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Aus der Universit~its-Klinik fiir Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranl~ heiten Erlangen (Vorstand Professor Dr. Scheibe). Durch Knochennekrose gestOrte Wundheilung nach einfacher Aufmeifielung. 1) Von Prof. Dr. Brock, Oberarzt der Klinik und Dr. Zumbroich, Assistent der Klinik. Die Tatsache, dab in letzter Zeit mehrereArbeiten erschienen sind, die sich mit der Zweckm~Bigkeit verschiedener Nachbehandlungsmethoden nach der einfachen Aufmeifilung befassen, scheint mir dafiir zu sprechen, dab man mit der bisher am weitest verbreiteten Methode der offenen Wundbehandlung nicht mehr so recht zufrieden ist. Die "Versuche mit neuen Methoden zielen alle daraufhin ab, erstens, die Nachbehand- lungsdauer abzukiirzen und zweitens eine glatte, derbe, wenig einge- sunkenen Narbe zu Sehaffen. ~37arum man mit der bisherigen alten Methode nicht mehr zu!rieden gewesen ist, geht aus den Mitteilungen meist nicht mit allhr Klarheit hervor. Man erf~ihrt nur so nebenbei, dab 6fter mal St6rungen in der Wundheilung beobachtet worden sind, welche die Heilungsdauer und die Festigkeit der Narbe ungiinstig be- einflugt haben, dab ab und zu auch Nachoperationen notwendig ge- worden sind, und dab trotzdem bei manchen F~illen nur eine unvoll- kommene Ausheilung mit restierender Fistel, mit permanenter Off- hung besser gesagt, zu erreichen gewesen ist. Von diesem letzteren fiir den Kranken sowohl als auch fiir den Operateur so unangenehmen Ereignis will ich aber heute nicht sprechen, sondern von einer anderen St6rung in der Wundheilung, die wit an unserer Klinik in den letzten Jahren leider recht h~iufig zu beobachten Gelegenheit batten, yon einer St6rung, die die Heilungsdauer zwar sehr tang e hina.usschiebt, die Heilung aber schlieglich doch nicht ver- hindern kann, yon einer St6rung, die bedingt ist durch das Auftreten bezw. Manifestwerden yon rauhen Knochen an irgend einer Stelle der Operationswunde.. In der Literatur konnte ich fiber diesen Gegenstand in aus neuerer Zeit stammenden und mit der Wundheilung sich befassenden Arbeiten i) Nach einem anl~iBlich der 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und ~rzte in Mannheim gehaltenen Vortrag 192o.

Durch Knochennekrose gestörte Wundheilung nach einfacher Aufmeißelung

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Aus der Universit~its-Klinik fiir Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranl~ heiten Erlangen (Vorstand Professor Dr. Scheibe) .

Durch Knochennekrose gestOrte Wundheilung nach einfacher Aufmeifielung. 1)

Von Prof. Dr. Brock, Oberarzt der Klinik und Dr. Zumbroich, Assistent der Klinik.

Die Tatsache, dab in letzter Zeit mehrereArbeiten erschienen sind, die sich mit der Zweckm~Bigkeit verschiedener Nachbehandlungsmethoden nach der einfachen Aufmeifilung befassen, scheint mir dafiir zu s prechen, dab man mit der bisher am weitest verbreiteten Methode der offenen Wundbehandlung nicht mehr so recht zufrieden ist. Die "Versuche mit neuen Methoden zielen alle daraufhin ab, erstens, die Nachbehand- lungsdauer abzukiirzen und zweitens eine glatte, derbe, wenig einge- sunkenen Narbe zu Sehaffen. ~37arum man mit der bisherigen alten Methode nicht mehr zu!rieden gewesen ist, geht aus den Mitteilungen meist nicht mit allhr Klarheit hervor. Man erf~ihrt nur so nebenbei, dab 6fter mal St6rungen in der Wundheilung beobachtet worden sind, welche die Heilungsdauer und die Festigkeit der Narbe ungiinstig be- einflugt haben, dab ab und zu auch Nachoperationen notwendig ge- worden sind, und dab trotzdem bei manchen F~illen nur eine unvoll- kommene Ausheilung mit restierender Fistel, mit permanenter Off- hung besser gesagt, zu erreichen gewesen ist.

