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Drucksache Magazin der Erneuerungskommission Kottbusser Tor 22.05.92 Nr. 5

Drucksache Magazin der Erneuerungskommission · PDF fileVertrauen aller Erben ausge¬ ... 1000 Menschen, in diesem Jahr wird mit 3000 - 5000 ge¬ rechnet, die gegen ihren Immigrantinnen-ProjektWillen

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Drucksache

Magazin der Erneuerungskommission Kottbusser Tor 22.05.92 Nr. 5

Impressum

Drucksache Magazin der Erneuerungskommission

Herausgeber: Erneuerungskommission Kottbusser Tor, Dresdener Straße 15,1000 Berlin 36, S 614 60 97

Redaktion: Jochen Siemer (V.i.S.d.P.) Mike Hughes (Fotos, Layout) Barbara Petersen

Mitarbeiterinnen dieser Ausgabe: Jan Gympel

Druck + Repro: Oktoberdruck, Paul-Lincke-Ufer 44a, 1000 Berlin 36

Satz: Eigensatz bei Satzinform, Paul-Lincke-Ufer 44a, 1000 Berlin 36

Nachdruck von Artikeln - auch aus¬ zugsweise - und Fotos nur mit aus¬ drücklicher Genehmigung der Re¬ daktion gestattet. Namentlich ge¬ kennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redak¬ tion wieder.

Lebensmittel

Spirituosen + Milch

Schwarzwälder Spezialitäten

Tortellini mit Fleisch und mit Käse 250 g 3,60 DM Basmati-Reis

1 kg 7,- DM

Oranienstraße 20 Tel.: 6147343

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Daß Geld in Berlin knapp geworden ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Gerade deshalb aber sollte der Senat vernünftig damit umgehen und nicht am falschen Ende sparen: Die Kürzung der Sanierungsfördermittel (s. Titelgeschichte in diesem Heft) bringt dem Finanzsenator unterm Strich wenig - die Folgen für die Sanierung sind dagegen fatal. Wenn die Kreuzberger Parteien sich vom BW-Wahlkampf erholt haben, sollten sie diesen konkreten Aspekt des von ihnen stets lautstark beklagten „Kompetenzverlustes" der Bezirke vielleicht einmal zur Sprache bringen.

Wenn die jetzige Kappung auch besonders heftig ist: Schon in der Vergangenheit hätte das Geld nicht so weit gereicht, wenn es nicht klug und - hin und wieder - mit dem entscheidenden Mut zur Lücke eingesetzt worden wäre. Auch dieser (Teil-) Erfolg hat natürlich etliche Väter und Mütter. Einem wollen wir an dieser Stelle aber ganz besonders gratulieren: Olaf Menge, Leiter der Kreuzberger Sanierungsverwaltungsstelle und vielen Bewohnern als derjenige bekannt, an den sie mit ihren Problemen von den jeweils zuständigen Politikerinnen zur Regelung der <Detailfragen> verwiesen wurden, feierte in der vergangenen Woche seinen 50. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

d. Red.

Die nächsten Sitzungen der

Erneuerungskommission

Kottbusser Tor

26. Mai um 17.00 Uhr im EK-Laden

Thema u.a.: Der Bauwettbewerb Heinrich-Heine-Straße. Koordination zwischen S.T.E.R.N., Bezirksamt Mitte und Kreuzberg sowie dem Bürgerverein Luisenstadt

und der Bürgervertretung Moritzplatz.

9. Juni um 17.00 Uhr

im EK-Laden Thema u.a.: Block 73. Verzicht auf Schulneubau? Sanierung Waldemarstraße 33

Der EK-Laden ist Dienstags und Mittwochs von 14 - 17 Uhr

und Freitags von 10 - 13 Uhr geöffnet. Dresdener Straße 15, ® 614 60 97

Lehrinstitut Otte seit 32 Jahren Einzelunterricht durch Fachlehrkräfte Abiturvorbereitung für Nichtschüler, Gymnasiasten, Berufsfachschüler und Erwachsene Sprechstunden: Mo, Di, Do 17.00 - 18.30 Uhr Oranienstraße 47 a. 1000 Berlin 61 ® 614 10 15

Die Bürgergruppe Moritzplatz trifft sich jeden zweiten Mittwoch um

19.00 Uhr im Seniorenheim Oranienstraße 69.

Die nächsten Treffen, zu denen Interessierte natürlich herzlich

eingeladen sind, finden am 27. Mai

und 10. Juni 1992 statt.

„Ring frei" hieß es am 10. Mai in der gesamten Innenstadt. Tausende Berlinerinnen demonstrierten mit den unterschiedlichsten Aktionen und auf Straßenfesten - wie hier an der Oberbaumbrücke - gegen die Ringstraßen-Pläne des Senats. Der Aktionstag brachte auch einen guten Haufen Unterschriften für das Kreuzberger Bürgerbegehren gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr (DS 3/92). Inzwischen ist die zur Einreichung nötige Zahl erreicht, so daß im Spätsommer die „heiße Phase" beginnt.

Schlaglicht

Regenbogenfabrik

Verhaltene Freude

Es ist kaum zu glauben: 11 Jahre und 2 Monate nach der Besetzung im März 1981, nach einer Zeit voller Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen, Gangstern und Schlafmützen, ist die Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße 22 endlich gekauft. Die überraschende Neuig¬ keit kam am 13. Mai über den heißen Draht von Kreuzbergs Wirtschafts- und Finanzstadtrat Peter. Zu Be¬ ginn dieses Jahres hatte der Senat rund 500000 DM be¬ reitgestellt. Damit sollten die Hypotheken samt Zinsen abgelöst werden, die das berüchtigte Spekulantenim¬

perium Vogel & Braun/Wohn¬ baudesign auf die Gebäude aufgenommen hatte. Der Deal selbst fand statt zwi¬ schen Senat/Bezirksamt und Herrn Wilke von der „Finance & Budget Consult", die mit der Abwicklung der Hinter¬ lassenschaft des Pleiteunter¬ nehmens betraut ist. Mit dem Kaufvertrag - nach 10 Jahren (!) zermürbender Verhandlungen und sieben Jahre nach dem Kauf-Be¬ schluß des Abgeordneten¬ hauses (II) zur Sicherung des Kinder- und Nachbarschafts¬ zentrums - ist die Regenbo¬ genfabrik gerade mal so an der Zwangsversteigerung durch die Gläubiger Raiffei-

sen-Köpenicker Bank vorbei' geschlittert. Das unverhoffte „Wunder" löste aber keineswegs einen zügellosen Freuden¬ taumel aus - zu groß ist die Skepsis nach langjähri¬ gen Erfahrungen mit der Bürokratie. Ungeklärt ist außerdem, wie hoch zu¬ künftig Pacht oder Miete sein werden oder woher das Geld für notwendige Baumaßnahmen kommen soll. Gefeiert wird trotzdem: wg. 11 Jahren Regenbogenfa¬ brik und aus gegebenem Anlaß, am 23. Mai ab 14 Uhr mit Kinderfest, ab 20 Uhr mit Bands und Disco.

Endspiel

Es ist vollbracht. Nach 19 Jahren steigt die 1. Herrenmannschaft von Hansa 07 wieder in die Kreisliga A auf. Dank einer hold lächelnden Fortuna und der „magischen" Anti-Rassismus-Hem¬ den, in denen It. Fußballer-Jargon „hochmotivierte Spieler" steck¬ ten, schoben sie sich mit einem furiosen 8:0 Heim-Sieg auf den Platz des Vizemeisters der B-Klasse - unter dem Jubel zahlrei¬ cher Fans. Sekt floß in Strömen - zumeist als Dusche auf die glücklichen Recken, und gefeiert wurde in türkisch, polnisch, englisch, deutsch usw. bis in den frühen Morgen. Herzlichen Glückwunsch! Nachzutragen bleibt noch, daß der Brite, der Kroate und der Rheinländer sich durch die letzte DRUCKSACHE „diskriminiert" fühlten - aus Platzgründen war die Aufzählung aller vereinten Nationen und Volksstämme bei „Hansa 07" zusammenge¬ schrumpft. Könnt ihr uns nochmal verzeihen, ihr Gladiatoren des runden Leders?!

Keine

Container!

Gegen die Aufstellung von Sammelcontainern des soge¬ nannten „Dualen Systems" zur Abfallentsorgung in Kreuzberg hat sich die Erneuerungskom¬ mission auf ihrer Sitzung am 28. April ausgesprochen. Weil der „Grüne Punkt", so die Be¬ gründung des von der SPAS-Mieterberatung einge¬ brachten Antrags, weder die Erzeugung von neuem Verpak- kungsmüll verhindert, noch den Abfallberg insgesamt ver¬ kleinern hilft, soll der Bezirk „dem Anliegen der DASS- GmbH nach Ausweisung von Standflächen" für den sieben¬ fach sortierten Wohlstands-Müll „nicht entsprechen." Die DASS, ein von BSR, Alba und anderen Abfallsammlern gegründetes Unternehmen, das in Berlin die Umsetzung der Müll-Ideen von Bundesum¬ weltminister Töpfer überneh¬ men soll, hatte die Bezirksäm¬ ter gebeten, Standorte für die Behälter bereitzustellen. Be¬ sonders erfolgreich war sie da¬ bei bisher nicht: In Wilmersdorf gab es bereits eine Abfuhr, weil das dortige Bezirksamt nicht bereit war, dem Privatunterneh¬ men DASS kostenlos öffentli¬ che Flächen zur Verfügung zu stellen.

