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Dunkle Materie Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energien Dirk Lennarz ([email protected]) Betreuer: Christopher Wiebusch Dieser Vortrag in der Seminarreihe ”Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energi- en” hat als Hauptziel, angehende Teilchenphysiker in die Thematik der Dunklen Materie einzuf¨ uhren. Neue Beschleunigerexperimente werden wichtige Beitr¨ age zur Erforschung der Natur der Dunklen Materie liefern. Im Vordergrund des Vortrags stehen drei zentrale Fragen: erstens ¨ uber den Werdegang der Idee der Dunklen Materie, zweitens ¨ uber unseren heutigen Kenntnisstand und drittens ¨ uber die Kandidaten f¨ ur Dunkle Materie. Die Gliederung dieser Ausarbeitung kn¨ upft an die Struktur des Vortrages an.

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Dunkle Materie

Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energien

Dirk Lennarz ([email protected])Betreuer: Christopher Wiebusch

Dieser Vortrag in der Seminarreihe ”Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energi-en” hat als Hauptziel, angehende Teilchenphysiker in die Thematik der Dunklen Materieeinzufuhren. Neue Beschleunigerexperimente werden wichtige Beitrage zur Erforschung derNatur der Dunklen Materie liefern. Im Vordergrund des Vortrags stehen drei zentrale Fragen:erstens uber den Werdegang der Idee der Dunklen Materie, zweitens uber unseren heutigenKenntnisstand und drittens uber die Kandidaten fur Dunkle Materie. Die Gliederung dieserAusarbeitung knupft an die Struktur des Vortrages an.

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Inhaltsverzeichnis 2

Inhaltsverzeichnis

1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt? 31.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Virialtheorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3 Rotationskurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.4 Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 72.1 Materiehaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.2 Grundpfeiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.3 Kosmische Hintergrundstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.3.1 Energiedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.3.2 Anisotropien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.3.3 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.3.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.4 Supernovae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.5 Nukleosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.6 Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.8 Materieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3 Welche Kandidaten fur Dunkle Materie gibt es und wie sucht man danach? 193.1 Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193.2 WIMPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.2.1 Direkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203.2.2 Indirekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

4 Zusammenfassung 21

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1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt? 3

1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?

In diesem Abschnitt mochte ich klarstellen, was man unter dem Begriff Dunkle Materieversteht, wie man experimentell Massen im Universum bestimmen kann und welche Hinweiseauf Dunkle Materie man dabei gefunden hat.

1.1 Einleitung

Die Geschichte der Dunklen Materie beginnt schon im Jahr 1844. Damals gab es ein Problemmit der Genauigkeit der Uranus-Bahn: auch mit Storungsrechnung aller bis dato bekann-ten Planten konnte man die Messdaten immer nur innerhalb eines begrenzten Zeitrahmensbeschreiben. Der Student J.C. Adams in Cambridge erklarte dies 1845 durch einen hypo-thetischen weiteren Planeten, der die Bahn des Uranus durch seine Gravitation stort. Beimberuhmten Astronom Airy stieß er mit diesem Vorschlag auf wenig Gegenliebe, da Airy eineModifikation des Newtonschen Gravitationsgesetzes zur Losung des Problems favorisierte.Daher wurde erst im Jahr 1846 durch erneute Berechnungen des Franzosen Le Verrier undBeobachtungen des deutschen Astronom Galle ein neuer Planet (Neptun) entdeckt.

Was wir aus dieser Geschichte lernen konnen, ist eine pragmatische Definition von Dunk-ler Materie: unter Dunkler Materie versteht man eine nur uber ihre Gravitationswirkungwahrnehmbare, d.h. messbare, Masse.

1.2 Virialtheorem

Der erste experimentelle Hinweis auf Dunkle Materie stammt aus dem Jahr 1933 von FritzZwicky. Er hat das Virialtheorem (1) auf einen Galaxienhaufen, den Coma Cluster, ange-wendet, um damit die Masse zu bestimmen.

T = −1

2U (1)

Um die kinetischen Energien zu erhalten, braucht man die Geschwindigkeiten der Gala-xien. In der Astronomie werden Geschwindigkeiten ublicherweise uber den Dopplereffektbestimmt. Es liegt eine Rotverschiebung vor, wenn sich das Objekt von uns weg und ei-ne Blauverschiebung wenn sich das Objekt auf uns zu bewegt. Mit dieser Methode ist esallerdings nur moglich, Geschwindigkeiten entlang unserer Sichtlinie zu berechnen. Da wiraber annehmen konnen, dass die Geschwindigkeiten sich im Mittel uber alle Raumrichtun-gen gleichverteilen, konnen wir den Betrag der Gesamtgeschwindigkeit als das

√3-fache des

Betrags der Geschwindigkeit in Sichtlinie schreiben. Fur die kinetische Energie T gilt dann,wobei 〈v〉 die mittlere Geschwindigkeit in Sichtlinie ist:

T =1

2M · 3〈v〉2 (2)

Die potentielle Energie U des Galaxieclusters ist gegeben durch:

U ∼ −GM2

R(3)

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1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt? 4

Dabei ist M die gesuchte Gesamtmasse und R der Gesamtradius des Galaxieclusters. Indieser Beziehung unberucksichtigt bleiben Strukturfaktoren, die den genauen Aufbau desHaufens beschreiben.