Von diesem letzteren fiir den Kranken sowohl als auch fiir den Operateur so unangenehmen Ereignis will ich aber heute nicht sprechen, sondern von einer anderen St6rung in der Wundheilung, die wit an unserer Klinik in den letzten Jahren leider recht h~iufig zu beobachten Gelegenheit batten, yon einer St6rung, die die Heilungsdauer zwar sehr tang e hina.usschiebt, die Heilung aber schlieglich doch nicht ver- hindern kann, yon einer St6rung, die bedingt ist durch das Auftreten bezw. Manifestwerden yon rauhen Knochen an irgend einer Stelle der Opera t ionswunde . .

In der Literatur konnte ich fiber diesen Gegenstand in aus neuerer Zeit s tammenden und mit der Wundheilung sich befassenden Arbeiten

i) Nach einem anl~iBlich der 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und ~rzte in Mannheim gehaltenen Vortrag 192o.

i 8 4 B R O C K -and ZUMBROICH,

nur wenig finden; nur bei P a s s o w 1) und bei F l e i s c h m a n n ~) land ich eine auf diese StOrung hinweisende Notiz. In einer schon mehrere Jahre zuriickliegenden Arbeit yon Zeron i : Die ausbleibende Granu- lationsbildung nach Aufmeiglung des Warzenteils (Archiv fiir Obren- heilkunde, Bd. 73) ist zu lesen: ,,Wir mtissen die Fille (Ausheilung mit Fistel) streng yon sonstigen nicht heitenden Knochenwunden unter- scheiden, bei denen die ausbleibende Heilung ausschlieBlich in zurtick- gebliebenen Krankh~eitsherden, entweder infizierten Knochenpartien oder nicht exsiirpierten kranken Zellen liegt." Z e r o n i geht in seiner Arbeit 1eider nicht welter auf seine Beobachtungen ein, und so bteibt es zweifelhaft, ob die seinerzeitigen Erfahrungen g e r o n i s sich mit unseren decken oder ob es sich etwa tats~ichlich um unvollkommen operierte F/lie gehandett hat.

Die gangbaren Lehrbgcher der Ohrenheilkunde behandeln die Wund- heilung bezw. die Nachbehandlung nur sehr kurz oder iiberhanpt nicht. Die nns hier interessierende St6rung finder sich-meist iiberhanpt nicht erwihnt, nur P o l i t z e r macht in seinem Lehrbuche eine diesbeziigliche Bemerkung. P o l i t z e r schreibt: ,,Abweichend vom ggnstigen Wund- verlauf sind die F~ille, bei denen nach Er6ffnung des Warzenteiles die Wundh6hle sich sehr rasch mit Granulationsgewebe fiillt, an der gugeren Fliiche des Warzenfortsatzes jedoch eine Fistel6ffnung znrtickbleibt, durch die man mit der Sonde das Vorhandensein ratlher Knochen- fl~ichen in der Operationsh6hle konstatiert Solche Operationsfisteln k6nnen monate- ja jahrelang symptomlos ohne St6rung des A11gemein- befindens fortbestehen."

U b e r diese von P o l i t z e r so kurz und treffend charakterisierte St6rung in der Wundheilung m6chte ich heute berichten und das Krank- heitsbild schildern, So wie es sieh nach nnseren an der Erlanger Klinik gemachten Erfahrungen darstellt.

