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EberhardSchweda - ciando eBooks · Anorganische Chemie I Einführung und Qualitative Analyse 17.,völligneubearbeiteteAuflage Mit203Abbildungen,21Formelnund79Tabellen undPoster„Taschenfalter

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Eberhard SchwedaJander / Blasius

Anorganische Chemie I

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Eberhard Schweda

Jander / BlasiusAnorganischeChemie IEinführung und Qualitative Analyse

17., völlig neu bearbeitete Auflage

Mit 203 Abbildungen, 21 Formeln und 79 Tabellenund Poster „Taschenfalter“

Hirzel

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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Eberhard SchwedaInstitut für Anorganische ChemieEberhard-Karls-UniversitätAuf der Morgenstelle 1872076 Tübingen

Alle Angaben in diesem Werk wurden sorgfältig geprüft.Dennoch können Autor und Verlag keine Gewähr für deren Richtigkeit geben.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Vorauflagen dieses Buches erschienen unter dem Titel„Jander/Blasius: Lehrbuch der analytischen und präparativen anorganischen Chemie“.

17., völlig neu bearbeitete AuflageISBN 978-3-7776-2134-0

Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, auch wenn ein Hinweis auf etwabestehende Schutzrechte fehlt. Patentrechtliche Einschränkungen sind zu beachten.

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Nachdruck,Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung inDatenverarbeitungsanlagen.

© 2012 S. Hirzel VerlagBirkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgartwww.hirzel.de

Printed in GermanyLayout: deblik, BerlinSatz: le-tex publishing services GmbH, LeipzigDruck & Bindung: Kösel, KrugzellUmschlaggestaltung: deblik, BerlinUmschlagabbildung: © Pilipipa – Fotolia.com

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V

Vorwort

Für die vorliegende . Auflage des bisherigen „Lehrbuchs der analytischen und präpara-tiven anorganischen Chemie“ – quasi zum . Jahrestag –, wurde das „Jander/Blasius“-Gesamtwerk neu gegliedert, um den sich ständig verändernden Anforderungen im Studi-um gerecht zu werden.Nach derUmstrukturierung und -gruppierung der Kapitel ergebensich nun zwei Lehrbücher für die anorganisch-chemischen Grundpraktika: Eines für denqualitativen Teil (Anorganische Chemie I) und eines für den quantitativen Teil (Anorgani-sche Chemie II) der Ausbildung. Beide Bücher wurden nun auch erstmals in einem neuen,vierfarbigen Layout gedruckt.

Die „Anorganische Chemie I“ behandelt das für das Verständnis der Praktikumsver-suche wichtige Basiswissen der Allgemeinen Chemie. Ferner sind hier die Praktikums-versuche für das qualitative Praktikum beschrieben. Gegenüber früheren Auflagen sindalle Nachweise im Kapitel des jeweiligen Elements zu finden, ebenso wie die Nachweisemit den organischen Spezialreagenzien und die Bildtafeln der Mikrokristalle. Die Tren-nungsgänge werden bewährt ausführlich beschrieben und sind in einem neu gestaltetenFaltposter zusammengefasst. Der bewährte Aufbau des „Jander/Blasius“ bei den Experi-menten ist erhalten geblieben – in kurzen Absätzen wird über Vorkommen, Darstellung,BedeutungundAllgemeine Eigenschaftendes jeweiligenElements bzw. des jeweiligen Ionsinformiert. Für den Studenten ist sicher auch das am Seitenrand angebrachte Griffregisterhilfreich, welches das schnelle Auffinden entsprechender Nachweise erleichtert.

Abbildungen und Formeln wurden modernisiert und neu gestaltet. Die Auflage wurdeebenfalls nach den in der REACH- und CLP-Verordnung geltenden Kennzeichnungenfür Gefahrstoffe aktualisiert. Für weiterführende Tabellenwerke, etwa der H- und P-Sätzezur Gefahrstoffkennzeichnung, sind Internet-Quellen angegeben. Für die „Erste Hilfe beiUnfällen“ sei auf die in jedem Praktikum ausliegenden Poster und Schriftsätze der Unfall-versicherer hingewiesen.

Sehr herzlich danke ich den Lesern für Hinweise auf Fehler und Unstimmigkeiten,die mich nach dem Erscheinen der . Auflage erreicht haben. Mein spezieller Dank giltposthum Herrn Prof. Dr. Dr. Joachim Strähle, der dieses Lehrbuch Jahre mit Begeiste-rung begleitet hat. Ihm war es immer wichtig, den Studierenden die Lehrinhalte in einemgrößeren Zusammenhang zu erschließen.

Der Dank für die Bearbeitung dieser Auflage gilt auch Frau Dr. Gabriele Lauser für dieModernisierung der Sprache und die notwendigenKorrekturen sowiemeiner Frau,Dr. Su-sanne Dieterich für die Neuanfertigung der Formelzeichnungen. Extra erwähnt werdenmuss die vorbildliche Zusammenarbeit mit dem Verlag, insbesondere mit Herrn Dr. TimKersebohm, der zur Neugliederung ermutigte und für Satz und Druck die notwendigenVoraussetzungen schuf, damit das nunmehrfarbig gedruckteWerk in seiner neuen, klarenGliederung ein hilfreicher Begleiter für Studenten durch die verschiedenen naturwissen-schaftlichen Bachelor- und Diplom-Studiengänge ist.

Tübingen, im Herbst Eberhard Schweda

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VI

Zur Geschichte des „Jander/Blasius“

Die Erstauflagen beider Lehrbücher unter diesem Namen wurden von Prof. Dr. GerhartJander und Dr. Hildegard Wendt herausgegeben.

Die ,,Einführung in das anorganisch-chemische Praktikum“ () war von den Auto-ren vor allem für die praktische Ausbildung der Studenten des Lehramts mit Chemie alsHaupt- oder Nebenfach sowie für Studenten naturwissenschaftlicher Fächer konzipiert.Sie umfasste von Anfang an neben einigen theoretischen Grundlagen die qualitative unddie quantitative Analyse sowie Vorschriften für das präparative Arbeiten und entwickeltesich sehr schnell zu einem Standardwerk für die praktische Ausbildung, das in der Folgeauch an den Fachhochschulen benutzt wurde.

ergänzten die Autoren die blaue ,,Einführung“ durch ein rotes ,,Lehrbuchder analy-tischen und präparativen Chemie“, das sich an Studenten des Diplomstudiengangs Chemiewandte und dementsprechend einen umfangreicheren Teil über die theoretischen Grund-lagen enthielt.

Aufgrund seines Todes im Dezember konnte Prof. Jander die ./. Auflage der,,Einführung“ nicht mehr fertig stellen. Sie wurde von Prof. Dr. Ewald Blasius und seinenMitarbeitern übernommen und erschien . Frau Dr. Wendt war zu diesem Zeitpunktaufgrund anderweitiger Verpflichtungen aus dem Autorenteam ausgeschieden. Prof. Bla-sius hat die ,,Einführung“ in den folgenden Jahren mehrfach überarbeitet und ergänzt. Sowurden beispielsweise elektroanalytische Methoden und die quantitative Analyse tech-nischer Produkte sowie neu entwickelte Titrationen und die Gaschromatographie neuaufgenommen.

Während der deutschen Teilung wurde der ,,Jander/Blasius“ auch am Ort des Stamm-hauses des unter staatlicher Verwaltung stehenden Hirzel Verlags Leipzig gedruckt undgelangte über vielfältige Kanäle, meistens von Buchhandlungen in der Tschechoslowakei,als Schmuggelware in den Westen. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden derLeipziger und der StuttgarterVerlagwieder zusammengeführt, und so blieb die . Auflagedie letzte mit einem unterschiedlichen Ost-West-Erscheinungsbild.

Mitten in der Neubearbeitung eben dieser . Auflage des Lehrbuchs starb überra-schend Prof. Blasius imAugust . Die Autorenschaft wurde dann ab der . Auflage vonProf. Dr. Dr. Joachim Strähle und Prof. Dr. Eberhard Schweda (Anorganisch-chemischesInstitut der Universität Tübingen) übernommen.

In der Folgezeit änderte sich dieWahrnehmung der Chemie innerhalb der Gesellschaft,und in den Chemiepraktika richtete sich der Fokus darauf, Reaktionen auch unter Um-weltgesichtspunkten zu sehen und noch stärker auf giftige oder umweltbelastende Kon-zentrationen der Stoffe hinzuweisen. Diese Sichtweise wurde auch bei den Neuauflagendes ,,Jander/Blasius“ berücksichtigt und entsprechende Verbindungen durch Gefahrstoff-symbole gekennzeichnet.

Beide Bände wurden im Laufe ihrer -jährigen Geschichte ständig aktualisiert, er-gänzt und erweitert. Die Wissenschaft Chemie hat in diesen Jahrzehnten bahnbrechendeFortschritte gemacht, welche natürlich stetig in die Neubearbeitungen beider Bücher miteingeflossen sind.

Nach mehr als Jahren unter der Leitung von Herrn Prof. Strähle, der verstarb,gilt der ,,Jander/Blasius“ als Standardwerk für die Ausbildung in chemischen Praktika anHochschulen.

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Inhaltsverzeichnis VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Zur Geschichte des „Jander/Blasius“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI

1 Einführung in die allgemeine Chemie . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Chemische Grundgesetze – Historischer Rückblick . . . . . . . . 1

1.2 Aufbau der Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2.1 Atommodell nach Rutherford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2.2 Aufbau der Elektronenhülle der Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.3 Das Periodensystem der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.3.1 Allgemeine Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.3.2 Periodizität der Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.4 Chemische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.4.1 Ionenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.4.3 Die Metallbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

1.4.4 Übergänge zwischen den Bindungstypen . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.4.5 Van der Waals-Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre . . . . . . . . 34

1.5.1 Struktur des Wassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

1.5.2 Dielektrizitätskonstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

1.5.3 Wasser als Lösemittel: Elektrolytische Dissoziation . . . . . . . . . . 35

1.5.4 Elektrolytlösungen – Ionenreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

1.5.5 Ionenwanderung im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

1.5.6 Konzentration von Lösungen – Stoffmengenkonzentration,Äquivalentkonzentration und Molalität . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1.5.7 Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung . . . . . . . 37

1.5.8 Löslichkeit und Kristallwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

1.5.9 Löslichkeit und chemische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz . . . . . . . 45

1.6.1 Massenwirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

1.6.2 Veränderung der Gleichgewichtslage: Das Prinzip von Le Chatelier 47

1.6.3 Heterogene Gleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.6.4 Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.6.5 Massenwirkungsgesetz und Ionenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

1.6.6 Nernst’sches Verteilungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

1.7 Säuren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

1.7.1 Definition nach Brønsted . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

1.7.2 Definition nach Lewis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

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VIII Inhaltsverzeichnis

1.7.3 Schwache Säuren und Basen: Säurekonstante, Basenkonstante . . 57

1.7.4 Wasserstoffionenkonzentration und pH-Wert . . . . . . . . . . . . . 58

1.7.5 pK-Werte von Säuren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

1.7.6 pH-Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

1.7.7 Hydrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

1.7.8 Pufferlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

1.7.9 Ausgewählte Säuren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte 74

1.8.1 Das Löslichkeitsprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

1.8.2 Molare Löslichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

1.8.3 Fällung schwer löslicher Elektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

1.8.4 Löslichkeit in Abhängigkeit von Fremdionen . . . . . . . . . . . . . 84

1.8.5 Auflösung schwer löslicher Elektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

1.9 Oxidation und Reduktion – Elektrochemie . . . . . . . . . . . . . 86

1.9.1 Oxidation und Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

1.9.2 Redoxpotenziale und Spannungsreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

1.9.3 Elektrochemische Abscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

1.10 Stöchiometrie und Wertigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 95

1.10.1 Stöchiometrisches Rechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

1.10.2 Der Wertigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

1.10.3 Beständigkeit der Oxidationsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

1.11 Komplexchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

1.11.1 Eigenschaften von Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

1.11.2 Aufbau der Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

1.11.3 Bildung und Stabilität der Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

1.11.4 Chemische Bindung in Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

1.12 Chemie der Chelatliganden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

1.12.1 Komplexliganden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

1.12.2 Farblacke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

1.12.3 Bildung von Oxidations- bzw. Reduktionsprodukten . . . . . . . . 130

1.12.4 Bildung normaler schwer löslicher Salze . . . . . . . . . . . . . . . . 132

1.13 Kolloidchemie und Chemie an Grenzflächen . . . . . . . . . . . 133

1.13.1 Größe und Oberfläche der Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

1.13.2 Bildung und Herstellung von Kolloidlösungen . . . . . . . . . . . . 134

1.13.3 Stabilität kolloiddisperser Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

1.13.4 Koagulation und Peptisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

1.13.5 Alterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

1.13.6 Verunreinigung der Niederschläge durch Mitfällung . . . . . . . . . 137

1.13.7 Praktische Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

1.14 Nomenklatur anorganischer Verbindungen . . . . . . . . . . . . 141

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Inhaltsverzeichnis IX

2 Analytische Chemie, Qualitative Analyse . . . . . . . . . . . 149

2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

2.1.1 Allgemeine Arbeitsregeln im Labor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

2.1.2 Geräte und Arbeitstechniken der Halbmikroanalyse . . . . . . . . . 151

2.1.3 Papierchromatographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

2.1.4 Grenzkonzentration und Erfassungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . 167

2.2 Nichtmetalle und ihre Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . 168

2.2.1 Wasserstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

2.2.2 Elemente der 7. Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

2.2.3 Elemente der 6. Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

2.2.4 Elemente der 5. Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

2.2.5 Elemente der 4. Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

2.2.6 Elemente der 3. Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

2.3 Metalle und ihre Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

2.3.1 Lösliche Gruppe (1. Hauptgruppe des PSE) . . . . . . . . . . . . . . . 281

2.3.2 Ammoniumcarbonat-Gruppe (2. Hauptgruppe des PSE) . . . . . . 304

2.3.3 Ammoniumsulfid-Urotropin-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

2.3.4 Schwefelwasserstoff-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

2.3.5 Reduktionsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

2.3.6 Salzsäure-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

3 Systematischer Gang der Analyse – Trennungsgänge . . 445

3.1 Vorproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

3.1.1 Spektralanalyse bzw. Flammenfärbung . . . . . . . . . . . . . . . . 446

3.1.2 Lötrohrreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

3.1.3 Phosphorsalz- und Boraxperle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

3.1.4 Weitere Vorproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452

3.2 Lösen und Aufschließen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

3.3 Aufschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

3.3.1 Soda-Pottasche-Aufschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

3.3.2 Saurer Aufschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

3.3.3 Oxidationsschmelze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

3.3.4 Freiberger Aufschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

3.4 Allgemeiner Kationentrennungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . 459

3.4.1 Die Säureschwerlösliche und die Salzsäure-Gruppe . . . . . . . . . 459

3.4.2 Die Reduktionsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

3.4.3 Behandlung von Gold-, Silber- und Platin-Spuren in einem Erzoder in einem unedlen Metall nach dem Kupellationsverfahren . 464

3.4.4 Die H2S-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

3.4.5 (NH4)2S-Gruppe: Ni(II), Mn(II), Co(II), Zn(II) und Fe(II) . . . . . . . . 505

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X Inhaltsverzeichnis

3.4.6 Die (NH4)2CO3-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

3.4.7 Die Lösliche Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

3.5 Nachweis der Anionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513

3.5.1 Die häufigsten Anionen und ihr Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . 513

3.5.2 Nachweis aller Anionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514

4 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

4.1 Umgang mit gefährlichen Stoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

4.1.1 Einstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

4.1.2 Kennzeichnung und Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

4.1.3 Arbeitsplatzgrenzwerte TRGS 900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534

4.1.4 Betriebsanweisung und Information der Beschäftigten, TRGS 555 535

4.2 Entsorgung von Laborabfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537

4.2.1 Hinweise auf besondere Entsorgungsmaßnahmen . . . . . . . . . . 537

4.3 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

4.4 Verzeichnis der Zeichen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . 552

4.5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573

Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

Spektraltafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

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1

1

1 Einführung in die allgemeine Chemie

1.1 Chemische Grundgesetze – Historischer Rückblick

Als der russischeGelehrteM.Lomonossow (–) unddann der französischeChemiker A.L. Lavoisier (–) bei ihren Untersuchungen über die Verbrennungdie Vorgänge mit der Waage quantitativ verfolgten, trat in der Chemie die messende undquantitative Fragestellung in denVordergrund. Lomonossow und Lavoisier entdeckten un-abhängig voneinander das Gesetz von der Erhaltung der Masse ().

⊡ MERKE Bei allen chemischen Umsetzungen bleibt die Gesamtmasse der Reaktionsteilneh-mer erhalten.

Aufgrund des Massen-Energie-Äquivalenz-Gesetzes: E = m ⋅ c2 von Albert Einstein(–) weiß man heute, dass das vorstehende Gesetz nur ein Grenzfall desallgemeinen Prinzips von der Erhaltung der Energie ist.

Durch Zusammenfassung zahlreicher quantitativer Untersuchungsergebnisse for-mulierte dann Ende des . Jahrhunderts der französische Chemiker Joseph-LouisProust (–) das erste chemische Grundgesetz, das Gesetz von den konstantenProportionen ().

⊡ MERKE Zwei oder mehrere Elemente treten in einer Verbindung stets in einem konstantenGewichtsverhältnis zusammen.

Das zweite chemische Grundgesetz, das Gesetz von den multiplen Proportionen ()von John Dalton (–), stellt eine Erweiterung des ersten dar. Es berücksichtigt dieMöglichkeit, dass zwei Elementemehrere verschiedeneVerbindungen miteinander bildenkönnen. fassteDalton diese Gesetze zu seinerAtomhypothese zusammen.

⊡ MERKE Bilden zwei Elemente mehrere Verbindungen miteinander, so stehen die Ge-wichtsverhältnisse, die die Elemente in den einzelnen Verbindungenmiteinander bilden,im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen.

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2 1.1 Chemische Grundgesetze – Historischer Rückblick

⊡ MERKE Jede Materie ist aus kleinsten, nicht weiter zerlegbaren Teilchen aufgebaut, dieAtome genannt werden. Alle Atome eines chemischen Elements sind untereinandergleich. Atome verschiedener Elemente unterscheiden sich durch ihre Masse und Größe.Bei chemischen Reaktionen verbinden sich die Atome verschiedener Elemente in kleinen,ganzzahligen Verhältnissen zu Verbindungen, die entweder aus kleinen Einheiten – denMolekülen – oder ausgedehnten Verbänden wie z. B. den Salzen bestehen.

Der direkte Beweis der Atomhypothese ist heute u. a. durch die hochauflösende Elektro-nenmikroskopie möglich, derenAuflösung im Bereichder Atomdurchmesser liegt, sodassman bei geeigneter Blickrichtung die Projektion der Atompositionen in einem Kristallerkennen kann.

Die heute übliche Bezeichnung der Atome durch Buchstabensymbole und deren Kom-bination zu Verbindungsformeln, in denen die Atomverhältnisse durch Indizes wiederge-geben werden, geht auf J. J. Berzelius (–) zurück, der sie vorschlug.

Der Nachweis von Molekülen wurde bereits durch den italienischen PhysikerAmadeo Avogadro (–) erbracht. Er stellte aufgrund von Untersuchungen anGasen die nach ihm benannte Hypothese auf.

⊡ MERKE Gase bestehen aus Molekülen oder einzelnen Atomen. Gleiche Gasvoluminaenthalten bei gleichem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Teilchen.

Erst diese Erkenntnis gestattete das Aufstellen sinnvoller Formeln und Reaktionsgleichun-gen und damit auch die Ermittlung relativer Atommassen. Diese wurden zunächst aufden Wasserstoff als leichtestes Atom bezogen, dessen Masse gleich 1,0000 gesetzt wurde.Da Sauerstoffverbindungen häufiger als Wasserstoffverbindungen auftreten, wurde späterdie gleich 16,0000 gesetzteMasse des Sauerstoffs als Bezugsgröße gewählt. Heute beziehensichdie relativenAtommassen auf die gleich 12,0000 gesetzteMasse desKohlenstoffisotopsC (�Kap. .., S. ). Als Einheit für die Stoffmenge inGrammwurde dasMol eingeführt.

⊡ MERKE 1Mol ist diejenige Stoffmenge, die aus genauso vielen Teilchen besteht, wie Atomein 12,000g des Kohlenstoffnuklids 12C enthalten sind. Teilchen können dabei z. B. Atome,Moleküle, Ionen oder Elektronen sein.

Die zugehörige Anzahl Teilchen wird als Avogadro’sche Zahl oder auch als Loschmidt’-sche Zahl NA bezeichnet (NA = 6,022142 ± 0,000001 ⋅ 1023).

Die Vielzahl der entdeckten Elemente regte die Wissenschaftler an, nach Bezie-hungen zwischen den Elementen zu suchen. Das Endergebnis war die Aufstellung desPeriodensystems der Elemente durch Dimitri Mendelejeff (–) und Lothar Meyer(–) unabhängig voneinander im Jahr . Als Ordnungsprinzip diente dierelative Atommasse. Sie ordneten die Elemente nach steigender Atommasse in mehrereuntereinander stehende, als Perioden bezeichnete Reihen, sodass Elementemit ähnlichen

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1

1.2.1 Atommodell nach Rutherford 3

Eigenschaften in dazu senkrechten Spalten, denGruppen untereinander angeordnet sind(�Kap. .).

Beim Einordnen der Elemente nach der relativen Atommasse zeigte sich jedoch, dassin einigen Fällen Umstellungen notwendig wurden: Argon (39,948) und Kalium (39,098),Cobalt (58,93) und Nickel (58,69) sowie Tellur (127,60) und Iod (126,90) mussten auf-grund ihrer chemischen Eigenschaften ausgetauscht werden. Diese und andere Beobach-tungen wiesen darauf hin, dass die Atommasse kein eindeutiges Ordnungsprinzip dar-stellt.

Die Entdeckung der Ionisation verdünnter Gase im elektrischen Feld, wobei positivgeladene Teilchen (Kanalstrahlen, entdeckt durch Goldstein) und negativ geladeneTeilchen sehr kleiner Masse (Kathodenstrahlen entdeckt durch Plücker) entstehen,sowie vor allemdie Entdeckung der Radioaktivität (Henri Becquerel, ) führten zur An-nahme, dass Atome entgegen der Hypothese von Dalton nicht unteilbar sind. Die darauffolgenden Untersuchungen, die u. a. mit den Namen des Ehepaares Curie (Marie Curie–; Pierre Curie –) und Ernest Rutherford (–) verknüpft sind, er-gaben ein neues Bild vom Aufbau der Materie. So konnte z. B. Rutherford zeigen, dassα-Strahlen, die aus Heliumkernen bestehen, feste Materie sehr leicht durchdringen, wasauf erheblichen freienRaumhinwies.Dabeiwurde nur ein sehr kleinerTeil derHeliumker-ne stark aus der Flugrichtung abgelenkt. Vor allem auf Größe und Häufigkeit der starkenAblenkung gründete Rutherford das nach ihm benannte Atommodell.

1.2 Aufbau der Atome

1.2.1 Atommodell nach RutherfordRutherford konnte abschätzen, dass der Durchmesser der Atomkerne mit einer Größen-ordnung von etwa 10−14 m um Zehnerpotenzen kleiner ist als der Durchmesser derAtome mit etwa 10−10 m. Er erkannte außerdem in den Bestandteilen der Kanalstrahleneines mit verdünntem Wasserstoffgas gefüllten Kanalstrahlrohrs die H-Atomkerne unddamit die gesuchten Kernbestandteile mit positiver Elementarladung und nannte sie Pro-tonen.

⊡ MERKE Ein Atom besteht aus einem sehr kleinen, positiv geladenen Kern, der nahezudie gesamte Atommasse enthält, und aus einer Hülle aus negativ geladenen Elektronen,die den Kern umkreisen. Dabei ist die elektrostatische Anziehung zwischen Kern undElektronen mit der Zentrifugalkraft im Gleichgewicht. Jedes Elektron trägt eine negativeElementarladung. Im neutralen Atom entspricht die Anzahl der positiven Kernladungengenau der Anzahl der Elektronen.

Van den Broek vermutete , dass die Anzahl Protonen in einem Atomkern, d. h.die Kernladungszahl der Ordnungszahl des Elements im Periodensystem entspricht.Im selben Jahr gelang Henry Moseley (–) die experimentelle Bestimmung derKernladungszahlen aufgrund der charakteristischen Röntgenspektren der Elemente.Damit konnten die chemischen Elemente genauer definiert werden:

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4 1.2 Aufbau der Atome

⊡ MERKE Unter einem chemischen Element versteht man einen Stoff, dessen Atome diegleiche Kernladungszahl besitzen.

Das experimentell nachgewiesene Vorkommen verschieden schwerer Atome bei ein unddemselben Element (J. J. Thomson, –) und die im Vergleich zum Produkt ausKernladungszahl und Protonenmasse viel größere Atommasse erklärte manmit noch un-bekannten neutralen Elementarteilchen, die schließlich von Chadwick entdeckt undals Neutronen bezeichnet wurden.

⊡ MERKE Der Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen. Die Protonen weisen einepositive Elementarladung und ungefähr eine atomare Masseneinheit auf; die Neutronensind ungeladen und besitzen wie die Protonen ungefähr eine atomare Masseneinheit.Die Anzahl der Protonen im Kern entspricht der Ordnungszahl des Elements. Die AnzahlNeutronen kann bei den einzelnen Atomen eines Elements unterschiedlich sein. Atom-arten (Nuklide) eines Elements mit unterschiedlicher Anzahl Neutronen im Kern heißenIsotope. Die natürlichen Elemente stellen in vielen Fällen ein Isotopengemisch dar.

Die Tatsache, dass die relativen Atommassennicht ganzzahlig sind, erklärt sich u. a. durchdasAuftreten verschiedener Isotope. So ist der natürlicheKohlenstoff ein Isotopengemischaus ,% C und , % C. Hieraus ergibt sich die mittlere relative Atommasse von12,011. Der Fehler der mittleren Atommasse ist dabei abhängig von der Schwankungs-breite der relativen Isotopenhäufigkeit. Außerdem bedeutet der Energieumsatz bei derBildung der Atome durch Kernreaktionen nach der Einsteinschen Masse-Energie-Äqui-valenz E = m ⋅ c2 (�Kap. .) auch eine geringeMassenveränderung, sodass die Kernmassekein genaues ganzzahliges Vielfaches der Massen seiner Protonen und Neutronen seinkann.

1.2.2 Aufbau der Elektronenhülle der AtomeDas Bohr’sche Modell des WasserstoffatomsNach dem Rutherford’schen Atommodell (�Kap. ..) kreisen die Elektronen auf belie-bigen Bahnen um den positiv geladenenAtomkern. Die klassische Elektrodynamik besagtjedoch, dass eine bewegte elektrische Ladung, wie sie das Elektron darstellt, ständig elek-tromagnetische Strahlung emittiert und damit ständig Energie verliert. Ein Atom dürftesomit nicht stabil sein. Die Elektronen würden auf Spiralbahnen in den Kern stürzen.

Niels Bohr (–) überwand diese Probleme, indem er postulierte, dass für dieElektronen nur eine begrenzte Anzahl ausgewählter Kreisbahnen möglich ist, auf denender Umlauf strahlungslos, also ohne Energieverlust möglich ist.

Bohr legte seinen Annahmen die Planck’sche Quantentheorie zugrunde, die besagt,dass Wirkungsgrößen eines Naturvorgangs keinen beliebigen Wert annehmen können,sondern nur in ganzzahligen Vielfachen der kleinsten überhaupt beobachtbarenWirkung,demPlanck’schenWirkungsquantum h auftreten können. Entsprechend kann auch Ener-gie nur in Form von Energiequanten E = h ⋅ ν (mit ν = c/λ; c = Lichtgeschwindigkeit,λ =Wellenlänge) absorbiert oder abgestrahlt werden. Für die erlaubtenElektronenbahnenstellte Bohr zwei Postulate auf:

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1.2.2 Aufbau der Elektronenhülle der Atome 5

⊡ MERKE

1. Bohr’sches Postulat: Die Quantelung des Bahndrehimpulses:

m ⋅ υ ⋅ 2πr = n ⋅ h mit n = 1,2, 3, . . .Der Bahndrehimpulsm ⋅ υ ⋅ 2πr ist durch das Produkt aus Bahnradius r, Masse m undGeschwindigkeit υ des Elektrons gegeben. Er hat die Dimension einer Wirkung unddarf daher nur ganzzahlige Vielfache n des Wirkungsquantums h annehmen. n wirdals Hauptquantenzahl bezeichnet.

2. Bohr’sches Postulat: Die Frequenzbedingung:

ΔE = Em − En = h ⋅ ν mit m > nDie Kreisbahnen des Elektrons stellen stationäre Zustände dar, die jeweils einebestimmte Energie En besitzen. Die Kreisbahn mit der Quantenzahl n = 1 ist derenergieärmste Zustand, der Grundzustand. Durch Energieaufnahme kann das Atomin angeregte Zustände mit höherer Energie und n > 1 übergehen. Die angeregtenZustände sind jedoch nicht stabil. Das Atom fällt unter Abgabe der EnergiedifferenzΔE = Em − En in Form elektromagnetischer Strahlung wieder in den Grundzustandzurück.

Da nur bestimmte Elektronenbahnen und damit auch nur bestimmte konstante Energie-differenzen möglich sind, erklärt sich somit zwanglos das beobachtete Linienspektrumdes H-Atoms. Bohr gelang es mithilfe seiner Theorie, das Linienspektrum des H-Atomsgenau zu berechnen und sogar noch nicht bekannte Linienserien vorauszusagen, die dannauch tatsächlich andenberechnetenStellen gefundenwurden. EinNachteil des Bohr’schenModells ist jedoch, dass es nur für das H-Atom und einige wenige Ionen wie He+ undLi+ anwendbar ist. Bei Atomen oder Ionen, die mehr als ein Elektron enthalten, versagtes jedoch. Dennoch ist das Modell sehr anschaulich und es beinhaltet wichtige Aussagenüber die Elektronengeschwindigkeit υ, den Bahnradius r und die Energie der stationärenZustände, die als Termenergie bezeichnet wird. Aus den Differenzen zwischen den ver-schiedenen Termenergien können mit der Beziehung ΔE = h ⋅ ν die Frequenzwerte desLinienspektrums des H-Atoms berechnet werden. Wir wollen hier nicht alle zugehörigenBeziehungen ableiten, sondern nur einigewichtige Ergebnisse der Bohr’schenTheorie dar-legen.

Bahnradien und Größe des H-AtomsFür die erlaubten Bahnradien des H-Atoms errechnet sich nach dem Bohr’schen Modell:

rn = n2 ⋅ 0,529 ⋅ 10−10 mImGrundzustandmit n = 1 beträgt der Radius in guterÜbereinstimmungmit derVoraus-sage von Rutherford (�Kap. ..) r = 0,529 ⋅ 10−10 m. Bei den angeregten Zuständen neh-mendie Bahnradien bei steigender Energiemit n2 zu ( Abb. .). Hieraus folgt letztendlichdas Schalenmodell der Atome. Die einzelnen Schalen werden durch die Quantenzahlenn = 1, 2, 3 usw. oder auch durch die Buchstaben K, L, M usw. charakterisiert ( Abb. .).

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6 1.2 Aufbau der Atome

KL

M

N

Abb. 1.1 Schalenmodell des H-Atomsnach Bohr

Obwohl das Bohr’sche Modell auf Atome mit mehr als einem Elektron nicht exakt an-wendbar ist, kann man annehmen, dass auch die elektronenreicheren Atome einen scha-lenartigen Aufbau der Elektronenhülle aufweisen. Die einzelnen Schalen können dabeibis zu maximal 2 n2 Elektronen aufnehmen ( Tab. .). Abb. . zeigt den schematischenAufbau der Elemente Na bis Ar entsprechend dem Schalenmodell. Die Atome werdenin dieser Reihe kleiner, da die Kernladungszahl und damit die Anziehungskraft auf dieElektronen zunimmt.

Tab. 1.1 Maximale Besetzung der Elektronenschalen (Elektronenanordnung der Elementes. a. Tab. 1.2)

Anzahl der AtomorbitaleElektronen-

schaleHaupt-

quantenzahlNeben-

quantenzahl s p d f

MaximaleBesetzung 2n2

K 1 0 1 2

L 2 0, 1 1 3 8

M 3 0, 1, 2 1 3 5 18

N 4 0, 1, 2, 3 1 3 5 7 32

Na

Atomkern Elektron

M-SchaleL-Schale

K-Schale

Mg Al Si P S Cl Ar

Abb. 1.2 Schematische Darstellung des Atomaufbaus der Elemente Na bis Ar nach demSchalenmodell

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1.2.2 Aufbau der Elektronenhülle der Atome 7

n = ∞

Balmer-Serie

Lyman-Serie

656,

3

121,

57

91,1

75

364,

618

75,1

820,

4

4051

,2

1458

,474

00,0

2278

,8

Paschen-Serie

Bracket-Serie

Pfund-Serie

Hβ Hδ

Hγ Hε

n = 5n = 4n = 3

n = 2

n = 1

–0,9–1,5

–3,4

–13,6

0E/

eV

Abb. 1.3 Termschema desH-Atoms mit den erstenfünf Spektralserien. DieSeriengrenzen sind in nmangegeben.