Aus (1) folgt dann mit (2) und (3):

M ∼ 3R〈v〉2

G(4)

Dem nach charakterisiert die mittlere Geschwindigkeit in Sichtlinie die Gesamtmasse desGalaxieclusters. Mit dieser Methode konnte Fritz Zwicky 1933 die Gesamtmasse des ComaClusters bestimmen. Sein Ergebnis war, dass der Umrechnungsfaktor von Leuchtkraft zuMasse etwa 500 ist (aus [1]). Dieser Wert ist sehr viel großer als fur unser lokales Univer-sum, wo er in etwa 3 betragt. Wir haben also fast 200-mal mehr Masse, als wir durch dieLeuchtkraft erwarten wurden.

1.3 Rotationskurven

Ein zweiter experimenteller Hinweis auf Dunkle Materie sind die so genannten Rotations-kurven von Galaxien. Darunter versteht man die Rotationsgeschwindigkeit als Funktion desradialen Abstands zum Zentrum. Man misst die Rotationsgeschwindigkeiten wieder uber denDopplereffekt, indem man die Differenz zwischen Rot- und Blauverschiebung zweier Sterneim etwa gleichen Abstand zum galaktischen Zentrum bestimmt.

Einen Zusammenhang zwischen Masse und Rotationsgeschwindigkeit erhalten wir aus derBedingung, dass Gravitations- und Zentripetalkraft gleich groß sein sollen. Dabei ist M(R)die im Radius R eingeschlossene Masse:

FZ = FGrav ⇒1

2m

v2

R=

1

2G

mM(R)

R2⇒ v2 =

GM(R)

R(5)

Um unsere Erwartung fur eine Spiralgalaxie zu formulieren, schauen wir uns kurz das Modelleiner solchen Galaxie an. Eine Spiralgalaxie hat einen typischen Durchmesser von etwa 30-50 kpc (pc=Parsec ist die gangige Entfernungseinheit in der Astronomie, 1pc entsprichtetwa 3,3 Lichtjahren) und ist aufgebaut aus einem spharoidischen Kern, dem so genannten”bulge”, der auf den inneren 3-5 kpc die Struktur dominiert und einer außeren Scheibe,der so genannten ”disk”. Im Kern ist die Dichte nahezu konstant, daher nimmt die Massemit der dritten Potenz von R zu, da man die Dichte uber den Raum integriert. Setzen wirdas in (5) ein sehen wir, dass sie Rotationsgeschwindigkeit linear mit R ansteigen sollte.Befinden wir uns hingegen im Bereich der Scheibe andert sich M(R) nur noch gering, es istalso effektiv schon die konstante Gesamtmasse der Galaxie. Hier ware die Erwartung, dassdie Rotationskurve mit R−0,5 abfallt.

In Abbildung (1) aus [2] sieht man eine gemessene Rotationskurve fur die Galaxie NGC3198.Diese erfullt unsere Erwartungen nicht, sondern die Rotationsgeschwindigkeit bleibt bis zumsichtbaren Rand der Galaxie konstant. Dies ist nur erklarbar, falls es einen zusatzlichen ku-gelformigen Halo aus Dunkler Materie gibt, dessen Dichte mit ρ ∼ 1

R2 abfallt, dessen Massealso linear mit dem Radius zunimmt.

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1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt? 5

Abbildung 1: Gemessene Rotationskurve (Punkte mit Fehlerbalken) fur die Galaxie NGC3198 aus [2]. Kern und Scheibe konnen den Verlauf der Kurve nicht beschrei-ben, dazu muss man einen zusatzlichen Halo mit Materie annehmen.

Die Gesamtmasse des Dunklen Halos lasst sich nicht bestimmen, da man bis heute nichtweiß, wie weit der Halo uber die Galaxie hinausgeht. Was wir aber berechnen konnen, ist dasVerhaltnis von Dunkler zu leuchtender Materie bis zum sichtbaren Rand der Galaxie. DiesesVerhaltnis liegt in der Großenordnung von 10:1, dass heißt es gibt mindestens zehnmal mehrDunkle als leuchtende Materie.

1.4 Gravitationslinsen

Die dritte und letzte Methode zur Massenbestimmung, die ich hier vorstellen mochte, sinddie so genannten Gravitationslinsen. Wir wissen, dass klassische Teilchen durch ein Gravita-tionsfeld von ihrer Bahn abgelenkt werden. Fur den Ablenkungswinkel gilt im Falle kleinerAblenkungen fur ein Teilchen mit Stossparameter y:

α =2MG

yv2(6)

Dies gilt im Prinzip auch fur Lichtstrahlen, allerdings muss man fur diese Rechnung die Allge-meine Relativitatstheorie mit der Schwarzschild-Metrik bemuhen. Man erhalt eine ahnliche

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1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt? 6

Formel, die sich nur um einen Faktor 2 vom klassischen Resultat unterscheidet:

α =4MG

yc2(7)

Wiederum war es Fritz Zwicky, der sich 1937 fragte, ob man die Galaxiehaufen als Gravitati-onslinse verwenden konnte und wie man heute weiß, ist das tatsachlich der Fall.

