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Z. Jagdwiss. 35 (1989), 130-136 © 1989Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887 Durch unspezifische lokale Periostaktivierung provozierte Bildung eines kn6chernen Stirnfortsatzes bei einem weiblichen Reh ( Capreolus capreolus L.) Von H. HARTWIG, J. SCHRUDDE,H. KIERDORFU. U. KIERDORF, K61n 1 Einleitung Die Regel, daf~ bei den geweihtragenden Cerviden Stirnauswiichse nur von den m~innlichen Tieren gebildet werden, gilt nicht uneingeschriinkt. So tragen z. B. beim Ren (Rangifer tarandus) auch die Weibchen ein Geweih, und beim Reh (Capreolus capreolus) treten sehr viel h~iufiger als bei anderen Cervidenarten genetisch weibliche Tiere mit kn6chernen Stirnauswfichsen (,,geh6rnte Ricken") auf. 2 Bedingungen ffir die Bildung der prim~iren Stirnauswiichse bei m~nnlichen Cerviden Experimentelle Untersuchungen an Rehen (HARTXVIO U. SC~tRUDDE1974) und an Damhir- schen (Goss u. POXVEL 1985) haben gezeigt, daft die Initiative zur Bildung der primiiren Stirnbeinapophysen von Periostareaten mit spezifischen Bildungstendenzen ausgeht. Die- ses ,,Initialperiost" liegt dort bereit, wo sich w~ihrend der Normogenese die kn6chernen Stirnbeinauswfichse bilden. Wird es vor Beginn der Stirnfortsatzbildung experimentell ausgeschaltet, dann bleibt das betreffende Versuchstier zeitlebens geweihlos. Verpflanzung des Initialperiostes an andere Stellen des K6rpers fiihrt (auch auf~erhalb des Kopfbereiches) zur Entstehung heterotoper Geweihstrukturen (HA~TXVI¢u. SCHRUDD~ 1974, GOSS u. POWEL 1985). Die Aktivierung des beim jungen m~innlichen Kitz zun~ichst noch ruhenden Initial- periostes erfolgt durch einen von den Hoden ausgehenden Testosteronimpuls. Entfernt man die Keimdrfise, bevor diese Aktivierung stattgefunden hat (Friihkastration), dann bleibt das betreffende Versuchstier zeitlebens geweihlos. 3 Voraussetzungen ffir die Bildung von Stirnauswiichsen beim weiblichen Reh 3.1 Der spezifische Reiz Da weibliche Rehe, wie das Auftreten ,geh6rnter Ricken" zeigt, potentielle Geh6rnbild- ner sind, ist anzunehmen, dal~ bei ihnen, ebenso wie beim Bockkitz, ein Initialperiost mit entsprechenden Bildungstendenzen bereitliegt. Normalerweise unterbleibt jedoch bei der Ricke die Ausbildung von Stirnforts~itzen, well der zur Aktivierung des Initialperiostes notwendige hormonale Stimulus beim weiblichen Tier nicht auftritt (KIrRDORF 1985). Der Beginn der Stirnfortsatzbildung ist beim weiblichen Reh zeittich nicht festgelegt. Die Bildungstendenzen des Initialperiostes k6nnen l~ingere Zeit ruhen, bleiben abet trotzdem aktivierbar. Von einer starken Betonung der Stirnbeinleiste gibt es alle Ober- U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0044-2887/89/3502-0130 $ 02.50/0

Durch unspezifische lokale Periostaktivierung provozierte Bildung eines knöchernen Stirnfortsatzes bei einem weiblichen Reh (Capreolus capreolus L.)

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Z. Jagdwiss. 35 (1989), 130-136 © 1989 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887

Durch unspezifische lokale Periostaktivierung provozierte Bildung eines kn6chernen Stirnfortsatzes bei einem weiblichen

Reh ( Capreolus capreolus L.) Von H. HARTWIG, J. SCHRUDDE, H. KIERDORF U. U. KIERDORF, K61n

1 Einleitung

Die Regel, daf~ bei den geweihtragenden Cerviden Stirnauswiichse nur von den m~innlichen Tieren gebildet werden, gilt nicht uneingeschriinkt. So tragen z. B. beim Ren (Rangifer tarandus) auch die Weibchen ein Geweih, und beim Reh (Capreolus capreolus) treten sehr viel h~iufiger als bei anderen Cervidenarten genetisch weibliche Tiere mit kn6chernen Stirnauswfichsen (,,geh6rnte Ricken") auf.