Die TermenergieFür die Termenergie des H-Atoms ergibt sich:

En = − 1n2

⋅ 13,60 eVSie ändert sich mit 1

n2 . Im Grundzustand mit n = 1 hat das H-Atom eine Energie von−13,60 eV. DerWert ist negativ, da das Elektron bei der Annäherung an den Kern Energieverliert. Bei n = ∞ ist der Abstand des Elektrons vom Kern ebenfalls unendlich und dieTermenergie ist dann Null, d. h. das Elektron ist vom Kern völlig getrennt – das Atom istionisiert. Der Betrag der Termenergie im Grundzustand entspricht somit – in Überein-stimmung mit dem experimentellenWert – der Ionisierungsenergie des H-Atoms (auch�S. ). In Abb. . ist das Termschema des H-Atoms, aus dem auch die möglichenÜber-gänge ersichtlich sind, schematisch wiedergegeben.

Die Vorstellung der Elektronenbewegung auf genau vorgeschriebenen Bahnen, wie sieBohr postuliert hat, stimmt nur näherungsweise. Nach der Heisenberg’schen Unschärfe-relation (W.Heisenberg, –) lassen sichOrt und Impuls und damit auch bestimmteElektronenbahnennicht genau angeben. Dies wird verständlich, wennmandavon ausgeht,dass die Elektronen im AtomWellencharakter aufweisen.

Das OrbitalmodellEine wesentlich verfeinerte Beschreibung des Aufbaus der Elektronenhülle des H-Atomsgewinnt man, wenn man das Elektron des H-Atoms nicht als Teilchen ansieht, sonderndavon ausgeht, dass esWellencharakter besitzt. Diese Annahme geht auf die Beobachtungzurück, dass ein Elektronenstrahl, wie er z. B. im Kathodenstrahlrohr (�S. ) erzeugt wer-den kann, je nach Experiment entweder die Eigenschaften eines Teilchenstrahls oder dieEigenschaften einer Welle aufweist. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Welle-

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8 1.2 Aufbau der Atome

Teilchen-Dualismus (L.-V. Duc de Broglie, –). So kannman bei geringer Intensitätdes Elektronenstrahls auf einem Leuchtschirm die einzelnen Lichtblitze der auftreffendenElektronen beobachten undmankanndenElektronenstrahl im elektrischen Feld ablenkenund daraus Masse und Ladung des Elektrons bestimmen. Andererseits kann man miteinem Elektronenstrahl Beugungsbilder erzeugen, die für Wellen typisch sind und darausdie Wellenlänge berechnen. Auch zeigt die Tatsache, dass es Elektronenmikroskope gibt,den Wellencharakter eines Elektronenstrahls.

DasOrbitalmodell beschreibt das Elektron desH-Atoms als dreidimensionale stehendeWelle, die man auch anschaulich als negative Ladungswolke interpretieren kann, die imelektrischen Feld des positiv geladenen Kerns schwingt. Wie bei einer schwingenden Saitegibt es eineGrundschwingung undObertöne höherer Energie, die sich durch ihre Schwin-gungsform unterscheiden. Die einzelnen Schwingungszustände bezeichnet man als Or-bitale. fand Erwin Schrödinger (–) eine Gleichung, aus der die räumlicheFormder verschiedenen stehendenWellenund ihre Energie berechnetwerdenkann.DieseGleichung wird nach ihm als Schrödinger-Gleichung bezeichnet. Die Form der Orbitalewird dabei durch die Wellenfunktion ψ und die Ortskoordinaten x, y, z beschrieben. DieElektronendichte bzw. die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Elektron im VolumenelementdV anzutreffen ist, ist nachM. Born (–) durch ψ2dV gegeben.

Während die Schrödinger-Gleichung für das Einelektronensystem des H-Atoms exaktlösbar ist, sind beiMehrelektronensystemen (�S. ) Näherungslösungen erforderlich. Sieergeben jedoch, dass die Orbitale der elektronenreicheren Atome denen des H-Atomsähnlich sind. Sie entsprechen denH-Atomorbitalen in ihrer Orientierung und Symmetrie.

Die verschiedenen Elektronenzustände lassen sich durch vier Quantenzahlen charak-terisieren, wobei die erstendrei die Form undOrientierung derOrbitale bestimmen. JedesOrbital kann die Schwingungsform von zwei Elektronen repräsentieren, die sich dannnoch in der vierten Quantenzahl, der Spinquantenzahl unterscheiden.

⊡ MERKE Charakterisierung der Elektronenzustände1. Hauptquantenzahl n mit den Werten 1, 2, 3, . . .2. Nebenquantenzahl l mit den Werten 0, 1, 2, . . . ,n − 1.3. Magnetquantenzahl oder Orientierungsquantenzahlm mit allen ganzzahligen Wertenzwischen −l und +l.4. Spinquantenzahl s mit den Werten + 12 und − 12 .

Die Hauptquantenzahl n ist ein Maß für die Energie und für die radiale Verteilung derElektronendichte. Der Wert von n gibt außerdem die Anzahl der Knotenflächen des Or-bitals wieder. Sie entsprechen den Nullstellen der Wellenfunktion. Hierbei ist auch dieäußere Begrenzungsfläche der Orbitale, die im Unendlichen liegt, mitgezählt.

DieNebenquantenzahl l bestimmt imWesentlichen die Form derOrbitale. Sie gibt dieAnzahl der Knotenflächen an, die durch denAtommittelpunkt gehen. Sie können Knoten-ebenen oder -kegelflächen sein. Für die Nebenquantenzahlen werden anstelle der Zahlen-werte meist kleine Buchstaben benutzt, die sich ursprünglich von den Eigenschaften derSpektrallinien ableiten: s (sharp): l = 0; p (principal): l = 1; d (diffuse): l = 2; f (funda-mental): l = 3. Bei gleicherHauptquantenzahl steigt die Termenergiemit steigendemWertvon l .

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1.2.2 Aufbau der Elektronenhülle der Atome 9

z

s

+

y

x

z

+

y

x

z

+

y

x

z

2pz 2py 2pₓ

+

y

x

Abb. 1.4 Darstellung der Orbitale 1s und 2p

Die Orientierungsquantenzahl m bestimmt die Orientierung der Orbitale mit glei-chem n und l im Raum. Zu jedemWert von l gehören 2l + 1Orientierungsmöglichkeiten.

Zur Bezeichnung der Orbitale wählt man eine Kombination aus der vorangestelltenHauptquantenzahl, der Nebenquantenzahl als Buchstaben und der Orientierungsquan-tenzahl als Index, der die Richtung bezüglich der Koordinatenachsen wiedergibt. Demge-mäß spricht man von einem 1s-, 2px - oder 3dxy-Orbital. In Abb. . sind das 1s- sowiedie 2p-Orbitale dargestellt (d-Orbitale�S. ).

Aufbau der MehrelektronensystemeJedem Schwingungszustand der Elektronen und damit jedem Orbital kommt eine be-stimmte Energie zu. Dabei haben Orbitale gleicher Form (gleicher Wert der Quanten-zahlen n und l) auch gleiche Energie. Bei Mehrelektronensystemenwerden die einzelnenZustände in der Reihenfolge ihrer Energie besetzt. Wobei im Grundzustand des Atomsimmer die energetisch am tiefsten liegenden Niveaus besetzt sind. Die Elektronenanord-nung oder Elektronenkonfiguration wird durch die Haupt- und Nebenquantenzahl undden Besetzungsgrad als Exponent dargestellt. Der Grundzustand kann dementsprechenddurch eine Symbolik wiedergegeben werden, wie sie im Folgenden durch einige Beispielegezeigt wird:

He∶ 1s2

C∶ 1s22s22p2

O∶ 1s22s22p4

Nach der Hund’schen Regel (F. Hund, –) werden Niveaus gleicher Energie zu-nächst einfach besetzt, da dabei die sogenannte Spinpaarungsenergie eingespart wird. Be-

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10 1.2 Aufbau der Atome

Tab. 1.2 Besetzung der Orbitale im Grundzustand der Atome H bis Kr

1s

1 H

2 He

2s 2p

3 Li

4 Be

5 B

6 C

7 N

8 O

9 F

10 Ne

3s 3p 3d

11 Na

⋮15 P

⋮18 Ar

4s 4p

19 K

20 Ca

21 Sc

⋮25 Mn

⋮30 Zn

31 Ga

⋮36 Kr

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1.3.1 Allgemeine Zusammenhänge 11

trachtet man die Orbitale als Aufenthaltsraum von Elektronen, so haben zwei gepaarteElektronen im selben Orbital einen kleineren Abstand zueinander und wirken nach demCoulomb’schenGesetz (�Kap. ..) stärker abstoßend aufeinander als zwei Elektronen, diesich in verschiedenen Orbitalen befinden und daher einen größeren Abstand zueinanderaufweisen. Die Spinpaarungsenergie ist die Energiedifferenz zwischen den Zuständeneinfacher Besetzung von zwei energiegleichen Orbitalen ( ) und doppelter Besetzungvon nur einem der beiden Orbitale ( ).

Der Physiker W. Pauli (–) erkannte , dass in einem Mehrelektronensys-tem niemals mehrere Elektronen auftreten können, die in allen vier Quantenzahlen über-einstimmen, d. h. sich im gleichen Zustand befinden. Da die drei ersten Quantenzahlen(�Kap. .., S. ) die verschiedenenOrbitale festlegen, kann entsprechend dieser alsPauli-Prinzip bezeichnetenRegel jedesOrbital Schwingungsform von einemodermaximal zweiElektronen sein, die sich dann noch in der Spinquantenzahl unterscheiden und antiparal-lelen Spin aufweisen.

Hieraus und aus den möglichen Kombinationen der Quantenzahlen lässt sich ablei-ten, dass die maximale Anzahl Elektronen bei festgelegtemWert von n (n-te Schale) 2n2

beträgt ( Tab. .).Stellt man bei Mehrelektronensystemen die möglichen Atomorbitale durch Kästchen

dar, und symbolisiert ihre Besetzung mit Elektronen durch Pfeile, die gleichzeitig die Ori-entierung des Elektronenspins veranschaulichen sollen, so erhält man für den Grundzu-stand der Elemente H bis Kr die in Tab. . dargestellten Elektronenanordnungen.

1.3 Das Periodensystem der Elemente

1.3.1 Allgemeine ZusammenhängeDas Periodensystem der Elemente (PSE) wurde von D. Mendelejeff und L. Meyerunabhängig voneinander entwickelt. Das heutige Ordnungsprinzip ist die Kernladungs-zahl oderOrdnungszahl Z in Verbindung mit der zuvor besprochenen Orbitalbesetzung.Im vorderen Einbanddeckel dieses Lehrbuchs ist ein Periodensystem abgebildet. Die Ele-mente sind in horizontalen Zeilen, die als Perioden bezeichnet werden, und in vertikalenSpalten – denGruppen – so eingeordnet, dass jeweils Elementemit ähnlichen Eigenschaf-ten in den Gruppen untereinander stehen.

Nach der modernen Nomenklatur werden die Elemente entsprechend der Besetzungder s-, p- und d-Orbitale mit insgesamt Elektronen in Gruppen eingeteilt. Eine ältereNomenklatur ordnet die Elemente nach jeweils acht Hauptgruppen und acht Nebengrup-pen. Im vorliegenden Lehrbuch werden wir die ältere, gut eingeführte Bezeichnung derElemente nach Haupt- und Nebengruppen beibehalten.

DieGrundzustände derHauptgruppenelemente sind durch die Besetzung der äußerenn s- oder der n s- und n p-Orbitale charakterisiert, wobei die Hauptquantenzahl n deräußersten Schale zugleich die Periodennummer darstellt. Bei den Edelgasen (. Haupt-gruppe) sind die n s- und n p-Orbitalemit insgesamt Elektronen in der äußersten Schalevoll besetzt. Voll besetzte Elektronenniveaus, wie sie die Edelgase aufweisen, stellen einenbesonders stabilen Zustand dar. Die Edelgase sind daher besonders reaktionsträge. Manspricht in diesem Zusammenhang von der Edelgas-Elektronenkonfiguration.

Bei denHauptgruppenelementenwerdendie Elektronender äußeren Schale alsValenz-elektronen bezeichnet. Sie bestimmenwesentlich die chemischenEigenschaften. Ihre An-zahl entspricht der Gruppennummer. Die Valenzelektronen der Nebengruppenelemente

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12 1.3 Das Periodensystem der Elemente

befinden sich im n s-Orbital der äußersten Schale sowie in den (n − 1)d-Orbitalen, derdirekt darunter liegenden Schale.

Die (n − 2) f -Elektronen, die bei denLanthanoidenundActinoiden aufgefüllt werden,spielen bei chemischen Reaktionen nur eine relativ untergeordnete Rolle. Hier sind wiebei den eigentlichen Nebengruppenelementen, die auch als d-Elemente bezeichnet wer-den, die n s- und (n − 1)d-Elektronen für die Eigenschaften der Elemente von größererBedeutung.

Innerhalb der Hauptgruppenelemente unterscheidet man zwischen Metallen undNichtmetallen. Diese sind durch eine Diagonale, die etwa vom Bor zum Astat verläuft,voneinander getrennt. Die Nichtmetalle befinden sich rechts der Diagonalen, währenddie Metalle links der Diagonalen angeordnet sind. Die Elemente in unmittelbarerNachbarschaft der Diagonalen weisen halbmetallische Eigenschaften auf. Die Neben-gruppenelemente haben alle Metallcharakter.

1.3.2 Periodizität der EigenschaftenDie physikalischen und chemischenEigenschaftender Elemente ändern sich in den einzel-nen Perioden und Gruppenmit steigenderOrdnungszahl weitgehend gleichsinnig. Daherkann man aus der Stellung eines Elements im PSE grundsätzliche Eigenschaften ablesen.

Von den Eigenschaften, die sich periodisch ändern, seien als wichtigste genannt: Atom-und Ionenradien, Atomvolumina, Ionisierungsenergien,Metallcharakter, Elektronegativi-tät, Schmelz- und Siedepunkte.

Atom- und IonenradienNeben Anzahl und Art der Valenzelektronen bestimmen vor allem die Radien der Atomedie Eigenschaften der Elemente. Elemente, bei denen Valenzelektronen und Atomradiusübereinstimmen, haben nahezu gleiche Eigenschaften. Dies ist beispielsweise bei Zirconi-um und Hafnium oder Niob und Tantal sowie bei benachbarten Lanthanoidenelementender Fall.

Die Atom- und Ionenradien nehmen innerhalb einer Gruppe des PSE von oben nachunten zu, da jeweils eine neue Elektronenschale hinzukommt. Innerhalb einer Periodenehmen die Atomradien von links nach rechts ab, da die hinzukommenden Elektronen indieselbe Schale eingebaut werden, wegen der zunehmenden Kernladungszahl die Anzie-hungskraft, die auf die Elektronen wirkt, aber stärker wird.

EineAusnahme bilden dieNebengruppenelemente der zweiten und drittenÜbergangs-reihe (4d- und 5d-Elemente) ab den Elementen Zr und Hf. Nach dem Element Lanthanfügen sich die Lanthanoidenelemente in das PSE ein. Innerhalb der Reihe der Lan-thanoiden nimmt wie in jeder Periode der Radius der Atome ab, wie eine Betrachtungder Radien in kovalenten Bindungen (Kovalenzradien) von Ce (165pm) und Lu (156pm)zeigt. Dieser als Lanthanoiden-Kontraktion bekannte Effekt ist nahezu ebenso groß wiedie Zunahme des Kovalenzradius beim Übergang von einem 4d- zu einem 5d-Element(z. B. Y: 162pm, La: 169pm), sodass der Radius von Zr (145pm) und Hf (144pm) wieauch bei den entsprechenden folgenden Nebengruppenelementen gerade fast gleich istund daher sehr ähnliche Eigenschaften resultieren.

Bei der Aufnahme bzw. Abgabe von Elektronen, also bei der Bildung von Anionen undKationen verändern sich die Radien der Atome sehr stark. Ein Anion ist wegen der negati-venÜberschussladungund der damit verbundenen verstärktenAbstoßung der Elektronenuntereinander stets deutlich größer als das zugehörige neutrale Atom. Hingegen ist ein

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1

1.3.2 Periodizität der Eigenschaften 13

Ionenradien

C4− N3− O2− F− Na+ Mg2+ Al3+ Si4+

260 146 140 136 95 65 50 41

Kovalenzradien

C N O F Na Mg Al Si

77 75 73 72 154 136 118 111

Tab. 1.3 Radien (inpm) isoelektronischerIonen. Zum Vergleichsind außerdem dieKovalenzradien der Atomeangegeben.

Kation wegen der verstärkten Anziehung durch die überschüssige Kernladung stets er-heblich kleiner. Die folgenden Daten für Kovalenz- und Ionenradien vom Stickstoff sollendies beispielhaft verdeutlichen: Kovalenzradius: 75 pm, Ionenradius: N−: 146 pm.

Aus den gleichen Gründen ändern sich auch die Radien isoelektronischer Ionen, d. h.von Ionen mit gleicher Gesamtelektronenanzahl, sehr stark ( Tab. .).

IonisierungsenergieMan unterscheidet zwischen der ., . und höheren Ionisierungsenergien. Die . Ionisie-rungsenergie nimmt bei den Hauptgruppenelementen innerhalb einer Gruppe von obennach unten und innerhalb einer Periode von rechts nach links ab, da die Atomgröße zu-nimmt und somit entsprechend demCoulomb’schen Gesetz (�Kap. ..) die Anziehungs-kraft auf das äußerste Elektron abnimmt.

⊡ MERKE Die 1. Ionisierungsenergie ist diejenige Energie, die aufgewandt werden muss,um einem isolierten Atom (oder Molekül) im Grundzustand das energetisch am höchstenliegende und damit am schwächsten gebundene Elektron zu entreißen. Die 2. undhöhere Ionisierungsenergien sind entsprechend diejenigen Energien, die notwendigsind, ein zweites oder weitere Elektronen abzuspalten. Die Ionisierungsenergie wirddabei um so größer, je höher die resultierende Ladung des entstehenden Kations ist.

Die Unterschiede sind innerhalb einer Periode größer als in einer Gruppe, da hier nochandere Effekte hinzukommen. So geben die Edelgase nur ungern Elektronen ab, da dabeider energetisch günstige Zustand einer abgeschlossenen Elektronenschale verloren geht.Sie haben sehr hohe Ionisierungsenergien. Hingegen geben z. B. die Alkali-Elemente ihrValenzelektron leicht ab. Sie haben die niedrigsten Ionisierungsenergien, da sie auf dieseWeise eine Edelgas-Elektronenkonfiguration erreichen und da außerdem die tiefer liegen-den Elektronenschalen die Anziehungskraft, die vom Kern auf das äußere Elektron wirkt,weitgehend abschirmen. Elemente, die leicht Elektronen abgeben und daher zur Bildungvon Kationen neigen, werden auch als elektropositiv bezeichnet.

MetallcharakterMetalle sind durch niedrige Ionisierungsenergien gekennzeichnet. Der Metallcharakternimmt daher bei den Hauptgruppenelementen gemäß demVerlauf der Ionisierungsener-gien von rechts nach links und vonobennach unten zu. ImZusammenhangmit der niedri-

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14 1.3 Das Periodensystem der Elemente

gen Ionisierungsenergie weisen dieMetalle gute elektrische Leitfähigkeit auf. Metalle sindaußerdem durchmetallischenGlanz, guteWärmeleitfähigkeit und einfache, hochsymme-trische Kristallstrukturen gekennzeichnet.

Einige Elemente, die wie Ge und Sb in der Nähe der Trennungslinie zwischen Me-tallen und Nichtmetallen angeordnet sind, sind Halbmetalle. Sie bilden häufig mehrereModifikationen, die entweder mehr metallischen oder mehr nichtmetallischen Charakteraufweisen.

ElektronenaffinitätNichtmetalle haben höhere Ionisierungsenergien als Metalle. Vor allem die weiter rechtsim PSE stehendenHauptgruppenelemente erreichen eine Edelgas-Elektronenkonfigurati-on leichter durch Aufnahme als durch Abgabe von Elektronen.

⊡ MERKE Man bezeichnet diejenige Energie, die bei der Aufnahme von einem Elektron durchein isoliertes Atom im Grundzustand umgesetzt wird, als 1. Elektronenaffinität.

Im Unterschied zur Ionisierung von Atomen, die stets ein endothermer Vorgang ist, kanndie Aufnahme von Elektronen je nach Element sowohl exotherm als auch endothermerfolgen. Die Halogene haben unter den Elementen die im Betrag größten negativen Elek-tronenaffinitäten. Bei Sauerstoff erfolgt die Aufnahme des ersten Elektrons exotherm. DieAufnahme des zweiten, zum Erreichen einer Edelgas-Elektronenkonfiguration notwendi-gen Elektrons (. Elektronenaffinität) ist hingegen ein so stark endothermer Prozess, dassdie zugehörige gesamte Elektronenaffinität für die Bildung des O−-Ions positiv ist.

Mit zunehmender Ionenladung wird die Bildung eines Anions immer unwahrschein-licher, da die Aufnahme von mehr als einem Elektron stets positive Elektronenaffinitätenerfordert und diese Energie mit zunehmender Ladung des entstehenden Anions schnellgrößer wird.

ElektronegativitätIm Unterschied zur Elektronenaffinität, die eine Energiegröße ist, stellt die Elektronega-tivität eine dimensionslose Vergleichszahl dar, die die Fähigkeit eines Elements charak-terisiert, Elektronen einer Atombindung (�Kap. ..) anzuziehen. Die Elektronegativitätwird ausführlich in �Kap. .. behandelt. Sie nimmt im Periodensystem innerhalb derHauptgruppenelemente von unten nach oben und von links nach rechts zu, da in dieserRichtung der Atomradius abnimmt, und dementsprechenddie Anziehungskraft nach demCoulomb’schen Gesetz (�Kap. ..) zunimmt. Die Elektronegativität nimmt von linksnach rechts stärker zu, da hier auch die Zunahme der Kernladung gleichsinnig wirkt,während innerhalb einerHauptgruppe die Änderung geringer ist. Hier hat die Kernladungeinen entgegengesetzten Einfluss.

IonenpotenzialZum Vergleich der Eigenschaften von Ionen mit verschiedener Ladung und verschiede-nem Radius wird das sogenannte Ionenpotenzial z/r, der Quotient aus der Ladungszahl(z) und dem Radius (r) eines Ions herangezogen. Das Ionenpotenzial kann als ungefäh-res Maß für die Stärke des vom Ion ausgehenden elektrischen Felds betrachtet werden.Jedoch ist streng genommen der Vergleich der chemischen Eigenschaften aufgrund des

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1

1.4.1 Ionenbindung 15

Tab. 1.4 Ionenpotenziale für Ionen mit abgeschlossener Zweier- oder Achterkonfiguration

Cs+ Rb+ NH+4 K+ Na+ Li+ Ra2+ Ba2+ Sr2+ Ca2+ La3+

z/r 0,6 0,7 0,7 0,8 1,0 1,3 1,3 1,4 1,6 1,9 2,5

Ce3+ Mg2+ Y3+ Sc3+ Zr4+ Hf4+ Al3+ Be2+ Ti4+ Si4+ B3+

z/r 2,5 2,6 2,8 3,6 4,6 4,6 5,3 5,9 6,2 9,8 15,0

Ionenpotenzials nur auf Ionen mit gleicher Elektronenanordnung anwendbar. Weiterhinist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Ionen in wässeriger Lösung eine Hydrathülleaufweisen.

Als Beispiele für Ionenpotenziale s. Tab. ., in der Ionen angegeben sind, bei denendie äußere Elektronenhülle eine abgeschlossene Zweier- oder Achterkonfiguration auf-weist (Angaben in 1/(10−8 cm)).1.4 Chemische Bindung

Die Reaktionsträgheit der Edelgase zeigt, dass abgeschlossene Elektronenschalen einenbesonders günstigen elektronischen Zustand darstellen. Die chemische Reaktivität undverbunden damit auch die chemische Bindung wird durch das Bestreben der Elemente,eine abgeschlossene Edelgas-Elektronenkonfiguration zu erreichen, wesentlich geprägt.Der einfachste Fall liegt vor, wenn durch einen Austausch von Elektronen zwischen ei-nem Metallatom und einem Nichtmetallatom beide eine Edelgas-Elektronenkonfigura-tion erreichen. Das Metallatom gibt dabei so viele Elektronen ab, bis es die Elektronen-konfiguration des im Periodensystem vor ihm stehenden Edelgases erreicht, während dasNichtmetall seine unvollständige äußere Schale voll auffüllt. Dabei entstehen KationenundAnionen, die im festenZustand durch elektrostatischeAnziehung zusammengehaltenwerden und so ein Salz bilden. Man nennt diese Art der Bindung Ionenbindung.

Wenn zwei oder mehrere Nichtmetallatome miteinander reagieren, bilden sie unter-einanderAtombindungen oder kovalente Bindungen aus, die durch Elektronenpaare, diezwei oder mehreren Atomen gemeinsam angehören, charakterisiert sind.

Metalle werden im kondensierten Zustand durch dieMetallbindung zusammengehal-ten. Hier liegt eine Vielzentrenbindung vor, bei der die Elektronen vielen Metallatomen(Zentren) gleichzeitig angehören.

Diese drei genannten Bindungsarten Ionenbindung, Atombindung undMetallbindungstellen modellhafte Grenzfälle dar. Meist liegen Übergänge zwischen diesen drei Bin-dungstypen vor. Die genannten drei Bindungsarten repräsentieren die starken Bindungs-kräfte. Daneben gibt es noch schwächere Bindungen, die als van der Waals-Bindungenbezeichnet werden.

1.4.1 IonenbindungWie oben erläutert, geben Metallatome leicht Elektronen ab, d. h. sie haben niedrige Io-nisierungsenergien und bilden bevorzugt Kationen. Nichtmetalle haben günstige Elektro-nenaffinitäten und bilden leicht Anionen. Vereinigt man ein Metall mit niedriger Ionisie-rungsenergie und ein Nichtmetall mit günstiger Elektronenaffinität, so entsteht ein Salz.

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16 1.4 Chemische Bindung

Salze sind dadurch charakterisiert, dass sie aus Ionen aufgebaut sind. Außerdem stellensie feste Verbindungen mit hohem Schmelzpunkt dar.

Der Zusammenhalt der Ionen in einem Salz wird durch die Ionenbindung, d. h. durchdie Coulomb’sche Anziehung zwischen Kationen und Anionen bewirkt. Die Anziehungs-kraft K, die zwischen einemKation und einemAnionwirkt, wird durch dasCoulomb’scheGesetz beschrieben.

K = 14πε0

⋅ z+e+ ⋅ z−e−r2

e+, e−: positive bzw. negative Elementarladung in C/molz+, z−: Anzahl der positiven bzw. negativen Elementarladungenr: Abstand zwischen Kation und Anionε0: Dielektrizitätskonstante in As/(Vm)Die entgegengesetzt geladenen Ionen nähern sich einander so weit, bis die elektrostatischeAnziehung durch die Abstoßungskräfte der gleichsinnig geladenen Elektronenhüllen undKerne kompensiert wird. DieAbstoßung kann auch damit erklärt werden, dass sich die vollbesetztenOrbitale von Kation undAnion aufgrund des Pauli-Prinzips nicht durchdringenkönnen, das ja besagt, dass sich im gleichen Orbital bzw. Aufenthaltsraum nur maximalzwei Elektronen befinden dürfen.

Da das elektrische Feld, das von Kation bzw. Anion ausgeht, kugelsymmetrisch ist undsomit in alle Raumrichtungen gleich stark wirkt, bilden sich in einem einfachen Salz keineIonenpaare. Vielmehrumgibt sich jedes Ionmit so vielenGegenionen, wie aus räumlichenGründen möglich ist. Hieraus resultiert in der Regel eine hochsymmetrische Anordnungin einem Kristallgitter. Die Anzahl der Anionen, die ein Kation umgeben können, d. h.die Koordinationszahl wird dabei durch den Radienquotienten festgelegt. So hat Na+ inder NaCl-Struktur sechs Cl−-Nachbarn in oktaedrischer Anordnung ( Abb. .), und dasgrößere Cs+ hat im CsCl die Koordinationszahl acht in Form eines Würfels. Das relativkleine Zinkatom in der Zinkblendestruktur (ZnS) ( Abb. .) ist von vier Schwefelatomentetraedrisch umgeben. Entsprechend nimmt der Radienquotient r(Kation)/r(Anion) von0,402 bei ZnS über 0,525 bei NaCl auf 0,934 bei CsCl zu.

Abb. 1.5 Ausschnitt aus der Struktur des NaCl

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1

1.4.1 Ionenbindung 17

Abb. 1.6 Elementarzellen der Struktur des CsCl (links) und der Zinkblende, ZnS (rechts).Blau = Anionen; weiß = Kationen

Tab. 1.5 AB-Strukturtypen und Radienquotient

Zinkblende Natriumchlorid Caesiumchlorid

(Tetraederlücke) (Oktaederlücke) (Würfellücke)

0,225 ≤ r(Kation)r(Anion) < 0,414 0,414 ≤ r(Kation)

r(Anion) < 0,732 0,732 ≤ r(Kation)r(Anion) < 1,0

Anhand der Radienquotienten kann man für diese drei AB-Strukturtypen und analogauch für die AB-Typen SiO (Cristobalit), TiO (Rutil) und CaF (Fluorit) Existenzbe-reiche ( Tab. .) angeben. Die untere Grenze entspricht dabei genau der Größe der je-weiligen Lücke ( Abb. .). Dies bedeutet, dass die von den größeren Anionen gebildetenLücken niemals von einem Kation besetzt werden, das kleiner ist als die entsprechendeLücke.

2rX₋

a = 1

1⁄2 a

r M+

r X₋

Abb. 1.7 Berechnung des Radien-verhältnisses, das beim NaCl-Typ nichtunterschritten werden darf:rM+ + rX− = √2rX−rM+ = (√2 − 1)rX−rM+

rX−= √2 − 1 = 0,414

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18 1.4 Chemische Bindung

Na⁺(g)

Ionisierungspotential (–e⁻)für Na = 495,4 kJ/mol

Sublimationsenergiefür Na = 108,4 kJ/mol

Dissoziationsenergiefür Cl₂ = 120,9 kJ/mol

Standardbildungsenthalpiefür NaCl = –410,8 kJ/mol

Elektronenaffinität (+e⁻)für Cl = –348,5 kJ/mol

Cl⁻(g)

Na⁺(g) Cl(g)

Na(s) 1⁄2Cl₂(g)

NaCl(s) kristallines NaCl

GitterenergieU = –787 kJ/mol

gasförmige Ionen

Abb. 1.8 Born-Haber-Schema zur Ermittlung der Gitterenergie von NaCl

Bei der Annäherung der entgegengesetzt geladenen Ionen wird erhebliche potenzielleEnergie gewonnen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Gitterenergie.

⊡ MERKE Die Gitterenergie ist diejenige Energie, die bei der Vereinigung von je einem Molvoneinander getrennter freier, gasförmiger Kationen und freier, gasförmiger Anionen zumkristallinen Salz freigesetzt wird.

Aufgrund der hohen Gitterenergie erklärt sich auch die hohe Bildungswärme der Salzeund ihre große Stabilität, obwohl fast alle Prozesse, die zur Bildung der freien gasförmigenIonen aus den Elementen führen, stark endotherm sind. Im Falle der Bildung vonNaCl ausNatriummetall und Chlor muss Natrium verdampft und ionisiert werden. Beide Prozessesind endotherm und entsprechendmit positiven Energiewerten verbunden. Ebenfalls po-sitiv ist die Dissoziationsenergie, die aus den Cl-Molekülen Chloratome bildet. Nur diemit der Elektronenaufnahme zum Cl−-Ion verbundene Elektronenaffinität ist negativ. Beider Bildung von Oxiden z. B. ist auch die Elektronenaffinität positiv. Die Gitterenergieist aber so groß, dass sie alle endothermen Prozesse weit überkompensieren kann. Dieenergetischen Verhältnisse sind qualitativ in Abb. . durch das Born-Haber-Schemaverdeutlicht.

Ionentypen und ihre BeständigkeitAn dieser Stelle soll noch auf die Stabilität unterschiedlicher Ionentypen eingegangen wer-den.Wir hatten bereits die relativ hohe Stabilität der Ionenmit einer Edelgas-Elektronen-

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1

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung 19

konfiguration behandelt, wie sie z. B. bei Na+, Sc+ oder auch Cl− vorliegt, in Klammernist jeweils das Edelgas mit gleicher Elektronenkonfiguration angegeben:

Na+∶ 1s22s2p6 = [Ne]Sc3+, Cl−∶ 1s22s2p63s2p6 = [Ar]

Eine ähnlich gute Stabilität weisen Ionen wie Ag+ oder Zn+ mit einer Pseudo-Edelgas-Elektronenkonfiguration auf. Sie verfügen neben der abgeschlossenen Elektronenschaleder Edelgase noch über ein volles d-Niveau und erfüllen somit die Bedingung, dass keineunvollständig besetzten Elektronenschalen vorhanden sind.

