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Donnerstag, 23. Dezember 2010 Kölner Stadt-Anzeiger 07 POLITISCHES BUCH Ein Jahrhundertmensch BIOGRAFIE Der Journalist Joachim Käppner schildert eindruckvoll das Leben des Unternehmers Berthold Beitz VON HARALD LOCH Ein Leben wie das des 97- jähri- gen Berthold Beitz ist reich an Schlüsselszenen. Sein Biograf Joachim Käppner stellt sie in der Lebenserzählung dieser deut- schen Jahrhundertgestalt gebüh- rend heraus. Es entsteht das Por- trät eines Mannes, der zum Vor- bild taugt, gerade weil so wenig Exemplarisches ihn auszeichnet. Ein Land, das eine solche Aus- nahmeerscheinung zur Regel machen könnte, wäre glücklich und sollte im Wettbewerb mit Anstand bestehen. Von den vielen Weichenstel- lungen im Leben des in Vorpom- mern Geborenen ist der Vor- abend seines 39. Geburtstages im September 1952 die unspektaku- lärste: Er hatte als junger Chef der Iduna Versicherung ins Hambur- ger Hotel „Vier Jahreszeiten“ ge- laden. Spät stößt Alfried Krupp zu der Runde. Über den Bildhau- er Jean Sprenger haben sich Beitz und Krupp bereits kennenge- lernt. Der bittet den jungen Versi- cherungsmann nach draußen auf die Straße und bietet ihm an, sein Generalbevollmächtigter in Es- sen zu werden. Als Beitz zögert, legt Krupp nach: „Sie können handeln wie ein Eigentümer und machen, was Sie wollen!“ Per Handschlag wird das im Regen besiegelt. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Leben des Berthold Beitz schon ungewöhnlich genug ver- laufen – aber es hatte keine öf- fentliche Dimension. Er war ein mäßiger Schüler, konnte nach dem Abitur nicht studieren son- dern absolvierte in Stralsund eine Banklehre, vertrat im Krieg ein deutsches Ölunternehmen im be- setzten Polen und bewies dort unter ständiger Gefahr für das ei- gene Leben, dass er Freiheit nicht nur für sich selbst, sondern vor al- lem für Menschen einforderte, denen ein verbrecherisches Re- gime sie nehmen wollte: Er trat mutig der SS entgegen und rettete zahlreichen Polen und Juden das Leben. Später hängte er dieses für ihn wohl selbstverständliche Verhalten nie sehr hoch, sprach öffentlich kaum über diese Vor- gänge, wurde in in der israelische Holocaust-Gedenkstätte Jad Va- shem dafür geehrt. Er setzte die- ses stille Kapital nach dem Krieg für den Wiederaufbau der Versi- cherungswirtschaft in Hamburg und vor allem für die als Waffen- schmiede für alle deutschen Ag- gressionsregimes schwer belas- tete Firma Krupp ein. Alfried Krupp war in Nürnberg wegen der Ausbeutung Tausender von Zwangsarbeitern zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt wor- den. Er wurde zwar vorzeitig begnadigt, durfte aber zeitlebens nicht in die USA einreisen. Sei- nem Unternehmen war der Ver- kauf der Kohle- und Stahlbasis auferlegt worden. Lediglich die Verarbeitung fremder Roh- und Halbfertigerzeugnisse sollte nach dem Willen der Alliierten mit seinem Namen verbunden bleiben. Er selbst hatte nach sei- ner Haftentlassung geschworen: keine Waffen mehr von Krupp! In dieses traditionsreiche, ruß- geschwärzte und von selbstbe- wussten Direktoren gemanagte Unternehmen trat also Berthold Beitz im Jahre 1953 als General- bevollmächtigter ein, als Vorge- setzter von allen. Er hatte keine Ahnung von Stahl, war kein Inge- nieur, trug elegante Anzüge und – vielleicht war das das Schlimms- te – hatte ein Herz für die Arbei- ter, er musste sich an der Spitze des Unternehmens regelrecht durchbeißen. Bald kamen als weitere Todsünden hinzu, dass er mitten im Kalten Krieg mit Polen und der Sowjetunion Geschäfte abschloss und ganz gegen den restaurativen Comment der jun- gen Bundesrepublik eine frühe und freiwillige Entschädigung für die jüdischen Zwangsarbeiter bei Krupp durchsetzte. Adenauer misstraute ihm gründlich, mit dem Bundesverband der