Episkopat kirchliche und nationale Gesichtspunkte zu stark identi-fiziere, bewirkte ihrerseits aber eine erneute Verstimmung bei der polnischen Bischofskonferenz.

Angespannte Beziehungen

Die Bischöfe beider Länder standen in diesen Tagen kurz vor der Abreise zu den Abschlusssitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie angespannt die bilateralen Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Katholiken damals waren, lässt sich an folgender Meldung ablesen: „Die Grußbotschaft des polnischen Episkopats, die in der Jubiläumssitzung am 1. September in Breslau von Kardinal Wyszyński und den anwesenden 60 polnischen Bischöfen gebilligt worden ist, soll erst nach Kennt-

nisnahme des Inhalts durch den Hl. Vater veröffentlicht werden. Die Bot-schaft enthalte die Bitte an den Hl. Vater, die Möglichkeiten einer baldigen Einglie-derung der in den deutschen Ostgebie-ten gelegenen Diözesen in die polnische Kirchenverwaltung zu überprüfen.“

Kardinal Döpfner suchte in Rom unverzüglich das persönliche Gespräch mit dem polnischen Primas. Nach dem ersten Vier-Augen-Gespräch in der zwei-ten Oktoberhälfte 1965 – ein zweites Gespräch fand am 3. Dezember 1965 statt – meldete Die ZEIT: „Die Mei-nungsverschiedenheiten sind dabei, wie zuverlässig verlautet, nicht beigelegt worden.“ Die Deutsche Bischofskonfe-renz beschäftigte in diesen Tagen noch ein zweites positives Problem. Die deut-schen Bischöfe mussten bis zu ihrer Abreise aus Rom, in wenigen Tagen also, das Antwortschreiben auf die Einladung

Vor 50 Jahren schrieben sich polnische und deutsche Bischöfe

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der polnischen Bischöfe verabschieden, 1966 zur Millenniumsfeier der Christia-nisierung Polens in ihr Land zu kom-men. Insgesamt wurden 57 Episkopate in der ganzen Welt eingeladen, die deut-sche Einladung enthielt aber den spekta-kulären Zusatz: Trotz der „fast hoff-nungslos mit Vergangenheit belasteten Lage“, schrieben die polnischen Bischö-fe, „rufen wir Ihnen zu: Versuchen wir zu vergessen! […] In diesem allerchrist-lichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“

„Mit brüderlicher Ehrfurcht“

Das Antwortschreiben der deutschen Bischöfe nahm im Wortlaut darauf Bezug: „So bitten auch wir zu verges-sen, ja wir bitten zu verzeihen. Verges-sen ist eine menschliche Sache. Die Bitte um Verzeihung ist ein Anruf an jeden, dem Unrecht geschah, dieses Unrecht mit den barmherzigen Augen Gottes zu sehen und einen neuen Anfang zuzulas-sen. […] Mit brüderlicher Ehrfurcht ergreifen wir die dargebotenen Hände.“ Die Initiative und der Entwurf für den polnischen Versöhnungsbrief, den der Primas erst nach einigem Zögern unter-schrieben hatte, stammten von Bolesław Kominek. Am 4. Oktober 1965 hatte Erzbischof Kominek im Rahmen eines Abendessens in Rom die drei deutschen Bischöfe Franz Hengsbach (Essen), Joseph Schröffer (Eichstätt) und Otto Spülbeck (Meißen) über den beabsich-tigten Brief vorinformiert, ohne dass die-se Bischöfe die Bedeutung dieser Infor-mation richtig eingeschätzt hätten.

Am Namenstag der Hl. Hedwig ver-suchte er mit einer versöhnlichen Pre-digt den Schaden zu begrenzen, den die August-Predigt des Primas angerichtet hatte. Noch am 16. Oktober übersandte er Kardinal Döpfner zusammen mit dem Text seiner Predigt eine Reliquie der Hei-ligen und ließ wissen, er habe „das heili-ge Messopfer in der Intention einer guten Nachbarschaft und Zusammenar-beit beider Völker“ gefeiert.

Neben den Problemen der Zustellung und der Zuständigkeiten, die alle lösbar waren, gab es noch das schwierigere Problem der unterschiedlichen Erwar-tungen. Die polnische Seite erwartete

stillschweigend eine deutsche Äußerung zu der Frage der Oder-Neiße-Grenze, die deutschen Bischöfe fühlten sich genau dazu nicht legitimiert. Beide Seiten bestritten vehement, ihre Aktion habe irgend etwas mit Politik zu tun, aber offensichtlich verlief die Grenze zur Poli-tik in Deutschland anders als in Polen.

Erzbischof Kominek: „Ja, ich weiß. Es gab Missverständnisse bezüglich dieses Briefwechsels. Diese Missverständnisse beruhen wohl auf einem fundamentalen Missverständnis, nämlich, der Brief war kein politisches Dokument, sollte wenigstens keines sein. Er war aus dem Konzil heraus geschrieben, aus dem Konzilsgeist verfasst.“ Für die national-polnische Seite schloss die Kirchenfrage freilich die Grenzfrage mit ein: „Ich glau-be“, schrieb Kardinal Wyszyński, „dass dies mit Politik gar nichts zu tun hat. Es handelt sich einfach um die seelsorgeri-sche Pflicht unserer Episkopate. […] Heutzutage ist Polen das letzte Bollwerk des Katholizismus im Osten. Darum ist unsere Grenzfrage auch eine Kirchenfra-ge.“ Die deutschen Bischöfe waren dage-gen bestrebt, die „Versöhnung“ von der Politik zu lösen: Gemeinsames Gebet und gegenseitige Besuche waren mög-lich, aber politische Zugeständnisse wie etwa die Zustimmung zur kirchlichen Neuordnung in den Oder-Neiße-Gebie-ten, die Anerkennung des Heimatrech-tes der Polen dort oder gar ein klares Wort zur Grenze kamen nicht in Frage.

Politisierende Missdeutungen

Der im Dezember 1965 in Rom neu gewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Döpfner erklärte vor dem Hintergrund der uner-wartet heftigen politischen Reaktionen auf den Briefwechsel: „Alle politisieren-den Missdeutungen dieses Briefwechsels sind gewissermaßen Entstellungen. Denn weder die deutschen noch die pol-nischen Bischöfe halten sich für befugt oder kompetent, um sich zu politischen Fragen wie der Oder-Neiße-Grenze zu äußern.“

Zunächst endete dieser unerwartete Vorstoß auf allen Seiten in Konflikt und Enttäuschung. Weder die kommunisti-schen Regierungen in Warschau und Ostberlin noch die Gläubigen in beiden Ländern waren auf diesen spektakulären Schritt auch nur andeutungsweise vor-

bereitet. Heftiger Protest kam aus der DDR. Das Neue Deutschland beklagte: „Das Erstaunlichste an dem Briefwech-sel ist, dass beide Partner so tun, als gäbe es keine DDR. (...) Er setzt die Ermor-dung von sechs Millionen Polen mit der durch den Hitlerkrieg bewirkten Aus-siedlung der Deutschen aus den polni-schen Westgebieten gleich. (...) Die Ver-fasser des Antwortbriefes verstricken sich selbst in den Fäden ihrer unsinnigen Konstruktion, in der es keine DDR gibt. Sie laden nämlich die polnischen Bischö-fe zur Tausendjahrfeier des Bistums Mei-ßen im Jahre 1968 ein. Mit welchem Recht sprechen Bürger der Bundesrepu-blik Einladungen in die DDR aus?“

Schließlich durften weder die deut-schen Bischöfe noch Papst Paul VI. die Reise zur Millenniumsfeier antreten. Der Ablehnungsbescheid der staatlichen pol-nischen Stellen wurde damit begründet, „dass die Einreise hochgestellter Persön-lichkeiten aus dem Ausland das Vorhan-densein einer mit den zuständigen staat-lichen Stellen in Polen abgestimmten Einladung voraussetzt. Da im vorliegen-den Fall dieser Voraussetzung nicht Genüge getan wurde, sind wir nicht im Stande, die beantragte Einreise zu geneh-migen.“ Kardinal Döpfner kam bereits im Januar 1966 zu dem Ergebnis: „Trotz allem war das Ganze eine große Sache und wird vor der Geschichte voll Bedeu-tung sein.“ Reinhold Lehmann formu-lierte in einem Rückblick 20 Jahre nach dem Briefwechsel: „Der Briefwechsel war kein isolierter historischer Vorgang. Er war Etappe auf dem Weg und zeigt die Auseinandersetzungen der damali-gen Zeit (...) Er wurde jedoch für die Fol-gezeit wegweisend. Entscheidend ist, dass die kirchlichen Kontakte sich zu dem Zeitpunkt weiterentwickeln konn-ten, als auch politisch durch den War-schauer Vertrag dem polnischen Sicher-heitsbedürfnis mehr Rechnung getragen wurde.“ Sein Bruder Karl Lehmann schrieb nach 40 Jahren: „Dieser Brief-wechsel hat Sprachlosigkeit überwun-den: er hat Türen aufgestoßen für ein neues Miteinander und Spielräume eröffnet für einen Weg des Friedens, der Verständigung und Versöhnung.“ Papst Johannes Paul II. hat von einer „prophe-tischen Botschaft“ gesprochen, an der er persönlich einen großen Anteil hatte.

Prof. Dr. Karl-Joseph HummelDer Autor ist Direktor der Kommissi-

on für Zeitgeschichte BonnUsien (1)

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Schlesischer Streuselkuchen mag kein traditionelles Weihnachtsge-bäck sein. Trotzdem werden viele deutsche Bäcker das am 7. Oktober 2015 vom Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg gefällte Urteil, das eben jene Backware zum Thema hat, als frühes Weihnachts-geschenk verstanden haben. Das Gericht hat nämlich klargestellt, dass deutsche Bäcker auch weiter-hin „Schlesischen Streuselkuchen“ herstellen und verkaufen dürfen, ohne juristische Auseinanderset-zungen mit polnischen Kollegen aus Schlesien befürchten zu müssen.

Woher aber kam diese Furcht? Schon im Juli 2011 hatte die Euro-

päische Kommission auf Antrag eines Konsortiums polnischer Bäcker aus Schlesien die Bezeichnungen „Kołocz śląski“ und „Kołacz śląski“ ins Register geschützter geografischer Angaben ein-getragen. Als die Eintragung in der deut-schen Version des EU-Amtsblattes veröf-fentlicht wurde, hatte man diese Begriffe mit „Schlesischer Streuselkuchen“ über-setzt. Gemäß dieser Eintragung sah es also zunächst so aus, als dürften künftig nur in den festgelegten polnischen Gebieten Schlesiens „Schlesische Streu-selkuchen“ gebacken werden. Sogar schlesische Bäcker in der niederschlesi-schen Oberlausitz hätten mit Abmah-nungen rechnen müssen, wenn sie die nach alten Familienrezepten selbst pro-duzierte, schlesische Spezialität verkauft hätten.

Karlsbader Oblaten

Gerade in Vertriebenenkreisen war die Entrüstung darüber groß. Zu frisch war noch die Erinnerung an den Streit um die „Karlsbader Oblaten“. Hier hatte die

Europa rettet „Schlesischen Streuselkuchen“

tschechische Seite eine Eintragung des Begriffes als geschützte geografische Angabe angestrengt. Insbesondere die ursprünglich böhmische Familienfirma Wetzel – heute in Deutschland ansässige „Erfinderin“ und Inhaberin des während der Vertreibung geretteten Originalre-zeptes – hatte sich jahrelang auch juris-tisch dagegen gewehrt, zumal sie die Bezeichnung markenrechtlich hatte schützen lassen. Am Ende der Auseinan-dersetzung hatte ein Kompromiss gestanden, der sämtlichen Markeninha-bern von „Karlsbader Oblaten“ in Deutschland und Österreich das Herstel-lungsrecht ihrer Produkte weiterhin sicherte und anderen Herstellern eine Frist von fünf Jahren zur Umstrukturie-rung ihrer Produktpalette einräumte, ansonsten aber die Herstellung von „Karlsbader Oblaten“ fortan fest mit der heute tschechischen Stadt Karlsbad (Kar-lovy Vary) verknüpfte. Bei vielen Beob-achtern dieses Streits manifestierte sich ein ungutes Gefühl: Eine kulinarische Spezialität, die in ihrer Entstehung ein-deutig zum deutschen Kulturraum gehört, wurde gerichtlich quasi einem anderen Land übereignet. Manch einer mag darin nach der Vertreibung auch

noch eine geistige Enteignung gesehen haben.

Gerichtliche Auseinandersetzung

Im Fall des „Schlesischen Streuselku-chens“ begann ebenfalls eine gerichtli-che Auseinandersetzung. Der Zentral-verband des Deutschen Bäckerhand-werks reichte Klage beim EuG ein und verlangte die Löschung der oben genann-ten Begriffe aus dem Register geschütz-ter geografischer Angaben. Die polni-schen Bäcker wiederum erklärten, sie hätten alle Formalien beachtet und ver-wahrten sich gegen den Löschungsan-trag.

Bei seiner Urteilsfindung könnte das Europäische Gericht die jahrelangen Auseinandersetzungen um die „Karlsba-der Oblaten“ und die damit verbunde-nen Kosten im Blick gehabt haben. Jedenfalls erklärte es in einem teils fast glossenhaft wirkenden, juristischen Lehrstück, die Eintragung der Begriffe sei formal korrekt erfolgt, und erlegte dem Kläger sämtliche Kosten auf. Gleich-zeitig aber stellte das EuG in Bezug auf die deutsche Veröffentlichung der Ver-

Schlesischer Rhabarber- Streuselkuchen.

Zu Weihnachten darf es „Schlesischen Streuselkuchen“ geben

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16 DOD 06/2015Politik

ordnung klar, dass die Bezeichnung „Schlesischer Streuselkuchen“ als unzu-lässige Übersetzung der eingetragenen polnischen Begriffe zu werten sei. Die polnischen Bezeichnungen seien geschützt. Die deutschen Bäcker könn-ten weiterhin „Schlesischen Streuselku-chen“ produzieren. Wörtlich heißt es im Urteil, dass „die Eintragung der geschütz-ten geografischen Angabe ‚Kołocz śląski‘ oder ‚Kołacz śląski‘ nicht dazu führt, dass es deutschen Bäckern unmöglich gemacht würde, ‚Schlesische Streuselku-chen‘ in ganz Deutschland herzustellen und zu vermarkten, da diese Produkte nicht von der in Rede stehenden Eintra-gung erfasst werden.“

Rechtssicherheit hergestellt

Es erstaunt nicht, dass solch ein Urteil von vielen Beteiligten positiv wahrge-nommen wurde. Michael Wippler, Präsi-dent des Zentralverbandes des Deut-schen Bäckerhandwerks, beispielsweise erklärte: „Unsere Klage richtete sich nicht gegen die polnischen Handwerks-bäcker, zu denen wir sehr freundschaftli-che Beziehungen unterhalten. Unser Ziel war lediglich Rechtssicherheit für unsere Mitgliedsbetriebe, die durch das Urteil nun hergestellt wurde.“ Der Bun-desvorsitzende der Ost- und Mitteldeut-schen Vereinigung der CDU/CSU und ehemalige BdV-Vizepräsident Helmut Sauer freute sich: „Deutsche Bäcker schlesischer Tradition werden auch zukünftig ‚Schlesischen Streuselkuchen‘ herstellen dürfen.“

Sauer thematisierte aber auch das wei-ter bestehende Problem anderer ostdeut-scher Spezialitäten, die noch immer her-gestellt werden, wie „Neisser Konfekt“ oder „Danziger Goldwasser“. Stets bestehe die Gefahr, dass einzigartige Rezepte vertriebener Landsleute aus den deutschen Ostgebieten ohne weitere Nachfrage dem heutigen Kulturraum des Herkunftsgebietes zugerechnet wür-den. In Deutschland dürften die tief in unserer eigenen Kultur verwurzelten Spezialitäten dann nicht mehr hergestellt werden. Mehr politisches und juristi-sches Feingefühl sei notwendig.

Frisch gebackenen „Schlesischen Streuselkuchen“ vom Bäcker des Ver-trauens aber wird es für alle Liebhaber zu Weihnachten und auch weiterhin geben. Allseits guten Appetit! MPH

Hendrik Lasch, Korrespondent der einstigen SED-Zeitung „Neues Deutschland“ in Görlitz, mag Schle-sien und die Schlesier nicht, obwohl er in Görlitz wohnt, der größten Stadt Schlesiens, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei Deutschland verblieben ist, und obwohl er täglich auf dem Weg durch die Stadt den unverkennbar schlesischen Dialekt hören kann.

Aber das behagt ihm nicht, das ist ihm schrecklich zuwider, also ver-

sucht er in seinem Artikel „Der Görlitzer Etikettenschwindel“, erschienen am 21. August zum „Tag der Oberlausitz“, mit einem gewaltigen Aufwand von Schein-argumenten zu beweisen, dass die Ober-lausitz nie Schlesien war. Um seine Argu-mente zu untermauern, hat er in Berlin mit Wolfgang Schubert, der einst Mitar-beiter der DDR-Akademie der Wissen-schaften war, einen vor 1945 in Walden-burg (Hendrik Lasch schreibt geschichts-widrig „im heute polnischen Walbrzych“) geborenen Schlesier aufge-trieben, der ihm seine abwegige Mei-nung in einem Satz bestätigt: „Görlitz gehörte nie zu Schlesien.“

Hätten die beiden Schlesien-Experten einmal in den Geschichtsbüchern nach-geschaut, hätten sie andere Einsichten gewinnen können, aber daran war ihnen, sonst hätten sie auf ihre dümmli-che Polemik verzichten müssen, keines-wegs gelegen. Sowohl im Schlesien-Band (1994) des Stuttgarter Emeritus für Geschichte Norbert Conrads, erschienen in der zehnbändigen Reihe des Siedler-Verlags „Deutsche Geschichte im Osten Europas“, als auch im Buch des Geschichtsprofessors Joachim Bahlcke „Schlesien und die Schlesier“ (1996), erschienen in der zwölfbändigen Reihe „Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche!“ des Münchner Verlags Lan-

„Nie gehörte Görlitz zu Schlesien“Geschichtsklitterung in „Neues Deutschland“

gen-Müller, kann man nachlesen, dass auf dem Wiener Kongress 1814/15 Tei-le der Oberlausitz mit den Städten Görlitz, Hoyerswerda, Weißwasser Preu-ßen zugeschlagen und wenige Jahre spä-ter in die Provinz Schlesien eingegliedert wurden, wo sie bis 1945 verblieben. Aber das alles will der Schlesien-Kenner Hendrik Lasch nicht wissen.

Auch dass beim Arbeiteraufstand gegen die „Arbeiter- und Bauernregie-rung“ in Ostberlin am 17. Juni 1953, der in Görlitz besonders heftig war, die weiß-gelben Fahnen Niederschlesiens gezeigt wurden, die nach dem Mauerfall 1989 noch einmal auftauchten, missfällt ihm außerordentlich. Ist ihm denn noch nie aufgefallen, dass die DDR-Regierung das Abkommen mit „Volkspolen“, worin die Oder-Neiße-Grenze anerkannt wurde, vom 6. Juni 1950, das „Görlitzer Abkommen“ also, nicht in Berlin oder Warschau unterzeichnet hat, sondern mit voller Absicht in der geteilten Stadt an der Neiße?

Wolfgang Schubert und Hendrik Lasch lassen sich davon freilich in ihrem Rin-gen um die oberlausitzische Identität nicht beirren. Sie sprechen dreist von „Etikettenschwindel“ und „Geschichts-lüge“, wenn es um die historische Zuordnung der Oberlausitz geht, die gewiss innerhalb Schlesiens eine Sonder-stellung einnahm, aber das gilt auch für die Grafschaft Glatz und das oberschlesische Industrierevier. Und dann gibt es da noch den rührigen Ver-ein „Kuratorium Einige Oberlausitz“, 1992 in Weißwasser gegründet, mit ver-schwindend niedriger Mitgliederzahl. Der schreibt ständig „Briefe und Pamph-lete“ an den Sächsischen Landtag in Dresden, worin er seine Empörung mit-teilt und Änderungen in der sächsischen Verfassung einfordert , aber „Der Land-tag weist das Ansinnen freilich regelmä-ßig zurück.“ Gut so!

Jörg Bernhard Bilke

Laurence Chaperon (1)

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wurde und der in Bonn bereits das Amt des Bundesvertriebenenministers inne hatte, sowie der ehemalige Reichstagsab-geordnete Domherr Prälat Carl Ulitzka aus Ratibor, der das Konzentrationslager Dachau überlebte, die CDU in Berlin mitgegründet.

Nach seiner Schulausbildung im Colle-gium Josephinum Bonn, einer Schule des Redemptoristenordens, machte Hel-mut Sauer eine Ausbildung zum Kauf-mann der Grundstücks- und Wohnungs-wirtschaft bei der Wohnungs-AG Lebenstedt und trat bereits 1965 mit 20 Jahren in die CDU ein. Der politische Einsatz von Helmut Sauer für die Anlie-gen der Heimatvertriebenen, Flüchtlin-ge, Aussiedler und deutschen Volksgrup-pen nahm seinen Anfang. Mit dem Stadtjugendring Salzgitter war Helmut Sauer mit 22 Jahren erstmals 1967 in Schlesien. Nach seiner Wahl zum CDU-Kreisvorsitzenden von Salzgitter im Jahr 1971 und zum Ratsherrn der Stadt Salz-gitter im Jahr 1972 wurde Helmut Sauer

Am Heiligen Abend dieses Jahres kann Helmut Sauer, 1972 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundesta-ges, Bundesvorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) seinen 70. Geburtstag feiern. Der Bund der Vertriebenen gratuliert seinem ehe-maligen langjährigen Vizepräsiden-ten dazu herzlich.

