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C1. W. Schwarze und E. A. Kreisel,/)ruel~ und Volumen im Mundraum 449 Aus der Abteilung ftir Kieferorthop~die (Leiter: Prof. Dr. Dr. med. G. P. F. Schmuth) der Universit~ts-Zahn- und Kieferklinik, KSln (Direktor: Prof. Dr. reed. K. Fr. Schmidhuber) Druck und Volumen im Mundraum Experimentelle Untersuchungen Von Claus W. Schwarze und Ernst A. Kreisel, Kiiln Mit 6 Abbildungen Auf Grund klinischer Beobachtungen scheint die Annahme berechtigt, dab die Zunge dutch Form, Haltung und Gr56e charakteristische Stellungsanomalien der Z/~hne verursachen kann. Entsprechenden Ver/~nderungen ist der Kauapparat auch durch das atypische Verha|ten der Wangen- und Lippenmuskulatur ausge- setzt. Die Wangen lind Lippen auf der einen Seite und die Zunge auf der anderen Seite haben also bestimmte Einfliisse auf das Gebil3, die sich besonders bei unter- schiedlicher Kraftentfaltung einer der beiden antagonistisch wirkenden Muskel- gruppen an der Form der Zahnb6gen mid ihrer r/~umlichen Beziehungen zuein- ander erkennen lassen. Einige Anomalien des Kauapparates weisen eine direkte Abhi~ngigkeit yon den Kraftverh/~ltnissen der lingualen und perioralen Muskulatur auf, womit gleichzeitig die r/iumlichen Beziehungen des Mundraumes beeinflul~t sein k6nnen. Die Ermittlung dieser Kr/~fte bzw. des Druckes auf die Zahnreihen und die Ver~tnderungen r/~umlicher Art interessieren uns gleichermal~en, da sie m6glicherweise gewisse Rfickschlfisse auf die Entwicklung des Gebisses zulassen. Die Mundh6hle kann nicht als Hohlraum im physikalischen Sinne aufgefal~t werden, sondern ist eher als Funktionsraum zu bezeichnen, in dem sich die Volu- men- und Druckverh/~ltnisse je nach der Aktionsphase der Zungen-, Wangen- und Lippenmuskulatur stgndig/indern. Aul~erdem handelt es sich nicht um einen ein- heitlichen Hohlraum, sondern um ein gekammertes System, bestehend aus dem Cavum oris proprium (C. o. p.) und dem Vestibulum oris. Diese beiden Rgume sind durch die Zahnreihen und Alveolarfortsgtze des Ober- trod Unterkiefers von- einander abgegrenzt. Die wechselseitigen Beziehungen yon Druck und Volumen innerhalb dieser beiden Rgume und ihre Beziehungen zueinander bilden eine funk- tionelle Einheit und lassen sich infolgedessen nur schwer getrennt voneinander darstellen. Zur Erfassung dieser Zusammenh/~nge und ihrer Wirkungsweise auf die Form des Gebisses sind besonders in neuerer Zeit zahlreiche Untersuchungen durchge- fiihrt worden, die sich haupts/tchlich mit der Kraftmessung der Zungen- und Lip- penmuskulatur besch/~ftigen. Das Studium des einschl/tgigen Schrifttums gibt einen Einblick in eine Reihe verschiedener Verfahren zur Druckmessung, 1/t6t aber Raummessungen fast vOllig vermissen. Die Ermittlung des Mundraumes und Zungenvolumens bereitet wegen der fehlenden anatomischen Begrenzung nach dorsal erhebliche Schwierigkeiten. Wir haben also zunKchst nach einer M6glich- keit gesucht, die rfickw/~rtige Begrenzung der Mundh6hle an verschiedenen Indi- viduen mSglichst einheitlich festzulegen, um vergleichende Messungen vornehmen zu k6nnen. Insbesondere sollte das Fassungsverm6gen des C. o. p. mit dem Volu-

Druck und Volumen im Mundraum

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C1. W. Schwarze und E. A. Kreisel,/)ruel~ und Volumen im Mundraum 449