Neues vom Für 795 000 DM wechselte die Oranienstraße 12 im Dezember 1991 in den Eigentümer: Das Haus am Heinrichplatz mit der kiez-bekannten Kneipe „Zum Elefanten" wurde von Stattbau gekauft und soll - wie die Ora¬ nienstraße 13 - von der Ge¬ nossenschaft Luisenstadt über¬ nommen werden. Nicht immer wurde die Bruchbude, in die etwa drei Millionen Sanie¬ rungskosten fließen müssen, derart hoch gehandelt. Ver¬ geblich mühten sich die „Ele- fanten"-Wirte Walter und Anita schon 1984 und später Statt¬ bau, das Haus einer über West und Ost verstreuten Erbenge¬ meinschaft abzukaufen. Am 2. Mai 1991 kam dann doch über Rechtsanwalt und Notar Hirschmüller - mit dem Vertrauen aller Erben ausge¬ stattet - ein Kaufvertrag zu¬ stande für 450 000 DM, der im Juni ordnungsgemäß beim Kreuzberger Stadtpla¬ nungsamt zur Genehmigung vorlag. Im Sanierungsgebiet werden alle Hauskäufe bzw. Verkäufe kontrolliert, um Spe¬ kulationsgewinne zu unterbin¬ den. Neue Privateigentümerin wurde Frau Rita Zahn, die ganz zufällig die Lebensgefähr¬ tin jenes Hirschmüller ist. Der Bezirk verweigerte seine Zustimmung. Somit war der Kauf zwar vollzogen, aber un¬ wirksam. Hirschmüller/Zahn legten Widerspruch bei Sen- BauWohnen ein, und der Deal begann. So waren die Herr¬ schaften bereit, die Immobilie Stattbau zu überlassen, wenn sie dafür ein „vergleichbares Objekt" erhalten würden. Die angebotene Oranienstraße 23

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Privatisierungszwang

Elefanten entsprach allerdings nicht ih¬ ren Vorstellungen: Sie veran¬ schlagten den aktuellen Preis für die „Elefanten"-Hütte auf stolze 950 000 DM. Es endete damit, daß das Paar dem Ver¬ kauf an Stattbau unter der Be¬ dingung einer aktuellen Ver¬ kehrswertermittlung zustimmte. Und dank Maueröffnung, Hauptstadtfeeling und Zen¬ trumsattitüden ergeben die Gewerbe- und Wohnflächen ei¬ nen Wert von 795 000 DM. Ein schönes Schnäppchen inner¬ halb eines halben Jahres für Lady Zahn und ihren Hirschmüller. Die eigentlich Be¬ trogenen sind die acht Erben, auch wenn jetzt die Genossen¬ schaft Luisenstadt diese für den gesunden Menschenver¬ stand nicht nachvollziehbare astronomische Summe auf den Tisch blättern muß, will sie die Ora 12 kaufen. Nicht realisieren lassen wird sich der Wunsch des „Elefan- ten"-Kneipiers Walter, von An¬ fang an „Genosse", die Kneipe zu kaufen, wie vor Jahren die Nachbarn in der „Roten Harfe". Aus rechtlichen Gründen sind Eigentumsverhältnisse wie in der Ora 13 heute nicht mehr möglich. Potentieller oder tatsächlicher Unmut der Genossenschafts¬ mitglieder, beim Erwerb sowohl der Ora 13 wie der Ora 12 ent¬ stünden ihnen zusätzliche Mietbelastungen, beruhen eher auf Emotionen und nur zum Teil auf Fakten, die mit der komplizierten Eigentumsstruk¬ tur in der Oranienstraße 13 zu¬ sammenhängen. Mit dem „Ele¬ fanten" und der Oranienstra¬ ße 12 hat es nichts zu tun.

Freud und Leid liegen be¬ kanntlich oft eng beieinander, mitunter sogar im selben Haus. Diese Erfahrung macht derzeit Stattbau als Sanierungsträger der Oranienstraße 192: Wäh¬ rend im Hinterhaus eine Kita eröffnet, gibt es im Vorderhaus nichts als Ärger bei der Vermie¬ tung der Ladenräume. Eigentlich sollten die Transport-Fahrrad-Spezialisten von „Christiania Bikes" aus der Liegnitzer Straße an den Hein¬ richplatz wechseln (DS 3/92). Doch daraus wird nun nichts. Obwohl Bezirk, S.T.E.R.N. und Sozialsenator, der das Chri- stiania-Projekt fördert, in einer „konzertierten Aktion" (Hansi Ehl von der Sanierungsverwal¬ tungsstelle) versuchten, den Fahrradhändlern die Mietbela¬ stung erträglich zu gestalten, mußten die schließlich doch passen. Eine Bezuschussung, wie sie für sanierungsbetroffene Ge¬ werbemieter möglich gewesen wäre, kam für Christiania-Bikes nicht in Frage, und alle ande¬ ren Möglichkeiten reichten nicht hin, um die von Stattbau geforderten 20 DM pro Qua¬ dratmeter zu kompensieren. Die Biker haben sich inzwi¬

schen neue Räume in der Kö¬ penicker Straße gesucht. Deshalb mußte sich der „alter¬ native" Sanierungsträger auch am 12. Mai vor der EK rechtfer¬ tigen. In einem zu 100 % mit öffentlichen Mitteln geförderten Bau, so der Vorwurf vom ST. E. R. N .-Gewerbebeauftrag¬ ten Jürgen Gutmann, müßten Nutzung und Miethöhe mit dem Bezirk abgestimmt wer¬ den. Eigentlicher Adressat für die Vorwürfe ist allerdings nicht Stattbau, sondern der Bause¬ nator. Der besteht auf den „ortsüblichen" 20 DM, damit Stattbau das Haus verlustfrei bewirtschaften kann. „Die An¬ weisung zu vertragswidrigem Verhalten" (Jürgen Gutmann) hat ihre Gründe: Stattbau muß das Haus nach Abschluß der Sanierung privatisieren. Darum sollen schon jetzt Mieten ver¬ einbart werden, die einem späteren Eigentümer die Ren- tierlichkeit sichern. Ohne den „Privatisierungszwang", so Stattbau-Mitarbeiter Martin Domschat, würden 10 DM/nf ausreichen. Als späterer Eigentümer ist pi¬ kanterweise die Arbeiterwohl¬ fahrt im Gespräch. Sie ist näm¬

lich Betreiberin der Kita im Hin¬ terhaus der Ora 192 - womit sie zumindest die im Sanie¬ rungsgeschehen notwendige Hartnäckigkeit eindringlich be¬ wiesen hat. Bis die 45 Klein- und 10 Hortkinder in dem ehe¬ maligen Fabrikgebäude her¬ umturnen konnten, brauchte es einen fast 10-jährigen Pla¬ nungsvorlauf. Schon 1984 la¬ gen die ersten Pläne und ein Anfangskonzept der AWO vor, nach mehrfachen Verzögerun¬ gen sollte der Bau 1987 begin¬ nen. Doch erst nachdem der frühere Sanierungsträger GESA das Handtuch warf und Stattbau das Projekt über¬ nahm, begannen die Arbeiten tatsächlich. Im Dezember 91 lief dann der Betrieb langsam an, die offi¬ zielle Eröffnung fand aber erst am 14. Mai 92 statt. Doch trotz des großen Lobs, mit dem sie Architekt Jürgen Haug und al¬ le am Bau Beteiligten bedach¬ ten, haben Erzieherinnen und Kinder noch einen Wunsch: Sie möchten möglichst bald auch den Nachbarhof als Spielfläche nutzen. Doch der ist zur Zeit noch durch die Alt¬ lasten eines Galvanisierbe¬ triebs verseucht.

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Eröffnungsfete der AWO-Kita in der Oranienstraße 192

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Kneipen

sammeln für

Flüchtlinge

„Abserviert" lautete das Motto einer Osteraktion, initiiert vom „Kreuzberger Aktionsbündnis" und „SOS Rassismus". Ziel war, in Gaststätten und Restaurants Geld für Flüchtlinge in den Ab- schiebeknästen zu sammeln. Im letzten Jahr waren es über 1000 Menschen, in diesem Jahr wird mit 3000 - 5000 ge¬ rechnet, die gegen ihren Willen in ihre von Krieg, Krisen und Armut zerstörten Herkunftslän¬ der abgeschoben werden. Wer der „Ausreiseaufforde¬ rung" der Ausländerbehörde nicht nachkommt, landet im Knast, auf Amtsdeutsch „Ab¬ schiebegewahrsam": 6-8 Men¬ schen in einer winzigen Zelle zusammengepfercht; eine hal¬ be „Frei"-Stunde pro Tag im Hof; Isolation; mit privatem Be¬ such kann man nur durch eine Trennscheibe sprechen; eige¬ nes Geld wird zur „Deckung der Haftkosten" oder für das Flugticket einbehalten. Wer sich dem verständlicher¬ weise nicht aussetzen will, muß untertauchen. Die Zahl dieser Menschen läßt sich nur schät¬ zen. Bei der Aktion über die Oster- feiertage wurden 2000 DM ge¬ sammelt - durch geringe Preisaufschläge, Verzicht auf Trinkgeld oder sonstige Spen¬ den. Rund 50 Gaststätten be¬ teiligten sich, auch wenn nicht alle ihre Namen veröffentlicht sehen wollten. „Gerade auslän¬ dische Betreiber hatten Angst davor", berichtet Trixi Frings, Vorstandsfrau von „SOS Ras¬ sismus". „Toll war, wie sich eini¬ ge Kneipen um wirklich alles gekümmert haben. Aber zum Teil war das Personal völlig überfordert." Denn die flankie¬ rende Plakataktion und die ausgelegten Flugblätter „reich¬ ten für das Informationsbedürf¬ nis der Gäste nicht aus". Auch war die die Beteiligung nicht so hoch wie erhofft. So denken die Initiatorinnen jetzt über Lehren nach. „Die Flücht¬ linge", so Trixi Frings, „stehen mit dem Rücken zur Wand; sie brauchen finanzielle Unterstüt¬ zung und eine breite Öffent¬ lichkeit." Spenden können eingezahlt wer¬ den auf: Sonderkonto Trixi Frings, Konto-Nr. 610 193 546 bei Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00.

Töpfe aufmachen!