Abbildung 2: Veranderung der Bilder inAbhangigkeit von der Linsen-form von [ESA 2001]

Abbildung (2) zeigt, dass je nach Beschaf-fenheit der Linse verschiedene Bilder moglichsind. Fur eine kugelsymmetrische Linse (Ab-bildung (2) oben) und den Fall, dass Quelleund Linse auf der Sichtlinien liegen, wird dasLicht kreisformig um die Linse ”herumgebo-gen”. Der Eindruck des Kreises kommt daherzustande, dass, wenn man den Weg des Lichtsvom Beobachter aus zuruckverfolgt, man denEindruck hat, dass das Licht von einem Kreisemittiert worden ist. Das so entstandene Bildnennt man auch Einsteinring. Mit dem Win-keldurchmesser eins Einsteinrings r2 ist esmoglich die Masse der Linse zu bestimmen.Bezeichnet man DObj als Abstand zum abge-bildeten Objekt, DLin als Abstand zur Lin-se und DObj−Lin als Abstand des Objekts zurLinse, dann gilt (aus [3]):

M =c2

4G

(DObj

DLinDObj−Lin

)r2 (8)

Fur eine abgeflachte Linse (Abbildung (2)mitte), konnen Mehrfachbilder entstehen, wiez.B. die vier Sterne im so genannten EinsteinKreuz. Fur einen Galaxiehaufen (Abbildung(2) unten) werden die Bilder konfuser, man

kann aber dennoch Streifen erkennen und daraus die Masse des Haufens bestimmen.

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2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 7

2 Was wissen wir uber Dunkle Materie?

In diesem Abschnitt werden wir uns anschauen, wie man den Materiehaushalt des Univer-sums beschreibt, welche Experimente uns daruber Auskunft geben und welche Ergebnisseman bisher erzielt hat.

2.1 Materiehaushalt

Um den Materiehaushalt des Universums zu charakterisieren bedarf es einiger Grundkennt-nisse in Kosmologie. Deren Grundlage ist die Allgemeine Relativitatstheorie mit den Ein-steinschen Feldgleichungen. Die Idee der Allgemeinen Relativitatstheorie ist, dass Masse denRaum krummt und Masse der Raumkrummung folgt. Das fundamentale Feld ist in diesemFalle die Metrik. Leider ist es in der Praxis sehr kompliziert mit solchen gekrummten Metri-ken zu rechnen, denn die Einsteinschen Feldgleichungen sind nicht linear. Fur ein isotropes,homogenes, expandierendes Universum ist die Metrik, und damit die Berechnungen, relativeinfach. Man nennt diese Metrik die Robertson-Walker-Metrik. Deren Idee ist, ein lokales Ko-ordinatensystem einzufuhren, welches sich nicht durch die Expansion andert. Die Expansionwird dadurch berucksichtigt, dass sich die Skala andert, auf der wir Entfernungen messen.Mit dieser Metrik erhalten wir nach Einsetzen in die Feldgleichung die beiden so genanntenFriedman-Lemaitre-Gleichungen, von denen die erste auch Friedman-Gleichung heißt.

H2(t) ≡

(R(t)

R(t)

)2

= − k

R2+

8πG

3ρ +

Λ

3(9)

R(t)

R(t)=

Λ

3− 4πG

3(ρ + 3P ) (10)

Hier ist R der Skalenparameter, denn wir mit der Robertson-Walker-Metrik eingefuhrt ha-ben und der sich also bei der Expansion vergroßert. H heißt Hubble-Konstante, welche dieExpansionsgeschwindigkeit, also die relative Anderung des Skalenparameters, angibt. Offen-sichtlich hangt die von drei Termen ab. Der erste Term ist ein Beitrag der Raumkrummungmit dem diskreten Wert k, der -1,0,1 sein kann. Fur k = 0 liegt ein euklidisches Universumvor, dessen zweidimensionales Analogon eine Ebene ware. Ist k = −1 spricht man von einemgeschlossenem Universum, was in zwei Dimensionen einer Kugeloberflache entspricht undk = 1 heißt offenes Universum, das zweidimensionale Analogon ware hier ein Sattel. Derzweite Term beschreibt den Beitrag der Materie- und Energiedichten im Universum. Beimdritten Term handelt es sich um den Beitrag der so genannten kosmologischen Konstanten,die Einstein damals eingefuhrt hat, um eine statische Losung fur das Universum moglich zumachen. Ihren Beitrag bezeichnet man auch als ”Dunklen Energie”. Uber ρV = Λ

8πGlasst sie

sich als Vakuumenergiedichte schreiben. P ist der Druck, der durch die zugehorige Dichteerzeugt wird. Fur ruhende Teilchen ist dieser identisch Null, fur Strahlung und relativistischeTeilchen grade ein Drittel der Dichte und die Vakuumenergiedichte erzeugt einen genau ent-gegengesetzt negativen Druck, die das Universum, im Gegensatz zur Materie, auseinandertreibt (siehe zweite Gleichung in (10)).

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2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 8

Wir interessieren uns hier im Folgenden nur fur die Friedman-Gleichung. Wir konnen sieweiter vereinfachen, in dem wir durch H2 dividieren und alle Dichten mit der so genanntenkritischen Dichte ρc zu dimensionslosen Großen normieren:

Ω =ρ

ρc

(11)

Ublicherweise schreibt man auch den Beitrag der Raumkrummung als Ωk, obwohl hier strenggenommen keine Energiedichte zugrunde liegt. Bringt man diesen nach links und fasst ihnmit der eins als Ω0 zusammen erhalt man folgende Gleichung:

1− Ωk︸ ︷︷ ︸Ω0

= ΩM + ΩΛ (12)

Das ist die grundlegende Gleichung fur den Materiehaushalt des Universums, auf welcher dienachfolgende Diskussion aufbaut.

Fur die heutige Zeit t = t0 schreibt man die Hubble-Konstante kurzer, indem man an dasH den Index 0 anfugt. Zusatzlich gibt man den Wert der Hubble-Konstanten mit Hilfe desdimensionslosen Parameters h an, der einen Wert zwischen 0,5 und 1 hat. Dies hat den Sinn,dass man nun Ergebnisse in Einheiten von h angeben und vergleichen kann, unabhangig vomWert und vor allem auch vom Fehler der Hubble-Konstante.