Aus der Abteilung ftir Kieferorthop~die (Leiter: Prof. Dr. Dr. med. G. P. F. Schmuth) der Universit~ts-Zahn- und Kieferklinik, KSln (Direktor: Prof. Dr. reed. K. Fr. Schmidhuber)

Druck und Volumen im Mundraum Experimentelle Untersuchungen

Von Claus W. Schwarze und Ernst A. Kreisel, Kiiln

Mit 6 Abbildungen

Auf Grund klinischer Beobachtungen scheint die Annahme berechtigt, dab die Zunge dutch Form, Hal tung und Gr56e charakteristische Stellungsanomalien der Z/~hne verursachen kann. Entsprechenden Ver/~nderungen ist der Kauappara t auch durch das atypische Verha|ten der Wangen- und Lippenmuskulatur ausge- setzt. Die Wangen lind Lippen auf der einen Seite und die Zunge auf der anderen Seite haben also best immte Einfliisse auf das Gebil3, die sich besonders bei unter- schiedlicher Kraf tentfal tung einer der beiden antagonistisch wirkenden Muskel- gruppen an der Form der Zahnb6gen mid ihrer r/~umlichen Beziehungen zuein- ander erkennen lassen. Einige Anomalien des Kauapparates weisen eine direkte Abhi~ngigkeit yon den Kraftverh/~ltnissen der lingualen und perioralen Muskulatur auf, womit gleichzeitig die r/iumlichen Beziehungen des Mundraumes beeinflul~t sein k6nnen. Die Ermit t lung dieser Kr/~fte bzw. des Druckes auf die Zahnreihen und die Ver~tnderungen r/~umlicher Art interessieren uns gleichermal~en, da sie m6glicherweise gewisse Rfickschlfisse auf die Entwicklung des Gebisses zulassen.

Die Mundh6hle kann nicht als Hohlraum im physikalischen Sinne aufgefal~t werden, sondern ist eher als Funkt ionsraum zu bezeichnen, in dem sich die Volu- men- und Druckverh/~ltnisse je nach der Aktionsphase der Zungen-, Wangen- und Lippenmuskulatur stgndig/indern. Aul~erdem handelt es sich nicht um einen ein- heitlichen Hohlraum, sondern um ein gekammertes System, bestehend aus dem Cavum oris proprium (C. o. p.) und dem Vestibulum oris. Diese beiden Rgume sind durch die Zahnreihen und Alveolarfortsgtze des Ober- trod Unterkiefers von- einander abgegrenzt. Die wechselseitigen Beziehungen yon Druck und Volumen innerhalb dieser beiden Rgume und ihre Beziehungen zueinander bilden eine funk- tionelle Einheit und lassen sich infolgedessen nur schwer getrennt voneinander darstellen.

Zur Erfassung dieser Zusammenh/~nge und ihrer Wirkungsweise auf die Form des Gebisses sind besonders in neuerer Zeit zahlreiche Untersuchungen durchge- fiihrt worden, die sich haupts/tchlich mit der Kraftmessung der Zungen- und Lip- penmuskulatur besch/~ftigen. Das Studium des einschl/tgigen Schrifttums gibt einen Einblick in eine Reihe verschiedener Verfahren zur Druckmessung, 1/t6t aber Raummessungen fast vOllig vermissen. Die Ermit t lung des Mundraumes und Zungenvolumens bereitet wegen der fehlenden anatomischen Begrenzung nach dorsal erhebliche Schwierigkeiten. Wir haben also zunKchst nach einer M6glich- keit gesucht, die rfickw/~rtige Begrenzung der Mundh6hle an verschiedenen Indi- viduen mSglichst einheitlich festzulegen, um vergleichende Messungen vornehmen zu k6nnen. Insbesondere sollte das Fassungsverm6gen des C. o. p. mit dem Volu-

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men der Zunge verglichen werden und die Relation des C. o. p. zum Vestibulurn oris untersucht werden.