Es gehört zu den ganz selte¬ nen Kunststücken, Bezirk, Se¬ nat und Aktivistinnen eines so¬ zialen Projekts auf ein gemein¬ sames Ziel einzuschwören. Der Immigrantinnenverein Akarsu aus der Oranienstra- ße 25 hat es geschafft - ob das allerdings die akute Bedro¬ hung seiner Existenz abwen¬ den kann, bleibt frag¬ lich. 400 % Mieterhöhung (25 DM/m2) verlangt der Eigentü¬ mer Hans Georg Hermann für die 600 m2 große Gewerbeeta¬ ge. Seidem die früheren Miteigen¬ tümer von „Elefanten-Press" ih¬ ren Anteil am Haus aufgege¬ ben und ihre Büros nach Trep¬ tow verlegt haben, fährt Her¬ mann einen noch härteren Ver¬ handlungskurs als bisher. Da¬ zu paßt auch, daß er beim Be¬ zirk einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Sanierung stellte. Seit im April Vertreterin¬ nen von S.T.E.R.N. und Bezirk bei einer Begehung des Ge¬ bäudes allerdings durch einen reichlich feuchten Keller stap¬ fen mußten, ist diese Angele¬ genheit bis auf weiteres erle¬ digt. Doch auch unter Sanierungs¬ recht gibt es keine Möglichkeit, die Gewerbemieten zu begren¬ zen - somit bleibt nur die Hoff¬ nung, daß der Senat die Zu¬ schüsse für Akarsu anhebt, und zwar um gut 100 000 Mark jährlich. Dafür macht sich die zuständige Frauen-Staats¬ sekretärin Korthaase auch be¬ reits stark. Weil sich die not¬ wendigen Finanz-Töpfe nicht von heute auf morgen auftun lassen, erklärte Hermann sich sogar bereit, die erhöhte Miete bis Jahresende zu stunden. Zwischen Hoffen und Bangen

Immigrantinnen-Projekt Akarsu: Zwischen Hoffen und Bangen sehen nach Nachmietern. Ein Interessent hat sich angeblich schon gemeldet: Die Neue Ge¬ sellschaft für Bildende Kunst (NGBK) interessiert sich für ins¬ gesamt 250 nf Büro und Ausstellungsfläche. Zwar dürfte es der auch nicht gerade fi¬ nanzstarken NGBK nicht leicht¬ fallen, der Forderung von 27 DM/m2 bei jährlich vier Prozent Steigerung zuzustimmen, doch für die Ora 25 spricht die von Hermann in Aussicht gestellte lange Vertragsdauer von zehn Jahren (bei Option auf weitere fünf Jahre). Was diese Per¬ spektive wert ist, wissen die NGBK lerlnnen spätestens, seit sie für ihre alten Räume am Tempelhofer Ufer eine Mieterhöhung bekommen ha¬ ben.

schwankte dementsprechend die Stimmung bei einem „Tag der offenen Tür", den Akarsu am 15. März mit Nachbarn und beteiligten Politikerinnen veran¬ staltete. Dabei machten auch alle Anwesenden klar, daß Akarsu kein Einzelfall ist. Sozi¬ alstadtrat Helmut Borchardt forderte angesichts explodie¬ render Mieten, den betroffenen Projekten trotz angespannter Haushaltslage kurzfristig zu helfen. „Sonst", so Borchardt, „fliegt uns die gesamte soziale Infrastruktur auseinander." Für die seit Monaten leerste¬ henden Büroräume der „Ele¬ fanten" sucht Hermann inzwi-

Nicht gut genug

Das Kreuzberger Bezirksamt hat - endlich - den Beschluß zur Aufstellung einer „Erhal¬ tungssatzung" gefaßt - und sich damit prompt Kritik in der Erneuerungskommission ein¬ gehandelt. Zwar herrscht Ei¬ nigkeit darüber, daß die Sat¬ zung ein unabdingbares Mittel ist, um nach dem absehbaren Ende der Sanierung das Er¬ reichte zumindest notdürftig zu sichern (DS 2 u. 3/92). Doch nach Meinung von SPAS-Mie- terberatung und Bürgergruppe Moritzplatz hat der Bezirk des Guten zu wenig getan. Der Groll richtet sich dabei auch gegen S.T.E.R.N., wo der Vorschlag für die Erhaltungs¬ satzung erarbeitet wurde. Schon als die Stadterneuerer ihre Pläne im Januar vorstell¬ ten, hatten die Aktivistinnen vom Moritzplatz bemängelt, daß „P IV", also die Blöcke

nördlich der Oranienstraße, zwischen Heinrich-Heine-Stra¬ ße und Oranienplatz, nicht mit einbezogen waren, obwohl sie zum Sanierungsgebiet gehö¬ ren. Daran hat sich aber auch in der jetzt verabschiedeten Fassung nichts geändert. Sauer sind die Bürgervertreter auch deshalb, weil sie trotz ih¬ rer Kritik nicht noch einmal - etwa im Rahmen einer EK-Sitzung - befragt wurden. Unter diesen Umständen er¬ hielt Baustadträtin Erika Rom¬ berg (AL) zunächst einmal kei¬ ne Glückwünsche für die an sich schon beachtliche Lei¬ stung, den „Millieuschutz" überhaupt auf den Weg ge¬ bracht zu haben. Dabei ist die Angelegenheit noch keines¬ wegs geklärt: Entschieden wird, wie so oft, beim Senat, in diesem Fall bei Stadtentwick¬ lungssenator Hassemer.

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c Sanierung auf Sparkurs

Häuser werden in

Kreuzberg auch in

Zukunft saniert.

Wie aber die

unabdingbare

Kontrolle der

Erneuerung

gewährleistet sein

soll, wenn der

Senat seine

jüngsten

Sparpläne

verwirklicht, steht

in den Sternen.

Mit der Halbierung

der

Sanierungsförder

mittel kann der

Bezirk - wenn

überhaupt - nur

noch das

Allernötigste

finanzieren. Die

„behutsame

Stadterneuerung"

gerät vollends zur

Farce.

Der 12. Mai wäre eigentlich ein Tag zum Feiern gewesen. An diesem Tag vor genau zehn Jahren verabschiedete die Kreuzberger Berzirksverordne- tenversammlung die mittlerwei¬ le berühmten „12 Grundsätze zur behutsamen Stadterneue¬ rung", die ein knappes Jahr später, am 17. März 1983, in leicht geänderter Form auch vom Berliner Abgeordneten¬ haus angenommen wurden.

Es liegt sicher nicht nur am Wahlkampf, wenn dieses Er¬ eignis weitgehend unbemerkt verstrichen ist: Mit der unter dem Druck der Verhältnisse in den letzten Jahren ohnehin arg ramponierten Behutsamkeit könnte es nämlich bald vol¬ lends vorbei sein, wenn sich nichts an den Plänen des Se¬ nats ändert, dem Bezirk die Geldzufuhr weiter zu drosseln. Der neueste Streich: Die soge¬ nannten Sanierungsfördermit¬ tel sollen drastisch gekürzt wer¬ den. Waren es in den letzten zehn Jahren durchschnitt¬ lich 20-22 Millionen Mark, schraubte der Senat diesen Posten schon für das laufende

Jahr auf 13 Millionen zurück. 1993 sollen es dann nur noch 7,5 Millionen sein. Das aber bedeutet, so der Leiter der Kreuzberger Sanierungsver¬ waltungsstelle, Olaf Menge, für den Umgang mit den von der Sanierung betroffenen Mietern „einen Rückfall auf den Stand von 1965".

Denn die vielgerühmte Be¬ hutsamkeit hat ihren Preis: Was in den letzten Jahren - bei al¬ ler berechtigten Kritik - zur be¬ währten Praxis heranwuchs, wird zu einem großen Teil aus Sanierungsfördermitteln finan¬ ziert.

Die Stadterneuerung steht gleichsam auf zwei Beinen: Die Baufördermittel, von der Wohnungsbaukreditanstalt (WBK) zur direkten Finanzie¬ rung der Modernisierung und Instandsetzung (Modlnst) ge¬ zahlt, bilden das Standbein. Zusammen mit einigen ande¬ ren Geldtöpfen, etwa für Denk¬ malpflege oder ökologische Maßnahmen, fließt hier rein mengenmäßig der Löwenanteil des für die Erneuerung benö¬ tigten Geldes.

Acht ehemals landeseigene Häuser hat „Stattbau" übernommen: Die Oranienstraße 35, 36...

Die Sanierungsfördermittel sind in der Summe zwar weit geringer, aber trotzdem von ganz entscheidender Bedeu¬ tung. Als finanzielles Spielbein bestimmen sie die Entschei¬ dungsfreiheit des Bezirks bei der praktischen Durchführung der Erneuerung. Denn für al¬ les, was die WBK nicht finan¬ ziert, muß der Bezirk aufkom¬ men - und das ist eine ganze Menge.

Seit Beginn der behutsamen Stadterneuerung flössen pro Jahr 80-100 Millionen DM an Modlnst-Mitteln nach Kreuz¬ berg. Um dieses Volumen zu begleiten, hatte der Bezirk stets etwa ein Viertel dieser Summe an Fördermitteln zur Verfü¬ gung. Da seit der Maueröff¬ nung die Modlnst-Mittel im Westteil der Stadt spärlicher vergeben werden, will der Se¬ nat, scheinbar folgerichtig, auch den Bezirken die Etats kürzen. Doch so einfach läßt sich das nicht rechnen, dazu sind die Aufgaben, die mit den Fördermitteln bezahlt werden, viel zu mannigfaltig.

Wenn die WBK die entspre¬ chenden Mittel bewilligt und ein Haus in die Sanierung geht, muß der Bezirk schon in die Tasche greifen, bevor auch nur ein einziger Handwerker auf der Baustelle erscheint. Zur Vorbereitung jeder öffentlich geförderten Baumaßnahme gehört schließlich auch die Mieterberatung und das Erstel¬ len eines Sozialplans. Auch die Information über die allgemei¬ nen Ziele und Fortschritte der Stadterneuerung obliegt dem Bezirk - so wird auch die DRUCKSACHE aus Sanie¬ rungsfördermitteln finanziert.

Geht es dann nach oft jahre¬ langer Vorbereitung endlich los, muß der Bezirk die not¬ wendigen „Ordnungsmaßnah¬ men" bezahlen, und damit be¬ ginnt das Geldausgeben erst richtig. Die Umsetzung der Mieter und häufig auch der Ausgleich der in der jeweiligen Umsetzwohnung höheren Mie¬ te kostet pro Wohnung im Schnitt 12 000 Mark.