2 Bedingungen ffir die Bildung der prim~iren Stirnauswiichse bei m~nnlichen Cerviden

Experimentelle Untersuchungen an Rehen (HARTXVIO U. SC~tRUDDE 1974) und an Damhir- schen (Goss u. POXVEL 1985) haben gezeigt, daft die Initiative zur Bildung der primiiren Stirnbeinapophysen von Periostareaten mit spezifischen Bildungstendenzen ausgeht. Die- ses ,,Initialperiost" liegt dort bereit, wo sich w~ihrend der Normogenese die kn6chernen Stirnbeinauswfichse bilden. Wird es vor Beginn der Stirnfortsatzbildung experimentell ausgeschaltet, dann bleibt das betreffende Versuchstier zeitlebens geweihlos. Verpflanzung des Initialperiostes an andere Stellen des K6rpers fiihrt (auch auf~erhalb des Kopfbereiches) zur Entstehung heterotoper Geweihstrukturen (HA~TXVI¢ u. SCHRUDD~ 1974, GOSS u. POWEL 1985).

Die Aktivierung des beim jungen m~innlichen Kitz zun~ichst noch ruhenden Initial- periostes erfolgt durch einen von den Hoden ausgehenden Testosteronimpuls. Entfernt man die Keimdrfise, bevor diese Aktivierung stattgefunden hat (Friihkastration), dann bleibt das betreffende Versuchstier zeitlebens geweihlos.

3 Voraussetzungen ffir die Bildung von Stirnauswiichsen beim weiblichen Reh

3.1 Der spezifische Reiz

Da weibliche Rehe, wie das Auftreten ,geh6rnter Ricken" zeigt, potentielle Geh6rnbild- ner sind, ist anzunehmen, dal~ bei ihnen, ebenso wie beim Bockkitz, ein Initialperiost mit entsprechenden Bildungstendenzen bereitliegt. Normalerweise unterbleibt jedoch bei der Ricke die Ausbildung von Stirnforts~itzen, well der zur Aktivierung des Initialperiostes notwendige hormonale Stimulus beim weiblichen Tier nicht auftritt (KIrRDORF 1985).

Der Beginn der Stirnfortsatzbildung ist beim weiblichen Reh zeittich nicht festgelegt. Die Bildungstendenzen des Initialperiostes k6nnen l~ingere Zeit ruhen, bleiben abet trotzdem aktivierbar. Von einer starken Betonung der Stirnbeinleiste gibt es alle Ober-

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0044-2887/89/3502-0130 $ 02.50/0

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g~inge zu knopf- bis zapfenf6rmigen, von normal behaarter Stirnhaut bedeckten Knochen- gebilden, bis hin zu den als ,,Rickenperficken" bekannten, in der Regel pilzhutf6rmigen, einem Rosenstock aufsitzenden Geweihstrukturen, die von Dauerbast bedeckt sind und weder gefegt noch abgeworfen werden (vgl. dazu auch KIERDORF U. KIERDORF 1985). Die Ausbildung mehr oder weniger typischer Stangen kommt bei der Ricke ebenfalls vor, ist abet sehr viel seltener.

Als Ursache der Stirnauswuchsbildung bei normalerweise geweihlosen weiblichen Cerviden ist in den meisten F~illen eine Verschiebung des geschlechtstypischen Verh~ittnis- ses zwischen weiblichen und m~innlichen Sexualhormonen zugunsten der Androgene anzusehen. Diese Ver~inderung kann auf altersbedingten Umstellungen des Hormonhaus- haltes beruhen, in seltenen F~illen aber auch Folge der Entwicklung androgenproduzieren- der Tumoren des Eierstockes (WuRSTER U. Mitarb. 1983) bzw. der Nebennierenrinde (DouTT U. DONALDSON 1959) sein.

Experimentell konnte eine Aktivierung des Initialperiostes weiblicher Cerviden durch Applikation hoher Testosterondosen (z. T. nach vorangegangener Ovarektomie) von WISLOCKI u. Mitarb. (1947) und JACZEXVSKI (1983) bzw. durch Verabreichung eines Anti- Ostrogens (BuBENIK U. BU~ENIK 1978) ausgel6st werden.