Seit Jahrzehnten lebt Helmut Sauer wie kein anderer den lebendigen

Brückenbau zu seiner schlesischen Hei-mat beispielhaft vor. Dabei wurzelt die tiefe Verbundenheit Helmut Sauers zu den Heimatvertriebenen nicht zuletzt in seiner Biographie. Die tägliche Erinne-rung der Eltern an ihre schlesische Hei-mat und das erfahrene Leid der Vertrei-bung prägten Sauers Leben entschei-dend.

Geboren am Heiligen Abend des Jah-res 1945 auf Gut Quickendorf (Luto-mierz), getauft am 3. Februar 1946 in der St.-Barbara-Kirche in Peterwitz (Sto-szowice) wurde seine Familie am 28./29. April 1946 im Viehwaggon aus Schlesien vertrieben und kam am 3. Mai 1946 in die niedersächsische Gemeinde Lengede.

Schon in jungen Jahren wurde im Elternhaus von Helmut Sauer der Grundstein für sein späteres politisches Engagement für die Heimatvertriebenen gelegt. Seine Eltern haben 1950 die Ortsgruppe des BHE (Block der Heimat-vertriebenen und Entrechteten) in Len-gede mitbegründet. Als Ratsherr des BHE tat Vater Alfons Sauer alles für die Flüchtlinge, füllte ihre Anträge aus, orga-nisierte Treffen, sorgte für Essen, Zim-mer, Ferienverschickung. Seitens der mütterlichen Verwandtschaft haben der vormalige Oberpräsident von Oberschle-sien, Dr. Hans Lukaschek, der aus dem Konzentrationslager Ravensbrück befreit

Die schlesische Heimat als Erbe, Auftrag, VerpflichtungHelmut Sauer zum 70. Geburtstag/Von Hartmut Koschyk MdB

im gleichen Jahr als damals jüngster Abgeordneter in den Deutschen Bundes-tag gewählt.

Vor seinem biographischen Hinter-grund verwundert es nicht, dass Helmut Sauer als Bundestagsabgeordneter für die CDU einen besonderen Schwer-punkt seines politischen Wirkens auf die unveräußerlichen Menschenrechte und damit verbunden das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht sowie die Volks-gruppenrechte legte.

Als Abgeordneter des Deutschen Bun-destages (1972-1994) und Mitglied des NATO-Parlamentes (1976-1995) hat sich Helmut Sauer erfolgreich dafür ein-gesetzt, auch die von der Politik, den Medien und den Schulen oft tabuisierte Opfergruppe der Heimatvertriebenen und die Probleme der in unserer Heimat verbliebenen Landsleute „auf die Tages-ordnung“ der Ausschüsse und des Ple-nums setzen zu lassen. Als Mitglied des innerdeutschen Ausschusses des Deut-schen Bundestages setzte er bei Themen

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit dem OMV-Bundesvorsitzenden Helmut Sauer beim Parteitag 2014 in Köln.

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Kulturstiftung (1)

wie Zonenrandförderung, Menschen-rechtssituation in der DDR und Bewah-rung des deutschen Einheitsgedankens besondere Akzente. Im Unterauschuss für humanitäre Hilfe und Menschen-rechte war er weltweit im Sinne prakti-zierter christlicher Nächstenliebe für bedrängte Völker und Volksgruppen unterwegs.

‚Nein‘ zum Vertrag mit Polen

Im Laufe seiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag hat Helmut Sauer vielfach zum deutsch-polnischen Ver-hältnis Stellung bezogen. Immer hat er sich dabei leiten lassen vom Geist der „Charta der deutschen Heimatvertriebe-nen“, in der auf Rache und Vergeltung verzichtet, der Weg zu einem geeinten Europa, in dem alle Menschen ohne Furcht und Zwang leben sollen, aufge-zeigt und die Verwirklichung des Rech-tes auf die Heimat und die Durchsetzung aller Menschenrechte verlangt wird. In diesem Bemühen hat er stets um eine gerechte Lösung für alle beteiligten Volksgruppen gestritten.

In seiner abgegebenen Erklärung zum Einigungsvertrag im Deutschen Bundes-tag am 20. September 1990 nannte er als Grund für seine Zustimmung, die „Vereinigung West- und Mitteldeutsch-lands“ nicht behindern zu wollen. Dabei hatte Sauer wegen der damit verbunde-nen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze der Hoffnung Ausdruck gegeben, „dass im deutsch-polnischen Bereich mit neuen Verant-wortlichen in Warschau in europäischer Zielrichtung und auf dem Fundament von Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit für alle beteiligten Volksgruppen Lösungsmöglichkeiten gesucht, erarbei-tet und durchgesetzt werden“.

Am 17. Oktober 1991 stimmte Hel-mut Sauer im Deutschen Bundestag gegen den Vertrag zwischen der Bundes-republik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze. In einer im Deutschen Bundestag abgegebenen schriftlichen Erklärung vermerkte er dazu: „Da der zustimmende Mehrheits-wille des Bundestages zu diesem Ver-tragswerk bekannt ist, werde ich nach dem Zustandekommen der Verträge die-se respektierend, meine Arbeit für eine Verbesserung des deutsch-polnischen

Verhältnisses im allgemeinen, für eine bessere Lebensqualität unserer deut-schen Landsleute daheim und für die nicht gelösten Anliegen meiner heimat-vertriebenen Landsleute fortsetzen.“

Neben seinem Bundestagsmandat setzte sich Helmut Sauer ab 1975 zunächst als Beisitzer, ab 1977 als stell-vertretender Bundesvorsitzender und ab 1989 als Bundesvorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) für die Heimatver-triebenen, Flüchtlinge, Aussiedler und deutschen Volksgruppen ein. Ab 1979 war er Landesvorsitzender der OMV der CDU in Niedersachsen, seit 1982 Lan-desvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, Landesgruppe Niedersachsen im Bund der Vertriebenen (BdV), und von 1984-1992 Vizepräsident des Bun-des der Vertriebenen.

Die Herzen vieler erreicht

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag hat sich Hel-mut Sauer als Bundesvorsitzender der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU und von 2000-2014 erneut als Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen unermüdlich dafür einge-setzt, dass in unserem Land ein geschärf-tes Bewusstsein für die tiefen Wunden entstanden ist, die durch Vertreibungen geschlagen wurden. Durch sein Handeln hat er die Herzen vieler Landsleute erreicht und sein Einsatz für sie hat Maß-stäbe gesetzt. Zu Recht wurde er für sei-nen Einsatz für die Heimatvertriebenen und unsere in der angestammten Hei-mat verbliebenen deutschen Landsleute 1981 mit der Goldenen Ehrennadel des Bundes der Vertriebenen, 1987 mit dem Bundesverdienstkreuz, 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1999 mit dem Schlesier-Kreuz der Lands-mannschaft Schlesien und 2006 mit der Kardinal-Bertram-Medaille der Apostoli-schen Visitatur Breslau geehrt.

Welch große Wertschätzung Helmut Sauer von unseren deutschen Landsleu-ten insbesondere in Schlesien entgegen-gebracht wird belegt eindrucksvoll eine Begebenheit, die sich am 24. Mai 2009 zugetragen hat, als Helmut Sauer in Peterwitz, Kreis Frankenstein (Stoszowi-ce, Powiat Ząbkowicki), in seiner Tauf-kirche St. Barbara an der Verabschiedung des langjährigen Ortspfarrers Antoni

Warzybok und der Amtseinführung des-sen Nachfolgers Marian Maluk teilnahm. Plötzlich stand völlig überraschend Hel-mut Sauer im Mittelpunkt. Der Schweid-nitzer Bischof Prof. Dr. Ignacy Dec betonte, dass er Sauer schon seit seiner Zeit als Dekan der Theologischen Fakul-tät in Breslau kenne und von seinen per-sönlichen Hilfen, aber auch von der Ver-mittlung deutscher Regierungsfinanzhil-fen nach Schlesien aus Freundes- und Kirchenkreisen wisse. Bischof Dec damals wörtlich: „Helmut Sauer, Sie sind seit Jahren ein selbstloser und uneigen-nütziger Brückenbauer zwischen unse-ren Völkern, Sie sichern die Verbindung, die Versöhnung, die Freundschaft, die Begegnungen. Wir erbitten Ihre weite-ren Hilfen und Fürsprache bei den Regie-rungsstellen in Berlin und Brüssel. Als einer der gewählten Sprecher der in Deutschland lebenden Schlesier bezeu-gen Sie Heimatliebe. Glaube und Heimat sind wichtige Werte im Leben eines Christen.“ Als äußere Ehrung steckte Bischof Dec ein Duplikat seines Bischofs-ringes an die Hand von Helmut Sauer. Spontan standen ergriffen die Kirchenbe-sucher, die den Geehrten durch Gottes-dienstbesuche im Frühjahr, Sommer Herbst und Winter zumeist kannten, auf und zollten Helmut Sauer Beifall.

Lebensleistung wirkt weiter

Der 70. Geburtstag von Helmut Sauer ist der gebotene Anlass, Bilanz eines ein-drucksvollen politischen Lebenswerks zu ziehen. Dabei zeigt sich, dass dieses noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Lebensleistung von Helmut Sauer wirkt bis heute zum Wohle der Menschen, in Deutschland, in Schlesien und in Polen sowie in ganz Europa nach. Dabei ist es beglückend, dass nach den katastropha-len Verwerfungen des 20. Jahrhunderts das schlesische Kulturerbe mit seinen deutschen, jüdischen und slawischen Ausprägungen wieder in Helmut Sauers Heimatregion präsent ist.

Zum 70. Geburtstag wünsche ich Hel-mut Sauer in freundschaftlicher Verbun-denheit ein herzliches „Schlesien Glück auf!“, verbunden mit der Hoffnung, dass er noch viele Jahre für die Anliegen der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge, Aus-siedler und deutschen Volksgruppen tätig sein kann.

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So machte er etwa deutlich, dass im Völ-kerrecht die staatliche Souveränität vor dem Asylrecht gelte. Die bedeute, dass jeder Staat allein darüber entscheide, wie viele und welche Menschen er auf seinem Hoheitsgebiet aufnehme. Dem-gegenüber bestehe in Deutschland ein grundgesetzlich geregelter, individueller Anspruch auf Prüfung eines Asylgrun-des.

Flüchtlinge gemäß der Genfer Flücht-lingskonvention müssten laut Völker-recht in dem Staat Schutz suchen, in dem sie auf ihrer Flucht zum ersten Mal vor Verfolgung sicher wären, erklärte Professor Gornig die Regelung eines „sicheren Drittstaates“. Außerdem sei die Gewährung von Asyl völkerrechtlich ausgeschlossen, wenn eine innerstaatli-che Fluchtalternative existiere. Generell müssten Flüchtlinge wie Bürger des auf-nehmenden Staates behandelt werden, hätten jedoch keinen pauschalen Anspruch auf Sozialleistungen oder Aus-bildung. Dieser könne nur durch inner-staatliche Gesetze begründet werden.

Zur derzeitigen Flüchtlingslage erklär-te Professor Gornig in seinem Fazit: „Der Rechtsstaat gilt nur, wenn auch die Poli-

Migration, Asyl, Flüchtlinge und FremdenrechtFachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen

Gemeinsam mit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg führ-te die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen am 29. und 30. Okto-ber 2015 in der Katholischen Aka-demie Berlin eine staats- und völ-kerrechtliche Fachtagung durch. Unter der wissenschaftlichen Lei-tung von Prof. Dr. Gilbert Gornig und Prof. Dr. Hans-Detlef Horn soll-te es darum gehen, die Themen „Migration, Asyl, Flüchtlinge und Fremdenrecht“ einer genauen Betrachtung zu unterziehen. „Deutschland und seine Nachbarn vor neuen Herausforderungen“ war die Veranstaltung programmatisch untertitelt.

In seiner ausführlichen Begrüßung sämtlicher Referenten und Ehrengäste

lobte der Vorsitzende der Kulturstiftung Hans-Günther Parplies auch die seit vie-len Jahren bestehende Zusammenarbeit mit der Studiengruppe Völkerrecht, aus der immer wieder wichtige wissen-schaftliche Erkenntnisse hervorgegangen seien. Besonders im akademischen Bereich liege die beabsichtigte Wirkung solcher Symposien. Auch diesmal freute sich Parplies auf neue Impulse.

Asylrecht im Völkerrecht

Das fachliche Programm begann mit einem lebendigen Vortrag von Professor Gornig zum Thema „Asylrecht und Refoulement-Verbot im Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart“. Dabei gestaltete Gornig seine Ausführungen als völkerrechtliche Betrachtung der aktuel-len Asyl- und Flüchtlingssituation, ließ aber immer wieder historische Fakten bzw. Vergleiche mit den gesetzlichen Bedingungen in Deutschland einfließen.

tik die Gültigkeit der Gesetze anerkennt. Wir sind auch als Rechtsstaat für diese vielen Menschen erstrebenswert. Dies sollten wir nicht aufs Spiel setzen.“

Staatenlosigkeit

Ein wichtiger Aspekt des Themas der de facto und de jure Staatenlosigkeit war zunächst die Unterscheidung zwischen „Jus sanguinis“ – dem Abstammungs-prinzip – und „Jus soli“ – dem Geburts-ortsprinzip – für den Erwerb einer Staats-angehörigkeit. Während das auch in Deutschland geltende Abstammungs-prinzip in der Regel keine Staatenlosen „erzeuge“, könne dies beim Geburtsort-prinzip theoretisch durchaus geschehen. Wenn etwa zwei US-Amerikaner, für die das „Jus soli“ gilt, ein Kind in einem Land zur Welt brächten, wo das Abstam-mungsprinzip wirkte und mit dem die USA kein entsprechendes Abkommen getroffen hätten, wäre das Kind rein rechtlich staatenlos.

Dies führte zur nächsten Unterschei-dung zwischen Staatenlosigkeit „de fac-to“ und „de jure“. Während der ange-

Blick ins Plenum in der Katholischen Akademie Berlin.

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führte Fall wie etwa auch die Auflösung eines Staates „de jure“ Staatenlose „erzeugen“ würde, seien Personen, die formal einem Staat angehören, jedoch z.B. bei einer Flucht keine entsprechen-den Dokumente vorlegen können, „de facto“ Staatenlose.

Insgesamt bemühe sich die Völkerge-meinschaft durch Vereinbarungen wie das Staatenlosen-Übereinkommen, Staa-tenlosigkeit zu minimieren, jedoch gebe es immer wieder Brennpunkte: So seien beispielsweise laut geltendem nationalen Recht Angehörige der russischen Volks-gruppe in Lettland staatenlos bis zur indi-viduellen Beantragung der Staatsangehö-rigkeit, die überdies an den Nachweis landessprachlicher und landesgeschicht-licher Kenntnisse geknüpft sei.

Im weiteren Verlauf der Tagung sollte Prof. Dr. Peter Hilpold von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck vortra-gen, zog es aufgrund thematischer Über-schneidungen mit anderen Referaten jedoch vor, einen genaueren Blick auf die Genfer Flüchtlingskonvention zu wer-fen.

Genfer Flüchtlingskonvention

Dabei war sicherlich die interessantes-te Frage, ob die schon 1951 verabschie-dete Konvention heute noch zeitgemäß sei. Dies in Abrede zu stellen, sei durch-aus möglich, erklärte Hilpold. So sei die Genfer Flüchtlingskonvention ein typi-sches Produkt ihrer Zeit und der damals geltenden Machtverhältnisse. Aufgrund der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 könnten sich Staaten heute in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, wenn dort Menschen-rechtsverletzungen aufträten. Damit gebe es anders als damals eine konkrete Handhabe, die Situation vor Ort zu ver-ändern. In diesem Zusammenhang müs-se auch kritisiert werden, dass die Kon-vention den Schutz von Binnenflüchtlin-gen nicht beinhalte. Außerdem sehe sie keinen „Verteilungsschlüssel“ für auftre-tende Flüchtlingsströme vor.

Dennoch dürften die beispielhaft vor-gebrachten Kritikpunkte nicht den Sinn der gesamten Konvention infrage stellen, mahnte Hilpold. Sie sollten vielmehr als konstruktive Verbesserungsansätze gese-hen werden. Im Angesicht der aktuellen Weltsituation sei zu bezweifeln, dass eine heute ausgehandelte Konvention

die Standards von 1953 erreichen wür-de. Ein Schutzmechanismus, so Profes-sor Hilpold abschließend, sei aber bitter nötig.

Europäisches Flüchtlingsrecht

Jurgita Baur von der Philipps-Universi-tät Marburg stellte sich unter der The-mensetzung „Europäisches Flüchtlings-recht. Bemühungen im Rahmen der europäischen Verträge, die Flüchtlings-problematik zu bewältigen“ u.a. der Auf-gabe, Ordnung in das mediale Chaos des rechtlichen und politischen Grundvoka-bulars zu bringen. Dabei bemängelte sie insbesondere, dass der Begriff „Flücht-ling“ derzeit öffentlich pauschal für die verschiedensten Arten von Migranten benutzt werde. Da der Vertrag von Lissa-bon keine eigene Flüchtlingsdefinition beinhalte, gelte die Genfer Flüchtlings-konvention. Diese aber schließe vor Naturkatastrophen oder schlechten Lebensbedingungen Fliehende aus dem Begriff aus. Sogar Kriegsflüchtlinge seien nur bedingt Flüchtlinge nach der Genfer Konvention.

Baur forderte, Europa müsse seine Aufnahmegrenzen erkennen und defi-nieren sowie die Aufnahme selbst aktiv gestalten, statt nur zu reagieren. In Zei-ten weltweiter Krisen gebe es viele Mechanismen, Menschen temporär Schutz zu bieten – in Deutschland z.B. subsidiären Schutz, wenn die Rückfüh-rung ins Herkunftsland möglich wäre, dort aber die Todesstrafe oder Folter droht, oder vorübergehenden Schutz, der eben nicht individuell, sondern einer festgelegten Gruppe gewährt wird, auch um die Migrationsbehörden zu entlas-ten. Nicht-Asylberechtigte müssten schneller ausgewiesen werden. Die Auf-genommenen wiederum müssten stär-ker für die rechtlichen Bedingungen in Deutschland sensibilisiert werden. Außerdem sei eine allseitige Intensivie-rung der Integrationsanstrengungen nötig. Darüber hinaus aber gelte es, in europaweiter Solidarität die Fluchtursa-chen in den Herkunftsländern zu bekämpfen, so Jurgita Baur.

Der Beitrag des Marburger Sozial-rechtlers und Richters am Bundessozial-gericht, Prof. Dr. Norbert Bernsdorff, zu „Grundfreiheiten und Gefahr des Miss-brauchs von Sozialleistungen“ betrachte-te nicht den Zuzug von Menschen über

die Außengrenzen, sondern allein über die Binnengrenzen der Europäischen Union – auch dies ein aktuell diskutier-ter Sachverhalt, geht es doch um vor-nehmlich aus wirtschaftlichen Gründen erfolgende Wanderungsbewegungen vor allem aus den Staaten Ost- und Südost-europas. Die Teilhabe dieser Menschen an den Sozialleistungen des Aufnahme-staates wird oft unter dem Stichwort des „Sozialtourismus“abgewertet, als Belas-tung der nationalen Sozialsicherungssys-teme im Hinblick auf Kindergeld, Renten oder Arbeitslosengeld empfunden. Gleichwohl ist umstritten, ob bzw. wann hierbei ein Missbrauch vorliegt. Die Aus-nutzung von legalen Gestaltungsmög-lichkeiten beim Zuzug in die Sozialleis-tungssysteme ist jedenfalls noch kein Missbrauch, allenfalls ist er politisch unterwünscht. Eine unangemessene Belastung der Systeme vermag Berns-dorff bislang nicht feststellen, doch for-dert auch der EuGH, „Sozialtourismus“ keinen Vorschub zu leisten, wobei eine Begrenzung nicht über das Sozialrecht, sondern über das Aufenthaltsrechts der einzelnen Staaten zu definieren ist.

Resümee

Abschließend resümierte Tagungslei-ter Prof. Gornig im Hinblick auf die aktu-elle Situation, dass es nicht um Asylsu-chende im klassischen Sinne geht, da man es meist nicht mit politisch Verfolg-ten zu tun habe, vielmehr um Migran-ten, die aus den unterschiedlichsten Gründen keine Möglichkeit der Existenz in ihrem Heimatland mehr sehen und daher nach Europa streben. Anders als bei der Völkerwanderung, an die ihn die aufgezeigten Flüchtlingsrouten durch den Balkan erinnerten, kommen die Zuflucht Suchenden nicht binnen Jahr-zehnten sondern binnen weniger Tage. Niemand kann im Angesicht dessen fer-tige Lösungen und Rezepte bieten. Auch das gut organisierte Deutschland ist überfordert, die einzelnen Bürger wie auch die Behörden. Sicher ist nur eins: Wir können nicht alle Menschen, denen es schlechter geht als uns, in Europa auf-nehmen. Um die gewaltige Jahrhundert-aufgabe zu meistern, bedarf es der Soli-darität unter den Staaten Europas, auch der Solidarität Deutschlands mit den Staaten wie Griechenland und Italien.

Ernst Gierlich/Marc-P. Halatsch

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„Estland! Wo bist du? Verdrängte Erinnerungen“Die Schneise der Verwüstung im Baltikum wortgewaltig dokumentiert

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Imbi Paju ist eine estnische Journa-listin und Drehbuchautorin, die sich in ihrem Buch „Estland! Wo bist du? Verdrängte Erinnerungen“ mit den Gräueltaten der Sowjetunion und den damit verbundenen Aus-wirkungen beschäftigt. Dieses ein-drucksvolle Werk wurde bisher in sechs Sprachen veröffentlicht und ist nicht nur essentiell für jene, die sich für Estland interessieren, son-dern generell alle, die das Leben in sowjetisch okkupierten Gebieten in all seinen Facetten besser verste-hen wollen.