Noch weit teurer ist die Ent¬ schädigung von sanierungsbe¬ troffenen Gewerbetreibenden. Die Verlagerung etwa einer Tischlerei oder eines Schlosserbetriebs ist eine kost¬ spielige Angelegenheit, eben¬ so die Kompensation von Ge¬ winnausfällen. Wenn, wie es zum Glück nur in Einzelfällen vor allem bei älteren Inhabern vorkommt, die Weiterführung eines Betriebes nach der Sa¬ nierung absolut nicht mehr lohnt, gibt es einen „Billigkeits¬ zuschuß". Den gewährt zwar eine Kommission beim Wirt¬ schaftssenator - zahlen muß ihn schließlich aber der Bezirk.

Wenn es hart auf hart kommt, profitieren unter Um¬ ständen auch Wohnmieter von der „Härtefallregelung", so z.B. im Wohnprojekt Görlitzer Stra¬ ße 36. Ein großer Teil der Mie¬ ter erhält Sozialhilfe oder Wohngeld, so daß für sie die nach der Sanierung gestiege¬ ne Miete kein akutes Problem war. Im Haus leben aber auch Mieter mit eigenem, wenn auch sehr geringem Einkom¬ men. Damit sie nicht ausziehen müssen, erhält der Sanie¬ rungsträger Stattbau als Besit¬ zer des Hauses einen Bewirt¬ schaftungszuschuß, der in Form einer geringeren Miete

den Bewohnern zugute kommt.

Auch die Eigentümer wer¬ den natürlich bedient. Bis vor zehn Jahren erhielten sie eine „Defiziterstattung", also einen Ausgleich für alle Verluste, die sie bei der Bewirtschaftung von sanierungsbedingt leerste¬ henden Häusern einfuhren. Dabei mußte die öffentliche Hand allerdings auch die Risi¬ kofreudigkeit solcher Besitzer finanzieren, die sich beim Er¬ werb ihrer Immobilie verschul¬ det und nun hohe Zinsbela¬ stungen zu tragen hatten. Mitt¬ lerweile gibt es nur noch den reinen Mietausfall, doch das ist teuer genug.

Schließlich bekommt auch noch die Bauwirtschaft ihren Teil vom Kuchen: Zu den „Ord¬ nungsmaßnahmen", die nicht von der Modlnst-Förderung gedeckt und deshalb vom Be¬ zirk übernommen werden, gehört z.B. auch das Abreißen von Gebäudeteilen. Trotz Abrißstopp wird in Kreuzberg nämlich häufiger als allgemein vermutet die Abrißbirne ge¬ schwungen. Mal ist es ein gan¬ zer Seitenflügel, meist jedoch nur Kleinigkeiten wie Hofmau¬ ern oder Kellerdecken. Auch das Schließen der Abbruch¬ kanten bezahlt die Sanierungs¬ verwaltungsstelle - so man¬ ches „französische Fenster", das Kreuzberger Brandwände verschönt, ging auf Bezirks¬ rechnung. Und weil auch die baufälligste Remise für ihren Besitzer noch einen „Gebäu¬ dewert" darstellt, muß der nach einem Abbruch natürlich ent¬ schädigt werden, auch wenn das marode Gemäuer womög¬ lich auch ganz von allein in

sich zusammengefallen wäre. Alles in allem summieren sich derlei Marginalien auf 3,5 Mil¬ lionen DM jährlich.

Den letzten Posten im weiten Feld der Sanierungsfördermit¬ tel bilden die „sonstigen Ma߬ nahmen", unter denen man, so Olaf Menge, „eigentlich alles zusammenfassen kann, was ir¬ gendwo noch übrigbleibt".

Wenn die Baufördermittel der WBK nicht ausreichen, um die gewissen Extras zu finan¬ zieren - und das geschieht sehr häufig - wird schon mal in die Bezirksschatulle gegrif¬ fen, um einem Haus den letz¬ ten Schliff zu gebnen. So konn¬ te der kiezbekannte Künstler Rainer Ganz vor zwei Jahren sich und seinen Nachbarn die Aussicht in den finsteren Hin¬ terhof der Oranienstraße 8 ver¬ schönern, indem er die be¬ nachbarte Brandwand mit 50 m2 Spiegelfläche behängte.

Sei es nun die Verspiege- lung einer Brandwand, die Be¬ treuung begrünter Höfe durch das „Botanische Büro Südost" oder die Finanzierung von Stu¬ dien und Bewohnerumfra¬ gen - schon die Vielfältigkeit der mit Sanierungsfördermit¬ teln finanzierten Aufgaben macht eine langfristige Pla¬ nung praktisch unmöglich.

Langfristig - oft bis zu vier Jahre im voraus - sind dage¬ gen die Bindungen durch die Sanierungsverträge. Schon jetzt, schätzen Kenner der Ma¬ terie, hat der Bezirk Verpflich¬ tungen für 1993, die er mit dem vom Senat vorgesehenen Etat nicht einmal zur Hälfte be¬ gleichen kann. Um diese Ga¬ rantien annähernd einzuhalten,

müßte alles andere zurückge¬ fahren werden: Für eine vernünftige Mieterberatung, das Erstellen von Sozialplänen und den Ausgleich besonderer Härten bliebe kein Spielraum mehr. Selbst die Entschädi¬ gung der Umsetzmieter müßte, wie in der Sanierungs-Steinzeit der 60er Jahre, auf ein paar Mark für neue Gardinen und - bei Wechsel vom Gas- zum Elektroherd - neue Kochtöpfe beschränkt werden. Der Effekt für die „behutsame" Stadter¬ neuerung, den die Rechen¬ künstler des Senats mit ver¬ gleichsweise geringfügigen Kürzungen erreichen, wäre im¬ mens.

Die unbedachte Sparwut könnte schon bald fatale Aus¬ wirkungen haben. Seit dem 1. April ist nämlich der „alternati¬ ve" Sanierungsträger Stattbau neuer Eigentümer von acht ehemals landeseigenen Häu¬ sern, davon fünf im Sanie¬ rungsgebiet (Mariannenstraße 47, und 49, Oranienstra¬ ße 35, 36, 38). Die bis dahin vom Kreuzberger Grund¬ stücksamt verwalteten, alle¬ samt dringend erneuerungs¬ bedürftigen „Bezirksschabrak- ken" sollten eigentlich schon 1988 an Stattbau gehen, doch vor allem ein Streit zwischen dem „Eigentümer" beim Fi¬ nanzsenat und ihren Kollegin¬ nen im Bauressort um die fi¬ nanzielle Abwicklung der Übertragung blockierte das Projekt.

Lange Zeit, so Stattbau-Mit¬ arbeiter Martin Domschat, be¬ stand deshalb die Befürch¬ tung, „daß unnötigerweise Geld fließen soll", daß also der Bausenator Mittel lockerma¬

chen müßte, damit der zu 1000/o vom Senat finanzierte Sanierungsträger dem Land Berlin die Häuser abkaufen kann - ein klassischer Vertei¬ lungskampf.

Mittlerweile, nach Nagels Zu¬ sage für die notwendigen Bau¬ fördermittel, hat aber das Ab¬ geordnetenhaus einer Übertra¬ gung zugestimmt. Damit könn¬ ten die Häuser nun endlich in die Erneuerung gehen - wenn der Bezirk wüßte, wie er seinen Anteil daran bezahlen soll (s. Interview auf S. 12).

Bleibt nur die Hoffnung, daß sich wiederholt, was die schon im letzten Jahr absehbare Kri¬ se im letzten Moment abwehr¬ te. Das vom Senat für die Mit¬ telkürzung angeführte Argu¬ ment nämlich, daß die kata¬ strophale Situation in Ostberlin den größten Teil des ohnehin arg geschrumpften Budgets bindet, hat sich als so stichhal¬ tig nicht erwiesen. Zwar ist der Bestand nach wie vor marode, doch wegen der ungeklärten Eigentumsfragen konnten die Ost-Bezirke das eigentlich ein¬ geplante Geld gar nicht ausge¬ ben. Am Jahresende flössen dann etliche Millionen in den zuvor kurzgehaltenen Westteil der Stadt zurück: In Kreuzberg etwa gingen statt der ur¬ sprünglich geplanten zehn schließlich 32 Häuser in die Er¬ neuerung.

Die gleiche, reichlich para¬ doxe Situation sieht Olaf Men¬ ge - durch ständigen Kontakt zum Partnerbezirk Prenzlauer Berg gut im Bilde - auch für 1993 heraufziehen: „Ich weiß nicht, wo ich's hernehmen soll, und die wissen nicht, wohin damit."

rc%:."

^ -• •

...Forster Straße 21, 20 und 18 könnten in die Sanierung gehen, wenn der Bezirk die nötigen Fördermittel hätte.

9

Hoffen

auf

Einsicht

Martin Domschat arbeitet seit 1988 beim „alternativen" Sanierungsträger Stattbau. Davor war er acht Jahre lang Mieterberater im von ihm mitbegründeten Mieterladen Dresdener Straße. Er gehört zu den Ersten, die sich mit den Folgen der angedrohten Kürzung der Fördermittel beschäftigen müssen: Bleibt es dabei, dann ist die Sanierung der acht von Stattbau übernommenen landeseigenen Häuser praktisch undurchführbar.

DRUCKSACHE: Stattbau hat auf einen Schlag acht ehemals landeseigene Häuser bekom¬ men, die dringend erneuert werden müssen. Wie das ohne die entsprechenden Sanie¬ rungsfördermittel gehen soll, weiß aber niemand. Was sagt Ihr denn den Mietern, wenn sie Euch in den Hausversammlun¬ gen fragen, wann ihre Häuser fertig sind?

Martin Domschat: In den Versammlungen haben wir den Mietern natürlich die Wahrheit gesagt, nämlich daß die Bauförderung zugesagt ist, aber daß wir nicht eine Sanie¬ rung zusagen können, bei der alle umgesetzt werden, bei der die Umzugskosten erstattet werden, usw. Das heißt im Klartext: Wir gehen im Moment davon aus, daß man die Sanie¬ rung so nicht machen kann und daß sich der Senat - ob nun Bau/Wohnen oder Finan¬ zen - darüber klar werden muß, was die Kürzung der För¬ dermittel denn letztendlich für die Stadterneuerung bedeutet. Ein großer Teil des Geldes, nämlich die Bauförderung, wird ausgegeben, und an der restlichen, relativ kleinen Sum¬ me, die dann noch fehlt, hakt es.

