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38 Drei Beispiele fur angeborenes bezw. erlerntes rhythmisches Verhalten bei Tieren ron 0. KOEHLER, Freiburg i. Br. 1). Unabhingig voneinander wiesen Karl von Frisch und Cuslav Kramer nach, dass Bienen und Vogel die Himmelsrichtung nach der Sonne unter Einberechnen der Tageszeit bestimmen. Wir drehen die Taschenuhr so, dass das Sonnenbildchen auf dem kleinen Zeiger liegt; dann weist die Winkelhalbierende zwischen ihm und der 12 nach Siiden. Diese Tiere konnen das ohne Instruktionsstunde und ohne Taschenuhr aucli bei bedecktem Himmel tun, wenn der Sektor sichtbar ist, wo die Sonne hinter Wolken steht; die Bienen gar, wenn sie vom ganzen Himmel gleich wo nur soviel Blaues sehen, wie wir durch ein Ofenrohr. - Spat abends lernten Bienen einen Futterplatz 200 m westlich vom Stock anzufliegen. v. Frisch verfrachtete den Stock weit iiber den Wolfgangsee in eine diesen Bienen sicher vollig unbekannte Gegend und Sffnete ihn dort am nachsten Morgen. Die Sonne stand ganz wo anders als am vorigen Abend. Aber die damals und dort auf Westen dressierten Bienen flogen jetzt und hier 200 m westwarts. - Der kleine amphipode Krebs Talitrus wohnt langs dem Meeresstrand im Seesand von einem bestimmten Feuchtigkeitsgehalt. Wirft man ihn ins Meer, so schwimmt er landwarts. Setzt man ihn jenseits seiner Wohnzone aufs ganz Trockne, so hiipft er meerwarts, beidemal bis in seine Wohnzone. Pardi und Papi setzten sie in Pisa aufs Trockne; dort hiipften sie westwarts in Richtung auf ihr 7 km entferntes tyrrhenisches Meer zu. Aber auch auf dem trocknen Strand von Rimini, WO im Osten die Adria brandet, sprangen sie westwarts ins noch trocknere Verderben. Das nahe Meer sahen sie nicht, sondern richteten sich nach dem Himmel, der auf beiden Seiten des Stiefels derselbe ist. Die Spiegelversuche und die mit der Polarisationsfolie ver- liefen bei beiden Tierarten gleich. Auch die Krebschen orientierten sich zu jeder Tagesstunde gleich gut. Custav Kramer und seine Schiiler konnten Stare, Tauben, die nachts ziehende Sperbergrasmiicke und den Neuntoter unter freiem Himmel auf eine Richtung dressieren, so dass sie, gleich zu welcher Stunde, immer nur dort nach Futter suchten. In einem grossen Dunkelraum stellte er auf festem Meridian einen Scheinwerfer, so gross

Drei Beispiele für angeborenes bezw. erlerntes rhythmisches Verhalten bei Tieren

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Drei Beispiele fur angeborenes bezw. erlerntes rhythmisches Verhalten bei Tieren

