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| TREFFPUNKT FORSCHUNG Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 6 – 9 www.chiuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 7 Die Aufnahme von Kohlendioxid in gigantischen Mengen hat den pH- Wert der Ozeane, der in vorindus- trieller Zeit im Mittel bei etwa 8,2 lag, bereits messbar gesenkt. Erst An- fang dieses Jahrzehnts, als man über Methoden nachdachte, der Atmo- sphäre Kohlendioxid zu entziehen, wurden Wissenschaftler auf die Ver- sauerung und die dadurch ausgelös- ten Probleme aufmerksam. Das Problem liegt in der ganz fun- damentalen Säure-Base-Chemie. Koh- lendioxid macht die Lösung saurer, und die zusätzlichen Wasserstoffio- nen verschieben das Gleichgewicht: H 2 CO 3 b HCO 3 + H + b CO 3 2– + 2H + nach links, und es liegt demnach we- niger Carbonat in Lösung vor. (Mehr als 99% des CO 2 liegen sowieso als Hydrat vor und nicht als Kohlensäu- re.) Viele Meeresorganismen (z.B. Mu- scheln, Korallen) benutzen jedoch Carbonat zum Aufbau von Schalen und sind davon abhängig, dass das Meerwasser mit diesem Anion gesät- tigt ist.Verschiebt sich das Gleichge- wicht zu weit nach links, so könnten sich deren Schalen gar auflösen. Da viele solche Arten als Nahrungsquelle für weit verzweigte Nahrungsnetze dienen, würden die Folgen das ge- samte Ökosystem der Meere durch- einanderwirbeln. In Sachen Klimawandel würde vermutlich eine paradoxe Konse- quenz eintreten: wenn die Ozeane mehr Kohlendioxid aufnehmen, kön- nen sie weniger davon sequestrieren. Bisher hat die Sedimentierung von Kalkschalen große Mengen an Carbo- nat dauerhaft aus dem Verkehr gezo- gen. Ganze Gebirge bestehen aus die- sem Material.Wenn dieser Mechanis- mus wegfällt, kann es zu einem Rück- kopplungseffekt kommen, der den Meeresbewohnern und dem Klima gleichzeitig schadet. Zwei neue Forschungsarbeiten weisen nun darauf hin, dass die Ver- sauerung der Meere rascher stattfin- det als bisher vermutet wurde, und dass katastrophale Auswirkungen sich bereits vor der Mitte dieses Jahr- hunderts einstellen können. Ben McNeil und Richard Matear an der University of New South Wa- les in Sydney untersuchten pH-Werte und Kohlendioxid-Konzentrationen in den Ozeanen rund um Antarctica und kamen zu der Schlussfolgerung, dass kritische Carbonat-Konzentratio- nen bereits zwischen 2030 und 2038 unterschritten werden können [1]. Die Arbeitsgruppe von Timothy Wootton an der Universität von Chi- cago verfolgte pH-Schwankungen im Wasser des Pazifik vor der Küste des US-Bundesstaats Washington über einen Zeitraum von acht Jahren. Die Forscher beobachteten ausgeprägte Schwankungen, die von den Jahres- zeiten und der Wetterlage abhängen, konnten aber aus ihren Daten einen statistisch abgesicherten Trend ermit- teln, der eine erschreckend schnell fortschreitende Versauerung zeigt [2]. Nach diesen Ergebnissen sinkt der pH-Wert pro Jahr um etwa 0,045 Einheiten. Falls sich dieser Trend fort- setzt, verringert er sich also in nur 20–25 Jahren um eine ganze Einheit. Es ist offensichtlich, dass eine so dras- tische und rasche Veränderung dra- matische Auswirkungen auf die Mee- reslebewesen haben wird.Wie genau die Folgen aussehen werden, ist noch nicht abzusehen. Wootton und seine Mitarbeiter benutzten Computersimulationen der Wechselwirkungen zwischen aus- gewählten Arten, um eine Prognose zu erstellen. In ihrem Modell zeigte sich, dass es Gewinner und Verlierer geben wird. Das Verschwinden be- stimmter, von Carbonat abhängigen Arten, wird voraussichtlich deren Konkurrenten Auftrieb geben. Das ge- samte Nahrungsnetzwerk der Welt- meere würde in nur wenigen Jahren umgestürzt werden.Am stärksten be- droht sind vermutlich die Korallen, da diese sowohl unter der langsam steigenden Wassertemperatur,als auch unter dem sinkenden pH-Wert leiden. Wann genau die Kohlendioxid-Ka- tastrophe im Meer kommt, und wie sie ablaufen wird, kann man aufgrund dieser wenigen Stichproben nicht mit Sicherheit sagen, und die Exper- ten betonen übereinstimmend, dass bessere und weitreichendere Unter- suchungen dringend nötig sind. Doch nach den neuesten Erkenntnissen zu schließen, bleibt für diese eingehen- dere Erforschung des Phänomens nicht mehr viel Zeit. [1] B. I. McNeil and R.J.Matear, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2008, 105, 18860–64. [2] J. T. Wootton et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2008, 105, 18848–53. Michael Groß KLIMAWANDEL | Dramatische pH-Änderung der Ozeane Die Weltmeere haben bisher einen mildernden Einfluss auf den Klima- wandel durch von Menschen freigesetztes Kohlendioxid ausgeübt. Schätzungsweise ein Drittel des seit Beginn der Industrialisierung erzeugten CO 2 -Überschusses hat sich im Meer gelöst und trägt damit vorerst nicht zum Treibhauseffekt bei. Erst vor einigen Jahren haben Experten bemerkt, dass dieser scheinbar positive Effekt katastrophale Nebenwirkungen mit sich bringt. Abb. Durch die Aufnahme von Kohlendioxid sinkt der pH- Wert der Ozeane. Dies hat Auswir- kungen auf die Meereslebewe- sen. Besonders betroffen davon werden wohl von Carbonat abhän- gige Arten wie die Korallen sein.