Ag+∶ 1s22s2p63s2p6d104s2p6d10 = [Kr]4d10

Zn2+∶ 1s22s2p63s2p6d10 = [Ar]3d10

Eine vergleichbar hohe Stabilität wie voll aufgefüllte Elektronenniveaus besitzen auch halbgefüllte Niveaus, bei denen die Orbitale jeweils einfach besetzt sind. Beispiele sind Mn+

und Fe+:Mn2+, Fe3+∶ 1s22s2p63s2p6d5 = [Ar]3d5

Ein Sonderfall liegt bei den schweren Hauptgruppenelementen vor. Hier findet man diestabilen Ionen Tl+, Pb+ und Bi+ mit einem vollen 6s-Niveau. Eine Edelgas-Elektronen-konfiguration liegt hier nicht vor, da das 6p-Niveau leer ist.

Tl+, Pb2+, Bi3+∶1s22s2p63s2p6d104s2p6d10 f 145s2p6d106s2 = [Xe]4 f 145d106s2

Man bezeichnet das volle 6s-Niveau im Englischen als „inert pair“ und spricht in die-sem Zusammenhang vom „inert pair“ Effekt. Diese Ionen sind deutlich stabiler als diezugehörigen Ionen mit unbesetztem 6s-Niveau: Tl+, Pb+ und Bi+. Letztere sind dem-entsprechend starke Oxidationsmittel.

Neben den aufgeführten Ionentypen existieren bei den Nebengruppenelementen vieleebenfalls recht stabile Ionen wie z. B. Cr+, Co+ oder Cu+, bei denen keine der angege-benen Regeln zutrifft.

1.4.2 Atombindung oder kovalente BindungAus gleichen Atomen aufgebaute Moleküle wie H, N, O, O, Cl usw. und die meistenorganischen Kohlenwasserstoff-Verbindungen werden durch Atombindungen miteinan-der verknüpft.

Im Gegensatz zur Ionenbindung können bei der Atombindung die an der Bindungbeteiligten Valenzelektronen nicht einzelnen Atomen zugeordnet werden. Sie verteilensich vielmehr über das ganze Molekül. Die verbleibenden Rumpfelektronen in den ab-geschlossenen unteren Elektronenschalen bilden mit dem Atomkern die Atomrümpfe.Im einfachsten Fall, der Vereinigung von zwei Atomen zu einem Molekül, z. B. bei Cl,wird die stabile Edelgas-Elektronenkonfiguration dadurch erreicht, dass beide Atome eingemeinsames, also beiden angehörendes Elektronenpaar besitzen. Man spricht in diesemFall von einer Zwei-Zentren-zwei-Elektronen-Bindung. Sie stellt eine Einfachbindungdar. Bei O liegen zwei und bei N drei gemeinsame Elektronenpaare vor, d. h. es resultierteineDoppelbindung bzw. eine Dreifachbindung.

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20 1.4 Chemische Bindung

In einer einfachen Symbolschreibweise, den Valenzstrichformeln (�Kap. ..), wirdein Elektronenpaar durch einen Strich symbolisiert. Der Strich kann ein Bindungselek-tronenpaar (Valenzstrich) oder ein freies, an der Bindung nicht beteiligtes Elektronenpaarrepräsentieren.

ClCl NNOO

Die Anzahl der von einem Atom ausgehenden Atombindungen hängt von der Anzahlseiner Valenzelektronen, in Verbindung mit dem Bestreben, eine stabile Edelgas-Elektro-nenkonfiguration zu erreichen, ab. Bei den Strukturen der Nichtmetalle kann man dieAnzahl der Bindungen, die Bindigkeit b, aus der (8 − N)-Regel ableiten.

b = (8 − N)N : Anzahl der Valenzelektronen des betreffendenNichtmetalls, bzw. Nummer der Haupt-gruppe.

Werden durch kovalente Bindungen Moleküle oder Ionen mit gleicher Elektronenan-zahl und -anordnung gebildet, so nennt man sie isoelektronisch. Von Isosterie sprichtman, wenn Moleküle oder Ionen bei gleicher Gesamtanzahl an Elektronen und gleicherElektronenkonfiguration auch gleiche Anzahl an Atomen aufweisen. Isostere Teilchen ha-ben gleiche Struktur und ähnliche Eigenschaften, wie z. B. CO und N oder NO, CO,NO+

und NCO− bzw. CH und NH+ .

Oktett-Regel und ValenzstrichformelnDas Bestreben der Atome, durch gemeinsame Elektronenpaare eine Edelgas-Elektronen-konfiguration zu erreichen, ist das Grundprinzip der „Elektronentheorie der Valenz“, dieG.N. Lewis (–) aufstellte. Bei Wasserstoff ist es die Zwei-Elektronenkonfigu-ration des Heliums. Bei allen übrigen Hauptgruppenelementen ist es das Oktett aus s- undp-Elektronen in der äußeren Schale, das die Edelgas-Elektronenkonfiguration ausmacht.Man spricht daher von der Oktett-Regel.

⊡ MERKE Die Atome streben eine stabile Edelgas-Elektronenkonfiguration in Form einesElektronenoktetts in der äußersten Schale an. Für Elemente der ersten Achterperiodedes PSE (Li–F) gilt die Oktettregel streng, da sie nur über s- und p-Orbitale verfügen.Sie können somit nur maximal vier Valenzelektronenpaare um sich gruppieren. Ab derzweiten Achterperiode kann das Oktett durch Benutzung von d-Orbitalen überschrittenwerden.

Unter Berücksichtigung der Oktett-Regel kann man die Bindungsverhältnisse in Mole-külen durch Valenzstrichformeln oder Lewis-Formeln wiedergeben. Bei dieser Symbol-schreibweise werden Valenzelektronenpaare durch Striche dargestellt, wie dies bei denfolgenden Beispielen gezeigt ist.

OHH C

F

F

F

F SF

FF

F

FF

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1

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung 21

Das Symbolschema der Valenzstrichformeln erlaubt es in vielen Fällen nicht, den wah-ren Sachverhalt mit nur einer Formel wiederzugeben. In diesen Fällen müssen zwei odermehrere mesomere Grenzformeln angegeben werden. Der wahre Zustand ist dann derMittelwert aus allen Grenzformeln, die nicht immermit gleichemGewicht eingehenmüs-sen.Man spricht dabei vonMesomerie oderResonanz. Ein Beispiel ist Ozon. Hiermüssenzwei Grenzformeln angegeben werden, die man durch einen Doppelpfeil trennt:

OOO

OOO

In jeder Formel ist eine Doppelbindung und eine Einfachbindung gezeichnet, die norma-lerweise verschieden lang sind. Die experimentelle Strukturbestimmung beweist aber, dassbeide O−O-Bindungen gleich lang sind und einer ,-fach-Bindung, gemäß dem Mittel-wert aus beiden Grenzformeln, entsprechen. Eine Schreibweise mit zwei Doppelbindun-gen ist falsch, da dann eines derO-Atome dasOktett überschreitenwürde.Außerdemwäredies imWiderspruch zum experimentellen Befund.

Nach der (8 − N)-Regel (�Kap. ..) sollte SauerstoffmitN = 6 in der Elementstrukturzweibindig sein, wie dies auch bei O der Fall ist. ImOzon ist das zentrale O-Atom jedochdreibindig. Die (8 − N)-Regel ist aber erfüllt, wenn man dem zentralen O-Atom eine For-malladung von +1 zuordnet. Dann ist N = 5 und die Bindigkeit b = (8 − N) = 3. Manberechnet die Formalladung, indemman die Bindungselektronenpaare zu gleichen Teilenzwischen den Bindungspartnern aufteilt. Dementsprechend berechnet man für ein weite-resO-Atomdie Formalladung −1. Die Formalladung wird, wie in der obigen Valenzstrich-formel gezeigt, durch ein ⊕ oder ein ⊖ charakterisiert. Die Summe der Formalladungenmuss in einemMolekül null sein. In einem Ion entspricht sie der Ionenladung.

Sindmehreremesomere Grenzformeln mit unterschiedlicher Anzahl an Formalladun-gen möglich, so ist stets die Formel mit der geringsten Anzahl Formalladungen die wahr-scheinlichste.Außerdem sollten an benachbartenAtomenkeine gleichen Formalladungenauftreten. Daei handelt es sich um formale Ladungen, die nicht die wahre Ladungsvertei-lung imMolekül wiedergeben.

MolekülorbitaleDas Modell der Molekülorbitale geht davon aus, dass sich die Elektronenpaare der ko-valenten Bindung wie die Elektronen des isolierten H-Atoms als Wellen darstellen lassen(�Kap. ..). Man bezeichnet die Schwingungsformen im Fall der Moleküle als Mole-külorbitale (MOs).

Im Fall des H-Atoms führt die Lösung der Schrödinger-Gleichung auf die Gestalt undEnergie der Atomorbitale (AOs). Im Fall der Moleküle ergeben sich jedoch Schwierigkei-ten, da im Unterschied zur allein vorliegendenWechselwirkung zwischen einem Elektronund einem Kern beimH-Atom bei Molekülen mehrere Kerne und mehrere Elektronen zuberücksichtigen sind. Der einfachste denkbare Fall ist H+

, das einfach ionisierte Wasser-stoffmolekül, das nur ein Elektron besitzt. Für diesesMolekülion ergibt die Rechnung zweiMolekülorbitale, die sich über beide Atomkerne erstrecken ( Abb. .). In einem der Mo-lekülorbitale ergibt sich im Vergleich zu den Funktionswerten von ψ oder ψ2 im H-Atombei gleichem Abstand vom Kern ein erhöhter Funktionswert zwischen den Atomkernen.Es kommt daher zu einer anziehenden Wechselwirkung zwischen den Atomkernen undder zwischen ihnen liegenden erhöhten Elektronendichte. Das zugehörige Orbital wird

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22 1.4 Chemische Bindung

0,24

0,190,120,070,040,020,01

0,24

0,190,120,070,040,020,01

0,29

0,12

0,070,040,02

0,29

0,12

0,070,040,02

Abb. 1.9 Elektronendichte im H+2-Ion.Das obere Diagramm zeigt die Dichte desantibindenden MOs, das untere die desbindenden MOs

daher als bindendes Molekülorbital bezeichnet. Beim zweitenMolekülorbital ist die Elek-tronendichte zwischen den Kernen vermindert und jenseits der Kerne erhöht. In derMittezwischen den Kernen befindet sich senkrecht zur Kernverbindungslinie eine Knotenebe-ne, d. h. die Elektronendichte ist hier null und es kommt zu einer erhöhten Abstoßungzwischen den Kernen. Das Orbital heißt daher antibindendes Molekülorbital. Betrachtetman die zugehörige Energie (s. Energieniveau-Diagramm in Abb. .), so kommt dembindenden MO eine niedrigere Energie, dem antibindenden MO eine höhere Energie alsdie Energie des 1s-Atomorbitals zu. Die Energiedifferenz zwischen AO und bindendemMO entspricht der Bindungsenergie. Eine Bindung kommt natürlich nur zustande, wennsich im bindenden MO mehr Elektronen als im antibindenden befinden. Die günstigsteSituation liegt vor, wenn das bindendeMOwie beimH-Molekül mit zwei Elektronen vollbesetzt und das antibindende leer ist, d. h. wenn die beteiligten AOs halb besetzt sind. ImFall eines hypothetischen He-Moleküls wären beide AOs und damit auch beideMOs vollbesetzt. Folglich resultiert keine Bindung.

antibindendes MO

AO₂AO₁

bindendes MO

E

Abb. 1.10 Energieniveau-Diagrammfür die Bildung von Molekülorbitalen imH2-Molekül

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1

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung 23

σ antibindend

σ bindend1s 1s

A B+ ++–

Abb. 1.11 Linear-kombination zweier1s-Atomorbitale zurErzeugung eines bindendenund eines antibindendenMOs

Bei komplizierteren Molekülen mit mehr Elektronen werden Näherungsverfahren zuBerechnung der MOs benutzt. Eine Möglichkeit ist die Methode der Konstruktion derMOs aus den AOs durch Linearkombination. Man nennt die Methode LCAO-Verfahren(Linear Combination of Atomic Orbitals). Wie man aus Abb. . am Beispiel des H-Moleküls sehen kann, führt dieseMethode zum gleichen Ergebnis wie die genaue Berech-nung nach der Schrödinger-Gleichung ( Abb. .).

Auf gleiche Weise lassen sich nun auch andere MOs miteinander kombinieren. Manspricht in diesem Zusammenhang auch von der Orbitalüberlappung, da man die AOssoweit gegeneinander annähert, bis sie sich gegenseitig durchdringen bzw. überlappen. Inden Abb. . und Abb. . ist die Kombination von zwei 2px- und zwei 2pz-Orbitalengezeigt. Man erkennt, dass zwei verschiedene Lösungen resultieren. Im ersten Fall der2px-Orbitale, die längs der Kernverbindungslinie ausgerichtet sind, ergeben sich rotati-onssymmetrischeMOs. Beim bindendenMO ist wie imFall desH-Moleküls diemaxima-le Elektronendichte auf der Kernverbindungslinie zwischen den Kernen lokalisiert. Manbezeichnet die zugehörige Bindung als eine σ-Bindung. Im zweiten Fall der Kombinationvon 2pz-AOs liegt beim bindendenMO die Kernverbindungslinie auf einer Knotenebene.Die Hauptaufenthaltswahrscheinlichkeit befindet sich oberhalb und unterhalb der Kern-verbindungslinie.DieMOs sind hier nicht rotationssymmetrisch. Die zugehörige Bindungwird π-Bindung genannt.

– + – +

– –+

σantibindend

σbindend

A B

A B

–+– + – +

A

2pₓ

B

2pₓ

Abb. 1.12 Linearkombi-nation zweier 2px-Orbitalezu einer σ-Bindung

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24 1.4 Chemische Bindung

πantibindend

πbindend

+

+

–+–

2pz 2pz

Abb. 1.13 Linearkombi-nation zweier 2pz-Orbitalezu einer π-Bindung

Bei gleichartigen Atomorbitalen (z. B. 2px und 2pz) ist die Überlappung zu einer σ-Bindung und die damit verbundene Bindungsenergie stets größer als bei einer π-Bindung.

In Abb. . sind die Orbitalenergien der Atomorbitale zweier Sauerstoffatome de-nen der Molekülorbitale für ein zweiatomiges O-Molekül gegenübergestellt. Man unter-scheidet zwischenMolekülorbitalen mit σ-Symmetrie und solchenmit π-Symmetrie. DasAuffüllen derMolekülorbitale mit Elektronen ergibt im Falle des Sauerstoffsdie Bindungs-ordnung und erklärt den Charakter des Sauerstoffs als Biradikal. Die Bindungsordnungergibt sich aus der Anzahl der besetztenMOsminus der Anzahl der unbesetztenMOs. Einhalb besetztesMO zählt dabei auch nur zur Hälfte.

Struktur der Moleküle und HybridisierungDie Struktur einfacher Moleküle wie HgCl, BF, CF, PF oder SF kann man leicht ab-leiten, wenn man davon ausgeht, dass die aneinander gebundenen Atome einenmöglichstkurzen Abstand verwirklichen wollen, während sich die untereinander nicht gebundenenAtome abstoßen und einen möglichst großen Abstand anstreben. Hieraus resultieren alsoptimale räumliche Anordnung die in Tab. . angegebenen Strukturen.

AO AO

σ*p

σ*s

σp

σs

π*

π

MO

E

Abb. 1.14 Molekül-orbitaldiagramm für einzweiatomiges Molekül,z. B. O2

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1

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung 25

Koordinationszahl Struktur Beispiel

2 linear HgCl2

3 trigonal-planar BF3

4 tetraedrisch CF4

5 trigonal-bipyramidal PF5

6 oktaedrisch SF6

Tab. 1.6 Koordinati-onszahlen und optimaleräumliche Anordnung derSubstituenten

Bei Molekülen und Ionen der Hauptgruppenelemente, die neben den Substituentenauch freie, an Bindungen nicht beteiligte Elektronenpaare aufweisen, mussman zusätzlichberücksichtigen, dass die freien Elektronenpaare ebenfalls Platz beanspruchen. GillespieundNyholm haben daher das Konzept der Elektronenpaar-Abstoßung eingeführt. Es wirdnach dem Englischen als VSEPR-Konzept (Valence Shell Electron Pair Repulsion) be-zeichnet. Das Konzept geht davon aus, dass sich nicht nur die Substituenten sondern auchdie Bindungselektronenpaare sowie die freien Elektronenpaare untereinander abstoßenund daher versuchen, den maximalen Abstand zueinander einzunehmen.

Das Ammoniakmolekül NH mit einem freien Elektronenpaar und HOmit zwei frei-en Elektronenpaaren weisen beide insgesamt vier Valenzelektronenpaare auf, die sich ent-sprechend der Koordinationszahl vier ( Tab. .) nach den Ecken eines Tetraeders aus-richten. Hieraus resultiert die pyramidale Gestalt des NH-Moleküls und die gewinkelteStruktur des HO-Moleküls.

F

CF F

F

F PF

FF

F

XeF

F F

F

Cl Hg Cl

B

Cl

Cl

Cl

NH H

H OH H

SF

FF

F

F Cl

F

F

Xe

F

F

F ClO

OF

F

sp

sp2

sp3

sp3d

sp3d2 SF

F

FF

FFBr

FFF

FF

Abb. 1.15 VSEPR-Konzept und Strukturen ausgewählter Moleküle

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26 1.4 Chemische Bindung

Bei der Koordinationszahl fünf ergibt sich eine Besonderheit, da die fünf Ecken dertrigonalen Bipyramide nicht äquivalent sind. Es gibt zwei axiale und drei äquatoriale Po-sitionen. Freie Elektronenpaare ordnen sich immer in den äquatorialen Positionen an, wiedie Beispielevon SF, ClF und XeF ( Abb. .) zeigen. Treten bei der Koordinationszahlsechs zwei freie Elektronenpaare auf, so befinden sich diese an gegenüberliegenden Eckendes Oktaeders, also in trans-Stellung. Für Moleküle wie XeF ( Abb. .) resultiert dahereine quadratisch-planare Anordnung der Substituenten.

Beim Vorliegen von freien Elektronenpaaren werden die Strukturen häufig leicht ver-zerrt, da die freien Elektronenpaare weiter ausladend sind und daher etwas mehr Platzbenötigen als die Elektronenpaare der σ-Bindungen. Aus diesem Grund ist beispielsweiseder Bindungswinkel HNH = 107○ im NH und HOH = 104,5○ im HO kleiner als derideale Bindungswinkel im Tetraeder, wie er mit 109,47○ im CH oder CF auftritt.

Bisher haben wir nur freie Elektronenpaare und Elektronenpaare von σ-Bindungen be-trachtet. Tatsächlich sind es auch diese, die die Strukturen der Moleküle imWesentlichenbestimmen. Mehrfachbindungen ändern die oben abgeleiteten Strukturen nicht wesent-lich. Sie benötigen jedoch etwasmehr Platz als Einfachbindungen. π-gebundene Substitu-enten ordnen sich daher in der trigonalen Bipyramide wie die freien Elektronenpaare ineiner äquatorialen Position an. In Abb. . ist mit ClOF ein Beispiel angegeben.

Die experimentellen Strukturbestimmungen bestätigen in aller Regel die Vorhersagennach demVSEPR-Konzept. Hingegen erwartetman aufgrund der Ausrichtung der Atom-orbitale in vielen Fällen andere Strukturen, da die maximale Orbitalüberlappung und da-mit die stabilste Atombindung dann erreicht wird, wenn die Atomorbitale mit ihren Sym-metrieachsen zusammenfallen (Prinzip der maximalen Überlappung). Im tetraedrischenCH-Molekül entsprechen die Bindungsrichtungen jedoch nicht der Ausrichtung derAtomorbitale. Die Symmetrieachsen der p-Orbitale schließen Winkel von ○ ein,während der ideale Bindungswinkel im Tetraeder 109,47○ beträgt.

L. Pauling entwickelte daher das Prinzip der Hybridisierung . Man muss dabeiberücksichtigen, dass die in�Kap. .. eingeführten Atomorbitale nur eine denkbare Lö-sung der Schrödinger-Gleichung darstellen. Die AOs können durch Linearkombinationin andere, äquivalente Lösungen transformiert werden. So kann man aus dem s- undden drei p-Orbitalen vier gleiche Orbitale erhalten, die nach den Ecken eines Tetraedersausgerichtet sind. DieseOrbitale werden sp3-Hybridorbitale genannt. Entsprechend kannman aus dem s- und zwei p-Orbitalen drei sp2-Hybridorbitale erhalten, die auf die Eckeneines gleichseitigen Dreiecks weisen oder man kombiniert ein s- mit einem p-Orbital zuzwei sp-Hybridorbitalen, die einenWinkel von 180○ miteinander bilden.

In Abb. . sind die sp3-Hybridorbitale dargestellt. Man erkennt, dass die einzelnenOrbitale asymmetrisch sind und mit ihrer größten Elektronendichte in Richtung auf dieBindungspartner weisen. Hieraus und aus der günstigen Ausrichtung resultieren stabilereBindungen als im Falle der nicht hybridisierten Atomorbitale. Die asymmetrische Formund die Ausrichtung derHybridorbitale erlaubt eine sehr gute Überlappung zu σ-Bindun-gen, aber andererseits keine Überlappung zu π-Bindungen.

⊡ MERKE Hybridorbitale sind grundsätzlich nur zur Bildung von σ-Bindungen und zurAufnahme von freien Elektronenpaaren oder einzelnen Radikalelektronen geeignet.π-Bindungen werden stets von den nicht hybridisierten AOs gebildet.

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1

1.4.2 Atombindung oder kovalente Bindung 27

–0,1

0,1

0,2

0,30,4

–0,4

–0,2–0,3

Abb. 1.16 Darstellung der sp3-Hybridorbitale

Voraussetzung für eine energetisch günstige Bildung vonHybridorbitalen ist, dass sich diebeteiligten AOs möglichst wenig in ihrer Energie unterscheiden. Da die Energiedifferenzzwischen s- und p-Orbitalen imPSE von links nach rechts stark zunimmt, nimmt in dieserRichtung zugleich die Tendenz zur Hybridisierung ab. Die Tendenz zur Hybridisierungnimmt außerdem innerhalb der Gruppen des PSE von oben nach unten ab, wie ein Ver-gleich der Bindungwinkel in denMolekülen EH (E = N, P, As, Sb) und EH (E = O, S, Se,Te) zeigt. Im NH liegt der Winkel H−N−Hmit 107○ nahe am idealenWert, während beiPH 93,8

○ und bei AsH und SbH Werte von etwa 91○ gefunden werden, die für eine Bin-dung durch die nicht hybridisierten p-Orbitale sprechen. Analoge Verhältnisse findetmanbei HO (104,5○), HS (92

○) und HSe (91○). Die maximale Tendenz zur Hybridisierung

liegt daher im Bereich der Hauptgruppenelemente bei den Elementen B, C und N.

Mehrfachbindungen und die DoppelbindungsregelMehrfachbindungen entstehen durch die Kombination von einer σ- mit einer oder zweiπ-Bindungen. Betrachtetman die Überlappung der p-Orbitale, die zur σ- oder π-Bindungführen kann, so ist die σ-Überlappung stets besser als die π-Überlappung (�Kap. ..), daim Falle der σ-Bindung die p-Orbitale mit ihrer Vorzugsrichtung zusammentreffen. Beieiner Vergrößerung des Atomabstands wird die von den p-Orbitalen gebildete (p−p)π-Bindung zunehmend ungünstiger gegenüber einer (p−p)σ-Bindung. Die Neigung, eine(p−p)π-Bindung auszubilden, nimmt somit beim Übergang zu den größeren Elementender höheren Perioden des PSE stark ab, sodass derartige Doppelbindungen bevorzugt vonden Elementen der ersten Achterperiode ausgebildet werden. Man erkennt diese alsDop-pelbindungsregel bekannte Erscheinung beispielsweise an einem Vergleich der Element-strukturen von Sauerstoff und Schwefel oder Stickstoff undPhosphor sowie der Strukturenvon CO und SiO. Sauerstoff bildet O-Moleküle mit einer Doppelbindung, währendSchwefel in Form von Ringen oder Ketten auftritt, in denen jedes S-Atomüber zwei σ-Bin-dungen gebunden ist. ImN liegt eine Dreifachbindung vor. Jedes Phosphoratom bildet indenElementmodifikationenhingegen drei Einfachbindungen. CO ist einGasmolekülmitDoppelbindungenund SiO ist ein polymerer Festkörpermit sp3-hybridisiertemSi-Atom,das vier Si−O-σ-Bindungen ausbildet. Die Doppelbindungsregel bezieht sich jedoch nur

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28 1.4 Chemische Bindung

O

OsO O

O2

O

PO O

OH

H

H

O

SO O

OH

H

O

ClO O

O

H

O

VCl Cl

Cl

Orthophosphorsäure PerchlorsäureSchwefelsäure

Vanadiumoxidchlorid Osmiumtetroxid

Abb. 1.17 Moleküle und Ionen mit (d−p)π-Bindungenauf (p − p)π-Bindungen. Die schwererenHauptgruppen- und die Nebengruppenelemen-te könnenmit ihren d-Orbitalen (d − p)π-Bindungen z. B. zu Sauerstoffatomenausbilden.Beispiele sind die Anionen der Sauerstoffsäuren der Elemente P, S und Cl oder Molekü-le wie VOCl und OsO, von denen einige in Abb. . in Form ihrer Lewis-Formelnangegeben sind.

Koordinative Bindung und die 18-Elektronen-RegelIn vielen Fällen stammen die Elektronen einer Atombindung nur von einem der beidenBindungspartner. Dies ist z. B. beim Produkt der Reaktion von NH mit einem Protonzum NH+

-Kation oder der Reaktion von BF mit einem F−-Ion zum BF− der Fall. Auchbei der Reaktion vonNi+ mit Ammoniak zumHexamminkomplex [Ni(NH)]

+ werdenkovalente Bindungen gebildet, deren Elektronen von den NH-Molekülen stammen.Manspricht in diesem Fall von einer koordinativen Bindung. Diese unterscheidet sich jedochin der Regel nicht von einer normalen Atombindung. So kann man auch nicht zwischenden vier N−H-Bindungen im NH+

-Ion oder den vier B−F-Bindungen im BF− -Ion unter-scheiden.

B

F

F

F

N

H

H

H

H

F

H

+

N

H

H

H

B

F

F

F

F

+

+

+

C. K. Ingold bezeichnete das Elektronen liefernde Teilchen, den Elektronenpaar-Donator,als nucleophil (nucleos griech. Kern) und das Elektronen aufnehmende Teilchen, denElektronenpaar-Akzeptor, als elektrophil. NachG.N. Lewis wird der Elektronenpaar-Do-nator auch Lewis-Base und der Elektronenpaar-Akzeptor Lewis-Säure (�Kap. ..) ge-nannt.

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1

1.4.3 Die Metallbindung 29

Bei den obigen Beispielen sind NH und F− die Lewis-Basen. H+, BF und Ni+ sinddie Lewis-Säuren. Bei der Reaktion einer Lewis-Säure mit einer Lewis-Base wird stetseine koordinative Bindung gebildet. Das Reaktionsprodukt wird als Komplex (�Kap. .)bezeichnet.

Komplexe der Übergangselemente sind besonders stabil, wenn sie die -Elektronen-Regel erfüllen. Dies ist eine Analogie zur Oktett-Regel (�Kap. ..) bei den Haupt-gruppenelementen, die besagt, dass ein stabiler Zustand erreicht wird, wenn die ns-und np-Niveaus der äußersten Schale mit acht Elektronen voll aufgefüllt sind. Bei denÜbergangselementen müssen jedoch zusätzlich zu den ns- und np-Niveaus auch die(n − 1)d-Orbitale aufgefüllt werden, sodass insgesamt Elektronen erforderlich sind.Diese ergeben sich aus den beim Übergangsmetall bereits vorhandenen Elektronen undden Elektronenpaaren der koordinativen Bindungen von den Liganden.

1.4.3 Die MetallbindungDie typischen Metalle haben niedrige Ionisierungsenergien und können daher ihre Va-lenzelektronen relativ leicht abgeben. Ein einfaches, qualitativesModell derMetallbindunggeht von einem Kristallgitter aus Metallkationen und einem Elektronengas aus. Dabeikommt es zu elektrostatischer Anziehung zwischen den Metallkationen und dem Elek-tronengas. Die Elektronen sind keinem speziellen Atom zugeordnet. Vielmehr gehörensie gleichberechtigt allen Atomen des Gitters an. Da hierbei keine Vorzugsrichtungen derBindungen ausgebildet werden und im Falle einesMetalls aus gleichenAtomen diese auchgleich groß sind, resultieren hochsymmetrische Metallstrukturen wie die kubisch und he-xagonal dichteste Kugelpackung und die kubisch innenzentrierte Struktur.

DieVorstellung eines Elektronengasesmit völlig freien und voneinander unabhängigenElektronen ist jedoch stark vereinfacht, da die Elektronen den gleichenGesetzmäßigkeitenund Beschränkungen unterliegen, die auch für Moleküle gelten. Insbesondere muss auchin einemMetall das Pauli-Prinzip beachtet werden.DieMetallbindung ist eineMultizen-trenbindung, deren Orbitale über den gesamten Kristall delokalisiert sind. Die Anzahlder Multizentrenorbitale entspricht hierbei der Anzahl Atomorbitale, die an der BildungderMultizentrenorbitale beteiligt sind. Da in einemKristall einesMetalls sehr vieleAtomevorhanden sind – in einemMol sind es NA = 6,02 ⋅ 1023 – und alle mit mindestens einemAObeitragen, entstehen auch sehr viele dieserMehrzentrenorbitale, deren Energieniveausdann so dicht beieinander liegen, dass die Energieunterschiede zwischen ihnen minimalwerden und sie zu einem Energieband verschmelzen. Man erkennt dies auch daran, dassein isoliertes Atom oder Molekül mit deutlich separierten Energieniveaus bei entspre-chender Anregung ein Linienspektrum ergibt, während ein Festkörper wie die Metalleein kontinuierliches Elektronen-Spektrum erzeugt.

Das mit den Valenzelektronen besetzte Energieband wird als Valenzband bezeichnet.Das Vorliegen vonMultizentrenorbitalen, die über den gesamtenKristall ausgedehnt sind,macht auch die gute elektrische Leitfähigkeit (Leiter erster Art) verständlich. Voraus-setzung ist allerdings, dass das Valenzband nur teilweise besetzt ist und somit über freieNiveaus verfügt, auf die die Elektronen angeregt werden können. Elektrische Leitfähigkeitkann auch auftreten, wenn das Valenzband voll besetzt ist, aber mit einem energetischhöher liegenden, leerenEnergieband überlappt. Letztereswird Leitungsband genannt. Beieinem Isolator existiert eine größere Energielücke oder verbotene Zone zwischen Valenz-und Leitungsband, sodass keine oder nur sehr wenige Elektronen das Leitungsband errei-chen können und daher die Leitfähigkeit äußerst gering ist.

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30 1.4 Chemische Bindung

Bei einem Eigenhalbleiter ist die verbotene Zone zwischen Valenz- und Leitungsbandso klein, dass sie bei ausreichender Anregung von genügend Elektronen übersprungenwerden kann, um eine geringe Leitfähigkeit zu bewirken, die deutlich größer ist als dieeines Isolators aber kleiner als bei einem elektrischen Leiter erster Art.

1.4.4 Übergänge zwischen den BindungstypenDie imVorangehenden beschriebenendrei Typender chemischenBindung sindGrenzfäl-le mitModellcharakter. Sie sind nur in einigen Fällen in reiner Form verwirklicht. Bei denmeisten anorganischen Verbindungen treten Übergänge auf, wobei häufig ein Bindungs-typ dominiert. Den Übergang zwischen der reinen Atombindung und der Ionenbindungmacht man sich am besten anhand der in Tab. . aufgeführten Verbindungen klar.

Bei NaCl liegt eine Ionenbindung vor, während im Cl die Cl-Atome über eine Atom-bindung verknüpft sind. Aus den Siede- und Schmelzpunkten von SiCl und PCl erkenntman, dass es sich hierbei um Flüssigkeiten handelt. Dies kann mit der Molekülform derVerbindungen erklärt werden, deren Bindungen weitgehend kovalenten Charakter haben.Dennoch sind die Bindungen nicht völlig unpolar, wie dies bei Cl der Fall ist. Sie weiseneine Bindungspolarität auf. Die Bindungselektronenpaare sind mehr zu den Cl-Atomenhin polarisiert, sodass diese eine partielle negative und die Si- bzw. P-Atome eine partiellepositive Ladung erhalten. Dadurch kommt zur kovalenten Bindung eine partielle Ionen-bindung hinzu.Mannennt diese LadungenPartialladungen, da sie in ihremBetrag kleinersind als eine volle Elementarladung. Sie werden durch die Symbole δ+ und δ− dargestellt.