In der Erlanger Klinik sind seit April 191i (self l~'bernahme der Klinik durch Herrn Professor S ch e ib e) bis heute 34o AufmeiBelungen vorgenommen worden. Von diesen 34o Operierten sind gestorben 16. Der Heilung zugefiihrt worden sind 324. Von diesen 324 sind nach der Operation geheilt ohne iede St0rung, doch ich will rnieh vorsichtiger ausdriicken, sie sind geheilt, ohne dab uns yon einer St6rung in der Wundheilung etwas bekannt geworden ist, 268. St6rung in dG, Heitung haben gezeigt 56. Die Krankengeschichten dieser 56 Fille sind das unseren heutigen Ausfiihrungen zugrunde liegende Material. Es sei hier gleich bemerkt, dab yon diesen 56 z. Zt. noeh einige in Be-

1) p a s s o w: l~ber den VerschtuB der Knochenwunden nach Ant rum-Opera t ionen .

P a s s o w s t3ei%r/ige, Bd. I, H. i / 2 . 2) F l e i s c h m a n n : IKlinische Versuche mi t v o l l k o m m e n prirNirer N a h t nach

A n t r o t o m i e A. f. O., Bcl. ~o 5, t I . 3/4-

Dutch Knochennekrose gest6rte Wundheilung nach ejnfacher Aufmei~3elung. 18 5

handlung stehen, dab die anderen samtlich nach mehr oder weniger langer Zeit geheilt entlassen werden konnten.

Wie stellt sich nun das Krankheitsbild dar ? Die Operation ist rite ausgefiihrt; alles ist glatt gegangen. Bei der Operation hat sich nichts gefnnden, was irgendwie yon den sonst tiblichen Operations- befunden abgewichen ware. Extra sei bemerkt, dab bei der Operation niemals blogliegender Knochen konstatiert worden ist. Beim ersten Verbandwechsel sieht die Wunde normal aus; nichts auffalliges ist an ihr feststellbar; der Wnndverlauf ist anfinglich vollstandig normal. Die Wnndh6hle iiberzieht sich mit frischen, gut aussehenden Granulationen; die Sekretion h~ilt sich in normalen Grenzen; der Ausflul3 aus dem Ge- h6rgang ist, falls vorher ein solcher bestanden, meist schon beim ersten Verbandwechsel versiegt; die Schwellung des Trommelfells nimmt ab; das Geh6r nimmt zn. Bald aber macht sich eine Anderung in dem Zu- stand der Wunde bemerkbar . Die Wunde fangt an, iiberm~igig zu granulieren. Die Granulationen sind dunkel- oder auch mehr blaBrot, schwammig und zeigen die Tendenz, die Wundh6hle v611ig auszufiillen und scheinbar zum VerschluB zu bringen. Die Sekretion ist reichlich, diinn eitrig, manchmal aueh leicht blutig. W~ihrend Wunden mit nor- malen HeilungsverlauI nach Entfernung der Tampons meist v611ig Irei von Sekret sind, ist dies bei den Fallen mit gest6rtem Wundverlauf anders; nach Entfernung der Tampons sieht man in solchen Fallen irgendwo in der Tiefe der Wunde an einer oder manchmal auch an mehreren Stellen eitriges Sekret liegen. Die Kranken sind dabei voll- st~indig beschwerdefrei; die Temperatur ist nicht erh6ht. Untersueht man nun eine solche Wunde genauer, so sind mit der Sonde irgendwo in der Tide Knochenrauhigkeiten Iests%llbar, man fiihlt mit der Sonde Rauhigkeiten, also Knochenfl~ichen, die noch nicht mit Oranulationen iiberdeckt sind bezw. ihren Granulationsiiberzug eventuell wieder ver- loren haben. Mit dieser Konstatierung ist das Urteil fiber die Wunde gesprochen. Wir sind uns jetzt dariiber klar, dab die Wundheilung viele Wocben, ja Monate in Anspruch nehmen wird.

