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Ausarbeitung zum Seminarvortrag “Solare Neutrinos” Urs Eppelt Matr. Nr. 219338 7. Februar 2002 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Das Sonnen-Neutrino-Problem 2 3 Die Sonne 3 3.1 Physikalische Beschreibung aus [2] ................... 3 3.2 Proton-Proton-Zyklus aus [3] ...................... 5 3.3 Bethe-Weizs¨ acker-/CNO-Zyklus aus [1] ................. 7 3.4 Standard-Sonnen-Modelle ........................ 8 4 Experimente der Sonnen-Neutrino-Physik aus [1] 10 5 Spezielle Experimente 11 5.1 Homestake-/Chlor-Experiment aus [3] ................. 11 5.2 Kamiokande-Experiment aus [1] ..................... 14 5.3 Gallium-Experimente ........................... 15 6 osungsmodelle des Sonnen-Neutrino-Problems 20 6.1 Astrophysikalische Begr¨ undungen / Nicht-SSMs aus [1] ........ 20 6.2 Modell der Kosmionen aus [1] ...................... 21 6.3 Vakuum-Oszillationen aus [3] ...................... 21 6.4 MSW-Effekt aus [3] ............................ 23 6.5 Spin-Pr¨ azession aus [1] .......................... 28 6.6 ¨ Ubersicht ¨ uber die Erkl¨ arungsmodelle ................. 29 7 Neuere Experimente 30 7.1 Super-Kamiokande aus [6] ........................ 30 7.2 Sudbury-Neutrino-Observatory aus [8] ................. 32 7.3 Bisherige und geplante Experimente .................. 35 8 Literaturangabe 37 1

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Ausarbeitung zum Seminarvortrag

“Solare Neutrinos”

Urs EppeltMatr. Nr. 219338

7. Februar 2002

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Das Sonnen-Neutrino-Problem 2

3 Die Sonne 33.1 Physikalische Beschreibung aus [2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.2 Proton-Proton-Zyklus aus [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.3 Bethe-Weizsacker-/CNO-Zyklus aus [1] . . . . . . . . . . . . . . . . . 73.4 Standard-Sonnen-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

4 Experimente der Sonnen-Neutrino-Physik aus [1] 10

5 Spezielle Experimente 115.1 Homestake-/Chlor-Experiment aus [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . 115.2 Kamiokande-Experiment aus [1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145.3 Gallium-Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

6 Losungsmodelle des Sonnen-Neutrino-Problems 206.1 Astrophysikalische Begrundungen / Nicht-SSMs aus [1] . . . . . . . . 206.2 Modell der Kosmionen aus [1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216.3 Vakuum-Oszillationen aus [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216.4 MSW-Effekt aus [3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236.5 Spin-Prazession aus [1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286.6 Ubersicht uber die Erklarungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

7 Neuere Experimente 307.1 Super-Kamiokande aus [6] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307.2 Sudbury-Neutrino-Observatory aus [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . 327.3 Bisherige und geplante Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

8 Literaturangabe 37

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1 Einleitung

(*)Neutrinos have masswe’ve just found out.They’re not ghosts like we thought.

I see them as dragonflies.They must have airy insubstantial wings,they zip aboutchanging directionflashing bright metallic colours,green-blue, gold, purple,colours changing as they change state,intent on the universe.They all have huge eyes.

For them everything is mostly empty.Even the neutrino trap we made one summer daydown in the salt-mine,puts nuclei togetherlike trees in a broad meadow.We didn’t catch manywe saw their trail a momentthen off they darted,quicker than a wink.

They are hatched in the suns.They stream off in swarmsacross the endless open plains,about their own business,leaving us staring after,empty-handed,happy they exist,glad that we know at lastneutrinos have mass.

(*)Zitat nach [5]

Bei Neutrinos handelt es sich um sub-atomare Partikel, die sowohl in der Ele-mentarteilchenphysik als auch der Kosmologie bzw. -gonie immer großere Bedeutungerlangen. Dies hat vor allem damit zu tun, daß ihre Eigenschaften und ihr Verhal-ten noch nicht vollstandig geklart und die Aussagen des Standard-Modells ubersie außerst unzureichend zu sein scheinen. Neutrinos sind Spin-1/2-Teilchen undwechselwirken ausschließlich schwach. Da ihnen nach bisherigem Standard-Modelldie Masse Null zugeordnet wird, bewegen sie sich mit Lichtgeschwindigkeit. Bekanntsind drei sogenannte Flavors, das Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino, entsprechendden drei bekannten Leptonen Elektron, Myon und Tauon.Es gibt funf Quellen von Neutrinos, die derzeit naher untersucht werden. Zum einensind Neutrinos beim Urknall entstanden und entstehen auch noch bei Supernova-Explosionen. Man ist naturlich gewillt, diese Neutrinos nachzuweisen, alldieweil sieeinen Blick auf die Physik sehr nahe dem Urknall erlauben wurden. Mit den Pho-tonen der kosmischen Hintergrundstrahlung (CMB) kann man heutzutage bis auf300.000 Jahre nach dem Urknall ins Universum zuruckschauen. Da die Neutrinosaber wesentlich geringer wechselwirken als Photonen, haben sich jene schon etwa 1Sekunde nach dem Urknall von der Materie entkoppelt und konnten sich ungestortausbreiten. Man kann also mit diesen kosmologischen Neutrinos (1.Quelle) die Phy-sik bis auf eine Sekunde nach der Geburt des Universums testen.

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Naturlich steckt man bei der Detektion kosmischer Neutrinos (1.Quelle und Neu-trinos aus Supernova-Explosionen als 2.Quelle) noch in den Kinderschuhen, machtaber schon erste Schritte mit sogenannten Neutrinoteleskopen, wie dem AMANDA-oder ANTARES-Projekt in der Antarktis oder einem Teleskop im Baikal-See inRussland (fur nahere Informationen zu diesem Thema siehe [5]). Diese dienen fastauschließlich dem Zweck, Neutrinos aus kosmischen Quellen zu finden.Eine dritte Quelle von Neutrinos ist in der Atmosphare der Erde zu suchen. Hierzerfallen z.B. Pionen zu Myonen und Neutrinos, und auch diese Quelle ist Gegen-stand aktueller Forschung.Die vierte naturliche Neutrinoquelle stellt unser Zentralgestirn, die Sonne, dar. Inihrem Innern finden Fusionsprozesse (und daneben insbesondere schwache Zerfalle)statt, bei denen viele Neutrinos frei werden. Schließlich ist man in der Lage, auchkunstlich Neutrinos zu erzeugen, sei es mittels eines Reaktors oder mit Collider-Aufbauten.

2 Das Sonnen-Neutrino-Problem

Eines der interessantesten Probleme der heutigen Astroteilchenphysik hat mit denNeutrinos zu tun, die von der Sonne emittiert werden. Es ist die Suche nach den ver-schwundenen Neutrinos, denn man beobachtet zur Zeit mithilfe großer Detektorenweniger Neutrinos, als man aufgrund von Sonnen-Modellen erwarten wurde:

Abbildung 1: Skizze der Situation

In Abbildung 1 ist das Problem bildlich dargestellt: Neutrinos werden in derSonne bei thermonuklearen Prozessen erzeugt, wandern zur Erde und werden dortdetektiert (grosser Aufwand, grosse Detektoren notig, um Neutrinos einzufangen).Und hier ist auch das Grundproblem, das sog. Sonnenneutrinoproblem, zu sehen:

Die Sonne sendet einen Neutrinostrom von 100% laut sog. SSM (Standard-Sonnen-Modelle) aus, aber hier auf der Erde kommt laut Messung vieler Experi-mente nur ein Bruchteil davon an (grob 50%). Das Problem ist also die Diskrepanz

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zwischen Theorie und Experiment. In ahnlicher Weise wie bei einem Kommuni-kationsmodell (Sender-Kommunikationskanal- Empfanger) gibt es versch. Punkte,an denen man ansetzen konnte, um das Bild von der Welt noch zu retten, z.B.an der Sonne: Es konnte unser Verstandnis von der Sonne nicht ganz korrekt sein,z.B. konnte die Sonne kuhler als vermutet sein, konnte eine andere Zusammenset-zung im Innern haben oder neuartige, seltsame Teilchen eingefangen haben. EineBeschreibung der Sonne erfolgt in sogenannten Standard-Sonnen-Modellen (SSM).Diese konnten, mit anderen Eingangsvoraussetzungen, vollig andere Neutrinoflusseliefern. Es konnte auch etwas auf dem Weg zur Erde mit den Neutrinos geschehen,z.B. eine Umwandlung von einer Neutrinosorte in eine andere, nicht detektierbare(Neutrino-Oszillation), oder eine Umkehrung des Spins in den Magnetfeldern derSonne. Es bieten sich also zwei Grunde zur Losung des Sonnenneutrinoproblems an:eine falsche Beschreibung der Sonne oder neue Eigenschaften des Neutrinos.

3 Die Sonne

3.1 Physikalische Beschreibung aus [2]

Bei der Sonne handelt es sich um einen typischen Hauptreihen-Stern, d. h. einegroßen Gaskugel aus Wasserstoff H (X), Helium He (Y) und von Astrophysikernals Metalle bezeichneten Spuren hoherer Elemente Z.Verstandnis bzw. Vorstellun-gen uber die Sonne gewinnt man uber sogenannte Sonnenmodelle, die die Sonneerschopfend beschreiben, sobald man ihre genaue Zusammensetzung aus X,Y undZ kennt. Nach dem Eindeutigkeitssatz der stellaren Mechanik (Russel-Theorem) istdie Fortentwicklung eines Sterns aufgrund der Anteile an Wasserstoff, Helium undschwereren Elementen festgelegt (Determinismus der Sternentwicklung). Es sinddies vier Prinzipien, die diesen Determinismus beschreiben:

� Hydrostatisches Gleichgewicht: An jedem Ort halt der Druckgradient der Gra-vitationskraft die Waage.

dP (r)dr

= −GM(r)ρ(r)r2

mit M(r) =∫ r

0

4πr′2ρ(r′)dr′

� Strahlungsdominanter Energietransport: Im Sterninnern ist der Energietrans-port strahlungsdominiert (Nur in den außeren Zonen, in denen keine Ener-gieumwandlung stattfindet, spielt Konvektion eine Rolle.).