Die Partialladungen können bei Molekülen einen Dipolcharakter bewirken. Dies istbei PCl wie auch beim HO- und HCl-Molekül der Fall, nicht aber bei SiCl, da hier dienegativen Partialladungen der Cl-Atome symmetrisch umdas positiv polarisierte Si-Atomverteilt sind. Eine analoge Situation liegt beim linear gebauten CO-Molekül vor. BeimHCl-Molekül befindet sich der Schwerpunkt der positiven Partialladung beim H-Atomund der Schwerpunkt der negativen Partialladung beim Cl-Atom. Beim HO-Molekülsummieren sich die Bindungspolaritäten, sodass der Schwerpunkt der positiven Ladungin der Mitte zwischen den beiden H-Atomen lokalisiert ist.

H ClO

HH

δ+ δ−

δ+

δ−

Bei AlCl ist der Ionenbindungsanteil schon deutlich größer als bei SiCl und PCl, wieman auch aus den höheren Fixpunkten ( Tab. .) sehen kann. Man kann hier von einerIonenbindung ausgehen. Die relativ hohe Ladung des Al+-Ions wirkt aber stark polari-sierend auf die Elektronenhülle der Cl−-Ionen, sodass diese ihre Kugelform verlieren unddeformiert werden.

Tab. 1.7 Übergänge zwischen Atom- und Ionenbindung ( 1) unter Druck, 2) Sublimation)

Ionenbindung Übergangsbindung Atombindung

NaCl MgCl2 AlCl3 SiCl4 PCl3 SCl2 Cl2

Smp. /○C 800 712 192,51) −67,7 −93,6 −122 −101Sdp. /○C 1465 1418 1802) 56,7 76,1 59 −34,1

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1

1.4.4 Übergänge zwischen den Bindungstypen 31

Da bei den Anionen durch den Überschuss an Elektronen die Elektronenhüllen größerund weniger fest gebunden sind als bei den Kationen, ist die Polarisierung bei den Anio-nen besonders stark. Je größer der Radius und je höher geladen einAnion ist, desto stärkerwird es bei gegebenen Kationen deformiert. Bei gegebenen Anionen wirkt ein Kation umso stärker deformierend, je kleiner sein Radius und je größer seine Ladung ist. Je stärkerdie Polarisierbarkeit der Anionen und je polarisierender die Wirkung der Kationen ist,umso mehr verschiebt sich der Bindungscharakter von der Ionen- zur Atombindung.

Wie zwischen Ionen- und Atombindung, so gibt es auch zwischen diesen beiden undder Metallbindung entsprechende Übergänge.

ElektronegativitätZur Beurteilung der Bindungspolaritäten führte L. Pauling den Begriff der Elektro-negativität ein.

⊡ MERKE Unter der Elektronegativität eines Elements verstehtman seine Fähigkeit, in einemMolekül die Bindungselektronen an sich zu ziehen.

Je größer die Elektronegativität eines Elements ist, umso stärker zieht es die Bindungselek-tronen an. Pauling legte für die Elektronegativitäten dimensionslose Vergleichswerte fest,die sich zwischen demWert 4,0 für Fluor als elektronegativstemElement und 0,7 für Cae-sium bewegen. In Tab. . sind die Elektronegativitätswerte der Hauptgruppenelementeangegeben. Die Elektronegativitätswerte der Übergangselemente unterscheiden sich nichtso stark. Sie liegen zwischen 1,1 für La sowie einige Lanthanoidenelemente und 2,4 fürGold.

H

2,1

Li Be B C N O F

1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0

Na Mg Al Si P S Cl

0,9 1,2 1,5 1,8 2,1 2,5 3,0

K Ca Ga Ge As Se Br

0,8 1,0 1,6 1,8 2,0 2,4 2,8

Rb Sr In Sn Sb Te I

0,8 1,0 1,7 1,8 1,9 2,1 2,5

Cs Ba Tl Pb Bi Po At

0,7 0,9 1,8 1,8 1,9 2,0 2,2

Tab. 1.8 Elektronegativitätswerte derHauptgruppenelemente nach Pauling (dieElektronegativitäten der Übergangselementeliegen zwischen 1,1 und 2,4)

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32 1.4 Chemische Bindung

Die Elektronegativitätswerte geben die Größe und auch die Richtung des Dipolmo-ments eines Moleküls an. So trägt z. B. im Dichloroxid ClO das O-Atom die negativePartialladung.Hingegen ist im SauerstoffdifluoridOF dasO-Atomder positiv polarisierteBindungspartner, da Sauerstoff in der Elektronegativitätsskala zwischen Fluor und Chloreingereiht ist. Entsprechend der Definition verläuft die Richtung des Dipolmoments vomnegativen zum positiven Pol.

Mithilfe der Elektronegativitätsdifferenzen kann man auch den Ionenbindungscharak-ter einer kovalenten Bindung abschätzen. Es wird angenommen, dass bei einer Differenzvon 1,9 etwa % Ionenbindungscharakter vorliegt. Bei noch größeren Differenzen über-wiegt die Ionenbindung, während bei kleinerenWerten die Atombindung vorherrscht.

1.4.5 Van der Waals-BindungenNeben den drei besprochenen Bindungstypen und ihren Übergangsformen gibt es nochweitere, deutlich schwächere Bindungskräfte, die nach van der Waals (–), derschon auf ihre Existenz hingewiesen hatte, als van der Waals-Bindungen bezeichnetwerden. Man kann auf derartige anziehende Wechselwirkungen schließen, wenn manberücksichtigt, dass Edelgase und Moleküle bei tiefen Temperaturen kristallisieren unddefinierte Strukturen ausbilden. Auch weist die Beobachtung, dass sich Gase beimKomprimieren erwärmen und beim Expandieren Abkühlen, auf bindende Wechsel-wirkungen zwischen den Gasmolekülen hin.

Die van der Waals’schen Bindungen beruhen auf elektrostatischen Kräften zwischenDipolen, wobei permanente als auch induzierte Dipole wirksam werden können. Mankann drei Fälle unterscheiden.

. Anziehungskräfte zwischen zwei induziertenDipolen. Diesewerden auchDispersions-kräfte genannt.

. Anziehungskräfte zwischen zwei permanenten Dipolen. Ein spezieller Fall dieser Bin-dungsart ist dieWasserstoffbrückenbindung.

. Anziehungskräfte zwischen einem Ion und einem Dipol.

Der erste Fall der Dispersionskräfte ist stets wirksam und hat somit einen geringen Anteilan jeder Bindung. In reiner Form treten die Dispersionskräfte beispielsweise zwischenden Edelgasen im Kristall auf. Beim Annähern von Edelgasatomen oder Molekülen be-einflussen sich ihre Elektronenhüllen gegenseitig, wobei Dipole induziert werden, die sichgegenseitig ausrichten und so eine schwacheBindung bewirken. Die Polarisation der Elek-tronenhülle und damit auch die Dispersionskraft ist umso größer, je größer und weicherdie Elektronenhüllen sind. Daher sind die Dispersionskräfte bei großenMolekülen beson-ders stark.

Stärker sind die bindenden Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen. Diesäußert sich in ihrem Bestreben zur Assoziation. Diese Erscheinung tritt besonders beiWasserstoffverbindungen mit kleinen stark elektronegativen Atomen auf. Beispiele sindHF, HO undNH. Sie bilden durch Assoziation größere Einheiten ( Abb. .), wodurchauch die zu ihren schwererenHomologenHCl, HS undPH höheren Schmelz- und Siede-punkte zu erklären sind ( Abb. .). ImFalle dieser besonders starkenWechselwirkungenspricht man von Wasserstoffbrückenbindungen. Bei CH treten keine H-Brückenbin-dungen auf. Die Schmelz- und Siedepunkte von CH und den höheren Homologen zeigendaher den normalen Verlauf der Zunahme mit zunehmendemMolekulargewicht.

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1

1.4.5 Van der Waals-Bindungen 33

FH

FH

FH

FH

FH

F

H

F H F

HF

H

FHF

Ha b

Abb. 1.18 Darstellung der Struktur von HF im Gas (a) und im Kristall (b)

Wasserstoffbrückenbindungen werden nur zu stark elektronegativen Atomen hin aus-gebildet. Das positiv polarisierte Wasserstoffatom eines Moleküls und ein freies Elektro-nenpaar am elektronegativen Atom eines anderen Moleküls ziehen sich an und bildenso die Wasserstoffbrücke. In Abb. . sind diese Wechselwirkungen durch punktierteLinien dargestellt.

In der Regel sind dieWasserstoffbrücken – wie in Abb. . durch einen durchgezoge-nen Bindungsstrich und eine punktierte Linie angedeutet – unsymmetrisch (unsymme-trischeWasserstoffbrücken); d. h. die beiden vom H-Atom ausgehenden Bindungen sindverschieden lang. Man kennt daneben aber auch symmetrische Wasserstoffbrücken mitzwei gleich langen Abständen vom H-Atom zu den beiden elektronegativen Akzeptor-

100

0

–100

–200

a b

H₂O

H₂O

H₂SH₂SNH₃

NH₃

PH₃

PH₃SbH₃

SbH₃

AsH₃

AsH₃

SnH₄

SnH₄

CH₄CH₄

SiH₄

SiH₄

GeH₄

GeH₄HCl

HClHBrHBr

HIHI

HF

HF

H₂SeH₂SeH₂Te

H₂Te

°C

Abb. 1.19 Schmelzpunkte (a) und Siedepunkte (b) von Wasserstoffverbindungen der Ele-mente der 4. bis 7. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente

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34 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

atomen. Ein typisches Beispiel ist das Anion [F⋅⋅⋅H⋅⋅⋅F]−. Wasserstoffbrückenbindungenhaben große Bedeutung in der anorganischen und organischen Chemie sowie in der Bio-chemie.

Als Beispiele für bindende Wechselwirkungen zwischen einem Ion und einem Dipolkann man die hydratisierten Ionen oder Aquakomplexe ansehen, die sich beim Löseneines Salzes in Wasser bilden. Hier bestehen elektrostatische Anziehungskräfte zwischendem Zentralion und den es umgebendenWasserdipolen.

1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

Da die hier behandelte anorganisch-analytische Chemie überwiegend eine Chemie derwässerigen Lösungen ist, kommt dem Wasser als Lösemittel eine besondere Bedeutungzu. Die Sonderstellung desWassers innerhalb der Lösemittelwird durch denDipolcharak-ter derWassermoleküle (�Kap. ..) sowie ihre Fähigkeit, Wasserstoffbrückenbindungen(s. o.) auszubilden und als Säure und Base (�Kap. ..) zu wirken, als auch durch die hoheDielektrizitätskonstante (�Kap. ..) bewirkt.

Obwohl Wasser das gebräuchlichste Lösemittel der analytischen Chemie ist, kann esgrundsätzlich auch durch anderewasserähnliche Lösemittelwie SO, NH oderHF ersetztwerden. Diese haben aber den Nachteil der Giftigkeit und des niedrigeren Siedepunkts,sodass die Handhabung sehr viel schwieriger und aufwändiger ist.

1.5.1 Struktur des WassersDie Wassermoleküle sind gewinkelt ( Abb. .). Im freien Wassermolekül beträgt derBindungswinkel 104,5○ und die O−H-Bindungen sind 96pm lang. Im flüssigen und fes-ten Zustand sind die Wasermoleküle über asymmetrische Wasserstoffbrückenbindungenassoziiert, wobei im Eis, von demmehrereModifikationen gut untersucht sind, von jedemO-Atom in tetraedrischerAnordnung vierWasserstoffbrücken ausgehen. JedesO-Atom istvon zweiH-Atomen imkurzenAbstand und zweiH-Atomen im langenAbstand umgeben.Bei Normaldruck kristallisiert Eis normalerweise in der Struktur der SiO-ModifikationTridymit. Diese Struktur enthält viele Hohlräume, sodass Eis bei °C interessanterweiseein % größeres Volumen aufweist als Wasser. Beim Schmelzen werden die Wasserstoff-brücken teilweise gelöst und die Hohlräume fallen zusammen. Bei + °C hat Wasser mit1,00 g/cm3 die größte Dichte. Sowohl beim Abkühlen als auch beim Erwärmen wird dieDichte geringer. Dieser Sachverhalt wird alsDichteanomalie des Wassers bezeichnet.

1.5.2 DielektrizitätskonstanteZwischen zwei geladenen Metallplatten wird ein elektrisches Feld aufgebaut. Bringt manin den zuvor materiefreien Raum zwischen den geladenen Metallplatten ein Medium,so sinkt die Feldstärke ab. Das Verhältnis der Feldstärken im Vakuum und im Mediumdefiniert die relative Dielektrizitätskonstante εr des Mediums.

OHH

104,5°

96 pm

Abb. 1.20 Struktur des Wassermoleküls

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1

1.5.3 Wasser als Lösemittel: Elektrolytische Dissoziation 35

Die Minderung der Feldstärke beruht auf dem Auftreten eines entgegengesetzt gerich-teten Feldes. Dieses entsteht durch die Ausrichtung der induzierten oder permanentenDipole der Atome oder Moleküle des Mediums. Die relative Dielektrizitätskonstante hatfür jeden Stoff einen bei konstanter Temperatur charakteristischen Wert. Für Wasser istder Wert mit εr = 81,1 ( °C) besonders hoch. Wasser ist daher für viele Salze ein ausge-zeichnetes Lösemittel.

1.5.3 Wasser als Lösemittel: Elektrolytische DissoziationViele Substanzen mit unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaftengehen bei der Einwirkung von Wasser in Lösung. Salze dissoziieren dabei in ihre Ionen.Moleküle gehen entweder als solche in Lösung, wie die Beispiele Zucker, Harnstoff undAlkohole zeigen, oder sie dissoziieren ebenfalls in Ionen wie z. B. HCl.

Der Auflösevorgang bei SalzenSalze bilden im festen Zustand Ionengitter mit hoher Gitterenergie (�Kap. ..). Diesemuss beim Lösevorgang aufgebracht werden. Hierbei spielen zwei Prozesse eine wichtigeRolle.

Die Ionen eines Salzes umgeben sich beim Lösen mit Wassermolekülen, die sich ent-sprechend der Ladung des Ions ausrichten. Man nennt diesen Vorgang Hydratisierung.Hierbei wird die Energie der Bindung zwischen den freien Ionen und denWasserdipolenfrei. Man bezeichnet diejenige Energie, die bei dem hypothetischen Prozess der Lösungund Hydratisierung von freien, gasförmigen Ionen freigesetzt wird, als Hydratisierungs-enthalpie. Je nach dem, ob die Hydratisierungsenthalpie größer oder kleiner als dieGitter-energie ist, muss die Lösungswärme abgeführt oder zugeführt werden. D. h. die Lösungerwärmt sich (z. B. beim Lösen von CaCl, HCl-Gas oder HSO) oder sie kühlt sichab (z. B. beim Lösen von CaCl ⋅ HO). Wird der Lösevorgang bei konstantem Druckdurchgeführt, nennt man die umgesetzte Wärmemenge Lösungsenthalpie. Sie ist wie dieHydratisierungsenthalpie von der Konzentration der entstandenen Lösung abhängig. Au-ßerdem vermindert die hohe Dielektrizitätskonstante des Wassers die Anziehungskraftzwischen den Ionen und erleichtert dadurch den Lösungsprozess.

Der Auflösevorgang bei MolekülverbindungenNormalerweise werden in polaren Lösemitteln wie Wasser bevorzugt polare Verbindun-gen wie Salze gelöst. Für unpolare Moleküle wie CCl oder Paraffine ist Wasser kein gutesLösemittel. Eine Ausnahme bilden hierbei jedoch Moleküle wie Zucker, Harnstoff oderEthanol, die zumWasserWasserstoffbrücken ausbilden können und dadurch hydratisiertwerden.

Moleküle, die wie HCl Säuren (�Kap. ..) sind, können in Wasser in ein H+-Ion unddas Säurerestion dissoziieren, die beide hydratisiert werden. Hierbei entstehen aus denProtonen HO

+-Ionen, die Oxoniumionen genannt werden. Diese umgeben sich nochmit weiteren Wassermolekülen und bilden Hydroxoniumionen oder Hydroniumionen[(HO) ⋅ (HO)x ]

+. Oft schreibt man jedoch der Einfachheit halber anstelle der hydrati-sierten Form nur H+.

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36 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

1.5.4 Elektrolytlösungen – IonenreaktionenStoffe, die in wässeriger Lösung in merklichem Umfang Ionen bilden, bezeichnet manals Elektrolyte und den Vorgang als elektrolytische Dissoziation. Zu den Elektrolytengehören drei große Stoffklassen: Salze, Säuren und Basen.

DieTheorie der elektrolytischen Dissoziation wurde in ihren Grundzügen bereits von Arrhenius aufgestellt und später insbesondere durch van’t Hoff, Debye und Hückelweiterentwickelt.

Für alle Elektrolyte gilt das Gesetz der Elektroneutralität; d. h. in allen Ionen enthal-tenden Systemen (Lösungen, Ionenverbindungen) ist die Summe der positiven gleich derSumme der negativen Ladungen.

Die Ladung eines Ions ist entweder gleich der Einheit der Elementarladung (1,602 ⋅10−19 Coulomb) oder ein ganzzahliges Vielfaches davon. Die Anzahl der elektrischen Ele-mentarladungen pro Teilchen wird als Ionenladung mit entsprechendem Vorzeichen an-gegeben. So ist beispielsweise das Natriumion Na+ einfach positiv, das Chloridion Cl−einfach negativ und das Sulfation SO−

zweifach negativ geladen.Das Vorliegen von Ionen in der Lösung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Ge-

schwindigkeit chemischer Reaktionen. Im Allgemeinen verlaufen Ionenreaktionen sehrviel schneller als Reaktionen zwischen gelöstenMolekülen.

Für die Formulierung von Ionenreaktionen ist eine verkürzte Schreibweise sinnvoll, beider nur die an der Reaktion beteiligten Ionen aufgeführt werden. Statt:

(Ag+ +NO−3 ) + (H+ +Cl−) �→ AgCl ↓ + (H+ +NO−3 )oder (Ag+ +NO−3 ) + (Na+ +Cl−) �→ AgCl ↓ + (Na+ +NO−3 )schreibt man verkürzt:

Ag+ +Cl− �→ AgCl ↓In denmeisten Fällen liegen die Ionen in wässeriger Lösung hydratisiert vor (�Kap. ..).Da die in einem Aquakomplex gebundenen Wassermoleküle bei der Mehrzahl der Reak-tionen nicht in Erscheinung treten, lässt man sie in der Regel in der Reaktionsgleichungunberücksichtigt.

1.5.5 Ionenwanderung im elektrischen FeldElektrolytlösungen (Lösungen von Salzen, Säuren oder Basen) leiten den elektrischenStrom durch Wanderung der gelösten Ionen. Im Gegensatz zu Metallen, Leitern ersterArt, bei denen Elektronen den Stromtransport bewirken, bezeichnet man Elektrolyte alsLeiter zweiter Art.

Im elektrischenFeldwanderndie positiv geladenenKationen zurKathode, demMinus-pol, die negativ geladenen Anionen zur Anode, dem Pluspol. Neben dem Ladungstrans-port tritt demnach auch ein Stofftransport ein. AndenElektrodenfindenRedoxreaktionen(�Kap. ..) in Form einerElektrolyse statt, bei der bestimmte Stoffmengen abgeschieden,aufgelöst oder umgesetzt werden. Eine quantitative Beschreibung der Vorgänge geben dieFaraday’schen Gesetze (�Kap. ..).

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1

1.5.7 Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung 37

1.5.6 Konzentration von Lösungen – Stoffmengenkonzentration,Äquivalentkonzentration und Molalität

Unter der Konzentration c einer Lösung verstehtman dieMenge eines gelösten Stoffes proMenge der Lösung. Es gibt hierfür mehrere Maßeinheiten wie z. B. Prozentangaben. Vonbesonderer Bedeutung für den Chemiker ist jedoch die Stoffmengenkonzentration. Sieist als gelöste Stoffmenge in Mol (�Kap. .) pro Volumen der Lösung definiert und wirdin Mol pro Liter (mol/L) angegeben. Als Konzentrationsangabe verwendet man dabei dieBezeichnung molar (1mol/L; 0,1mol/L usw.). Seltener verwendet wird dieMolalität, dieangibt, wie viel Mol des Stoffes pro 1000 g Lösemittel gelöst sind.

Bei Säure-Base-Reaktionen (�Kap. ..) oder Redox-Reaktionen (�Kap. ..) beziehtman die Konzentration einer Lösungmeistens auf die Stoffmenge an Protonen, Hydroxid-ionen oder Elektronen und spricht dann von derÄquivalentkonzentration, für die bisherals Maßeinheit N benutzt wurde, z. B. N HSO oder ,N KMnO. Die Normalität Nist jedoch keine der gesetzlich vorgeschriebenen SI-Maßeinheiten und sollte daher nichtmehr benutzt werden.

Bei Säuren und Basen ergibt sich die für eine Äquivalentkonzentration von 1mol/LbenötigteMasse an Säure oder Base als Produkt aus der Stoffmenge 1mol und dermolarenMasse, dividiert durch dieWertigkeit der Säure bzw. Base, d.h. die Anzahl verfügbarerH+-bzw. OH−-Ionen. Eine Schwefelsäuremit einer Äquivalentkonzentration von 1mol/L ent-hält somit 0,5mol = 49,0 g H2SO4 pro Liter, da die Schwefelsäure eine zweiwertige Säureist. Bei Salzsäure als eine einwertige Säure stimmt dagegen die Stoffmengenkonzentrationmit der Äquivalentkonzentration überein.

Bei Redox-Reaktionen ist bei einer Äquivalentkonzentration von 1mol/L eine Stoff-menge im Liter gelöst, die 1mol Elektronen aufnehmen oder abgeben kann. Da z. B. Per-manganat in saurer Lösung zu Mn+ reduziert wird und dabei Elektronen aufnimmt,enthält eine KMnO-Lösung mit einer Äquivalentkonzentration von c = (1/5KMnO4) =1mol/L nur 1/5mol = 31,6 g KMnO4 pro Liter.

1.5.7 Gefrierpunktserniedrigung und SiedepunktserhöhungLösungen besitzen im Vergleich zum reinen Lösemittel sogenannte kolligative Eigen-schaften: osmotischer Druck, Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung.Nach dem Raoult’schen bzw. Beckmann’schen Gesetz sind die Größen dieser Effekteproportional zur Konzentration des gelösten Stoffes, für die als Maß die Molalität cmgewählt wird.

Gefrierpunktserniedrigung: Δt = Eg ⋅ cm ()Siedepunktserhöhung: Δt = Es ⋅ cm ()

Die Proportionalitätsfaktoren Eg und Es werden als molare Gefrierpunktserniedrigungbzw. molare Siedepunktserhöhung bezeichnet. Sie sind Lösemittelkonstanten und unab-hängig vonderArt des gelösten Stoffs. FürWasser beträgt diemolareGefrierpunktsernied-rigung 1,860K ⋅ kg ⋅mol−1 und die molare Siedepunktserhöhung 0,511K ⋅ kg ⋅mol−1.

Die Siedepunktserhöhung und vor allem die Gefrierpunktserniedrigung können zurexperimentellen Bestimmung der Molmassen benutzt werden, da sie ein Maß für die An-zahl Mole n in der Lösung darstellen und sich bei Kenntnis der eingewogenen Massem dieser n Mole die Masse eines Mols berechnen lässt. Man nennt diese Methoden derMolmassenbestimmung Ebullioskopie und Kryoskopie, mit deren Hilfe man zugleich

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38 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

feststellen kann, ob ein gelöster Stoffmonomer, dimer oder oligomer vorliegt. Ein Beispielist das kaum dissoziierte Quecksilber(I)-chlorid, das als HgCl und nicht als HgCl in derLösung vorliegt.

Elektrolytlösungen zeigen scheinbar anomale Effekte. Da Δt von der Anzahl gelös-ter Mole und damit von der Teilchenzahl abhängt, ergibt sich ein Unterschied, ob einStoff als Molekül in Lösung geht oder in Ionen dissoziiert. Ginge beispielsweiseEssigsäureCHCOOH in Molekülform in Lösung, so lägen x Teilchen vor. Würde sie vollständig inHO

+- und CHCOO−-Ionen dissoziieren, sowären es 2x Teilchen. Bei der tatsächlich er-folgenden nur teilweisenDissoziationmuss der Dissoziationsgrad α (�Kap. ..) berück-sichtigt werden. Ist die ursprüngliche molare Konzentration des undissoziierten Stoffescm0 , so wird infolge der Dissoziation die tatsächliche, in der Elektrolytlösung vorhande-ne Konzentration cm = cm0 ⋅ (1 + α). Für die Gefrierpunktserniedrigung (entsprechendesgilt für die Siedepunktserhöhung) folgt:

Δt = Eg ⋅ cm0 ⋅ (1 + α)Im Fall einer NaCl-Lösung, die für eine Reihe von Salzen typisch ist, findet man bei sehrstarker Verdünnung vollständige Dissoziation, sodass α = 1 wird und man erhält für dieGefrierpunktserniedrigung:

Δt = 2 ⋅ Eg ⋅ cm0

1.5.8 Löslichkeit und KristallwachstumDie Größe der Löslichkeit einer Substanz wird auf die gesättigte, im Gleichgewicht übereinem Bodenkörper vorhandene Lösung bezogen. Aus den sehr unterschiedlichen Kon-zentrationen gesättigter Lösungen folgt die Einteilung in leicht lösliche (mehr als 1mol/L),mäßig lösliche (0,1–1,0mol/L) und schwer lösliche (weniger als 0,1mol/L) Stoffe. Voll-kommen unlösliche Stoffe gibt es nicht.

Die Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit wird in ihrer Größe und Richtung durchdas Vorzeichen und die Größe der Lösungsenthalpie (�Kap. ..) im Sättigungszustandbestimmt. ImAllgemeinen nimmt die Löslichkeit mit steigender Temperatur zu, bei man-chen Verbindungen schwach (z. B. NaCl), bei anderen stark (z. B. KNO). Bei einigenStoffen fällt sie mit der Temperatur (z. B. bei NaSO oberhalb von °C, Abb. .).

In der analytischen Chemie werden zur Charakterisierung, Abtrennung und Bestim-mung oft Fällungen schwer löslicher Verbindungen herangezogen. Wegen der großen Be-deutung der Kristallbildung sollen auf der Grundlage sehr vereinfachter Modellvorstel-lungen die wichtigsten Vorgänge erläutert werden.

Teilchengröße und übersättigte LösungenWährend bei Kristallen von bis 2 μmGröße die Löslichkeit von der Teilchengröße unab-hängig ist, nimmt sie bei kleineren Kristallen oft höhere Werte an ( Abb. .).

Im Bereich der Abhängigkeit von der Teilchengröße steht eine Lösung der Konzen-tration cr nur mit Teilchen des Radius r im Gleichgewicht. Kleinere gehen in Lösung.Für größere Kristalle ist die Lösung übersättigt. In heterogenen Gemischen aus Kristallenunterschiedlicher Größe werden daher die größeren Kristalle auf Kosten der kleinerenwachsen. Bei der Betrachtung von Niederschlägen mit einemMikroskop beobachtet mandeshalbmeistens, dass inderUmgebungder gut ausgebildetenKristalle ein „Hof“ existiert,in dessen Bereich sich alle kleinen Kristalle gelöst haben und zu dem größeren überkris-tallisiert sind.

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1.5.8 Löslichkeit und Kristallwachstum 39

°C

g ge

löst

er S

toff

in 1

000

g W

asse

r

100

1300

1200

1100

1000

900

800

700

600

500

400

300

200

100

10 20 30 40 50 60 70 80 900

KNO₃

Na₂SO₄

Na₂SO₄ · 10H₂O

NaCl

Abb. 1.21 Temperatur-abhängigkeit der Löslichkeiteiniger Salze

Die Erhöhung der Löslichkeit von Teilchen mit abnehmender Größe kann mit derDampfdruckerhöhung von Tröpfchen mit sehr kleinem Radius (r < 1 μm) verglichenwerden. Diese Effekte sind auf die Erhöhung der Oberflächenenergie zurückzuführenund daher von der Oberflächenspannung und dem Radius der Teilchen abhängig.

Wegen der höheren Löslichkeit fein verteilter Stoffe entstehen Niederschläge nur ausübersättigten Lösungen. Diese stellen einen metastabilen Zustand dar, der bei Ausschlussvon Fremdkörpern, die als Kristallkeime wirken können, sehr lange aufrechterhaltenwerden kann. Die Fällung lässt sich beschleunigen durch Zugabe fertiger Kriställchen

1μm

Cr

C∞

r

C

μm

Abb. 1.22 Abhängigkeit der Löslichkeitvon der Teilchengröße

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40 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

(Impfkristalle als Kristallkeime) oder durchKratzenmit einemGlasstab an derGefäßwan-dung (Erzeugung neuer durch Adsorption nicht belasteterOberfläche). Der Niederschlagwächst auf den vorgebildeten Oberflächen weiter.

Versuch: Herstellung und Verhalten einer übersättigten Na2S2O3-LösungMit steigender Temperatur erhöht sich die Löslichkeit von Na2S2O3 ⋅ 5H2O so stark, dass es sichbei 45 ○C im Kristallwasser löst und man bei 100 ○C eine sirupöse Lösung erhält. Diese wirddurch ein engporiges Filter in ein völlig reines, von jeglichen Staubteilchen freies Kölbchenfiltriert und, mit einem Wattebausch verschlossen, abgekühlt. Man erhält eine lange haltbareübersättigte Lösung.

Zur Einleitung der Kristallisation wird ein trockner Glasstab in festes Na2S2O3 ⋅ 5H2O unddanach in die übersättigte Lösung getaucht. Die kleinen anhaftenden Kriställchen genügen,die Übersättigung aufzuheben. Innerhalb weniger Minuten erstarrt die Lösung unter Wärme-entwicklung zu einem festen Kristallbrei. Den gleichen Effekt können kleine Staubteilchen oderErschütterungen hervorrufen.

Keimbildung und KristallwachstumDie Bildung eines Niederschlags erfolgt über zwei Schritte: Keimbildung und Kristall-wachstum.

Zur spontanen Bildung eines Kristallkeims müssen, verursacht durch die ständigeWärmebewegung, die entsprechenden Bausteine (Ionen, Atome, Moleküle) mit geeigne-tem Energiegehalt, in entsprechender Anzahl und räumlicher Anordnung zusammen-stoßen. Allgemein gilt:a) Die Wahrscheinlichkeit für erfolgreiche Zusammenstöße zwischen den Teilchen, die

einen Keim bilden, ist ihrer Anzahl pro Volumeneinheit, d. h. ihrer Konzentration pro-portional.

b) Gefäßwandungen oder Fremdstoffe können zur Keimbildung beitragen. Durch Ad-sorption von Teilchen an Oberflächen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für erfolg-reiche Stöße. Die freiwerdende Adsorptionswärme trägt zur Überwindung der Akti-vierungsenergie für die Niederschlagsbildung bei.

c) Die Keimbildungshäufigkeit ω ist der relativen Übersättigung cr−c∞c∞ proportional:

ω = K′ ⋅ cr − c∞c∞

cr ∶ Löslichkeit des kleinen Kristalls mit Radius rc∞ ∶ Löslichkeit des makroskopischen Kristallscr − c∞ ∶ absolute Übersättigung

Durch kleine Übersättigungen, die bei größeren Löslichkeiten c∞ vorkommen, wird dieKeimbildungsarbeit größer. Damit wird die Keimbildungshäufigkeit kleiner. Das begüns-tigt das Wachsen einmal gebildeter Keime zu größeren Kristallen, da wenig neue Keimehinzukommen. Bei geringer Löslichkeit ist dagegen die Möglichkeit zur Einstellung grö-ßerer Übersättigungen gegeben. Diese führt zur Verkleinerung der Keimbildungsarbeitund damit zu einer Erhöhung der Keimbildungshäufigkeit. Somit treten sehr viele kleineKristalle auf.

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1.5.8 Löslichkeit und Kristallwachstum 41

Beispiel: Fällung von BaSO4 aus neutraler LösungBildet sich ein sehr feinkörniger, schwer filtrierbarer Niederschlag. Im sauren Bereich (pH < 1)ist die Löslichkeit von BaSO4 infolge der Bildung von HSO−4 -Ionen größer; daher wird die Ab-scheidung größerer Teilchen begünstigt.

Unter Kristallwachstum versteht man die Vergrößerung der spontan gebildeten Keime.Es bestimmt vorwiegend die Form des Niederschlags. Hängt die Geschwindigkeit υ desKristallwachstums von der Diffusionsgeschwindigkeit ab, dann ist sie der absoluten Über-sättigung proportional:

υ = K′′ ⋅ (cr − c∞)An der Kristalloberfläche herrscht infolge der Abscheidung der Bausteine die Konzentra-tion c∞ der gesättigten Lösung. Dagegen ist die Konzentration im Inneren der Lösungcr durch die Übersättigung gegeben. Bedingt durch den Konzentrationsunterschied trittDiffusion in Richtung zum Kristall ein.