deut- schen Industrie hatte er nichts im Sinn, aber er zog den Riesenkar- ren Krupp aus dem Dreck der Vergangenheit und verschaffte dem Namen einen neuen, nicht mehr mit Kanonen verbundenen Klang. Als „Krupps Mörser“ („Spiegel“ im Jahre 1959) zer- trümmerte er die alten Vorurteile, konnte trickreich die Auflage ins Leere laufen lassen, die Unter- nehmensteile Kohle und Stahl zu verkaufen, und führte das Unter- nehmen zu neuer Blüte. Seiner Loyalität zu Alfried Krupp entsprach dessen „plein pouvoir“ für seinen Generalbe- vollmächtigten, zwei Vorausset- zungen für diesen Erfolg. Joa- chim Käppner, Jahrgang 1961 ist Ressortleiter der „Süddeut- schen“. Er stützt seine große Bio- grafie auf die verlässlichste Quel- le für das Leben eines Menschen: er hat mit dem eher interview- scheuen Berthold Beitz lange und oft gesprochen, hat etwas von dessen Empfindungen mitge- nommen, kann Haltung und Be- weggründe aus eigener Anschau- ung beurteilen und wiedergeben. Natürlich macht er nicht auf dem Höhepunkt der Entwicklung der Firma Krupp halt. Der stu- dierte Historiker erzählt analy- tisch von der krisenhaften Ent- wicklung der deutschen Stahlin- dustrie, die zur Schließung des Traditionswerks in Rheinhausen führte, von der Verschmelzung zweier Konkurrenten zu Thys- sen-Krupp, von dem von Beitz ausgearbeiteten Stiftungsmodell und dem weiterhin segensreichen und eigenwilligen Leben des Jahrhundertmenschen Beitz, „der die Freiheit des Handelns mit Mut und Verantwortung nutzt“ und an dem er eindrucks- voll und spannend zu lesen demonstriert: „Einzelne Men- schen können die Welt verän- dern. Jedenfalls ein Stück weit“. Joachim Käp- pner: „Bert- hold Beitz – Die Biogra- phie“. Berlin, 622 Seiten, 36 Euro. Berthold Beitz, Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2003 BILD: DPA ........................................................................................................................................................ Pottröschen Die Aufgabe: Ein Ereignis des Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010 beschreiben. Autoren waren 24 Studierende, die Bertram von Hobe, Lehrbeauftragter am Institut für Journalismus und Public Relations der Fachhochschule Gelsenkirchen aus seiner Schreibwerkstatt rekrutierte. Mit Hilfe der beiden Mitherausge- ber Michael Braun, freier Journalist, Autor und Verleger, sowie Wilm Herlyn, langjähriger Chefredakteur der Deutschen Pres- se-Agentur, entstand das Buch mit 39 Beiträgen. Der Karikatu- rist Thomas Plaßmann („Frankfurter Rundschau“, „Berliner Zeitung“) zeichnete unter anderem, hier im Bild zu sehen, „Pott- röschen“, dessen Geschichte „sehr frei nach den Brüdern Grimm“ erzählt wird. Bertram von Hobe u.a. (Hrsg): „RUHR.2010.danach. Europäische Kulturhauptstadt“, ISB-Verlag, 134 Seiten, 12,80 Euro. RUHR 2010 Wer gibt, wird glücklich GESELLSCHAFT Der Philosoph Stefan Klein über Egoisten und Altruisten VON ARMIN PFAHL-TRAUGHBER Nach der Auffassung vom Homo oeconomicus interessiert sich der Mensch bei seinen sozialen Handlungen in erster Linie für den dabei zu erlangenden persön- lichen Gewinn. Diese Einstel- lung hat großen Anteil sowohl für das Denken im Alltag wie im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Auch in der Diskussion über Mo- ral und in den Kontroversen über Politik kann man diese Grundpo- sition immer wieder ausmachen. Handelt es sich aber bei dem damit angesprochene Egoismus tatsächlich um die dominierende Einstellung? Und: Bringt ein sol- ches Denken sowohl die Einzel- nen wie die Gesellschaft voran? Diese Fragen beantwortet der Philosoph und Physiker Stefan Klein mit „Nein“. In seinem Buch „Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen" nimmt er eine gegenteilige Posi- tion ein. Dabei stützt sich Kleins Argumentation auf empirische Fakten der