L(r) = −4πr2

(4σ3

)1κρ

dT 4

dr

mit

κ : Opazitat (Absorptionsvermogen fur Photonen)

L : Den Strahlungsstrom eines Sterns, also die Energie pro Zeit undFlache bezeichnet man als Leuchtkraft oder Luminositat L.

σ : Stefan-Boltzmann-Konstante

� Thermisches Gleichgewicht: Bilanzgleichung der Energieumwandlung und derAbstrahlungsleistung

dL(r)dr

= ρ(4πr2)(εnuc − T

dS

dt

)Die Energieproduktion εnuc wird entweder in Leuchtkraft dL oder in Entropie-Erhohung dS umgesetzt.

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� Homogene Akkretion: Es wird unterstellt, daß die heute in der Photospharezu findende Sternzusammensetzung der zum Entstehungszeitpunkt der Sonnevor etwa 4, 6 · 106a entspricht.

Die drei Differentialgleichungen bilden ein simultanes nicht-lineares Differential-gleichungssystem 1. Ordnung fur die drei wichtigsten Funktionen wie Druck, Tem-peratur und Luminositat in Abhangigkeit von r. Dementsprechend sind 3 Randbe-dingungen notig, und diese sind:

� Strahlungsstrom bei r = 0 verschwindet: L(r=0) = 0

� Druck verschwindet auf dem Rand: p(r=R) = 0

� Temperatur auf dem Rand nimmt einen ganz bestimmten Wert an:

T (r=R) = T0

Damit ist ein typisches Randwertproblem konstatiert, das sich nach Vogt-Russel-Theorem eindeutig losen laßt. Notwendig fur die Erstellung eines geeigneten Sonnen-modells sind außerdem noch bestimmte Eingabeparameter, wie z. B. die gemesseneGesamt-Luminositat, nukleare Parameter wie z.B. die Energieproduktion ε pro kgund Zeit, die Masse und der Radius, das Alter der Sonne (da man in so einemModell eine Evolution durchlaufen laßt; d.h. man startet mit der Sonne zum Zeit-punkt ihrer Entstehung, nimmt eine homogene Zusammensetzung an und laßt siesich dann 5 Milliarden Jahre entwickeln und kommt damit zu einem aktuellen Son-nenmodell. Daher muß man also das Alter der Sonne kennen), die Oberflachentem-peratur (siehe Randbed.), die Zusammensetzung zum Entstehungszeitpunkt (dazunimmt man an, daß auf der Oberflache die Temperatur fur nukleare Reaktionenzu gering ist, so daß sich hier die Anfangszusammensetzung erhalten hat) und dieOpazitat(Absorptionsvermogen fur Photonen). Drei dieser genannten Parameterbezeichnen sog. Materialfunktionen, die man in ihrer Abhangigkeit vom Druck, derTemperatur und der Zusammensetzung kennen muß:

Die Dichte ist relativ einfach aus der Zustandsgleichung zu erhalten, die Opazitaterhalt man als Absorptionskoeffizienten fur Photonen aus dem Wirkungsquerschnit-ten von Photoeffekt, Compton-, Rayleigh- und Thomson-Streuung, und die Ener-gieproduktion pro kg und Zeit kann man durch ein Potenzgesetz in Abhangigkeitvon der Temperatur darstellen.

Die Sonne gewinnt ihre Energie aus der Fusion von Wasserstoff zu Helium. Essind vornehmlich 2-Korper-Reaktionen T1 +T2 → T3 +T4, die zu dieser Verschmel-zung fuhren. Damit ergibt sich folgende Reaktionsrate (aus [1]):

R =n1 · n2

1 + δ12< σv >12

(Sind die Teilchen 1 und 2 identisch, muß eine Doppelzahlung vermieden werden;daher der Faktor 1

1+δ12, wobei δ12 ein Kronecker-Delta darstellt.) Damit die Sonne

nicht sofort explodiert, darf die mittlere kinetische Energie der Edukte aber nichtausreichen, um die elektro- magnetische Potential- barriere zu durchbrechen. Statt-dessen besteht eine gewisse quanten- mechanische Tunnel- wahrscheinlichkeit bzw.ein daraus resultierender Wirkungs- querschnitt σ, der zuerst von Gamow berech-net wurde. Spaltet man zu dem Gamowschen Eindringfaktor noch die De-Broglie-Wellenlangenabhangigkeit ab, so bleibt ein Faktor S(E) ubrig, der letztendlich imExperiment bestimmt wird:

σ =S(E)√E· e−2πη mit η =

Z1Z2e2

hv

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Die Geschwindigkeitsverteilung ergibt sich aus der Boltzmann- Verteilungv(E) ∼ e E

kT , da die Teilchen nicht fermi- dirac- entartet sind (sonst andere Zustands-gleichung). Durch Multiplikation zeigt sich dann ein sogenannter Gamow-Peak beider fur eine Fusion gunstigsten Energie (siehe Abbildung 2.).

Abbildung 2: spektrale Wahrscheinlichkeitsverteilung (aus [1])

Fur die Sonne liegt diese gunstigste Energie etwa bei 6 keV; das entspricht einerTemperatur von 10 Millionen Grad Kelvin.Da die Temperaturabhangigkeit der Produktionsrate der beschriebenen 2-Korper-Reaktionen aber sehr schwierig zu beschreiben ist - S(E) ist bei vielen Reaktionnicht einmal analytisch zu beschreiben, sondern nur mittels Experiment bestimmbar- , begnugt man sich mit einem Potenzgesetz(siehe [3]):

R ∼ Tn

Hierbei nimmt n fur die verschiedenen Reaktionen unterschiedliche Werte (wobei nnicht aus den naturlichen Zahlen stammen muß) an. Somit ergeben sich damit auchfur die Produktion der versch. Neutrinosorten ganz verschiedene Abhangigkeitenvon der Temperatur.

Die Fusion von Wasserstoff zu Helium kann in zwei Mechanismen stattfinden,zum einen im sog. Proton-Proton-Zyklus, dem wichtigsten Reaktionsmechanismusfur die Sonne, und dem CNO- oder Bethe-Weizsacker-Zyklus. In der Bilanzgleichungsieht die Umwandlung von Wasserstoff zu Helium dann folgendermaßen aus:

4p→ 4He+ 2e+ + 2νe + 26, 73MeV

Vier Protonen verschmelzen zu 4He, zwei Positronen und zwei Neutrinos plus einerkinet. Energie von 26 MeV ( die zwei Positronen annihilieren naturlich mit den enmass vorhandenen Elektronen zu zwei Photonen). 2% der kinet. Energie ubertragensich dabei auf die zwei Neutrinos, das sind etwa 535 keV mittlerer Energie fur diezwei frei werdenen Neutrinos. Naturlich handelt es sich hierbei nur um eine Bilanz-gleichung. Tatsachlich gliedert sich der Reaktionsmechanismus in Subprozesse. Imubrigen sieht die Bilanzgleichung fur den CNO-Zyklus ganz genau so aus.

3.2 Proton-Proton-Zyklus aus [3]

Wir wollen uns nun mit den zwei wichtigsten Prozeßketten der Fusionsreaktionen inder Sonne beschaftigen, zuerst mit dem Proton-Proton-Zyklus. Betrachtet man denProton-Proton-Zyklus genauer, so kann man sich die einzelnen 2-Korper-Reaktionenund Zerfalle ansehen:

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Abbildung 3: Der Proton-Proton-Zyklus (aus [7])

Da zu Anfang der Reaktionskette nur Protonen vorliegen, ist es selbstverstand-lich, daß zuerst zwei Protonen zu Deuterium reagieren. Dabei wird ein Positron undein Neutrino frei. Man kann sich den Prozeß auch so denken, daß ein Proton in derNahe eines anderen β+-zerfallt und diese dann das gebundene System Deuteriumbilden.

p+ p→ 2H + e+ + νe (Eν ≤ 0, 42MeV, 99%)

Diese Reaktion produziert das Gros der von der Sonne kommenden Neutrinos, dieallerdings schwer detektierbar sind, da sie nur eine Energie von maximal 0,42 MeVbesitzen. Nur Experimente, die als Detektormaterial Gallium nutzen, sind bisherin der Lage, solche Neutrinos nachzuweisen. Eine Alternativreaktion, um den pp-Zyklus zu initiieren, ware die sog. pep-Reaktion:

p+ e− + p→ 2H + νe (E = 1, 44MeV, 1%)

Hier trifft ein Proton auf ein anderes Proton, das gerade dabei ist, ein Elektroneinzufangen. Sie reagieren ebenfalls zu Deuterium und einem Neutrino. Diese 3-Korper-Reaktion ist sehr viel unwahrscheinlicher als die zuerst beschriebene, hataber eine um zwei Elektronenmassen hohere Energie zur Folge. Wahrend die 2-Proton-Reaktion zu mehr als 99% stattfindet, betragt die Wahrscheinlichkeit furdiesen Weg nur 0,4%, also 1 von 250 Reaktionen. Im nachsten Schritt wird Deute-rium sofort zu 3He in einer (p, γ)-Reaktion verbrannt. Dieser Schritt ist eindeutig,und hier werden keine Neutrinos frei:

2H + p→ 3He+ γ + 5, 49MeV

Nun kommt es zu einer komplizierten Aufspaltung der Reaktionskette. Es ist sowohlmoglich, daß zwei 3He-Kerne zu einem Alpha-Teilchen verschmelzen (Terminationmit 85%), oder daß 3He mit 4He reagiert zu 7Be und γ ( 16%) oder daß 3He undProton zu Alpha, e+ und Neutrino werden. Dieser letzte Weg wird nur in 0,02%aller Falle beschritten, besitzt aber die hochste im pp-Zyklus vorkommende Energievon 16 MeV, so daß auch diese hep-Neutrinos detektiert werden.