MIERAU (1972) untersuchte ein geweihtragendes fertiles Maultierhirsch-Alttier (Odo- coileus h. hemionus), dessen Wildkalb ebenfalls Stirnauswfichse aufwies. Bei der Autopsie des Alttieres wurden keine pathotogischen Ver~inderungen des Genitaltraktes, der Neben- nieren und der Hypophyse festgestellt. Der Karyotyp des Individuums erwies sich als normal weiblich. Aufgrund der geschilderten Befunde gelangte MIERAU (1972) ZU der Vermutung, daf~ der Geweihbildung in diesem Fall eine (erbliche) IJberempfindlichkeit des reagierenden Gewebes (tnitialperiost) gegen/.iber der im Blut weiblicher Cerviden physio- logischerweise vorhandenen (geringen) Testosteronkonzentration zugrunde lag.

Nach den vorstehenden Ausffihrungen darf die Testosteroneinwirkung als der ad~iquate (spezifische) Reiz ffir die Aktivierung des Initialperiostes sowohl bei m~innlichen wie bei weiblichen Cerviden betrachtet werden.

3.2 Der unspezifische Reiz

Ffir die Vorstellung, daf~ eine Akfivierung der determinierten Periostareale auch durch einen unspezifischen Reiz m6glich ist, spricht ein im Naturhistorischen Museum der Stadt Braunschweig aufbewahrter Rickensch~idel mit einseitiger Stangenbitdung. Das Geschfecht des in menschlicher Obhut gehaltenen Tieres ist durch tier~irztliche Obduktion gesichert.

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3

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132 H. Hartwig, J. Schrudde, H. Kierdorf und U. Kierdorf

Der in der Literatur mehrfach beschriebene und abgebildete Sch~del (BLASIUS 1902, 1903, V. Ft~ANKENBERG 1933, HARTWIG 1985, KIERDORF t985) tr~igt auf der rechten Stirnseite eine ca. 11 cm lange, gegabelte Geh6rnstange ohne Rose (Abb. 1), die beim lebenden Tier von Dauerbast bedeckt war. Der Basis des Stirnbeinauswuchses lest eingefiigt finder sich ein dreikantiger, vom Knochen teilweise iiberwaehsener Glassplitter (Abb. 2, Pfeil). Auf dem linken Frontale ist nur eine deutlich ausgebildete Stirnbeinleiste (Abb. 3, Pfeil), aber kein Knochenauswuchs zu erkennen.

Schon BLASlUS (1902, 1903) ~iul~ert die Ansicht, dat~ fiir die einseitige Ausbildung der Geweihstange eine durch das Eindringen des Glassplitters in den Sch~idelknochen hervor- gerufene Reizung der Knochenhaut verantwortlich sei.

Eine ebenfalls einseitige, durch traumatische Periostreizung hervorgerufene Stangenbil- dung bei einem weiblichen Weigwedelhirsch (Odocoileus virginianus) wird von BUBENIK et al. (I982) mitgeteilt, ohne dag von den Autoren weitergehende Angaben gemacht werden.

4 Das Exper iment

Im Zusammenhang mit Experimenten, die die Voraussetzungen f/.ir die Bildung der prim~iren Stirnauswiichse beim Reh ki~iren soltten (HARXWlC u. SCHRUDDE 1974), wurde bei einem weiblichen Kitz, das noch nicht das Alter erreicht hatte, in dem sich beim Bockkitz die prim~iren Stirnauswiichse zu bilden beginnen, auf der linken Stirnseite von medio-occipital in naso-lateraler Richtung ein Stfick (gewebsvertriigliche) Platinfolie zwi- schen Initialperiost und Stirnbein geschoben. Das Initialperiost der rechten Stirnseite wurde auf das Kanonenbein (Metacarpale 3 u, 4) des tinken Vorderlaufes verpflanzt (zur

i

Abb. 4 Abb. 5

Operationstechnik vgl. HARTWlG U. SCHRUDDE 1974). Vierzehn Tage nach diesem Eingriff wurde deutlich, datg sich sowohl auf der linken Stirnseite (Abb. 4, Pfeil) als auch am Kanonenbein des linken Vorderlaufes (Abb. 5, Pfeil) ein yon normal behaarter Haut bedeckter KnochenbuckeI gebildet hatte.