Paju führt den Leser wortgewaltig durch die bedrückende Welt der est-

nischen Bevölkerung unter der Sow-jetherrschaft nach dem Zweiten Welt-krieg; die Autorin verarbeitet die Erzäh-lungen ihrer Mutter und ihrer Tante und schafft damit den roten Faden, der sich durch das gesamte Buch zieht. Imbi Paju führt uns durch das letzte Jahrhundert und wie das estnische Volk es erlebte, zum Beispiel werden die letzten Jahre unter zaristischer Herrschaft, die deut-sche Okkupation im 2. Weltkrieg, und viele Episoden der sowjetischen Besat-zungszeit behandelt. Dem Leser werden die Verbrechen, die im besetzten Estland vom sowjetischen Staatsapparat began-gen wurden, in ihren Grundzügen bekannt sein; es ist jedoch die unnach-ahmliche Verwebung von persönlichen Schicksalen und gut recherchierten his-torischen Erkenntnissen über die Zeit der Esten unter sowjetischer Besatzung, die „Estland! Wo bist du?“ zu dem, wie Präsident Ilves sagt, „impressionistischen Werk”, das es ist. Man merkt Paju ihre Erfahrung als Journalistin und Dreh-buchautorin an: besonders die verschie-denen Erzählperspektiven und die nicht immer strikt chronologisch geordneten Kapitel erzeugen das Gefühl, dass man

einem Familientreffen beiwohnt, bei dem jeder offen über seine Erlebnisse, Ängste und Träume redet. Die brachiale Ehrlichkeit, mit der Paju uns diese Erzäh-lungen übermittelt, ist bei all der ver-ständlichen Trauer auch erfrischend und befreiend, weil die Verarbeitung für alle Beteiligten, sowohl die Zeitzeugen als auch die nachfolgenden Generationen, in den Vordergrund gestellt wird.

Die Prämisse des Buchs fasst Paju in einem der ersten Kapitel prägnant in zwei Sätzen zusammen: „Der Kommu-nismus in der Sowjetunion war wie ein gigantischer Ameisenhaufen – es fällt schwer, Mitleid mit Opfern zu verspü-ren, die man nicht sieht, die es irgend-wie gar nicht gibt... Dem Kommunismus fehlt seine Anne Frank“. Es ist diese grundlegende Erkenntnis, die den von der Sowjetunion okkupierten Völkern schmerzlich bewusst ist, die aber im Narrativ westlicher Geschichte komplett abhanden gekommen ist. Es muss sich, da kann man Imbi Paju uneingeschränkt recht geben, daher ein jeder Mensch ein-zeln informieren und sowohl sich selbst als auch andere an das brutale Ende unzähliger Leben und Schicksale erin-nern. Die Schneise der Verwüstung, die das sowjetische System in Estland hinter-ließ, wird von Paju auf eindrückliche Weise thematisiert: Deportation, Sippen-haft, Justizwillkür und Zwangsumsied-lung sowohl von als auch nach Estland werden mal durch ausführliche Erinne-rungen, mal durch erschütternde Listen der vielen Opfer deutlich gemacht. Das Wichtige an „Estland! Wo bist du?“ als Gesamtwerk ist die sorgfältige Verwe-bung jener einzelnen Schicksale, die ein Narrativ aufbauen, das einem das Leiden eines ganzen Volkes zu vermitteln weiß. Imbi Paju hat auch mit ihrer Übersetze-rin Grönholm eine gute Wahl getroffen – das Werk als Ganzes ist flüssig über-setzt und reflektiert auch im Deutschen den sowohl emotionalen als auch präzi-

sen Schreibstil des Originals. Bei allem Lob darf man nicht vergessen, dass man einen Bericht über die vielen verschiede-nen Opfer auf estnischem Boden unter ausländischer Okkupation liest und eine ausdrückliche, bewusste Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Tätern, beispielsweise innerhalb der est-nischen Bevölkerung, und ihren jeweili-gen Motiven fehlt. So schreibt Paju völlig korrekt, dass die Gewalt, die von Kom-munisten in Estland ausging, von Mos-kau aus befohlen wurde – es findet aber beispielsweise nur eine kurze Debatte zur Zwangsrekrutierung der Esten in die Rote Armee statt und es gibt generell kei-ne Untersuchung jener Esten auf der Täterseite. Dies ist allerdings beleibe kein Kritikpunkt, da Paju sich ausdrücklich auf die Aufarbeitung der Erinnerungen ihrer Mutter konzentriert und nicht vor-gibt, einen ausgewogenen Gesamtblick auf das estnische Volk unter sowjetischer Besatzung darzubieten.

Pajus Werk als Geschichtsbewältigung abzutun würde ihm nicht gerecht wer-den – vielmehr ist es ein leuchtendes Beispiel, welches die Macht des Erin-nerns beweist, sowohl für diejenigen, denen schreckliche Dinge widerfahren sind, als auch für jene, die vor einer Wie-derholung solcher Taten warnen wollen. „Estland! Wo bist du?“ dient damit als literarisches Mahnmal für die moderne Zeit, in der die Medien viele wichtige Themen innerhalb kürzester Zeit abar-beiten und sich in einer Endlosschleife verlieren.

Florian Marcus

Imbi Paju, „Estland! Wo bist Du?: Verdrängte Erinnerungen“, Ver-lag Inspiration Un Limited, ISBN 978-3945127018 18.90 €

INFO

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Nach dem gemeinsamen Besuch der deutsch-polnischen Ausstellung „Der Weg ins Ungewisse. Die Vertreibung aus und nach Schlesien 1945 – 1947“ stellte die Kuratorin Silke Findeisen vom Haus Schlesien das Ziel der Präsentation vor. Die Darstellung des Schicksals der zwi-schen 1945 und 1947 vertriebenen Schlesier und der in Schlesien angesie-delten Polen soll dazu anzuregen, sich näher mit der Geschichte des Nachbarn zu befassen, seine Sichtweise und Erin-nerung kennenzulernen und zu versu-chen, sie zu verstehen.

Auch wenn der kollegiale Austausch im Vordergrund stand, entwickelten die Kuratoren neue Ideen, sprachen über gemeinsame Lösungsansätze und disku-tierten über die eine oder andere Frage durchaus auch kritisch.

Neben dem Themenblock zu Sonder-ausstellungen und grenzüberschreiten-den Projekten – zu dem u.a. Patricia Erkenberg vom Haus des deutschen Ostens, München, mit einem Referat beitrug – gab es Vorträge unter dem

Göllner (1); Privat (1)

Haus Schlesien in Königswinter bot Kuratoren aus polnischen und deut-schen Museen die Möglichkeit, Aspekte der Flucht und Vertreibung in den europäischen Kontext einzu-gliedern.

Den Kultur- und Bildungseinrichtun-gen in Deutschland und Polen

kommt im Bereich der Verständigungsar-beit eine wichtige Rolle zu. Gerade durch den binationalen Austausch kann der Blick aller Beteiligten für die sensib-len und spannungsreichen Aspekte in der deutsch-polnischen Geschichte geschärft werden. Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott ist eine der Institutionen, die mit Tagungs- und Seminarangeboten einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten will.

70 Jahre Flucht und Vertreibung

Zu den jüngsten Veranstaltungen zählt die deutsch-polnische Arbeitstagung zum Thema „70 Jahre Flucht und Ver-treibung“, an der sich Kuratoren von dies- und jenseits der Grenzen beteilig-ten. Die vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen unterstütz-te Begegnung bot den rund 20 Vertre-tern aus polnischen und deutschen Museen und Kulturinstitutionen, die Möglichkeit, den Umgang mit dem The-ma Flucht und Vertreibung zu vertiefen.

„Hauptanliegen der Tagung war, den Dialog der Einrichtungen untereinander zu fördern, unterschiedliche Ansätze zu diskutieren und eventuell Ideen für gemeinsame Projekte zu entwickeln“, betonte Nicola Remig, die Leiterin des Dokumentations- und Informationszent-rums für schlesische Landeskunde in Königswinter-Heisterbacherrott.

Haus Schlesien: Ein Thema, zwei Sichtweisen

Motto „Das Bewahren der Erinnerung an Flucht und Vertreibung im öffentli-chen Raum“.

Leszek Kania und Jerzy Dober vom Muzeum Ziemi Lubuskiej, Zielona Góra, beleuchteten „Materielle Spuren der ehemaligen Einwohner Grünbergs im Museum des Lebuser Landes“ und Man-fred Spata aus Bonn sprach über pol-nisch-deutsche Gedenktafeln in der Grafschaft Glatz.

Standpunkte verstehen

Edward Hałajko vom Muzeum Powia-towe w Nysie begrüßte die Idee, eine solche Tagung zu veranstalten, weil sie den Teilnehmern Gelegenheit bietet, die unterschiedlichen Perspektiven zum Thema Vertreibung zu diskutieren. Im Dialog – so Hałajko weiter – lerne man viel besser den Standpunkt der anderen Seite zu verstehen, vor allem die Art und Weise, wie die erlebte Tragödie im sozia-len Bewusstsein verankert ist.

Kuratorentagung im Haus Schlesien in Königswinter.

Tagung führt deutsche und polnische Museumsexperten zusammen

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DOD 06/2015 23Kultur

Edward Hałajko hielt im Rahmen der Tagung einen Vortrag, in dem er das Pro-blem der Aussiedlung und die neue Rea-lität im Jahr 1945 am Beispiel von Stadt und Kreis Neisse darstellte. Der Referent schilderte sowohl die Ursachen der Umsiedlung der polnischen Bevölkerung aus den Ostgebieten als auch die Zerstö-rung und den Wiederaufbau der Neisser Altstadt in den Jahren 1945 bis 1955.

Tadeusz Orawiec vom Bunzlauer Keramikmuseum (Muzeum Ceramiki w Bolesławcu) betonte in seinem Beitrag „Die Vertriebenen – ein Problem, das einer Annäherung dienen kann?“, dass die Frage der Aussiedlungen nicht nur schwierig sei, sondern auch Emotionen hervorrufe, obwohl seit den Ereignissen bereits 70 Jahre vergangen sind. Es sei immer noch ein heikles und kontrover-ses Thema, bei dem extreme Bewertun-gen im Spiel sind, das historische Ressen-timents und Antagonismen herbeiruft.

Weitere Referate hielten Prof. Dr. Winfrid Halder und Dr. Katja Schlenker vom Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann- Haus, Dr. Christine Absmeier vom Haus der Heimat des Landes Baden-Württem-berg, Stuttgart, sowie Przemysław Burchardt.

Dialog soll verstärkt werden

An die einzelnen Beiträge schlossen sich rege Diskussionen an, die den Gesprächsbedarf der Verantwortlichen untereinander verdeutlichte. Wenn auch die Vertreibung aus und nach Schlesien im Mittelpunkt stand, so weitete sich die Debatte oft auf ganz Polen und die tsche-chischen Nachbarn oder die aktuelle politische Lage in Europa aus.

Fazit: Alle Beteiligten waren sich am Ende der Veranstaltung einig, dass ein regelmäßiger Austausch über die Arbeit, über Projekte und nicht zuletzt den Umgang mit der gemeinsamen Geschichte gewinnbringend ist, wenn nicht sogar notwendig. Die deutschen und polnischen Museen und Kulturein-richtungen können durch Sonder- und Dauerausstellungen zu einzelnen Aspek-ten der gemeinsamen Geschichte ihre Besucher für die Vertriebenen-Problema-tik im europäischen Kontext sensibilisie-ren. Der Dialog der deutschen und pol-nischen Kuratoren untereinander aber vor allem miteinander sollte zukünftig verstärkt werden. Dieter Göllner

Sein größter Erfolg, der ihn inner-halb der DDR-Grenzen berühmt machte und ihm hohe Auflagen ver-schaffte, war sein erster Roman „Beschreibung eines Sommers“, erschienen im Jahr des Mauerbaus 1961 und schon 1962 verfilmt mit Manfred Krug und Christel Bodenstein in den Hauptrollen. Erzählt wird eine Liebesgeschichte im ungewöhnlich hei-ßen Sommer 1959 auf einer Großbau-stelle, die an der Politik scheitert. Wenn man so will, kann man diesen Roman, neben Bri-gitte Reimanns Erzählung „An-kunft im Alltag“ (1961), als erstes Buch einer eigen-ständigen DDR-Literatur bezeich-nen, weil dort die neuen Verhältnis-se grundsätzlich bejaht und zugleich kritisiert werden.

Karl-Heinz Jakobs wurde am 20. April 1929 in Kiauken im ostpreußi-

schen Landkreis Elchniederung geboren und noch 1945 als Flakhelfer zur „Wehr-macht“ eingezogen. Nach der Kriegsge-fangenschaft übte er die verschiedensten Berufe aus und wurde 1956 von der Baustelle des Kraftwerks Trattendorf bei Spremberg zum Studium am Leipziger Literaturinstitut delegiert, seit 1958 arbeitete er als freier Schriftsteller.

Unerlaubter Auftritt im Gerhart-Hauptmann-Haus

Nachdem er im Herbst 1976 gegen die Ausbürgerung des „Liedermachers“ Wolf Biermann protestiert hatte, wurde er aus der SED ausgeschlossen und 1959

auch aus dem DDR-Schriftstellerver-band, weil er es gewagt hatte, während einer Westreise im Düsseldorfer „Haus des Deutschen Ostens“, dem heutigen „Gerhart-Hauptmann-Haus“, ohne Erlaubnis der DDR-Behörden aufzutre-

ten. Er wurde 1981 ausgebürgert und lebte seitdem in Velbert/Rheinland, wo er noch drei Romane schrieb und am 4. November verstorben ist.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist aber auch sein 1983 veröf-fentlichter Roman „Das endlose Jahr“, weil er hier ein Thema aufge-griffen hat, das von DDR-Autoren eher gemieden wurde: die

mangelnde Aufarbeitung des Stalinismus im SED-Staat, dessen markantester Ver-treter Walter Ulbricht (1893-1973) war. Eines Tages nämlich hatte der in Falken-see bei Berlin wohnende Karl-Heinz Jakobs Post aus Dresden bekommen, von der ihm unbekannten Altkommu-nistin Dorothea Garai (1899-1982), die zwei Jahrzehnte in sibirischen Arbeitsla-gern und in der Verbannung verbracht und 1955 hatte nach Dresden ausreisen dürfen. Niemand im SED-Staat wollte die Geschichte ihrer gnadenlosen Verfol-gung hören, bis sie den ostpreußischen Autor traf, der Sibirien bereist hatte. Er wusste, wie fast alle DDR-Leute damals, nichts vom Stalinismus, die Partei hatte dieses Thema bis zum Untergang 1989 mit voller Absicht unerörtert gelassen, um die eigenen Machtpositionen nicht zu gefährden. Ungläubig hörte er zu, was sie zu berichten hatte und ließ sich mehrere Tonbänder besprechen, die er mit ins Rheinland nahm. Mit diesen Auf-zeichnungen schrieb er noch ein zweites Buch über das Schicksal Dorothea Garais „Leben und Sterben der Rubina“ (1999).

Jörg Bernhard Bilke

Zum Tod des Ostpreu-ßen Karl-Heinz Jakobs

Karl-Heinz Jakobs.

Mangelnde Aufarbeitung des Stalinismus thematisiert

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Flögel (1)

Haus der Heimat Baden-Württemberg erinnert an 10-jährigen Todestag

Unterhaltsames „Hörspiel“ über Ephraim KishonDer „Blaumilchkanal“, die „beste aller Ehefrauen“ und ein „Humor-computer“ sind Begriffe, die sich mit seinem Namen untrennbar ver-bunden haben, mit Ephraim Kishon, dem bedeutendsten israelischen Schriftsteller seiner Zeit. Seine etwa 700 Bücher, übersetzt in 37 Sprachen mit einer Auflage von ins-gesamt 43 Millionen – davon 33 Millionen in deutscher Sprache – haben ihn weltweit als Satiriker und Protagonisten des typisch „jüdi-schen Humors“ bekannt und beliebt gemacht. Im Rahmen der alljährlich im November in Stutt-gart stattfindenden jüdischen Kul-turwochen wurde in einer musika-lisch-szenischen Revue mit Lesun-gen aus seinen Werken im „Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg“ an ihn erinnert.

Die Sopranistin Iris Marie Kotzian, ausgezeichnet unter anderem mit

dem Förderpreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft für darstellende und ausübende Kunst im Jahr 2005, ihr musikalischer Begleiter am Klavier Chris-toph Weber, die künstlerische Rundfunk-sprecherin und Sängerin Katja Schild und der Moderator und Schauspieler Jerzy May ließen das Leben und das Werk Ephraim Kishons in einer fingier-ten Radiosendung aus dem „Großen Sendesaal des Hauses der Heimat in Stuttgart“ lebendig werden.

Sprache, Klavier, Gesang

Hörfunkartig gestaltete Szenen aus Sprache, Klavierbegleitung, Gesang und mit den Stimmen erzeugten Geräuschen schufen ein unterhaltsames Porträt des unermüdlichen Schriftstellers, der in Kurzgeschichten, Theaterstücken, Dreh-

büchern und Hörspielen vor allem die bürokratischen und menschlichen Schwächen im israelischen Alltag und in seinem Familienleben humoristisch auf-spießte.

Dabei war das Leben Ephraim Kis-hons, das in Form eines Rundfunkinter-views von Katja Schild und Jerzy May aufgrund von Original-Zeitungsinter-views mit ihm vorgestellt wurde, alles andere als lustig und witzig.

In Budapest geboren

Am 23. August 1924 in Budapest mit dem Namen Ferenc Hoffmann als Sohn jüdisch-ungarischer Eltern geboren, habe er sich als Ungar gefühlt, ganz „deutsch“ ausgesehen und von Antisemitismus nur gehört. Aber im Jahr 1942 sei sein Vater und im Jahr 1944 er als Abiturient in ein Arbeitslager verschleppt worden. Im Jahr 1945 wurde er nach der Flucht aus einem Gefangenentransport nach Polen erneut – diesmal von Russen – aufgegrif-fen und mit vielen anderen Juden in einem sowjetischen Gefangenentrans-port in Richtung Gulag transportiert. Dabei konnte er wiederum entkommen, während ein Großteil seiner Familie in den Gaskammern in Auschwitz ums Leben kam. Aus dem inzwischen kom-munistischen Budapest floh er mit seiner ersten Frau und dem neuen Namen Ferenc Kishont über Preßburg und Wien nach Italien und wanderte von dort im Jahr 1949 mit einem Flüchtlingsschiff nach Israel aus. Bei der Einreise in Haifa erhielt er von den dortigen Zollbeamten den Namen Ephraim Kishon verpaßt.

Im Jahr 1952 begann er in hebräischer Sprache für die größte israelische Tages-zeitung Ma’ariv zu schreiben. Mit der Auszeichnung seiner ersten Satiren-sammlung „Drehn Sie sich um, Frau Lot“ durch die New York Times im Jahr 1959 begann Kishons internationale Kar-

riere. Seit dem Jahr 1966 erschienen die Bücher von Ephraim Kishon in der Ver-lagsgruppe „Langen Müller Herbig nym-phenburger“ des in Eger geborenen Ver-legers Herbert Fleissner, Träger des Gro-ßen Sudetendeutschen Kulturpreises 1994.

Internationale Karriere

In seinen pointenreichen Geschichten werden nicht nur allgemeine menschli-che Unzulänglichkeiten humorvoll über-spitzt, sondern zum Teil auch selbstiro-nisch typisch israelische. Unter dem Titel „Oldtimer“ geht es zum Beispiel um die Neueinwanderer in Israel, die – so Kis-hon – „tun und lassen könnten, was sie wollen“ und im ersten Jahr nicht einmal Einkommensteuer bezahlen müssten, sodass manche daraus „einen ganz anständigen Lebensunterhalt“ machten, indem sie „in bestimmten Zeitabständen das Land verlassen und als Neueinwan-derer wiederkommen“. Einwanderer, die um ihrer Ideale willen Unsägliches gelitten hatten, als sie jung waren und nach Jahren in Israel immer noch mittel-los waren, hätten eine gesunde Feindse-ligkeit gegenüber all jenen bewahrt, die erst später gekommen sind und – nach Meinung der sogenannten „Oldtimer“ – das reine Luxusleben führten. Wie diese Abschätzigkeit sich äußert, stellt Kishon in einem Gespräch zwischen einem frü-her und einem später Eingewanderten dar, das die tatsächliche Armut und Bescheidenheit der israelischen „Oldti-mer“ absurd übertreibt.

In dem 1965 geschriebenen Theater-stück „Zieh den Stecker raus, das Wasser kocht“ macht sich Kishon, der auch Kunsthistoriker war, auf köstliche Weise über die moderne Kunst und den dazu gehörenden Kunstmarkt lustig. In der in Stuttgart als „Hörspiel“ von den Interpre-ten meisterhaft inszenierten Geschichte

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begutachtet eine Kunstkritikerin den pri-mitiv installierten Wasserkocher im Ate-lier eines Malers mit grotesken Übertrei-bungen als revolutionäres, konstruktivis-tisches Kunstwerk, während sie die Gemälde als ekelhaft und indiskutabel abtut. Große Berühmtheit erlangte der „Blaumilch-Kanal“, eine stadtplaneri-sche Groteske, bei der ein der Irrenan-stalt entlaufener Insasse mit Namen Kasi-mir Blaumilch von der verkehrsreichsten Straßenkreuzung in Tel Aviv einen Kanal zum Mittelmeer gräbt und dadurch ungeheures Chaos nicht nur im Straßen-verkehr, sondern auch quer durch alle Verwaltungen anrichtet. Ein „Symbol israelischer Arbeitsfreude und Unterneh-merlust“, wie Kishon schreibt.