(ppI) : 3He+ 3He→ 4He+ 2p+ 12, 86MeV (86%)(hep) : 3He+ p→ 4He+ e+ + νe + 18, 77MeV (<< 1%)

(ppII & ppIII) : 3He+ 4He→ 7Be+ γ + 1, 59MeV (14%)

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Die fur die Experimente wichtigsten Neutrinos kommen allerdings aus dem Teil,der nach der Erzeugung von 7Be beschritten wird. Auch hier teilt sich noch einmal(zum letzten Mal) der Reaktionsweg. 7Be kann durch Elektron-Capture zu 7Li wer-den und ein Neutrino ausstrahlen. Das Lithium reagiert dann weiter zu 4He. Hierkonnen zwei monoenergetische Neutrinos entstehen, da es entweder in den angereg-ten oder Grund-Zustand von 7Li gehen kann. Dieser Weg uber 7Li wird zu 99%beschritten, hat aber fur das Experiment wenig Bedeutung. Fast alle Experimentemessen vor allem den sog. 8B-Fluß. Hier reagiert das 7Be uber 8B zu 4He, und eswird das sog. 8B-Neutrino frei , das mit einer maximalen Energie von 15 MeV vonallen Experimenten nachgewiesen werden kann.

(ppII) 7Be+ e− → 7Li(∗) + νe (Eν = 0, 862MeV, Eν = 0, 384MeV )7Li+ p → 2 4He+ 17, 35MeV

(ppIII) 7Be+ p → 8B + γ + 0, 14MeV8B → 8Be∗ + e+ + νe (Eν = 14, 06MeV )

8B∗ → 2 4He

Abbildung 4: Reaktionen des pp-Zyklus (aus [7])

3.3 Bethe-Weizsacker-/CNO-Zyklus aus [1]

Der zweite Reaktionsmechanismus ist der sog. CNO-Zyklus oder Bethe-Weizsacker-Zyklus. Hier spielen auch hohere Elemente eine Rolle. Daher ist dieser Reaktionswegnur bei alteren Sternen relevant (in der Sonne nur 1,6% Anteil an der Energieer-zeugung):

12C + p → 13N + γ13N → 13C + e+ + νe

13C + p → 14N + γ14N + p → 15O + γ

15O → 15N + e+ + νe15N + p → 12C +4 He

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Hier dient Kohlenstoff(C) quasi als Katalysator zur Bildung von 4He. Es existiertauch noch ein Nebenzyklus uber 17F , bei dem auch ein Neutrino, das sogenannteFluor-Neutrino frei wird.

3.4 Standard-Sonnen-Modelle

Aus der Kenntnis der obigen Tatsachen laßt sich ein sog. Standard-Sonnen-Modell(SSM) erstellen, das Vorhersagen uber den zu erwartenden Neutrinofluß macht. Hierhaben wir also den Bogen wieder zu den Neutrinos gespannt. Der Name SSM laßteine Art von Universalitat vermuten, dem ist aber beileibe nicht so. Von der Sor-te der Standard-Sonnen-Modelle existieren einige, z.B. nach Bahcall-Pinsonneault,Dar-Shaviv etc., die je nach Eingangsvoraussetzungen verschiedene Neutrinoflussevorhersagen.

Beispielsweise erhalt man aus dem SSM eine raumliche Verteilung der Pro-duktion der verschiedenen Neutrinosorten. Im Diagramm 5 erkennt man also diebesprochenen Sorten wieder, 8B-Neutrinos,7Be-Neutrinos oder die pp-Neutrinos.Zusatzlich ist hier die Luminositat in willkurlichen Einheiten aufgetragen, und manerkennt leicht, daß offensichtlich der pp-Fluß stark mit der Luminositat korreliertsein muß.

Abbildung 5: Raumliche Verteilung der Produktion der versch. Neutrinosorten (aus[1])

Das SSM macht aber naturlich auch quantitative Aussagen uber die auf derErde zu erwartenden und in den Experimenten zu beobachtenden Neutrinoflusse.

Um den auf der Erde zu erwartenden Neutrinofluß abschatzen zu konnen, ver-gleichen wir diesen mit dem bekannten Fluß der Photonen auf die Erde. Dieser istja, wie gesehen, eng mit dem pp-Fluß korreliert. Nach der Bilanzgleichung reagieren2 Elektronen und 4 Protonen zu 4He, 2 Neutrinos und einer Energie von 26,73 MeV.Dieser Energiebetrag laßt sich leicht durch den Q-Wert der Reaktion ausrechnen,indem man die Massen der Produkte von den Massen der Edukte abzieht. Da ca. 2%davon auf die Neutrinos entfallen, bleiben also 26,14MeV fur die Photonen ubrig.Dieser Energie entsprechen aber 2 Neutrinos, also entspricht einem Neutrino einePhoton-Energie von grob 13 MeV. Der Fluß der Photonen auf die Erde ist durchdie sog. Solarkonstante S = 8, 5 ·1011MeV cm−2s−1 bekannt. Daraus kann man denNeutrinofluß zu einer Großenordnung von 6 ·1010cm−2s−1 abschatzen. Dies stimmterstaunlich gut mit den Vorhersagen der Theoretiker mit ihren SSM uberein.

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Hier einmal eine Aufstellung der vorhergesagten Flusse:

Abbildung 6: Vorhersage versch. Standard-Sonnen-Modelle (aus [1])

Deutlich zu sehen ist, daß die pp-Neutrinos zu den großten (um Großenordnun-gen) Flussen fuhren. Ebenfalls ins Auge fallt, daß es große Unterschiede bei denverschiedenen Modellen gibt, wie z. B. besonders deutlich fur den 8B-Fluß zu se-hen. Die Modellen versorgen uns auch mit einer spektralen Information uber dieentsandten Neutrinos (siehe Abbildung 7.).

Abbildung 7: Energiespektrum der versch. Neutrinosorten (aus [7])

Die meisten Neutrinos werden nicht bei einer festen Energie ausgesandt, son-dern haben ein kontinuierliches Spektrum bis zu einer Maximalenergie. Zusatzlichsind aber in Abbildung 7 auch die monoenergetischen Neutrinos eingetragen, wiedas pep- oder die 7Be-Neutrinos. Man sieht, daß die Energieverteilung der 8B- undhep-Neutrinos bis an die 15-MeV-Schwelle reicht, die pp-Neutrinos aber eher imunteren Energiebereich angesiedelt sind. Im oberen Bereich des Diagramms sinddemgegenuber die Energiebereiche versch. Experimente skizziert bzw. deren Ener-

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gieschwellen. Die meisten Experimente haben hohe Energieschwellen, so daß die-se nur imstande sind, die 8B-Neutrinos zu messen. Am schlechtesten in der Hin-sicht sind die Streu-Experimente mit sehr hohen Schwellenenergien, am besten dieGallium-Experiment mit sehr niedrigen Schwellenenergien. Mit neueren Detektorenauf der Basis anderer Detektormaterialien oder anderer Nachweisreaktionen erhofftman sich eine Senkung der Schwellenenergien (z.B. Indium-Detektor siehe [5]).

4 Experimente der Sonnen-Neutrino-Physik aus [1]

Im Prinzip gibt es zwei Typen von Experimenten, Radiochemische und Echtzeit-Experimente. Das Prinzip der Radiochem. Experimente beruht auf dieser Reakti-onsgleichung:

ANZ + νe →A−1

N (Z − 1) + e−

Ein Kern der Ordnungszahl Z geht durch Neutrino-Einfang uber in einen Kern derOrdnung Z-1 und ein Elektron. Das entstandene Element mit der OrdnungszahlZ-1 wird aus dem Detektormaterial extrahiert und in einem Proportionalzahlrohrdessen Zerfall gemessen. Wesentlich hierbei ist, daß nur Elektron-Neutrinos nach-gewiesen werden konnen. Die Reaktionsrate ist bei diesen, wie bei allen anderenExperimenten, als das Produkt aus der Anzahl an Atomen des Nachweismaterials,dem Wirkungsquerschnitt der Einfangreaktion und dem Neutrinofluß gegeben:

R = N ·∫

Φ(E)σ(E)dE

Da die letzten beiden Grossen von der Energie abhangen, muß uber diese inte-griert werden. Die typischen Dimensionen soll eine kleine Rechnung verdeutlichen:Bei einem Fluß von 1010cm−2s−1. und einem typischen Wirkungsquerschnitt von10−45cm−2 sind schon 1030 Atome vonnoten, um eine Ereignisrate von 1 Ereig-nis pro Tag zu bekommen (zum Vergleich: heute sind Ereignisratenvon 10 pro Tagublich). Ubersetzt in Massen, wenn man z. B. ein Element mit geringer Masse wieChlor einsetzt, dann kommt man schon in den Tonnen-Bereich an Detektorma-terial. Somit ist schon die Grosse der Detektoren daraus abzusehen. Bei diesemDetektionsprinzip verliert man naturlich jegliche Information uber die Einfallszeit,Richtung oder Energie der Neutrinos, da es sich ja nur uber eine Mittelung uberden Expositionszeitraum handelt. Dies ist bei dem anderen Typ von Experimenten,den Echtzeit-Experimenten, nicht der Fall. Da die Ereignisraten, wie gesehen, sogering sind, hat man sich der Einfachheit halber zur Definition einer neuen Einheitentschlossen, dem SNU, dem Produkt aus Neutrinofluß und Einfangquerschnitt. Esist auf ein Targetatom bezogen und hat die Einheit 1/s. 1 SNU entsprechen 10−36

Einfange pro Atom und pro Sek.Der andere Typus von Experimenten ist, wie schon gesagt, das Echtzeit- oder

Realtime-Experiment. Dieses benutzt die Elektron-Neutrino-Streuung zum Nach-weis. Das Elektron erhalt durch den Stoß mit dem Neutrino Energie und durch dieBewegung des Elektrons wird Cerenkov-Licht abgestrahlt. Dieses kann mittels Pho-tomultiplier (PMTs - PhotoMultiplierTubes) nachgewiesen werden. Der Vorgang istin Abbildung 8 skizziert.