Forschung und nicht auf realitätsferne Ideale von Uto- pien. Zu seinen Belegen gehören Beispiele selbstlosen Handelns im Alltagsleben, Beobachtungen über das Verhalten in der Tier- welt, Erkenntnisse zur Evolution des Menschen, Experimente aus der psychologischen Forschung, Moralvorstellungen in unter- schiedlichen Kulturen. „Eine zentrale Erkenntnis dabei ist“, so Klein, „dass Egoisten nur kurz- fristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen“. Der erste Teil des Buches ver- anschaulicht demnach, dass sich Kooperation und Selbstlosigkeit langfristig lohnen sowie Empa- thie und Vertrauen dabei beson- ders bedeutsam sind. Im zweiten Teil fragt Klein nach den Grün- den für die Herausbildung der da- mit zusammenhängenden Fähig- keiten, wobei hier die Geschichte der Evolution im Zentrum der Betrachtung steht. Dabei geht es auch um das besondere Problem einer Grenze für Selbstlosigkeit nur in der Eigengruppe. Bilanzie- rend betrachtet heißt es: „Zahllo- se Untersuchungen und noch mehr Lebensgeschichten haben die Hoffnung widerlegt, dass mehr Geld und mehr Freizeit Menschen auf Dauer glücklicher machen. Umgekehrt bestätigen viele Ergebnisse ... : Wer freiwil- lig etwas für andere tut, ver- schafft sich nicht nur für den Mo- ment gute Gefühle, er steigert auch langfristig seine Lebenszu- friedenheit“. Demnach stellten Altruismus und Egoismus keine unvereinba- ren Gegenpole dar, und ein dua- listisches Denken in diesen Di- mensionen müsse überwunden werden. Weiter bemerkt Klein: „Unsere Beziehungen wirken wie ein Resonanzkörper – alles, was wir tun, wird in ihnen ver- stärkt. Wohlwollen bringt neue Akte des Wohlwollens hervor; das Vertrauen zwischen den Menschen nimmt zu. ... Die Angst, ausgenutzt zu werden, verschwindet mit der Zeit, und mit dem Mut zu geben wächst eine Empfindung der Freiheit. Am Anfang einer Reise steht Neugier. ... Denn Selbstlosigkeit macht uns glücklich und verän- dert die Welt“. Dieser letzte Satz klingt wie der idealistische, aber wirklich- keitsfremde Traum von einer besseren Welt. Für die damit ein- hergehende Grundauffassung lässt sich aber eine Reihe ein- drucksvoller Belege aus so unter- schiedlichen Bereichen wie der Genetik, Hirnforschung, Sozial- psychologie oder Wirtschafts- wissenschaft vorbringen. Klein gelingt es, diesen Stand der For- schung anschaulich und span- nend zu beschreiben. Hier und da hätte man sich dabei eine etwas klarere Strukturierung und syste- matischere Zuspitzung ge- wünscht. Gleichwohl geht durch diese Darstellungsform nichts vom intellektuellen Reiz der Be- schreibung von Einzelbeispielen und Forschungsergebnissen verloren. Stefan Klein: „Der Sinn des Gebens“. S. Fi- scher, 335 Sei- ten, 18,95 Euro. SOZIALSTAAT Wohlstand für viele ist keine Utopie An Ludwig Erhards bekannte Maxime „Wohlstand für alle“ er- innert man sich heute kaum noch. Die Auffassung, es sei eine „gleichere“ Einkommen-, Güter- und Wohlstandsverteilung mög- lich, gilt gar als idealistisch und wirklichkeitsfremd. Demgegen- über veranschaulicht der Blick in den hohen Norden: „Wohlstand für viele“ ist keine Utopie, „Wohlstand für viele“ kann Wirklichkeit sein. Der Betriebswirt Andreas Op- pacher vergleicht in seinem Buch „Deutschland und das Skandina- vische Modell. Der Sozialstaat als Wohlstandsmotor“ die sozia- le und wirtschaftliche Entwick- lung in Deutschland mit der in den skandinavischen Ländern Dänemark, Finnland und Schwe- den. Er macht dabei anhand von umfangreichem statistischem Material überzeugend deutlich, dass eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung in einem aktiven Sozialstaat sehr wohl mit hohem Lebensstandard und sta- bilem Wirtschaftswachstum ein- hergehen kann. (ptr) Andreas Op- pacher: „Deutschland und das Skan- dinavische Modell“. Pahl- Rugenstein, 14,90 Euro.