ron

0. KOEHLER, Freiburg i. Br.

1). Unabhingig voneinander wiesen Karl von Frisch und Cuslav Kramer nach, dass Bienen und Vogel die Himmelsrichtung nach der Sonne unter Einberechnen der Tageszeit bestimmen. Wir drehen die Taschenuhr so, dass das Sonnenbildchen auf dem kleinen Zeiger liegt; dann weist die Winkelhalbierende zwischen ihm und der 12 nach Siiden. Diese Tiere konnen das ohne Instruktionsstunde und ohne Taschenuhr aucli bei bedecktem Himmel tun, wenn der Sektor sichtbar ist, wo die Sonne hinter Wolken steht; die Bienen gar, wenn sie vom ganzen Himmel gleich wo nur soviel Blaues sehen, wie wir durch ein Ofenrohr. - Spat abends lernten Bienen einen Futterplatz 200 m westlich vom Stock anzufliegen. v. Frisch verfrachtete den Stock weit iiber den Wolfgangsee in eine diesen Bienen sicher vollig unbekannte Gegend und Sffnete ihn dort am nachsten Morgen. Die Sonne stand ganz wo anders als am vorigen Abend. Aber die damals und dort auf Westen dressierten Bienen flogen jetzt und hier 200 m westwarts. - Der kleine amphipode Krebs Talitrus wohnt langs dem Meeresstrand im Seesand von einem bestimmten Feuchtigkeitsgehalt. Wirft man ihn ins Meer, so schwimmt er landwarts. Setzt man ihn jenseits seiner Wohnzone aufs ganz Trockne, so hiipft er meerwarts, beidemal bis in seine Wohnzone. Pardi und Papi setzten sie in Pisa aufs Trockne; dort hiipften sie westwarts in Richtung auf ihr 7 km entferntes tyrrhenisches Meer zu. Aber auch auf dem trocknen Strand von Rimini, WO im Osten die Adria brandet, sprangen sie westwarts ins noch trocknere Verderben. Das nahe Meer sahen sie nicht, sondern richteten sich nach dem Himmel, der auf beiden Seiten des Stiefels derselbe ist. Die Spiegelversuche und die mit der Polarisationsfolie ver- liefen bei beiden Tierarten gleich. Auch die Krebschen orientierten sich zu jeder Tagesstunde gleich gut.

Custav Kramer und seine Schiiler konnten Stare, Tauben, die nachts ziehende Sperbergrasmiicke und den Neuntoter unter freiem Himmel auf eine Richtung dressieren, so dass sie, gleich zu welcher Stunde, immer nur dort nach Futter suchten. In einem grossen Dunkelraum stellte er auf festem Meridian einen Scheinwerfer, so gross

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leuchtend. wie wir die Sonnenscheibe sehen, auf jeweilige Sonnenhohe ein. Dann wahlte der draussen z. B. auf West dressierte Vogel drinnen zu jeder Stunde einen anderen Futternapl und zwar stets den, der im Westen gestanden hitte, wenn der meridianfeste Scheinwerfer die wandernde Sonne gewesen ware: bei Krebsen, Bienen und Vogeln die gleiche, wahrlich unerwartete Leistung der inneren Uhr.

Dass sie den 24-Stundengang hat, wissen wir langst. Im 180 m tiefen Bergwerk, rundherum 15 m Steinsalz, konnte Wahl Bienen auf Tageszeiten dressieren, aber in keinem anderen Gange als dem 24-stiindigen der Sonne. Cruigs wood pewee lasst iiber gut 9 Breitengrade quer durch Amerika, gleich ob im tiefen Wald oder auf freiem Felde, den ersten Flotenton seines Morgengesanges horen, wenn die Sonne 9'36' unter dem Horizont steht. Frunz Sauers aus dem Ei in je einer schalldichten Kammer bei Kunstlicht aufgewachsene Dorngrasmiicken, die zeitlebens nur sich selber horten, sangen ebenso wie ihre wilden Artgenossen und zu denselben Tageszeiten, alles nach der Sonne, gleich ob man sie sieht oder nicht oder ob man sie nie gesehen hat.

Wie Lindaiier zeigte, ist die Wegweisung und ihr Verstandnis den Bienen ange- boren. Die 20 Tage alte Arbeiterin kommt vom ersten Sammelflug ihres Lebens nach eben der Tracht zuriick, deren Ort ihr die ersten Vortanzerin, der sie nachtanzte, ange- wiesen hat. Ob die erstmals ausfliegende Biene auch schon die Tageszeit einkalkulieren kann, das wissen wir noch nicht.