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Abbildung 8: Cerenkov-Strahlung des Elektrons (aus [8])

Im ubrigen hangt der Offnungswinkel, wie beim Machschen Kegel, vom Bre-chungsindex und der Geschwindigkeit der Elektronen ab. In Wasser sind dieseOffnungswinkel also kleiner als 45°. Vorteil dieser Maschinen ist, daß Informati-on uber Einfallszeit, Energie und Richtung erhalten bleiben. Damit ist ein Testmoglich, ob die registrierten Neutrinos von der Sonne kommen, eben durch ih-re Richtungsabhangigkeit. Da es sich um ein Echtzeit-Experiment handelt, lassensich zeitabhangige Phanomene betrachten, und man hat damit eine direkte Kor-relation zwischen zeitabhangigen Parametern und dem festgestellten Neutrinofluß.Die Elektron-Neutrino-Streuung ist Flavor-blind, d.h. alle Flavors sind detektier-bar. Nur unterscheiden kann man sie nicht, und die Sensitivitat ist fur Myon- undTau-Neutrinos deutlich herabgesetzt. Vom Ruckstoßelektron bekommt man auchInformationen uber die Energieverteilung der Neutrinos und es ist eine bessere Un-tergrundreduktion auf elektronischem Wege moglich.

5 Spezielle Experimente

5.1 Homestake-/Chlor-Experiment aus [3]

Das allererste Experiment, das den solaren Neutrinofluß messen sollte, war 1968das Homestake- oder auch Chlor-Experiment. Dieses wurde damals von Ray Davis,einem der fuhrenden Experimentatoren des Brookhaven National Laboratory aufdem Gebiet, initiiert und geleitet. Die Nachweisreaktion beruhte auf dem Neutrino-

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Abbildung 9: Das Chlor-Experiment (aus [10])

einfang durch 37Cl, aus dem dadurch 37Ar wird.

37Cl + νe →37 Ar + e−

Das Chlor befindet sich in einem zylindrischen Tank in einer Kavitat einer Goldmineund wird eine Zeit in der Großenordnung von Monaten den Neutrinos ausgesetzt.Dann wird das Argon extrahiert und nachgewiesen. Die Schwellenenergie der Ein-fangreaktion liegt bei 814 keV, damit sind also keine pp-Neutrinos sondern nur8B-Neutrinos nachweisbar. Ein Wort zu den Ergebnissen: Es wurde ein Neutrino-fluß von etwa 8 SNU fur diese Apparatur vorhergesagt, es ließ sich uber die Jahreaber nur ein Fluß von 2,5 SNU nachweisen.

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Abbildung 10: Ergebnisse des Chlor-Exp. (aus [10])

Damit hat sich zum ersten Mal das Sonnenneutrinoproblem manifestiert. Einwenig zum Prozedere:

Abbildung 11: Aufbau der Chlor-Exp. (aus [10])

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Im Tank befinden sich 615t Perchlorethen (C2Cl4), was relativ leicht zu bekommenund billig ist, da es ein Bestandteil vieler Reinigungsmittel und Waschmittel ist.Aufgrund der naturlichen Haufigkeit von 37Cl ergibt das eine Anzahl von 2 · 1030

Atomen im Tank. Daraus laßt sich dann die Sensitivitat der Apparatur abschatzen:Wurde ein Ar-Atom pro Tag im Detektor erzeugt werden, entsprache das schoneinem Fluß von 5 SNU. Das entstehende Argon muß nun extrahiert werden. Dasgeschieht dadurch, daß man Helium uber ein System von Eduktoren und Dusen inden Tank einblast. Das Argon lost sich darin und wird abgepumpt, gelangt durcheinen Kondensor, in dem Reste von Perchlorethen abgetrennt werden, uber atoma-re Siebe in eine Holzkohlen-Falle, wo es absorbiert wird. Aus der Holzkohle wirdes durch Erhitzen ausgetrieben und dann in miniaturisierte Proportionalzahlrohregefullt, wo der Zerfall des Argons wieder zu 37Cl beobachtet wird. Damit der Un-tergrund dieses Zerfalls dann noch reduziert wird, sind diese Zahlrohre naturlichabgeschirmt, aber es werden zusatzlich die Energie und Pulsform dieser Zerfallekontrolliert.

5.2 Kamiokande-Experiment aus [1]

Abbildung 12: Inneres des Kamiokande-Experimentes (aus [6])

In der chronologisch richtigen Reihenfolge hat dann erst in den 80ern das nachsteExperiment stattgefunden, in Japan und ebenfalls in einer alten Mine, das sog.Kamiokande-Experiment (Kamioka-nucleon-decay-Experiment). Es handelt sich da-bei um ein Echtzeit-Experiment, also Neutrino-Elektron-Streuung mit 3000t Wasserals Detektormaterial, davon aber nur 680t tatsachlich zum Nachweis. Die Nachweis-gerate sind 948 Photomultiplier-Rohren, die rund um den Detektor angeordnet sindund 20% der Oberflache uberdecken. Um zu zeigen, daß Untergrundreduktion dochein wesentliches Thema bei solchen Detektoren ist, hier einmal die Historie der Trig-gerraten (Maß fur die Ereignisrate): Ohne weiteres hatte man eine Triggerrate von1000Hz, die vornehmlich durch die radioaktiven Isotope 222Ra (Radon222) und 238U(Uran238) verursacht wurde. Als man das Wasser im Detektor zirkulieren ließ, gingdie Rate schon auf 0,6Hz zuruck, und durch ein Veto gegen Myonereignisse gelangtman mit 0,23Hz schon in den tatsachlich zu erwartenden Bereich fur die Ereignis-rate. Die Schwellenenergie bei solchen Experimenten liegt immer relativ hoch, hier

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fur Kamiokande bei 7,5 MeV. Damit sind tatsachlich nur die hochenergetischen 8B-Neutrinos zu messen. Wie schon gesagt, hat man bei den Streuexperimenten durchdie enge Winkelverteilung der Elektronen immer die Einfallsrichtung der Neutrinosgegeben. Damit laßt sich also konsistent belegen, daß die Neutrinos von der Sonnekommen . Zum anderen ließ sich damit zweifelsfrei beweisen, daß die Sonne ihreEnergie durch Fusion von Wasserstoff zu Helium bezieht,was damals erst vor 60Jahren zum ersten Mal behauptet worden war. Der Detektor erbrachte als Ergebnisfur den Neutrinofluß einen Wert von 2, 89 · 106 cm−2s−1 und liegt damit in einemVerhaltnis von etwa 1:2 zum theoretisch zu erwartenden Wert.

5.3 Gallium-Experimente

In den 90er Jahren kamen dann die Gallium-Experimente zu dem Reigen hinzu, alsosolche radiochem. Experimente, die Gallium als Detektionsmaterial nutzen. Derergab es zwei, das Galliumexperiment (GALLEX) und das Soviet-American-Gallium-Experiment (SAGE), beide etwa zu Beginn der 90er. Die Nachweisreaktion ist derUbergang von Gallium in Germanium durch Neutrinoeinfang:

71Ga+ νe →71 Ge+ e−

Die Schwellenenergie liegt hierbei außerst niedrig bei 244 keV. Damit ist es erst-mals moglich gewesen, den Fluß an pp-Neutrinos experimentell zu bestimmen. DieExtraktion ist bei beiden Experimenten verschieden, fußt aber darauf, daß man ausdem entstandenen Germanium Germaniumhydrid (GeH4) produziert, was ahnli-che Eigenschaften besitzt wie Methan (CH4), ein verbreitetes Zahlgas. Man mischtdieses Germaniumhydrid also mit Xenon (als Zahlgas!) und fullt es in Proportio-nalzahlrohre, in denen man wiederum den Zerfall des Germaniums zuruck in Galli-um beobachten kann.

Abbildung 13: miniaturisiertes Zahlrohr mit dem eigentlichen Zahlrohrvolumen, denelektrischen Anschlussen und dem Gaseinlaß (aus [4])

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Abbildung 14: Photo eines Zahlrohres (aus [4])

Bei SAGE befindet sich das Gallium in metallischer Form in 10 sogenanntenReaktoren, etwa mannsgroß, und bei GALLEX in der Verbindung Galliumchloridin einem großen Tank.

Abbildung 15: GALLEX (aus [4])

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Abbildung 16: Skizze des Gallex-Detektors (aus [4])

Abbildung 17: SAGE (aus [9])

Durch Vergleich der Großenordnung der beiden Detektoren (in Abb.15 undAbb.17) laßt sich dann schon vermuten, daß SAGE eine großere Sensitivitat be-sitzt als GALLEX.