Der Weitere Verlauf hangt nun zum Teil wenigstens yon unseren therapeutischen Vorgehen ab. Ich sehe mich deshalb gen6tigt, einen Teil der Therapie bier gleich vorweg zu nehmen. In friiheren Jahren, bevor wir uns genaner mit dieser St6rung in der Wundheilung be- sch~iftigt batten, u n d uns auch noch die Erfahrungen fehlten, wnrden, ~was sehr nahe liegt, Nachoperationen vorgenommen. Die Granulationen wurden entfernt, die ganze Wundh6hle ausgekratzt und Versucht, den erkrankten Knoehen zu exstirpieren. Dabei ergab sich j edoch meist die Schwierigkeit, dab man nach Auskratzung der Wundh0hle den kranken Knochen nicht mehr mit Sicherheit feststellen konnte und der Erfolg der Nachoperation war in mehreren Fillen der, dab kurze Zeit

t86 BROCK und ZUBROICH,

nach der zweiten Operationen in der Wunde sich der gleiche Zustand ausbildete wie vorher, mit anderen Worten, dab kranker Knochen nach einiger Zeit wieder konstatierbar wurde. Diese Erfahrungen waren es, die uns veranlaBten, in den letzten Jahren yon Nachoperationen Ab- stand zu nehmen. Wir vermeiden jetzt jedes aktive Vorgehen, sondern iiberlassen den kranken Knochen sich selbst. Wir beschr~inken uns jetzt darauf, der Tendenz der Wunde zu iiberschiissiger Granulations- bildung durch feste Tamponade entgegen zu arbeiten und die Wunde m6glichst welt offen zu halten. Durch diese feste Tamponade werden die Granulationen zuriickged~immt, sodal3 die Verengerung der Wund- h6hle sich nur langsam voltziehen kann. Die anf~inglich meist reich- liche Sekretion l~il3t unter dieser Behandlung ganz allm~ihlich nach. Der rauhe Knochen in der Tiefe bleibt unbeeinfluflt und fiihlbar. In solchem Zustande k6nnen die Wunden sieh wochen- ja monatelang harem Die Kranken fiihlen sich dabei v611ig wohl. Eine Ausbreitung des Prozesses in der Tiefe ist bet diesem Vorgehen von uns nie be- obachtet worden. Gefahren fiir den Kranken entstehen nur dann, wenn infolge unzweckm~giger Behandlung, infolge ungeniigender Tamponade die Wundh6hle sich mit Granulationen ausfiillt u n d e s hinter diesen Granulationen evtl. zu ether Sekretstauung kommt. In so gelagerten Fgllen haben wir einigemale als Folge der Sekretstauung Schwindel und Nystagmus auftreten sehen, welche Erscheinungen aber nach Be- seitigung der Retention rasch wieder verschwunden sin&

Eines Tages, nach Wochen oder Monaten, ist der rauhe Knochen in der T ide auf einmal nicht mehr zu konstatieren; die Wundsekretion ist gugerst gering geworden, die Granulationen sind lest und gut. Bet diesem Wundbefund kann man die Wunde sich jetzt natiirlieh schliegen lassen. L~il3t man die Tamponade jetzt weg, so ist die Wunde in wenigen Tagen geheilt. In einer Reihe von Fiillen bleibt der rauhe Knochen in der Tieie aber auch bis zum Wundschlul3 fiihlbar. Gemeinsam mit dem o b e n geschilderten Verlauf haben diese F~ille das langsame Ein- schrumpfen und Derberwerden der schwammigen Granulationen, die langsame Verengerung der Operaidonsh6hle, das Nachlassen und Ver-