Aber Klaus Hoffmanns Star, der nie im Leben die Sonne gesehen hatte, verhielt sich im Dunkelraum mit der kiinstlichen Sonne ebenso wie die draussen dressierten. Er kalkulierte einen Sonnengang ein, wie er dem Juni entspricht. Da die Versuche im September liefen, ergab sich eine Missweisung von durchschnittlich 15'. Vielleicht erfahren diese Vogel den Sonnengang auch anders als mit den Augen; sonst miisste ihnen nicht nur die innere Uhr samt ihrem 24-Stunden-Gang angeboren sein, sondern sie ware auch angeborenermassen richtig auf Ortszeit eingestellt, - Andererseits aber lasst sie sich iiber die Augen allein verstellen. Hoffmann bot zwei Staren, die draussen auf Siid bezw. West dressiert waren (A), im Dunkelraum einen kiinstlichen, um 6 Stunden verspateten Tag. Nach drei Wochen wahlten sie draussen zu der einzigen Tageszeit, zu der die Sonne ebenso hoch stand, wie sie am urn 6 Stunden verspateten Tage auch gestanden hatte, erwartungsgemass 90' rechts von der Dressurrichtung, im Sinne des verspateten Kunsttages (B). 28 weitere Tage waren die Stare im Dauertag und behielten ebensolang ihre Wahltendenz bei (C). Dann kamen sie in den kiinstlich verspateten Tag zuriick und wurden neu auf ihn dressiert (D). und danach endlich fur 12 Tage in die Aussenvolisre, also den natiir- lichen Tag. Hier wahlten sie sogleich, ohne Neudressur, in dessen Sinne richtig (E). Beide Umstellungen, sechs Stunden zuriick und wieder vor, sind also voll gegliickt: rein durch die Augen. - Die Frage der Verwertung dieses Vermogens auf dem Zuge ist bei Kramer, dessen Forschungsfortgang man in atemloser Spannung verfolgt, in besten Handen.

2). Eine Amsel sang in meinem Garten wochenlang immer wieder dasselbe Motiv: de fis e d h a. die ersten 5 Noten in der viergestrichenen Oktave, die letzten beiden

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in der dreigestrichenen, alles ganz rein und nach meinem Empfinden auch in genau konstantem Tempo, jeder Ton gleich lang. Daraufhin machten Messmer und Bergstein von einem ebenso gut erkennbaren Motiv einer anderen Amsel 13 Magnetophonaufnah- men, machten sie durch Umspielen bei halber Geschwindigkeit halb so schnell und eine Oktave tiefer, vergrosserten so dreimal nacheinander und stoppten dann die Zeitin- tervalle ab. Sie schwankten um 15 millisek, was bei den sehr tiefen, hauchartig einsetzenden und ebenso abklingenden Tonen gerade dem Messfehler entsprechen diirfte. Er ist halb so gross wie der kiirzeste Notenwert, des Sechszehntel, in Beethovens Klavierstiick,, Die Wut um den verlorenen Groschen”. Vier Mitarbeiter bemiihen sich um die Frage, wie solche nach Tonhohe und Rhythmus konstanten Motive im Friihlingslied zustande kommen mogen.

3) . Sozusagen das Negativ hierzu bilden unsere Versuche zum Sachweis der Fahigkeit, Anzahlen abzuhandeln. Lernte eine Taube, vom Kornerhaufen immer nur 5 zu nehmen, so wandte Bierens de Haan ein, sie habe nicht die Anzahl, sondern den Pickrhythmus gelernt, denn seine Affen versagten, als er den ihnen gewohnten Dar- bietungsrhythmus anderte. Wir dagegen haben unseren Vogeln stets die unstreitig wirksame Rhythmushilfe radikal genommen, indem wir schon moglichst arrhythmisch dressierten. Frl. Brauns Graupapagei z. B. lernte, abgehorte Anzahlen abzuhandeln, d. h. an der Schalchenreihe, die wechselnd verteilte Koder enthielt, solange Deckel abzuheben, bis er ebensoviele Koder gefunden hatte, wie auf seinem Hinweg Pfiffe erklungen waren: nach 2 Pfiffen ging er mit 2 Kodern ab, nach 3 mit dreien, nach 4 mit vieren. Die Pfeifrhythmen variierten extrem (Braun, abb. 17. S. 80). Versuche, dem Vogel umgekehrt, bestimmte Pfeifrhythmen als Befehlsanweiser fur jeweils be- stimmtes Handeln zu geben, sind im Gange.

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Prof. Dr. 0. Koehler Freiburg i. Br.

Zoologisches Institut