Nach zahlreichen Vorversuchen haben wit ein Verfahren entwickelt, mit dern wir derartige Volurnenrnessungen am Patienten vornehmen kSnnen. Da es sich urn vergleichende Messungen handelt, war es in erster Linie nStig, diese unter gleichen Bedingungen vorzunehrnen. Die Messungen erfolgen rnit Hilfe yon Wasser, das aus einer MeBrShre aus bestirnrnter HShe in die MundhShle einftiel~t. Mit einer

Abb. 1. Aufbau der Mel~apparatur

sehr dfinnen Gummiblase, die innerhalb der geschlossenen Zahnreihen rnit Wasser geffillt wird, 1/tBt sich der Rauminhalt des C. o. p. bestirnmen. Dureh den Druek, rnit dern alas Wasser in das C. o. p. einstr6rnt, wird die Zunge rnit zunehrnender Ffillung nach dorsal verdr/tngt, bis ein AbsehluB der Mundh6hle irn rfickw/~rtigen Bereieh in Verbindung rnit dern Velum palatinurn entsteht. Einheitliehe Versuchs- bedingungen werden bei allen Probanden dadurch erreicht, dab die Ffillung je- weils rnit dern gleichen Ausgangsdruck yon 40 rnrn Quecksilbers/~ule (40 Torr) erfolgt. Wit verwenden zu diesem Zweck ein MeBgef/~B, das in entsprechender H6he an einern Stativ befestigt ist (Abb. 1) und yon dern aus fiber eine Schlauch- leitung die Ffillung der Gurnmiblase erreicht wird. Die H6hendifferenz zwischen dern Wasserspiegel irn MeBgef/~B und dern Eingang der Mundh6hle des Probanden

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be t r~gt g le ichble ibend ann/~hernd 55 cm. Der sehr d/ inne G u m m i b e u t e l legt sich allen Unebenhe i t en (Pala t ina l -Lingual f l s der Z~hne und U n t e r z u n g e n r a u m ) e x a k t an und n i m m t selbst p rak t i sch ke inen R a u m ein. Auf diese Weise l~Bt sich das Volumen des C. o. p. bei m a x i m a l zur i ickgedr~ngter Zunge einigermaBen genau und auf re la t iv einfache Weise e rmi t te ln .

B e s c h r e i b u n g d e r M e B a p p a r a t u r (Abb. 2)

Das MeBger~t (M) is t fiber eine durchs icht ige , d ickwandige P las t iksch lauch- le i tung mi t dem P r o b a n d e n ve rbunden . Das T-St f ick (T 1) und die Schlauchklem- me (K l) d ienen zur genauen E ins te l lung des Wasserspiegels in der MeBrShre.

Abb. 2. Schematische Darstellung der MeBapparatur M: MeBgefiil3 aus Glas (500 ml), A: Elektrisches Druckmel3ger~it 1) (Plattenmanometerkapsel und indukt. Weggeber Philips PR 9310), MB : direktanzeigende Mel~briicke (Philips PR 9300),

T 1, 2, 3: T-Stiicke aus Glas, K 1, 2, 3: Schlauchklemmen, P: Endstiick am Probanden

Die K lemme (K 2) wird zu Beginn der Messung ge6ffnet und g ib t den Weg des Wassers zum Druckmegger/~t (A) und zum P r o b a n d e n frei und wird geschlossen, wenn die dem Gefglle en t sp rechende max ima le Ff i l lung des C. o. p. e r re icht ist.

z) Das DruckmeBger~it wurde -con Herrn Priv.-Doz. Dr. J. H a m a c h e r aus dem Pharma- kologischen Institut der Universitiit K61n (Direktor: Prof. Dr. H. F. Zip f) zur Verwendung fiir Blutd~ckmessungen entwickelt und uns freundlicherweise zur Verfiigung gestellt. (N~ihere Beschreibung s. Z. Biol. 113, 97, 1962.)

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]:)as DruckmeBgeri~t (A) dient zur Druckmessung bei geschlossenen Klemmen (K 2 und K 3). I m Prinzip besteht dieses GerKt aus einer Plattenmanometerkapsel , deren Plat tenauslenkung mittels eines induktiven Weggebers aufgenommen, durch eine elektrische Transmission auf die MeBbrficke (MB) fibertragen und dort nach elektronischer Verst/irkung an der Mel3skala angezeigt wird. Die dirckt anzeigende Mel3briicke (MB) registriert den Druck und Unterdruck in dem yon uns gemessenen Bereich linear. Durch 0ffnen der Klemme (K 3) kann das Wasser nach erfolgter Druck- und Volumenmessung aus dem Leitungssystem abflieBen. Das Ende die- ser Abflul31eitung liegt 2 cm hSher als die Ebene, in der sich T 2, T 3, A und P befmden. An das Endstfick (P) kSnnen entweder sterile, auswechselbare Gummi- beutel oder Mundstficke angeschlossen werden. Das MeBgefKl~ (M) wird fiber einen Plastikschlauch direkt aus der Wasserleitung aufgeffillt.