Fremde in der Lösung befindliche kapillaraktive Stoffe hemmen das Kristallwachstum.Durch Adsorption an den frischen Kristallflächen blockieren sie die aktiven Stellen desKristalls. Die Eigenionen werden deshalb langsamer an energetisch ungünstigere Stelleneingebaut. Wegen der fortdauernden Übersättigung entstehen weitere langsam wachsen-de Kristalle. Dabei werden Anzahl, Größe und Gestalt von Niederschlagsteilchen in derHauptsache von folgenden Faktoren bestimmt:

a) Die relative Übersättigung (cr − c∞)/c∞ steuert die Geschwindigkeit der Keimbil-dung. Die absolute Übersättigung cr − c∞ bestimmt in den meisten Fällen die Ge-schwindigkeit des Kristallwachstums. Hiermit steht die allgemeine Erscheinung in Zu-sammenhang, dass einNiederschlag umso feiner ausfällt, je schwerer löslich er ist. BeimZusammengeben der ionischen Komponenten tritt eine große relative Übersättigungauf, wodurch sehr viele Kristallkeime entstehen, die nur langsam wachsen.

b) Die Gegenwart kapillaraktiver Stoffe hat Einfluss auf die Morphologie der Nieder-schläge.Sind fein verteilte oder gar kolloide Abscheidungen erwünscht, so versetzt man dieLösung vor der Fällung mit kapillaraktiven Stoffen (z. B. Dextrin).

c) Relative Löslichkeitserhöhung und Oberflächenspannung des Niederschlags ent-scheiden über die Möglichkeit der Umkristallisation.⊡ Bei einem gegebenen Niederschlag ist die relative Löslichkeitserhöhung umso grö-

ßer, je kleiner der Radius der Teilchen ist.⊡ Bei gleicher Teilchengröße ist die relative Löslichkeitserhöhung bei verschiedenen

Stoffen umso höher, je größer die Oberflächenspannung ihrer Niederschläge ist.

BaSO (KL = 10−10) und AgCl (KL = 10−9,96) besitzen etwa die gleiche molare Löslich-keit. Hinsichtlich ihrer Oberflächenspannung unterscheiden sie sich aber beträchtlich. Sonimmt für BaSO wegen seiner hohen Oberflächenspannung die Löslichkeit im Bereichkleiner Kristalle mit abnehmendem Radius stark zu. Dies bewirkt das schnelle Umkris-tallisieren der kleineren und Wachstum der größeren Teilchen und führt so zu einemNiederschlag, der aus gut entwickelten Kristallaggregaten besteht. Dagegen ist die Lös-lichkeitserhöhung für AgCl unbedeutend, sodass sich die Löslichkeit der kleineren und

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42 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

größeren Teilchen kaum unterscheidet. Es tritt keine Umkristallisation ein und es scheidetsich stets ein koagulierter Kolloidniederschlag aus. Schwer lösliche Niederschläge odersolche mit kleiner Oberflächenspannung neigen demnach zur Abscheidung in kolloidalerForm.

Üblicherweise beziehen sich Löslichkeitsangaben auf gröbere Teilchen. Bei genauenLöslichkeitswerten muss angegeben werden, für Teilchen welcher Größe die Lösung ge-sättigt ist.

Eine andere Erscheinung tritt bei der Fällung von Hydroxiden stark hydratisierter Kat-ionen auf, die einen Teil des Hydratwassers gelartig in einen amorphen voluminösen Nie-derschlag einbauen. Durch Alterung wird das Wasser nach und nach abgegeben, wo-bei eine Schrumpfung und Verringerung der Löslichkeit parallel geht (s. Kolloidchemie,�Kap. .).

Keimbildung, Kristallwachstum und Alterung werden bei Temperaturerhöhung durchSteigerung der Beweglichkeit der Ionen undMoleküle beschleunigt. Aus diesemGrund istoft das Fällen aus heißer Lösung vorteilhaft.

KristallsystemeDie unterschiedlichenmakroskopischen FormenderKristalle gehen auf die verschiedenenAnordnungen der Ionen in einem Ionenkristall oder der Moleküle in einem Molekül-kristall zurück. Es lässt sich eine kleinste Einheit postulieren durch deren Aneinanderrei-hen in den drei Raumrichtungen der ganze Kristall entsteht. Diese kleinste Einheit nenntman Elementarzelle. Sie ist durch die Anordnung der Atome und die Symmetrieopera-tionen sowie durch ihre Gitterkonstanten a, b, c, α, β und γ charakterisiert. Je nach Zu-gehörigkeit zu einer der sechs Kristallfamilien oder der sieben Kristallsysteme kristallisie-ren dieVerbindungen im kubischen, hexagonalen, trigonalen, tetragonalen, orthorhombi-schen, monoklinen oder triklinen Kristallsystem. Die einzelnen Kristallsysteme sind überihre Symmetrie und damit über die Gitterkonstanten definiert ( Tab. .). Dabei ist zubeachten, dass im trigonalen Kristallsystem zwei Aufstellungsvarianten mit verschiede-nen Gitterkonstanten gewählt werden können, nämlich neben der hexagonalen noch dierhomboedrische Aufstellung. Man kann also sagen, NaCl kristallisiert kubisch mit der

Kristallsysteme Gitterkonstanten

Kubisch a = b = c α = β = γ = 90○Hexagonal a = b ≠ c α = β = 90○,γ = 120○Rhomboedrisch a = b = c α = β = γ ≠ 90○Trigonal a = b ≠ c α = β = 90○,γ = 120○Tetragonal a = b ≠ c α = β = γ = 90○Orthorhombisch a ≠ b ≠ c α = β = γ = 90○Monoklin a ≠ b ≠ c α = γ = 90○, β ≠ 90○Triklin a ≠ b ≠ c α ≠ β ≠ γ ≠ 90○

Tab. 1.9 Die siebenKristallsysteme

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1.5.9 Löslichkeit und chemische Bindung 43

Gitterkonstante a = 510pm. Diese Information ist ausreichend, um das Gitter bzw. dieElementarzelle zu zeichnen. Natürlich benötigt man zusätzlich noch die Koordinaten derAtome in der Elementarzelle und die Symmetrieinformation (Raumgruppe), um die voll-ständige Struktur zu konstruieren.

1.5.9 Löslichkeit und chemische BindungDas Löslichkeitsverhalten der Stoffe lässt sich zum Teil aus der Art ihrer chemischen Bin-dung ableiten. Die Bindungsstärke, die Verteilung der Ladungen und ihre gegenseitigeAbschirmung in Molekülen sowie die Polarisierung der äußeren Elektronenhüllen derIonen und die Wechselwirkung der Ionen mit den Lösemittelmolekülen sind von Bedeu-tung.

Löslichkeit und Stellung im PSENach dem Coulomb’schen Gesetz (�Kap. ..) sollte die Löslichkeit von Salzen innerhalbeiner Gruppe des PSE mit steigender Ordnungszahl zunehmen, da der Ionenradius beigleich bleibender Ionenladung anwächst und somit die Stärke der Ionenbindung und da-mit die Gitterenergie durch Vergrößerung des Abstands r geringer werden. Tatsächlichist aber ein solcher Gang relativ selten, da noch weitere Effekte wie die Hydratisierungund die Polarisierbarkeit der Ionen (s. u.) wirksam sind. Als Beispiel für den Einfluss derIonengröße s. Tab. ..

Löslichkeit aufgrund der HydratisierungDie Ionen werden während des Auflöseprozesses je nach Ladung und Größe von einermehr oder weniger großen Sphäre von Lösemittelmolekülen umgeben. In Wasser als Lö-semittel umgeben sich kleine Kationen und Kationen mit großer Ladung meist mit einerinneren Sphäre von oder Wassermolekülen, d. h. sie werden hydratisiert (�Kap. ..).Anionen sind fast immer schwächer hydratisiert. Stabilität und Umfang der Hydrathüllenimmt innerhalb einer Gruppe des PSE mit wachsender Ordnungszahl ab, da aufgrundder zunehmenden Größe der Ionen die Bindung zu den Wasserdipolen schwächer wird.Dadurch vermindert sich die Abschirmung der Ionen und somit auch die Löslichkeit. AlsBeispiel für den Einfluss der Hydratisierung auf die Löslichkeit, s. Tab. ..Ähnlich verhalten sich auch die Bromide, Iodide und Nitrate dieser Kationen. WeitereBeispiele sind die Halogenide der Kationen Zn+, Cd+ und Hg+.

Einfluss der Polarisierung der Elektronenhülle auf die LöslichkeitEinfache Anionen wie Cl−, Br−, I−, OH−, O− und S− besitzen durch die negative Über-schussladung eine ausgedehnte Elektronenhülle, die durch die Kationenladung stark de-

Tab. 1.10 Beispiele für den Einfluss der Ionengröße auf die Löslichkeit in mol/L

LiF NaF KF Li2CO3 Na2CO3 ⋅ 10 H2O K2CO3 ⋅ 1,5H2O

0,10 1,0 11,6 0,18 2,0 6,0

CaF2 SrF2 BaF2 KCl RbCl CsCl

1,9 ⋅ 10−4 9,3 ⋅ 10−4 9,1 ⋅ 10−3 4,0 5,7 7,5

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44 1.5 Chemie der wässerigen Lösungen und Ionenlehre

Tab. 1.11 Einfluss der Hydratisierung auf Löslichkeit in mol/L

LiCl NaCl KCl CaCl2 ⋅ 6H2O SrCl2 ⋅ 6H2O BaCl2 ⋅ 2H2O

13,9 5,4 4,0 5,5 3,1 1,6

Li2SO4 ⋅ H2O Na2SO4 ⋅ 10H2O K2SO4 CaSO4 ⋅ 2H2O SrSO4 BaSO4

2,9 1,3 0,63 1,5 ⋅ 10−2 6,2 ⋅ 10−4 1,0 ⋅ 10−5

formiert und damit polarisiert werden kann, wobei die Schwerpunkte der positiven Kern-ladung und der negativ geladenen Elektronenhülle auseinander rücken, sodass ein Dipolentsteht. Symmetrisch gebaute, komplexe Anionen wie ClO− , NO− , SO−

, CO− , PO−

sind dagegen kaum polarisierbar. Auch die kleineren und härteren Elektronenhüllen derKationen können durch die Anionen nur in geringem Umfang polarisiert werden.

Die durch die Polarisierung induzierten Dipole bewirken zusätzliche Bindungs-kräfte, sodass eine Übergangsbindung zwischen Ionen- und Atombindung resultiert(�Kap. ..). Bei starker Polarisierung beobachtet man eine Verminderung der Löslich-keit (in mol/L) und eine Farbvertiefung, s. Tab. ..

Bei den drei erstenBeispielenwächst die Anionengröße und damit die Polarisierbarkeitin der Reihenfolge Cl−, Br−, I−. Bei den letztenBeispielen kommt zur großenPolarisierbar-keit des Sulfidions zusätzlich die wachsende Polarisierbarkeit der Kationen hinzu, sodassein weitgehender Übergang zur Atombindung vorliegt.

Gleichartige Reihen findet man auch bei den Halogeniden von Cu+, Tl+, Hg+ , Hg+

und Pb+. Die zunehmende Polarisierbarkeit der Ionen wirkt sich genauso wie ihre ab-nehmende Neigung zur Hydratisierung auf die Verminderung der Löslichkeit aus. DerEinfluss der Polarisierbarkeit ist aber viel stärker, sodass entsprechende Verbindungen ausstark polarisierbaren Ionen stets sehr viel schwerer löslich sind. Schwerlöslichkeit undFarbvertiefung dieser Verbindungstypen sind Eigenschaften, die ihre ausgedehnte Ver-wendung in der analytischen Chemie verständlich machen.

Allgemeine Regeln zur Löslichkeit von SalzenDiewichtigsten anorganischen Salze lassen sich grob qualitativ in leicht und schwer löslicheinteilen.

Zu den leicht löslichen Salzen gehören Fluoride, Chloride, Bromide, Iodide, Nitrate, Per-chlorate, Acetate und Sulfate.

Tab. 1.12 Einfluss der Polarisierung auf die Löslichkeit in mol/L und Farbe

AgCl AgBr AgI ZnS CdS HgS

1,4 ⋅ 10−5 8,1 ⋅ 10−7 1,1 ⋅ 10−8 7,1 ⋅ 10−5 9,0 ⋅ 10−6 5,4 ⋅ 10−8weiß hellgelb gelb weiß gelb schwarz

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1

1.6.1 Massenwirkungsgesetz 45

Ausnahmen sind Fluoride vonMg+, Ca+, Sr+, Ba+ und Pb+; Halogenide (außer Fluo-ride) von Cu+, Ag+, Hg+ , Tl+ und Pb+; Perchlorate von NH+

, K+, Rb+ und Cs+ sowie

Sulfate von Ca+, Sr+, Ba+ und Pb+.

Zu den schwer löslichen Salzen gehören Oxide, Hydroxide, Carbonate, Cyanide, Sulfide,Oxalate und Phosphate.

Ausnahmen sind Oxide,Hydroxide, Cyanide und Sulfide der Alkali-Elemente einschließ-lich NH+

und der Erdalkali-Elemente (ausschließlich der Sulfide) sowie die Carbonate,Oxalate und Phosphate der Alkali-Elemente und von NH+

.

1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

Die meisten chemischen Reaktionen verlaufen nicht quantitativ. Vielmehr stellt sich mitder Zeit ein Gleichgewicht zwischen Hin- und Rückreaktion ein:

A + B��⇀↽�� C +D

Als Beispiele seien folgende Gleichgewichte genannt:a) CHCOOH +HO��⇀↽�� CHCOO− +HO

+

b) CHOH + CHCOOH��⇀↽�� CH(O)OCCH +HO (Esterbildung ��⇀↽�� Verseifung)c) H + I ��⇀↽�� HId) N + H ��⇀↽�� NH

Haber-Bosch-Verfahren zur Gewinnung von Ammoniak aus der Lufte) SO +O ��⇀↽�� SO

(wichtig für die Schwefelsäuredarstellung nach dem Kontaktverfahren)

Die Lage des Gleichgewichts ist dabei abhängig von den Konzentrationen der Reaktions-partner bzw. vom Partialdruck bei Gasen sowie von der Temperatur. In vielen Fällen ist dieEinstellung des Gleichgewichts gehemmt, sodass es bei Zimmertemperatur in endlicherZeit nicht erreicht wird (z. B. bei d) und e)).

Eine quantitative Angabe der Lage desGleichgewichts istmithilfe desMassenwirkungs-gesetzesmöglich. DerNameMassenwirkungsgesetz leitet sich vonder Bezeichnung „wirk-same Masse“ ab, die früher an Stelle des Konzentrationsbegriffs verwendet wurde.

1.6.1 MassenwirkungsgesetzDasMassenwirkungsgesetz (MWG)wurde erstmals vonGuldberg undWaage formu-liert. nahmBodenstein eine experimentelle Überprüfung anhand des Iod-Wasserstoff-Gleichgewichts vor.

H2(g) + I2(g) ��⇀↽�� 2HI(g)Das chemische Gleichgewicht ist ein dynamisches Gleichgewicht. Es ist dann erreicht,wenn die Geschwindigkeit der Bildungs- oder Hinreaktion gleich der Geschwindigkeitder Zerfalls- oder Rückreaktion ist: υh = υr.

Geschwindigkeit der HI-Bildung Eine chemische Reaktion setzt voraus, dass die Reak-tionspartner (auch Ausgangsstoffe oder Edukte genannt) zusammenstoßen. Die Anzahlder Zusammenstöße und damit auch die Reaktionsgeschwindigkeit ist von der Stoffmen-

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46 1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

genkonzentration bzw. vomPartialdruck der Reaktionspartner abhängig. Im vorliegendenFall ergibt sich somit für die Geschwindigkeit υh der Hinreaktion:

υh = kh ⋅ cH2 ⋅ cI2kh ist die Geschwindigkeitskonstante, die zugleich etwas über die Erfolgsquote der Zu-sammenstöße aussagt.

Geschwindigkeit des HI-Zerfalls Analog gilt für die Geschwindigkeit υr der Rückreaktion,dass sie vonderKonzentration der Reaktionsprodukte abhängt. DaHI mit zweiMolekülenan der Zerfallsreaktion teilnimmt, geht seine Konzentration im Quadrat ein:

υr = kr ⋅ cHI ⋅ cHI = kr ⋅ c2HI

Am Anfang der Reaktion ist die Geschwindigkeit der Rückreaktion null, da noch keineHI-Moleküle vorliegen. Sie steigt in demMaße an, wie die Konzentration an HI zunimmt.Da mit der Bildung von HI die Konzentration von H und I abnimmt, nimmt auch dieGeschwindigkeit der Bildungsreaktion ab. Im chemischenGleichgewicht ist dann die Ge-schwindigkeit der Hinreaktion gleich der Geschwindigkeit der Rückreaktion.

Chemisches Gleichgewicht Geschwindigeit von Hin- ud Rückreaktion ist gleich. Es gilt:

kh ⋅ cH2 ⋅ cI2 = kr ⋅ c2HI

Da kh und kr beides Konstanten sind, kann man sie zu einer gemeinsamen Konstante Kcder Gleichgewichtskonstante zusammenfassen.

c2HI

cH2 ⋅ cI2 = khkr

= Kc

Für eine allgemeine Reaktion:

xA + yB + zC��⇀↽�� mD + nE + oF

lautet dann das MWG:cmD ⋅ cnE ⋅ coFcxA ⋅ c yB ⋅ czC = Kc

Dabei schreibt man konventionsgemäß das Produkt der Konzentrationen der Reaktions-produkte in den Zähler und das Produkt der Konzentrationen der Edukte in den Nenner.Nimmt ein Reaktionspartner mit mehreren Molekülen an der Reaktion teil, so ist de-ren Anzahl bei der mathematischen Formulierung des MWG als Potenz einzusetzen. DieKonzentrationen müssen dabei in vergleichbaren Dimensionen angegeben werden (z. B.mol/L). Bei Gasreaktionen können die Konzentrationen auch durch die Partialdrücke(pi = ciRT) ersetzt werden.

pmD ⋅ pnE ⋅ poFpxA ⋅ pyB ⋅ pzC = Kp

Häufig wird anstelle der Gleichgewichtskonstante ihr negativer dekadischer Logarithmus,der pK-Wert, angegeben.

pKc = − logKc

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1

1.6.2 Veränderung der Gleichgewichtslage: Das Prinzip von Le Chatelier 47

Die Geschwindigkeitskonstanten kh und kr und damit auch die GleichgewichtskonstanteKc sind temperaturabhängig. Angaben vonGleichgewichtskonstanten gelten daher immernur für eine bestimmte Temperatur und man nennt aus diesem Grund das Massenwir-kungsgesetz auch Reaktionsisotherme.

1.6.2 Veränderung der Gleichgewichtslage:Das Prinzip von Le Chatelier

⊡ MERKE Le Chatelier formulierte 1884 das Prinzip des kleinsten Zwangs. Danach weichtein im Gleichgewicht befindliches System einem Zwang aus, indem es eine neueGleichgewichtslage einstellt, bei der dieser Zwang vermindert ist.

Ein Zwang kann durch die Parameter Stoffmengenkonzentration, Gesamtdruck und Tem-peratur bewirkt werden:a) Änderung der Stoffmengenkonzentration oder der Partialdrücke der Reaktionspartner:

Wenn man bei der oben als Beispiel gewählten Reaktion von Wasserstoff mit Iod dieStoffmengenkonzentration oder den Partialdruck eines Edukts erhöht, so wird mehrHI gebildet, bis das Gleichgewicht entsprechend Kc bzw. Kp wieder eingestellt ist. Auchkann man durch Entfernen von HI aus dem Gleichgewicht dieses unter Verbrauchvon Wasserstoff und Iod nach rechts verschieben und so eine praktisch quantitativeAusbeute erreichen.

b) Änderung des Gesamtdrucks: Bei Gasreaktionen, bei denen die Anzahl der Eduktmo-leküle von der Anzahl an Produktmolekülen verschieden ist, beeinflusst eine Verän-derung des Drucks die Lage des Gleichgewichts. So werden z. B. bei der Bildung vonAmmoniak aus Stickstoff und Wasserstoff aus vier Eduktmolekülen zwei Produktmo-leküle gebildet:

N2 + 3H2 ��⇀↽�� 2NH3

Wenn die Reaktion in einem geschlossenen System abläuft, so vermindert sich derDruck. Erhöht man den Druck, so verschiebt sich das Gleichgewicht nach rechts, daes so dem Druck ausweichen kann.

c) Änderung der Temperatur: Bei der zuvor besprochenen Änderung der Konzentrationund des Drucks verschiebt sich die Gleichgewichtslage; die Gleichgewichtskonstantebleibt jedoch unverändert. Bei Änderung der Temperatur ändert sich auch die Gleich-gewichtskonstante. Und zwar ändert sie sich in derWeise, dass bei einer Temperaturer-höhungdieReaktion inRichtungdesWärmeverbrauchs abläuft.Das heißt, dass sichdasGleichgewicht einer exothermen Reaktion bei Temperaturerhöhung in Richtung derEdukte verschiebt, während bei einer endothermen Reaktion die Temperaturerhöhungeine Verschiebung zu den Produkten bewirkt.

Versuch: NO2/N2O4-GleichgewichtAn der Farbintensität lässt sich die Gleichgewichtsverschiebung in Abhängigkeit von der Tem-peratur leicht beobachten.

2NO2 ��⇀↽�� N2O4 −57kJbraun ��⇀↽�� farblos

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48 1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

Man vergleiche die Farben einer in eine Ampulle eingeschlossenen Probe bei folgenden Tem-peraturen: a) 0 ○C (Eiskühlung), b) 20 ○C (Zimmertemperatur) und c) 100 ○C (Wasserbad). Die auf100 ○C erwärmte Probe zeigt eine tiefbraune Farbe. Es liegen ca. 89% NO2 vor. Bei 0

○C ist dieProbe schwach hellbraun, da weniger als 20% des N2O4 in NO2 gespalten sind.

1.6.3 Heterogene GleichgewichteDasMassenwirkungsgesetz gilt in der oben dargelegten Form nur für homogene, d. h. nuraus einer einzigen Phase bestehende, Systeme (Gasphase oder Lösungsphase).

Für heterogene Gleichgewichte, wie z. B. die Systeme Gasphase – feste Phase oder Lö-sung – feste Phase, bei denen die Reaktionsteilnehmer in verschiedenen Phasen vorliegen,erhält man andere, meist einfachere Zusammenhänge.

Gleichgewichte: fest – gasförmigFeste Stoffe haben bei gegebener Temperatur einen konstanten Dampfdruck. Bei hetero-genen Gleichgewichten werden die Partialdrücke der Feststoffe daher mit in die Gleichge-wichtskonstante Kp einbezogen. Für die Zersetzungsreaktion von CaCO:

CaCO3(f) ��⇀↽�� CaO(f) + CO2(g)gilt daher, dass sich dieGleichgewichtskonstante aus demPartialdruck desCO imGleich-gewichtszustand ergibt. Somit stellt sich im Gleichgewicht ein nur von der Temperaturabhängiger, definierter CO-Partialdruck ein.

Bei der Reduktion von FeO mitWasserstoff stellt sich imGleichgewicht entsprechendein konstantes Verhältnis von Wasserdampf- und Wasserstoffdruck ein:

Fe2O3(f) + 3H2(g) ��⇀↽�� 2Fe(f) + 3H2O(g)p3H2O

p3H2

= Kp

Bei heterogenen Reaktionen kommt es also für das Gleichgewicht nicht auf dieMenge derfesten Reaktionsteilnehmer an, sondern nur darauf, dass sie zugegen sind.

Gleichgewicht: Lösung – feste PhaseWenn ein fester Bodenkörper vorhanden ist, ist die darüber stehendeLösung imGleichge-wichtszustand bezüglich dieses Stoffes gesättigt und die Konzentration ist konstant. Somitgilt fürGleichgewichte im SystemLösung – feste Phase eine analoge Betrachtungwie oben.Dies führt u. a. zur Herleitung des Löslichkeitsprodukts (�Kap. ..).

1.6.4 KatalyseEin Katalysator beschleunigt die Einstellung des Gleichgewichts, ohne die Lage desGleichgewichts oder die Gleichgewichtskonstante zu beeinflussen. Tritt der Katalysatorim System der Reaktionspartner in gleicher Phase auf, d. h. wenn Reaktionspartner undKatalysator z. B. gelöst sind oder in der Gasphase vorliegen, dann spricht man von einerhomogenen Katalyse. Im Unterschied dazu liegt eine heterogene Katalyse vor, wennReaktanden und Katalysator in unterschiedlicher Phase auftreten.

Stoffe, die Reaktionen verlangsamen oder verhindern, nennt man „Antikatalysatoren“oder Inhibitoren.

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1

1.6.4 Katalyse 49

Bei vielen Gleichgewichtsreaktionen ist die Einstellung des Gleichgewichts behindert,da eine hoheAktivierungsenergie überwunden werdenmuss. Man kann sich die Verhält-nisse am Beispiel der Reaktion von H mit I zu HI veranschaulichen. Die Bildung vonHI bedeutet, dass die H−H- und I−I-Bindung gespalten werden müssen. Beim Zusam-menstoß von H mit I bildet sich ein kurzlebiger, energiereicher Übergangszustand, indemdieH−H-und die I−I-Bindung gelockert und dieH−I-Bindungen partiell vorgebildetsind. DieAktivierungsenergie ist dabei die Differenz zwischen der Energie der Edukte undder Energie desÜbergangszustands. Eine besonders hohe Aktivierungsenergie beobachtetmanbeispielsweisebei der Reaktion vonN mitH zuNH, da dieN−−−N-Dreifachbindungsehr stabil ist.

EinKatalysator erniedrigt die Aktivierungsenergie, da er einen energieärmerenÜber-gangszustand bewirkt. Er erleichtert damit die Reaktion und die Einstellung des Gleichge-wichts. Der Mechanismus von katalysierten Reaktionen ist in vielen Fällen nicht geklärt.Mögliche Reaktionswege sind:

a) Bei der homogenen Katalyse kann man die Bildung eines aktivierten Komplexes ausdenAusgangsstoffenund demKatalysator in Form eines kurzlebigen, nicht isolierbarenÜbergangszustands oder einer in günstigen Fällen fassbaren reaktiven Zwischenstufeannehmen.

b) Bei der heterogenen Katalyse verläuft die Reaktion über eine Adsorption der Reaktan-den amFeststoffkatalysator. Dabei werden die Bindungen imMolekül mindestens einesder Reaktionspartner gelockert.

Katalysatoren wirken oft sehr selektiv, sodass sich aus dem gleichen Eduktgemisch je nachKatalysator verschiedene Produkte bilden können. So gibt beispielsweise ein Gemisch ausCO und H entweder Methan, Methanol, Benzin oder höhere Alkohole.

Katalysatoren besitzen eine große Bedeutung auf allen Gebieten der chemischen Syn-these und bei biologischen Lebensvorgängen. Vermag ein Stoff als selektiver Katalysatorzu wirken, so ist in dieser Eigenschaft ein besonders empfindlicher qualitativer Nachweisfür ihn begründet: z. B. Zerfall von KClO mit MnO als Katalysator (�Kap. .., S. ,Nr. ); Zerfall von HO durch MnO oder K[OsCl] als Katalysator (�Kap. .., S. ,Nr. ); Iod-Azid-Reaktion, Katalyse durch S− (�Kap. .., S. , Nr. ) sowie Chemo-lumineszenz bei Oxidation von Luminol mit HO, katalysiert durch Cu(II) oder Fe(III)(�Kap. .., S. , Nr. ).In gewissen Fällen wird die Reaktionsgeschwindigkeit durch die bei der Umsetzung gebil-deten Produkte katalytisch beeinflusst. Man spricht dann von Autokatalyse. Ein Beispielhierfür ist die Zersetzung von MnO− in MnO und O bei Gegenwart von MnO.

Versuch: Umsetzung von MnO−4 mit C2O2−4 in H2SO4-saurer Lösung

Zwei Proben von je 10mL 0,002mol/L KMnO4-Lösung werdenmit 1mL konz. H2SO4 angesäuertund auf 40 ○C erwärmt. Zu einer Probe wird eine Spatelspitze MnSO4 und gleichzeitig in beide3mL 0,05mol/L H2C2O4-Lösung gegeben. Die Mn2+-haltige Lösung wird sofort farblos, währendsich die zweite erst nach kurzer Zeit, wenn sich Mn2+-Ionen gebildet haben, entfärbt.

Die gebildeten Mn2+-Ionen wirken stark reaktionsbeschleunigend (�Kap. 2.2.5 und�Kap. 2.3.3).

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50 1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

1.6.5 Massenwirkungsgesetz und IonenlehreDas MWG kann auch auf Ionenreaktionen angewandt werden. Neben den allgemeinenBedingungen des chemischenGleichgewichts sind jedoch zusätzlich die elektrostatischenAnziehungskräfte zu berücksichtigen.

Die Dissoziation eines Elektrolyten (�Kap. ..) in einer Lösung ist abhängig von derArt des Elektrolyten, der Art des Lösemittels und der Konzentration der Lösung. Manunterscheidet zwischen starken Elektrolyten, die in wässeriger Lösung bei weitgehendbeliebiger Konzentration praktisch vollständig in Ionen dissoziiert sind, und schwachenElektrolyten, die in wässeriger Lösung nur teilweise in Form von Ionen vorliegen. DasMWG ist exakt nur auf schwache Elektrolyte und verdünnte Lösungen anwendbar.

Schwache Elektrolyte: Dissoziationskonstante und DissoziationsgradDie Dissoziation eines schwachen Elektrolyten ist eine Gleichgewichtsreaktion. Für einen1 ∶ 1-Elektrolyten MA gilt:

MA��⇀↽��M+ +A−Beim Ansatz des MWG ergibt sich die Dissoziationskonstante Kc :

cM+ ⋅ cA−cMA

= Kc (A)

Der Dissoziationsgrad α ist definiert als der Quotient der Stoffmenge x in Mol, die inIonen dissoziiert ist, zur gesamten gelösten Stoffmenge a in Mol.

α = xa

Das Ostwald’scheVerdünnungsgesetz () gibt den Zusammenhang zwischen α und Kcwieder.

α2

1 − α⋅ c0 = Kc (mol/L)

Man erhält es, indemman wie folgt in das MWG Gleichung (A) einsetzt:

V = Volumen Lösung (Liter)aV= c0 = Gesamtkonzentration (mol/L)

cM+ = cA− = xV= α ⋅ a

V= α ⋅ c0

cMA = a − α ⋅ aV

= c0 − α ⋅ c0(α ⋅ c0)(α ⋅ c0)c0 − α ⋅ c0 = (α ⋅ c0)2

c0 − α ⋅ c0 = α2

1 − α⋅ c0 = Kc (mol/L)

Für schwache Elektrolyte mit α ≪ 1 gilt:

α =√Kc

c0

Beim Verdünnen und mit steigender Temperatur nimmt der Dissoziationsgrad α zu. Beiunendlicher Verdünnung nähert sich α demWert . Beispielsweise sind bei Zimmertem-peratur in 1mol/L CHCOOH,%, in 0,1mol/L dagegen ,% derMoleküle dissoziiert.

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1.6.5 Massenwirkungsgesetz und Ionenlehre 51

Versuch: Änderung des Dissoziationsgrads

Durch Verdünnen oder Zusatz gleichioniger Salze

Fe(SCN)3 ��⇀↽�� Fe3+ + 3 SCN−cFe3+ ⋅ c3SCN−cFe(SCN)3

= Kca) Bei Zugabe einiger Tropfen FeCl3-Lösung zu wenig NH4SCN-Lösung entsteht eine blutrote

Farbe von undissoziiertem Fe(SCN)3. Durch Verdünnen mit Wasser verblasst die rote Farbeund geht in Gelb über, da durch Verdünnen die Dissoziation in die weitgehend farblosenIonen verstärkt wird.

b) Eine solche Fe(SCN)3-Lösung wird mit Wasser soweit verdünnt, dass gerade die rote Farbeverschwindet. Bei Zugabe von Fe3+ oder SCN− tritt die rote Farbe wieder auf.

Durch Erwärmen Eine Fe(SCN)3-Lösung wird erwärmt. Durch die stärkere Dissoziation verliertsich die rote Farbe. Beim Abkühlen tritt sie wieder auf.

Starke Elektrolyte: Aktivitäten und IonenstärkeNach Debye und Hückel () sind alle starken Elektrolyte in wässeriger Lösung auch beihöherer Konzentration in Ionen dissoziiert.Die verschieden geladenen Ionen beeinflussensich jedoch gegenseitig. Um jedes Kation bildet sich eine Ansammlung von Anionen undumgekehrt. Dieser Effekt nimmt mit steigender Elektrolytkonzentration zu.

Diemeisten leicht löslichen Salze sind in wässeriger Lösung starke Elektrolyte. Ausnah-men bilden HgCl und Hg(CN), die überwiegend als Moleküle in Lösung gehen.