Donnerstag, 23. Dezember 2010 Kölner Stadt-Anzeiger Ein … · 2011-11-19 · Donnerstag, 23. Dezember 2010 Kölner Stadt-Anzeiger POLITISCHES BUCH 07 Ein Jahrhundertmensch BIOGRAFIE

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Donnerstag, 23. Dezember 2010 Kölner Stadt-Anzeiger 07POLITISCHES BUCH

Ein JahrhundertmenschBIOGRAFIE Der Journalist Joachim Käppner schildert eindruckvoll das Leben des Unternehmers Berthold Beitz

VON HARALD LOCH

Ein Leben wie das des 97- jähri-gen Berthold Beitz ist reich anSchlüsselszenen. Sein BiografJoachim Käppner stellt sie in derLebenserzählung dieser deut-schen Jahrhundertgestalt gebüh-rend heraus. Es entsteht das Por-trät eines Mannes, der zum Vor-bild taugt, gerade weil so wenigExemplarisches ihn auszeichnet.Ein Land, das eine solche Aus-nahmeerscheinung zur Regelmachen könnte, wäre glücklichund sollte im Wettbewerb mitAnstand bestehen.

Von den vielen Weichenstel-lungen im Leben des in Vorpom-mern Geborenen ist der Vor-abend seines 39. Geburtstages imSeptember 1952 die unspektaku-lärste: Er hatte als junger Chef derIduna Versicherung ins Hambur-ger Hotel „Vier Jahreszeiten“ ge-laden. Spät stößt Alfried Kruppzu der Runde. Über den Bildhau-er Jean Sprenger haben sich Beitzund Krupp bereits kennenge-lernt. Der bittet den jungen Versi-cherungsmann nach draußen aufdie Straße und bietet ihm an, seinGeneralbevollmächtigter in Es-sen zu werden. Als Beitz zögert,legt Krupp nach: „Sie könnenhandeln wie ein Eigentümer undmachen, was Sie wollen!“ PerHandschlag wird das im Regenbesiegelt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wardas Leben des Berthold Beitzschon ungewöhnlich genug ver-laufen – aber es hatte keine öf-fentliche Dimension. Er war einmäßiger Schüler, konnte nachdem Abitur nicht studieren son-dern absolvierte in Stralsund eineBanklehre, vertrat im Krieg eindeutsches Ölunternehmen im be-setzten Polen und bewies dort