Besonders erwahnenswert bei GALLEX ist, daß diese Kollaboration eine Eich-quelle (siehe Abb.?) besitzt, mit einer maximalen Aktivitat von 2 MCi (1 Curie ent-spricht der Aktivitat eines Gramms Radiums). Mit dieser Eichquelle kann man einen

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Abbildung 18: Gallex-Eichquelle (aus [4])

Funktionsbeweis und eine Kalibration der Anlage antreten. Damit ist also gezeigtworden, daß die Apparatur die von der Quelle ausgesandten Neutrinos zweifelsfreierkennt.

Zu den Ergebnissen: Die ersten Ergebnisse waren noch nicht sehr vertrauens-erweckend, aber nach einem halben Jahrzehnt Messung haben sich die Ergebnisseetwa bei einem Wert von 69±6, 7 SNU fur SAGE und 69, 7±10, 0 SNU fur GALLEXeingependelt, was schon etwas mehr als der Halfte des Theorie-Wertes entspricht.GALLEX hat seit 1997 eine Fortfuhrung erfahren; es grundete sich das Gallium-Neutrino-Observatory, das den Detektor zum Monitoring fortbetreibt.

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Abbildung 19: Shielding des GALLEX-Exp. (aus [4])

Abbildung 20: Ergebnisse des GALLEX-Exp. (aus [4])

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Abbildung 21: Ergebnisse des SAGE-Exp. (aus [9])

6 Losungsmodelle des Sonnen-Neutrino-Problems

Nachdem man eine echte Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment akzeptierthat, bieten sich eine astrophysikalische Begrundung oder das Postulieren neuer Neu-trinoeigenschaften an.

6.1 Astrophysikalische Begrundungen / Nicht-SSMs aus [1]

Die astrophysikalischen Begrundungen fußen großtenteils auf einer Temperatursen-kung in der Sonne, implizieren also keine neue Physik sondern nur eine Modifikati-on der Eingabeparameter. Da die meisten Experimente nur den 8B-Strom messenkonnen, der in hohem Grad von der Temperatur abhangt (∼ T 18), der pp-Neutrino-Fluß aber proportional zu T−1,2, kann man mit einer Senkung der Kerntemperaturum 5% eine Losung erzwingen, aber man kommt dann in Widerspruche mit demGebiet der Helioseismologie, die ebenfalls Vorhersagen uber die Sonnentemperaturmacht (kurze Erklarung siehe weiter unten!). Andere Nicht-SSMs nehmen eine an-dere Zusammensetzung der Sonne an. Da der Temperaturgradient der Sonne, wiein den Grundgleichungen gesehen, direkt proportional zur Opazitat ist, muß manalso die Opazitat senken und hatte dadurch dann auch die Kerntemperatur gesenkt.Woher kommt aber die geringe Opazitat ? Zum großen Teil wird die Opazitat vonden Metallen (Z) in der Zusammensetzung bestimmt. Man kann also entweder an-nehmen, daß a priori weniger Metalle vorhanden sind oder daß sich solche, wie z.B. Eisen, niedergeschlagen haben. Andere Theoretiker haben eine schnelle Rotationdes Sonneninnern angenommen. Deren Zentrifugalkraft konnte einen Teil der Gra-vitation kompensieren, man brauchte dadurch weniger Strahlungsdruck und damitgeringere Kerntemperaturen. Viele andere Modelle wurden vorgeschlagen, so z. B.das Modell des ausgebrannten Kerns, Mischungsmodell, starkes Magnetfeld (da-durch magnetischer Druck), zentrales schwarzes Loch, He3-Instabilitat,.....

Es zeigt sich aber recht bald, daß alle diese Modelle den verringerten Neutri-nofluß nur unvollstandig erklaren konnen und keine wahrscheinliche Losung desSonnenneutrinoproblems darstellen.

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6.2 Modell der Kosmionen aus [1]

Als Ei des Kolumbus erscheint zunachst die Erklarung durch sog. Kosmionen, einerspeziellen Sorte von WIMPs, Weakly Interacting Massive Particles (Es muß dazugesagt werden, daß diese Teilchen noch hypothetisch sind.), die zugleich noch dasProblem der dunklen Materie losen kann. Existieren solche Teilchen in ausreichen-der Zahl im Universum, so konnten sie sich durch Akkretion in Sternen konzentrierthaben. Die Sonne fangt diese Teilchen dann durch Streuung mit einem Nukleon ein,bei der es genug Energie verliert, daß es unter der Fluchtgeschwindigkeit bleibt. Umeine Aussage uber die zu erwartende Dichte in der Sonne zu machen, sind Annah-men uber Dichte(-Verteilung) im All und den Wirkungsquerschnitt notwendig. LautRechnung soll es moglich sein, daß die Sonne im Laufe der Jahrmilliarden etwa 1Kosmion pro 1012 Nukleonen eingefangen haben kann. Dies stellt seltsamerweise ex-akt die Konzentration dar, welche zur Losung des Sonnenneutrinoproblems benotigtwird.Die Kosmionen wirken nicht direkt auf das hydrostat. Gleichgewicht sondernindirekt uber die Modifikation des Dichte-,Temperatur- und Druck-Profils der Son-ne, denn die Luminositat teilt sich nun auf Photonen und Wimps auf, d.h. es istein zusatzlicher Energietransport nach außen vorhanden. Da die WIMPs noch hy-pothetisch sind, kann man entsprechende Eigenschaften fordern, die zur Losung desSonnenneutrinoproblems dienlich sind, dies waren die radiale Ausdehnung, Massen-grenzen und der Wirkungsquerschnitt. Als Gegenbeweise fur die Kosmionenhypo-these fuhrt man die Tatsache an, daß solche Teilchen hatten mit Siliziumdetektorennachgewiesen werden mussen, was nicht der Fall ist, und die sog. Helioseismolo-gie: Die Sonne kann als 3dimensionaler Oszillator aufgefasst werden, dessen Eigen-schwingungen mit den Quantenzahlen n,l und m bezeichnet werden. Interessantsind insbesondere die akustischen p-Moden, die zwischen Oberflache und untereKonvektionszone hin und herpendeln. Die Frequenzen dieser Moden hangen vonder Schallgeschwindigkeit ab und diese wiederum von der Temperatur. Mittels derBeobachtungen des SOHO- und GONG-Satelliten ließ sich damit das Modell derKosmionen widerlegen.

6.3 Vakuum-Oszillationen aus [3]

Ein Ansatz zur Losung des Sonnenneutrinoproblems, der zu einer neuen Physikfuhrt, ist der der Neutrino-Oszillationen und hier zunachst der der Vakuumoszil-lationen. Diese Theorie geht davon aus, daß die Flavor-Zustande nicht unbedingtmit den Masseneigenzustanden identifiziert werden konnen. Demnach konnen Fla-vors ineinander umgewandelt werden. Voraussetzung dafur ist, daß die Neutrinosnicht masselos sind, und daß sie unterschiedlichen Massen haben. Die zeitliche Ent-wicklung eines Flavoreigenzustands ließe sich dann durch eine Linearkombinationder zeitliche entwickelten Masseneigenzustande darstellen, beschrieben durch eineunitare Matrix U:

|νa >t=∑j

Uaj · e−iEjt|νj >

Damit ergibt sich die Wahrscheinlichkeit fur einen Ubergang von einem Flavorα zu einem Flavor β zu:

|< νβ |να >|2 =∑j,k

UαjU∗βjU

∗αkUβk · e−i(Ej−Ek)t

Betrachtet man nur eine Oszillation zwischen zwei Flavors, so laßt sich die Be-ziehung zwischen Flavor und Masseneigenzustanden durch eine 2-dimensionale or-thogonale Matrix ausdrucken, quasi eine Drehmatrix mit dem Drehwinkel ΘV , der

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dann als Vakuum-Mischungswinkel bezeichnet wird.(νeνx

)=(

cos ΘV sin ΘV

− sin ΘV cos ΘV

)(ν1

ν2

)O.B.d.A. kann man diesen Winkel zwischen 0° und 45° wahlen, so daß z. B.

dem Elektron-Neutrino zumeist der Massenzustand 1 entspricht. Der zweite Fla-vorzustand kann dann Myon-, Tau-Neutrino oder eventuell eine Neutrino 4. Flavorssein. Auch in diesem Fall kann man die zeitliche Entwicklung und die sich darausergebende Wahrscheinlichkeit fur ein Verbleiben im Elektron-Flavor angeben:

|νe >t = cos ΘV · e−iE1t|ν1 > + sin ΘV · e−iE2t|ν2 >

⇒ |< νe|νe >|2 = 1− sin2 2ΘV · sin2(1/2(E2 − E1)t)

Man sieht nun, daß diese Wahrscheinlichkeit von zwei Parametern abhangt,namlich zum einen dem Mischungswinkel ΘV und der Energiedifferenz (E2 − E1)der Neutrinomassenzustande. Diese kann unter der Annahme gleicher Impulse auchdurch die Massendifferenz ausgedruckt werden:

E2 − E1 =m2

2 −m21

2E=

∆m2

2E

In der Literatur wird das ganze aber meist durch Langen ausgedruckt, was liegt alsonaher als die Zeit durch die vom Licht zuruckgelegte Strecke R = ct auszudruckenund eine neue Lange, die sog. Vakuum-Oszillationslange LV , zu definieren als derQuotient zwischen Energie und der quadrierten Massendifferenz LV = 4πE