Dramatische pH-Änderung der Ozeane

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Page 1: Dramatische pH-Änderung der Ozeane

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Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 6 – 9 www.chiuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 7

Die Aufnahme von Kohlendioxid ingigantischen Mengen hat den pH-Wert der Ozeane, der in vorindus-trieller Zeit im Mittel bei etwa 8,2lag, bereits messbar gesenkt. Erst An-fang dieses Jahrzehnts, als man überMethoden nachdachte, der Atmo-sphäre Kohlendioxid zu entziehen,wurden Wissenschaftler auf die Ver-sauerung und die dadurch ausgelös-ten Probleme aufmerksam.

Das Problem liegt in der ganz fun-damentalen Säure-Base-Chemie. Koh-lendioxid macht die Lösung saurer,und die zusätzlichen Wasserstoffio-nen verschieben das Gleichgewicht:

H2CO3 b HCO3– + H+ b CO3

2– + 2H+

nach links, und es liegt demnach we-niger Carbonat in Lösung vor. (Mehrals 99% des CO2 liegen sowieso alsHydrat vor und nicht als Kohlensäu-re.) Viele Meeresorganismen (z.B. Mu-scheln, Korallen) benutzen jedochCarbonat zum Aufbau von Schalenund sind davon abhängig, dass dasMeerwasser mit diesem Anion gesät-tigt ist.Verschiebt sich das Gleichge-wicht zu weit nach links, so könntensich deren Schalen gar auflösen. Daviele solche Arten als Nahrungsquellefür weit verzweigte Nahrungsnetzedienen, würden die Folgen das ge-samte Ökosystem der Meere durch-einanderwirbeln.

In Sachen Klimawandel würdevermutlich eine paradoxe Konse-quenz eintreten: wenn die Ozeanemehr Kohlendioxid aufnehmen, kön-nen sie weniger davon sequestrieren.Bisher hat die Sedimentierung vonKalkschalen große Mengen an Carbo-nat dauerhaft aus dem Verkehr gezo-

gen. Ganze Gebirge bestehen aus die-sem Material.Wenn dieser Mechanis-mus wegfällt, kann es zu einem Rück-kopplungseffekt kommen, der denMeeresbewohnern und dem Klimagleichzeitig schadet.