,schwi.nden der eitrigen Sekretion. Setzt mal) in diesen F~illen nur aus dem Grunde, well in der Tiefe immer noeh der rauhe Knochen fiihlbar ist, die Tamponade fort, so kann es passieren, dab man eines Tages beim Verbandwechsel den eingefiihrten Tampon aus der Wunde herausdrgngt und die Wunde stark verengt, manchmal auch schon durch eine Kruste :geschlossen vorfindet. Entfernt man die Kruste und sondiert, so ist der rauhe Xnochen noch fiihlbar. Fiir den behandelnden Arzt entsteht nun die Frage, was soll er tun. Soll er weiterhin die Wunde durch feste Tamponade often halten bis zu dem Moment de r Ausheilung in der Tide, oder soil er es riskieren, die Wunde sich schliegen zu lassen. Zur

Dnrch Knochennekrose gest6rte Wundheilung •ach einfacher AufmeiBelung. 18 7

Entscheidung dieser Frage erscheint mir folgende Uberlegung von Wichtigkeit. Ist der Geh6rgang trocken, das Trommelfell aufgehellt, die H6rweite gut, ist die Sekretion gering und sind die Granulationen frisch Und derb, dann besteht die M6glichkeit ja Wahrscheinlichkeit, dab man die Wunde ohne ein sp~iteres Aufbrechen derselben Ifirchten zu miissen, sich schlieBen lassen kann. Um das Richtige zu treffen, ist allerdings ein gewisses MaB yon Erfahrung notwendig. Die Fort- setzung der Tamponade bis zu dem Zeitpunkt, wo uns der aus der Wunde herausgeschobene Tampons einen Wink von deren Tendenz sich zu schliefien gibt, ist nicht immer notwendig. Hat man an der Wunde den oben geschilderten Zustand festgestellt, so kann man oft mit Aussicht auf Erfolg die Wunde sich schlieBen lassen.

Die Gefahr des Wiederaufbrechens der Wunde ist dann allerdings gr6Ber.

Eine Eigentfimlichkeit der Wunde muB ich noch kurz erwghnen. Die Wundh6hle, die sich gestern vielleicht noch ausgefiillt von dicken, schmierigen Granulationen pr~isentiert hat, ist fiber Nacht viel weiter geworden. Ein solches Ereignis, das ist das pl6tzliche in seiner Ursache uns unerklgrliche Einschmelzen der Granulationen geht meist mit einer reichlichen eitrigen Sekretion einher.

Das Verhalten der Pauke, des Trommelfells und des Hdrverm6gens wghrend des ganzen Prozesses ist davon abhgngig, ob bei der Operation das Antrum mit er6ffnet worden ist oder nicht. Ich darf hier bemerken, dab wir bei der AufmeiBelung nicht prinzipieI1 das Antrum miterOffnen, sondern uns, wenn m6glich, mit der Er6ffnung der Empyemh6hle be- gniigen. Ist das Antrum bei der Operation nicht miter6ffnet worden, so kann die Trommelh6hle, sdbst wenn der Prozel3 in der Wunde anormal verl~iuft, vollst~/ndig ausheilen. Das Trommelfell hellt sich auf, bekommt normales Aussehen, das H6rverm6gen erreicht den Grad wie vor der Otitis. Ist das Antrum bei der AufmeiBelung dagegen erOffnet worden, so ist im weiteren Verlauf der Zustand der Trommelh6hle und damit des Trommelfells und des HSrverm6gens sehr wechselnd. Dutch von hinten her in die Paukenh6hle eindringendes Sekret kann es immer wieder zu Infektion kommen, was sich am Trommelfell durch neuer- liche R0tung, Verdickung, Vorw61bung und am Geh6r dutch eine Ver- schlechterung bemerkbar macht. Mit der Ausheilung des Prozesses im Warzenteil ist Trommelfell und Geh6r fast ausnahmslos wieder normal geworden.

Bevor fiber die Lokalisation der erkrankten Knochenpartien zu sprechen w~ire, erscheint es noch wichtig, festzustellen, wie oft ist bei unseren F/illen mit gest6rtem Heilungsverlauf die typische AufmeiBelung mit Er6ffnung des Antrums und wie oft nur die Er6ffnung des Empyems vorgenommen worden.