∆m2 ( 1=200MeVfm, also entspricht einer Energie im Nenner einer Lange im Zahler). Damitist auch sofort die Wahrscheinlichkeit fur einen Ubergang zwischen Elektron und z.B. Myon-Flavor hinzuschreiben:

|< νµ|νe >|2 = sin2 2ΘV · sin2

(πR

LV

)Eine ahnliche Oszillation wie bei den Neutrinos ist bei der schwachen Quark-

Wechselwirkung bekannt, die sog. Cabibbo- Mischung. Dort heißt dann der Mi-schungswinkel auch Cabibbo- Winkel und betragt etwa 13°. Daher ware es schon,wenn auch der Vakuum- Mischungswinkel klein ware und in etwa vergleichbar. Setztman aber den Wert des Cabibbo- Winkels ein, so uberleben quasi 90% der Elektron-Neutrinos auf dem Weg von der Sonne zur Erde. Der Winkel kann also nicht kleinsein. Anhand dieser Formel kann man schon die Bedeutung der Solaren Neutrino-Experimente im Vergleich zu terrestrischen ablesen, und verstehen, warum die sola-ren Experimente ihre wesentliche Bedeutung fur die Elementarteilchenphyik haben.Der Grund ist, daß man mit solaren Experimenten eine wesentlich kleinere Massen-differenz der Neutrinos messen kann als mit terrestrischen. Das liegt zum einen anden viel großeren Entfernungen und auch an der geringeren Energie. Damit ist dasVerhaltnis R/E viel großer und ∆m darf viel kleiner sein:

Exp.-typ RE /[eV/eV ]

Beschleuniger 10−2..101

Reaktor 100..102

Atmosphare 102..104

Solar 1010..1011

Supernova 1019..1020

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6.4 MSW-Effekt aus [3]

Nachdem die Oszillation im Vakuum zur Beschreibung nicht ausreicht, kann mandie Oszillation in Materie hinzunehmen. Dies ist unter dem Namen MSW-Effektbekann, nach denen, die dies zum ersten Mal gegen Ende der 70er vorgebrachthaben: Mikheyev,Smirnov,Wolfenstein. Diese konnten insbesondere zeigen, daß inAnwesenheit von Materie der unschon große Mischungswinkel verandert wird. Wie-der laßt sich ein beliebiger Neutrinozustand als Linearkombination aus Elektron-,Myon- und Tau-Neutrino-Zustand darstellen:

|ν >t= ce(t)|νe > +cµ(t)|νµ > +cτ (t)|ντ >

Nach Einsetzen dieses Ansatzes in die Schrodingergleichung ergibt sich fur die Ko-effizienten der einzelnen Flavor eine Gleichung, die formal ahnlich aussieht wie dieSchrodingergleichung. Man nennt diese Darstellung auch Hamiltonische Darstel-lung, wobei M die sog. Massenmatrix darstellt, die sowohl einen Vakuum-Anteil alsauch einen Anteil fur den Durchgang durch Materie beinhaltet. Man kann also furdie Vakuumoszillationen genau die gleiche Gleichung aufstellen, in der dieser neueTerm fehlt:

id

dt

ce(t)cµ(t)cτ (t)

= M

ce(t)cµ(t)cτ (t)

mit M = M0 +Mmatter

Der neue Term in der Massenmatrix resultiert aus der Neutrino-Streuung, der fur dieversch. Flavors jeweils unterschiedliche Wechselwirkungen zugrundeliegen. Wahrendalle Flavors uber neutrale schwache Strome wechselwirken konnen, existiert fur dieElektron-Neutrinos zusatzlich die Reaktion uber einen geladenen schwachen Strom.Bei den Reaktionen uber neutrale schwache Strome wird demnach das ungeladeneVektorboson Z0 ausgetauscht, bei den geladenen schwachen Stromen das geladeneVektorboson W− oder W+ in der anderen Richtung.

Abbildung 22: Feynman-Diagramm fur die Ww. uber ungeladene schwache Strome

Abbildung 23: Feynman-Diagramm fur die Ww. uber geladene schwache Strome

Andere Neutrinos konnen nicht uber geladene schwache Strome wechselwirken,da dann an den Vertizes die Elektron-Leptonen-Zahl nicht erhalten wurde. Derzusatzliche Streukanal fur die Elektron-Neutrinos fuhrt zu einem zusatzlichen Wech-selwirkungsterm in der Hamiltonfunkion

HWw =GF√

2[eγµ(1− γ5)νe] · [νeγµ(1− γ5)e]

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und damit ebenfalls zu einem zusatzlichen Term in der Massenmatrix, der dieElektronendichte ne enthalt, die Fermi-Konstante GF und noch einen Projektions-operator Pe auf Elektronneutrinos:

Mmatter =√

2GF · ne · Pe

Man kann dies auch so auffassen, daß die Elektron-Neutrinos ein zusatzlichesPotential eben dieser obigen Form V =

√2GF ·ne sehen, das die freie relativistische

Energie-Impuls-Beziehung E2 = p2 + m2 andert. Man fuhrt dann eine effektiveMasse meff ein, die nun von der Dichte in der Sonne abhangt.

Es ergibt sich fur die Massenmatrix bei einer angenommenen Mischung von zweiFlavors die Schrodingergleichung:

id

dt

(ce(t)cµ(t)

)= ±∆M

2

(− cos 2ΘM sin 2ΘM

sin 2ΘM cos 2ΘM

)(ce(t)cµ(t)

)

mit ∆m =√

(∆V · cos 2ΘV −√

2GFne)2 + (∆V sin 2ΘV )2.

Hier ist der hinzugekommene Term√

2GFne enthalten. Die Energie-Eigenwertedieses Operator ergeben sich nach Diagonalisierung zu:

E = const.± ∆M

2

Diese Energie oder Massendifferenz hangt nun, wie zu sehen, von der Dichteab. Damit zeigt sich dann ein Resonanz- verhalten, wenn diese beiden Massen-eigenzustande sich nahe-kommen.Es interessiert naturlich noch die Beziehung derVakuum-Parameter zu den neuen Großen, z.B. den Mischungswinkeln:

tan 2ΘM =tan 2ΘV

1− LVLe

sec 2ΘV

Hier taucht eine neue Große auf, die sog. Neutrino-Elektron-WechselwirkungslangeLe, die eben auch von der Elektronendichte abhangt:

Le =√

2πhcGFne

Nun kann man das Resonanzverhalten tatsachlich sehen. Liegt die Resonanzbe-dingung vor, also LV

Le= cos 2ΘV , dann geht der Nenner gegen Null, der Bruch

damit gegen Unendlich und der Winkel des Tangens also zu 90°. Bei einem Mi-schungswinkel von 90° hat sich die Beziehung von Massen und Flavorzustandenaber genau ausgetauscht. Wenn vorher dem Elektron-Neutrino der Masseneigenzu-stand 1 entsprochen hat, so entspricht ihm jetzt der Zustand 2 und umgekehrt furdas Myon-Neutrino. Es ergibt sich damit also eine Resonanzdichte, bei der genaudieser Tausch geschieht:

ne,res =|∆m2| · cos 2ΘV

2√

2 ·GF · E⇒ Emin =

|∆m2| · cos 2ΘV

2√

2 ·GF · ne

Diese hangt, wie man sieht, von der Energie ab. Es existiert also eine Mindestenergie,ab der uberhaupt solch ein Resonanzverhalten zu beobachten ist. Das Resonanzver-

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halten wird auch in der folgenden Veranschaulichung deutlich.

Abbildung 24: Resonanzverhalten der Materie-resonanten Oszillation (aus [3])

Bei kleinen Dichten ist der Elektronflavor identisch mit dem unteren Massenei-genzustand 1 und das Myon-Neutrino identisch mit Masseneigenzustand 2. Ab einerbestimmten Dichte steigt der schwerere Masseneigenzustand an, wird proportionalzur Elektronendichte und nahert sich asymptotisch dem Elektronflavoreigenzustand,wahrend der leichtere Masseneigenzustand erst mit der Dichte ansteigt, ab der Re-sonanzdichte aber konstant bleibt. Das ist klar, denn er hat sich zum Myon-Flavorgewandt, und der ist unabhangig von der Dichte, weil er ja nur uber neutrale Stromewechselwirken kann. Wir konnen nun auch den Weg eines Elektronneutrinos in derSonne nachvollziehen. Es startet bei hohen Dichten und bewegt sich in Richtungkleinerer Dichten. Variiert nun die Dichte auf dem Weg sehr langsam- man sprichtvon Adiabatischer Anderung oder Adiabaten-Bedingung- dann vollzieht sich keinUbergang zum anderen Masseneigenzustand und das Neutrino verbleibt beim zwei-ten Masseneigenzustand, wird quasi von ihm mitgezogen. Es tritt aus der Sonneschließlich als ein anderer Flavorzustand aus. Der Weg ist naturlich umkehrbar:Schießt man also Myon-Neutrinos durch die Sonne, dann kommen sie auf der an-deren Seite als Elektron-Neutrinos heraus. Genau das sollte auch beobachtet wer-den, wenn die zu Myon- umgewandelten Elektron-Neutrinos durch die Erde fliegenmussen, da diese sich zwischen Sonne und Detektor befindet (also bei Nacht). Dannsollten sie also zum Teil wieder zu Elektron-Neutrinos werden. Dies ist der sog.Tag-Nacht-Effekt. Diesen Effekt hat man zwar bei Super-Kamiokande feststellenkonnen, aber ohne Signifikanz. Entsprechend hatte man fur die Vakuum-Oszillationdurch die unterschiedliche Enternung Sonne-Erde eine halbjahrliche Variation derNeutrinoflusse feststellen mussen.