H0 ≡ H(t = t0) = 100hkm

s Mpc(13)

2.2 Grundpfeiler

Schauen wir uns als erstes an, welche Komponenten wir in der Grundgleichung Ω0 = ΩM +ΩΛ

berucksichtigen mussen. Den Materie- und Energiedichteterm ΩM spalten wir auf in dieBeitrage von baryonischer Materie, Dunkler Materie, Neutrinos und Photonen:

ΩM = ΩB + ΩDM + Ων + Ωγ (14)

Die baryonische Materiedichte unterteilt man weiter in einen leuchtenden und einen dunklenTeil, worauf spater genauer eingegangen wird.

ΩB = ΩLum + ΩD (15)

Die Beobachtungen und Theorien, auf denen unser heutiger Kenntnisstand uber den Ma-teriehaushalt des Universums basiert, sind:

• Kosmische Hintergrundstrahlung (CMB): Aussagen uber Ω0, ΩM und ΩB

• Supernovae: Aussagen uber ΩM − ΩΛ

• Nukleosynthese: Aussagen uber ΩB

• Strukturbildung: Aussagen uber ΩM − ΩB

Diese Punkte werden wir uns nun der Reihe nach anschauen.

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2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 9

2.3 Kosmische Hintergrundstrahlung

Die kosmische Hintergrundstrahlung wurde schon 1948 von Gamov, Alpher und Hermanals Konsequenz der Urknalltheorie vorhergesagt. Sie stammt von dem Zeitpunkt, als dieStrahlung von der Materie entkoppelte und somit ungehindert propagieren konnte. Manspricht davon, dass das Universum durchsichtig wurde. Trotz dieser Vorhersage wurde nichtaktiv nach dieser Strahlung gesucht, sondern die Entdeckung erfolgte zufallig im Jahre 1964durch Penzias und Wilson. Diese stießen bei Arbeiten an einer ausgedienten Antenne zurEntwicklung von Radioubertragungstechnik auf ein isotropes Signal, welches sie sich nichterklaren konnten. Ihre erste Theorie war eine ”weiße, dielektrische Substanz”, mit der Taubendie Antenne verschmutzt hatten. Aber auch nach Entfernung des Drecks (und ”dauerhafterEntfernung” der Tauben) blieb das Signal unverandert. Erst Dicke und Peebles konnten dasSignal richtig interpretieren und ironischer Weise waren beide selber grade dabei nach demSignal suchen. Aber so ging der Nobelpreis 1978 dennoch an Penzias und Wilson.

Im Jahre 1989 wurde das Spektrum der Hintergrundstrahlung, welches auf der Erdegroßtenteils von der Atmosphare absorbiert wird, mit dem Satellit COBE dann zum ers-ten Mal in seiner Gesamtheit vermessen. Bei diesem Experiment fuhrend waren John Ma-ther und Georg Smoot, die fur ihre Arbeit 2006 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.Wir werden in Kurze sehen, warum die gewonnenen Erkenntnisse so bahnbrechend warenum einen weiteren Nobelpreis innerhalb kurzer Zeit zu rechtfertigen. Heute liefert der 2002gestartete Satellit WMAP die besten Daten.

2.3.1 Energiedichte

John Mather war bei COBE vor allem mit dem Experiment FIRAS vertreten. Dessen Auf-gabe war es, dass Intensitatsspektrum der Hintergrundstrahlung zu vermessen. Schon imJanuar 1990 war diese Aufgabe mit dem in Abbildung (3) zu sehendem Ergebnis erfolgreichabgeschlossen. Die Abweichungen von einem Planck Spektrum sind extrem klein, so dassdie Fehlerbalken unter der theoretischen Kurve verschwinden. Dieses Spektrum ist bis heuteunverbessert und aus diesen Daten ist es moglich die Temperatur der Hintergrundstrahlungsehr genau zu bestimmen (aus [5] Kapitel 21):

T = (2, 725± 0, 001)K (16)

Mit der Temperatur konnen wir die Energiedichte dieser Strahlung berechnen (aus [5] Ka-pitel 21):

Ωγh2 = 2, 47× 10−5 (17)

An der heutigen Energiedichte ist der Beitrag der Strahlung also sehr gering und kannvernachlassigt werden.

2.3.2 Anisotropien

Das zweite wichtige COBE Experiment war DMR von George Smoot. Ziel war es, die Fluk-tuationen in der kosmischen Hintergrundstrahlung zu untersuchen. Diese kleinen Fluktua-tionen sind im Laufe der Zeit durch die Gravitation zu allen Strukturen im Universum

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2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 10

Abbildung 3: Intensitatsspektrum der Hintergrundstrahlung aus [4]. Die Fehlerbalken ver-schwinden unter der theoretischen Kurve

angewachsen. Sie wurden erst im April 1992, also rund zwei Jahre nach dem erfolgreichenAbschluss von FIRAS, gefunden. Bei den Messdaten gibt es einen dominanten Dopplerdipolbedingt durch die Bewegung des Satelliten im CMB-Bezugssystem. Außerdem muss manzusatzlich die Emissionen aus der Ebene der Milchstraße subtrahieren.

Um die Messdaten nun analysieren zu konnen, entwickelt man die Temperaturanisotropiennach Kugelflachenfunktionen:

δT (θ, φ) =∑lm

almYlm(θ, φ) (18)

Die fur uns interessante kosmologische Information steckt vor allem in der Winkelseparationzweiter Punkte. Was uns interessiert ist die Leistung einer l-Mode:

(2l + 1)Cl

4πmit Cl ≡

l∑m=−l

|alm|2 (19)

Dadurch ist die Winkelskala in etwa gegeben durch 180/l.