Bei der Ableitung des MWG wurde die Wechselwirkung zwischen den Ionen nichtberücksichtigt. Diese wirkt sich so aus, als wäre die Anzahl der dissoziierten Teilchengeringer. ImMWG führt man daher Korrekturfaktoren f , dieAktivitätskoeffizienten ein,mit denen man die Stoffmengenkonzentrationen c multipliziert. Man erhält dadurch „ef-fektive Konzentrationen“ oder Aktivitäten a.

a = f ⋅ cDer Messung zugänglich sind nur mittlere Aktivitätskoeffizienten f̄ . Sie stellen den geo-metrischenMittelwert der Aktivitätskoeffizienten der Kationen und Anionen dar. Für denElektrolyten MmAn gilt:

f̄ = m+n√

f mM ⋅ f nAfM und fA sind die Aktivitätskoeffizienten der Kationen bzw. Anionen.

Für 1 ∶ 1-Elektrolyte ist demnach:

f̄ = √ fM+ ⋅ fA−Und für die Reaktion MA ⇌M+ +A− gilt das MWG in der Form:

Ka = aM+ ⋅ aA−aMA

= fM+ ⋅ fA−fMA

⋅ cM+ ⋅ cA−cMA

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52 1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

Nimmt man fMA = 1 an und verwendet den mittleren Aktivitätskoeffizienten f̄ , so ergibtsich:

Ka = Kc ⋅ f̄ 2Der Unterschied zwischen Kc und Ka wächst mit steigender Konzentration. Mit zuneh-mender Verdünnung nähern sich die Aktivitätskoeffizienten demWert und die Aktivitätwird gleich der Stoffmengenkonzentration des Elektrolyten.

Der Aktivitätskoeffizient eines bestimmten Ions ist nicht nur eine Funktion der eigenenKonzentration. Vielmehr ist er von der Konzentration aller in der Lösung befindlichenIonen abhängig. Zur Charakterisierung dieser Gesamtwirkung der Ionen führte Lewis denBegriff der Ionenstärke ein:

I = 12(c1z21 + c2z22 + ⋅ ⋅ ⋅ + cnz2n) = 1

2

n∑1ci z2i

c: Stoffmengenkonzentration der Ionen (mol/L)z: Ionenladungszahl

Beispiel: Berechnung der Ionenstärkea) 0,01mol/L KCl-Lösung: I = (0,01 ⋅ 12 + 0,01 ⋅ 12)/2 = 0,01mol/Lb) 0,01mol/L BaCl2-Lösung: I = (0,01 ⋅ 22 + 0,02 ⋅ 12)/2 = 0,03mol/Lc) 0,01mol/L KCl-Lösung, die 0,01mol/L BaCl2 enthält: I = 0,01 + 0,03 = 0,04mol/LIn verdünnten Lösungen (I ≤ 0,02mol/L inWasser)wird dermittlereAktivitätskoeffizientnur von der Ionenladung und der Ionenstärke bestimmt:

− lg f̄ = 0,5zM ⋅ zA√I

Im mittleren Konzentrationsbereich (I = 0,02 − 0,25mol/L in Wasser) muss bei derBerechnung des Aktivitätskoeffizienten auch der sogenannte wirksame Durchmesser derIonen berücksichtigt werden. Der Aktivitätskoeffizient ist also auch von den stofflichenEigenschaften der Ionen abhängig:

− lg f̄ = 0,5zM ⋅ zA√I1 + d ⋅ 3,3√I

Dabei ist d = mittlerer wirksamer Durchmesser der Ionen in Nanometer (etwa 0,3 bis0,4 nm), I wird in mol/L angegebend.

Für beide Bereiche lässt sich der Aktivitätskoeffizient durch eine Näherungsformel aus-drücken, mit deren Hilfe sind die in Tab. . aufgeführten Aktivitätskoeffizienten be-rechnet. − lg f̄ = 0,5zM ⋅ zA√I

1 +√IH+-Ionen nehmen gegenüber den anderen einfach geladenen Ionen eine Sonderstellungein, da sie nicht isoliert auftreten, sondern als HO

+ vorliegen.Bei hohen Elektrolytkonzentrationen (I > 0,25mol/L) muss in der obigen Gleichung

ein weiteres Korrekturglied berücksichtigt werden. Es kommt zu einem Wiederanstiegder Aktivität mit steigender Ionenstärke, wobei in sehr konzentrierten Lösungen teilweisemittlere Aktivitätskoeffizienten > 1 gefunden werden ( Tab. .).

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1.6.5 Massenwirkungsgesetz und Ionenlehre 53

I f für z = 1 f für z = 2 f für z = 3

0 1 1 1

0,001 0,97 0,87 0,7

0,002 0,95 0,82 0,6

0,005 0,93 0,74 0,5

0,01 0,90 0,66 0,3

0,02 0,87 0,52 0,2

0,05 0,81 0,44 0,1

0,1 0,76 0,33 0,0

0,2 0,70 0,24 0,0

Tab. 1.13 Akti-vitätskoeffizientenin Abhängigkeit vonder Ionenstärke undIonenladung

Tab. 1.14 Mittlere Aktivitätskoeffizienten bei 25 ○C von starken Elektrolyten nach Latimer

mol in 1000g WasserElektrolyt

0,001 0,005 0,01 0,05 0,1 0,5 1,0 2,0 3,0

HCl 0,966 0,928 0,904 0,830 0,796 0,758 0,809 1,01 1,32

HClO4 0,80 0,76 0,81 1,04 1,42

H2SO4 0,830 0,639 0,544 0,340 0,265 0,154 0,130 0,124 0,14

NaOH 0,82 0,77 0,69 0,68 0,70 0,77

KOH 0,92 0,90 0,82 0,80 0,73 0,76 0,89 1,08

LiCl 0,963 0,921 0,89 0,82 0,78 0,75 0,76 0,91 1,18

NaCl 0,966 0,929 0,904 0,823 0,780 0,730 0,66 0,67 0,71

KCl 0,965 0,927 0,901 0,815 0,769 0,651 0,606 0,576 0,57

NH4Cl 0,961 0,911 0,88 0,79 0,74 0,62 0,57

Mg(NO3)2 0,88 0,77 0,71 0,55 0,51 0,44 0,50 0,69 0,93

Ca(NO3)2 0,88 0,77 0,71 0,54 0,48 0,38 0,35 0,35 0,37

ZnSO4 0,70 0,48 0,39 0,15 0,065 0,045 0,036 0,04

CdSO4 0,73 0,50 0,40 0,21 0,17 0,067 0,045 0,035 0,03

Al(NO3)3 0,20 0,14 0,19 0,45 1,0

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54 1.6 Chemisches Gleichgewicht – Massenwirkungsgesetz

In sehr konzentrierten Lösungen stehen nicht genügend Wassermoleküle zur Verfü-gung, um eine vollständige Hydrathülle der Ionen auszubilden. Daher besitzen die nurteilweise hydratisierten Ionen eine größere Aktivität.

1.6.6 Nernst’sches VerteilungsgesetzDie heute vielfach angewandte Trennung durch Extraktion basiert auf der unterschied-lichen Löslichkeit bestimmter Verbindungen in zwei nicht oder begrenzt mischbarenLösemitteln. Diesem sogenannten „Ausschüttelungsverfahren“ liegt das Nernst’scheVerteilungsgesetz zugrunde.

Das Nernst’sche Verteilungsgesetz () lässt sich in einfacher Weise aus dem Gesetzvon William Henry () ableiten. Danach ist die Löslichkeit eines Gases bei gegebenerTemperatur im Gleichgewicht proportional seinem Druck:

c(Lösung) = K ⋅ p(Gas)Steht ein gasförmiger Stoff gleichzeitig mit zwei nicht mischbaren Lösemitteln im Gleich-gewicht, so gilt:

c1(Lösung)p(Gas) = K1 bzw .

c2(Lösung)p(Gas) = K2

Der gelöste Stoff verteilt sich demnach auf die beiden Lösemittel nach:

c1(Lösung)c2(Lösung) = K1

K2= α

⊡ MERKE Beim Vorliegen eines Gleichgewichts ist der Quotient der Konzentrationen einessich zwischen zwei Lösemitteln verteilenden Stoffes bei gegebener Temperatur konstant.Die Konstante α wird Verteilungskoeffizient genannt.

Das Gesetz ist in dieser Form jedoch nur dann erfüllt, wenn der Stoff in beiden Phasenden gleichenMolekularzustand besitzt.

Die praktische Bedeutung des Nernst’schen Verteilungsgesetzes für die Stofftrennungdurch Ausschütteln möge ein Zahlenbeispiel verdeutlichen:

1Mol eines Stoffes verteilt sich zwischen 1Liter einer leichteren Oberphase und 1Litereiner schweren Unterphase im Verhältnis 9 ∶ 1 (α = 9). Demnach sind im Gleichgewichtin der Oberphase 0,9mol/L, in der Unterphase 0,1mol/L enthalten. Verdoppelt man dasVolumen der Oberphase auf 2 Liter, so muss das Verhältnis der Konzentrationen erhaltenbleiben. Die Konzentration der Unterphase nimmt um xmol/L ab und in der Oberphaseerhöht sich die durch Verdoppeln des Volumens auf 0,45mol/L gesunkene Konzentrationum x/2. Man erhält:

(0,45 + x2) ∶ (0,1 − x) = 9 ∶ 1 , x = 0,0474mol/L

In der Unterphase befinden sich jetzt 0,0526mol/L, in der Oberphase 0,4737mol/L. Stattdas Volumen der Oberphase zu verdoppeln, ist es daher günstiger, nach Abtrennung derUnterphase erneut mit dem gleichenVolumen von einem Liter auszuschütteln. Sind beim

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1.7.1 Definition nach Brønsted 55

ersten Extraktionsprozess 0,9mol/L aus der Unterphase entfernt worden, so werden beimzweiten 0,09mol in die Oberphase überführt. Am Ende hat man bei gleichem Gesamt-volumen an Oberphase die Konzentration in der Unterphase auf 0,01mol/L im Vergleichzu 0,0526mol/L reduziert.

Bei der Stoffverteilung zwischen zwei Lösemitteln ergeben mehrere Einzelarbeitsgän-ge mit kleinen Volumina ein besseres Ergebnis als eine einmalige Extraktion mit einemgroßen Volumen.

1.7 Säuren und Basen

1.7.1 Definition nach Brønsted

⊡ MERKE Nach der heute üblichen Definition von Säuren und Basen nach J. N. Brønsted(1879–1947) wird als Säure ein Stoff bezeichnet, der Protonen abgeben kann (Proto-nendonator). Eine Base ist ein Stoff, der Protonen aufnimmt (Protonenakzeptor).

Wenn eine Säure ein Proton abgibt, bleibt ein Säurerest zurück, der seinerseits eine Base ist,da er unter Rückbildung der Säure auch wieder ein Proton aufnehmen kann. Eine Säureund eine Base, die auf diese Weise verknüpft sind, werden als korrespondierendes oderkonjugiertes Säure-Base-Paar bezeichnet; man spricht von der zur Säure korrespondie-renden oder konjugierten Base:

HB ��⇀↽�� B− +H+Säure��⇀↽�� Base+ Proton

Da es sich bei einem Proton lediglich um einen H-Atomkern ohne Elektronenhülle han-delt, können Protonen in Lösungen oder anderen kondensierten Phasen nicht isoliertauftreten. Dies bedeutet, dass eine Säure nur dann ein Proton abgeben kann, wenn eineBase vorhanden ist, die das Proton übernimmt und kovalent bindet. Wichtige Vorausset-zung für eine Base ist daher, dass sie über mindestens ein freies Elektronenpaar für diekoordinative Bindung (�Kap. ..) zum Proton verfügt.Eine Säure-Base-Reaktion besteht somit in einem Austausch des Protons von der Säurezur Base. Dies führt zwangsläufig dazu, dass stets zwei Säure-Base-Paare wechselwirken.

Den Sachverhalt kann man sich anhand der Essigsäure HAc (Ac− = CH3COO−) klarmachen. Reine Essigsäure leitet den elektrischen Strom nicht, da keine geeignete Basevorhanden ist, die das Proton aufnehmen kann und daher praktisch keine Dissoziationin Ionen erfolgt. Erst wenn beispielsweiseWasser als Base zugefügt wird, kann Essigsäuredissoziieren:

HAc��⇀↽�� Ac− +H+H2O +H+ ��⇀↽�� H3O

+HAc+H2O��⇀↽�� H3O

+ +Ac−Säure 1 + Base 2��⇀↽�� Säure 2 + Base 1

Da zwei Säure-Base-Paare miteinander wechselwirken, führt die Protonenaustauschreak-tion zu einem Gleichgewicht.

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56 1.7 Säuren und Basen

Die Stärke einer Säure hängt davon ab, wie leicht sie ihr Proton abspalten kann. Ent-sprechend ist die Stärke einer Base proportional zu ihrer Fähigkeit, das Proton zu binden.Eine starke Säure spaltet ihr Proton leicht ab und korrespondiert daher zu einer schwachenBase, während umgekehrt eine starke Base zu einer schwachen Säure korrespondiert. Ei-ne quantitative Angabe der Stärke von Säuren und Basen ist über das MWG durch dieSäurekonstante und Basenkonstante (�S. ) möglich.

Die Schwefelsäure, HSO besitzt zwei Protonen, die Orthophosphorsäure, HPO dreiProtonen, die sie nacheinander abgeben können. In diesen Fällen liegenmehrwertige odermehrprotonige Säuren vor.

Einige Stoffe wie z. B. HPO− können sowohl als Säure als auch als Base reagieren. Sie

werden als Ampholyte oder als amphoter bezeichnet:

HPO2−4 ��⇀↽�� PO3−

4 +H+HPO2−

4 +H+ ��⇀↽�� H2PO−4

Ob einAmpholyt als Säure oder als Base reagiert, hängt vonderArt undKonzentration desjeweiligen Reaktionspartners ab. Ist der Reaktionspartner eine stärkere Säure, so reagiertder Ampholyt als Base. Ist der Reaktionspartner die stärkere Base, so reagiert er als Säure.Die spezielle Säure-Base-Reaktion der SäureHO

+ mit der BaseOH− wirdNeutralisationgenannt.

H3O+ +OH− ��⇀↽�� 2H2O

Die Neutralisation ist eine stark exotherme Reaktion, die mit der Freisetzung von 57,6 kJproMol HO verbunden ist. Die Rückreaktion der Neutralisation entspricht der Eigendis-soziation oder Autoprotolyse des Wassers (�Kap. ..).

1.7.2 Definition nach LewisEine Erweiterung der Definition von Säuren und Basen hat Lewis eingeführt.

⊡ MERKE Nach Lewis ist eine Säure ein Elektronenpaar-Akzeptor und eine Base ein Elektro-nenpaar-Donator.

Zur Unterscheidung von Säuren und Basen nach der Brønsted’schen Definition sprichtman hier von Lewis-Säuren und Lewis-Basen. Bei der Reaktion einer Lewis-Säure miteiner Lewis-Base wird eine koordinative Bindung (�Kap. .., S. ) ausgebildet. EineLewis-Base muss daher über mindestens ein freies Elektronenpaar verfügen. Hier zeigtsich die Gemeinsamkeit mit der Definition einer Base nach Brønsted; denn eine Brønsted-Base kann nur dann ein Proton aufnehmen, wenn sie für die Bindung zum Proton einfreies Elektronenpaar zur Verfügung stellen kann. Die Definitionen unterscheiden sichjedoch in Bezug auf die Säure. Nach Lewis ist das Proton die Säure, denn es wird vonder Base unter Bildung einer koordinativen Bindung aufgenommen und ist damit derElektronenpaar-Akzeptor. Ganz allgemein ist eine Lewis-Säure ein Ion oder ein Molekülmit einer Elektronenpaar-Lücke. Dies ist beispielsweise bei den Borhalogeniden BX (X =F, Cl, Br, I) (�S. ) oder bei PCl der Fall. So reagiert BF mit NH unter Ausbildungeiner koordinativen B−N-Bindung. Wie wir bei der Theorie der Komplexe (�Kap. .)noch sehen werden, sind Komplexe das Ergebnis einer Reaktion einer Lewis-Säure mitLewis-Basen. Hier ist das Zentralatom des entstehenden Komplexes die Lewis-Säure.

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1

1.7.3 Schwache Säuren und Basen: Säurekonstante, Basenkonstante 57

HSAB-Konzept nach PearsonPearson übernimmt die Definition von Lewis, er geht jedoch in seinem HSAB-Konzeptvon harten und weichen Säuren und Basen (Hard and Soft Acids and Bases) noch weiter.Danach sind harte Säuren wenig polarisierbare Kationen oder Moleküle wie z. B. H+, Li+,Mg+, Al+, BF, PF.Weiche Säuren sind gut polarisierbar, z. B. Cs+, Ag+, Hg+. Analogesgilt für Basen: hart sind z. B. F−, HO, OH

− und weich sind Br−, I−, S−. Starke Bindungenmit hohem Ionenbindungsanteil entstehen zwischen harter Base und harter Säure bzw.weicher Base und weicher Säure, z. B.:

Li+ + F− �→ LiF bzw. Cs+ + I− �→ CsI

Schwächere Bindungen überwiegend kovalenter Art bilden sich aus harter Säure und wei-cher Base oder umgekehrt, z. B.:

Cr3+ + 6 SCN− �→ [Cr(SCN)6]3− bzw. Hg2+ + 2Cl− �→ HgCl2

1.7.3 Schwache Säuren und Basen:Säurekonstante, Basenkonstante

Einwertige Säuren und BasenSchwache einwertige Säuren HA und schwache einwertige Basen B nach Brønsted rea-gieren mit Wasser unter Ausbildung eines Gleichgewichts für das das MWG formuliertwerden kann.

Für eine schwache Säure gilt:

HA +H2O ��⇀↽�� H3O+ +A−

cH3O+ ⋅ cA−cHA ⋅ cH2O

= K′S

Da in verdünnter wässeriger Lösung die Konzentration des Wassers als konstant ange-nommen werden kann, gilt:

cH3O+ ⋅ cA−cHA

= K′S ⋅ cH2O = KS

Für eine schwache Base gilt:

B +H2O��⇀↽�� HB+ +OH−cHB+ ⋅ cOH−

cB ⋅ cH2O= K′B und

cHB+ ⋅ cOH−

cB= K′B ⋅ cH2O = KB

KS wird als Säure-Dissoziationskonstante oder einfach als Säurekonstante und KB alsBasen-Dissoziationskonstante oder Basenkonstante bezeichnet. Häufig werden an ihrerStelle auch die negativen dekadischen Logarithmen pKS und pKB angegeben.

− logKS = pKS und − logKB = pKB

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58 1.7 Säuren und Basen

Mehrwertige SäurenDie Dissoziation einer mehrwertigen Säure erfolgt schrittweise und jeder einzelnen Stufeder Protonenabgabe entspricht ein eigenesGleichgewicht und eine eigeneGleichgewichts-konstante bzw. Säurekonstante. Die Gleichgewichtskonstante der Summenreaktion ist dasProdukt der Einzelkonstanten.

H2A +H2O ��⇀↽�� H3O+ +HA− ; cH3O+ ⋅ cHA−

cH2A= KS1

HA− +H2O ��⇀↽�� H3O+ +A2− ; cH3O+ ⋅ cA2−

cHA−= KS2

H2A + 2H2O��⇀↽�� 2H3O+ +A2− ; c2H3O+

⋅ cA2−

cH2A= KS1 ⋅ KS2 = KS

1.7.4 Wasserstoffionenkonzentration und pH-WertDissoziation des WassersWasser ist ein äußerst schwacher amphoterer Elektrolyt, der in sehr schneller reversiblerReaktion in hydratisierte HO

+- und OH−-Ionen dissoziiert:

2H2O ��⇀↽�� H3O+ +OH−

Der Dissoziationsgrad ist sehr klein und beträgt bei °C α = 3,6 ⋅ 10−9. Wegen diesernur geringfügigen Eigendissoziation besitzt reinesWasser nur eine kleine spezifische Leit-fähigkeit von χ = 1 ⋅ 10−8 Ω−1 ⋅ cm−1 bei °C. Natürliches Wasser weist wegen der daringelösten Elektrolyte eine bedeutend höhere Leitfähigkeit auf.

Infolge der geringen Konzentration an H+- (vereinfachte Schreibweise, �Kap. ..,S. ) und OH−-Ionen in reinem Wasser können im MWG anstelle der Aktivitäten dieStoffmengenkonzentrationen angesetzt werden:

Ka = aH+ ⋅ aOH−

aH2O= cH+ ⋅ fH+ ⋅ cOH− ⋅ fOH−

aH2O≈ cH+ ⋅ cOH−

aH2O= 1,8 ⋅ 10−16

Ionenprodukt des WassersIn verdünnten Lösungen ist der Überschuss an undissoziiertenWassermolekülen im Ver-gleich zu den gelösten Stoffen so groß, dass seine Aktivität als konstant betrachtet werdendarf und mit in die Konstante einbezogen werden kann. Hieraus ergibt sich das Ionenpro-dukt des Wassers KW:

cH+ ⋅ cOH− = Ka ⋅ aH2O = KW = 1 ⋅ 10−14 mol2/L2 bei 22 ○CFür eine neutrale wässerige Lösung oder reines Wasser gilt:

cH+ = cOH− = 10−7 mol/LFür eine saure Lösung gilt:

cH+ > 10−7 mol/L > cOH−

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1

1.7.4 Wasserstoffionenkonzentration und pH-Wert 59

Für basische Lösungen gilt:

cH+ < 10−7 mol/L < cOH−

Versetzt man Wasser mit einer Säure oder einer Base, so bleibt das Ionenprodukt kon-stant, d. h. die OH−- bzw. H+-Ionenkonzentration wird entsprechend vermindert. Es sindjedoch auch in saurer Lösung noch OH−-Ionen und in alkalischer Lösung noch H+-Ionenvorhanden.

Beispiel: Berechnung der OH− und H+-Ionen-KonzentrationIn 0,1mol/L HCl ist cH+ = 10−1 mol/L und cOH− = 10−13 mol/L, in 0,01mol/L NaOH ergibt sichcOH− = 10−2 mol/L und cH+ = 10−12 mol/L.Definition des pH-WertsStatt der Stoffmengenkonzentrationen cH+ und cOH− gibt man üblicherweise den negati-ven dekadischen Logarithmus der Konzentrationen, den pH- bzw. pOH-Wert, an:

pH = − log aH+ ≈ − log cH+pOH = − log aOH− ≈ − log cOH−

Aus dem Ionenprodukt des Wassers folgt:

pH + pOH = 14

Die Dissoziation des Wassers ist ein endothermer Vorgang. Daher steigt die Gleichge-wichtskonstante und der Dissoziationsgrad entsprechend dem Prinzip von Le Chatelier(�Kap. ..) bei Temperaturerhöhung an. Die pH-Wert-Skala verengt sich entsprechend( Tab. .). Bei °C sind demnach 10−6,07 mol/L H+ und gleichviel OH−-Ionen vor-handen und der verkleinerte pH-Wert bedeutet nicht, dass eine saure Reaktion vorliegt.

Temp. /○C KW /mol2 ⋅ L−2 pKW pH

0 0,13 ⋅ 10−14 14,89 7,4

10 0,36 ⋅ 10−14 14,45 7,2

20 0,86 ⋅ 10−14 14,07 7,0

22 1,00 ⋅ 10−14 14,00 7,0

30 1,89 ⋅ 10−14 13,73 6,8

50 5,6 ⋅ 10−14 13,25 6,6

100 74 ⋅ 10−14 12,13 6,0

Tab. 1.15 Temperaturabhängigkeit desIonenprodukts des Wassers

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60 1.7 Säuren und Basen

Rechenbeispiele:a) cH+ = 5 ⋅ 10−1 mol/L

pH = −(log 5 + log 10−1) = −(0,7 − 1) = 0,3b) pH = 5,8

cH+ = 10−5,8 mol/L = 100,2 ⋅ 10−6 mol/L = 1,59 ⋅ 106 mol/L.1.7.5 pK-Werte von Säuren und BasenDie Stärke von Säuren und Basen ist durch den pKS- bzw. den pKB-Wert definiert(�Kap. ..). Eine Einordnung der pKS-Werte gibt Tab. ..

Beziehung zwischen KS und KBBei einem korrespondierendem Säure-Base-Paar sind die zugehörigen KS- und KB-Wertenicht unabhängig voneinander. Wie die nachfolgende Betrachtung zeigt, sind sie über dasIonenprodukt des Wassers, KW, miteinander verknüpft:

HA +H2O ��⇀↽�� H3O+ +A−

A− +H2O ��⇀↽�� HA +OH−

2H2O ��⇀↽�� H3O+ +OH−

c+H3O ⋅ cA−cHA

⋅ cOH− ⋅ cHA

cA−= cH3O+ ⋅ cOH− = KS ⋅ KB = KW

KS ⋅ KB = KW

pKS + pKB = 14

Starke Säuren und starke BasenBei starken einwertigen Säuren kann man annehmen, dass sie vollständig in HO

+-Ionenund die korrespondierende Base dissoziiert sind, sodass dieGesamtkonzentration der Säu-re, c0, der HO

+-Ionenkonzentration entspricht. Entsprechend gilt für starke Basen, dasssie vollständig mit Wasser zur korrespondierenden Säure und OH− reagiert haben undsomit c0 = cOH− ist.

HA +H2O �→ H3O+ +A−

B +H2O �→ BH+ +OH−

pKS bzw. pKB-Werte

starke Säuren bzw. Basen 0 bis 4,5

schwache Säuren bzw. Basen 4,5 bis 9,5

sehr schwache Säuren bzw. Basen 9,5 bis 14

Tab. 1.16 pKS- undpKB-Werte von Säuren undBasen

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1.7.5 pK-Werte von Säuren und Basen 61

Eine angenäherte Rechnung unter Vernachlässigung der Ionenstärke (Aktivitätskoeffizi-ent = ) ergibt für starke einwertige Säuren:

cHA 1 0,1 0,01 0,001mol/LcH+ 1 ⋅ 100 1 ⋅ 10−1 1 ⋅ 10−2 1 ⋅ 10−3 mol/LcOH− 1 ⋅ 10−14 1 ⋅ 10−13 1 ⋅ 10−12 1 ⋅ 10−11 mol/LpH 0 1 2 3

Analoges gilt für starke Basen.Für eine genaue Rechnung müssen die Aktivitäten angesetzt werden:

aH+ = f ⋅ cH+pHa = − log( f ⋅ cH+)pHa = pH − log f

Beispiel: pHa einer Lösung von 0,1mol/L HClDer mittlere Aktivitätskoeffizient f von 0,1mol/L HCl beträgt 0,796

pHa = 1 − log(0,796) = 1 − (−0,1) = 1,1Schwache Säuren und schwache BasenEine schwache Säure ist nur teilweise dissoziiert:

HA +H2O ��⇀↽�� H3O+ +A−

Unter Vernachlässigung der Ionenstärke gilt für die Säurekonstante:

cH+ ⋅ cA−cHA

= KS

Da die Dissoziation der schwachen Säure nur gering ist, kann für cHA näherungsweisedie Gesamtkonzentration c0 angenommen werden. Außerdem ergibt sich aus demDisso-ziationsgleichgewicht, dass gleich viel HO

+-Ionen wie A−-Ionen gebildet werden, sodasscH+ = cA− . Hieraus folgt:

cH+ = √KS ⋅ c0Beispiel: cH+ und pH einer 0,1mol/L CHCOOH:

cH+ ⋅ cCH3COO−

cCH3COOH= KS = 10−4,75 mol/L

Vereinfachend kann gesetzt werden:

cH+ = cCH3COO− ; cCH3COOH = c0 = 0,1mol/Lc2H+ = 10−4,75 ⋅ 10−1 = 10−5,75 mol2/L2cH+ = 10−2,88 mol/LpH = 2,88

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62 1.7 Säuren und Basen

Für schwache Basen gilt entsprechend:

cOH− = √KB ⋅ c0 bzw. cH+ = KW

cOH−= KW√

KB ⋅ c0 =√

K2W

KB ⋅ c0Durch Ersetzen von KB durch KS in obiger Gleichung mithilfe der Beziehung KS ⋅ KB =KW (�S. ) ergibt sich für die Wasserstoffionenkonzentration einer schwachen Base:

cH+ =√K2W ⋅ KS

KW ⋅ c0 =√KW ⋅ KS

c0

Beispiel: pH einer 0,1mol/LCH3COO

−-Lösung (KS = 10−4,75):cH+ =√10−14 ⋅ 10−4,75

10−1mol/L = √10−17,75 mol/L = 10−8,88 mol/L

pH ≈ − log cH+ = 8,881.7.6 pH-Indikatoren

⊡ MERKE pH-Indikatoren sind organische Farbstoffe, die den Charakter schwacher Säurenoder schwacher Basen aufweisen. Dabei hat die Säure eine andere Konstitution und Farbeals die korrespondierende Base.

Auf das Dissoziationsgleichgewicht einer Indikatorsäure HA lässt sich das MWG anwen-den: cH+ ⋅ cA−

cHA= KS

DerUmschlagspunkt des Indikators liegt bei demjenigen pH-Wert, für den die Konzentra-tion der farbigen korrespondierenden Base A− ebenso groß ist wie die Konzentration derfarbigen oder gelegentlich auch farblosen Indikatorsäure HA. Für den Umschlagspunktgilt also:

cH+ = KS ; pH = pKS

Somit hat die Wasserstoffionenkonzentration am Umschlagspunkt numerisch denselbenWert wie die Gleichgewichtskonstante KS. Das menschlicheAuge vermag jedoch die 1 ∶ 1-Mischung der Farbkomponenten nur selten scharf zu erkennen, wohl aber sind Abwei-chungen von den reinen Grundfarben der Indikatorsäure und ihrer korrespondierendenBase wahrnehmbar, wenn das Konzentrationsverhältnis cHA ∶ cA− = 9 ∶ 1 bzw. 1 ∶ 9 be-trägt. Das pH-Gebiet der Mischfarben in der Nähe des Umschlagspunkts wird als Um-schlagsintervall bezeichnet. Es erstreckt sich über – pH-Einheiten. Innerhalb des Inter-valls liegen Zwischenfarbtöne, bei denen eine optimal erkennbare Farbänderung durchZugabe kleiner Mengen an Säure bzw. Base eintritt.

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1

1.7.7 Hydrolyse 63

Tab. 1.17 Eigenschaften einiger Säure-Base-Indikatoren

Farbe imIndikator pH-Bereich desUmschlags-intervalls

pHdes Um-schlags-punktes

saurenGebiet

alkalischenGebiet

Farbe beimUmschlags-punkt

KonzentrationderIndikatorlösung

Methyl-orange

3,1–4,4 4,0 rot orangegelb orange 0,1%ig in Wasser

Methylrot 4,2–6,3 5,8 rot gelb orange 0,2%ig in 60%igemEthanol

Bromthy-molblau

6,0–7,6 7,1 gelb blau grün 0,1%ig in 20%igemEthanol

Lackmus 5,0–8,0 6,8 rot blau blaurot 0,5% in 90%igemEthanol

Phenol-phthalein

8,2–10,0 8,4 farblos rot schwach-rosa

0,1%ig in 70%igemEthanol

Thymol-phthalein

9,3–10,6 10,0 farblos blau schwach-bläulich

0,1%ig in 90%igemEthanol

Tashiro 4,2–6,3 5,8 violett-rot

grün grau 60mg Methylrotin 200mL Ethanol+30mg Methylenblauin 30mL Wasser

Mischindikatoren bestehen entweder aus einem Indikator und einem indifferenten Farb-stoff oder aus zwei Indikatoren. ImUmschlagsintervall entsteht ein Gemisch komplemen-tärer Farben, sodass eine graue Lösung erhalten wird. Gegen Abweichungen von diesemGrauton ist das Auge besonders empfindlich.

Als ein Beispiel für einen Mischindikator aus einem indifferenten Farbstoff und einemIndikator ist in Tab. . Tashiro aufgeführt.

Bei qualitativen Arbeiten verwendet man häufig Mischindikatoren, unter denen dasUniversal-Indikator-Papier, dessen Färbung im Bereich von pH = 0–14 eine grobe pH-Bestimmung zulässt, die größte Bedeutung hat.

Versuch: Farbumschlag von IndikatorenMan prüft die ausstehenden Säuren und Basenmit den in Tab. 1.17 aufgeführten Indikatoren.

1.7.7 Hydrolyse

⊡ MERKE Eine Hydrolyse ist eine chemische Reaktion, bei der unter Einwirkung von Wasserdie kovalente Bindung einer Verbindung gespalten wird.

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64 1.7 Säuren und Basen

Beispiele hierfür sind die Reaktionen von SiCl oder PCl mit Wasser.