Wie gesehen, sind es zwei Parameter, die die Oszillationstheorie ausmachen. Essind dies der Mischungswinkel und die Massendifferenz. Eine genaue Untersuchungdieser Theorie wurde also eine moglichst prazise Messung dieser Parameter voraus-setzen. Man stellt diese ublicherweise in einem Diagramm dar, dem MS-Diagramm.Der Tradition nach stellt man hier das Quadrat der Massendifferenzen dem Sinus-quadrat des zweifachen Mischungswinkels, manchmal noch durch cos 2Θ dividiert,gegenuber. Hier sind also die derzeit gultigen Existenzgebiete dieser Parameter ein-getragen. Diese stellen sich meist als solche Dreiecke dar, deren Umrandung obendurch die Resonanzbed gegeben ist. Resonanz gibt es immer erst ab einer bestimm-ten Massendifferenz. Die Diagonale ist durch die Adiabatenbed. gegeben, also daßdie Dichteanderungen langsam erfolgen. Und die vertikale Grenze resultiert aus ei-

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ner maximalen Survival-Wahrscheinlichkeit, die eben proportional zu sin2 2Θ ist.

Abbildung 25: MS-Diagramm (aus [3])

Abbildung 26: MS-Diagramm (aus [3])

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Abbildung 27: MS-Diagramm (aus [11])

Im ersten Diagramm (Abb.25) sind die Gebiets- grenzen fur das Chlor undGallium- Experiment eingetragen (Chlor gestrichelt, Gallium durchgezogen), undzwar fur verschiedene Raten. Im zweiten Diagramm (Abb.26) sind Chlor-, Gallium-und Kamiokande- Experiment schon uberlagert zu den schwarzen Bereichen, diedanach noch fur die Parameter ubrigbleiben. Das letzte Diagramm (Abb.27) zeigtdie aktuelle Karte der Parameter- grenzen (blau) sowie die Ergebnisse einiger ter-restrischer Experimente.

Betrachtet man nur die Gesamtflusse der großten funf Neutrinoexperimente,kristallisieren sich vier Losungen des Bahcall-SSM heraus, 3 MSW-Losungen undeine Vakuum-Losung mit einem Vertrauenslevel von 99%. Dies sind die SMA(Small-Mixing-Angle)-losung, die LMA(large-Mixing-Angle)-Losung, die LOW(low proba-bility oder low mass)-Losung und die VAC(Vacuum-)Losung. SMA und VAC habensich als beste Losung fur eine Oszillation zu sterilen Neutrinos ergeben. SMA wurdeeine Uberhohung des Neutinoflusses bei hohen Energien ergeben (Verzerrung derEnergieverteilung), was bei Super-Kamiokande tatsachlich gemessen wurde. LMAsagt den Tag-Nacht-Effekt voraus, der in neueren Messungen von Super-K eben-

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falls festgestellt wurde, ergibt aber keine Energieverzerrung. Die VAC-Losung stehtund fallt mit der jahrlichen Anderung des Flusses und kann ebenfalls die Energie-verzerrung bei hohen Energien erklaren. Man sieht also, daß keine der Losungengegenuber den anderen zu bevorzugen ist.

6.5 Spin-Prazession aus [1]

Ein Losungsansatz, der ebenfalls zu neuen Neutrino-Eigenschaften fuhrt, ist dieMoglichkeit der Spin-Prazession. Das setzt ein magnetisches Moment des Neutrinosvoraus, das dann im Magnetfeld der Sonne der Spin der Neutrinos umgeklapptwurde und damit linkshandige in rechtshandige Neutrinos (nicht Anti-Neutrinos !)umwandelt. Man sagt, diese rechtshandigen Neutrinos seien steril, da sie nicht an derschwachen Wechselwirkung teilnehmen und damit auch nicht auf Erden detektiertwerden konnen. Der Neutrinostrom hinge in diesem Fall vom magnetischen Momentdes Neutrinos, dem Sonnenmagnetfeld und der durchquerten Strecke im Magnetfeldab. Damit musste sich also eine Korrelation zwischen der Zahl der Sonnenflecken, dieja ein Maß fur die magnetische Aktivitat der Sonne sind, und der Neutrinoflußratevorhanden sein. Zu messen ware also eine Periode von 11 Jahren, die man fur dieSonnenflecken kennt, sowie eine halbjahrliche Periode, die durch die Neigung desSonnenaquators zur Ekliptik von etwa 7° verursacht wird. Wir kreuzen damit mitder Erde zweimal im Jahr den Sonnenaquator, wo das Magnetfeld der Sonne einMinimum besitzt. In dieser Stellung sollte also ein Maximum des Neutrinoflussesliegen.

Abbildung 28: Korrelation der Sonnenfleckenaktivitat mit den gemessenen Neutri-nostromen (aus [3])

In Abbildung 28 ist der Fluß der Neutrinos am Beispiel des Chlor-Experiments,das ja am weitesten zuruckreicht und uber den langsten Zeitraum betrieben wurde,gegen die Jahre aufgetragen und zusatzlich die invertierte Sonnenfleckenaktivitat,

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wobei diese naturlich in willkurlichen Einheiten aufgetragen ist. Man mag eine ge-wisse Korrelation sehen, aber deutlich ist diese jedenfalls nicht.

6.6 Ubersicht uber die Erklarungsmodelle

Losung Status Voraussetzung Zeitverhalten sonst. Originalarbeitreson. Uber-gang zuµ- oderτ -Neutrinos

akzeptablerFit

Mischungv. Neutri-nos, Masse≤ 10−3eV

Tag-Nacht-Effekt

Mikheyev,Smirnov,Wolfenstein

reson. Uber-gang zu ste-rilen Neutri-nos

nicht so gu-ter Fit

Mischungvon Neutri-nos, Masse≤ 10−3eV

Tag-Nacht-Effekt

Vakuum-Oszillation

nicht soguter Fit,inkonsistentmit SNO

Mischungvon Neutri-nos, Masse≤ 10−3eV

jahrlicheSchwankung

Pontecorvo

Helizitats-Flip

schlechterFit

magn.Moment10−11µB

Anti-korrelationmit Sonnen-flecken

Sonnen-B-Feldunbe-kannt

Voloshin,Vysotsky,Okun

reson. Spin-Flavor-Konversion

hartnackig magn.Moment10−11µB

Anti-korrelationmit Sonnen-flecken

Sonnen-B-Feldunbe-kannt

Akhmedov,Lim, Marcia-no

Neutrino-Zerfall

inkonsistent Lebensdauer< 8 min

statisch widerlegtdurchSN1987A

Bahcall, Ca-bibbo

solare Astro-physik

hoffnungslos mod. SSM Wider-spruch zuHelioseis-mologie

aus [7]

Wir hatten es zu tun mit dem MSW-Effekt, der bisher die beste Uberein- stim-mung mit den Ergebnissen liefert, die Mischung von Neutrinos voraussetzt undeine Masse derselben von 10−3 eV. Beobachtbar sollte ein Tag-Nacht- Effekt sein,Original- arbeit stammt von Mikheyev, Smirnov, Wolfenstein. Ebensogut gibt esein Model des resonanten Ubergangs zu sterilen Neutrinos, also nicht Myon- oderTau- Neutrino, bietet aber etwas schlechtere Ubereinstimmung. Die besprochenenVakuum- oszillationen reichen nicht aus und passen seit neusten Messungen einfachnicht mehr ins Bild. Der Helizitatsflip ist eine nette Idee, kann die Ergebnisse abernicht ausreichend erklaren und zeigt auch nicht deutlich die erwartete Korrelati-on mit den Sonnenflecken. Um dort genauer nachzuforschen kennt man aber dasMagnetfeld der Sonne noch zu wenig. Auch bei diesem Flip gibt es ein resonan-tes Modell, das man dann als matter-enhanced-Spin-Flip-Modell bezeichnet. Dashat einmal kurze Zeit gelebt, ist aber aus der heutigen Argumentation großtenteilsverschwunden. Der Neutrinozerfall resultierte eigentlich aus einem Fehlalarm, daman ganz zu Anfang des Homestake-Experiments eine Null-Messung bekam und

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so annahm, daß die Neutrinos auf dem Weg zu Erde vollstandig zerfallen wurden.Spatestens seit der Supernova von 1987 ist dies aber widerlegt, da man damals in-nerhalb von 12s alle vorhergesagten Neutrinos nachgewiesen hat. Das Neutrino hatalso eine Lebensdauer, die deutlich großer als 500 s sein muß.

7 Neuere Experimente

Die neueren Experimente sollen nun nicht mehr das Problem konstatieren - dashaben ja die drei vorgestellten Vorlaufer-Experimente zur Genuge getan - sondernzwischen den versch. Losungsmoglichkeiten entscheiden.

7.1 Super-Kamiokande aus [6]

Da ist z. B. das Superkamiokande- Experiment zu erwahnen, das imgrunde nichtsweiter als ein großer dimensioniertes Kamiokande- Experiment darstellt, was ja derName auch schon nahelegt. Der Detektor ist ganz einfach viel großer dimensioniert(siehe Abb.29).

Abbildung 29: Großenvergleich zwischen Kamiokande und Super-K. (aus [6])

Wahrend man bei Kamiokande mit nur 3000t Wasser arbeitete, hat man es hierjetzt mit 50kt Wasser zu tun. Ebenso wurde die Zahl der Photomultiplier verzehn-facht, demnach hat man jetzt eine großere Flachenuberdeckung. Die Schwellenener-gie wurde auch etwas herabgesetzt, von 7,5MeV auf 5MeV. Mit diesem Detektorwerden nicht nur kosmische Neutrinos, sondern auch solche, die in der Atmosphareentstehen, gesichtet. Hier versucht man, die Auswirkungen des MSW-Effekts nach-zuweisen. Ein Wort zu den Resultaten:Der Neutrinofluß hat sich etwas verrringert (φ(8B) = 2, 40cm−2s−1), das Verhalt-nis zwischen Experiment und Theorie damit auch ( φexp

φtheor= 0, 465). Man mißt jetzt

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weniger als die Halfte der prognostizierten Neutrinos.