unter ständiger Gefahr für das ei-gene Leben, dass er Freiheit nichtnur für sich selbst, sondern vor al-lem für Menschen einforderte,denen ein verbrecherisches Re-gime sie nehmen wollte: Er tratmutig der SS entgegen und rettetezahlreichen Polen und Juden dasLeben. Später hängte er dieses für

ihn wohl selbstverständlicheVerhalten nie sehr hoch, sprachöffentlich kaum über diese Vor-gänge, wurde in in der israelischeHolocaust-Gedenkstätte Jad Va-shem dafür geehrt. Er setzte die-ses stille Kapital nach dem Kriegfür den Wiederaufbau der Versi-cherungswirtschaft in Hamburg

und vor allem für die als Waffen-schmiede für alle deutschen Ag-gressionsregimes schwer belas-tete Firma Krupp ein. AlfriedKrupp war in Nürnberg wegender Ausbeutung Tausender vonZwangsarbeitern zu einer langenZuchthausstrafe verurteilt wor-den. Er wurde zwar vorzeitig

begnadigt, durfte aber zeitlebensnicht in die USA einreisen. Sei-nem Unternehmen war der Ver-kauf der Kohle- und Stahlbasisauferlegt worden. Lediglich dieVerarbeitung fremder Roh- undHalbfertigerzeugnisse solltenach dem Willen der Alliiertenmit seinem Namen verbundenbleiben. Er selbst hatte nach sei-ner Haftentlassung geschworen:keine Waffen mehr von Krupp!

In dieses traditionsreiche, ruß-geschwärzte und von selbstbe-wussten Direktoren gemanagteUnternehmen trat also BertholdBeitz im Jahre 1953 als General-bevollmächtigter ein, als Vorge-setzter von allen. Er hatte keineAhnung von Stahl, war kein Inge-nieur, trug elegante Anzüge und –vielleicht war das das Schlimms-te – hatte ein Herz für die Arbei-ter, er musste sich an der Spitzedes Unternehmens regelrechtdurchbeißen. Bald kamen alsweitere Todsünden hinzu, dass ermitten im Kalten Krieg mit Polenund der Sowjetunion Geschäfteabschloss und ganz gegen denrestaurativen Comment der jun-gen Bundesrepublik eine früheund freiwillige Entschädigungfür die jüdischen Zwangsarbeiterbei Krupp durchsetzte. Adenauermisstraute ihm gründlich, mitdem Bundesverband der deut-schen Industrie hatte er nichts imSinn, aber er zog den Riesenkar-ren Krupp aus dem Dreck derVergangenheit und verschafftedem Namen einen neuen, nichtmehr mit Kanonen verbundenenKlang. Als „Krupps Mörser“(„Spiegel“ im Jahre 1959) zer-trümmerte er die alten Vorurteile,konnte trickreich die Auflage insLeere laufen lassen, die Unter-nehmensteile Kohle und Stahl zuverkaufen, und führte das Unter-

nehmen zu neuer Blüte. Seiner Loyalität zu Alfried

Krupp entsprach dessen „pleinpouvoir“ für seinen Generalbe-vollmächtigten, zwei Vorausset-zungen für diesen Erfolg. Joa-chim Käppner, Jahrgang 1961 istRessortleiter der „Süddeut-schen“. Er stützt seine große Bio-grafie auf die verlässlichste Quel-le für das Leben eines Menschen:er hat mit dem eher interview-scheuen Berthold Beitz lange undoft gesprochen, hat etwas vondessen Empfindungen mitge-nommen, kann Haltung und Be-weggründe aus eigener Anschau-ung beurteilen und wiedergeben.