2.3.3 Analyse

Die Abbildung (4) zeigt die so genannte Bandleistung fur die verschiedenen l-Moden. DieLeistung lasst sich nicht direkt messen, da man nicht den kompletten Himmel misst und essomit zu Korrelationen der l-Moden kommt. Die Leistungen einer l-Mode werden in verschie-denen Bereichen von Modellen vorhergesagt. Es gibt zum einen den Sachs-Wolfe-Effekt, der

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Abbildung 4: Bandleistung der l-Moden aus [6]

die Leistungen fur l . 30, also große Winkel, beschreibt. Verantwortlich fur das Verhaltenauf kleinen Winkelskalen (l > 1000) ist die Silk-Dampfung. Fur uns interessant sind aberdie von Andrei Sacharow beschriebenen akustischen Schwingungen. Akustische Oszillationender Materie im fruhen Universum haben zu charakteristischen l-Moden auf kleinen Winkels-kalen gefuhrt. Dies war auch der Grund fur WMAP, denn COBE hatte nur eine maximaleWinkelauflosung von 7, der erste akustische Peak liegt aber bei etwa 1. WMAP hat dahereine Auflosung von 0,2. Die akustischen Peaks spielen bei der weiteren Analyse eine wichtigeRolle, denn sie sind abhangig von den Parametern des Materiehaushalts.

2.3.4 Ergebnisse

Die Position des ersten Maximums wird, wie in Abbildung (5) zu sehen, sehr stark durchden Wert von Ωk und nur schwach durch den Wert von ΩΛ beeinflusst. Solange h nicht sehrklein ist, lasst sich aus der Position des ersten Maximums also Ωk und damit Ω0 bestimmen.Das Ergebnis (aus [5] Kapitel 23) lautet:

Ω0 = 1, 003+0,013−0,017 (20)

Unser Universum ist also euklidisch, d.h. k = 0.

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Abbildung 5: Verschiebung der akustischen Peaks mit Ωk und ΩΛ aus [6]

Abbildung 6: Verschiebung der akustischen Peaks mit ΩB und ΩM aus [6]

Aber es lasst sich noch mehr aus dem Spektrum herausholen. Fur die weitere Analysekonnen wir jetzt also k = 0 annehmen. Wie man in Abbildung (6) erkennt, ist die Hohedes ersten Maximums sensitiv auf Baryonen- und Materiedichte, aber die weiteren Maximasind vor allem sensitiv auf die Materiedichte. Also konnen wir durch weitere Anpassungenbestimmen (aus [5] Kapitel 23):

ΩBh2 = 0, 0223+0,0007−0,0009 (21)

ΩMh2 = 0, 127+0,007−0,010 (22)

h = 0, 73+0,03−0,04 (23)

Die Annahme, dass h nicht zu klein ist, scheint also gerechtfertigt.

2.4 Supernovae

Eine zweite wichtige Informationsquelle uber die Zusammensetzung des Materiehaushaltsdes Universums sind Supernovae Explosionen. Es handelt sich dabei um gewaltige Sternex-plosionen am Ende der Lebenszeit eines Sterns. Man detektiert sie, indem man alle 4 Tage

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2 Was wissen wir uber Dunkle Materie? 13

denselben Himmelsquadranten untersucht und ein Referenzbild abzieht. Auf diese Weiseerhalt man Bilder, die nur die Helligkeitsanderung der Supernova zeigen. Fur uns sind vorallem die Supernova Explosionen vom Typ Ia (SNIa) interessant, weil aus Modellen ihreabsolute Luminositat bekannt ist. Dies macht SNIa Explosionen so interessant, da man nundurch Vergleich mit der gemessenen Luminositat die wahre Distanz bestimmen kann. Manspricht deshalb auch gerne von ”Standardkerzen”. Mit der wahren Distanz im Verhatnis zurgemessenen Rotverschiebung kann man nun den zeitlichen Verlauf der Hubblekonstante, alsodie Anderung der Expansionsgeschwindigkeit, bestimmen. Diese Anderung ist abhangig vonder Differenz zwischen dem Beitrag der Materiedichte und dem Beitrag der Dunklen Energie.Dies wird anschaulich sofort klar, denn wie wir gesehen hatten beschleunigt die Dunkle Ener-gie die Expansion, wahrend sie durch mehr Materie gebremst wird. Einen hoheren Anteil anDunkler Energie kann also durch einen hoheren Anteil von Materie kompensiert werden undnur die Differenz ist maßgeblich.

Abbildung 7: Korrigierte Helligkeit von SNIa Explosionen in verschiedenen Entfernungenaus [7]

Tragt man nun, wie in Abbildung (7) links zu sehen, die korrigierte Helligkeit gegen dieRotverschiebung, und damit die Entfernung, auf, so sieht man, dass der Verlauf dieser Kurvenvon den Parametern des Materiehaushalts abhangt. Der Unterschied wird erst fur großereRotverschiebung signifikant. Dies zeigt sich am deutlichsten im Residuenplot, siehe Abbil-dung (7) rechts.