Musikalisch begleitet wurden die schlagfertig und einfühlsam von Katja Schild und Jerzy May präsentierten Kurzgeschichten Kishons durch Schlager und Chansons aus fünf Jahrzehnten, die Iris Marie Kotzian stimmlich eindrucks-voll und mit Hingabe sowie Leichtigkeit vortrug. Die heute kaum mehr gehörten Hits ihrer Zeit kommentierten manch-mal Stichworte aus den Texten Kishons oder sie führten stimmungsmäßig in die Jahre ihrer Entstehung zurück. „Schalt Dein Radio ein“ – ein Schlager, mit dem die israelische Sängerin Daliah Lavi 1972 in allen Sendern zu hören war – eröffne-te und beendete die virtuelle Hörfunk-

sendung. Iris Marie Kotzian gab diesem Lied ebenso überzeugend ihre Stimme wie dem Schlager „Eine Reise in den Süden“, der das Heimweh der ersten Gastarbeiter in Deutschland thematisier-te und mit dem Conny Froboes 1962 Erste bei den Deutschen Schlagerfest-spielen in Baden-Baden wurde, dem „Baby-Sitter-Boogie“ von Ralf Bendix aus dem Jahr 1957, wunderbar babygur-gelnd begleitet von Katja Schild, dem persiflierten „Ba-Ba-Banküberfall, der 1985 die österreichische Rockband „Ers-

Der Schauspieler Jerzy May, die Rezitatorin Katja Schild und die Sopranistin Iris Marie Kotzian gestalteten den unterhaltsamen Abend über Ephraim Kishon im Haus der Heimat in Stuttgart.

te Allgemeine Verunsicherung“ berühmt machte, dem Siegerlied beim „Eurovisi-on Song Contest“ 1982 „Ein bißchen Frieden“ von Ralph Siegel, das damals die 17-jährige Nicole sang, oder dem schwermütigen „Für mich sollt’s rote Rosen regnen“ der unvergessenen Hilde-gard Knef von 1968.

Ephraim Kishon hätte sich über diesen meisterhaft arrangierten und präsentier-ten Abend sicherlich gefreut. Er ist vor zehn Jahren, am 29. Januar 2005, in der Schweiz gestorben. Ute Flögel

Mit dem jetzt neu erschienenem Buch „Kleine Kulturgeschichte der

schlesischen Schlösser – 150 Adelssitze im Portrait“ wird erstmals seit Jahrzehn-ten ein neues Standardwerk zu den Adelssitzen Niederschlesiens erschei-nen. Es wurde durch den Kunsthistori-ker Arne Franke inhaltlich konzipiert und fußt auf dessen Datenbank, in der er seit mittlerweile 20 Jahren alle herr-schaftlichen Anlagen des Landes erfasst. Mittlerweile ist deren Zahl auf nahezu 3.000 Objekte für ganz Schlesien ange-wachsen und bietet damit eine solide Grundlage, aus dieser eine repräsentati-ve Auswahl an Schlossbauten zu treffen, die charakteristisch für die Kulturge-schichte des Landes sind.

Den inhaltlichen Schwerpunkt des Buches bildet die Darstellung der wich-tigsten wohlerhaltenen bzw. restaurier-ten Adelssitze in bebilderten Kurzmono-graphien mit historischen Anmerkungen zur Bau- und Eigentümergeschichte sowie knappen Baubeschreibungen, die summarisch einen Überblick über fast 700 Jahre Baugeschichte Schlesiens umreißen. Zudem werden in dem Hand-buch aber auch Bauten berücksichtigt, deren derzeitiger Zustand kaum noch eine Instandsetzung erhoffen lässt, die durch mangelnde Bauunterhaltung, Brandkatastrophen oder Vandalismus inzwischen zu eindrucksvollen Ruinen geworden sind - und damit umso mehr das wechselvolle Schicksal dieses einst

so reichen Landes illustrieren. Der Band enthält zudem ein ausführliches Perso-nen-, Orts- und Sachregister, wodurch das Buch einen gewissen lexikalischen Anspruch erfüllen soll, der schließlich durch ein Kapitel mit zahlreichen Perso-nenbiographien sowie einem Glossar zu historischen und kunstgeschichtlichen Fachbegriffen abgerundet wird.

„Kleine Kulturgeschichte der schlesi-schen Schlösser - 150 Adelssitze im Por-trait“. Band 1: Niederschlesien. Ca. 350 Seiten, reich illustriert. Herausgeber Arne Franke, 29.90 Euro. Bestellungen an Bergstadtverlag W.G. Korn, Brüderstraße 13, 02826 Görlitz, Tel. 03581/402021, [email protected]

Arne Franke: „Kleine Kulturgeschichte der schlesischen Schlösser“

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Göllner (3)

Europäische Strahlkraft Königsbergs im SchwerpunktDas Museum Stadt Königsberg schließt seine Pforten

Das Museum Stadt Königsberg schließt am 8. Januar 2016 in Duis-burg seine Pforten und wird in das ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg integriert. Nach 47 Jah-ren stellt das Museum Stadt Königsberg in Duisburg ein letztes Mal die europäische Strahlkraft der früheren Provinzhauptstadt Ost-preußens im Rahmen einer Ausstel-lung vor. Klaus Weigelt, Vorsitzen-der der Stadtgemeinschaft Königs-berg (Pr), betonte bei der Vernissa-ge, dass die Reformations-Ausstel-lung den Besuchern facettenreiche Aspekte rund um bedeutende Per-sönlichkeiten der Kirche und der Wissenschaft vermittelt.

Die Verbindung der Stadt Duisburg mit Königsberg geht bis auf das Jahr

1951 zurück, dem Zeitpunkt der Paten-schafts-Übernahme für die geflüchteten und vertriebenen Bürger.

Die am 5. Dezember 1992 im Kultur- und Stadthistorischen Museum eröffne-te Einrichtung löste das am 20. Oktober 1968 gegründete Museum „Haus Königsberg“ ab. Die Betreuung des Hau-ses am Johannes-Corputius-Platz nahm die Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr) mit der Stiftung Königsberg in Zusam-menarbeit mit der Stadt Duisburg wahr.

Der heute 76jährige Museumsleiter Lorenz Grimoni gesteht, dass ihm und seinem ehrenamtlichen Mitarbeiterteam die Tätigkeit über die Jahre hinweg viel Freude bereitet hat. Doch er gibt auch zu bedenken, dass die Arbeit an den inzwischen gewachsenen Beständen und die Koordinierung grenzüberschrei-tender Projekte einer professionellen, wissenschaftlichen Begleitung bedürfen.

Das derzeit noch teilweise im Um- und Ausbau befindliche ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg hingegen bietet optimale Voraussetzungen für die

Betreuung der Königsberg-Abteilung von fachkundigen und vor allem von jünge-ren Mitarbeitern.

Außerdem soll in den Räumlichkeiten des Kultur- und Stadthistorischen Muse-ums ein Dokumentationszentrum über den Nationalsozialismus und die Juden-verfolgung in Duisburg errichtet wer-den.

Von der Publikation zur Ausstellung

Bei der Eröffnung der Ausstellung „Reformation in Königsberg und im Her-zogtum Preußen“ verriet Lorenz Grimo-ni, Pfarrer i.R., den zahlreich erschiene-nen Besuchern, dass eine Anfrage der evangelischen Verlagsanstalt Leipzig den Impuls für die aktuelle Präsentation gab. Man wollte wissen, ob es stimmt, dass Königsberg als ein wichtiger Ort der Reformation zu betrachten sei. Als Folge der positiven Antwort wurde die 18. Ausgabe der Publikation „Orte der Refor-

mation“ unter dem Titel „Königsberg und das Herzogtum Preußen“ veröffent-licht. Der von Dr. Andreas Lindner und Lorenz Grimoni herausgegebene Band enthält zahlreiche Dokumente und Bil-der aus den Beständen des Museums Stadt Königsberg. Das Mitarbeiterteam wählte das Thema der Reformation für die letzte Veranstaltung in Duisburg, um sich mit einem fulminanten Projekt von der Stadt und ihren Einwohnern zu ver-abschieden.

Zum Rahmenprogramm gehörte der von Dr. Andreas Lindner, Dozent am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt, gehaltene Vortrag „Albrecht von Brandenburg-Ansbach – die Reformation Preußens und Europa“. In der Salvator-kirche Duisburg wiederum fand in Anlehnung an die Präsentation zur Lutherdekade ein Festgottesdienst mit Prof. Dr. Margot Käßmann, der „Bot-schafterin für das Reformationsjubilä-umsjahr 2017“, statt. Anhand von aus-gewählten Exponaten wird in der Aus-stellung die Geschichte der Reformation

Dem heute 76-jährige Museumsleiter Lorenz Grimoni und seinem ehrenamtlichen Mitarbei-terteam hat die Tätigkeit über die Jahre hinweg viel Freude bereitet.

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in Preußen mit Auswirkungen auf Euro-pa aufgezeigt. Die umfangreiche protes-tantische Glaubens- und Kulturgeschich-te brach mit der Katastrophe des Zwei-ten Weltkrieges jäh ab. Erst nach 1992 entwickelte sich unter schwierigen Bedingungen im heutigen Kaliningrad ein evangelisches Gemeindeleben.

Ein Meilenstein in der Reformations-Geschichte ist das Jahr 1525, als das Herzogtum Preußen das erste evangeli-sche Territorium der Welt wurde. Auf Martin Luthers Rat hin verwandelte der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, Markgraf Albrecht von Bran-denburg-Ansbach, das Ordensgebiet in ein weltliches Herzogtum. Einen wichti-gen Beitrag zur Festigung der Kirche leis-tete nicht zuletzt die Gründung der Königsberger Universität. Herzog Alb-recht wird nicht nur als Reformator dar-gestellt, sondern auch als Begründer und Namensgeber der ersten lutherischen Universität.

Reformation

Auch sein Mitstreiter Philipp Melanch-thon war in Königsberg sehr verehrt. Er schickte aus Wittenberg evangelische Pfarrer und entsandte auch seinen Schwiegersohn als ersten Rektor der neuen Universität.

Die erste Predigt des Bischofs Georg von Polentz sowie die erste preußische

Chronik von Petri de Dusburg und eine wertvolle Bibel mit Bildern der Familie Luther sind herausragende historische Schriften. Eine Art „geistigen Mittel-punkt“ bildet die Darstellung des im Krieg zerstörten und wieder aufgebau-ten Königsberger Doms. Ergänzend ist der Dom zu Königsberg mit der 1924 eingerichteten Grabstätte als Modell aus dem Jahre 1968 zu sehen.

Ein weiterer Präsentationsschwer-punkt ist den Glaubensflüchtlingen

gewidmet, die aus Polen, Litauen, Hol-land und aus der Schweiz nach Ostpreu-ßen kamen. Bis zum 8. Januar 2016 ist die Reformations-Schau zu besichtigen. Dann endet in Duisburg ein Kapitel Museumsgeschichte. In Erinnerung bleibt die Dauerausstellung mit ihren Exponaten zu besonderen Ereignissen der über 700jährigen deutschen Geschichte der Stadt Königsberg. Guter Besucherresonanz erfreuten sich auch die herausragenden Wechselausstellun-gen und Begleitbücher rund um bekann-te Persönlichkeiten der Kultur- und Geis-tesgeschichte wie etwa Immanuel Kant, E.T.A. Hoffmann, Ernst Wiechert, Otto Besch, Käthe Kollwitz und berühmte Maler der Königsberger Kunstakademie.

Königsberg bleibt in Duisburg

Fest steht: Königsberg soll auch weiter-hin in Duisburg „zu Hause“ sein. Da sich die Stadt zum Fortbestand der Paten-schaft bekannte, kann langfristig ein Patenschaftsbüro betrieben werden. Weiterhin wird es den „Königsberger Bürgerbrief“ geben, der über Themen zur Stadtgeschichte, über Ereignisse und Personen vor 1945, über Entwicklungen im heutigen Kaliningrad sowie nicht zuletzt auch über die Tätigkeit der Stadt-gemeinschaft Königsberg (Pr) informiert.

Dieter Göllner

Modell des Königsberger Doms: Das Modell von Wolfgang Loerzer (1968) zeigt den Dom zu Königsberg mit der 1924 eingerichteten Grabstätte.

Blick in die Reformationsausstellung des Museums.

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Louis Ferdinand ist der Name dreier preußischer Prinzen, deren ältester am 10. Oktober 1806 in einem Gefecht mit französischen Truppen bei Saalfeld, knapp 34 Jahre alt, gefallen ist. Es mag sein, dass der Schlesier Louis Ferdinand Helbig, der am 2. September 2015 in Savo-yen/Frankreich seinen 80. Geburts-tag feiert, nach diesem preußischen Prinzen im Generalsrang, der schon 1793 an der Belagerung von Mainz teilgenommen hat, benannt ist.

Er wurde 1935 in Liegnitz, einer der Hauptstädte der drei schlesischen

Regierungsbezirke Breslau, Liegnitz, Oppeln, geboren, besuchte aber in Sagan am Bober die Volksschule, floh dann 1945 mit Eltern und Geschwistern nach Heidelberg, wo er 1955 am 1835 gegründeten Helmholtz-Gymnasium das Abitur bestand. Nach einer Lehre als Großhandelskaufmann in Ludwigshafen am Rhein wanderte er 1958 nach Kana-da aus, wo er zunächst in der Industrie arbeitete. Nach dem Erwerb eines Zerti-fikats über gutes Englisch nahm er 1963 ein Studium der Germanistik, Geschich-te und Philosophie an der University of Edmonton/Aberta auf, wo er 1966 und 1967 die Examina zum „Bachelor of Arts“ und „Master of Arts“ bestand. Den Doktortitel erwarb er 1969 an der Uni-versity of Waterloo/Ontario mit einer Dissertation über „Das Geschichtsdrama Georg Büchners“ (1973).

Als ich Louis Ferdinand Helbig im Herbst 1971 in Bloomington/Indiana kennen lernte, war er seit vier Jahren Germanistikprofessor an der Indiana University und Direktor des von der VW-Stiftung finanzierten „Institute of Ger-man Studies“, an dem ich dann 1972/73 auch selbst arbeitete. Im Jahr 1990 wechselte er an die University of Arizona in Tucson, wo er fünf Jahre blieb. Seit

1995 lebt er mit seiner zweiten Frau in Les Echelles/Frankreich und unterrich-tete bis 2000 als Lehrbeauftragter an der Université de Savoie in Chanberry. Von 2000 bis 2004 war er Gastprofessor am Germanistischen Institut der Universität von Zielona Góra (Grünberg) in Schlesi-en.

Wenn man sein umfangreiches Veröf-fentlichungsverzeichnis durchsieht, das 159 Einträge aufweist, stößt man ständig auf Aufsätze und Rezensionen zu Auto-ren, die aus dem historischen Ost-deutschland stammen und über Flucht und Vertreibung geschrieben haben. Um sie dem Alter nach zu nennen: Der Nie-derschlesier Friedrich Bischoff (1896-1976) aus Neumarkt, der 1925 literari-scher Leiter der „Schlesischen Funkstun-de“ wurde; der Theologe und Pfarrer Kurt Ihlenfeld (1901-1997), der mit sei-nem schlesischen Vertreibungsroman „Wintergewitter“ (1951) berühmt wur-de; die Erzählerin Ruth Storm (1905-1993) aus Kattowitz/Oberschlesien; der schlesische Lyriker Ernst Günther Bleisch (1914-2003), der nach dem Krieg in München lebte; der aus dem böhmischen Riesengebirge stammende Franz Fühmann (1922-1984) mit seiner vertreibungskritischen Erzählung „Böh-men am Meer“ (1962) ; der oberschlesische Lyriker Heinz Piontek (1925-2003) aus Kreuzburg, der einen Roman (1993) über Goethes schlesische Reise 1790 geschrieben hat; die 1929 geborene, heute in Wien lebende Ilse Tielsch mit ihrer südmährischen Roman-trilogie 1980/88; die in Landsberg an der Warthe jenseits der Oder geborene Christa Wolf (1929-2011), die ihre Flucht aus der Neumark im Januar 1945 als 15jährige Schülerin im Roman „Kind-heitsmuster“ (1976) verarbeitet hat; Horst Bienek (1930-1990) aus Gleiwitz in Oberschlesien mit dem Gedichtband „Gleiwitzer Kindheit“ (1976) und sei-ner Romantetralogie 1975/82; der ost-

preußische Erzähler Arno Surminski (1934) mit seiner Romantrilogie über die Flucht aus dem fiktiven Jokehnen 1974/80 und schließlich der Schlesier Harald Gerlach (1940-2001), der nach der Flucht in Thüringen aufgewachsen ist und mit seinem Gedichtband „Sprung ins Hafermeer“ (1973) und seinem Roman „Windstimmen“ (1997) an die alte Heimat erinnerte.

Bei dieser Fülle von Veröffentlichun-gen zu einem Thema, das von der Uni-versitätsgermanistik weitgehend igno-riert wurde, war es unausbleiblich, dass Louis Ferdinand Helbig eines Tages auch eine Synthese seiner literaturwissen-schaftlichen Bemühungen vorlegen wür-de. Das Buch erschien 1988 unter dem Titel „Der ungeheure Verlust. Flucht und Vertreibung in der deutschsprachi-gen Belletristik der Nachkriegszeit“ (296 Seiten) im angesehenen Verlag Harrasso-witz in Wiesbaden und liegt inzwischen als Taschenbuch in der dritten Auflage (1996) vor, die auf den neuesten Stand gebracht wurde. Der Forschungsbericht „Das Flucht- und Vertreibungsgesche-hen in Belletristik und Literaturfor-schung 1945-1985“ (1986) war wohl die gewichtigste Vorarbeit.

Zu würdigen ist auch, dass er den Blick auf die DDR-Literatur, wo es anderthalb Dutzend Autoren mit ost-deutscher Biografie gab, nicht aussparte und damit dem weit verbreiteten Vorur-teil widersprach, im SED-Staat hätte es keine literarische Verarbeitung von Flucht und Vertreibung gegeben. Bei sol-chen Verdiensten fragt man sich, warum der Autor bisher nur mit dem „Georg-Dehio-Preis“ (1993) ausgezeichnet wur-de, nicht aber mit dem Bundesverdienst-kreuz, das ihm seit Jahrzehnten zustün-de. Zum 70. Geburtstag erschien unter dem Titel „Zwischen Verlust und Fülle“ (2006) eine Festschrift, die man noch heute mit Gewinn und Vergnügen liest.

Jörg Bernhard Bilke

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Sein Lebensthema ist „Flucht und Vertreibung“Louis Ferdinand Helbig zum 80. Geburtstag

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DOD 06/2015 29Nachrichten

Norman M. Naimark, „Stalin und der Genozid“, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-42201-4

16.90 €

INFO

Ausschreibungder Kulturellen Förderpreise 2016

der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Zur besonderen Ermutigung und Förderung des künstlerischen und wissenschaftlichen Nachwuchses vergibt die Sudetendeutsche Landsmannschaft jährlich sechs Förderpreise.

Die Förderpreise werden für Beiträge verliehen, die künftige außergewöhnliche Leistungen erhoffen lassen auf den Gebieten:

• Literatur und Publizistik

• Musik

• Bildende Kunst und Architektur

• Darstellende und ausübende Kunst

• Wissenschaft

• Volkstumspflege

Die Empfänger der Förderpreise sollen nicht älter als 35 Jahre sein, der Sudetendeutschen Volksgruppe entstammen oder einen Beitrag mit sudetendeutschem Bezug geleistet haben.

Die Förderpreise sind mit je 1.000 € dotiert, die von der Sudeten-deutschen Stiftung zur Verfügung gestellt werden.

Vorschlagsberechtigt sind: die Gliederungen der Sudetendeutschen Lands-mannschaft, die der Sudetendeutschen Landsmannschaft verbundenen Institutionen und Einzelpersonen, die Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft sind.

Bewerbungen sind mit Begründung und Beifügung entsprechender Unterlagen bis spätestens 30. April 2016 an das

Kulturreferatder Sudetendeutschen LandsmannschaftHochstraße 8 81669 München

einzureichen.

Die Jury kann nur Bewerbungen bearbeiten, aus denen sich ein lückenloses Bild über Leben und Wirken der vorgeschlagenen Kan-didaten ergibt.

AUSSCHREIBUNG

Wiesbaden. (dod) Auf Einladung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR) informierte Landesbe-auftragte Margarete Ziegler-Raschdorf anlässlich einer Multiplikatoren-Schu-lung in Wiesbaden über aktuelle The-men. Sie sicherte der Landsmannschaft auch in Zukunft die Unterstützung der Hessischen Landesregierung zu und überbrachte die Grüße des Ministerpräsi-denten Volker Bouffier und des Ministers für Soziales und Integration Stefan Grütt-ner.

Ziegler-Raschdorf dankte Projektleite-rin Rosa Emich für die Organisation der immer wieder interessanten Veranstal-tungen zu aktuellen Entwicklungen. Sie erläuterte, wie sich die Zugangszahlen von Spätaussiedlern seit der Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) im Jahr 2013 erhöht haben. Mit 145 nach Hessen (bundesweit: 1,8717 Men-schen) ausgesiedelten Personen im Jahr 2012 sei ein Tiefstand erreicht gewesen. Im Jahr 2014 habe sich mit 441 aufge-nommenen Spätaussiedlern (bundes-weit: 5.649 Personen) ihre Zahl verdrei-facht. Bis heute setzten sich die höheren Zugangszahlen auf dem bestehenden Niveau fort. Mit dem Gesetz waren die Bedingungen für eine Aufnahme als Spätaussiedler z. B. bei der Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit erleichtert worden; so müssten etwa die für eine Aufnahme als Spätaussiedler geforderten Deutschkenntnisse nicht mehr unbedingt „familiär“, sondern könnten auch „auf andere Weise“ erwor-ben worden sein. Dazu führte die Lan-desbeauftragte aus: „Die 10. Änderung des BVFG Wirkung zeigt Wirkung. Mit der Gesetzesanpassung hat der Bundes-gesetzgeber den richtigen Weg beschrit-ten. Inzwischen konnte in zahlreichen Fällen eine erfolgreiche Einbeziehung von Familienangehörigen in den Aufnah-mebescheid eines bereits nach Deutsch-land ausgesiedelten Familienmitglieds erfolgen und auf diese Weise viele Fami-lien erfolgreich zusammengeführt wer-den“. Außerdem begrüßte die Landes-beauftragte das Grundsatzurteil des Bun-desverwaltungsgerichts in Leipzig vom 16. Juli 2015 zur sog. „Höherstufung“ (BVerwG 1C 29.14). (PM)

Zuzugszahlen erneut erhöht

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Bauer (2)

„Engagierte Christen braucht das Land!“Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde in Budweis

„Engagierte Christen braucht das Land!“ Der Schlusssatz aus der Festrede von Alois Glück, dem Prä-sidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, kann als Appell an die weit über 400 deut-schen und tschechischen Teilneh-mer des Bundestreffens der Acker-mann-Gemeinde und ihrer tschechi-schen Schwesterorganisation Sdružení Ackermann-Gemeinde in Budweis gelten. Und es ist auch als Antwort auf das Tagungsthema zu verstehen: „Gemeinsam gefordert, gemeinsam aktiv. Zusammen Chris-ten und Europäer, zusammen Tsche-chen und Deutsche“.