DRUCKSACHE: Wir können doch davon ausgehen, daß der Senat sehr wohl weiß, was das bedeutet - blöd sind die ja nicht . . .

Domschat: . . . das ist nicht

unbedingt gesagt. . .

DRUCKSACHE: ... und daß man ihm klarmachen muß, daß es so nicht geht. Was un¬ ternimmt Stattbau denn dafür?

Domschat: Weil Stattbau eben davon ausgeht, daß der Senat nicht dumm ist, sondern die verschiedenen Abteilungen manchmal nur etwas unkoordi- niert handeln, werden wir ei¬ nen Förderantrag stellen mit al¬ len erforderlichen baulichen Maßnahmen und werden dazu begründen, welche Umsetz¬ maßnahmen notwendig sind. Das werden wir sowohl dem Bausenator als auch dem Kreuzberger Grundstücks¬ amt - das mit uns ja vereinbart hat, daß wir alle Häuser inner¬ halb von fünf Jahren sanieren sollen - zur Kenntnis geben. Dann hoffen wir, daß das Grundstücksamt wiederum auf seine Aufsichtsbehörde, also den Finanzsenat, Druck ausübt, um uns die Erfüllung dieses Vertrages zu ermögli¬ chen.

DRUCKSACHE: Ist es nicht eine ziemlich vage Hoffnung, daß ausgerechnet das Kreuz¬ berger Grundstücksamt auf ir- gendjemanden Druck ausübt?

Domschat: Das Grund¬ stücksamt hat Verträge mit uns abgeschlossen, in denen wir bestimmte Verpflichtungen ein¬ gegangen sind. Wir müssen dann natürlich das Grund¬ stücksamt bitten, uns bei der Erfüllung dieser Verpflichtun¬

gen behilflich zu sein, zumal das Amt auch Wert darauf ge¬ legt hat, von allen unseren Schritten informiert zu werden. Die Verträge sind so abgefaßt, daß wir bei wesentlichen Din¬ gen die Zustimmung des Grundstücksamts brauchen.

DRUCKSACHE: Durch die¬ se vertragliche Bindung habt Ihr aber auch keine Möglich¬ keit, einige oder sogar alle Häuser an das Land zurückzu¬ geben und zu sagen: Unter diesen Bedingungen können wir nicht vernünftig sanieren.

Domschat: Nein, das würde ich für verfrüht halten. Es ist re¬ lativ normal - wenn es auch schlecht ist - daß die verschie¬ denen Finanzierungsschienen nicht so rechtzeitig zur Verfü¬ gung stehen, wie man sie zum Bauen bräuchte. Das ist in der Vergangenheit häufig so gewe¬ sen, es gab ja deshalb auch schon Leerstand, der dann öf¬ ter mal durch Besetzung besei¬ tigt wurde. Eines der letzten Beispiele ist die Oranienstra- ße 192, die ja nun endlich fertig geworden ist.

DRUCKSACHE: Aber ge¬ setzt den Fall, es bleibt bei der Kürzung der Sanierungsförder- mitel. Welche Strategie hat Stattbau dann? Fangt ihr alle Häuser gleichzeitig auf Spar¬ flamme an, oder beginnt Ihr mit den dringendsten Fällen und schickt die anderen in die Warteschleife?

Domschat: Wenn man sinn¬ volle Baumaßnahmen durch¬ führen kann, dann werden wir natürlich nicht mit allen gleich¬ zeitig anfangen, sondern erst einmal mit einigen wenigen und auf jeden Fall immer da sanieren, wo gerade eine Woh¬ nung freigeworden ist. Wir wer¬ den also den Prozeß auf kei¬ nen Fall in fünf, sondern viel¬ leicht in zehn Jahren schaffen können.

DRUCKSACHE: Wird es nicht bei einer wohnungswei¬ sen Sanierung auch insgesamt teurer?

Domschat: Das kann durchaus sein, nur verstecken sich die Kosten über mehrere Jahre.

DRUCKSACHE: Die Zahlen für den ganzen Bezirk sind ja relativ grob, und es ist schwer einzuschätzen, was passiert wenn hier oder dort eine Mil-

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Interview

lion abgezogen wird. Was ko¬ stet denn ein einzelnes Haus?

Domschat: Das schwankt natürlich je nach Zustand der Häuser ganz erheblich. Im Block 103 haben wir vor Jah¬ ren rund 1600-1800 DM pro Quadratmeter an reinen Bau¬ kosten gehabt. Die Maßnah¬ men, die mit Sanierungsförder¬ mitteln bezahlt werden, ma¬ chen noch einmal 10-15% zu¬ sätzlich aus.

DRUCKSACHE: Im Kreuz¬ berger Durchschnitt sind es ungefähr 25%.

Domschat: Ich habe bisher überwiegend Erfahrungen mit Wohnhäusern. Im Gewerbe - wenn man z.B. den Verdienst¬ ausfall eines Betriebes über längere Zeit abdecken muß - kann es sehr teuer werden.

DRUCKSACHE: Wie ist denn die Stimmung bei den Mietern? Als Bewohner von landeseigenen Häusern sind sie ja Kummer gewohnt, aber was sagen sie, wenn sie hören, daß die Erneuerung durchaus zehn Jahre dauern kann?

Domschat: Die erste Frage ist natürlich: Wann geht die Sa¬ nierung los? Das kann ich ein¬ fach nicht beantworten. Ich kann nur sagen: Wir könnten im Herbst anfangen, aber uns fehlt noch das notwendige Schmiermittel, und da kann ich keine Aussage treffen. Ich weiß nur, daß es vor dem Herbst kei¬ ne Veränderung geben wird zu der Aussage der Sanierungs¬ verwaltungsstelle, daß eben das Geld nicht ausreicht. Inso¬ fern habe ich die Mieter erst einmal ein Jahr vertröstet. Wir hoffen, daß es im Herbst eine neue politische Einsicht gibt, das ist ja nichts Ungewöhnli¬ ches . . .

DRUCKSACHE: . . . neue politische Einsichten sind nichts Ungewöhnliches?

Domschat: Ich denke, es muß im nächsten Jahr einfach irgendwas gemacht werden, das wäre sonst aberwitzig. Wir müssen auf jeden Fall mit min¬ destens zwei Häusern anfan¬ gen. Wir haben zusätzlich noch unsere Qualifizierungs¬ projekte, die ja auch Arbeit brauchen, und es wäre ja völ¬ lig idiotisch, über ABM-Gelder Leute zu bezahlen, die dann keine Arbeit haben.

DRUCKSACHE: Stattbau ist ja auch im Ostteil der Stadt, in Friedrichshain, engagiert. Der Senat argumentiert, daß das im Westen weggekürzte Geld der Erneuerung im Osten zu¬ gute kommt. Zeigt sich das bei Eurer Arbeit dort auch?

Domschat: Wir sind dort ja nicht Sanierungsträger, wir bauen also nicht, sondern ma¬ chen nur Voruntersuchungen und bei einigen wenigen Häu¬ sern die Baubetreuung. Die baulichen Maßnahmen werden alle über die Wohnungsbauge¬ sellschaften abgewickelt, aber es ist dort wohl ähnlich wie 1980, als die behutsame Stadt¬ erneuerung in Kreuzberg an¬ fing: Es werden Kleckerbeträ¬ ge an der falschen Stelle aus¬ gegeben. Es wird breit ge¬ streut, hier ein Dach, da eine Wohnung repariert. Nach ein paar Jahren, wenn sich die Ei¬ gentumsverhältnisse geklärt haben, wird dann die richtige Sanierung kommen, und das Geld, was jetzt reingesteckt wird, muß noch einmal inve¬ stiert werden. Die Fehler, die man hier gemacht hat, werden da wahrscheinlich wiederholt.

DRUCKSACHE: Kommen die Riesensummen, die im Westteil fehlen, also dadurch zustande, daß im Ostteil über tausende von Wohnungen un¬ effektive Kleckerbeträge ge¬ streut werden?

Domschat: Der Bedarf ist drüben unstrittig vorhanden, und er ist sicherlich viel größer als in Kreuzberg. Es wird nur breit gestreut, weil die Eigen¬ tumsverhältnisse nicht geklärt sind. Zum Teil geben die Bezir¬ ke dort gar nicht so viel aus, wie sie könnten. Davon hat ja Kreuzberg im letzten Jahr auch profitiert, als am Jahres¬ ende Geld aus dem Ostteil zurückgeflossen ist. Deshalb hatten wir z.B. die Möglichkeit, im letzten Jahr die Oranienstra- ße 12 zu kaufen.

DRUCKSACHE: So, wie die Klärung der Eigentumsverhält¬ nisse vorangeht, ist es ja ab¬ sehbar, daß so etwas in die¬ sem Jahr und wahrscheinlich auch 1993 wieder passiert. Das stellt doch den Bezirk und gegebenenfalls auch Stattbau vor ziemlich große Probleme, wenn ein dreiviertel Jahr lang kein Geld da ist und dann

plötzlich etliche Millionen an die Wand gequetscht werden müssen.

Domschat: Natürlich. Man kann damit auch keine langfri¬ stige Planung machen, weil man ja nicht davon ausgehen kann, daß man am Jahresende noch zehn Millionen kriegt und deshalb jetzt schon irgendwel¬ che Verpflichtungen eingehen kann. Man kann nur jetzt schon Anträge vorbereiten und hoffen, daß sich am Jahresen¬ de vielleicht noch etwas rührt.

DRUCKSACHE: Aber noch einmal gesetzt den Fall, daß es bei den Kürzungen bleibt und kein Geld mehr übrigbleibt, um die Mieter vernünftig zu bera¬ ten oder irgendwelche Ex¬ tra-Maßnahmen zu finanzieren: Kann unter solchen Bedingun¬ gen gerade ein Sanierungsträ¬ ger wie Stattbau überhaupt noch vernünftig arbeiten?