Es ist also moglich ΩM und ΩΛ und den Kurvenverlauf anzupassen. Die Ergebnisse (aus[7]) sind:

(ΩM , ΩΛ) = (0, 31± 0, 21, 0, 80± 0, 31) (24)

(ΩM − ΩΛ, ΩM + ΩΛ) = (−0, 49± 0, 12, 1, 11± 0, 52) (25)

Man sieht, dass die einzelne Werte fur ΩM und ΩΛ sehr große Fehler hat. Auch der Fehlerder Summe ist viel zu groß. Aber die Differenz konnte mit einem besseren Fehler bestimmtwerden. Die Ergebnisse stimmen sehr gut mit dem CMB-Daten uberein.

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Abbildung 8: Elementhaufigkeit als Funktion des Baryon-Photon-Verhaltnisses aus [5] Ka-pitel 20

2.5 Nukleosynthese

Die primordiale Nukleosynthese (auch BBN fur Big Bang Nukleosynthesis) ist die Theoriezur Entstehung der leichten Elemente im fruhen Universum etwa 3 min nach dem Urknall. Siewurde 1946 von Gamov aufgestellt. Aus der anfanglichen Elementarteilchensuppe entstehenProtonen und Neutronen, die bei diesen hohen Temperaturen uber die schwache Wechsel-wirkung im Gleichgewicht stehen. Bei sinkenden Temperaturen verschiebt sich das Gleichge-wicht immer mehr in Richtung der Protonen, bis die Neutronen das thermische Gleichgewichtschließlich verlassen (”freeze-out”). Die Neutronen konnen jetzt uber β-Zerfall zerfallen. Beiweiter sinkenden Temperaturen werden aber Kernprozesse moglich, so dass sich Deuteriumbilden kann. Dies ist der Beginn einer Nukleosynthesekette, die mit Lithium praktisch endet.

Die Abbildung (8) aus [5] Kapitel 20 zeigt die erwarteten Anteile der Elemente 4Helium,Deuterium, 3Helium und Lithium im Verhaltnis zu Wasserstoff als Funktion des Baryon-Photon-Verhaltnisses: η ≡ nB

nγ. Die Elementhaufigkeiten konnen wir im Universum messen

(Abbildung (8); kleine Box in Gelb: 2σ statistischer Fehler; große Box mit Punkten: 2σstatistischer und systematischer Fehler). Da wir die Photondichte aus den CMB-Messungen

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kennen, lasst sich die Baryondichte aus η bestimmen (aus [5]):

0, 017 ≤ ΩBh2 ≤ 0, 024 (95% CL) (26)

Dies ist in Abbildung (8) durch das senkrechte, orange Band eingezeichnet. Das blaue Bandzeigt das Ergebnis der CMB-Messung, auch hier liegt also eine gute Ubereinstimmung vor.

2.6 Strukturbildung

In so genannten ”Galaxy Surveys” bestimmt man die Entfernungen und Positionen sehrvieler Galaxien. Im 2dF Survey wurden dazu etwa 220.000 Galaxien untersucht. Ziel ist es,die so erhaltene Verteilung der Galaxien statistisch zu analysieren. Dazu benutzt man dieDichtekontrastfunktion, die die lokale Abweichung von der mittleren Dichte normiert auf diemittlere Dichte angibt.

δ(~x) =ρ(~x)− 〈ρ〉

〈ρ〉(27)

Ublicherweise interessiert man sich fur die Fouriertransformierte:

δ(~x) =∑

δk exp(−i~k~x

)(28)

Nun schaut man sich analog zu der Analyse der CMB-Daten die Leistung einzelner k-Modenan:

|δk|2 ≡ P (k) (29)

Dabei ist P (k) das so genannten Leistungsspektrum. Ublicherweise schreibt man es als:

∆2(k) ∝ k3P (k) (30)

Wie man in Abbildung (9) sieht, ist das Leistungsspektrum anhangig von der Materie- undBaryonendichte. Wir sehen, dass die Baryonen ein ”Schwingen” in der Kurve verursachen.Wenn wir jetzt die Baryonendichte aus der Nukleosynthese (ΩBh2 = 0, 02) nehmen, konnenwir die Materiedichte an die Messdaten anpassen (aus [5] Kapitel 19):

ΩMh ' 0, 2 (31)

Auch diese Messung stimmt sehr gut mit den Ergebnissen der CMB-Analyse uberein. Au-ßerdem liefert die Theorie der Strukturbildung noch eine ganz andere Einschrankung fur dieDunkle Materie: sie sollte ”kalt”, d.h. zum Zeitpunkt der Galaxiebildung nicht relativistischsein. Heiße Dunkle Materie wurde Dichtefluktuationen ”auswaschen” und die Strukturen imUniversum hatten keine Zeit gehabt sich zu bilden.

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Abbildung 9: Leistungsspektrum der Galaxieverteilung aus [5] Kapitel 19

2.7 Zusammenfassung

Fassen wir die bisher gewonnen Erkenntnisse zusammen. Dazu tragen wir alle Messungen wiein Abbildung (10) zu sehen in einen Graphen ΩΛ gegen ΩM ein. Wir hatten gesehen, dass ausden WMAP Daten vor allem Ω0 und damit die Summe aus beidem zu 1 bestimmt wurde:in unserem Graphen erhalten wir daher eine Gerade. Durch die Supernovae Explosionenwurde die Differenz aus beiden bestimmen, das liefert uns eine dazu senkrechte Gerade. Undaus der Strukturbildung war es uns mit Daten der Nukleosynthese moglich ΩM einzeln zubestimmen. Die wichtige Erkenntnis ist nun, dass es einen Bereich gibt, in dem sich alledrei Messungen treffen. Es gibt also eine Kombination von Parametern, die alle Messdatenzufrieden stellend beschreibt.