Nach dem westböhmischen Pilsen vor sechs Jahren und der Zwischen-

station Bautzen vor drei Jahren fand das Bundestreffen der Ackermann-Gemein-de nun erstmals in der südböhmischen Bischofsstadt statt. Und wie sich deut-sche und tschechische Tagungsorte abwechseln, so war die Tagung vom 6. bis 9. August (wie auch viele andere der Ackermann-Gemeinde) fast durchgängig zweisprachig. Aber auch die täglich angebotenen Gottesdienste und Andach-ten, bei denen ranghohe Geistliche zele-brierten.

„Europa-Lethargie“

Ausgangspunkt der thematischen Arbeit war eine Analyse der Situation in Europa 25 Jahre nach dem Fall des Eiser-nen Vorhangs. „Europa-Lethargie – Das Leben in Frieden und Gerechtigkeit, eine Selbstverständlichkeit?“ lautete die Frage, mit der sich die Teilnehmer beim ersten Podium auseinandersetzten. Hier ging es etwa um das in Europa verbreite-te Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der sozial moderierten Marktwirtschaft

(im Kontrast zu den Modellen in den USA bzw. in Asien). Angesichts der Glo-balisierung erfahre das europäische Modell jedoch einen Umbruch. Auch die Werte-Konkurrenz sei eine Folge der Globalisierung. Die aktuellen Herausfor-derungen (Islamischer Staat, Migration usw.) würden eine Zusammenarbeit der Staaten dringend nötig machen – doch zu beobachten sei, dass sich Menschen wie auch Staaten auf ihre eigenen Vortei-le zurückziehen.

Der Frage, welche Verantwortung Christen in der säkularen Gesellschaft haben, widmete sich das Podium am Samstagmorgen. Durchaus differenziert betrachteten die Teilnehmer des Podi-ums den Begriff „säkular“ und betteten diesen in Begriffe wie „Pluralismus“ oder „gesellschaftlicher Dualismus“ ein. Es gehe nicht darum, „an die Macht zu kommen, sondern den Dialog mit der Gesellschaft zu führen“, meinte der Pra-ger Bischofsvikar Dr. Vojtěch Eliáš, der die Christen als Hoffnungsträger sieht. „Eine säkulare Gesellschaft postuliert,

dass es viele Meinungen nebeneinander geben muss – das ist mir zu wenig“, konstatierte in seiner Stellungnahme Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel. Für ihn geht es vielmehr darum, „unsere Position neu zu formulieren, an der anderen zu messen und der Wirklichkeit als Angriffspunkt gegenüber zu stellen“. Als grundlegende Basis hierfür sieht Goppel die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, d.h. das christliche Men-schenbild.

„Pionier des Brückenschlags“

Dies griff in der abschließenden Feier-stunde am Sonntagvormittag auch Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in seiner Fest-rede zum Motto des Treffens „Gemeinsam gefordert – gemeinsam aktiv“ auf, wobei er die Ackermann-Gemeinde als „Pionier des Brücken-schlags zwischen Menschen“ bezeich-nete. „Wo ist der Leuchtturm für unsere

Fürst Karel Schwarzenberg und der Bundesvorsitzende der der Ackermann-Gemeinde. Mar-tin Kastler.

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Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler, Christa Ullmann und Laudator Dr. Walter Rzepka, Ehrenvor-sitzender der Ackermann-Gemeinde (V.l.n. r.).

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Orientierung?“, fragte Glück und nannte als Antwort den Artikel 1 des Grundge-setzes. Daraus leite sich eine besondere Solidarität ab. Einen Dialog zwischen Kulturen und Religionen auf Basis gegen-seitigen Respekts sieht der ZdK-Präsident als eine der drängendsten Aufgaben, fer-ner müsse sich die EU wieder stärker als Wertegemeinschaft verstehen. Und er wandte sich gegen Zentralisierungsten-denzen in der EU. Besonders könnten Christen in Europa ihr christliches Men-schenbild, Solidarität und Gerechtigkeit, das christliche Lebensmodell und als Quintessenz die Übernahme von mehr Zukunftsverantwortung (Nachhaltigkeit) einbringen. „Engagierte Christen braucht das Land“, lautete Glücks Appell am Schluss seiner Festrede.

Verleihung der Versöhnungsmedaille

Höhepunkte des Bundestreffens war die Verleihung der Versöhnungsmedaille der Ackermann-Gemeinde im Geden-ken an Hans Schütz zum einen an das Ehepaar Christa und Adolf (+) Ullmann sowie an den tschechischen Vizepremier a.D. Fürst Karel Schwarzenberg. „Sie haben miteinander den selbst gestellten Anspruch erfüllt – unermüdlich, mit ungeheurem Energieeinsatz und ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit (…) Dafür sind wir Ihnen zutiefst dank-bar“, begründete Laudator Dr. Walter Rzepka, Ehrenvorsitzender der Acker-mann-Gemeinde, an Christa Ullmann gewandt die Verleihung der Medaille an sie und ihren im letzten Jahr verstorbe-nen Gatten. Adolf Ullmann hat über Jahrzehnte in vielen Funktionen auf Diö-zesan- und Bundesebene in der Acker-mann-Gemeinde seine Spuren hinterlas-sen, darüber hinaus aber auch die deutsch-tschechische Thematik in sei-nen weiteren Tätigkeitsfeldern als Leh-rer, Kirchenmusiker und Kommunalpoli-tiker eingebracht.

„Weil Sie über Jahrzehnte kontinuier-lich an einer Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen gewirkt haben“, begründete der Bundesvorsit-zende der Ackermann-Gemeinde MdEP a.D. Martin Kastler die Verleihung der Medaille an Schwarzenberg. „Wie viele Menschen mit Wurzeln in den Böhmi-schen Ländern verkörpern Sie das Über-nationale. Durch Ihr Reden und Han-

deln führen Sie uns vor Augen, dass wir die enge nationale Brille absetzen müs-sen, wenn wir unsere Nachbarschaft, Mitteleuropa und Europa gestalten wol-len. Sie sind uns Vorbild als Europäer und mahnen uns, diese nationale Eng-stirnigkeit durch europäische Weite zu ersetzen und die gefährliche Enge des Denkens aufzugeben, die unsere Völker letztlich in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt hat. Sie haben unabhängig von Ihrer Position immer dazu beigetragen, dass der Mensch mit seinen unveräußerlichen Menschen-rechten sowie die Wahrheit, mag sie noch so unangenehm sein, im Mittel-punkt stehen. Zwei zentrale Orientie-rungen, die Sie als wahrhaft christlichen

Politiker auszeichnen. Zwei zentrale Ori-entierungen, die für Versöhnung unab-dingbar sind.“

Unter dem Titel „Begegnung mit der südböhmischen Region“ gab es am Frei-tagnachmittag Exkursionen zu Einrich-tungen der sozialen Arbeit, der tsche-chisch-deutschen Zusammenarbeit und zu historischen Orten der gemeinsamen Geschichte. So verfolgte eine Gruppe die Spuren Adalbert Stifters, eine andere besichtigte die Wallfahrtskirchen in Sonnberg und Brünnl, die Borromäerin-nen in Prachatitz gewährten einen Ein-blick in ihre soziale und pastorale Arbeit, in Glöckelberg stand das Wirken des Glaubenszeugen Pater Engelmar Unzei-tig im Fokus, über pastorale Angebote für Familien konnten sich Interessierte im Familiensommerlager in Majdalena informieren. Natürlich stand auch Jan Hus auf der Themenliste und die Wall-fahrtskirche Maria Gojau als Ort der deutsch-tschechischen Nachbarschaft.

Unter dem Motto „Stadt der lebendi-gen Bücher“ gab es schließlich an meh-reren Orten in Budweis viel Wissenswer-tes: über die Budweiser Stadtgeschichte und das touristisch-kulturelle Konzept, die zentralen Gotteshäuser, die Pastoral-arbeit für Migranten, aktuelle Herausfor-derungen der Jugend- und Familienpas-toral, die Arbeit des Bischöflichen Gym-nasiums bzw. des Ceska-Gymnasiums, Friedhöfe als Zeugen der Geschichte, Sinti und Roma oder das Zusammenle-ben von Deutschen und Tschechen in den 1940er Jahren. Und selbstverständ-lich gehörten auch Konzerte und Aus-stellungen zum Programm.

Markus Bauer

Das Adventstreffen der ostpreußi-schen Jugend hat in diesem Jahr

vom 26. bis 29. November stattgefun-den. Es kamen über 60 Teilnehmer nach Osterode zum Adventstreffen, das für jeden etwas Interessantes zu bieten hat-te. Diejenigen, die sich gerne bewegen, nahmen an den Volkstänzen teil. Die Musikliebhaber erfreuten heimatliche und weihnachtliche Lieder. Die Kreati-ven konnten bei dem weihnachtlichen Basteln oder bei der Theatergruppe mit-machen, während die Naschkatzen ger-ne beim weihnachtlichen Backen halfen. Daneben kamen auch die Geschichtsin-

Adventstreffen der ostpreußischen Jugend teressierten nicht zu kurz. Am letzten Tag konnten alle ihre Stammbäume erstellen und bekamen auch Tipps, wie man im Internet Unterstützung in die-sem Bereich finden kann.

Der Höhepunkt der Veranstaltung war die Adventsfeier am Samstagabend. Das geistliche Wort sprachen der Seelsorger der deutschen Minderheit im Erzbistum Ermland, Domherr Andre Schmeier, und Pastor Wojciech Płoszek. Die Teilneh-mer des Adventsseminars boten Volks-tänze, Adventslieder und Theaterspiel dar. Ein Teil der Jugendlichen präsentier-te sich in den ostpreußischen Trachten.

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der auf. Nun kommt er in ein Erzie-hungsheim. Eine Maurer-Lehre muss er schon gleich zu Beginn abbrechen, weil er wegen seines Hörschadens im Unter-richt nicht mitkommt.

1960 ist Toni volljährig. Er wird an sei-nem Geburtstag aus dem Heim als uner-ziehbar entlassen. „Nun war ich also heraußen. Frei. Doch meine Kindheit und Jugend hatte man mir genommen. Ich stand so gut wie ohne Schul- und Berufsbildung da […] Ich lebte, aber mei-ne Seele hatte in den Kinderheimen der Stadt Wien tiefe Verletzungen erlitten.“

Toni treibt sich ab sofort mit ehemali-gen Heimkollegen herum. Einer verleitet ihn zu einem Einbruch, Toni kommt ins Gefängnis. Insgesamt drei Jahre wird er in Gefängnissen sitzen, bis er auf den rechten Weg findet. Bis ins Rentenalter wird er als Hilfsarbeiter auf dem Bau ein hart erworbenes Einkommen haben. Doch nicht nur seine Schwerhörigkeit belastet ihn weiter, sondern auch das Schicksal seiner Familie: „Mich traf es besonders, dass ich keine richtige Hei-mat hatte. Ich war als Deutscher, als Donauschwabe, aus einem Land vertrie-ben worden, das ich – wahrscheinlich wegen der Vertreibung und Ermordung meiner vielen Landsleute – ablehnte.“

Dann der Wandel, er kommt mit dem Tag, an dem Toni auf einer Baustelle einen Sack voller alter Münzen findet. Er will nicht zum Münzsammler wer-den. Er hat die Idee, die Münzen als gestaltendes Element zu verwenden. Toni beginnt Münzen in Vasen, Bilder-rahmen oder Möbel zu integrieren, die zu Kunstobjekten werden. Seine Werke entstehen in seiner Freizeit. Mit der Zeit füllen sie seine ganze Wohnung.

Nun wendet sich Toni an die Presse, die Interesse an seiner Kunst findet. Die Zeit ist reif, eine Galerie zu eröffnen. Doch die Geschäfte laufen nicht so gut, dass Toni davon leben könnte. Nach 18 Monaten gibt er die Galerie auf, ohne

Es ist keine gewöhnliche Geschich-te, die Anton Gerstner zu Papier gebracht hat. Es ist nicht der Lei-densweg des vom Krieg eingehol-ten Donauschwaben, die in einem Vernichtungslager in Jugoslawien beginnt. Vielmehr ist es das Schick-sal eines Jungen, der als Dreijähri-ger mit seiner jungen Mutter aus einem Dorf im kroatischen Syrmien 1945 in Wien ankommt und auf die schiefe Bahn gerät. Als er Mitte der 1970er Jahre sein Leben ändert, stellt er fest: „Was ich in meinen bisherigen 35 Lebensjahren erlebt hatte, war ein wenig Glück, garniert mit viel Hölle“.

Die Mutter des 1941 geborenen Toni muss sehen, wie sie sich und den

Jungen im zerbombten Wien durch-bringt. Die junge Witwe heiratet zum zweiten Mal, und 1947 bekommt Toni eine Schwester. Die junge Mutter hat kaum Zeit, sich um Toni zu kümmern, der deshalb in schlechte Gesellschaft gerät. Doch was schwerwiegender ist: Der Junge hört sehr schlecht, er ist „der-risch“, und muss auf eine Sonderschule wechseln. Er kann sich nicht anpassen, wird auffällig. Mit acht Jahren wird er in ein Heim gesteckt. Er kommt von einem Heim ins andere, bricht immer wieder aus. Erzieher verprügeln ihn dauernd. Im Heim gibt es eine Rangordnung. Die Stärksten haben das Sagen. In die Schlä-gereien um die Rangordnung mischt auch Toni mit.

Während die meisten Heimjungen eine Volks- oder Hauptschulabschluss schaffen, beendet Toni lediglich die Hilfs-schule. Trotzdem lernt er in acht Jahren lesen, schreiben und rechnen.

Mit 15 ist er kurz aus dem Heim, eine Gärtnerlehre endet rascher, als sie begon-nen hat. Toni arbeitet neun Monate lang, doch er treibt sich herum und fällt wie-

Flüchtlingskind im Nachkriegs-WienAnton Gerstner präsentiert seine ausgefallene Lebensgeschichte in Buchform

einen Verlust zu haben. Aber die Presse lobt ihn weiter; sie bezeichnet ihn als größten Münzdesigner oder Münzenkai-ser.

1993 erscheinen seine Erinnerungen als Buch unter dem Titel „Kopf und Zahl: Lebensprägungen eines Außenseiters“ in gekürzter Form. Toni ist unzufrieden. Das Buch bewirkt aber, dass er und seine Kunst erneut in die Schlagzeilen kom-men. Die österreichische Fachzeitschrift „Die Münze“ sieht in ihm sogar den größten Münzdesigner überhaupt.

Anton Gerstner ist überzeugt, dass nur der Erfolg haben kann, der in der „Bussi-Bussi-Freunderlwirtschaft“, der Vettern-wirtschaft, mitmischt. Wenn ihm das große Geschäft versagt geblieben ist, so hat sein Hobby ihm den Weg in ein neu-es Leben geebnet, viel Genugtuung und auch Auszeichnungen gebracht. Wien kürt ihn 1990 zu Österreichs originells-tem Künstler. Auf der Welser Erfinder-messe wird er mit der Urkunde „Sonder-geistesblitz“ und der Medaille in Gold ausgezeichnet. 1992 verleiht ihm der Österreichische Patentinhaber- und Erfinderverband die Große Medaille in Gold für die Innovation. 1988 nimmt der Alte Souveräne Templer-Orden ihn in die Tafelrunde der Templer auf. Ein Jahr später verleiht ihm die italienische Accademico Internazionale Greci-Mari-no den Ehrentitel Ritter und Professor.

Das jetzt unter dem Titel „Der Münz-Rebell“ herausgebrachte Buch ist die überarbeitete Version seiner vor 20 Jah-ren verlegten Lebensgeschichte.

Anton Gerstner, „Der Münz-Rebell. Vom Kriegsflüchtling, Heimkind und Häftling zum großen Künst-ler“, Eigenverlag, ISBN 978-3-9504103-0-3 19.50 €

INFO

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DOD 06/2015 33Kultur

Überwindung derNachkriegsjahreAusstellungsprojekt „Die große Not“ erinnert an das Kriegsende 1945

Kontakt: Schlesisches Museum GörlitzBrüderstraße 802826 Görlitz, Tel. 03581 / 8791-0www.schlesisches-museum.deÖffnungszeiten:Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhrvom 2.1. bis 29.2.2016: Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr

INFO

Bereits im Mai 2015 hatte sich das Schlesische Museum zu Görlitz (SMG) mit Aufrufen in den Medien an die Öffentlichkeit gewandt und das Mitwirken von Vertriebenen, Flüchtlingen und deren Nachkom-men an einem neuen Ausstellungs-projekt erbeten. Es ging dabei vor-rangig um Erinnerungen an die Ereignisse in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges und an den schweren Alltag in den Nach-kriegsjahren.

Die Resonanz war groß. Das beweist einmal mehr, dass die längst vergan-

gen geglaubten Zeiten für die Betroffe-nen und ihre Angehörigen noch immer gegenwärtig sind. Vor allem in Görlitz/Zgorzelec trifft man auch heute noch häufig auf Zeugen und materielle Spu-ren. 1945 erlebte die Stadt einen exis-tentiellen Bruch in ihrer Entwicklung. Sie wurde durch eine vorher nicht gekannte Grenzlinie zertrennt, neue politische Verhältnisse änderten das Leben in Görlitz und Zgorzelec von Grund auf. Hier und in den umliegen-den Orten erlebte die Bevölkerung Not- und Leidensjahre.

Die neue Sonderausstellung des SMG „Die große Not. Erinnerung an das Kriegsende 1945 und den Neubeginn in Görlitz und Zgorzelec“ ist durch das Engagement von Privatpersonen sowie von Görlitzer Vereinen und Institutionen zustande gekommen. Verschiedene Andenken, Alltagsgegenstände, Fotos, Dokumente und Erinnerungsberichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges und aus den Nachkriegsjahren wurden dem Museumsteam für das Ausstellungsvor-haben zur Verfügung gestellt. Die Stadt-bibliothek Zgorzelec überbrachte ausge-wählte Beiträge des Projektes „70 Jahre Zgorzelec“, die aus privaten Fotografien und Texten eines Literaturwettbewerbes

entstanden sind. Diese bieten Einblicke in die persönlichen Erlebnisse der polni-schen Ansiedler am Ostufer der Neiße nach dem Kriegsende.

Zu den beeindruckenden Exponaten der Präsentation gehört unter anderem ein Tuch aus Schlesien, das gutbehütet die Zeiten überdauert hat. Auch der klei-ne Plüschhund, den ein Ost-Görlitzer Kind am Straßenrand fand, als die Fami-lie im Februar 1945 aus der Stadt vor der Roten Armee floh, hat seinen Platz in der Ausstellung gefunden. Hinzu kommt eine Geige, die mit auf der Flucht war

und die heute niemand mehr spielt. Der bekannte Schlesier und frühere

Landtagspräsident von Niedersachsen, Horst Milde, hat eine leinene Umhänge-tasche und die dazu gehörende Geschichte beigesteuert. Seine Mutter hatte die Tasche genäht, bevor sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn im Januar 1945, auf der Flucht vor der Roten Armee Breslau verließ. Die beiden erleb-ten eine monatelange Odyssee durch das zerstörte Deutschland. In Dresden über-lebten sie die Bombennacht vom 13. Februar. Ihr gesamtes Hab und Gut ver-brannte, nur der Beutel und sein Inhalt blieben erhalten. Als sie in Görlitz die Neiße auf den Trümmern des gespreng-ten Viadukts überquerten, um wieder nach Breslau zu kommen, liefen sie einer polnischen Patrouille in die Hände.

Die Männer drohten den beiden mit Erschießung, begnügten sich aber schließlich damit, den Beutel zu durch-suchen und alles Brauchbare an sich zu nehmen. In Breslau trafen Mutter und Sohn den Vater wieder. Im Juni 1946 wurde die Familie von dort vertrieben.

In der Ausstellung sind auch Doku-mente und Objekte zu sehen, die an die große Hungersnot erinnern, die 1945 und 1946 in Görlitz herrschte. Damals hofften tausende Flüchtlinge in der Stadt auf ein Signal, um wieder in ihre Heimat östlich der Neiße zurückkehren zu dür-fen. Viele Tagebuchseiten sprechen davon, wie die Menschen versuchten, sich selbst zu versorgen, „hamstern“ gin-gen oder Ähren von den abgeernteten Feldern klaubten.

Die Ausstellung „Die große Not. Erin-nerung an das Kriegsende 1945 und den Neubeginn in Görlitz und Zgorzelec“ ist bis zum 24. Juli 2016 im Schlesischen Museum zu Görlitz zu besichtigen. Geplant ist eine umfangreiche Internet-präsentation der Leihgaben und ihren Geschichten. Zur Vertiefung des Themas ist auch eine Vortragsreihe mit deut-schen und polnischen Referenten vorge-sehen.

Dieter Göllner

Umhängetasche von Horst Milde, der bei seiner Vertreibung aus Breslau durch Görlitz kam.

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Berlin. (dod) Anfang November trafen sich Presse-verantwortliche und Geschäftsführer aus den Landsmannschaften und Lan-desverbänden sowie einige BdV-Landesvorsitzende zu einem ersten „Runden Tisch zur Presse- und Öffentlich-keitsarbeit“ im BdV. General-sekretär Klaus Schuck hatte hierzu in die Bayerische Ver-tretung in Berlin eingeladen. Im Wesentlichen sollte es dar-um gehen, die Zusammenar-beit weiter zu stärken und im offenen Austausch festzustel-len, wie sich Synergieeffekte noch besser nutzen lassen, die sich aus gemeinsamen Strukturen ergeben.