U n t e r s u c h u n g s g a n g V e r f a h r e n z u r V o l u m e n m e s s u n g des C a v u m o r i s An das Endstfick (P) wird eine Gummiblase angeschlossen. Nach Entlfiftung

der Schlauchleitungen und des Gummibeutels wird dieser in leerem Zustand locker in das C. o. p. eingelegt. Der Proband wird angewiesen, die Zahnreihen fest zu schlieBen. Die Schlauchklemmen sind zun~chst geschlossen, die Leitungen bis zum Ansatz des Beutels mit Wasser geffillt. Der Wasserspiegel in dem MeBgefiil3

Abb. 3 (a--j). Darstellung der zunehmenden Fiillung des Cavum oris proprium mit Hilfe eines Kontrastmittels (Conray 60) vor dem ROntgenschirm. Die Aufnahmen sind VergrOl%-

rungen yon Einzelbildern eines 16-mm-Filmes

wird vor jedem Versuch auf die festgelegte, gleichbleibende H6he eingestellt; darauf wird K 2 ge6ffnet und das Wasser kann nun durch eine meist vorhandene, kleine Lficke zwischen den geschlossenen Zahnreihen in die Gummiblase einflie- Ben. Mit zunehmender Ffillung wird die Zunge mehr und mehr zurfickgedrangt (Abb. 3), bis das Gef/tlle durch die maximale Anffillung des C. o. p. kompensiert ist. K 2 wird daraufhin wieder geschlossen und die in das Cavum eingeflossene Wassermenge direkt am McBgefKl3 abgelesen und notiert.

V e r f a h r e n z u r M e s s u n g des Z u n g e n d r u c k e s Bei noch geschlossenen Zahnreihen und maximaler Anffillung des Gummibeu-

tels im Cavum wird der Proband angewiesen, die Zunge mit/ inBerster Kraf t gegen

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die gefiillte Gummiblase zu bewegen. K 2 und K 3 sind dabei gesehlossen, und das im Druckmel3system beffndliche Wasser bewirkt in direkter Abh~tngigkeit yore Zungendruck eine Auslenkung der Metallmembran im Druckmel3ger/~t (A); der entstehende Druck wird auf dem oben beschriebenen Wege angezeigt.

V e r f a h r e n z u r E r m i t t l u n g des Z u n g e n v o l u m e n s Die Gummiblase im C. o. p. ist noch immer mit Wasser angeffillt. Die Schlauch-

klemme (K 3) wird ge6ffnet und der Proband angewiesen, die Zunge abermals gegen den gefiillten Beutel zu bewegen und zu versuchen, das Wasser restlos herauszu- driicken. Auf diese Weise wird die Zunge gleichzeitig einer Funktionsprfifung unter- zogen, die Aufschlul3 dariiber geben kann, inwieweit die Zunge imstande ist, den bereits ermittelten Rauminhalt des Cavum auszufiillen. Das Ende der AbflulL leitung liegt um 2 cm hSher als die Ebene, in der sich T 2, T 3, A und P befmden. Durch diesen leichten Anstieg soll ein selbstst/~ndiges Abfliel3en des Wassers verh;.ndert werden. Je nach Zungenaktivit/~t und Zungenvolumen kann das Wasser entweder ganz oder nur teilweise aus dem C. o. p. ausgestol3en werden. Das Restvolumen zeigt dann die Differenz zwischen der Gr613e des C. o. p. und dem Funktionsvolumen der Zunge an. Das Zungenvolumen wird also indirekt gemessen und rechnerisch durch Subtrakt ion 'des Restvolumens vom Fassungsverm6gen des C. o. p. ermittelt.