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Das Antrum ist er6ffnet worden 51 real - - 91~ nicht er6ffnet 4 real - - 7 ~ In einem Falle fehlt in der Krankengeschichte eine dies- beziigliche Notiz. Unter 37 wahllos ausgezogenen F~illen mit normalem Heilungsverlauf ist das Antrum er6ffnet worden 23 real - - 62,1 ~ , nicht er6ffnet I1 real - - 29 ~ ohne Notiz drei F~ille. Aus dem Vergleich dieser Zahlen unter einander geht hervor, dab in den Fgllen mit Hei- lungsst6rung das Antrum prozentualiter hgufiger er6ffnet worden ist als bei den F~llen mit sp~teren normalem Heilungsverlauf, oder anders ausgedriickt, in den F/illen, bei denen das Antrum hat miter6ffnet werden miissen, ist die St6rung in der Heilung h~tufiger zur Beobachtung gelangt, als bei j enen Fgllen, bei welchen wir uns mit der Er6ffnung des Empyems haben begniigen k6nnen. Es ist die Feststellung dieser Tatsache vielleicht ein Hinweis darauf, dab in der ersten Gruppe die Zerst6rungen im Warzenteil gr6Ber gewesen ist als bei jenen der zweiten Gruppe.

Aus der Statistik geht welter hervor, dab der Sitz der Erkrankung rneist die mediale Antrumwand ist, dab der Prozel3 sich abet auch an anderen Stellen der Wundh6hle etablieren kann. Nit Zahlen, wie oft der erkrankte Knoehen an dieser und j ener Stelle konstatiert worden ist, wollen wir Sie hier nicht aufhalten, wie wit iiberhaupt auI Einzelheiten nicht eingehen wollen. Es soll dies in einer sp~teren Publikation nach- geholt werden.

Wenn wir den ganzen, die Heilungsdauer so sehr verz6gernden ProzeB richtig deuten und erkennen wollen so mtissen wit uns vor allen Dingen dariiber Klarheit zu verschaffen suchen, welcher Art der ProzeB ist, der sich in der Tiefe der Wunde abspielt, und uns fragen, welche pathalogisch-anatomischen Ver~inderungen sind anzunehmen und welches sind dessen Ursachen.

Auf die erste Frage k6nnen wir nut insoweit Antwort geben, als uns die rein klinische Beobaehtung das Wesen eines Krankheits- prozesses iiberhaupt erkennen lgBt. gikroskopische Untersuchungen liegen his jetzt noch nicht vor. Nach unseren Erfahrungen ist anzu- nehmen, dab es sich um einen ostitischen ProzeB vielleicht auch um eine umschriebene Knochennekrose handelt. Tuberkulose ist, wie ich ausdriicklich hervorheben m6chte, mit Sicherheit auszuschlieBen. Der ganze klinische VerlauI, die restitutio ad integrum spricht absolut gegen eine solche Genese. Zur zweiten Frage: Wodurch ist der ProzeB aus- gel6st, was ist seine Ursache ? Hier w~ire es nun leicht, kurzer Hand die Sache mit dem Einwand abzutun, bei der Operation seien erkrankte Knochenpartieen zuriiekgelassen worden. Dem ist entgegenzuhalten. I. Gehen wir bei den Aufmeigelungen sehr energisch vor; wit suchen alles Krankhafte m6glichst zu entfernen und scheuen uns garnicht, groBe WundhOhlen zu setzen; also an energischem Vorgehen fehlt es

Durch iKnochennekrose gest6rte Wundheilung nach einfacher Aufmeif3elung. 18 9

uns nicht. 2. Mul3 sich doch j eder Operateur dariiber klar sein, dab er auch bei einem noch so radikalen operativem Eingriff am Warzenteil unmOglich j ede Zelle er6ffnen und exstirpieren kann, dab erkrankte Knochenpartien wohl bei jeder Operation zuriickbleiben, also auch bei jenen, die nach der Operation prompt heilen. Warum kommt es nun bei den einen zur St6rung und bei den anderen nicht ? Was ist Grund und Ursache hierf~ir ?