Zwei neue Forschungsarbeitenweisen nun darauf hin, dass die Ver-sauerung der Meere rascher stattfin-det als bisher vermutet wurde, unddass katastrophale Auswirkungensich bereits vor der Mitte dieses Jahr-hunderts einstellen können.

Ben McNeil und Richard Matearan der University of New South Wa-les in Sydney untersuchten pH-Werteund Kohlendioxid-Konzentrationenin den Ozeanen rund um Antarcticaund kamen zu der Schlussfolgerung,dass kritische Carbonat-Konzentratio-nen bereits zwischen 2030 und 2038unterschritten werden können [1].

Die Arbeitsgruppe von TimothyWootton an der Universität von Chi-cago verfolgte pH-Schwankungen imWasser des Pazifik vor der Küste desUS-Bundesstaats Washington über einen Zeitraum von acht Jahren. DieForscher beobachteten ausgeprägteSchwankungen, die von den Jahres-zeiten und der Wetterlage abhängen,konnten aber aus ihren Daten einenstatistisch abgesicherten Trend ermit-teln, der eine erschreckend schnellfortschreitende Versauerung zeigt[2].

Nach diesen Ergebnissen sinktder pH-Wert pro Jahr um etwa 0,045Einheiten. Falls sich dieser Trend fort-setzt, verringert er sich also in nur20–25 Jahren um eine ganze Einheit.Es ist offensichtlich, dass eine so dras-tische und rasche Veränderung dra-matische Auswirkungen auf die Mee-

reslebewesen haben wird.Wie genaudie Folgen aussehen werden, ist nochnicht abzusehen.

Wootton und seine Mitarbeiterbenutzten Computersimulationender Wechselwirkungen zwischen aus-gewählten Arten, um eine Prognosezu erstellen. In ihrem Modell zeigtesich, dass es Gewinner und Verlierergeben wird. Das Verschwinden be-stimmter, von Carbonat abhängigenArten, wird voraussichtlich derenKonkurrenten Auftrieb geben. Das ge-samte Nahrungsnetzwerk der Welt-meere würde in nur wenigen Jahrenumgestürzt werden.Am stärksten be-droht sind vermutlich die Korallen,da diese sowohl unter der langsamsteigenden Wassertemperatur, alsauch unter dem sinkenden pH-Wertleiden.

Wann genau die Kohlendioxid-Ka-tastrophe im Meer kommt, und wiesie ablaufen wird, kann man aufgrunddieser wenigen Stichproben nichtmit Sicherheit sagen, und die Exper-ten betonen übereinstimmend, dassbessere und weitreichendere Unter-suchungen dringend nötig sind. Dochnach den neuesten Erkenntnissen zuschließen, bleibt für diese eingehen-dere Erforschung des Phänomensnicht mehr viel Zeit.

[1] B. I. McNeil and R.J.Matear, Proc. Natl.Acad. Sci. USA 22000088, 105, 18860–64.

[2] J. T. Wootton et al., Proc. Natl. Acad. Sci.USA 22000088, 105, 18848–53.

Michael Groß

K L I M AWA N D E L |Dramatische pH-Änderung der OzeaneDie Weltmeere haben bisher einen mildernden Einfluss auf den Klima-wandel durch von Menschen freigesetztes Kohlendioxid ausgeübt.Schätzungsweise ein Drittel des seit Beginn der Industrialisierung erzeugten CO2-Überschusses hat sich im Meer gelöst und trägt damitvorerst nicht zum Treibhauseffekt bei. Erst vor einigen Jahren haben Experten bemerkt, dass dieser scheinbar positive Effekt katastrophaleNebenwirkungen mit sich bringt.

Abb. Durch dieAufnahme vonKohlendioxidsinkt der pH-Wert der Ozeane.Dies hat Auswir-kungen auf dieMeereslebewe-sen. Besondersbetroffen davonwerden wohl vonCarbonat abhän-gige Arten wiedie Korallen sein.