V e r f a h r e n z u r E r m i t t l u n g des R a u m i n h a l t e s des V e s t i b u l u m o r i s Zu diesem Zweck wird das Endstfick (P) mit einem Mundst/ick versehen, das

yore Probanden zwischen den Lippen festzuhalten ist. Die Zahnreihen sind dabei wiederum geschlossen. Diesmal werden C. o. p. und Vestibulum oris direkt mi t Wasser angeftillt, und zwar unter dem gleichen Ausgangsdruck wie vorher. Die Menge des eingestr6mten Wassers stellt das FassungsvermSgen beider R/~ume dar. Da das FassungsvermSgen des C. o. p. bei allen Probanden unter gleichen Bedin- gungen ermittelt wurde, darf seine jeweilige GrSl3e als bekannt vorausgesetzt werden. Das Fassungsverm6gen des Vestibulum oris erh/tlt man reehnerisch als Differenz zwischen dem Gesamtvolumen beider R~ume und dem Rauminhal t des C. o. p. Absehliel3end wurde bei jedem Probanden der in der MundhShle er- zeugte maximale Druck und Unterdruck gemessen.

Die yon uns vorgenommenen Messungen verlangen yon dem Probanden neben der Bereitschaft zur Mitarbeit aueh eine gewisse Geschieklichkeit und Konzen- tration. ~Tir haben deshalb den Untersuehungsgang vorher genau erkl/irt und einmal ge/ibt. Als Mel3ergebnis wurde jeweils der errechnete Mittelwert yon drei durchgefiihrten Messungen festgehalten.

Es soll nieht verschwiegen werden, dal3 einige Kinder wegen mangelnder Konzentration und ungen/igendem Intellekt fiir derartige Versuche nicht geeig- net waren; bei der iiberwiegenden Mehrzahl der Probanden konnten die Messun- gen jedoeh ohne Sehwierigkeiten vorgenommen werden, so dal3 die der nun fol- genden Besprechung der Untersuchungsergebnisse zugrundeliegenden Daten hin- reichende Genauigkeit besitzen.

In der Reihenfolge der oben beschriebenen Untersuchungsg/tnge wurden an 100 Kindern (bei 44 M~dehen und 56 Knaben) im Alter yon 9 bis 17 Jahren Mes- sungen vorgenommen. Es mul3 dabei berficksichtigt werden, dal3 es sich urn Pro- banden handelt, die sich bereits in kieferorthop/~discher Behandlung befmden. Wir haben versueht, die Mel3ergebnisse best immter Anomaliengruppen, wie z. B. F/tlle mit Progenie, offenem BiB, Deckbil3, Tiefbil3 und Schmalkiefer untereinander zu

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vergleiehen. Eine scharfe Abgrenzung dieser Dysgnathien untereinander war nicht immer mSglich, da es sich teilweise um Misehformen handelt.

In Abbildung 4 wurde das durchschnittliche Fassungsverm6gen des C. o. p. (I. V.) zu den einzelnen Altersgruppen in Beziehung gebracht. Das durchschnitt- liche Volumen steigt mit zunehmendem Alter yon 28 ml bei 9j~hrigen bis auf 45 ml bei 17j/~hrigen, also um etwa 2 ml pro Jahr. Dartiber hinaus haben wir Messungen an Studenten im Alter yon 22 bis 26 Jahren vorgenommen, tiler lag das Durchschnittsvolumen des Cavum bei 60 m[. Ein weiterer Anstieg war jedoch bei diesen Altersgruppen nicht zu beobachten. Vermutlich verls die Kurve bis zum Beginn des dritten Lebensdezenniums noch gleichmal~ig ansteigend. Da uns die Probanden im Alter yon 17 bis 20 Jahrcn nicht zur Verffigung standen, war ein Beweis fiir diese Vermutung nicht mSglich. Interessant ist, dal3 auch bei 7 der 100 Untersuchten, bei dencn die vier crsten Pr~molaren aus kieferortho-

110.

I00. C/O.

gO.

70.

60,

50.

90.

30.

20.

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't I0 I I 12 13 ILt

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3.V.