Der lokale klinische Befund, der Operationsbefund der F~ille mit HeilungsstOrung unterscheidet sich in nichts yon Bedeutung von den normal Geheilten; sie zeigten nichts, was eine Ausl6sung des Prozesses erwarten oder befiirchten lassen k6nnte. Bleibt die Frage zu beant- worten, ob vielleicht in dem Allgemeinzustand der Kranken, in einer Konstitutionsanamalie, in einer vorausgegangenen konsumierenden Ali- gemeinerkrankung, in der Aetiologie der zugrunde liegenden Otitis sich Anhaltspunkte ftir das Zustandekommen des Prozesses eruieren lassen.

Sehen wit unsere F~ille darauf bin des Niiheren an, so ergibt sich, dab in der Aetiologie der Otitis 17 real Grippe, 2 real Masern oder Friesel, i real Pneurnonie angegeben worden ist, dab als gleichzeitig bestehende allgemeine Erkrankungen j e einmal Basedow, Nephritis, Bronchitis, Tuberkulose, exudative Diathese, 5 real Diabetes festgestellt werden konnte; ~ real hat es sich gehandelt Um junge langaufgesehossene Leute yon blassem Aussehen ohne nachweisbare Ver~inderung an den inneren Organen. Bei den iibrigen 24 F[illen - - 42,50/o hat ein Anhalts- punkt in dieser Beziehung nicht festgestellt werden kOnnen. Bei den Kontrollfiillen mit normaler Heilung handelt es sich in der Mehrzahl um sogenannte genuine Otitiden (26 F~ille - - 7o,2~ nach Katarrh oder ohne bekannte Ursaehe. 7 real ist die Odds aufgetreten naeh Grippe, 2 real nach Scharlach. Als gleiehzeitig bestehende Erkrankung hat sieh gefunden 2 real Diabetes. Aus diesenZahlen geht hervor: in derAnamnese der F~ille mit verzOgerter Heilung finder sich auff~illi[ h[ufig als Ur- sache der Otitis Grippe; daneben figurieren Masern, Bronchitis, Pneu- monie etc. nut mit kleinen Zahlen. Als gleichzeitig bestehende All- gemeinerkrankung ist am h~iufigsten Diabetes konstatiert worden. Ich glaube, die Zahlen lassen wohl den SehtuB zu, dab besonders die Grippe und der Diabetes als unterstiitzendes Moment zur Erkl~irung des Zustandekommens der Komplikation herangezogen werden kOnnen, mit anderen Worten, dab eine dureh diese Krankheiten verursachte verminderte Widerstandsf~ihigkeit des K0rpers mitverantwortlich zu machen ist.

Die verschiedenen Bakterien- und Kokkenarten haben auf das Zu- standekommen der Komplikation offenbar keinen Einflul3. Bei 36 der in Betracht kommenden 56 Fiille war eine genaue bakteriologische Untersuehun~ vorgenommen worden. 5 real blieb die Kultur sterit;

I90 BROCK und ZUMBROICH,

25 mat fanden sich Streptokokken entweder rein oder mit Staphylo- kokken gemischt (darunter 3 mal der Strepptokokkus mueosus), 2 mal Staphylokokken, 3 real Pneumokokken, I mal Mischkulturen. Ganz ~ihn- lich ist das Verh~iltnis bei den 37 Kontrollfiillen.

Es w~ire noch kurz zu sprechen fiber die Prognose und fiber die Therapie.