Domschat: Eine zügige und durchgreifende Sanierung ist ohne Sanierungsfördermittel, ohne Mieterberatung nicht zu machen. Wenn wir das Geld nicht kriegen, dann ist auch noch ein anderes Problem un¬ lösbar: Wir haben die Auflage, die Häuser zu privatisieren, das heißt, wir müssen schon vor der Zusage der Bauförder¬ mittel ein Privatisierungskon¬ zept vorlegen. Der zukünftige private Eigentümer müßte dann nicht nur, wie bisher, den Kaufpreis und 15 % der Bau¬ mittel als Eigenkapital einbrin¬ gen, sondern auch sämtlche Sozialplanmaßnahmen finan¬ zieren. Der Eigentümer rech¬ net aber natürlich nach, ob er das alles aus der Miete finan¬ zieren kann. Dann würde aber eine Gewerbemiete von z.B. 20 und eine Wohnungsmiete von 5,80 DM nicht mehr ausrei¬ chen, sondern die Wohnmiete steigt womöglich auf zehn, die Gewerbemiete auf 40 DM.

DRUCKSACHE: Der soziale Anspruch, die „Behutsamkeit" der Stadterneuerung gründet sich zum großen Teil auf Einbe¬ ziehung der Bewohner und darauf, daß auch für unkon¬ ventionelle Lösungen Spiel¬ raum vorhanden ist. All das würde der Kürzung der Sanie- rungsfördermitel als erstes zum Opfer fallen. Wozu bräuchte man dann noch einen „alterna¬ tiven" Sanierungsträger wie Stattbau? Das kann doch die

GSW genausogut, oder man gibt die landeseigenen Häuser gleich an private Eigentümer, wenn ohnehin nicht garantiert werden kann, daß am Ende halbwegs verträgliche Mieten herauskommen.

Domschat: Die landeseige¬ nen Häuser werden ja alle an Sanierungsträger übertragen. Stattbau hat nur einen kleinen Teil abbekommen, die meisten Kreuzberger Häuser gehen an die GSW. Aber auch die wird ohne Fördermittel die Sanie¬ rung nicht machen können, auch wenn sie keinen alternati¬ ven Anspruch hat. Stattbau wird es erst recht nicht können, denn unseren Anspruch wol¬ len wir ja auch nicht völlig zu Grabe tragen.

DRUCKSACHE: Die Betrof¬ fenen können da aber nur noch auf gute Laune beim Se¬ nat hoffen. Da stellt sich doch die „behutsame" Stadterneue¬ rung als politisches Windei her¬ aus.

Domschat: Wo eine Kür¬ zung in diesem Ausmaß her¬ kommt, ist mir auch völlig un¬ verständlich. Ich würde das nicht als Windei, sondern als gezielte politische Provokation bezeichnen.

Es ist natürlich ein Kampf zwischen Bezirk und Senat: Der Bezirk nimmt in der Sanie¬ rung bestimmte Aufgaben wahr, aber das sind immer nur Vorbehaltsaufgaben, der Senat behält sich die sogenannte Fachaufsicht vor. Gerade die Sozialplandurchführung ist aber ganz eindeutig eine Auf¬ gabe des Bezirks, und nun ver¬ sucht man dem Bezirk da über eine Kürzung reinzuregieren. Das widerspricht natürlich den Bestrebungen, mit einer Ver¬ waltungsreform die Kompeten¬ zen der Bezirke zu stärken.

Natürlich kann man sagen, daß in manchen Bereichen zu viel Geld ausgegeben wurde. Vielleicht hätte man manche Gewerbemiete nicht so stark subventionieren müssen, wie es gemacht worden ist, viel¬ leicht muß man auch keine Spiegel mehr an Brandwände hängen. Aber um bestimmte Ausgaben kommt man einfach nicht herum, wenn man über¬ hauptvernünftig sanieren will.

DRUCKSACHE: Wir danken für das Gespräch.

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Rausschmiß

nach 100 Jahren

Das „Atelier Mathesie" in der Adalbertstraße 11 gehört zu den ältesten Betrieben im Kiez. Jetzt, drei Jahre vor dem 100jährigen Firmenjubiläum, droht das Aus. Der Hausbesitzer kündigte,

andere, bezahlbare Räume gibt es nicht mehr.

„Oooskar, hierher! Oskar, sitz! Ganz artig!" Oskar fügt sich, aber dann guckt er doch lieber nach, was das für ein ko¬ misches „miau" ist, das ihn so fotogen die Ohren spitzen läßt. Er gähnt, rollt sich auf den Rücken, ein reizendes Kerl¬ chen, das Frauchen zur Ver¬

zweiflung bringt und die ande¬ ren Frauen im Laden zum La¬ chen. „Ich will doch nur ein nettes Foto von dir!" versucht Frauchen Oskar zu überzeu¬ gen. Mit viel Geduld klappt es irgendwann doch, und Hund Oskar ist auf die Platte ge¬ bannt.

„Tiere fotografieren wir auch schon immer", erzählt Brigitte Witt, ob Hund, ob Katz oder Vogel, ob mit oder ohne Herr¬ chen oder Frauchen.

Fast ein volles Jahrhundert gibt es das „Atelier Mathe¬ sie", 1895 gegründet von Max Mathesie, als die Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte. Von der Andreasstraße zog man 1900 in die Brücken¬ straße, 1914 dann in die Köpe¬ nicker Straße - zum ersten Mal mit dem Luxus von elektri¬ schem Licht.

Die Wechselfälle der Ge¬ schichte samt ihren Katastro¬ phen im Rückblick des Foto¬ grafen: „1918 kam die Revolu¬ tion, meine Schaufenster wur¬ den zerschossen und 1923 be¬ gann die Inflation. Der horren¬ den Mietssteigerung wegen mußte ich den Laden aufge¬ ben und in das Nebenhaus, Nr. 165 ziehen, um dort in un¬ serer Wohnung das Atelier wei¬ ter zu führen. Dann kam 1933 Adolf Hitler an die Macht, das Geschäft ging wieder gut, die Arbeitslosen wurden immer weniger, und dann kam 1939 der 2. Weltkrieg und es gab wieder viel zu tun, galt es doch, ein Familienbild mit an die Front zu nehmen." - Was des einen Leid, ist des ande¬ ren Freud.

1945 wurde das Haus bei ei¬ nem Bombenangriff zerstört und mit ihm das Atelier samt

Archiv mit Glasnegativen und Fotodokumenten aus 50 Jah¬ ren - bis auf wenige Ausnah¬ men. Im August 1945 began¬ nen sie von vorn: im Laden in der Adaiberstraße 11 - heute ein Exemplar der fast ausgerot¬ teten Gattung „alteingeses¬ senes Gewerbe".

Max Mathesie übergab das Geschäft seiner Tochter Char¬ lotte, die schon anno 33 mit 22 Jahren als erste und einzige Fotografenmeisterin die Auf¬ merksamkeit der Presse auf sich gezogen hatte. „Und wie¬ der gab es viel zu tun. Alle Leute brauchten Paßbilder und Fotokopien von Dokumenten aller Art." Das dazugehörige Foto mit der Schlange von Paßbildaspiranten findet sich in der liebevoll zusammengestell¬ ten Chronik genauso wie „Fa¬ milienalben" zum Lebenslauf aller Lehrlinge.

Lehrlinge - das waren aus¬ schließlich Frauen, 17 insge¬ samt. Eine davon ist Brigitte Witt, die vor 40 Jahren ihre Lehre bei Charlotte Mathesie begann: „Meine Mutter hat mich genervt, weil ich nicht recht wußte, was ich machen wollte. Ich habe damals das Buch ,Der Trotzkopf gelesen, die war Fotografin. Da wollte ich auch eine Fotografenlehre machen." Doch obwohl sie bei der Bewerbung „Frau Mathe- sies Art so nett fand", sagte Charlotte ihr ab: Der kleine Lehrling Brigitte überragte die

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Harter Einsatz: Brigitte Witt Chefin um mehr als Hauptes¬ länge. Das Schicksal und müt¬ terlicher Einsatz bewältigten die Distanz und brachten die beiden zusammen. Bis heute.

„Das war ein richtiger Famili¬ enbetrieb, wo sich alle wohl¬ fühlten. Wir haben viel zusam¬ men gemacht." Reisen, den Umbau, natürlich auch die Ar¬ beit. „Sonnabends sind wir los¬ gezogen, in die Wohnungen und haben die Familienfeste fotografiert", mit der schweren Holzkamera, Stativ, Platten und Magnesium-Blitzlicht. „Danach war die Wohnung immer weiß", lacht Frau Witt.

Wieviele Menschen sie in 40 Jahren Berufserfahrung mit der Kamera portraitierte, kann sie nicht einmal schätzen. Es sind zehntausende. „Dabei machen wir jedes Foto nur ein¬ mal. Jede Aufnahme muß stim¬ men." So ärgert sie die Metho¬ de von „Modefotografen" und anderen, aus rollenweise be¬ lichtetem Film schließlich nur eine Aufnahme zu verwerten. „Wir haben noch ein richtiges Handwerk gelernt, eine solide Grundausbildung erhalten. Wir können z.B. alle retuschieren, wer kann das heute noch als Fotograf?" Anerkannt , ge¬ schweige denn adäquat hono¬ riert wird dieses Können nicht. „Neulich habe ich für so eine feine Dame aus Tegel ein altes, ziemlich beschädigtes Foto mühevoll retuschiert und einen neuen Abzug gemacht. Der Preis für die Nachbestellung in

Jim Versuch, ihr Enkelkind für's Far Postkartengröße, 8 DM, war ihr zu teuer. Diese Arbeit wird nicht bezahlt, im Gegensatz zu jedem Waschmaschinenmann, der manchmal für die bloße An- und Abfahrt 60 DM in der Stunde berechnet."