Jahre

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Abb. 4. Durchschnittliches FassungsvermSgen des Cavum oris proprium (I.V.) und durch- schnittliches GesamtfassungsvermSgen des C. o. p. und Vestibulum oris (G.V.) in Beziehung

zum Alter der Probanden

p/~dischen Gr/inden entfernt waren, das Fassungsverm6gen des C. o. p. dem der iibrigen Probanden gleichen Alters entsprach. Dies deutet darauf hin, dag das Waehstum des Gebisses durch Extraktionen nicht beeinflul3t wird und die rs lichen Beziehungen nicht gestSrt werden.

Die Volumenkurve des GesamtfassungsvermSgens des Mundraumes (G. V.) - - das ist das Volumen des C. o. p. plus dem Volumen des Vestibulum oris - - zeigt einen ganz s Verlauf wie die Volumenkurve des C. o. p. allein. Der Anstieg ist jedoch etwas steiler. Das durchschnittliche Gesamtvolumen stieg bei den yon uns untersuchten Kindern yon 56 ml im 9. Lebensjahr auf 89,3 ml im 17. Lebens- jahr. Dies entspricht einer jghrlichen Zunahme yon 4 ml.

Die Knaben hatten ein um durchschnittlich 10 ml grSBeres Gesamtvolumen aufzuweisen als die altersgleichen Mgdchcn. Wahrscheinlich nimmt das durch- schnittliche Gesamtvolumen auch nur bis zum 20. Lebensjahr zu, denn die Durch- schnittswerte bei den 22- bis 26jghrigen Studenten lagen bci 100 bis 120 ml und zeigten keinen weiteren Anstieg.

Das durchschnittliche Gr6genverh~ltnis des FassungsvermSgens des Raumes innerhalb der geschlossenen Zahnreihen zum Gesamtvolumen der Mundh6hle, also I. V. : G. V., betrs etwa 1:2. Das bedeutet, dab das GesamtfassungsvermS-

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gen beider R~ume etwa doppelt so grol3 ist wie das des C. o. p. bei maximal nach dorsal zuriickgedr~ngter Zunge. Es l~Bt sich daraus ableiten, dal] beide R~ume etwa gleiche Gr6Be haben und sieh mit zunehmendem Alter gleichm~gig vergrS- Bern. Bei Knaben wurden geringf~gig h6here Werte festgestellt als bei M~dchen.

Es darf wohl behauptet werden, dab die Kurven I. V. und G. V. in ihrem Ver- lauf etwa das Waehstum des Gebisses mit zunehmendem Alter darstellen.

Der Entwieklungszustand des Gebisses entspraeh nieht immer dem Lebens- alter; Abweiehungen waren naeh beiden Seiten vorhanden. Dureh die Ermit t lung der Durehsehnittswerte fallen diese Untersehiede nieht ins Gewieht. Der etwas st/~rkere Anstieg der Kurven in bestimmten Altersgruppen deutet auf Waehstums- sehiibe hin.

Das kleinste gemessene Volumen des C. o. p. wurde mit 20 ml, das gr6gte mit 65 ml ermittelt. Der kleinste Wert des Ge- samtvolumens lag bei 40 ml, der grSgte bei 105 ml. Ein Vergleieh der extrem kleinen Volumina des C. o. p. (20 bis 27 ml) mit den dazugeh5rigen Gesamtvolumina zeigte eine Verschiebung des Verh/~ltnisses I. V. : G. V. yon 1:2 auf 1:2,32. Die gleiche Unter- suchung der gr5Bten Volumina des C. o. p. (45 bis 65 ml) und der dazugeh6rigen Ge- samtvolumina ergab ein Verh~ltnis yon 1:1,8. D~ sich extrem kleine wie extrem groBe Volumina des C. o. p. in fast allen Altersgruppen vorfanden, wollten wir fest- stellen, ob dieses unterschiedliche Verhalten des I. V. : G. V. in Zusammenhang mit einer Anomalie steht. In beiden Gruppen waren Klasse i I und I I / l Fglle mit Tiefbig, Sehmalkiefer bzw. Frontengstand vorherr- sehend (75 bis 77%). Der durehsehnittliche Ztmgendruek war bei der ersten Gruppe 105 mm Hg, bei der zweiten 125mm Hg.