Die Prognose ist, wie ich schon eingangs erwEhnt habe, letzten Endes doch gut. Die Wunde kommt, wenn es auch noch so lange dauert, schlieBlich doch noch zur Heilung. Wir haben unter unseren F~illen keinen, der endlich doch nicht noch geheilt w~ire. Die Narbe hinter dem Ohr ist nach zustande gekommener Heilung meist tier eingezogen und zart; ideal ist die Narbe nicht. Die Knochenneubildung ist bei diesen F~illen augenscheinlich sehr gering. Wahrscheinlich bleibt in der Tiefe unter dem ~iuBeren Hautverschlul3 ein groger Hohlraum be- stehen. Darauf ist es wohl auch zurfickzuffihren, dab derartige Narben bei einer sp~iteren erneuten Infektion des Mittelohres eine erhOhte Neigung zur Rezidiven zeigen. In diesem Zusammenhange sei an die Arbeit Langes :Passows Beitr~ige, Bd. 4, 19II, I und L a n g e : Operiertes Ohr in Manasses Handbuch erinnert, ohne dab ich hier n~iher auf dieselbe eingehen m6chte.

Was die Funktion anlangt, so erreicht das HOrverm6gen mit der Heilung meist den vor der Otitis vorhanden gewesenen Grad. Da die Angaben der Kranken fiber ihr H6rverm6gen vor der Otitis meist recht ungenaue sind, l~iBt sich fiber diesen Gegenstand nicht viel mehr sagen.

Die Heilungsdauer ist , wie sehon mehrfach hervorgehoben, eine sehr lange und stellt an die Geduld des Kranken sowohl, als auch an die des Arztes groBe Anforderungen. Die Heilungsdauer schwankt in unseren I;~illen zwischen 4 und I I Monaten; im Durchschnitt betr~igt sie 6 Monate.

Uber unser therapeutisches Vorgehen babe ich schon bei Schilde- Tung des Krankheitsbildes kurz berichtet. Ich darf hier nochmals kurz wiederholen. Verzicht auf ieden zweiten operativen Eingriff. Wir be- .schrgnken uns darauf, durch feste his zum erkrankten Knochenherd geffihrte Tamponade die Granu!ationsbildung im Zaum und die Wunde often zu halten. Ausschabung des Granulationen, Atzung derselben mit Argentum nitrieum, Betupfen der erkrankten Knochenpartien mit Jodtinktur, all dies blieb ohne Nutzen. Infolgedessen haben wir jetzt :auch yon diesen und ghnlichen MaBnahmen Abstand genommen. Da- gegen ist es selbstverstgndlich notwendig, etwa gleichzeitig bestehende Allgemeinerkrankungen zu behandeln. So ist besonders bei herunter- gekommenen Individueen f fir Hebung des Krgftezustandes zu sorgen. Die Behandlung kann, wenn sie sich fiber Monate bin erstreckt, nicht

, dauernd in der Klinik vorgenommen werden, sondern mug vielfach dem

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H ausarzt iiberlassen werden, derselbe mug fiber Art und Weise der Tam).onade, fiber den Zweck derselben genau instruiert werden, damit eine Sekretretention, deren Gefahren ,air oben schon erw~ihnt haben, vermieden wird.

Das Krankheitsbild ist, wie schon einmal hervorgehoben, beziiglich seiner Natur und Ursache noch nieht v611ig gekl~irt. Solange diese Un- klarheit besteht, wird sich die Frage nach evtl. Vermeidbarkeit nicht mit Sicherheit beantworten tassen. Diese Unsicherheit in der Beurteilung des ganzen Krankheitsbildes ist es gewesen, die mich veranlagt hat, neuerdings darauf zuriickzukommen und die AufmerkSamkeit yon neuem darauf zu tenken. Sollte es gelingen, mit Hilfe neuer Behand- lungsmethoden die Heilungsst6rung zu vermeiden, die Nachbehandlungs- dauer wesentlich abzukiirzen, so w~ire dies im Interesse der Kranken sehr zu begriiBen.