Natürlich macht er nicht aufdem Höhepunkt der Entwicklungder Firma Krupp halt. Der stu-dierte Historiker erzählt analy-tisch von der krisenhaften Ent-wicklung der deutschen Stahlin-dustrie, die zur Schließung desTraditionswerks in Rheinhausenführte, von der Verschmelzungzweier Konkurrenten zu Thys-sen-Krupp, von dem von Beitzausgearbeiteten Stiftungsmodellund dem weiterhin segensreichenund eigenwilligen Leben desJahrhundertmenschen Beitz,„der die Freiheit des Handelnsmit Mut und Verantwortungnutzt“ und an dem er eindrucks-voll und spannend zu lesendemonstriert: „Einzelne Men-schen können die Welt verän-dern. Jedenfalls ein Stück weit“.

Joachim Käp-pner: „Bert-hold Beitz –Die Biogra-phie“. Berlin,622 Seiten,36 Euro.

Berthold Beitz, Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung auf einer Aufnahme aus demJahr 2003 BILD: DPA

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PottröschenDie Aufgabe: Ein Ereignis des Kulturhauptstadtjahres Ruhr2010 beschreiben. Autoren waren 24 Studierende, die Bertramvon Hobe, Lehrbeauftragter am Institut für Journalismus undPublic Relations der Fachhochschule Gelsenkirchen aus seinerSchreibwerkstatt rekrutierte. Mit Hilfe der beiden Mitherausge-ber Michael Braun, freier Journalist, Autor und Verleger, sowieWilm Herlyn, langjähriger Chefredakteur der Deutschen Pres-se-Agentur, entstand das Buch mit 39 Beiträgen. Der Karikatu-rist Thomas Plaßmann („Frankfurter Rundschau“, „BerlinerZeitung“) zeichnete unter anderem, hier im Bild zu sehen, „Pott-röschen“, dessen Geschichte „sehr frei nach den BrüdernGrimm“ erzählt wird.

Bertram von Hobe u.a. (Hrsg): „RUHR.2010.danach. EuropäischeKulturhauptstadt“, ISB-Verlag, 134 Seiten, 12,80 Euro.

RUHR 2010Wer gibt, wird glücklichGESELLSCHAFT Der Philosoph Stefan Klein über Egoisten und Altruisten

VON ARMIN PFAHL-TRAUGHBER

Nach der Auffassung vom Homooeconomicus interessiert sich derMensch bei seinen sozialenHandlungen in erster Linie fürden dabei zu erlangenden persön-lichen Gewinn. Diese Einstel-lung hat großen Anteil sowohl fürdas Denken im Alltag wie imWirtschaftsteil der Zeitungen.Auch in der Diskussion über Mo-ral und in den Kontroversen überPolitik kann man diese Grundpo-sition immer wieder ausmachen.

Handelt es sich aber bei demdamit angesprochene Egoismustatsächlich um die dominierendeEinstellung? Und: Bringt ein sol-ches Denken sowohl die Einzel-nen wie die Gesellschaft voran?Diese Fragen beantwortet derPhilosoph und Physiker StefanKlein mit „Nein“.

In seinem Buch „Der Sinn desGebens. Warum Selbstlosigkeitin der Evolution siegt und wir mitEgoismus nicht weiterkommen"nimmt er eine gegenteilige Posi-tion ein. Dabei stützt sich KleinsArgumentation auf empirischeFakten der Forschung und nichtauf realitätsferne Ideale von Uto-pien. Zu seinen Belegen gehörenBeispiele selbstlosen Handelnsim Alltagsleben, Beobachtungenüber das Verhalten in der Tier-welt, Erkenntnisse zur Evolutiondes Menschen, Experimente ausder psychologischen Forschung,Moralvorstellungen in unter-schiedlichen Kulturen. „Einezentrale Erkenntnis dabei ist“, so

Klein, „dass Egoisten nur kurz-fristig besser abschneiden, auflange Sicht aber meist Menschenweiterkommen, die sich auch fürdas Wohl anderer einsetzen“.