Die Ergebnisse der WMAP Daten, und vor allem deren Fehler, erfahren durch Kombi-nation mit anderen Messungen kaum eine signifikante Verbesserung. Dennoch sind sie alsunabhangige Bestatigung immens wichtig. Wenn wir das h2 ≈ (0, 73)2 einmal einsetzen,prasentiert sich der Materiehaushalt des Universums wie folgt:

Ω0 ≈ 1 (32)

ΩB ≈ 0, 04 (33)

ΩM ≈ 0, 24 (34)

ΩΛ ≈ 0, 76 (35)

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Abbildung 10: Kosmologische Parameter aus [ESO Press Release 15/04]

2.8 Materieformen

Wenden wir uns erneut den verschiedenen Komponenten unserer Grundgleichung zu. Bei derDiskussion der kosmischen Hintergrundstrahlung haben wir schon gesehen das:

Ωγ ∼ 10−5 (36)

Diese Große konnen wir also vernachlassigen. Ahnlich verhalt es sich fur die Neutrinos. Miteiner Kombination von WMAP, Strukturbildung und Supernova Daten ist es moglich, eineobere Grenze festzulegen (aus [5] Kapitel 23):

Ων < 0, 0072 (95% CL) (37)

Umgekehrt lasst sich daraus fur Neutrinomassen zwischen 0,0005 eV bis 1 MeV die Summeder Neutrinomassen der drei Familien abzuschatzen (aus [5] Kapitel 23):

Ων =

∑mν

93eV(38)

⇒∑

mν < 0, 68eV (39)

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Bisher konnte noch keine Neutrinomassen mit ausreichender Genauigkeit bestimmt werden,sondern nur obere Massengrenzen. Fur das Elektronneutrino liegt diese im Moment bei2,2eV, was also mit der Forderung der Kosmologie vertraglich ist

Abschließend schauen wir uns noch den Anteil der leuchtenden Materie an. Diesen erhaltman durch Messung der Gesamthelligkeit des Universums. Uber eine empirische Massen-Leuchtkraft-Beziehung lasst sich so die Masse bestimmen (aus [5] Kapitel 20):

ΩLum ≈ 0, 005 (40)

Offensichtlich ist ΩLum ΩB, also ist ein signifikanter Anteil der baryonischen Materienicht leuchtend. Die beste Erklarung, die man dafur heute hat ist Gas im intergalaktischenMedium (IGM).

2.9 Zusammenfassung

Fassen wir also die Erkenntnisse dieses Abschnitts zusammen. Wir haben gesehen, das etwa2/3 des Materiehaushalts des Universums bestimmt werden durch eine Dunkle Energie,wahrend das andere Drittel Materie zuzuschreiben ist. Der Materieanteil setzt sich zusammenaus 4% Baryonischer Materie und etwa 24% Dunkler Materie. Die 4% Baryonischer Materiekonnen wir weiter aufschlusseln zu etwa 0,5 % leuchtender Materie und einer weiteren,nicht sichtbaren Komponente, von der man vermutet, dass es sich um intergalaktisches Gashandelt. Diese nicht sichtbare Komponente konnte man als baryonische Dunkle Materiebezeichnen, allerdings ist das insofern irrefuhrend, als dass man schon weiß, woraus diesebesteht, man weiß nur nicht, wo sie sich befindet.

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3 Welche Kandidaten fur Dunkle Materie gibt es und wie sucht man danach? 19

3 Welche Kandidaten fur Dunkle Materie gibt es und wiesucht man danach?

Nachdem wir gesehen haben, dass es deutliche Evidenzen fur Dunkle Materie gibt, wollenwir uns nun den moglichen (Teilchen-)Kandidaten zuwenden und einen von ihnen im Detailnaher untersuchen.

3.1 Kandidaten

Wir hatten gesehen, dass baryonische Materie die Materiedichte im Universum nicht erklarenkann. Also brauchen wir fur den Rest nichtbaryonische Materie. Weiterhin hatten wir gese-hen, dass Neutrinos viel zu leicht sind. Daraus konnen wir sofort schließen, dass wir neueTeilchen brauchen. Diese Teilchen mussen vor allem zwei Voraussetzungen erfullen: erstensmussen sie stabil auf kosmologischen Zeitskalen sein, da sie ansonsten keinen signifikantenBeitrag zur heutigen Materiedichte liefern konnten und zweitens durfen sie nur gering mitelektromagnetischer Strahlung wechselwirken, da wir sie ansonsten schon gesehen habenmussten.

Es gibt zahlreiche Ideen fur diese Teilchen. Der vielleicht am besten motivierteste Kan-didat ist das WIMP, dem wir uns im nachsten Abschnitt noch zuwenden. Man hat unteranderem aber auch Axionen, hypothetische Teilchen die die fehlende CP-Verletzung der QCDerklaren, schwere Neutrinos einer vierten Familie und so genannte topologische Defekte, wiemagnetische Monopole oder kosmische Strings als Losung vorgeschlagen.

3.2 WIMPs

Beim Namen WIMP handelt es sich um die Abkurzung fur ”weakly interacting massiveparticle”. Aus der Kosmologie konnen wir schon einige Eigenschaften fur solche Teilchenableiten. Sie sollten:

1. eine Masse zwischen 10 GeV und einigen TeV,

2. einen Wirkungsquerschnitt vergleichbar mit dem der schwachen Wechselwirkung und

3. das thermische Gleichgewicht schon vor der normalen Materie verlassen haben (”freezeout”).