130 rnrn H 9 ~ 2 0 ~ ~ ~ Z D I to

Ioo qo 80 ~ S 70

50 3ahre I I I I I I I I I t

I0 II 12 18 I'~ /S 16 IF

Abb. 5. Darstellung der Durchschnitts- werte des in der MundhShle erzeugten maximalen Druckes (MD) und Unter- druckes (MS) und des Zungendruckes (MZD) in Beziehung zum Alter der Pro-

banden

In Abbildung 5 wurden die Durchschnittswerte des auf den gefiillten Gummi- beutel ausgetibten Zungendruekes zum Alter der Probanden in Beziehung ge- braeht. Der Zungendruek steigt mit zunehmendem Alter von 98 m m Hg bei 9]~h- rigen auf 130 mm Hg bei 17js Auch hier haben wir ~V[essungen an Studenten im Alter yon 22 bis 26 Jahren vorgenommen. Der durchschnittliche Zungendruck lag bei 150 bis 170 mm Queeksilbers/iule. Ein weiterer Anstieg der Werte in dieser Altersgruppe war nicht zu beobaehten.

Der gr6gte gemessene Wert bei unseren Probanden lag bei 205 m m Hg, der niedrigste bei 68 mm Itg. Die durchschnittliche j~hrliehe Zunahme betrug 4 m m Hg.

Die Kurve MS in Abbildung 5 stellt die Werte des in der MundhShle erzeugten maximalen Soges bzw. Unterdruckes in Beziehung zu den Altersklassen dar; der Sog oder Unterdruck mfiBte seinem negativen Wert entsprechend unterhalb der Abszisse im negativen Bereich des Koordinaten-Systems eingetragen werden. Wegen der besseren VergleiehsmSglichkeiten wurde diese Kurve ebenfalls im positiven Bereich eingezeichnet. Der maximal erzeugte Unterdruck betr~gt bei 9j~hrigen 67 mm Hg und steigt im Alter yon 17 Jahren auf 90 m m Hg an. Auch hier handelt es sich um Durchschnittswerte. Die Sog-Kurve ist urn ein geringes

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flaeher als die Zungendruckkurve. Die durchschnittliche Steigerung des Soges bei 9- bis llj~hrigen betr~gt nur 23 mm ttg, also j~hrlich knapp 3 mm Hg.

~4_hnlieh wie bei der Zungendruckkurve konnte auch bier ein Unterschied der Mel]werte zwischen Knaben und M~dehen festgestellt werden. W/~hrend bei den Zungendruekmessungen die Knaben einen etwas h6heren Wert aufweisen konnten als die M~dehen, war es bei der Sog-Kraft-Messung zum Teil umgekehrt; hier hatten die M~dchen im Alter yon 9 bis 13 Jahren um 3 bis 8 mm Hg h6here Werte als die Knaben der entsprechenden Altersgruppe aufzuweisen.

Die Kurve MD stellt die Durchschnittswerte des Druckes, der auf die geschlos- senen Lippen ausgefibt werden kann, in Beziehung zu den Altersklassen der Pro- banden dar. Der Anstieg vom 9. bis zum 17. Lebensjahr betr/~gt 20 mm t tg ; dem Anfangswert yon 50 mm Hg Druck steht ein Endwert yon 70 mm Hg gegen- fiber. Das entspricht einem j~hrlichen Anstieg yon 2,5 mm Hg. Hier haben wires mit dem geringsten Anstieg yon allen drei Kurven der Abbildung 5 zu tun.

63

o.,~. O.R.

Resfvolumen Zungendrack Abb. 6. Bei 37 von 100 Probanden war das Funktionsvolumen der Zunge kleiner als der ge- messene Rauminhalt des Cavum oris proprium. :Der maximale Zungendruck war bei diesen Probanden um durchschnittlich 27 mm Hg niedriger als bei den 63 F~illen, bei denen die

Volumina keine Unterschiede zeigten

Zur Erzeugung yon Druck und Unterdruck im "Mundraum wird die gesamte den Mundraum umschlieBende Muskulatur, also auch die des Velums und Mund- bodens, aktiviert. Die mit zunehmendem Alter ansteigenden Werte sind als Produkt gesteigerter Muskelkraft aufzufassen. Besonders kr~tftig entwickelte Kin- der der einzelnen Altersgruppen erbrachten unabh/tngig yon den Anomalien durchweg die grSl3ten Druck- und Sogleistungen.