PCl3 + 3H2O �→ H3PO3 + 3HCl

In der älteren Literatur wurde als Hydrolyse auch die Reaktion eines Salzes mit Wasserbezeichnet, wenn die Ionen des Salzes mit Wasser als Säure oder Base reagieren oder mitWasser eine Säure bilden. Im Folgenden verwenden wir den Begriff Hydrolyse auch indiesem Sinne.So reagiert beispielsweise eine Lösung von NHCl inWasser sauer, da das Ammoniumioneine Säure ist:

NH+4 +H2O��⇀↽�� H3O+ +NH3

Salze wie NaCN, NaCO oder NaCHCOO ergeben in Wasser eine alkalische Reaktion,da ihre Anionen Basen sind:

CN− +H2O��⇀↽�� HCN +OH−CO2−

3 +H2O��⇀↽�� HCO−3 +OH−

Die Ionen von Salzen wie z. B. ZnCl oder AlCl werden hydratisiert. Die Aquakomplexeder höher geladenen Kationen sind Säuren. Dementsprechend reagieren Lösungen dieserSalze sauer:

Al3+ + 6H2O �→ [Al(OH2)6]3+[Al(OH2)6]3+ +H2O ��⇀↽�� [Al(OH2)5(OH)]2+ +H3O+

Interessant sind Fälle, bei denen ein Salz wie beispielsweise NH+CHCOO− aus einer

schwachenSäure und einer schwachenBase bestehen. IndiesemFall tritt eineReaktionmitWasser ein, ohne dass sich jedoch der pH-Wert wesentlich verändert, da sich die gebildetenHO

+ und OH−-Ionen zu Wasser vereinigen:

NH+4 +H2O ��⇀↽�� H3O+ +NH3

CH3COO− +H2O ��⇀↽�� CH3COOH +OH−H3O

+ +OH− �→ 2H2O

Versuch: Hydrolyse von SalzenMan prüft die folgenden wässerigen Salzlösungen mit dem Indikator Tashiro ( Tab. 1.17):NaCH3COO, Na2CO3: alkalische Reaktion, grüne Farbe; NH4CH3COO, NaCl: neutrale Reaktion, graueFarbe (ausgekochtes Wasser); NH4Cl, ZnCl2, AlCl3: saure Reaktion, violettrote Farbe.

Einflüsse auf die HydrolyseVerdünnung und TemperaturänderungMit steigender Verdünnung und mit steigender Temperatur nimmt das Ausmaß derHydrolyse zu.

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1

1.7.7 Hydrolyse 65

Versuch:1) Hydrolyse von NaCH3COO

Eine 0,1mol/L Natriumacetatlösung wird mit einigen Tropfen Phenolphthalein versetzt underwärmt. Die anfangs farblose Lösung färbt sich infolge zunehmender Hydrolyse rot.

2) Hydrolyse von [Zn(OH)4]2− (auch�S. 327)

[Zn(OH)4]2− ��⇀↽�� Zn(OH)2 ↓ + 2OH−Zu einer Zn2+-Lösung fügt man so viel NaOH zu, dass sich das zunächst gebildete Zn(OH)2noch nicht völlig auflöst. Nach Filtration erhitzt man das Filtrat zum Sieden. Es fällt wiederweißes Zn(OH)2 aus.

Weitere Versuche über die Abhängigkeit der Hydrolyse von der Temperatur siehe beiAl(III) (�S. ) und Fe(III) (�S. ).

Änderung der Konzentration der ReaktionsprodukteWerden die bei der Hydrolyse entstehendenH+- bzw. OH−-Ionen aus demGleichgewichtentfernt, so kann die Hydrolyse praktisch quantitativ verlaufen. Unterstützt wird dieserVorgang, wenn die gebildete wenig dissoziierte Verbindung gasförmig entweicht oderschwer löslich ist.

Bildung einer flüchtigen VerbindungCyanide reagierenmitWasser als Baseund bilden teilweiseHCNundOH−. Durch Zugabevon Säuren wie HCO− und Vertreiben von HCN wird die Hydrolyse vollständig:

CN− +H2O��⇀↽�� HCN ↑ +OH−OH− +HCO−3 �→ H2O + CO2−

3

Vorsicht! Cyanide dürfen nur bei Beachtung besonderer Schutzmaßnahmen mit Säu-ren oder anderen OH−-bindenden Stoffen in Berührung gebracht werden, da dabei diehöchst giftige Blausäure, HCN, entsteht.

BeimVersetzen einer Ammoniumsalzlösungmit Lauge bildet sichNH, das durch Erwär-men vertrieben werden kann.

NH+4 +H2O��⇀↽�� NH3 ↑ +H3O+

H3O+ +OH− �→ 2H2O

DieseReaktion kann alsNachweis vonNH ausNH+ -Salzen benutzt werden (�Kap. ..).

Bildung schwer löslicher VerbindungenWie oben erläutert wurde, sind die Aquakomplexe der höher geladenen Kationen, wieAl+ oder Fe+, Säuren. InGegenwart von Ionen oderMolekülen, die als Basenwirken, wiez. B. CHCOO− undNH, oder dieWasserstoffionen in einerNebenreaktion verbrauchen,wie z. B. Urotropin (N(CH),�S. ) und NO− , verläuft die Hydrolyse bis zur Fällungeines stark wasserhaltigenHydroxidgels. Urotropin undAcetat haben bei der sogenanntenHydrolysentrennung (�S. und�S. ) Bedeutung.

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66 1.7 Säuren und Basen

Urotropin hydrolysiert teilweise in NH und Formaldehyd. Unter Einwirkung schwa-cher Säuren wie [Al(OH)]

+ wird das Ammoniak aus dem Gleichgewicht entfernt undso das Gleichgewicht (s. u.) nach rechts verschoben. Der Aquakomplex geht dabei in dasschwer lösliche Hydroxidgel über.

[Al(OH2)6]3+ ��⇀↽�� [Al(OH)3(OH2)3] ↓ + 3H+N4(CH2)6 + 6H2O��⇀↽�� 4NH3 + 6HCHO

NH3 +H+ �→ NH+4Vorteil dieser Methode ist, dass die Lösung im schwach sauren Gebiet verbleibt und da-durch eine Abtrennung der Hydroxide M(OH)x mit x ≥ 3 von denjenigen mit x = 2 ge-lingt. Außerdem ist die Fällung von amphoterem Al(OH) vollständig, da kein Hydroxo-komplex gebildet werden kann. Auch wird die im Alkalischen leicht erfolgende Oxidationvon Mn+ durch Luftsauerstoff zu MnO verhindert, sodass kein MnO mitfällt.

Die Abtrennung der drei- und vierwertigen Kationen im schwach sauren Gebiet(pH –) gelingt auch mit einem Essigsäure/Acetat-Puffergemisch. Dies ist besonders fürdie Trennung von Eisen undMangan eine guteMethode. Hierbei wird vom Fe+ zunächstein löslicher, dreikerniger Acetatokomplex, [Fe(O)(CHCOO)]

+, gebildet, der beimAufkochen zum Eisen(III)hydroxidgel hydrolysiert wird.

Im stark alkalischen Milieu geht das schwer lösliche, amphotere Aluminiumhydroxid-gel in lösliche Hydroxokomplexe über:

[Al(OH)3(OH2)3] +OH− ��⇀↽�� [Al(OH)4(OH2)2]− +H2O[Al(OH)4(OH2)2]− +OH− ��⇀↽�� [Al(OH)5(OH2)]2− +H2O[Al(OH)5(OH2)]2− +OH− ��⇀↽�� [Al(OH)6]3− +H2O

Aus den Hydroxokomplexen kann man das Hydroxid wiederum ausfällen, wenn man dieHydroxidionen mit einer schwachen Säure wie der Kohlensäure oder dem Ammonium-kation wegfängt:

[Al(OH)4]− + CO2 �→ [Al(OH)3] +HCO−3[Al(OH)4]− +NH+4 �→ [Al(OH)3] +NH3 +H2O

Versuch: Verringerung der OH−-Konzentration einer [Al(OH)4]−-Lösung

Eine Hydroxoaluminatlösung wird mit festem NH4Cl versetzt. Es fällt Al(OH)3 aus.

1.7.8 Pufferlösungen

⊡ MERKE Mischungen aus gleichen Anteilen einer schwachen Säure und ihrer korrespon-dierenden Base, bzw. aus einer schwachen Base und ihrer korrespondierenden Säurewerden Pufferlösungen genannt. Sie sind in der Lage, sowohl H+- als auch OH−-Ionenzu binden und halten daher den pH-Wert in weiten Konzentrationsbereichen konstant.

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1

1.7.8 Pufferlösungen 67

In der Lösung einer schwachen Säure HA und ihrer korrespondierenden Base A− bindetdie Base die H+-Ionen während die Säure die OH−-Ionen neutralisiert:

A− +H+ �→ HAHA +OH− �→ A− +H2O

Unter Vernachlässigung der Aktivitätskoeffizienten gilt:

cH+ ⋅ cA−cHA

= KS

cH+ = cHA

cA−⋅ KS

Nach Umformen erhält man

pH = pKs − lg cHA/cA− bzw. pH = pKS + lg cA−/cHA

Diese Gleichung entspricht derHenderson-Hasselbalch-Gleichung, die für die pH-Wert-Berechnung von Lösungen einer Säure (hierHA)mit ihrer konjugierten Base (A−) benutztwerden kann.

Wenn die Konzentration der Säure HA gleich der Konzentration der Base A− ist, ergibtsich für die Wasserstoffionenkonzentration und den pH-Wert:

cH+ = KS und pH = pKS

Die maximale Pufferkapazität (s. u.) liegt vor, wenn das Verhältnis von cHA ∶ cA− gleich1 ∶ 1 beträgt. Aus den oben angegebenen Gleichungen kann man ersehen, dass sich nachZugabe von so viel Säure bzw. Base, dass sich das Verhältnis cHA ∶ cA− von 1 ∶ 1 auf 10 ∶ 1bzw. 1 ∶ 10 ändert, der pH-Wert nur um eine Einheit geändert hat.

Versuch: Pufferwirkung einer CH3COOH/CH3COO−-Lösung

Zwei Reagenzgläser füllt man mit Wasser, zwei weitere mit je 5mL 1mol/L CH3COOH + 5mL1mol/L NaCH3COO und fügt zu allen Reagenzgläsern 2 Tropfen Methylrot hinzu. Ein Reagenz-glas mit Wasser versetzt man mit 1–2 Tropfen 2mol/L HCl, es tritt sofort die rote Farbe auf.Im Acetatpuffer dagegen bleibt die Mischfarbe des Indikators auch bei Zugabe von mehr HClbestehen. Entsprechende Ergebnisse (gelbe Farbe) erhält man bei tropfenweiser Zugabe vonNaOH zu Wasser und zu dem Puffer.

Pufferkapazität

⊡ MERKE Die Aufnahmefähigkeit einer Pufferlösung für starke Säuren und starke Basen wirdals Pufferkapazität bezeichnet.

Die Pufferkapazität ist von der vorliegenden Stoffmenge des Puffergemisches abhängig.Wieman aus Abb. . amBeispiel des Acetatpuffers ersehenkann, ist die Pufferkapazitätam größten, wenn die Konzentration an schwacher Säure und ihrer korrespondierendenBase gleich ist. In diesemFall entspricht der pH-Wert dempKS-Wert der schwachen Säure.

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68 1.7 Säuren und Basen

ac

db

pH

mol/L HCl bzw. NaOH

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

140,080,1 0,15 0,20,050

Abb. 1.23 Änderung des pH-Werts ineinem Puffergemisch aus Essigsäure undAcetat bei Zugabe einer starken Säure bzw.starken Base

Puffergemisch: 0,1mol/L CH3COOH und0,1mol/L NaCH3COO.a: pH-Werte von reinen HCl-Lösungen.b: pH-Werte von reinen NaOH-Lösungen.c: pH-Werte des Puffergemischs bei Zugabe

von HCl.d: pH-Werte des Puffergemischs bei Zugabe

von NaOH.

Die Kapazität des in Abb. . vorgegebenen Puffers wird überschritten, wenn mehr als0,08mol/L Säure bzw. Base zugesetzt werden.

Nach Zugabe von 0,1mol HCl je Liter ist das gesamte Acetat in CHCOOH umgewan-delt, deren Gesamtkonzentration jetzt denWert von 0,2mol/L erreicht hat. Das entsprichteinem pH-Wert von 2,72.

Nach Zugabe von 0,1mol NaOH je Liter ist die gesamte Essigsäure in Acetat umgesetzt,das nunmehr in einer Konzentration von 0,2mol/L vorliegt. Der pH-Wert einer solchenLösung beträgt 9,02.

Der pH-Wert einer reinen wässerigen Lösung von HCl oder NaOH ist in Abb. .durch die gestrichelten Kurven (a, b) wiedergegeben. Er ändert sich im mittleren pH-Bereich stark und wird nur an den Extrempunkten mit pH = 1 bzw. pH = 13 konstantgehalten.

1.7.9 Ausgewählte Säuren und BasenVerhalten höher geladener Kationen in wässeriger LösungAquakomplexe [M(OH)x ]

n+ sind Säuren. Ihre Säurestärke nimmt mit steigender Ionen-ladung n+ und abnehmender Größe, d. h. mit zunehmendem Ionenpotenzial (�S. ) desZentralatoms zu, da die Anziehungskraft zwischenZentralatomund den Sauerstoffatomender Wasserdipole und zugleich auch die Abstoßung zwischen Zentralatom und den Was-serstoffatomen zunimmt. Hierbei wird die Polarität der O−H-Bindung im koordiniertenWassermolekül verstärkt und die Ablösung der Protonen erleichtert. Bei Kationenmit derLadung + und höher wird die Säurestärke so groß, dass reine Aquakomplexe kaum exis-tieren, wie das Beispiel des vierwertigen Titans zeigt. Es bildet in saurer Lösung Komplexeder Art [Ti(OH)(OH)]

+ oder [Ti(OH)(OH)]+, die früher als Titanylionen, TiO+,

angesehen wurden. Bei noch größerer Ionenstärke, wie sie bei C+, Si+, N+, P+, S+

oder Cr+ vorliegt, werden Hydroxo- oder Oxokomplexionen gebildet. Angegeben sind

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1

1.7.9 Ausgewählte Säuren und Basen 69

die Oxokomplexe, die je nach pH-Wert teilweise protoniert sein können, wie am Beispieldes Phosphations gezeigt ist:

CO− , SiO−

, NO− , PO− , SO−

oder CrO−[PO4]3− H+�→ [PO3(OH)]2− H+�→ [PO2(OH)2]− H+�→ [PO(OH)3]

In vielen Fällen treten zusätzlich Kondensationsreaktionen ein, die zu mehrkernigen undpolymeren Verbindungen oder Ionen führen.

⊡ MERKE Unter einer Kondensation versteht man eine chemische Reaktion, bei der sichmindestens zwei Moleküle oder Ionen unter Austritt eines einfachen Moleküls (z. B.Wasser, Ammoniak oder HCl) zu einem größeren Molekül oder Ion vereinigen. Treten vieleMoleküle zu einem Polymer zusammen, so spricht man von einer Polykondensation.

Beispielsweise entsteht aus Chromat beim Ansäuern Dichromat und die Orthokieselsäurekondensiert über mehrere Stufen bis zum SiO-Gel:

[O3Cr−OH]− + [HO−CrO3]− H+�→ [O3Cr−O−CrO3]2− +H2O

(HO)3Si−OH + nSi(OH)4 +HO−Si(OH)3 H+������→−(n+1)H2O(HO)3Si−[O−Si(OH)2]n−O−Si(OH)3 H+���→−H2O→→ SiO2 ⋅ aq.

Hydroxide und Sauerstoffsäuren der ElementeMetalloxide könnenmitWasserHydroxide bilden. AusOxiden derNichtmetalle entstehenmit Wasser Säuren. Die Nichtmetalloxide werden daher auch als Anhydride der Säurenbezeichnet.

CaO +H2O �→ Ca(OH)2SO3 +H2O �→ H2SO4

Bei der Reaktion des Anhydrids mit Wasser ändert sich die Oxidationsstufe des Zentral-atoms nicht. Demgemäß ist beispielsweiseNO kein Anhydrid einer Säure, da es mitWas-ser zu HNO und NO disproportioniert.

Hydroxoverbindungen können in Abhängigkeit vom Zentralatom sowohl Eigenschaf-ten einer Base als auch einer Säure aufweisen, wie die Beispiele der Base Al(OH) und derOrthokieselsäure Si(OH) zeigen.

Al(OH)3 + 3H3O+ �→ [Al(H2O)6]3+

Si(OH)4 +OH− �→ [SiO(OH)3]− +H2O

Zur besseren Unterscheidung von basischen Hydroxiden und Säuren schreibt man Letz-tere meist in der Form HSiO anstelle von Si(OH), obwohl die abspaltbaren Protonenan den Sauerstoffatomen gebunden sind.

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70 1.7 Säuren und Basen

Die Basen- bzw. Säureeigenschaft und ihre jeweilige Stärke hängt dabei vom Metall-bzw. Nichtmetallcharakter, d. h. dem elektropositiven bzw. elektronegativenCharakter derElemente ab.

Wie bereits im vorausgehenden Kapitel erläutert wurde, beeinflusst die Stärke derElement-Sauerstoff-Bindung die Festigkeit der O−H-Bindung und damit die Säurestärke.Die Stärke der Element-Sauerstoff-Bindung ist umso größer je höher das Ionenpotenzial(�S. ), das heißt je größer die Ladung und je kleiner der Radius des Zentralatoms ist.Bei zunehmender Festigkeit der Bindung wird das Sauerstoffatom stärker deformiert.Seine Elektronenhülle wird vom positiv geladenen Element angezogen, sein Kern wirdabgestoßen. Damit lockert sich die Bindung zwischen Sauerstoff und Wasserstoff imHydroxid, die Abspaltung des Protons wird erleichtert und der Säurecharakter nimmt zu.

Säure- und Basenstärke in Abhängigkeit von der Stellung im Periodensystem derElementeInnerhalb einer Periode der Hauptgruppenelemente nehmen die Atomradien von linksnach rechts ab und die maximaleOxidationsstufe zu. Damit steigt das Ionenpotenzial; derBasencharakter nimmt ab und der Säurecharakter nimmt zu, wie die folgenden Beispielezeigen:

NaOH: stark basischMg(OH): mittelstarke BaseAl(OH): schwache Base, amphoterer CharakterHSiO: sehr schwache Säure: KS1 = 10−9,6 mol/LHPO: mittelstarke Säure: KS1 = 10−1,96 mol/LHSO: starke Säure: KS1 = 10+3 mol/LHClO: sehr starke Säure: KS1 ≈ 10+10 mol/L

In der gleichen Reihenfolge geht die Löslichkeit in Wasser durch ein Minimum. Al(OH)und HSiO lösen sich in Wasser praktisch nicht.

Innerhalb einer Gruppe des Periodensystems bleibt zwar die Ladung des Zentralatomsgleich, der Ionenradius vergrößert sich jedoch mit steigender Ordnungszahl. Die basi-schen Eigenschaften nehmen daher zu, die Säureeigenschaften ab. Als Beispiele sind Ver-bindungen der . Hauptgruppe aufgeführt:

HNO und HPO: schwache SäurenHAsO und SbO(OH): amphoterBi(OH): schwache Base

Hydroxide, die in einer solchenReihe denÜbergang von überwiegenden Säureeigenschaf-ten zu überwiegenden Baseeigenschaften bilden, sind amphoter.

In den Nebengruppen ändert sich der Atomradius weniger stark. Die Basizität derHydroxide nimmt daher mit steigender Ordnungszahl nur schwach zu.

Säure- und Basenstärke in Abhängigkeit von der OxidationsstufeBei ein und demselbenElement nehmenmit steigenderOxidationsstufe der Basencharak-ter ab und der Säurecharakter zu:

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1.7.9 Ausgewählte Säuren und Basen 71

Mangan- und Chromverbindungen

basisch amphoter sauer+IIMn(OH)2 +IV

MnO(OH)2 H2+VIMnO4 H

+VIIMnO4

+IIICr(OH)3 H2

+VICrO4

Sauerstoffsäuren des Chlors

HClO∶ KS = 10−7,25 mol/L ; HClO2∶ KS ≈ 10−2 mol/L ;HClO3 ∶ KS ≈ 1mol/L ; HClO4∶ KS ≈ 10+10 mol/L ;

Sauerstoffsäuren des Schwefels

H2SO3∶KS1 ≈ 10−2 mol/L ; H2SO4∶KS1 ≈ 10+3 mol/LWeitere Beispiele

schwache Säure starke Säure schwache Base stärkere BaseHNO2 HNO3 Fe(OH)3 Fe(OH)2H3PO3 H3PO4

Säuretypen und NomenklaturDie Zusammensetzung der Sauerstoffsäuren, die die Elemente ab der drittenHauptgruppebilden können, wird naturgemäß durch die Stellung des betreffenden Elements im PSEbestimmt. Daneben bilden sich bei sukzessiverAufnahme vonWasser verschiedene Säure-typen. Im Folgenden sind – ausgehend von den Anhydriden der Elemente in der höchstenOxidationsstufe – mögliche Typen zeigt Tab. ..

Die „wasserärmste“ Säure ist diemeta-Form; sie wird überall erreicht. Als ortho-Formwird streng genommen jeweils diejenige Verbindung benannt, die eine der Oxidations-stufe des Zentralions E entsprechende Anzahl Sauerstoffatome enthält. Diemeso-Formennehmen eine Zwischenstellung ein. Häufig wird jedoch die der Oxidationsstufe entspre-chende Anzahl Sauerstoffatome bei der Zusammensetzung der Säuren nicht erreicht. Inder Literatur wird daher in der Regel die beständigstewasserreichste Form als ortho-Formbezeichnet, wie das Beispiel der Orthophosphorsäure, HPO zeigt.

Nummer der Hauptgruppe 3 4 5 6 7

Anhydride E2O3 EO2 E2O5 EO3 E2O7

meta-Formen HEO2 H2EO3 HEO3 H2EO4 HEO4

meso-Formen H3EO4 H4EO5 H3EO5

(bzw. ortho-Formen) H5EO6

ortho-Formen H3EO3 H4EO4 H5EO5 H6EO6 H7EO7

Tab. 1.18 Anhydrideder Elemente in derhöchsten Oxidationsstufe(E = betreffendes Element)

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72 1.7 Säuren und Basen

Tritt ein Säure bildendes Element in einer niedrigeren Oxidationsstufe auf, z. B. Arsenin der arsenigen Säure HAsO mit +III, so gelten die Säuretypen der entsprechendenGruppe, hier der . Gruppe.

Die Ausbildung und Stabilität der verschiedenen Säuretypen ist in erster Linie von derGröße des Zentralions E abhängig. Da innerhalb einer Gruppe des PSE mit steigenderOrdnungszahl der Ionenradius zunimmt, kann auch die Koordinationszahl zunehmenund entsprechend mehrWasser aufgenommen werden. Die Beständigkeit der meso- undortho-Formen wird demgemäß größer:

. Hauptgruppe: H2SO4 H6TeO6

Koordinationszahl: 4 6. Hauptgruppe: (HIO4)n H6I2O10 H5IO6

Koordinationszahl: 6 6 6

(HIO)n bildet Ketten aus kantenverknüpften IO-Oktaedern, während bei den Salzen derHIO in der Regel isolierte IO− -Tetraeder auftreten. HIO ist nur als Salz, HIO auchin wässeriger Lösung stabil (�S. ).

Element-Wasserstoff-VerbindungenDie binären Verbindungen der Elemente mitWasserstoffwerden häufig allgemein alsHy-dride bezeichnet, obwohl streng genommen dieserName nur denVerbindungenmitWas-serstoff in der Oxidationsstufe -I zukommt. Man unterscheidet kovalente Hydride, die alsgasförmige oder leichtflüchtige Moleküle oder polymere Verbindungen auftreten können,sowie salzartige Hydride und metallische oder legierungsartige Hydride.

In den salzartigen Hydriden liegt der Wasserstoff als Hydridion H− vor. Sie entste-hen mit den stark elektropositiven Alkali- und Erdalkali-Elementen. Die Elemente derNebengruppen bilden, soweit überhaupt binäre Wasserstoffverbindungen bekannt sind,hauptsächlich metallische Hydride.

Innerhalb der Perioden der Hauptgruppenelemente vollzieht sich von links nach rechtsein Übergang von den salzartigen zu den kovalenten Wasserstoffverbindungen. Zugleicherfolgt einWechsel vom negativ zum positiv polarisiertenWasserstoff (z. B. zwischen SiHund HS), verbunden mit einer Zunahme des Säurecharakters:

salzartig kovalent, polymer kovalent, gasförmigNaH [MgH2]x [AlH3]x SiH4 PH3 H2S HCl

Thermische Beständigkeit innerhalb der HauptgruppenDie thermische Beständigkeit der Element-Wasserstoff-Verbindungen nimmt innerhalbder Hauptgruppen mit steigender Ordnungszahl ab. Beispiele sind die Reihen:

LiH > NaH > KH > RbH > CsHNH3 > PH3 > AsH3 > SbH3 > BiH3

HF > HCl > HBr > HI

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1.7.9 Ausgewählte Säuren und Basen 73

In der zweiten Reihe ist nur NH eine thermodynamisch stabile Verbindung mit einernegativen Bildungsenthalpie; bei PH ist die Bildungsenthalpie schon positiv und siesteigt mit steigender Ordnungszahl stark an. Auch in der Reihe der Halogenwasserstoffenimmt die Bildungsenthalpie mit steigender Ordnungszahl zu (HF: −543 kJ/mol;HI: −9,5 kJ/mol).

Änderung der Säurestärke bzw. Basizität innerhalb der HauptgruppenDie Säurestärke der binären Element-Wasserstoff-Verbindungen nimmt innerhalb einerHauptgruppe mit steigender Ordnungszahl zu, da mit steigendem Ionenradius des Ele-ments die Stärke der Element-Wasserstoff-Bindung abnimmt. So ist bei den Halogenwas-serstoffen HI die stärkste Säure und in der nachfolgenden Reihe ist es HTe.

H2O∶ KS1 = 10−15,7 mol/L ; H2S∶ KS1 = 10−6,9 mol/L ;H2Se∶ KS1 = 10−3,85 mol/L ; H2Te∶ KS1 = 10−2,6 mol/L

Die Änderung des Basencharakters in wässeriger Lösung erkennt man beispielsweise ander Lage des folgenden Gleichgewichts:

EH3 +H+ ��⇀↽�� [EH4]+Bei NH liegt es auf der Seite des Ammoniumions; bei Phosphan, PH, ist es weitge-hend nach links verschoben. So zerfallen Phosphoniumsalze in wässeriger Lösung wiez. B. PHBr in PH und HBr, bzw. in PH, HO

+ und Br−. Arsoniumionen [AsH]+ und

Stiboniumionen [SbH]+ sind nur unter extremen Bedingungen bei tiefer Temperatur

stabil.

Grimm’sches HydridverschiebungsgesetzAufgrund des Grimm’schen Hydridverschiebungsgesetzes lässt sich das VerhaltenverschiedenerwasserstoffhaltigerAtomgruppenmit entsprechendenAtomen vergleichen.Danach verändern die Atome ab der vierten Hauptgruppe durch Aufnahme vonWasserstoffatomen ihre Eigenschaften derartig, dass sich die entstehenden Atomgruppenwie Pseudoatome verhalten, die den Atomen ähnlich sind, die um die Anzahl dergebundenen H-Atome weiter rechts im PSE stehen. Beispielsweise verhält sich ein OH−-Ion wie ein F−, ein CH−

oder ein NH− verhält sich wie ein Sauerstoffatom.Die Analogieerfasst auch die Vergleichbarkeit vom NH+

mit einem Alkalimetallion. In Tab. . sinddie möglichen Atomgruppen den jeweiligen Elementen zugeordnet.

C4− N3− O2− F− Ne Na+

CH3− NH2− OH− FH

CH2−2 NH−2 OH2 FH+2

CH−3 NH3 OH+3

CH4 NH+4

Tab. 1.19 Grimm’sches Hydridverschiebungs-gesetz

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74 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicherElektrolyte

1.8.1 Das LöslichkeitsproduktEin Salz dissoziiert in Wasser in seine Ionen. Auch bei schwer löslichen Salzen kann manannehmen, dass die Dissoziation zu einem geringen Anteil erfolgt. Befindet sich die gesät-tigte Lösung eines Salzesmit demungelösten, festenBodenkörper im heterogenenGleich-gewicht (�S. ), so kann das MWG angesetzt werden. Für einen 1 ∶ 1-Elektrolyten MXgilt:

MX��⇀↽��M+ + X−aM+ ⋅ aX−

aMX= Ka

Bei Gegenwart eines Bodenkörpers ist die Aktivität aMX konstant. Sie kann daher mit indie Gleichgewichtskonstante Ka einbezogen werden:

Ka ⋅ aMX = konst. = aM+ ⋅ aX− = KaLMX

KaLMX wird thermodynamisches Löslichkeitsprodukt genannt.

Mit a = f ⋅ c erhält man:

f ⋅ cM+ ⋅ f ⋅ cX− = f 2 ⋅ cM+ ⋅ cX− = KaLMX

Bei sehr verdünnten Lösungen, wie sie bei schwer löslichen Elektrolyten in Abwesenheitvon Fremdionen vorliegen, ist f ≈ 1 und man kann das thermodynamische Löslichkeits-produkt näherungsweise durch das stöchiometrische Löslichkeitsprodukt ersetzen:

cM+ ⋅ cX− = KcLMX ≈ Ka

LMX

⊡ MERKE Thermodynamisches Löslichkeitsprodukt: aM+ ⋅ aX− = KaLMXStöchiometrisches Löslichkeitsprodukt: cM+ ⋅ cX− = KcLMX

Allgemein gilt für schwer lösliche ElektrolyteMmXn bei Anwendung des stöchiometrischenLöslichkeitsprodukts:

MmXn ��⇀↽�� mMn+ + nXm−cmMn+ ⋅ cnXm− = KcLMmXn

Das Löslichkeitsprodukt gibt an, in welchemMaße ein schwer lösliches Salz in seine Ionendissoziiert. Fügt man andererseits die Ionen eines schwer löslichen Salzes in wässerigerLösung zusammen, so fällt der Niederschlag aus, sobald das Produkt der Ionenkonzen-trationen denWert des Löslichkeitsprodukts überschreitet.

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1.8.2 Molare Löslichkeit 75

Versuch: Löslichkeit von KClO4KClO4 wird aus einer verd. HClO4 mit KCl gefällt, abfiltriert, gewaschen und anschließend inheißem Wasser gelöst. Nach dem Abkühlen wird die über dem Bodenkörper befindliche gesät-tigte KClO4-Lösung abgegossen, geteilt und a) mit KOH, b) mit HClO4 versetzt. In beiden Fällenfällt KClO4 aus, da das Löslichkeitsprodukt überschritten wird.

1.8.2 Molare LöslichkeitAus dem Löslichkeitsprodukt lässt sich die Konzentration der einzelnen Ionen in der ge-sättigten Lösung und die Löslichkeit des Elektrolyten berechnen.

Für 1 ∶ 1-Elektrolyte vom Typ MX gilt:

MXBodenkörper

��⇀↽�� M+ +X−gesättigte Lösung

cM+ ⋅ cX− = KcLMX

Bei der Dissoziation von MX entstehen gleich viel Ionen M+ wie X−. Ihre Konzentrationentspricht der Löslichkeit CMX, bzw. der Stoffmengenkonzentration der gesättigten Lö-sung.

cM+ = cX− = CMX

C2MX = Kc

LMX , CMX = √KcLMX

Beispiel: Fällung von KClO4KcLKClO

4= 10−2,05 mol2/L2, CKClO4 = 10−1,025 mol/L.

MK = molare Masse des Kaliums = 39,10mg/mmol.Gibt man zu 1mL einer K+-Lösung 1mL2mol/L HClO4, so erhält man mit cClO−4 = 1mol/L aus derfolgenden Rechnung die Konzentration an K+, bei der gerade noch keine Fällung erfolgt:

cK+ = KcLKClO4cClO−4= 10−2,05 mol/L

Diese entspricht in 2mL Gesamtvolumen einer gesamten Masse Kalium von:

MK+ ⋅ cK+ ⋅ V = 39,10 mgmmol

⋅ 10−2,05 mmolmL

⋅ 2mL = 0,69mg .Enthält die ursprüngliche Lösung weniger als 0,7mg Kalium, so versagt der Nachweis auf Kalium(�S. 286).

Für 2 ∶ 1-Elektrolyte vom Typ M2X gilt:

M2XBodenkörper

��⇀↽�� 2M+ +X2−gesättigte Lösung

c2M+ ⋅ cX2− = KcLM2X

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76 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

Bei der Dissoziation von MX entstehen doppelt so viel Ionen M+ wie X−.

cM+ = 2cX2− und cX2− = cM+2

Durch Einsetzen ins Löslichkeitsprodukt erhält man:

12 c

3M+ = 4c3X2− = Kc

LM2X

und daraus:

cM+ = 3√

2KcLM2X

und cX2− = 3

����KcLM2X

4Für die Löslichkeit des Elektrolyten ist anzusetzen:

CM2X = cX2− = 3

����KcLM2X

4

⊡ MERKE Die allgemeine Beziehung zwischen molarer Löslichkeit und Löslichkeitsproduktlautet:

CMmXn = m+n

� �KcLMmXn

mmnn

Die praktische Bedeutung der Gleichung ist jedoch beschränkt. Denn bei Verbindungenaus mehr als drei Komponenten wie SbS oder Al(OH) ist die Voraussetzung einer voll-ständigen Dissoziation nicht mehr erfüllt. Es tritt meist stufenweise Dissoziation ein. DieVerwendung des Löslichkeitsprodukts liefert in diesen Fällen höchstens qualitative Hin-weise.