Immer wieder wird das Ge¬ spräch durch Kunden unter¬ brochen. Die Laufkundschaft braucht Paßfotos. Aber auch alte Stammkunden kommen immer wieder von weit her. „Jeder dritte etwa ist hier als Schulkind oder Konfirmand schon fotografiert worden. Man redet miteinander, es ist eine andere Atmosphäre." Und in den 47 Jahren haben sich auch neue Stammkunden ge¬ funden. „Auch von den türki¬ schen Kunden kennt man die Namen, viele sind ja schon lange hier. Allerdings dürfen wir keine Fotos von türkischen Frauen im Schaufenster aus¬ stellen. Da ist dann sofort der Vater oder Bruder oder Onkel da." Und die Konterfeis der Männer? „Aber ja!"

Seit 1989 führt Frau Witt nach 10-jähriger Teilhaber¬ schaft das Geschäft allein. Frau Mathesie mußte sich aus Gesundheitsgründen zurück¬ ziehen - „aber sie nimmt noch immer regen Anteil, wir telefo¬ nieren täglich." Sie selbst plan¬ te, sich in den kommenden acht Jahren bis zum Rentenal¬ ter „langsam zurückzuziehen, eine andere Frau, auch ehe¬ maliger Lehrling und dabeige¬ blieben, sollte das Atelier über-

lienalbum zum Lachen zu bringen. nehmen." Auf jeden Fall wollten alle das 100-jährige Jubi¬ läum 1995 gebührend feiern.

Das steht jetzt in den Ster¬ nen. Denn nach dem Verkauf des Hauses im Dezember 1991

hatte der neue Eigentümer nichts Eiligeres zu tun, als Frau Witt zu kündigen. Im Juli soll das „Atelier Mathesie" raus: „wegen Eigenbedarf".

Die zum Laden gehörende Wohnung, die das Archiv be¬ herbergte, hat sie bereits auf¬ gegeben, die Bestände über¬ eignete sie dem Kreuzberg Museum schräg gegenüber.

Die möglichen rechtlichen Schritte sind eingeleitet, EK und die Öffentlichkeit in der Nachbarschaft verständigt, „aber es ist alles offen". Ganz woanders neu anfangen kann sie nicht: „Es dauert zu lange, wieder einen neuen Kunden¬ stamm aufzubauen. Und wenn man nicht in der Nähe bleibt, finden einen die alten Kunden nicht mehr." Frisch sanierte, größere Räume in einem La¬ den um die Ecke würden statt jetzt 10 DM pro m2 40 DM (kalt) kosten. „3 000 DM - soviel kann ich nicht aufbringen."

So arbeitet sie weiter, zusam¬ men mit Frau Bußler - "übri¬ gens die erste, die nicht hier gelernt hat!" - und hofft, daß die Kündigung rückgängig ge¬ macht wird. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, so aufzuhö¬ ren..., daß das jetzt alles vorbei sein soll."

Wanderausstellung

„Woche der ausländischen Mitbürger 1991"

Fotodokumente aus Kreuzberg und Mitte von Mari Karaciyan-Berndt Ausstellung in den Schaufenstern der Stadtbibliothek Oranienstr. 72 (bis 15.6.92) danach: Heinrich-Heine-Bibliothek, Köpenicker Straße 101 (v. 18.6.-17.7.92) Wilhelm-Liebknecht-Bibliothek, Adalbertstraße 2 (v. 23.7.-27.8.92) Bezirksamt Kreuzberg, Yorckstraße 4-11 (vrstl. September/Oktober 92)

„UMBAU"

Ein Ausstellungsprojekt mit ca. 35 Malern, Fotografen,

Zeichnern, Objektebauern zeigt Arbeiten von

DRUCKSACHE-Fotograf Mike Hughes:

Joy of Colour

Mike Hughes Alke Brinkmann

Sabine Wolf Winfried Bullinger

Dorte Kraft Kiddy Citney

Friedrichstraße 231 am Checkpoint

24.5-21.6. Mi-So, 15-20 Uhr

(Information: S 261 73 52)

Die nächsten Sitzungen der

Erneuerungskommissio n Kottbusser Tor

26. Mai um 17.00 Uhr im EK-Laden

Thema u.a.: Bauwettbewerb Heinrich-Heine-Straße.

9. Juni um 17.00 Uhr im EK-Laden

Thema u.a.: Block 73.

Der EK-Laden ist Dienstags und Mittwochs von

14 - 17 Uhr und Freitags von 10 - 13 Uhr

geöffnet. Dresdener Straße 15,

® 614 60 97

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Über den Einkauf

wachte der Bär

Wenn man über Stadtge¬ schichte schreibt, ist es prak¬ tisch, eine Oma zu haben, die seit 60 Jahren im Kiez lebt. „Ach, die kleine Markthalle!" war denn auch ihre erste Reak¬ tion, als ich ihr von meiner Ab¬ sicht erzählte, diesen Artikel zu schreiben. „Klein? Oma, die Halle hatte mehr Verkaufs¬ fläche als die Eisenbahnhalle!" - „Ja? Na, mir ist die immer klein vorgekommen!" Offenbar ging das nicht nur meiner Oma so. Noch heute heißt die Speisewirtschaft dieser ver¬ schwundenen Verkaufseinrich¬ tung „Zur kleinen Markthalle". Das Lokal am Legiendamm 32 sorgt gemeinsam mit dem Frontgebäude in der Dresde¬ ner Straße 27 dafür, daß die Markthalle VII nicht ganz in Vergessenheit gerät.

Die Berliner Markthallen ent¬ standen vor rund 100 Jahren. Pläne, die öffentlichen Wo¬ chenmärkte in geschlossene Gebäude zu verlegen, gab es spätestens seit der Hungerre¬ volte von 1846, die als „Kartof¬ felrevolution" in die Geschichte eingegangen ist: Die Folgen einer Mißernte waren damals noch verstärkt worden durch eine spekulative Verknappung. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit guten, preiswerten Lebensmitteln soll¬ te in den Hallen besser kontrol¬ liert und gesteuert werden. Als sich das politische und soziale Klima dann wieder entspannte, geriet dieses Vorhaben jedoch in Vergessenheit. Erst 1862, brachte es der Stadtverordnete Schaeffer wieder aufs Tapet.

Ein wesentliches Argument waren dabei die Witterungsein¬ flüsse. Überdachte Stände waren damals unüblich und wurden von der Polizei eigent¬ lich nur bei den Fleischern zu¬ gelassen. Die Waren lagerten oft auf dem nackten Boden. Erich Rindt, der 1928 seine Doktorarbeit über „Die Markt¬ hallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens" schrieb, sah aber auch die Preise vom Wet¬ ter beeinflußt: Wenn Lebens¬ mittel dadurch verdürben, wür¬ den die Waren teurer, ebenso wenn bei schlechtem Wetter weniger Käufer kämen oder auch - in der Annahme, daß weniger Käufer kämen - weni¬

ger Händler: je geringer Ange¬ bot und Konkurrenz, desto höher die Preise.

Märkte sind der Weltstadt unwürdig

Aber auch ästhetische Über¬ legungen spielten eine Rolle. Schon Ende des 18. Jahrhun¬ derts hatte es erste Beschwer¬ den gegebn, daß die Märkte die öffentlichen Plätze Berlins verschandeln würden. Der be¬ reits zitierte Rindt schrieb noch 1928: „Es erscheint uns un¬ denkbar, daß heute in der Welt¬ stadt noch offene Wochen¬ märkte abgehalten werden können." Und dann hatten es die Berliner schon vor 100 Jah¬ ren mit dem Verkehr: „Nament¬ lich an den Hauptmarkttagen, mittwochs und sonnabends, waren alle Straßen, welche die Hauptmärkte umgeben, bis auf ihre halbe Breite mit hun- derten von dicht aneinander¬ gereihten Wagen besetzt, und nur langsam konnte der Strom des Verkehrs unter tausend Hemmungen und Störungen sich vorbeibewegen", klagte der städtische Verwaltungsbe¬ richt für die Jahre 1882-88.

Dennoch wollte man 1862 erst einmal prüfen, ob über¬ haupt ein Bedürfnis nach Markthallen bestünde und wenn, ob sich dies nicht auch privatwirtschaftlich erledigen ließe. Bald darauf machte sich eine Immobiliengesellschaft an den Bau der ersten Berliner Markthalle. Am 1. Oktober 1867 eröffnet, schloß sie jedoch schon nach rund sechs Mona¬ ten wieder: Käufer und Händ¬ ler blieben aus, die einen we¬ gen der ungünstigen Lage, die anderen wegen der Standmie¬ te, die höher war als auf den Märkten - schließlich wollten die Hallenbetreiber Profit ma¬ chen. Das Gebäude wurde später zum Zirkus umgebaut, dann zum Theater und machte schließlich als „Friedrichstadt¬ palast" von sich reden.

Trotz dieses Rückschlags dauerte es noch etwas, bis man allgemein einsah, daß die Lebensmittelversorgung von öffentlichem Interesse sei und dies die Stadt besser besorgen könne als private Unternehmer. Außerdem war die Stadtkasse

Die „Kleine Markthalle" am Alfred-Döblin-Platz (oben) Marheineke-Halle um 1910: Stände statt der heute üblichen Buden mit anderen Projekten belastet wie dem Ersatz der völlig veral¬ teten Spreebrücken, dem Bau der Kanalisation oder des Zen¬ tralviehhofs. Wäre nicht die Stadtbahn gebaut worden, hät¬ te man sich vielleicht noch lan¬ ge nicht entschließen können, die damals 19 Märkte in Hallen zu verlegen. So aber bot sich die Gelegenheit, für die Zen¬ tralmarkthalle, die „Mittelpunkt der Lebensmittelversorgung Berlins" werden sollte, einen Bahnanschluß im Stadtzen¬ trum zu bauen.