Positive, frische Öffentlichkeitsarbeit

BdV-Präsident Dr. Bernd Fab-ritius MdB lag viel daran, die Veranstaltung persönlich zu eröffnen und die Anwesen-den in ihrem überwiegend ehrenamtlichen Einsatz zu bestärken. Eine positive, fri-sche Öffentlichkeitsarbeit sei heute mehr denn je geeignet, Verständnis und Akzeptanz für die Verbandsthemen zu erzeugen. Dies sei im vergan-genen Jahr auch gut gelun-gen. Die mit der aktuellen Flüchtlingssituation zusam-menhängende, verstärkte gesamtgesellschaftliche Aus-einandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertrei-bung bewirke ohnehin ein größeres Interesse an der Arbeit und den Positionen des BdV.

Viele BdV-Mitglieder wür-den in der derzeitigen Lage aus Schicksalsverbundenheit Empathie mit den heutigen Opfern von Flucht und Ver-treibung zeigen, erklärte Dr. Fabritius. Vergleiche zwi-schen der damaligen und der heutigen Situation seien zu begrüßen, wenn sie auch die historischen und politischen Unterschiede aufzeigen wür-den. Nach wie vor müsse sich der Verband für eine in internationaler Solidarität erfolgende Bekämpfung der Fluchtursachen im 21. Jahr-hundert einsetzen sowie gleichzeitig eine Integration der nach Deutschland und Europa kommenden Men-schen in den hier geltenden Wertekanon fordern und über die eigenen Strukturen mit begleiten. Überdies sei darauf zu achten, dass die gezeigte Hilfsbereitschaft nicht durch Trittbrettfahrer missbraucht werde. Auf die Art könne verhindert wer-den, dass die aktuelle Flücht-lingslage ein Einfallstor für extremistisches Gedanken-gut werde, so der BdV-Präsi-dent.Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehe auch die derzeitige Situation in der Bundesstiftung „Flucht, Ver-treibung, Versöhnung“ (SFVV). Der vom Stiftungsrat in der Nachfolge von Prof. Dr. Manfred Kittel gewählte Direktor Prof. Dr. Winfrid Halder habe sein Amt aus persönlichen Gründen nicht angetreten. Dies sei „sehr bedauerlich, aber zu respek-tieren“, meinte Dr. Fabritius.

Übergangsweise leite der Direktor der „Stiftung Denk-mal für die ermordeten Juden Europas“ Uwe Neumärker die SFVV. Nun gelte es, eine dauerhafte Lösung für die Stiftungsleitung zu finden. Dafür würden sich die sechs BdV-Stiftungsräte in ihrer Gremienarbeit einsetzen. Im Hinblick auf die Pressearbeit zur Stiftung müsse man „zusammenhalten und gemeinsam an einem Strang ziehen.“ Solange die SFVV entsprechend dem beschlos-senen Konzept arbeite, sei das Gesamtprojekt auf einem guten Weg.

Arbeitsgespräch mit Mitarbeitern

Im weiteren Verlauf der Ver-anstaltung nutzten zahlrei-che Teilnehmer die Gelegen-heit, im Arbeitsgespräch mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär einige der drängendsten Fragen zu

behandeln. Außerdem wur-de unter der Leitung von BdV-Pressesprecher Marc-P. Halatsch bzw. DOD-Chefre-dakteur Markus Patzke gemeinsam über die Zusam-menarbeit im Pressebereich beraten und überlegt, wie der Informationsaustausch weiter verbessert und Orga-nisationsabläufe erleichtert werden können. Besonderer Wert wurde dabei auf den neuen Außenauftritt des Ver-bandes sowohl im Schrift- als auch im Onlinebereich gelegt. Viele der Anwesen-den zeigten Interesse daran, diesen im Sinne einer „Cor-porate Identity“ auch in ihren jeweiligen Landesverbänden umzusetzen. Die Resonanz auf diesen ers-ten „Runden Tisch“ war posi-tiv. Häufig wurde der Wunsch geäußert, ein sol-ches Podium zum Austausch über Fragen der Presse- und Öffentlichkeit doch regelmä-ßig stattfinden zu lassen.

Marc-P. Halatsch

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB (hinten im Bild, 2. v. r.) berichtet zu aktuellen Themen des Verbandes.

BdV-Archiv (1); Göllner (1)

34 DOD 06/2015Nachrichten

„Runder Tisch“ zur Presse- und ÖffentlichkeitsarbeitBündelung gemeinsamer Interessen im Vordergrund

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Ausstellung um Haus Schlesien.

DOD 06/2015 35Nachrichten

die Vertreibung von Polen und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ebenfalls bis zum 24. Januar 2016 ist im Haus Schlesien

die Kabinettausstellung „Fes-tung Breslau – 70 Jahre danach“ zu sehen.Ab 31. Januar 2016 wird in Königswinter Gleiwitzer Eisenkunstguss aus der Sammlung Gerhard Biadacz aus Bonn in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Sonderausstellung unter dem Motto „Eisern gesammelt“ steht unter der Schirmherr-schaft von Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregie-rung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Bun-desministerium des Innern.

ten der Provinz Brandenburg. Sowohl die Ausstellung wie auch der begleitende Bild-band sind das Ergebnis der deutsch-polnischen Koopera-tion.Vom 16. Januar bis zum 28. März zeigt das Westpreußi-sche Landesmuseum in Zusammenarbeit mit der Kul-turstiftung der deutschen Ver-triebenen die Sonderausstel-lung „Backsteinarchitektur im Ostseeraum“.

Es geht wieder los …

Der Neubau des Ostpreußi-schen Landesmuseums im Innenhof der Heiligengeist-straße Nr. 38 wird künftig als zentrales Eingangsgebäude für den gesamten Museums-komplex dienen. Dieser weit-gehend fertig gestellte Teil des Hauses wird im neuen Jahr interessante Kabinettaus-stellungen beherbergen. Und außerdem: Nach einem Jahr Pause finden im licht-durchfluteten Glas-Foyer des Neubaus wieder kulturelle Veranstaltungen statt. Zum

ersten Termin am 25. Febru-ar 2016 wurde der ostpreußi-sche Schriftsteller Arno Sur-minski eingeladen, der aus seinem Bestsellerroman „Jokehnen oder Ein Dorf in Ostpreußen“ liest.Die Modernisierungs- und Erweiterungsarbeiten am

Ostpreußischen Landesmuse-um Lüneburg werden unter-stützt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kul-tur und Medien, vom Minis-terium für Wissenschaft und Kultur des Landes Nieder-sachsen, dem Europäischen Fonds für Regionale Entwick-lung, der Deutschbaltischen Kulturstiftung, der Kloster-kammer Hannover sowie der Stiftung Niedersachsen.

Vertreibung und Eisengusskunst

Um das Thema der Vertrei-bung aus und nach Schlesien in den Jahren 1945 bis 1947 geht es im Haus Schlesien von Königswinter-Heisterba-cherrott bis zum 24. Januar 2016 im Rahmen der Aus-stellung „Der Weg ins Unge-wisse“. Die zweisprachig gehaltene Präsentation doku-mentiert die unterschiedli-chen Sichtweisen rund um

Neues Jahr –neue ProgrammeVeranstaltungshinweise aus den Museen und Institutionen

Museen und Kulturinstitutio-nen des West-Ost-Dialoges setzen im Jahr 2016 ihre viel-seitigen Programme und Pro-jekte fort.

Danzig im Luftbild

„Danzig im Luftbild der Zwi-schenkriegszeit“ – die im Oktober 2015 eröffnete Aus-stellung des Marburger Her-der-Instituts in Zusammenar-beit mit dem Verlag Via Nova in Breslau/Wrocław und dem Stadtamt Danzig/Gdańsk – ist im Westpreußi-schen Landesmuseum von

Warendorf noch bis zum 10. Januar 2016 zu besichtigen. Die großformatigen Fotografi-en aus dem Jahr 1929 zeigen das historische Danzig aus der Vogelperspektive. Die mit einer Handkamera fotogra-fierten Einzelbilder entstan-den während einer Aufnah-mekampagne des in Breslau ansässigen Aerokartographi-schen Instituts (AKI). Die Bil-der sind heute Teilbestand der im Herder-Institut aufbe-wahrten Sammlung Hansa Luftbild mit 4.475 Schwarz-Weiß- Luftbildern der ehema-ligen preußischen Provinzen Schlesien, Pommern, Ost-preußen, der Freien Stadt Danzig und einigen östlich der Oder gelegenen Ortschaf-

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DZM (1); Göllner (1)

36 DOD 06/2015Nachrichten

Vortragsreihe und Kinoprogramm

Zur aktuellen Sonderausstel-lung im Schlesischen Muse-um zu Görlitz (SMG) „Die große Not. Das Kriegsende 1945 und der Neubeginn in Görlitz und Zgorzelec“ findet ein umfangreiches deutsch-polnisches Vortragsprogramm statt. Die Veranstaltungen werden in Kooperation mit

der Kulturreferentin für Schlesien, Miejski Dom Kul-tury w Zgorzelcu und Mee-tingpoint Music Messiaen e.V. abgehalten. Am 9. Januar 2016 ist im Europäischen Zentrum auf dem Stalag-Gelände, Koźlice 1, Zgorzel-ec ein Vortrag am historisch-musikalischen Wochenende des Meetingpoint Music Messiaen e.V. anberaumt. Thomas Warkus und Renata Kobylarz-Buło sprechen über „Das System der deutschen Kriegsgefangenenlager und die Geschichte des Lagers Lamsdorf“.Am 27. Januar referiert Dr. Martina Pietsch im Schlesi-schen Museum zu Görlitz zum Thema „Krieg und Hun-ger“. Am 25. Februar ist Dr. Jasper von Richthofen zu Gast im SMG. Er spricht über „Kriegsverlust und Beute-kunst. Der schwierige Umgang mit kriegsverlager-ten Kulturgütern des Kultur-historischen Museums Görlitz“.Um Aspekte des Auf-schwungs und der beginnen-den Krise im Görlitz der soge-nannten „Goldenen Zwanzi-ger Jahre“ geht es am11. Januar 2016 im Vortrag von Wolf-Dieter Fiedler.Am 1. Februar 2016 wieder-um ist im Görlitzer Schönhof

ein Kinoabend geplant. Zu sehen ist der DEFA-Film aus dem Jahr 1983 „Der Aufent-halt“ von Frank Beyer, der auf einem Roman von Hermann Kant basiert. Den Einfüh-rungsvortrag übernimmt Dr. Burkhard Olschowsky vom Bundesinsttut für Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa in Olden-burg (BKGE). Kino im Schönhof gibt es auch am 15. Februar, wenn der Dokumentarstreifen „Söhne“ von Volker Koepp läuft. Die Kulturreferentin organi-siert übrigens in Zusammen-arbeit mit dem Krippenverein Schirgiswalde e.V. und der Görlitz-Tourist am 16. Januar 2016 eine Tagesfahrt zu den Weihnachtskrippen in Schle-sien. Die Reise führt nach Breslau, wo eine große Sonderausstellung zu histori-schen Krippen im Stadtmuse-um gezeigt wird.

Kattowitz-Höhepunk-te und „Preußentag“

Wer am Jahresanfang das Oberschlesische Landes-museum in Ratingen-Hösel besucht, kann neben der Dauerpräsentation des Hau-ses auch zwei Sonderausstel-lungen besichtigen. Zum einen ist die Schau zum 150-jährigen Stadtjubiläum von Kattowitz, die in Zusam-menarbeit mit dem Histori-schen Museum der Stadt Kat-towitz realisiert wurde, bis zum 3. Februar 2016 zu

sehen. Ausgestellt sind u.a. feines Porzellan aus dem Werk Giesche (später Boguci-ce), Fahrräder der weltweit bekannten Firma „Ebeco“,

Brillen, Ferngläser, Fotoappa-rate, Mikroskope und andere optische Produkte von Johann Wyk sowie nicht zuletzt bekannte Kosmetika-Artikel wie „Nivea“ und „Hansaplast“. Zum anderen ist in Ratingen die vor kurzem eröffnete Schau „Für Leib und Seele – Von der Kultur des Essens und Trinkens“ zu besichti-gen. Ausstellungsbegleitend gibt es Führungen, Work-shops und Aktionstage mit kleinen Verkostungen und praktisch-kreativen Program-men.Terminhinweis: Nicht verpas-sen sollte man den „Preußen-tag“ am 24. Januar im Ober-schlesischen Landesmuseum, der an Friedrichs 304. Geburtstag erinnert. Für die-sen Aktionstag ist übrigens die Anmeldung bis zum 15. Januar 2016 erforderlich.

„Donaublicke“

Bis zum 28. März 2016 zeigt das Donauschwäbische Zent-ralmuseum in Ulm die Aus-stellung „Donaublicke – Ungarische Kunst aus Szen-tendre“. Zu sehen sind u.a. Arbeiten von Béla Ónódi, Ernö Jeges, Mária Modok, Miklós Bánovszky und József

Bartl. Öffentliche Führungen durch die Kunst-Ausstellung sind am 10. und 24. Januar 2016 sowie am 14. und 28. Februar vorgesehen.Übrigens: Parallel zur Sonderausstellung „Donau-blicke“ setzten sich Schüle-rinnen und Schüler des Ulmer Anna-Essinger-Gymna-siums in einem Kunstprojekt mit der Donau und ihrer Stadt auseinander. Die Ergeb-nisse ihrer kreativen Arbeit sind ebenfalls bis zum 28.

März in einer eigenen Aus-stellung im Donauschwäbi-schen Zentralmuseum zu sehen.Am 3. und 17. Januar sowie am 21. Februar 2016 gibt es im DZM Ulm öffentliche Führungen unter dem Motto „Deutsche Spuren in Südost-europa“. Spannend dürften auch die Schauspielführun-gen durch das Museum sein, die am 31. Januar und am 7. Februar 2016 stattfinden.Die Theateraufführung mit dem Titel „Hinter.Welt“ ist für den 26., 27. und 28. Feb-ruar 2016 geplant.

Mehr als nur Modeschmuck

Bis zum 14. Februar 2016 kann im Isergebirgs-Museum von Kaufbeuren-Neugablonz die Ausstellung „Mitgenom-men – Heimat in Dingen“ besichtigt werden. Anhand von zahlreichen Gegenstän-den – sei es ein Teddybär aus dem Rucksack eines kleinen Brünner Mädchens oder der B l e ch -t e l l e r e i n e s Lagerin-s a s s en aus in Ungarn – wird aufgezeigt, welch hohen ideellen Wert einfache Gegenstände haben, die im Flucht- und Vertreibungsge-päck in den Westen gelang-ten. Die Ausstellung, die in Kooperation mit dem Haus des Deutschen Ostens reali-siert wurde, dokumentiert die Zeit vom Ende des Zeiten Weltkriegs, die durch Flucht, Vertreibung und Deportation der Deutschen aus dem östli-chen Europa geprägt war.Im Jahr 2000 wurde die Stif-tung Isergebirgs-Museum als Träger des künftigen gemein-samen Museums gegründet, das in 2003 eröffnet wurde. Heute ist das Haus eines der

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Made in Kattowitz im Oberschlesischen Landesmuseum.

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größten Privatmuseen in Bay-ern. Das Museum erinnert an die rund 400-jährige deutsch geprägten Kultur und Indust-rie in den sudetendeutschen Bezirken Gablonz, Reichen-berg und Friedland. Der Name Neugablonz steht für Modeschmuck und Imitate aus funkelnden Glassteinen und bunten Perlen.

Migrationsgeschichte

Bis zum 17. April 2016 ist im Siebenbürgischen Museum auf Schloss Horneck in Gun-delsheim am Neckar die Aus-stellung „… weil Leben wan-dern heißt“ geöffnet. Das Thema der Migrationsge-schichte wird am Beispiel

von ausgewählten Objekten dargestellt, wobei die histori-schen Wanderungsbewegun-gen nach und aus Siebenbür-gen nachvollzogen werden. Bei einem Rundgang wird es dem Betrachter deutlich, dass Migration keine Erfahrung

der gegenwärtigen Gesell-schaft ist, sondern dass diese Bewegungen aus unter-schiedlichen Gründen zu allen Zeiten stattgefunden haben. Siebenbürgen unter-streicht mit seiner wechsel-vollen Geschichte diese The-se einmal mehr.

Dieter Göllner

Arbeitseinsatz mit ErgebnisBJO säuberte Kriegerdenkmal Gutfließ. (dod) Unzählige Kriegerdenkmale und Solda-tenfriedhöfe wurden in Ost-preußen nach dem Ersten Weltkrieg errichtet. Während im Königsberger Gebiet man-che in Verges-senheit gera-ten oder ver-schwunden sind, wurden andere in den letzten Jahren a u f w e n d i g restauriert, wie der Soldaten-friedhof Mattischkehmen.Es gibt private russische Initi-ativen, welche es sich in ihrer Freizeit mit viel Enthusias-mus zur Aufgabe gemacht haben diese Stätten zu erhal-ten. Nur Wenigen dürfte das Kriegerdenkmal zur Erinne-rung an die Gefallenen Solda-ten des Ersten Weltkrieges in Eszerninken/Gutfließ (Kras-naja Dubrawa) bekannt sein. Allerdings war das Denkmal bis vor Kurzem stark von Bewuchs verdeckt und daher kaum zu finden. Dazu waren die Inschrift auf dem Stein und die Namen auf der Platte nur noch schwer lesbar – Ver-witterung und Natur haben das Denkmal über die Jahr-zehnte beschädigt.Auf den regelmäßigen Fahr-ten des Bundes Junges Ost-preußen ist es inzwischen zur Selbstverständlichkeit gewor-den, auch tatkräftig den Spa-ten zur Hand zu nehmen. Deshalb hat der BJO in der ersten Augustwoche im Rah-men seiner Sommerfahrt einen Arbeitseinsatz an dem Kriegerdenkmal durchge-führt. Nachdem der Friedhof mit dem versteckten Denk-

mal gefunden worden war, fiel zunächst der Zustand ins Auge. Dabei ist für die vielen Jahrzehnte ohne Pflege noch viel erhalten geblieben. Im Rahmen des Möglichen wur-de das Denkmal von der Gruppe mit Hilfe von Ketten-säge, Motorsense, Axt und Bürste von Bewuchs befreit und gesäubert. So ist das Kriegerdenkmal nun zunächst wieder sehr gut von dem Weg aus sichtbar und die Namen der Gefalle-nen sind lesbar. Außerdem konnten die alten Stufen in der Erde freigelegt werden. Die Inschrift des Steins wur-de schließlich noch mit Farbe nachgemalt und die großen Worte sind gut zu erkennen: „Sie starben daß wir leben! Weltkrieg 1914/1918.“Mit diesem Einsatz wurde ein kleiner Beitrag mit sym-bolischem Wert für den Erhalt des Kulturerbes Ost-preußens geleistet. Um das Denkmal auch für kommen-de Generationen erhalten zu können, bedarf es allerdings einer professionellen Restau-rierung. In den letzten Jahren wurden bereits im Rahmen eines rus-sischen Projekts mit beachtli-chem finanziellen Aufwand im Königsberger Gebiet Sol-datenfriedhöfe restauriert. Es ist zu hoffen, dass es in die-sem Rahmen von der Gebiets-regierung Beachtung findet. Gerade in den heutigen Zei-ten sollte ein Gedenken an die gefallenen Soldaten der Weltkriege Ehrensache, Ver-pflichtung und Mahnung zugleich sein.

Marius Jungk

Donaublicke – Szentendre. Malerei von Fedor Perrey Perron.