In den zweieinhalb Jahren, die das Versuchstier nach der Operation noch lebte, trat an den Knochenforts~itzen keine wesentliche, ~iuf~erlich sichtbare Ver~nderung auf. Die

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Bildung eines knSchernen Stirnfortsatzes bei einem Reh 133

Abbildungen 6, 7 u. 8 zeigen den Sch~idel des Versuchstieres mit einem Knochenzapfen im Bereich der linken Stirnbeinleiste. Wie aus den Abbildungen deutlich wird, handelt es sich um eine auf die Platinfolie aufgelagerte Knochenbildung, die rostral und lateral kontinu- ierlich in das Frontale/ibergeht, w~ihrend sie medial iiber zungenf6rmig gestaltete Kno- chenbriicken (Abb. 8, Pfeile) mit dem Stirnbein in Verbindung steht. Occipitalw~irts erstrecken sich einige flache Knochenbl~ittchen auf die Platinfolie, erreichen deren Occipi- talrand jedoch nicht (Abb. 7).

Abb. 6 Abb. 7

Abb. 8 Abb. 9

Im R6ntgenbild (Abb. 9) liif~t der Knochenzapfen zwei Abschnitte unterschiedlicher Dichte (Mineralisation) erkennen: einen distalen, weniger mineralisierten und einen proxi- malen, st~irker mineralisierten Teii. Die beiden Abschnitte sind durch eine scharfe Tren- nungslinie (Abb. 9, Pfeil) gegeneinander abgesetzt. Die Frage, ob der proximale (stark mineralisierte) dem Rosenstock und der distate (weniger mineralisierte) Teil dem ,,Prim~ir- knopf (oder -spielS)" entspricht, kann nur zur Diskussion gestelit werden.

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134 H. Hartwig, J. Schrudde, H. Kierdorf und U. Kierdorf

5 Diskussion

Es darf angenommen werden, dai~ der eingeschobene Fremdk6rper im Zusammenhang mit den operationsbedingten Irritationen eine Reizsituation geschaffen hat, die zu einer Aktivierung des Initialperiostes und damit zur Bildung des Knochenzapfens f(ihrte. Die Bedingungskonstellationen bei unserem Experiment sind ~ihnlich wie die bei dem Braun- schweiger Rickensch~idel, nur wurde das Einlegen der Platinfolie unter sterilen Bedingun- gen durchgefiihrt, und nichts spricht bei unserem Experiment daf~ir, daf~ sich die Apo- physe im Zusammenhang mit einer Knochenhautentz/indung gebildet hat. Warum im hier beschriebenen Fall der Knochenzapfen sein Wachstum sehr bald eingestellt hat, w~ihrend bei dem Braunschweiger Sch~idel eine 11 cm lange gegabelte Stange gebildet wurde, bleibt ungekl~irt.

JACZEWSKI (1983) konnte durch Traumatisierung von rosenstockartigen Knochenzap- fen, die nach Testosterongabe im Stirnbeinleistenbereich weiblichen Rotwildes (Cervus elaphus) entstanden waren, die Bildung typischer Geweihstrukturen hervorrufen. Es ist anzunehmen, dat~ der hier beim Reh beschriebene Knochenzapfen unter iihnlichen experi- mentellen Bedingungen, d. h. nach Schaffung eines Regenerationsblastems und bei ent- sprechenden hormonalen Voraussetzungen ebenfalls weitergewachsen wiire.

Das Vorhandensein eines eine Dauerirritation bewirkenden Fremdk6rpers (Gtassplit- ter, Platinfolie) scheint keine unbedingte Voraussetzung fiir die Aktivierung des Initial- periostes zu sein. Die Apophysenbildung am Vorderlauf zeigt, daf~ der experimentelle Eingriff, die heterotope Periostverlagerung, allein schon geniigt, um die osteogenen Tendenzen des transplantierten Materials zu wecken.