Erstaunlicher Weise gibt es einen naturlichen Kandidaten, der alle diese Eigenschaften erfullenwurden: das leichteste supersymmetrische Teilchen aus der SUSY Theorie. Sollte SUSY alsoeine zutreffende Beschreibung der Natur sein, ließe sich damit eine elegante Erklarung furDunkle Materie finden.

Nach solchen WIMPs lasst sich nach zwei konzeptionell verschiedenen Methoden suchen.Man hat zum einen die Moglichkeit direkt nach solchen Teilchen oder indirekt nach WIMPAnnihilierungsprodukten zu suchen. Beide Moglichkeiten wollen wir uns im Folgenden kurzanschauen.

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3.2.1 Direkt

Bei der direkten Suchen nach solchen Teilchen hat man zwei Moglichkeiten. Wenn es sie gibt,sollte es auch moglich sein sie an Beschleunigern zu erzeugen. Daher sind neue Beschleuni-gerexperimente fur die Suche nach Dunkler Materie sehr wichtig. Schon am LHC konnte einewichtige Entdeckung moglich sein.

Andererseits kann man auch die Wechselwirkung kosmischer WIMPs auf der Erde nach-weisen. Das wird dadurch erschwert, dass WIMPs eine sehr geringe Detektierungsrate haben.Sie liegt bei etwa 10−1 bis 10−5 Ereignissen pro Tag und pro kg Detektormaterial. Um si-gnifikante Raten in uberschaubaren Zeitraumen zu erhalten, braucht man also eine großeMenge Detektormaterial. Weitere Schwierigkeiten entstehen durch kosmische Strahlung unddie naturliche Radioaktivitat, da bei einem zu großem Rauschen das Signal untergeht. Da-her muss man solche Experimente in den Untergrund verlegen, die Radioaktivitat des um-liegenden Gesteins abschirmen und sehr reine Detektormaterialien, z.B. vom Meeresgrundgeborgen, einsetzen.

Durch die relativ hohe Masse der WIMPs stehen bei einer Kollision zwischen WIMP undDetektormaterial hohe Ruckstoßenergien von ca. 10 bis 100 keV zur Verfugung. Diese lasstsich uber Ionisation, Hitze oder Licht nachweisen. Obwohl es eine große Menge an Experi-menten gab und gibt, hat man bisher keine Signifikanz fur kosmische WIMPs festgestellt.

3.2.2 Indirekt

Falls sich WIMPs in Gammas oder Neutrinos annihilieren, musste es moglich sein die Ani-lierungsprodukte zu beobachten. Massive Objekte wie Sterne konnen durch ihre GravitationWIMPs einfangen. Die erhohte Konzentration hatte daher auch eine erhohte Annihilierungzur Folge. Solche Neutrinos von der Sonne mussten also detektierbar sein.

Bekanntermaßen sind Neutrinos aber schwer zu detektieren. Eine Methode besteht darin,optisches Cherenkov Licht in Wasser oder aber auch Eis nachzuweisen. Auch hier steigt dieDetektierungsrate mit der Menge an Detektormaterial, weswegen man Neutrino Teleskopein naturlichen Materialien, wie z.B. dem Baikal-See, gebaut hat.

Das bislang großte Neutrino Teleskop wird derzeit in der Antarktis nur unweit des Sudpolsgebaut und heißt demnach auch IceCube. Cherenkov Detektoren werden bis zu 2400 m indas ewige Eis herabgelassen. Der komplette Detektor soll 2011 fertig gestellt sein.

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4 Zusammenfassung 21

4 Zusammenfassung

Ich hoffe in diesem Vortrag folgende Punkte klar herausgestellt zu haben:

• Es gibt experimentelle und theoretische Hinweise auf Dunkle Materie.

• Wir wissen heute schon sehr viel uber Dunkle Materie. Durch verschiedene Methodenhaben wir unabhangige Hinweise auf die Menge und konnen sicher sein, dass es neueElementarteilchen geben muss.

• Durch das Standardmodell wird Dunkle Materie nicht erklart. Daher ist es mindestensunvollstandig...

• Uber Dunkle Energie wissen wir nur sehr wenig. Etwa 2/3 der Energiedichte des Uni-versums warten also noch auf eine Erklarung.

Es ist also auch am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht zu befurchten, dass diePhysik in naher Zukunft alles erklart kann. Es wird auch fur kommende Physikergenerationennoch interessante Aufgaben und Herausforderungen geben.

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Literatur 22

Literatur

[1] F. Zwicky, On the Masses of Nebulae and of Clusters of Nebulae, 10/1937,1937ApJ....86..217Z

[2] van Albada, Bahcall, Begeman, Sancisi, Distribution of dark matter in the spiralgalaxy NGC 3198, 08/1985, 1985ApJ...295..305V

[3] S.W. Allen, Resolving the discrepancy between X-ray and gravitational lensingmass measurements for clusters of galaxies, 2006, astroph/9710217

[4] Fixsen, Cheng, Gales, Mather, Shafer, Wright Measurement of the cosmic mi-crowave background spectrum by the COBE FIRAS instrument, 01/1994,1994ApJ...420..439M

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[6] A. Lasenby, What have we learned from CMB observations?, 2006, Rencontresde Moriond

[7] D. Fouchez, SNLS : Cosmological results from the first year dataset, 2006, Ren-contres de Moriond

[8] B. Serfass, Direct Detection of Dark Matter: Status and Perspectives, 2006,Rencontres de Moriond

[9] D.W. Sciama, Modern Cosmology and the Dark Matter Problem, 1993, CambrigeUniversity Press