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Hohegrete. (dod) Seit nun-mehr 16 Jahren veranstaltet der Frauenverband im BdV Begegnungstagungen, die sich mit den Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung befassen. „Unsere Väter. Wel-che Fußabdrücke hinterlie-ßen sie in unserem Leben? Wie gestalten wir gesamteu-ropäisches Handeln auf die-sem Erfah-rungshin-tergrund?“ So lautete das Thema der interna-tionalen Begegnungstagung, die im September 2015 in Hohegrete stattfand und zu der Präsidentin Dr. Maria Werthan wieder Teilnehmer aus dem In- und Ausland begrüßen konnte. Auf der Grundlage des aktu-ellen Forschungsstandes erläuterte der Historiker Prof. Dr. Matthias Stickler die his-torischen Hintergründe von Flucht und Vertreibung der Deutschen. Außerdem schil-derte er die sehr unterschied-lich betriebene Integration der Entwurzelten in den bei-den deutschen Staaten sowie Österreich. So unterschieden sich auch die Bezeichnungen entsprechend der jeweiligen politischen Lage (Vertriebene, Umsiedler/Neubürger, Aus-siedler, Übersiedler). Die Sozi-alwissenschaftlerin Dr. Maria Werthan stellte Ziele und Strategien von Erziehung in Diktaturen („Totale Erzie-hung“) am Beispiel der NS- und SED-Diktatur dar, wobei die Frage nach der Wirkung dieser Erziehung nicht ein-

„Unsere Väter. Welche Fußab-drücke hinterließen sie?“

Privat (1)

Frauenverband beschäftigt sich mit den Folgen von Flucht und Vertreibung

deutig zu beantworten sei. Dr. Otfrid Pustejovsky, Histo-riker und Theologe, unter-suchte die deutsche Gesell-schaftsdebatte 2000-2015. Nach Phasen des Verschwei-gens und Verdrängens in den Jahren nach Kriegsende sei man mittlerweile zu einer wissenschaftlichen, publizisti-schen und medialen Beschäf-tigung mit generationsüber-greifenden Kriegs- und Kriegsfolgeschäden im euro-päischen und Welt-Kontext gekommen: von Ostpreußen 1944 bis Syrien, dem Irak usw. im Jahre 2015. Bahn-brechend sei die Erkenntnis gewesen, dass auch weit zurückliegende Ereignisse eine Posttraumatische Belas-tungsstörung (PTSB ) auslö-sen könnten. Über viele unterschiedliche Gruppen elternloser Kinder in der Tschechoslowakei der Nachkriegszeit sprach der Journalist Dr. Jaroslav Sonka: Jüdische Überlebende aus den KZs, russische Emigran-ten, aus der Karpato-Ukraine geflüchtete ehemalige Tsche-choslowaken, Überlebende aus Lidice, deutsch-tschechi-sche Mischlinge. Unter der einsetzenden kommunisti-schen Dominanz hatten nicht nur sie zu leiden, sondern auch der evangelische Theo-loge Přemysl Pitter, der ein Projekt organisierte, bei dem Waisenkinder in Schlössern untergebracht, gepflegt und unterrichtet wurden – unter ihnen auch viele unterernähr-te sudetendeutsche Kinder aus Sammellagern. (Nach dem kommunistischen

Putsch 1948 wurde Pitter verfolgt und ging 1950 in den Westen, wo er sich weiterhin um Waisenkinder kümmer-te.) Der Psychoanalytiker Dr. Bertram von der Stein beleuchtete die Rolle der Väter. Die Ende des 19. Jahr-hunderts gültige traditionelle Geschlechterrolle wurde im Nationalsozialismus durch das Ideal der Männlichkeit verstärkt. So wurde der im Krieg gefallene Vater den Kin-dern häufig als eine Lichtge-stalt dargestellt, der sie nach-eifern sollten, an die sie aber nie heranreichen würden, was ihr ganzes Leben prägte. Viele Patienten suchten erst im fortgeschrittenen Alter einen Therapeuten auf. Da es in der Psyche keine Stunde null gäbe, könne ein Kollek-tiv-Trauma bis in die dritte oder vierte Generation wei-tergegeben werden. Die in Reschitz (Rumänien) tätige Gymnasiallehrerin Florica Molnar stellte die Situation vieler Kinder in Rumänien dar: Mehr als zwei Millionen rumänische Bürger arbeiten laut Schätzungen des Arbeits-ministeriums in den EU-Län-dern. Während die Eltern den Lebensstandard ihrer Familien verbessern wollten und nur selten nach Hause kämen, seien die Kinder über lange Zeit bei Verwandten oder Fremden untergebracht. Kinder, deren Eltern sie mit Gesprächen darauf einge-stimmt hätten und die liebe-voll mit ihnen umgingen, könnten die Situation recht gut verkraften. Dagegen gebe es auch Kinder, die völlig

unvorbereitet mit der neuen Lage konfrontiert würden. Bei ihnen habe man gesund-heitliche Beeinträchtigungen (u.a. Ess- und Schlafstörun-gen, Depressionen) festge-stellt. Viele schwänzten den Unterricht, einige würden kriminell. Die wissenschaftlichen Vor-träge wurden abgerundet durch persönliche Schilde-rungen und Erlebnisberichte einzelner Schicksale. Die Dänin Henny Granum, die mit ihrer deutschen Halb-schwester angereist war, ist Vorsitzende der Danske Krigsbørns Forening und Sekretärin von „Born of war – International Network“. Sie berichtete über die Arbeit ihres Verbandes und ihre Suche nach ihrem deutschen Vater. Gertraud Wiggli von Löwenich las aus ihrem Buch „Mein Bild des Vaters – Auf der Suche nach meinem Vater, der als Wehrmachts-pfarrer in Stalingrad starb“. Sie schilderte die mühevolle Annäherung an einen Vater, den sie nie kennengelernt hatte, den die Mutter den Kindern aber als eine gottähn-liche Autorität darstellte. Der Philosoph Prof. Dr. Karol Sau-erland schilderte, wie ein Kind mit einem ungewissen Vaterbild aufwächst: sein Vater wurde kurz nach der Geburt des Sohnes (1936) in Moskau verhaftet. Paul Schmitz zeigte eine Filmre-portage des deutschsprachi-gen belgischen Fernsehens über die Suche nach seinem amerikanischen Vater.

Heidrun Ratza-Potrÿkus

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DOD 06/2015 39Nachrichten

Düsseldorf. (dod) Einen Gast von der Staatlichen Kant-Universität Kaliningrad/Königsberg konnte der BdV-Landesverband als Referen-ten zu seiner Kulturtagung im GHH in Düsseldorf begrü-ßen. Prof. Dr. Wladimir G i lmanov sprach über „Die regio-nale Ideen-geschichte von der Reformation über Kant bis zum Untergang Königsbergs und die moder-ne Weltkrise“.Der Philosoph, Literatur- und Kulturwissenschaftler nannte sich selbst ein „Kind eines weltgeschichtlichen Phäno-mens“ und meinte damit sei-ne Heimatstadt Königsberg-Kaliningrad. 1955 im bereits russischen Kaliningrad gebo-ren, ist er als Germanist und Philosoph ein führender Experte für die deutsche Geistesgeschichte Königs-bergs. Dass er selbst ein „Phä-nomen“ ist, zeigte sich bei der Aussprache, als die beein-druckten Zuhörer sich über sein exzellentes Deutsch, sei-ne profunden Kenntnisse der deutschen Geschichte und seinen jahrzehntelangen Ein-satz für den deutsch-russi-schen Dialog äußerten.In Kants Aufsatz „Vom Ende aller Dinge“ von 1794 wie auch in der Schrift „Zum ewi-gen Frieden“ fand Gilmanov drei eschatologische Möglich-keiten. 1. Das natürliche Ende aller Dinge werde von Gott gesprochen, dessen Dasein Kant postuliere. Die

Oberschlesisches Landesmuseum und Gerhart-Hauptmann-Haus als Stationen

Kulturtagung beim Landesver-band Nordrhein-Westfalen

Prof. Dr. Wladimir Gilmanov referierte im Gerhat-Hauptmann-Haus bei der Landeskulturtagung des BdV-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.

Aufgabe des Menschen sei das praktische Handeln auf der Grundlage des morali-schen Gesetzes. 2. Das über-natürliche mystische Ende ergebe sich aus der Ordnung der Dinge, die der Mensch nicht verstehe. 3. Das wider-natürliche Ende führe der Mensch selbst herbei.Dazu habe er heute die Mög-lichkeit und stehe vor einer existenziellen Entscheidung, denn das bedeutet „Krise“ im Griechischen. Gilmanov nannte Königsberg einen „eschatologischen Topos der Weltgeschichte“, der den Spannungsbogen zwischen Untergang und Rettung in seinem Schicksal und seiner Ideengeschichte geradezu symbolisiere. An mehreren Namen und Epochen machte er diese Beobachtung fest. In der Klage Simon Dachs (1605-1659) über das Ende der „Kürbishütte“ werde die-ses Gärtchen Heinrich Alberts am Pregel zu einem Symbol der Vergänglichkeit und zugleich zum Emblem für die gesamte Menschheit, die der Sterblichkeit unterliegt oder, wie im 30-jährigen Krieg, ihr „eigener Henker“ gewesen ist. Doch Gilmanov stellte dem das Postulat und das Bekenntnis der Liebe entge-gen, wie es in dem Hoch-zeitscarmen „Ännchen von Tharau“ durchklingt und Simon Dach als Hoffnungsträ-ger ausweist.Chancen und Probleme eines kulturellen Miteinanders sprach auch Dr. Tobias Körfer, AGMO e.V., in seinem Refe-rat „Zwischen Recht und

Wirklichkeit – Die Deutsche Volksgruppe in Schlesien“ an. Es ging um das „Menschen-recht auf Muttersprache“ für die deutsche Minderheit im heutigen Polen, das beson-ders im Bildungsbereich ver-wirklicht werden sollte, d.h. durch Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache oder mit Zweisprachigkeit. Der Referent berief sich auf die „Allgemeine Erklärung der UNESCO zur kulturellen Vielfalt vom November 2001“ und auf die „Europäi-sche Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 5. November 1992“. Beide betonen das Recht eines jeden, sich „in der Spra-che seiner Wahl auszudrü-cken“, „insbesondere in sei-ner Muttersprache“, wobei der „Spracherwerb durch Schulunterricht“ betont wird. Auch die Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997 enthält das Recht von Minderheiten auf „Bildung eigener Ausbildungs- und Kultureinrichtungen“, und auch der deutsch-polnische

Nachbarschaftsvertrag er-mögliche einen deutschspra-chigen Unterricht. Rechtliche Voraussetzungen seien vor-handen, betonte Dr. Körfer, und eine entsprechende Schülerklientel auch. Schüt-zenhilfe komme jetzt von der Bundesrepublik durch den Beauftragten für Aussied-lerfragen und nationale Min-derheiten Hartmut Koschyk sowie durch den Dachver-band der Deutschen in der Republik Polen unter Füh-rung von Bernard Gaida.Die Kulturreferentin Dr. Bär-bel Beutner sprach abschlie-ßend über die „Literarischen Landschaften Schlesien und Ostpreußen“. Gerade von Schlesien gingen entschei-dende Impulse für die deut-sche Sprache aus. Von der reichen ostpreußischen Dich-tung wurde nur kurz Königs-berg thematisiert. „...und daß du, Königsberg, nicht sterb-lich bist“, wie Agnes Miegel in „Abschied von Königs-berg“ dichtete, hatte Prof. Dr. Gilmanov hinreichend be-wiesen. BB

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40 Nachrichten DOD 06/2015

von dem Vortrag der Landes-beauftragten der Hessischen Landesregierung für Heimat-vertriebene und Spätaussied-ler, Margarete Ziegler-Rasch-dorf: „1990-2015 – 25 Jahre Patenschaft des Landes Hes-sen über die Landsmann-schaft Weichsel-Warthe“.Auch die beiden folgenden Beiträge waren Vorträge bei der Bundeskulturtagung 2015: Harald Schäfer referier-te über „Posener Deutsche in Hessen und Hessen im Posener Land“ und Dr. Mar-tin Sprungala über „Hessen in Polen“. Auch Dr. Helmut Neubach fand einen Posener in Hessen „Wie der Wollstei-ner Lehrer Adolf Sabor den Frankfurter Zeitungskönig Leopold Sonnemann besieg-te“.Als Zeitzeuge berichtete der frühere Lan-d e s b e a u f -tragte und Vorgänger von Frau Z i e g l e r -Raschdorf, Rudolf Fried-rich, über „Patenschaft als Brücke zur Verstän-digung nut-zen“.Eine ethi-s c h e Betrachtung über sein kulturelles Erbe aus dem Osten schildert Rolf Stolz in „Familie damals und heute – Was strahlt von der Warthe bis in den Westen?“Im Jahr 2016 wäre der Ost-europawissenschaftler Prof.

Wiesbaden. (dod) Das 62. Jahrbuch ist erstellt. Themen-schwerpunkt ist das 25-jähri-ge Jubiläum der Landespaten-schaft des Landes Hessen über die LWW. Das Titelbild zeigt in der Mit-te die Patenschaftsurkunde und sie umgebend Fotos von Veranstal-tungen des L a n d e s Hessen, an der die LWW explizit beteiligt war. Auch das Kalendarium nimmt sich des Titelthemas an und zeigt auf den Monats-seiten weitere Fotos von Ver-anstaltungen. In einem gesonderten Text zu den Vig-netten stellt Dr. Sprungala die Hintergründe dar.Das geistliche Wort schrieb Altbischof Dr. Johannes Laun-hardt. Dr. Martin Sprungala erinnert in seinem Nachruf an den langjährigen Mitarbei-ter LWW-Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Ger-hard Kröning.Es folgt das Kalendarium und die „Bunten Seiten“ mit Fotos der Bundesversamm-lung und Bundeskulturta-gung 2015. Eine hohe Ehrung erfuhr im Sommer 2015 der LWW-Landesvorsit-zende Hans-Werner Carlhoff, die hier nicht unerwähnt blei-ben soll.Im Folgenden ist die „Festre-de des Staatssekretärs Dr. Wolfgang Dippel“ bei der Bundeskulturtagung 2015 zum Jubiläum der Landespa-tenschaft abgedruckt, gefolgt

LWW (1); Ostpreußen-TV (1)

Themenschwerpunkt ist das Jubiläum der Landespatenschaft Hessens

Das Jahrbuch Weichsel-Warthe 2016 ist erschienen

Dr. Gotthold Rhode 100 Jah-re alt geworden. An dieser Stelle wird daran erinnert, indem Teile einer Arbeit von ihm, die wenige Jahre vor der Wiedervereinigung verfasst wurde, hier nochmals abge-druckt werden, um zu zei-gen, wie vorausschauend er, aus der inneren Haltung auch vieler in der LWW, war: „Deutsch-polnische Nachbar-schaft – gestern und heute“. Einen Blick in die heutige Arbeit gibt Klaus Steinkamp in „Kolmar in der Presse von Chodzież“. Über „Auslandsdeutsche pfle-gen ihr kulturelles Erbe“ schreibt Armin Hirsekorn, über den „Kirchengesangs-verein ‚Harmonia‘ in Kons-tantynow“, und Martin Sprungala erinnert an eine unbekannte Episode bei

K r i e g s b e -ginn 1939 und eine p o l n i s c h e Sicht darauf: „Polnischer-Blitzkrieg“-Vorstoß auf F r a u s t a d t und Geyers-dorf am 2.9.1939.G ü n t h e r Raatz stellt die Pfarrers-familie von Holst in

„Ende von 700 Jahren Tradi-tion – und dann?“ vor, die aus Estland stammend ins Posener Land umgesiedelt und dann 1945 nach Mittel-deutschland vertrieben wur-de.

Auch in diesem Jahrbuch zitiert Götz Urban interessan-te Passagen aus „Arthur Rho-des Erinnerungen an die Kriegszeit in der Provinz Posen 1914-1920“.An „Das Leben der deut-schen Bauern im Dobriner Land, Polen“ und ihre Mund-art erinnert Elfriede Eichel-kraut und die wenig bekann-te „Broschüre ‚Der Jude‘“ stellt Martin Sprungala vor und versucht die Hintergrün-de aufzuklären.Klaus Steinkamp widmet sich im Folgenden der „Germania – Ein vergessener Mythos“. Auch Götz Urban nimmt einen Mythos in Augen-schein „Konstanten und Wandlungen im Polenbild Friedrichs des Großen“. Mit „Weihnachten auch anders“ widmet sich Marga-rete Schönfeldt dem Jahresab-schluß. Den Abschluss dieses Jahrbuchs bildet eine Betrach-tung von Rüdiger Wertz „Ein Lütjenburger Pastor auf Wan-derschaft. Von Osterhever nach Dornfeld in Galizien und zurück nach Schleswig-Holstein“.Der Bezugspreis beträgt für das Einzelexemplar 10,50 € (europäisches Ausland und Übersee 13,50 €), bei Abnah-me von 3-9 Exemplaren je 9 € und von mehr als 10 Exem-plaren je 8,45 €. Überweisen Sie den Bezugspreis oder for-dern Sie Exemplare bei der Landsmannschaft Weichsel-Warthe, Bundesverband e.V., 65185 Wiesbaden, Friedrich-str.35 III., Tel. 0611/379787 gegen Rechnung an.

Martin Sprungala

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DOD 06/2015 41Nachrichten

Schwerin. (dod) Es war ein rauschendes Jubiläumsfest – das 20. Landestreffen der Ostpreußen am 26. Septem-ber. Mit über 2000 Besu-chern war die Sport- und Kongresshalle Schwerin bis auf den letzten Platz gefüllt. Hochkaräti-ge Gäste gaben sich die Ehre, so der Bot-schafter der R e p u b l i k Litauen in Deutschland, Deividas Matu-lionis, die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vor-pommern, Uta-Maria Kuder, und der Bundessprecher der Landsmannschaft Ostpreu-ßen, Stephan Grigat, sowie etliche Vertreter ostpreußi-scher Kreisgemeinschaften. Busse kamen nicht nur aus Anklam, Greifswald und Neubrandenburg, sondern auch aus Iserlohn, Hamburg und Reutlingen. Etwa 300 Besucher waren erstmals dabei. Denn die Landesgrup-pe der Ostpreußen hatte zum Jubiläum ein opulentes Non-stop-Programm vorbereitet: 130 Landsleute brachten musikalische Grüße direkt aus der Heimat mit. Das Lan-despolizeiorchester Mecklen-burg-Vorpommern umrahm-te diesen Tag, der den Ost-preußen und Gästen von nah und fern viel zu geben hatte.Organisiert wurde die Groß-veranstaltung vom Landes-vorsitzenden der Ostpreußen in Mecklenburg-Vorpom-mern, Manfred Schukat, mit einem 40-köpfigen ehrenamt-

Ostpreußen treffen sich in Schwerin zum Jubiläum20. Landestreffen mit über 2000 Besuchern

lichen Helferkreis. Seit 1996 finden diese Landestreffen jährlich wechselnd auch in Rostock und Neubranden-burg statt. Die große Sport- und Kongresshalle Schwerin war bereits tags zuvor von fleißigen Händen mit leucht-enden Sonnenblumen und den Schildern der 40 ostpreu-ßischen Heimatkreise festlich ausgeschmückt worden. Emotionaler Höhepunkt war der feierliche Einzug aller ost-preußischen Heimatfahnen in die Halle, begleitet vom Landespolizeiorchester unter den Klängen von „Preußens Gloria“. Nach dem ergreifenden Totengedenken an das Kriegs-ende, Flucht und Vertreibung vor 70 Jahren hatte das Lan-despolizeiorchester eigens die litauische Nationalhymne einstudiert. Damit wurde als höchster Ehrengast der litaui-sche Botschafter begrüßt. Deividas Matulionis erinnerte in seiner Ansprache an die über 500-jährige friedliche Nachbarschaft Litauens zu Ostpreußen, die seinem Land viel gegeben hat. Ebenfalls großen Applaus bekam Justizministerin Uta-Maria Kuder, als sie dem Lan-desvorsitzenden einen För-derbescheid von 12500 Euro für die völkerverbindende Arbeit der Landsmannschaft in Mecklenburg-Vorpom-mern überreichte. In ihrer Ansprache zog die Ministerin Parallelen zum heutigen Flüchtlingsproblem, worauf Schukat entgegnete: „Wir Ostpreußen wären nach 1945 zu Fuß zurück nach

Hause gegangen, wenn man uns nur gelassen hätte. Die Ursachen von Flucht und Vertreibung müssen in den Herkunftsländern gelöst wer-den.“ Als darauf der Bundes-sprecher der Ostpreußen, Stephan Grigat, mit dem Ost-preußenlied begrüßt wurde, sangen die Besucher stehend mit. In seinem Grußwort betonte der Sprecher: „Ost-preußen lebt – das ist auch heute und hier wieder zu sehen!“ Weitere Grußworte entboten Magdalena Piklaps für die Deutschen im Memel-land, Barbara Rużewicz für die Landsleute in Ermland und Masuren, Landwirt Paul Gollan, der noch bei Bischofs-burg seinen elterlichen Hof bewirtschaftet, sowie Jochen Zauner für den Bund Junges Ostpreußen und Karsten Richter, Landesgeschäftsfüh-rer des Volksbundes Deut-sche Kriegsgräberfürsorge in Mecklenburg-Vorpommern. Mit der gemeinsam gesunge-nen dritten Strophe des Deutschlandliedes endete die würdige Feierstunde.Das folgende Kulturpro-

gramm war gut gefüllt. Die schwierige minutiöse Mode-ration meisterte in bewährter Weise Heimatsänger Bern-stein. Aus der Heimat begeis-terten die Chöre Heydekrug, Memel, Heilsberg, Peitschen-dorf und Lötzen sowie das Hermann-Sudermann-Gym-nasium Memel. Aus Meck-lenburg-Vorpommern sorgten das Kinder- und Jugenden-semble „Richard Wossidlo“ Ribnitz-Damgarten sowie der Shanty-Chor „De Klaas-hahns“ für Stimmung. In einer schier endlosen Polonai-se zogen die Besucher Runde um Runde durch den Saal. Besonders viel Beifall erntete der russische Kammerchor „Kant“ aus Gumbinnen, der mit zwei Konzerten zum Landestreffen seine Deutsch-landtournee beendete. So war um 17 Uhr noch lange nicht Schluss – die meisten Besucher blieben bis zum großen Finale. Dazu kamen alle Mitwirkenden noch ein-mal auf die Bühne und stimmten gemeinsam das Ostpreußenlied an.

Friedhelm Schülke

Die Kongresshalle: 40 Helfer hatten das Treffen vorbereitet.