Das Funktionsvolumen der Zunge entsprach in 63 v. H. F/~llen dem angegebe- nen Volumen des C. o. p. ; 37 yon ]00 Probanden waren jedoch nicht in der Lage, das zur Volumenmessung des C. o. p. im Gummibeutel befmdliche VCasser mit Hil- fe der Zunge vollst~ndig wieder herauszudrficken (Abb. 6). Der etwa 2 cm hSher liegende Abflu$ erzeugt eine so geringe Druckschwelle, dal~ diese ffir das mangeJnde Entleeren der Gummiblase nicht verantwortlich gemacht werden kann. Der ver- bleibende Rest yon durchschnittlich 2 ml, maximal 5 ml, deutet darauf bin, dab zumindest bei einem Tell dieser Patienten wahrscheinlich ein Mi$verh~Itnis zwi- schen ZungengrSBe, Zungenfunktion und GrSl]e des C. o. p. vorliegt. Natfirlich sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu einem Teil auch yon der Geschick- lichkeit abhKngig, mit der die Zunge das Wasser aus der Gummiblase zu drfieken

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vermag. AuffMlig war aber, daI3 3 l dieser 37 P robanden , die das Wasser n ich t vollst~ndig herauszudri icken vermochten , e inen TiefbiB oder f ronta len E n g s t a n d mi t Schmalkiefer hat ten . Der Zungendruck war, wie vermute t , kleiner als be im Gesamtdurchschni t t und lag bei 89 m m tIg, wi~hrend die P r oba nde n ohne Rest- vo lumen einen durchsch~i t t l ichen Zungendruck yon 125 m m Hg aufzuweisen ha t t en (Abb. 6).

Das Verh~ltnis I. V. : G. V. liegt hier bei 1 : 1,75 u n d somit un te r dem Gesamt- durchschn i t t yon 1 : 2. Man i~ndet s in ffir die Zunge wie auch ffir das Ves t ibu lum oris re la t iv zu groBes Cavum oris p ropr ium vor. W e n n zudem die Zunge n ich t in der Lage ist, diesen R a u m vollst/~ndig auszufiillen, darf m a n wohl yon e inem urs/~chlichen Zusammenhang zwischen dem Gr613enverh/tltnis der Zunge zum C. o. p. u n d den hierbei auf t re tenden Anomalien, wie Tiefbil3 und Schmalkiefer mi t Engs tand , sprechen.

Es wird notwendig sein, vergleichende U n t e r s u e h u n g e n an eugna then Gebis- sen anzustellen, um noch einen t ieferen Einbl ick in die Zusammenh~nge yon Ano- malie, Druck und Volumen zu gewinnen.

Zusammenfassung Mit Hilfe eines neuartigen Untersuchungsverfahrens wurden die RaumVerh~ltnisse des

Cavum oris proprium und Vestibulum oris sowie das Funktionsvolumen der Zunge unter- sucht. Es stellte sich heraus, dab Cavum o. p. und Vestibulum oris etwa gleich grol3 sind und sich mit zunehmendem Al~er vergrS[~ern. Bei 37 yon 100 Probanden lag ein Gr6fienmii~verhi~ltnis zwischen dem Funktionsvolumen der Zunge und dem Rauminhalt des Cavum oris proprium vor, so dai~ vermutet werden kann, dab hier ein urs~chlicher Zusammenhang zwischen Zun- gengrSBe und Anomalie besteht. Weiterhin wurden der Zungendruck sowie der in der Mund- hShle erzeugte maximale Druck und Unterdruck gemessen. Auch hier konnte ein Anstieg der Werte mit zunehmendem Alter beobachtet werden.

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Anschrift d. Verf. : Dr. Claus W. Schwarze und Dr. Ernst A. K r e i s e l , 5 KSln-Lindenthal, Kerpener Str. 32