Am 18. Juli 1883 wurde an der Neuen Friedrich- Ecke Kai¬ ser-Wilhelm-Straße (da, wo sich heute Karl-Liebknecht- und Ro- sa-Luxemburg-Straße gabeln) mit ihrem Bau begonnen. 1884 nahm man die ersten drei „Kleinmarkthallen" in Angriff:

Nummer II zwischen Friedrich- und Lindenstraße, III zwischen Zimmer- und Mauerstraße, IV zwischen Dorotheen- (heute Clara-Zetkin-)straße und Reichstagsufer. Noch bevor diese vier Hallen im Mai 1886 fertig waren, machte man sich an die Bauvorbereitung weite¬ rer; darunter auch jener auf dem Grundstück Buckower Straße 15 (Waldemarstra¬ ße 12-18) / Dresdener Stra¬ ße 27 / Luisenufer 15-16 (Le¬ giendamm 30/32). Diese Halle VII sollte die Märkte auf dem Oranienplatz (damals mit über 900 Ständen einer der größten Berlins) und in der Franz¬ straße (die gegenüber der alt¬ lutherischen Kirche an der An¬ nenstraße begann und bis zur Schmidstraße führte) ersetzen.

Der Grunderwerb für sie ko-

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stete 985 000 Mark, die Bau¬ kosten 725 817 Mark, der In¬ ventarneuwert betrug 17 616 Mark; umgelegt auf die bebau¬ te Grundfläche lagen die Ko¬ sten im oberen Mittelfeld des Gesamtprogramms. Am 1. Au¬ gust 1887 begonnen und schon am 23. Mai 1888 eröff¬ net, verfügte die halle zunächst über 1 500 m2 Verkaufsfläche, die 75 Ständen mit Fleisch und Wild, 152 mit „Grünkram", Obst, Butter usw. sowie 22 mit Fisch Raum bot; plus 275 m2 „Standinseln ohne feste Ein¬ richtungen, nur durch in das Pflaster eingelegte Schienen geteilt". Für fliegende Händler wurde außerdem ein Teil des großen Mittelganges freigehal¬ ten.

In der Halle nur Blutwurst

Dieser verlief, zumindest in Berlin eine Besonderheit, quer durch die Halle, von der Ecke an der Waldemarbrücke zur Dresdener Straße, wo man das Grundstück extra erworben hatte, um diese Ausfahrt zu schaffen: Der Gang, auch hier vom großen Mittelschiff mit sei¬ nen Seitenfenstern überwölbt, diente der Anlieferung der Wa¬ ren. Eine weitere Besonderheit war, daß das Haupttor, über dem der Berliner Bär thronte, von zwei kleinen achteckigen Türmen flankiert wurde. Die noch heute existierende Gast¬ stätte (in der Halle durften außer frischer Blut- und Leber¬ wurst keine warmen Speisen

verkauft werden), war ein An¬ bau an die eigentliche Halle, auch in der Architektur von dieser leicht abweichend. An¬ sonsten ähnelte die Gestaltung der fast quadratischen Halle stark der der anderen Bauten.

Kein Wunder: Alle waren von demselben Mann, Stadt¬ baurat Hermann Blankenstein, entworfen worden. Und so er¬ haben uns diese hohen Hallen aus Eisen, Glas und unverputz¬ ten Ziegeln heute auch er¬ scheinen: Für die damaligen Verhältnisse waren sie schlich¬ te Zweckbauten. Der seinerzeit sonst übliche Pomp verbot sich schon, weil man die Bau¬ kosten so gering wie möglich halten wollte; nur so waren niedrige Standmieten, eine große Konkurrenz und damit niedrige Preise garantiert. Aus demselben Grund wählte man zunächst oft Bauplätze in Ne¬ benstraßen und verbannte die Hallen gar in das Blockinnere.

Bald zeigte sich jedoch, daß man an den falschen Stellen gespart hatte. Die Hallen wa¬ ren lukrativer als die davor er¬ richteten Wohnhäuser. Und nicht nur die wenig verkehrs¬ günstige Lage wirkte sich bald geschäftsschädigend aus. Da¬ mit, daß sie alle Güter des tägli¬ chen Bedarfs unter einem Dach boten, waren diese Bau¬ ten zwar fortschrittlich; doch die Berliner Stadtregierung, auch damals nicht gerade ent¬ schlußfreudig, hatte ein wenig zu lange mit ihrer Errichtung gerwartet. Kaum waren sie fer¬ tig, verlagerte sich der Einzel¬ handel mehr und mehr in La¬ dengeschäfte. Und dann lock¬ ten die neuen Warenhäuser, prächtige Paläste, die per Mas¬ senumsatz auch noch billiger sein konnten und selbst den kleinsten Einkauf frei Haus lie¬ ferten. Die Markthallen, die noch heute etwas schmudde¬ lig wirken (was uns freilich nun als Atmosphäre erscheint), konnten da nicht mithal¬ ten. 1909 bemängelte der „Berliner Lokal-Anzeiger" an ih¬ nen: Zugluft, Ungastlichkeit, besonders in den Sommermo¬ naten den üblen Geruch.

Unübersichtliche Verhältnisse

So erwies sich das Markthal¬ lenprogramm, das 1892 mit der Eröffnung der Halle XIV am Weddinger Nettelbeckplatz abgeschlossen wurde, als teil¬ weiser Fehlschlag. Einerseits war die Idee, Berlin, das selbst

in seinen damaligen Grenzen schon zwei Millionen Einwoh¬ ner zählte, durch eine Gro߬ markthalle mitten im Zentrum versorgen zu wollen, absurd; selbst der schon 1893 erfolgte Erweiterungsbau brachte keine wesentliche Linderung der in¬ zwischen chaotischen Situati¬ on am Alex. Andererseits hatte man die „Kleinmarkthallen" in teilweise noch zu dünn besie¬ delte Stadtteile gebaut oder aber in Viertel, die zugunsten von immer mehr Büros zuneh¬ mend entvölkert wurden. Die Halle XII am Gesundbrunnen wurde 1898, die Hallen III, IV und XIII (nahe dem heutigen Kollwitzplatz) 1910 geschlos¬ sen. Und Nummer II entging diesem Schicksal wohl nur, weil sie sich zur Blumengro߬ markthalle entwickelt hatte.

1912 oder 1913 wurde auch die Verkaufsfläche in unserer Halle VII um über 300m2 redu¬ ziert. Anfangs noch voll ausge¬ lastet, war die Belegung bald zurückgegangen: 1903 waren nur noch 71,6, 1912 gar nur noch 43,3 % der Standfläche besetzt gewesen. Eine wesent¬ liche Erholung ergab sich erst nach dem Ersten Weltkrieg. Der schon erwähnte Rindt meint, daß in Zeiten, da die Versorgung knapp und die Marktverhältnisse „unüber¬ sichtlich" würden, die Hallen einen besseren Preisvergleich ermöglichten.

Sonst findet sich leider we¬ nig über die Markthallen, speziell über die Nummer VII . Meine Oma, um auf sie zurückzukommen, meint, daß die Halle am Vormittag des 3. Februar 1945, bei dem größten Luftangriff auf Berlin, zerstört worden sei. In dem an¬ schließenden Chaos seien die übriggebliebenen Waren, Klei¬ dung wie Nahrung, geplündert worden. In einer Ubersicht der „Gebäudeschäden im Gebiet der Stadt Berlin 1945" wurde die Halle als „beschädigtes, wiederaufbaufähiges Gebäu¬ de" klassifiziert. In den fünfzi¬ ger Jahren ist in der Ruine auch noch verkauft worden, die Zerstörung eines großen Teils der Umgebung, schlie߬ lich die direkt vor der Halle er¬ richtete Mauer, haben dann aber wahrscheinlich verhin¬ dert, daß es zu einem Wieder¬ aufbau kam. Heute steht auf dem Gelände ein in den frühen Sechzigern errichtetes Obdachlosenwohnheim.

Jan Gympel

Adressen

Mieterberatungsstellen und Mietervertretungen Mieterladen Dresdener Straße Dresdener Str. 12, S 614 30 53 Di u. Do 16 - 18 Uhr mit Rechtsanwalt Mi 12.30 - 14.30 mit Rechtsanwältin Mi 16-18 Uhr Spas Dresdener Straße 12, Sf. 1. OG, ® 654 33 67 Sprechstunden im Mieterladen Di 16 - 18 Uhr, Do 11 - 13 Uhr Mieterrat e.V. Waldemarstr. 29, S 615 12 52 Do 16 - 20 Uhr, 18 - 20 Uhr mit Rechtsanwalt Mietergruppe Mariannenplatz Nord Manteuffelstraße 20 Di 16 - 18 Uhr mit Rechtsanwalt Do 10 - 12 Uhr Mieterrat Luckauer Straße Luckauer Str. 14, 'S 614 97 86 Treffpunkt und Beratung Do 18 - 19 Uhr Mietervertretung SKS Kohlfurter Str. 42, 3f 614 80 32 Horst Schattner steht in seinem Laden jederzeit zur Verfügung, vorausgesetzt, er ist da.

Wohnungsbaugesellschaften und Sanierungsträger:

BeWoGe Luckauer Straße 17, Eingang Oranienstraße 49 ■S 614 40 80 Mo 9-12, Do 15-17 Uhr Gesa « 891 50 84 (Bogensberger & Schlusche) GSG Dresdener Straße 20 ® 614 30 77 Mo 14 - 16, Mi 16 - 18, Fr 10 - 12 Uhr GSW Naunynstraße 73 ® 614 3011 Mo 10-12 Uhr, Mi 16-18 Uhr Für Neubaumieter der GSW ist das Büro in der Kohlfurter Str. 11 zuständig ® 614 80 23, Mo 9 - 11 Uhr Statt bau Urbanstraße 116 ■S 693 60 36 täglich 13 - 17, Fr 10 - 14 Uhr Beratung: Nachbarschaftsladen Kotti Dresdener Straße 17 S 615 79 91/92 Rechtsberatung (Schwerpunkt Arbeitsrecht): Mi 16.30 - 17.30 Uhr Sozialhilfeberatung: jeden 1. u. 3. Mo 16 - 18 Uhr Berufsberatung: 14tägig Do 15 - 18 Uhr Offene Nachbarschaftshilfe: Mo, Do 10 - 13 und 15 - 18 Uhr Umweltberatung ® 25 88-33 15

Botanisches Büro Süd-Ost Naunynstraße 41,1/36 ® 614 90 74 Gärtnerische Beratung, Gartenwerkzeugverleih, Bibliothek für Gartenliteratur Mo - Fr 15 - 17 Uhr

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