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42 Nachrichten DOD 06/2015

Innenminister auf Kurzbesuch bei Sudetendeutschen in PragReinhold Gall: „Tschechien und Baden-Württemberg verbindet Geschichte“

Innenministerium Baden-Württemberg (1); OMV (1); GHH (1); BdV-Archiv (1); Kulturstiftung (1)

Prag. (dod) Bei einer Aus-landsreise nach Prag hat sich Innenminister Reinhold Gall am 21. Oktober 2015 ein Bild von der Situation der deutschen Minderheit in Tschechien gemacht. „Es ist mir gelungen, die Vertreter der deutschen Minderheit und ihre Arbeit kennenzuler-nen und mich mit ihnen aus-zutauschen, auch um einen Eindruck davon zu gewin-nen, wie es um die Vermitt-lung und die Bedeutung der S p r a c h e geht. Wie ich festgestellt habe, sind z w i s c h e n unseren Län-dern schon gute Kontak-te entstan-den, vor allem im Bereich der Wissenschaft, die wir in Zukunft weiter ausbauen wollen“, hob Minister Gall hervor.Der baden-württembergi-schen Delegation gehörten neben Ministerialdirigent Herbert Hellstern, Abtei-lungsleiter im Innenministeri-um BadenWürttemberg, der Landesobmann der Sudeten-deutschen Landsmannschaft in Baden-Württemberg, Klaus Hoffmann, und der stellvertretende Landesob-mann, Bruno Klemsche, an.Zum Auftakt traf sich der Innenminister zum Mei-nungsaustausch mit dem deutschen Botschafter Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven. Das Treffen fand an historischer Stelle statt: im Palais Lobkowitz,

der Deutschen Botschaft. Gegenstand des Gespräches war neben Fragen zum deutsch-tschechischen Ver-hältnis insbesondere auch die Situation der deutschen Min-derheit in der Tschechischen Republik.Im Anschluss besuchte Innenminister Gall das Sude-tendeutsche Büro und führte Gespräche unter anderem mit dessen Leiter Peter Bar-ton. Im Mittelpunkt stand die Erkenntnis, dass das Wissen um die gemeinsame Ge-schichte von Tschechen und Deutschen gestärkt werden müsse und die Geschichte nicht auf die Zeit des natio-nalsozialistischen Unrechts- regimes reduziert werden dürfe.Nach einem kurzen Stadt-rundgang traf sich Minister Gall im Regierungsamt mit dem Minister für Menschen-rechte und Chancengleich-heit, Jiří Dienstbier. Themen der Begegnung waren unter anderem die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Tschechen sowie die deutsch-tschechischen Kul-tur-, Wissenschafts- und Bil-dungsbeziehungen, die sich durch rege nachbarschaftli-che Kontakte auf allen Ebe-nen auszeichneten.„Außerdem sind wir überein-gekommen, dass ein europäi-sches Asylsystem notwendig ist und zur Lösung der aktuel-len Flüchtlingsprobleme der weitere Zustrom reduziert werden muss“, betonte Innenminister Gall.Den Kontakt mit Vertretern der deutschen Minderheit in

Tschechien fand er im „Haus der Minderheiten“. Die ideel-le Unterstützung, die von Besuchen deutscher Politiker, insbesondere aus Baden-Württemberg, ausgehe, sei unverzichtbar, attestierte die sudetendeutsche Minderheit.„In meinen Gesprächen hat sich vor allem gezeigt, dass Tschechien und Baden-Würt-temberg eine sehr lange gemeinsame Geschichte in der Mitte Europas verbindet. Viele Deutsche haben über einen langen Zeitraum in Tschechien gelebt. Deshalb gilt es, ein versöhnliches Mit-einander zu pflegen“, zog der Innenminister ein Resümee seines Pragbesuches.Als Innenminister ist Rein-hold Gall zuständig für Kultur und Geschichte der Deut-schen im östlichen Europa.

Mit dem Besuch kam Gall seinem Anliegen nach, das Wissen um Geschichte und Kultur der historischen deut-schen Ostgebiete und der ehemaligen deutschen Sied-lungsgebiete in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa im Bewusstsein der Bürger zu erhalten. Das Innenministeri-um arbeitet dabei eng mit den verschiedensten Einrich-tungen und Organisationen, wie z.B. dem Institut für donauschwäbische Geschich-te und Landeskunde, dem Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa, dem Haus der Hei-mat, dem Donauschwäbi-schen Zentralmuseum sowie den Verbänden und Lands-mannschaften der deutschen Vertriebenen und Aussiedler zusammen.

Auf dem Gartenbalkon der Deutschen Botschaft „Palais Lobko-witz“ (v.l.n.r.): Ministerialdirigent Herbert Hellstern, Innenminister Reinhold Gall, Klaus Hoffmann, Landesobmann der Sudetendeut-schen Landsmannschaft in Baden-Württemberg, Botschafter Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven und Bruno Klemsche, stell-vertretender Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmann-schaft in Baden-Württemberg.

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DOD 06/2015 43Nachrichten

PERSONALIEN

Helmut Sauer als Bundesvorsitzender der Ost- und Mit-teldeutschen Vereinigung bestätigt

Auf der Bundesdelegier-tentagung der Ost- und Mitteldeutschen Verei-nigung der CDU/CSU (OMV) – Union der Ver-triebenen und Flüchtlin-ge – im Berliner Kon-rad-Adenauer-Haus ist der ehemalige langjähri-ge Bundestagsabgeord-nete und BdV-Vizepräsident Helmut Sauer (Salzgitter) mit großer Mehrheit zum Bundesvorsitzenden der in der CDU/CSU organisierten Vereinigung der Vertriebenen, Flüchtlin-ge und Aussiedler wiedergewählt worden. Sauer wird somit auch seine Arbeit im CDU-Bundesvorstand fortsetzen kön-nen, dem er nun seit fast 26 Jahren angehört.Zu stellvertretenden Bundesvorsitzenden wurden gewählt: Rüdiger Goldmann (Düsseldorf, NRW), Christa Matschl (Erlangen, Bayern), Gudrun Osterburg (Frankfurt, Hessen), Egon Primas MdL (Nordhausen, Thüringen) und erstmals Heiko Schmelzle MdB (Norden, Niedersachsen). Zu Beisitzern wurden gewählt: Adolf Braun (Sachsen), Ulrich Caspar MdL (Hessen), Dr. Bernd Fabritius MdB (Bayern), Paul Hansel (Bayern), erstmals Werner Jostmeier MdL (NRW), Stephan Krüger (NRW), Fedor M. Mrozek (Schleswig-Holstein) und Christoph Zalder (Baden-Würt-temberg). Schatzmeisterin bleibt Iris Ripsam (Baden-Württemberg).

Außerdem dem OMV-Bundesvorstand angehörig sind das einzige Ehrenmitglied Dr. Sieghard Rost (Bayern) sowie der Vorsitzende des Arbeitskreises ehemaliger politischer Häft-linge der SBZ/DDR in der CDU/CSU Heinz Greifenhain (Niedersachsen).

Dauerhafte Lösung für „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nötig

Zur durch die Beauftragte der Bun-desregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Prof. Monika Grüt-ters MdB, bekanntgegebenen Infor-mation, dass Prof. Dr. Winfrid Halder sein neues Amt als Direktor der Bun-desstiftung „Flucht, Vertreibung, Ver-söhnung“ nicht antreten werde, erklärt BdV-Präsident Dr. Bernd Fab-ritius MdB:Professor Halders Entscheidung, sein neues Amt als Direktor der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ (SFVV) aus persönlichen Gründen nun doch nicht antreten zu wollen, ist bedauerlich, aber zu respektieren. Die weiteren Gremien der Stiftung, insbesondere der neu gewählte Stiftungsrat, müssen nun

ihre Arbeit schnellstmöglich aufnehmen. Es gilt, eine dauer-hafte Lösung dieser für die Fortsetzung der Stiftungsarbeit so wichtigen Personalfrage zu finden. Wie in der Vergangen-heit wird sich der BdV mit seinen sechs Stiftungsratsmit-gliedern dabei konstruktiv einbringen.Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB, die Stiftungs-ratsvorsitzende der SFVV, hat für die Zeit bis zur Besetzung der Stelle eine gute Übergangslösung gefunden: Uwe Neumärker, der Direktor der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, soll vorübergehend die Geschäfte der SFVV leiten. Dabei kann er auf das Mitarbei-ter-Team der SFVV zurückgreifen, welches auch bisher die Arbeit fortgeführt hat.Für den BdV bleibt es entscheidend, dass die Arbeit im Sin-ne des Stiftungskonzeptes fortgeführt und die Dauerausstel-lung im Berliner Deutschlandhaus möglichst fristgerecht eröffnet wird.

Herta Müller nimmt Heinrich-Böll-Preis in Köln entgegen

Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat den Heinrich-Böll-Preis in Köln entgegen genommen. Gleichzeitig hat Ober-bürgermeisterin Reker den Abend für ihren ersten öffentlichen Auf-tritt genutzt. Der Kölner Literaturnobelpreisträ-ger, in dessen Namen alle zwei Jahre die Auszeichnung vergeben wird, erhob stets seine Stimme, wenn die Dinge in Unordnung gerieten. Und es füg-te sich trefflich, dass nun Herta Müller ausgezeichnet wurde. Die Literaturnobelpreisträgerin konnte aus schmerzhafter Erfahrung nahebringen, was es bedeutet, der Diktatur aus-gesetzt zu sein und dem Terror entkommen zu wollen. Dass zudem Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die Opfer eines Gewaltverbrechens im Namen der Flüchtlings-Politik gewor-den war, diesen Abend für ihren ersten öffentlichen Auftritt auserkoren hatte: all dies machte die Feierstunde zu einem besonderen Ereignis.

Wechsel bei der Kulturstiftung der deutschen VertriebenenNach vier Jahren als Vorsitzender des Kuratoriums und 12 Jahren als Vorstandsvorsitzender gibt Hans-Günther Parplies zum Jahresende die Verantwortung für die Kultur-stiftung der deutschen Vertriebenen an BdV-Vizepräsident Reinfried Vogler weiter. Weiter gehören dem Vorstand wie bisher Christine Cza-ja und Dr. Barbara-Drufar Loeffke an. Neu hinzugewählt wur-de BdV-Vizepräsident Oliver Dix. Der bisherige Vorsitzende Hans-Günther Parplies wird der Arbeit der Stiftung als Ehrenvorsitzender beratend verbunden bleiben.

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die Jahre seiner Kindheit zurück, als noch der Eiserne Vorhang kulturelle und wirt-schaftliche Beziehungen zwi-schen Ost und West unmög-lich machte. Inzwischen leben Deutsche und Schlesier in einem gemeinsamen Euro-pa, in dem die Rolle der Stif-tung und des Oberschlesi-schen Landesmuseums sogar noch wichtiger ist als früher. Sein Wunsch ist, die Geschichte Oberschlesiens zusammen mit der Partnerin-stitution aus Ratingen fortzu-schreiben.Staatssekretär Thorsten Klute vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW, schilderte die historischen Umstände, die vor und in der Gründungszeit der Stiftung herrschten. Es war eine Zeit, in der es die ersten Annäherungen nach Jahrzehnten der Funkstille gab. Als herausragende Bei-spiele der ersten Schritte zur Versöhnung zwischen Deut-schen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg erwähnte der Redner den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder vom 18. November 1965 und den Kniefall des Bundes-kanzlers Willy Brandt in War-schau am 7. Dezember 1970. Weitere Grußworte und Vor-träge boten unter anderem Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes und SHOS-Stiftungsratsmitglied, Direk-tor Dr. Stephan Kaiser, sowie Bernard Gaida, Vorsitzender der VDG und Bogusław Szyguła, Leiter der Bergbaut-

Göllner (1); LV Thüringen (2)

Ratingen. (dod) Die Stif-tung Haus Oberschlesien erinnerte mit einem facetten-reichen Kulturprogramm an ihr 45-jähriges Bestehen. Eine traditionel-le Barbara-feier run-dete den ereignisrei-chen Tag ab.Der Höhe-punkt des dreiteiligen Programms zum 45-jährigen Jubiläum der Stif-tung Haus Oberschlesien (SHOS) in Ratingen-Hösel war der musikalisch umrahm-te Festakt mit vielen hochran-gigen deutschen und polni-schen Gästen aus dem politi-schen und kulturellen Leben. Da die Stiftung am Barbaratag gegründet wurde, hat man an in diesem Jahr sowohl das Jubiläum wie auch die öffent-liche Barbarafeier der Lands-mannschaft der Oberschlesi-er, Landesgruppe NRW, am 5. Dezember zelebriert. Marie-Luise Fasse MdL, die Vorstandsvorsitzende der Stif-tung Haus Oberschlesien, eröffnete den Festakt. Sie hob in ihrer Ansprache die Mitt-lerfunktion der Stiftung her-vor, die auf vielfältige Weise West und Ost sowie Nord-rhein-Westfalen und die Woi-wodschaft Schlesien verbin-det. Schließlich gilt nach wie vor: Nur wer die Vergangen-heit und seine Wurzeln kennt, kann die Gegenwart und Zukunft mitgestalten.Dr. Henryk Mercik, Mar-schall der Woiwodschaft Schlesien, blickte zunächst in

Vergangenheit, Gegenwart und ZukunftFacettenreiches Kulturprogramm zum 45-jährigen Bestehen

raditionsstube in Knurow. Das mit Förderung und Unterstützung des Ober-schlesischen Landesmuse-ums aus Mitteln des Ministe-riums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen organisierte Festprogramm wurde vom Heimatchor aus Gleiwitz-Stroppendorf und vom Oberschlesischen Bla-sorchester Ratingen begleitet.Historische und aktuelle Kenntnisse machen die Kom-petenz der Stiftung, ihrer Gremien und kooperierender Einrichtungen aus. Im Fokus steht die Aufgabe als Mittler des partnerschaftlich eng mit der Woiwodschaft Schlesien verbundenen Landes Nord-rhein-Westfalen. Als Partner der Landesregierung koordi-nierten Stiftung und Museum die Oberschlesischen Kultur-tage in Nordrhein-Westfalen.Die Arbeit der Stiftung wird vom Förderverein Haus

Oberschlesien e.V. unter-stützt. Mit 11 Kooperations-abkommen mit Partnern in Polen und Tschechien haben Museum und Stiftung eine beachtliche Leistungsbilanz, die während des Gründungs-jubiläums auch gewürdigt wurde. Der jüngsten Ver-tragsunterzeichnung mit zwei Partnern aus dem Nach-barland wohnten die Ehren-gäste der Feierstunde bei. Zum einen erneuerte das Oberschlesische Landes-museum sein seit 2010 beste-hendes Kooperationsabkom-men mit der Bergbautraditi-onsstube in Knurow. Zum anderen wurde eine neue Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Haus Oberschle-sien und dem Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), dem Dachverband der deutschen Minderheiten, geschlossen.

Dieter Göllner

Vertragsunterzeichnung zwischen der Stiftung Haus Oberschlesien und dem Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften (VdG), Oppeln. Bildmitte: SHSO-Vorstandsvorsitzende Marie-Luise Fasse MdL mit Bernard Gaida vom VdG aus Oppeln.

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DOD 06/2015 45Nachrichten

Breslau/Erfurt. (dod) „Der 9. November 1938 hat sich tief in das Gedächtnis Deutschlands eingegraben. Die Verbrechen jener Nacht waren ein vorläufiger H ö h e -punkt in der Diskri-minierung und Verfol-gung der jüdischen Mitbürger in Deutschland“, das sagte der thüringische Landesvorsit-zende des BdV, der auch ver-triebenenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Land-tag ist, Egon Primas, am Nachmittag des 9. November in Breslau. „Ich bin dankbar, an einem solchen Tag auf dem jüdischen Friedhof in Breslau stehen und mich vor

als eines der größten Zentren jüdischen Lebens, die dritt-größte jüdische Gemeinde Deutschlands mit jahrhun-dertealter kultureller, wissen-schaftlicher und europäischer Bedeutung, wurde von den Nationalsozialisten völlig ver-nichtet.„Wenn man sich all dies in Erinnerung ruft, wenn man auf Vergebung hofft, muss man sich dem Schicksal unse-rer jüdischen Mitbürger mit Demut nähern“, mahnt Pri-mas. Das Erinnern stehe in diesem Jahr unter einem besonderen Vorzeichen. „Wir spüren nicht nur, wir sehen es: Im Windschatten der Flücht-lingskrise versuchen einige wieder, Fremdenfeindlichkeit zu schüren, andere nicht mehr als Mensch, als Nächs-

Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Demut gedenken

Kranzniederlegung durch thürin-gischen Vorsitzenden in Breslau

den Opfern verneigen zu dür-fen.“ Für die CDU-Fraktion im Landtag hatte der Politi-ker, der auch Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Thüringen und BdV-Präsi-dialmitglied ist, einen Kranz niedergelegt.Primas erinnerte an die furchtbare Bilanz des Novem-berpogroms 1938: Über 90 Ermordete und Todesfälle, über 30 Schwerverletzte und Selbstmorde, nicht wenige Vergewaltigungen. Etwa 30 000 Juden wurden verhaftet. 9000 von ihnen wurden in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Viele kamen nie mehr zurück. Nazis und ihre aufge-hetzten Parteigänger zerstör-ten oder verwüsteten 262 Synagogen und zahlreiche jüdische Friedhöfe. Breslau

ten wahrzunehmen. Der 9. November mahnt uns – und zwar in der ganzen histori-schen Komplexität dieses Tages: Wehret den Anfän-gen!“Nach Primas Worten sei es nicht allein Verantwortung der Deutschen, sondern eine europäische Aufgabe, den richtigen Weg zu finden für die an Leib und Leben Bedrohten in vielen Ländern.Die Erinnerung an den 9. November wachzuhalten, für uns selbstverständlich, betont Primas: „. Deshalb wird die-ses Datum neben allem, was es sonst historisch noch ist, immer auch eines bleiben: ein Tag der Trauer über Milli-onen Ermordeter, ein Tag der Scham über einen beispiello-sen Zivilisationsbruch, ein Tag der Mahnung.“

Egon Primas (Bildmitte) auf dem jüdischen Friedhof in Breslau.

Der thüringische BdV-Landesvorsitzende und BdV-Präsidialmit-glied Egon Primas MdL bei der Kranzniederlegung auf dem jüdi-schen Friedhof in Breslau.

Leitwort 2016

Identität schützen – Menschenrechte achten

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IMPRESSUMFranz Neubauer ist totMünchen. (dod) Am Abend des 2. Dezember ver-starb der ehemalige langjähri-ge Sprecher der Sudetendeut-schen Volksgruppe und Bun-desvorsitzende der Sudeten-deutschen Landsmannschaft, Franz Neubauer, im Alter von 85 Jahren.BdV-Präsident Dr. Bernd Fab-ritius MdB würdigte Franz Neubauer als „einen Mann, der sich mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit stets für die Ziele seiner Gemeinschaft eingesetzt hat.“ Hierbei habe er sich niemals von tagespoli-tischen Opportunitäten den Blick vernebeln lassen. Schul-ter an Schulter mit dem damaligen Schirmherrn der Sudetendeutschen, Franz-Josef Strauß, habe er der sudetendeutschen Sache neue, starke Impulse gege-ben. Die sudetendeutsche Heimat sei unter seiner Ägide erneut zum Begegnungsraum zwischen Deutschen und Tschechen geworden, es sei-en insgesamt 14 Begegnungs-zentren errichtet worden. Franz Neubauer wurde am 10. Mai 1930 in Großsich-dichfür bei Marienbad im Egerland geboren. Franz Neubauer war umsichtig, gleichzeitig standfest und all-seits geachtet. 1996 zeichne-te ihn das Präsidium des Bun-des der Vertriebenen mit der Ehrenplakette des Verbandes aus.

Hedwigswallfahrt mit Bischof NossolHildesheim. (dod) Am Sonntag, dem 18. Oktober 2015, pilgerten viele schlesi-sche Vertriebene und Aus-siedler zur jährlichen Hed-wigswallfahrt in den Hildes-heimer Dom. Jedes Jahr fin-det diese Wallfahrt am Sonn-tag nach dem Festtag der Heiligen Hedwig (16. Okto-

ber), der Patronin und Herzo-gin Schlesiens, statt. In die-sem Jahr hatte das Bistum Hildesheim den ehemaligen Oppelner Erzbischof Prof. Dr. Alfons Nossol dazu eingela-den, mit den Schlesiern den Festgottesdienst zu halten und zu den Pilgern zu predi-gen. Außer ihm waren zehn schlesische Priester zu dem feierlichen Gottesdienst gekommen, darunter auch der Beauftragte der Deut-schen Bischofskonferenz für die Priester und Gläubigen aus dem ehemaligen Erzbis-tum Breslau, Pfarrer Dr. Joa-chim Giela. Bis auf den letz-ten Platz waren die Stühle im neu renovierten Mariendom besetzt. Viele Anwesende mussten stehen. Die Gläubi-gen freuten sich über Nossols bewegende Worte „aus der Heimat“.

Realität vom Anspruch entferntRat ingen/Straßburg. (dod) Polen erfüllt die Anfor-derungen der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen wei-terhin nicht. Dies geht aus einem Bericht des Sachver-ständigenkomitees des Euro-parates hervor. In ihrem Bericht stellen die Experten zwar fest, dass es gegenüber dem ersten Staatenbericht mehr bilinguale Schulen – unter anderem in Träger-schaft von Vereinen der deut-schen Minderheit – in Polen gebe, allerdings fehlten Kin-dergärten und Schulen mit Deutsch als vorherrschender Unterrichtssprache weiterhin völlig. So fordert das Minister-komitee des Europarates in seiner Empfehlung vom 1. Dezember 2015 Polen auf, der deutschen Minderheit Bildungseinrichtungen mit Deutsch als Unterrichtsspra-che auf allen Bildungsebenen zugänglich zu machen.

Damit rügt der Europarat

zum zweiten Mal in Folge die unzureichende Entwicklung eines Bildungswesens für die deutsche Minderheit in Polen. Der Bundesvorsitzen-de der Landsmannschaft der Oberschlesier Klaus Plasz-czek zeigt sich enttäuscht: „Wir haben den zweiten pol-nischen Staatenbericht zunächst als einen kleinen Schritt nach vorne gesehen. Leider mussten wir feststel-len, dass viele Ankündigun-gen einfach unterblieben sind. So ist die Absenkung der 20%-Hürde für zweispra-chige Ortstafeln und Deutsch als Hilfssprache in Gemeinde-ämtern bei der Novelle des Minderheitengesetzes unter den Tisch gefallen“. Dies sei kein seriöses Arbeiten. Zumal der Ministerrat auch diesmal wieder fordert, die Präsenz der Minderheitensprachen in Verwaltungsämtern deutlich zu steigern.

Ein Denkmal kehrt zurückSchwalmstadt-Ziegen-hain. (dod) Zur erneuten Einweihung des Denkmals „Deutsche Ostgebiete“ in Schwalmstadt-Ziegenhain sprach Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf ein Grußwort und überbrach-te die Glückwünsche der Lan-desregierung. Sie begrüßte die Wiedererrichtung des Denk-mals an zentraler Stelle vor dem Behördenhaus in Ziegen-hain. Das erstmals 1962 ein-geweihte Denkmal war im Rahmen einer Neugestaltung des Platzes im Jahr 2010 ins „Abseits“ gerückt.Der schlichte, zwei Meter hohe Bildstock aus Sandstein zeigt auf seinen vier Seiten die Landeswappen von acht Hei-matregionen und auf seinem flachen Sockel die Entfernun-gen zu 16 Städten im Osten. Geschaffen wurde es von dem im Sudetenland geborenen Steinmetz Herbert Heidenreich.

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