Der erste Teil des Buches ver-anschaulicht demnach, dass sichKooperation und Selbstlosigkeitlangfristig lohnen sowie Empa-thie und Vertrauen dabei beson-ders bedeutsam sind. Im zweitenTeil fragt Klein nach den Grün-den für die Herausbildung der da-mit zusammenhängenden Fähig-keiten, wobei hier die Geschichteder Evolution im Zentrum derBetrachtung steht. Dabei geht esauch um das besondere Problemeiner Grenze für Selbstlosigkeitnur in der Eigengruppe. Bilanzie-rend betrachtet heißt es: „Zahllo-se Untersuchungen und nochmehr Lebensgeschichten habendie Hoffnung widerlegt, dassmehr Geld und mehr FreizeitMenschen auf Dauer glücklichermachen. Umgekehrt bestätigenviele Ergebnisse ... : Wer freiwil-lig etwas für andere tut, ver-schafft sich nicht nur für den Mo-ment gute Gefühle, er steigertauch langfristig seine Lebenszu-friedenheit“.

Demnach stellten Altruismusund Egoismus keine unvereinba-ren Gegenpole dar, und ein dua-listisches Denken in diesen Di-mensionen müsse überwundenwerden. Weiter bemerkt Klein:„Unsere Beziehungen wirkenwie ein Resonanzkörper – alles,was wir tun, wird in ihnen ver-stärkt. Wohlwollen bringt neue

Akte des Wohlwollens hervor;das Vertrauen zwischen denMenschen nimmt zu. ... DieAngst, ausgenutzt zu werden,verschwindet mit der Zeit, undmit dem Mut zu geben wächsteine Empfindung der Freiheit.Am Anfang einer Reise stehtNeugier. ... Denn Selbstlosigkeitmacht uns glücklich und verän-dert die Welt“.

Dieser letzte Satz klingt wieder idealistische, aber wirklich-keitsfremde Traum von einerbesseren Welt. Für die damit ein-hergehende Grundauffassunglässt sich aber eine Reihe ein-drucksvoller Belege aus so unter-schiedlichen Bereichen wie derGenetik, Hirnforschung, Sozial-psychologie oder Wirtschafts-wissenschaft vorbringen. Kleingelingt es, diesen Stand der For-schung anschaulich und span-nend zu beschreiben. Hier und dahätte man sich dabei eine etwasklarere Strukturierung und syste-matischere Zuspitzung ge-wünscht. Gleichwohl geht durchdiese Darstellungsform nichtsvom intellektuellen Reiz der Be-schreibung von Einzelbeispielenund Forschungsergebnissen verloren.

Stefan Klein:„Der Sinn desGebens“. S. Fi-scher, 335 Sei-ten, 18,95Euro.

SOZIALSTAAT

Wohlstand fürviele istkeine UtopieAn Ludwig Erhards bekannteMaxime „Wohlstand für alle“ er-innert man sich heute kaum noch.Die Auffassung, es sei eine„gleichere“ Einkommen-, Güter-und Wohlstandsverteilung mög-lich, gilt gar als idealistisch undwirklichkeitsfremd. Demgegen-über veranschaulicht der Blick inden hohen Norden: „Wohlstandfür viele“ ist keine Utopie,„Wohlstand für viele“ kannWirklichkeit sein.

Der Betriebswirt Andreas Op-pacher vergleicht in seinem Buch„Deutschland und das Skandina-vische Modell. Der Sozialstaatals Wohlstandsmotor“ die sozia-le und wirtschaftliche Entwick-lung in Deutschland mit der inden skandinavischen LändernDänemark, Finnland und Schwe-den. Er macht dabei anhand vonumfangreichem statistischemMaterial überzeugend deutlich,dass eine relativ gleichmäßigeEinkommensverteilung in einemaktiven Sozialstaat sehr wohl mithohem Lebensstandard und sta-bilem Wirtschaftswachstum ein-hergehen kann. (ptr)

Andreas Op-pacher:„Deutschlandund das Skan-dinavischeModell“. Pahl-Rugenstein,14,90 Euro.