Abbildung 30: Skizze des Super-K-Experimentes (aus [6])

Abbildung 31: Photomultiplier des Super-K-Exp.(aus [6])

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7.2 Sudbury-Neutrino-Observatory aus [8]

Abbildung 32: Sudbury-Neutrino-Observatory (aus [8])

Ein bedeutendes Echtzeit-Experiment neuerer Zeit, das erst vor kurzem Schlag-zeilen gemacht hat, ist das SNO (Sudbury-Neutrino-Observatory). Das Besondeream SNO ist, daß es eigentlich vier Experimente in einer Anordnung darstellt, davier verschiedene Nachweis-Reaktionen stattfinden konnen. Als Detektionsmateri-al verwendet man schweres Wasser, was nicht erstaunlich ist, da in Kanada eineregelrechte Industrie zur Produktion von Druckwasser-Reaktoren existiert. In sol-chen Reaktoren wird vornehmlich schweres Wasser als Moderator und Kuhlmitteleingesetzt. Da der Markt fur Druckwasserreaktoren im Moment darniederliegt, hatman schweres Wasser im Uberfluß. Die Brot-und-Butter-Reaktion dieses Detektorsist die Neutrino-Absorption im Gegensatz zur Neutrino-Streuung z. B. bei Super-Kamiokande:

νe + d→ e− + p+ p

Diese lauft uber einen geladenen schwachen Strom, sog. Charged Current (CC) miteiner Schwellenenergie von 1,42 MeV, quasi die Ruckreaktion der Produktion derpep-Neutrinos.

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Abbildung 33: Mechanismus der CC-Reaktion (aus [8])

Das Neutron im Deuterium-Kern zerfallt in ein Proton und Elektron. DieseReaktion funktioniert naturlich nur mit Elektron-Neutrinos.

Der zweite Reaktionsweg ist der uber neutrale schwache Strome (NC):

ν + d→ ν + p+ n

Das Neutrino spaltet das Deuterium in Proton und Neutron auf. Das entstehendeNeutron trifft auf in das Material eingebrachte Fremdionen z. B. 35Cl, fuhrt dorteine n, γ-Reaktion herbei und die dabei entstandenen Gamma-Quanten lassen sichnachweisen. Diese Reaktion ist aber zur Zeit noch nicht in Betrieb, da man noch kein

Abbildung 34: Mechanismus des NC-Reaktion (aus [8])

Koch- salz eingefullt hat. Da sie Flavor-blind ist, wird sie aber eine Entscheidungzwischen einfach nur fehlenden Neutrinos und neuer Physik bieten konnen. Dies

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wird aber auch durch die Kombination der geladenen Strome CC und der ublichenNeutrino-Elektron-Streuung ES

ν + e− → ν + e−

gewahrleistet. Das Experiment dient also dem Test der Oszillationshypothese. Ein

Abbildung 35: Mechanismus der ES-Reaktion (aus [8])

Problem fur die Neutralen Strome stellen andere naturliche Neutronen uber einerEnergie von 2,2 MeV dar, die ebenfalls die Reaktion am Chlor auslosen konnen.Generell bietet dieses Experiment aber nicht zuletzt durch die Tiefe von 2070 Meter(siehe Abb.36 ) eine bessere Untergrundreduktion als Super-Kamiokande.

Auch ist es moglich, nur den Untergrund zu bestimmen, indem man das schwe-re durch leichtes Wasser austauscht. Obige CC- oder NC-Reaktionen horen dannaugenblicklich auf und man kann den Untergrund mit der elastischen Neutrino-Elektron-Streuung bestimmen.

Neueste Ergebnisse vom Juni 2001 haben eben fur die CC-Reaktion ein Er-gebnis von 1, 75 ± 0, 14 cm−2s−1 und fur die normale elastische Streuung 2, 39 ±0, 37 cm−2s−1 erbracht. Die Physiker am SNO haben nun das Ergebnis der CC-Reaktion mit dem der elastischen Streuung von Superkamiokande verglichen (DerFehler dieses Flusses war bei Superkamiokande um einen Faktor 10 geringer [sieheuntere Tabelle!]; nur so war ein signifikantes Ergebnis zu erzielen !). Der Fluß warwesentlich geringer und auch außerhalb einer 3σ-Umbebung, in der 99% aller Meß-werte liegen. Hiermit ist also erstmals die Evidenz eines Nicht-Elektron-Anteils inder solaren Neutrino-Strahlung gezeigt.

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Abbildung 36: Lage des SNO-Detektors in der Sudbury-Mine (aus [8])

7.3 Bisherige und geplante Experimente

Zusammenfassend eine Ubersicht uber die bisherigen Experimente:

Experimentgem. Fluss Verhaltnis Schwellenenergie

Lebensdauer[cm−2s−1/SNU] exp./BP98(*) [MeV]

Homestake 2, 56± 0, 16± 0, 16 0, 33± 0, 03± 0, 05 0, 814 1970-1995

Kamiokande 2, 80± 0, 19± 0, 33 0, 54± 0, 08± 0, 10 7, 5 1986-1995

SAGE 75± 7± 3 SNU 0, 58± 0, 06± 0, 03 0, 233 1990-2006

GALLEX 78± 6± 5 SNU 0, 60± 0, 06± 0, 04 0, 233 1991-1996

Super-Kamiokande 2, 40± 0, 03± 0, 08 0, 465± 0, 005± 0, 015 5, 5 1996-?

GNO 66± 10± 3 SNU 0, 51± 0, 08± 0, 03 0, 233 1998-?

SNO1, 75± 0, 07± 0, 12 [CC]

0, 347± 0, 029 [CC] 6, 75 1999-?2, 39± 0, 34± 0, 16 [ES]

(*)BP98 = SSM nach Bahcall-Pinsonneault (aus [5])Was die Ergebnisse betrifft, so zeigen alle Experimente in etwa Gleiches. Sie

weisen namlich nur etwa 50% der zu erwartenden Sonnenneutrinos nach. Energe-tisch tummeln sich einige bei niedrigen Energien von etwa 200 keV, wesentlicheaber auch bei hohen Energien im Bereich um 6 MeV. Als besonderen Fortschrittist eben das SNO zu nennen, da dieses eine Kombination aus versch. Nachweisre-aktionen nutzt und damit Erklarungsmodelle testen kann (deswegen wohl auch einNobelpreiskandidat).

Es sind weitere spezielle Experimente geplant, von denen in nachfolgender Ta-belle ein kleiner Uberblick geben wird:

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Experiment Ort Methode Sensitivitat Schwellenenergie StartMo ? Mo νe 1,68 MeV ?C6F5 Baksan Liquid Szinti νe 3,24 MeV ?

Borex(ino) Gran Sasso Liquid Szinti CC/NC ≤ 0,25 MeV 2001Kamland Kamioka Liquid Szinti CC/NC 0,3 MeV 2001ICARUS Gran Sasso fl. Ar-IC alle ν 5,9 MeV 2001HELLAZ Gran Sasso He-TPC νe 0,2 MeV ≥2002

LENS Gran Sasso Yb νe 0,244 MeV 2001SIREN Boulby Gd νe 0,244 MeV ≥2002

Iod Homestake I νe 0,789 MeV ?HERON ? Phononen νe ≤ 5 keV �2002CLEAN ? fl. He νe klein ?

aus [7]So z.B. das Molybdan-Experiment. Dabei handelt es sich um ein radiochem. Ex-

periment, bei dem Molybdan zu Technetium umgewandelt wird und das mit einerSchwellenenergie von 1,68 MeV. Das ist im ersten Moment alles nicht sonderlichspektakular, interessant ist jedoch, daß Technetium eine sehr grosse Halbwertszeitim Bereich von 106 Jahren besitzt. Nun bietet sich die Moglichkeit, naturliche De-tektoren in Form einer Erzlagerstatte zu nutzen und damit den Neutrinofluß vorJahrmillionen zu bestimmen. Bei den neueren Experimenten ist ein großes Ziel dasErreichen geringerer Schwellenenergien. Dies kann man erreichen, indem man stattdes Cerenkov-Effekts das Szintillationslicht ausnutzt. Dementsprechend stecken inden Echtzeit-Szintillator-Experimenten große Hoffnungen. Zu nennen ware dabeiz.B. das Hexa-Fluor-Hexan(C6F6)-Experiment. Hier wird Fluor in Neon umgewan-delt, das nach etwa 19 s wieder zu Fluor uber β+-Zerfall zerfallt. Dies bietet dieMoglichkeit eines sog. Signaturnachweises, d.h. man weist zuerst das prompte Elek-tron und dann das verzogerte Positron nach.

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8 Literaturangabe

1 H. V. Klapdor-Kleingrothaus: Teilchenastrophysik, Teubner

2 H. H. Voigt: Abriss der Astronomie, BI

3 John N. Bahcall: Neutrino Astrophysics

4 http://www.mpi-hd.mpg.de/

5 http://www.hep.anl.gov/ndk/hypertext/nuindustry.html

6 http://www-sk.icrr.u-tokyo.ac.jp/nu98/scan/index.html

7 http://cupp.oulu.fi/neutrino/nd-sol.html

8 http://www.sno.phy.queensu.ca

9 http://ewi.npl.washington.edu/SAGE/sage.html

10 http://www.sns.ias.edu

11 Particle Data Book

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