Diese durch unspezifische Reize bewirkte Aktivierung eines Entwicklungsvorganges stellt keinen Einzelfall in der Biologie dar. Au~ der grof~en AnzahI ~ihnlich gelagerter F~ille sei nur an die Aktivierung der ruhenden Eizelle (durch Anstich, Temperaturschock, Einwirkung von Chemikalien u, a.) erinnert oder an die durch ,,subletale Sch~idigung" bewirkte neurale Differenzierung yon pr~isumptivem Ektoderm (ein Vorgang, der am Amphibienkeim eingehend untersucht ist).

Auch aus der Sinnesphysiologie sind Beispiete daf/~r bekannt, daft inad~iquate (unspezi- fische) Reize Sinnesorgane zu der fiir das betreffende Organ typischen Reaktion veranlas- sen. In allen diesen Fiillen 16st der unspezifische Reiz ,,eine Kettenreaktion aus, deren Endeffekt von den Funktionseigenschaften der aktivierten Strukturen und nicht vonder Natur der Initialziindung abh~ingt" (DELGADO 1967, 152).

Zusammenfassung Die bei einem weiblichen Rehkitz vorgenommene Einfiihrung eines St~ickchens Platinfolie zwischen Initia|periost und Knochen im Bereich der Stirnbeinleiste hatte die Biidung eines Knochenzapfens zur Folge. Auch die Verpflanzung von Stirnbeinleisten-(Initial-)Periost auf das Kanonenbein (Vorderlauf- knochen) fiihrte zur Bildung eines Knochenbuckels.

Das Ergebnis unseres Experimentes weist in die gleiche Richtung wie der Befund an einem Rickenschiidel, bei dem ein in die Stirnbeinleiste eingedrungener Glassplitter einseitig die Bildung einer gegabelten Geh6rnstange verursacht hat.

Die FeststeUungen sprechen ~ibereinstimmend darer, dab auch beim weiblichen Reh (wie beim m~nn|ichen) im Bereich der Stirnbeinleisten ein zu besonderen Entwicklungsleistungen bef~ihigtes Periost (Initialperiost) bereitliegt, das nicht nur durch den spezifischen (Testosteron-)Reiz, sondern auch durch unspezifische Reize aktivierbar ist.

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S u m m a r y

The formation of a bonyprotuberance on the skull of a female roe deer (Capreolus capreolus L.) due to unspecific local stimulation of the frontal-crest periosteum

The introduction of a piece of platinum foil between the periosteum and the frontal bone of a female fawn stimulated the formation of a bony protuberance. The transplantation of frontal bone (initial-) periosteum onto the front leg bone (metacarpus) also provoked the formation of a bony outgrowth.

The results of our experiment parallel the observation on a roe-doe skull in which an embedded glass splinter caused the unilateral formation of a forked beam.

The observations lead to the conclusion, that in the region of the frontal-crests female deer as well as male deer are provided with a frontal bone (initial-) periosteum endowed with special developmen- tal tendencies, which are not only activated by specific (testosterone) stimuli, but also by unspecific stimuli.

R&um~

Formation provoqude d'une apophyse frontaIe osseuse chez un chevreuil femetIe (Capreolus capreolus L.) par activation locale non spdcifique du p&ioste

L'introduction, pratiqu& chez un chevreuil femelle juv6nile, d'une lamelle de platine entre le p&ioste initial et l'os au niveau de la saillie de l'os frontal a eu pour effet le d~veloppement d'un pivot osseux. De m~me, Ia transplantation du p&ioste initial de la saillie de i'os frontal sur t'os canon ant&ieur engendre la formation d'une gibbosit~ osseuse.

Le r&ultat de notre exp&ience va dans le m~me sens que l'observation fake sur un cr~ne de chevreuil femelle sur lequel l'introduction d'un &lat de verre dans la saillie frontale provoqua la formation d'une perche fourchue.

On constate de faqon concordante que chez Ie chevreuil femelle (aussi bien que chez le chevreuil m~le) il existe, au niveau de la saillie frontale, une aptitude particuli~re du p&ioste initial dont l'activation peut &re provoqu~e non seulement par une stimulation sp&ifique de la testosterone mais aussi par une stimulation non-sp&ifique. Trad.: S.A. D~ CROMBRUGGHE

Li t e ra tu r

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136 H. Hartwig, ]. Schrudde, H. Kierdorf und U. Kierdorf

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