Bei Salzen des gleichen Typs (z. B. MX) ist die molare Löslichkeit umso geringer, jekleiner der Wert des betreffenden Löslichkeitsprodukts ist. Bei Salzen unterschiedlichenTyps (wie z. B. MX und MX) muss man zum Vergleich erst die entsprechenden molarenLöslichkeiten berechnen (Beispiele Tab. .).

Beispielsweise entspricht der Zahlenwert des Löslichkeitsprodukts des AgCrO weit-gehend dem des AgSCN (die Einheit ist jedoch mol3/L3 bzw. mol2/L2). Die Löslichkeitdes AgCrO ist hingegen wesentlich höher als die des AgSCN.

Die Angaben über Löslichkeitsprodukte in der Literatur schwanken sehr, da häufigunterschiedliche Untersuchungsmethoden angewandt werden. Die Werte können dahernur als Grundlage für die Berechnung der Größenordnung der Löslichkeit dienen.

Silbersalz Ag2CrO4 AgIO3 AgCl AgSCN AgBr AgI

KLAgmXn10−11,7 10−7,7 10−9,96 10−12 10−12,4 10−16

CAgmXn 10−4,1 10−3,85 10−5 10−6 10−6,2 10−8

Tab. 1.20 MolareLöslichkeiten einigerSilbersalze

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1.8.3 Fällung schwer löslicher Elektrolyte 77

1.8.3 Fällung schwer löslicher ElektrolyteFällungsreaktionen schwer löslicher Elektrolyte können mit oder ohne Änderung des pH-Werts der Lösung verlaufen.In den beiden ersten Fällen stellt sich ein pH-abhängiges Gleichgewicht ein:

Zn2+ +H2S ��⇀↽�� ZnS ↓ + 2H+ (�S. )

2Ba2+ + Cr2O2−7 +H2O ��⇀↽�� 2BaCrO4 ↓ + 2H+ (�S. )

In den folgenden Fällen verläuft die Fällung weitgehend unabhängig vom pH-Wert nahezuquantitativ:

Ag+ +Cl− �→ AgCl ↓ (�S. und�S. .)

Ba2+ + SO2−4 �→ BaSO4 ↓ (�S. und�S. )

Fällungen ohne pH-ÄnderungAls Beispiel für eine Fällung ohne pH-Abhängigkeit soll die Fällung von Ag+ als AgCldienen. Abb. . zeigt die Abhängigkeit der Löslichkeit des AgCl von der Cl−-Konzen-tration der Lösung in logarithmischer Auftragung.

Als Konzentrationsmaß sind die pAgCl- bzw. pCl−-Werte aufgetragen. Diese sind analogdem pH-Wert als der negative dekadische Logarithmus der Konzentration definiert.

Das Maximum der Löslichkeit von AgCl liegt bei einem äquivalenten Verhältnis derIonen – also am Äquivalenzpunkt der Fällungsreaktion – vor:

cCl− = cAg+ = √KcLAgCl = 10−5 mol/L

Eine weitgehend quantitative Fällung von Ag+ wird durch einen geringen Überschuss anCl−-Ionen (Lösung etwa 10−1,5 mol/L an Cl−) erreicht. Entsprechend dem Löslichkeits-produkt sinkt dann cAg+ auf 10−8,5 mol/L erheblich ab:

cAg+ = KcLAgCl

cCl−= 10−1010−1,5 = 10−8,5 mol/L

Höhere Cl−-Konzentrationen sind schädlich, daAgCl bei cCl− ≥ 10−1 mol/Lunter Bildungvon [AgCl]

−-Komplexen teilweise wieder in Lösung geht (�S. ).

01

2345

67

89

8 7 6 5 4 3 2 1 0 –19

pAg

Cl

PCl

Abb. 1.24 Abhängigkeit der Löslichkeitdes AgCl von der Cl−-Konzentration in derLösung

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78 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

pKL Theoretische Fällungs-pH-Bereiche

Fällungsbeginn Vollständige Abscheidung

cMn+ = 10−2 mol/L cMn+ = 10

−5 mol/L

AgOH 7,7 8,3 11,3

Ca(OH)2 – 12,4 13,9

Mg(OH)2 10,9 9,6 11,1

Fe(OH)2 13,5 8,3 9,8

Ni(OH)2 13,8 8,1 9,6

Cd(OH)2 13,9 8,1 9,6

Mn(OH)2 14,2 7,9 9,4

Pb(OH)2 15,6 7,2 8,7

Co(OH)2 15,7 7,2 8,7

Zn(OH)2 16,8 6,6 8,1

Be(OH)2 18,6 5,7 7,2

Cu(OH)2 19,8 5,1 6,6

Sn(OH)2 25,3 2,4 3,9

Cr(OH)3 30,2 4,6 5,6

Al(OH)3 32,7 3,8 4,8

Fe(OH)3 37,4 2,2 3,2

Sb(OH)3 41,4 0,9 1,9

Tab. 1.21 Löslichkeits-produkte und theoretischepH-Bereiche der Fällungvon Hydroxiden

Fällungen mit pH-ÄnderungAls Beispiele für pH-abhängige Reaktionen sollen die analytisch wichtigen Hydroxid- undSulfidfällungen behandelt werden.

HydroxidfällungenDie Fällung der schwer löslichenHydroxide erfolgt in einem bestimmten pH-Bereich, dervom Löslichkeitsprodukt des Hydroxids und der Ausgangskonzentration des zu fällendenKations abhängig ist. Tab. . gibt die Löslichkeitsprodukte und die theoretischen pH-Bereiche der Fällung einiger schwer löslicher Hydroxide wieder.

Die Konzentration der Ausgangslösung soll 10−2 mol/L an dem jeweiligen Kation sein.Angegeben ist der pH-Wert des Beginns der Fällung. Eine für analytische Zwecke aus-reichende, praktisch vollständige Fällung ist erreicht, wenn die Konzentration des Kationsauf 10−5 mol/L abgesunken ist. Die experimentellenWerteweichen von den theoretischen

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1

1.8.3 Fällung schwer löslicher Elektrolyte 79

manchmal etwas ab, wenn z. B. das Löslichkeitsprodukt nur ungenau bekannt ist oderbasische Salze ausgefällt werden.

Bei amphoteren Hydroxiden erfolgt bei höheren pH-Werten Wiederauflösung unterBildung von Hydroxokomplexen.

Die Berechnung des pH-Bereichs der Fällung ergibt sich aus dem Löslichkeitsprodukt,wie das Beispiel für ein Hydroxid M(OH) zeigt:

Fällungsreaktion:M2+ + 2OH− �→M(OH)2 ↓

Löslichkeitsprodukt:

cM2+ ⋅ c2OH− = KL

c2OH− = KL

cM2+

Aus dem Ionenprodukt des Wassers folgt:

cOH− = KW

cH+

Durch Einsetzen erhält man:

K2w

c2H+= KL

cM2+und cH+ =√ cM2+

KL⋅ KW

Beispiel: Fällung von Mg(OH)2Ausgangskonzentration cMg2+ = 10−2 mol/L; vollständige Fällung wird bei cMg2+ = 10−5 mol/Langenommen; KL = 10−10,9.Beginn der Fällung:

cH+ =√ 10−2

10−10,9⋅ 10−14 mol/L = 10−9,55 mol/L ; pH = 9,55

Vollständige Fällung:

cH+ =√ 10−5

10−10,9⋅ 10−14 mol/L = 10−11,05 mol/L ; pH = 11,05

In der analytischen Chemie wird die Hydroxidfällung zur Trennung von Kationen unterschied-licher Ladung ausgenutzt. Voraussetzungen einer erfolgreichen Trennung von Elementen überihre Hydroxide sind:a) Unterschied der pH-Werte der Fällung von mindestens 2 Einheiten.b) Vermeidung eines auch nur vorübergehend überhöhten pH-Wertes an irgendeiner Stelle der

Lösung. Wird das schwerer lösliche Hydroxid aus wässeriger Lösung durch Eintropfen vonLauge gefällt, so tritt vorübergehend ein so hoher pH-Wert auf, dass schon die Abscheidungdes leichter löslichen Hydroxids beginnt. Die Spuren des leichter löslichen Niederschlags

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80 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

werden durch den schwerer löslichen eingeschlossen und gehen beim Ausgleich des pH-Werts nur schwer wieder in Lösung.

c) Einstellen eines konstanten, für die Fällung günstigen pH-Werts in der Reaktionslösung.

VieleHydroxide gehen imÜberschuss des FällungsmittelsNaOHoderNH durchBildungvon Hydroxo- oder Amminkomplexen wieder in Lösung.

Die Forderungen b) und c) lassen sich durch Benutzung von Puffersystemen und Fäl-lung aus homogener Lösung realisieren.Amwirkungsvollsten sindHydrolysetrennungen,bei denen die unterhalb von pH = 5 ausfallenden Ionen von solchen, die sich erst oberhalbpH = 7 abscheiden, getrennt werden. Hierbei wird die bereits in wässeriger Lösung begin-nende Hydrolyse der Aquakomplexe durch Zugabe einer Base verstärkt, z. B.

[M(OH2)6]3+ ��⇀↽�� [M(OH)(OH2)5]2+ +H+

Als puffernde Reagenzien können dienen: NH/NHCl, Urotropin/NHCl, genau dosier-te Salze schwacher Säuren (NaCHCOO, NaSO, NaNO) oder schwer lösliche Oxide(ZnO). Im Folgenden werden die Systeme NH/NHCl und Urotropin/NHCl näher be-sprochen.

NH3/NH4Cl Man fällt mit NH in Gegenwart von viel NH+ . Somit kann sich der pH-Wert

der Lösung an der Eintropfstelle nicht stark erhöhen, da ein Puffergemisch vorliegt. Hier-durch wird die Mitfällung von M+ verhindert.

Der pH-Wert einer Pufferlösung aus NH und NH+ (KS = 10−9,25) ergibt sich zu

(�Kap. ..):

cH+ = KS ⋅ cNH+4cNH3

= 10−9,25 ⋅ cNH+4cNH3

mol/LpH = pKS + log

cNH3

cNH+4= 9,25 + log

cNH3

cNH+4

Zum Stoffmengenverhältnis zwischen NH und NH+ sowie dem daraus resultierenden

pH-Wert der Pufferlösung, s. Tab. ..

Urotropin/NH4Cl Urotropin ist ein Kondensationsprodukt aus Ammoniak und Formalde-hyd:

4NH3 + 6HCHO ��⇀↽�� (CH2)6N4 + 6H2O

cNH3/mol ⋅ L−1 cNH+

4/mol ⋅ L−1 pH

0,1 – 11,12

0,1 0,1 9,25

0,1 1 8,25

0,1 2 7,95

0,1 4 7,65

Tab. 1.22 Stoffmengenverhältnis NH3 und NH+4

und daraus resultierender pH-Wert

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1

1.8.3 Fällung schwer löslicher Elektrolyte 81

NN

N

N

Abb. 1.25 Struktur desUrotropins

Es besitzt eine adamantananaloge Struktur (Adamantan: (CH)(CH)), bei der sich dievier N-Atome an den Ecken eines Tetraeders befinden, während die sechs CH-Gruppendie Tetraederkanten überbrücken ( Abb. .). Eine entsprechende Struktur bildet auchdas Phosphor(III)oxid PO (�S. ).

BeimErhitzen in wässeriger Lösung hydrolysiert Urotropin langsam unter Umkehrungder Bildungsreaktion. Die dabei entstehendeBaseNH bindet die bei derHydroxidfällungfreiwerdendenH+-Ionen. Dadurch wird das Hydrolysegleichgewicht des Urotropins nachrechts verschoben und zugleich die quantitative Ausfällung des Hydroxids bewirkt:

(CH2)6N4 + 6H2O��⇀↽�� 4NH3 + 6HCHO[M(OH2)6]3+ ��⇀↽�� [M(OH)3(OH2)3] + 3H+NH3 +H+ ��⇀↽�� NH+4

Die Hydroxidfällung mit Urotropin bietet viele Vorteile, und zwar:⊡ In Gegenwart von NH+

stellt sich ein pH von – ein. Durch die Hydrolyse von Uro-tropin entstandenes HCHO hält die Konzentration an NH stets niedrig.

⊡ Die Fällung geschieht aus homogener Lösung. Es entsteht ein grobkörniger, gut filtrier-barer Niederschlag.

⊡ Die reduzierendeWirkung desHCHO und der niedrige pH-Wert verhindern, dass z. B.Mn(II) zu Mn(IV) oxidiert wird.

⊡ Die Reagenzlösung ist weitgehend frei von Silicat und Carbonat (im Gegensatz zu älte-ren NH-Lösungen)

Somit können die Kationen höherer Ladung, wie Ti(IV), Fe(III), Al(III) und Cr(III), vondenen der Oxidationsstufe +II, wie Ni(II), Co(II), Mn(II), Zn(II) und Erdalkaliionen ge-trennt werden. Erstere bilden schwerer lösliche Hydroxide, deren Fällungsbereich im sau-ren Gebiet bei pH < 7 liegt (�S. ).

SulfidfällungenDie pH-Abhängigkeit der Sulfidfällung (Konzentration der Sulfidionen ist wegen ihrer Ba-senwirkung stark vom pH-Wert abhängig) ist für den Kationentrennungsgang von großerBedeutung. In Tab. . sind die pKL-Werte der wichtigsten Metallsulfide aufgeführt.

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82 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

Tab. 1.23 pKL-Werte von Metallsulfiden des Typs MS, M2S und M2S3.

MS a b M2S a b M2S3 a b

MnS 15,2 −7,47 Tl2S 22 As2S3 28,4

FeS 18,4 −2,78 Hg2S 47,0 Sb2S3 58,5

α-ZnS 25,2 1,53 Cu2S 46,7 Bi2S3 71,8

α-CoS 22 Ag2S 48,8 29,2 Fe2S3 85,0

β-CoS 26,7 Co2S3 124,0

α-NiS 21

β-NiS 26

SnS 28 5

CdS 27,1 6,1

PbS 28–29 6,5

CuS 37–44 15,2

HgS 52 32,4

PtS 72,1

a: D’Ans-Lax, Taschenbuch für Chemiker und Physiker, Band III, 4. Auflage (1998). Bezogen auf: MS +H2O→ M2+ + OH− + HS−;b: R.J. Myers, J. Chem. Educ. 63 (1986) 687. Bezogen auf: MS + 2H+ → M2+ + H2S(aq)

Dissoziation von H2S: HS ist in wässeriger Lösung eine schwache zweibasische Säure.

H2S��⇀↽�� H+ +HS− ��⇀↽�� 2H+ + S2−

Bei °C betragen die Säurekonstanten:

cH+ ⋅ cHS−

cH2S= KS1 = 10−6,9 mol/L

cH+ ⋅ cS2−cHS−

= KS2 = 10−12,9 mol/LDaraus folgt die Gesamtdissoziationskonstante:

c2H+ ⋅ cS2−cH2S

= KS1 ⋅ KS2 = 10−19,8 ≈ 10−20 mol2/L2In einer gesättigten wässerigenHS-Lösung ist cH2S ≈ 10−1 mol/L. Für die pH-Abhängig-keit der S−-Ionenkonzentration ergibt sich damit aus der Gleichung für die Gesamtdis-soziationskonstante:

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1

1.8.3 Fällung schwer löslicher Elektrolyte 83

c2H+ ⋅ cS2−10−1 = 10−20

cS2− = 10−21c2H+

mol/L und pS2− = 21 − 2pH

Daraus folgt, dass die Sulfidionenkonzentration abnimmt, wenn die H+-Ionenkonzentra-tion zunimmt. Mit diesem Ergebnis kann man nun die für eine vollständige Sulfidfällungerforderlichen pH-Werte berechnen, wenn man annimmt, dass eine vollständige Fällungbei einer verbleibenden Kationenkonzentration von 10−5 mol/L vorliegt.

pH-Abhängigkeit der Sulfidfällunga) Sulfide des Typs MS:

M2+ + S2− �→MS ↓Aus dem Löslichkeitsprodukt KL = cM2+ ⋅ cS2− ergibt sich für die vollständige Fällung(cM2+ = 10−5 mol/L):

cS2− = KL

cM2+= KL

10−5 mol/L und pS2− = pKL − 5

Wie oben gezeigt wurde, ist pS2− in einer gesättigten HS-Lösung zugleich 21 − 2pH.Hieraus folgt:

pKL − 5 = 21 − 2pH und pH = −pKL + 262

Beispiel: MnSMit pKL = 15 ergibt sich pH = 5,5. Dies bedeutet, dass bei einem pH < 5,5 keine quantitativeFällung des MnS stattfindet.

b) Sulfide des Typs MS:2M+ + S2− �→M2S ↓

Aus dem Löslichkeitsprodukt folgt hier für die Sulfidionenkonzentration:

cS2− = KL

c2M+= KL

10−10 mol/LpKL − 10 = 21 − 2 pH und pH = −pKL + 31

2Aus den Berechnungen folgt, dass aus einer Lösung mit pH = 0 folgende Sulfide fällbarsind:

MS∶ KL ≤ 10−26 mol2/L2M2S∶ KL ≤ 10−31 mol3/L3

Aus neutraler Lösung (pH = 7) sind fällbar:

MS∶ KL ≤ 10−12 mol2/L2M2S∶ KL ≤ 10−17 mol3/L3

Über die Grenzen der vorliegenden Betrachtung�S. .

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84 1.8 Löslichkeitsprodukt und Löslichkeit schwer löslicher Elektrolyte

1.8.4 Löslichkeit in Abhängigkeit von FremdionenDie tatsächlich gelöst bleibendeMenge eines schwer löslichen Niederschlags ist meist vielgrößer, als sich über das Ionenprodukt errechnen lässt. Als Gründe kann man angeben:a) Zusätzliche Kolloidbildung,b) Einfluss der Teilchengröße (�S. ),c) Unvollständige Gleichgewichtseinstellung,d) Verluste durch denWaschprozess,e) Einfluss von Fremdelektrolyten.Fremdionen beeinflussen die Löslichkeit von Salzen durch Bildung von löslichen Kom-plexionen oder Erniedrigung der Aktivitätskoeffizienten.

Bildung von KomplexionenKomplexbildung kann zu einer starken Erhöhung der Löslichkeit führen. So geht z. B.AgCl bei einer Cl−-Konzentration ≥ 10−1 mol/L unter Komplexbildung teilweise wiederin Lösung (�S. ).

Versuch: Löslichkeit von AgCl in HClFrisch gefälltes AgCl wird mit konz. HCl versetzt. Es löst sich unter Bildung des Komplexions[AgCl2]

−. Beim Verdünnen mit Wasser (evtl. nach vorheriger Filtration) fällt erneut AgCl aus.

Analoge Überlegungen gelten auch für andere Fällungsreaktionen. Teilweise führt derReagenzüberschuss bis zur Leichtlöslichkeit. Typische Beispiele sind die Schwermetall-cyanide und die Hydroxidfällung vieler Schwermetalle mit Ammoniak oder amphotererHydroxide mit starken Basen (s. hierzu auch�Kap. .: Komplexchemie).

Erniedrigung der AktivitätskoeffizientenDie Gegenwart von Fremdionen bewirkt eine Erhöhung der Ionenstärke in der Lösungund entsprechend eine Abnahme der Aktivitätskoeffizienten (�S. ). Daher ist die Lös-

mm

ol/L

mmol/L

25

20

15

10

5

025 50 100 200 3000

K₂SO₄

KNO₃

TlNO₃

KClnach dem MWG

berechnet (Tl⁺ bzw. Cl⁻)

Abb. 1.26 Beeinflussungder Löslichkeit von TlCldurch Elektrolyte

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1

1.8.5 Auflösung schwer löslicher Elektrolyte 85

lichkeit schwer löslicher Salze in Gegenwart von Fremdionen stets größer als in reinemWasser. Die Löslichkeitserhöhung ist umso stärker, je größer die Ladung und Konzentra-tion dieser Ionen ist.

Abb. . zeigt die Beeinflussung der Löslichkeit von TlCl bei Gegenwart von Fremd-ionen. Die Werte der ausgezogenen Kurven wurden experimentell ermittelt. Die gestri-chelte Kurve gibt den theoretischen Löslichkeitsverlauf bei Ansatz des Löslichkeitspro-dukts unter Verwendung der Konzentration ( f = 1). Die Löslichkeit von TlCl erhöht sichbei Zusatz von KSO stärker als bei KNO (größere Ionenstärke). Eine Löslichkeitsab-nahme ergibt sich bei Zusatz gleichioniger Salze wie TlNO oder KCl. Auch diese wirkenals „Fremdionen“, was sich aus demUnterschied zwischen den ausgezogenen Kurven undder gestrichelten Kurve bemerkbar macht.

Bei sehr schwer löslichen Elektrolyten (KL ≤ 10−10 mol2/L2) ist der Fremdelektrolyt-einfluss auf die Aktivitätskoeffizienten groß. Selbst bei TlCl (KL = 10−3,82 mol2/L2) machtsich ein Fremdelektrolytgehalt auf die Löslichkeit schon stark bemerkbar.

1.8.5 Auflösung schwer löslicher ElektrolyteDie Auflösung ist der umgekehrte Vorgang der in �Kap. .. beschriebenen Fäl-lungsreaktion. Nach dem Löslichkeitsprodukt verschiebt sich das Gleichgewicht derAuflösegleichung nach rechts, wenn die Konzentration eines der beteiligten Ionenerniedrigt wird. Dies kann beispielsweise durch Ausnutzen der Basenwirkung des Anionsoder durch Komplexbildung des Kations bewirkt werden:

Bodenkörper��⇀↽�� gesättigte Lösung

CaCO3 ��⇀↽�� Ca2+ +CO2−3 ; CO2−

3 + 2H+ �→ H2O +CO2

CaC2O4 ��⇀↽�� Ca2+ +C2O2−4 ; C2O

2−4 + 2H+ �→ H2C2O4

Mg(OH)2 ��⇀↽��Mg2+ + 2OH− ; 2OH− + 2NH+4 �→ 2NH3 + 2H2OAgCl ��⇀↽�� Ag+ + Cl− ; Ag+ + 2NH3 �→ [Ag(NH3)2]+

Beispiel: Auflösung von CaC2O4 in HCl

KL = cCa2+ ⋅ cC2O2−4 = 10−8,07 mol2/L2 bzw. cC2O2−4= KLcCa2+

(B)

Bei Zusatz von H+ wird cC2O2−4kleiner und cCa2+ muss aufgrund des Löslichkeitsprodukts durch

Dissoziation von CaC2O4 größer werden, d.h. CaC2O4 löst sich zunehmend auf.

C2O2−4 + H+ ��⇀↽�� HC2O

−4 und HC2O

−4 + H+ ��⇀↽�� H2C2O4

Für die Löslichkeit CCaC2O4 gilt dann:

CCaC2O4 = cCa2+ = cC2O2−4 + cHC2O4− + cH2C2O4 (C)

Weiterhin gelten die Säuredissoziationskonstanten:

cHC2O−4 ⋅ cH+cH2C2O4

= KS1 = 10−1,42 bzw. cH2C2O4 = cH+ ⋅ cHC2O−4KS1(D)

cC2O2−4⋅ cH+

cHC2O−4= KS2 = 10−4,21 bzw. cHC2O

4= cH+ ⋅ cC2O2−4

KS2(E)

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86 1.9 Oxidation und Reduktion – Elektrochemie

Aus (C) wird mit (B), (D) und (E):

cCa2+ = KLcCa2+

+ cH+ ⋅ cC2O2−4KS2

+ cH+ ⋅ cHC2O−4KS1

cCa2+ = KLcCa2+

+ cH+ ⋅ cC2O2−4KS2

+ c2H+ ⋅ cC2O2−4KS1 ⋅ KS2

cCa2+ = KLcCa2+

+ cH+ ⋅ KLKS2 ⋅ cCa2+ +

c2H+ ⋅ KLKS1 ⋅ KS2 ⋅ cCa2+

c2Ca2+ = KL + cH+ ⋅ KLKS2+ c2H+ ⋅ KLKS1 ⋅ KS2

cCa2+ =� �KL + cH+ ⋅ KL

KS2+ c2H+ ⋅ KLKS1 ⋅ KS2

Für pH = 0 (cH+ ≈ 1mol/L) ergibt sich daraus eine Löslichkeit von:CCaC2O4 = cCa2+ =

√10−8,07 + 100 ⋅ 10−8,07

10−4,21+ (100)2 ⋅ 10−8,0710−1,42 ⋅ 10−4,21 mol/L

CCaC2O4 = √10−8,07 + 10−3,86 + 10−2,44 mol/L = 0,087mol/LBei pH = 0 ist die Löslichkeit von CaC2O4 somit 1000-mal größer als in reinem Wasser.

Über die Auflösung schwer löslicher Elektrolyte mithilfe von Komplexbildnern�S.

1.9 Oxidation und Reduktion – Elektrochemie

1.9.1 Oxidation und ReduktionDie Vorgänge der Oxidation und Reduktion sind stets gekoppelt, da Elektronen in kon-densierter Phase nicht frei auftreten, sondern direkt vomReduktionsmittel an dasOxidati-onsmittel übergeben werden und demgemäß die Anzahl der aufgenommenen Elektronengleich derjenigen der abgegebenen seinmuss. Man spricht in diesemZusammenhang vonRedox-Reaktionen (Reduktions-Oxidations-Reaktionen).

⊡ MERKE Unter Oxidation versteht man die Abgabe von Elektronen bzw. Erhöhung der Oxi-dationsstufe (�S. 87); unter Reduktion die Aufnahme von Elektronen bzw. Erniedrigungder Oxidationsstufe.

Das Reduktionsmittel reduziert einen anderen Stoff und wird dabei unter Abgabe vonElektronen selbst oxidiert. Umgekehrt oxidiert das Oxidationsmittel seinen Reaktions-partner und wird unter Aufnahme der Elektronen selbst reduziert. Im nachfolgenden Bei-spiel der Reaktion von Chlor mit Natrium ist Chlor das Oxidationsmittel; es wird zu Cl−reduziert. Natrium ist das Reduktionsmittel, das zu Na+ oxidiert wird:

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1

1.9.1 Oxidation und Reduktion 87

12 Cl2 + e− �→ Cl−

Na �→ Na+ + e−

12 Cl2 +Na �→ NaCl

Es ergibt sich eineAnalogie der Redox-Reaktionen zu den Säure-Base-Reaktionen. Im ers-ten Fall werden Elektronen ausgetauscht, im zweiten Fall Protonen, die wie die Elektronenin kondensierter Phase nicht frei auftreten können.

OxidationsstufeBei der oben angegebenen Reaktion zwischen Chlor und Natrium kann der Elektronen-austausch leicht nachvollzogen werden, da im NaCl die Ionen Na+ und Cl− vorliegen undsich der Elektronenübergang in der entstandenen Ionenladungwiderspiegelt. In Fällen, beidenen die Produkte der Redox-ReaktionMoleküle oderKomplexionen sind, ist die Anzahlder ausgetauschten Elektronen jedoch nicht mehr unmittelbar ablesbar. Man hat daher dieOxidationsstufe oderOxidationszahl eingeführt. Die Anzahl der ausgetauschten Elektro-nen ergibt sich dabei aus der Differenz der Oxidationszahlen, die zur Unterscheidung vonder Ionenladung in römischen Ziffern angegeben werden.

Als Beispiel wird die Reaktion von MnO− mit SO angeführt. MnO− wird zu Mn+

reduziert, während SO zu SO− oxidiert wird. Dabei erniedrigt sich die Oxidationsstufe

des Mangans von +VII auf +II; die vom Schwefel erhöht sich von +IV auf +VI.

2+VIIMnO−4 + 16H+ + 10 e− �→ 4

+IIMn2+ + 8H2O

5+IVSO2 + 10H2O�→ 5

+VISO2−

4 + 20H+ + 10 e−

2MnO−4 + 5 SO2 + 2H2O�→ 2Mn2+ + 5 SO2−4 + 4H+

ZurFestlegungderOxidationsstufe zerlegtmandie Stoffe formal in Ionen,wobei die Elek-tronegativitäten der beteiligten Elemente berücksichtigt werden müssen: z. B. MnO− =[Mn+(O−)]− und SO = [S+(O−)]. Die Oxidationsstufe entspricht dann der den ein-zelnen Atomen zugeordneten formalen Ionenladung. In Zweifelsfällen kann man eineValenzstrichformel (�S. ) aufstellen und die Elektronen der kovalenten Bindungen je-weils dem elektronegativerenBindungspartner zuordnen. Dann vergleichtmandie so demjeweiligen Element zugeordnete Elektronenanzahl mit der Anzahl Valenzelektronen, diedas betrachtete Atom im Elementarzustand hat und erhält auf diese Weise die überzäh-ligen Ladungen, die der Oxidationsstufe entsprechen. Bei Bindungen zwischen gleichenAtomen werden die Bindungselektronen zu gleichen Teilen aufgeteilt.

Redox-GleichungenBei komplizierten Redox-Reaktionen empfiehlt es sich, die Oxidations-Teilreaktion ge-trennt von der Reduktions-Teilreaktion zu formulieren. Es soll dies am Beispiel der Re-aktion von AsO mit BrO− demonstriert werden. Zunächst schreibtman Edukt und Pro-dukt, bestimmt die relevantenOxidationsstufen und formuliert den Elektronenübergang:

+IIIAs2O3 �→ 2H2

+VAsO−4 + 4 e−

+VBrO−3 + 6 e− �→ −I

Br−

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88 1.9 Oxidation und Reduktion – Elektrochemie

Bei einer Ionengleichung muss die Summe der unkompensierten Ladungen auf beidenSeiten der Reaktionsgleichung identisch sein. Als nächster Schritt ist daher ein Ladungs-ausgleich zweckmäßig, den man bei Reaktionen in wässeriger Lösung je nach pH-Wertmit H+ oderOH− ausführt. (In Fällen, bei denen z. B. für die Bildung von Komplexen oderschwer löslichen Salzenweitere geladene Reaktionspartner wie CN− oderHalogenidionenerforderlich sind, müssen diese natürlich vor dem Ladungsausgleich berücksichtigt wer-den.)

+IIIAs2O3 �→ 2H2

+VAsO−4 + 4 e− + 6H+

+VBrO−3 + 6 e− + 6H+ �→ −I

Br−

Anschließend erfolgt der Stoffausgleich, dabei ergibt sich häufig HO.

+IIIAs2O3 + 5H2O�→ 2H2

+VAsO−4 + 4 e− + 6H+ ∣ ⋅ 3

+VBrO−3 + 6 e− + 6H+ �→ −I

Br− + 3H2O ∣ ⋅ 2Da sich die Elektronen in der Summengleichung herauskürzen sollen, mussman noch daskleinste gemeinsameVielfache suchen (3 ⋅ 4 e− = 12 e− und 2 ⋅ 6 e− = 12 e−). Die Summen-gleichung lautet dann:

3+IIIAs2O3 + 2

+VBrO−3 + 9H2O�→ 6H2

+VAsO−4 + 2

−IBr− + 6H+

Bei der Oxidation oder Reduktion organischer Verbindungen, bei denen der Kohlenstoffseine Oxidationsstufe ändert, wird in gleicher Weise vorgegangen. Beispiele sind die Oxi-dation von Oxalat oder Ethylalkohol, die mit MnO− erfolgen kann.

Die Oxidationsstufe des Kohlenstoffs im Oxalation CO− beträgt +III, da der Sauer-

stoff als elektronegativerer Bindungspartner dieOxidationsstufe−II aufweist und die Sum-me derOxidationsstufen die Ionenladung ergebenmuss. Bei der Oxidation desOxalationszu CO werden dementsprechend Elektronen abgegeben:

+IIIC2O

2−4 �→ 2

+IVCO2 + 2 e−

Bei der Berechnung der Oxidationsstufen in wasserstoffhaltigen organischen Verbindun-gen wie Ethanol, CHCHOHmuss das Elektronenpaar einerC−H-Bindung demC-Atomzugerechnet werden, da Kohlenstoff elektronegativer als Wasserstoff ist (vgl. Tab. .,S. ). Die formale Zerlegung in Atomionen liefert daher bei Ethanol für das C-Atomder CH-Gruppe die Oxidationsstufe −III, dagegen −I für das C-Atom, das an die OH-Gruppe gebunden ist. Nur dieses C-Atom wechselt bei der Oxidation des Ethanols zuAcetaldehyd unterAbgabe von zwei Elektronen seineOxidationsstufe von−I auf +I gemäßder Teilgleichung:

−IIICH3−−ICH2−OH�→−IIICH3−+ICHO + 2H+ + 2 e−

Gehen bei einer Redox-Reaktion die Atome desselben Elements von einer mittleren Oxi-dationsstufe in eine höhere und eine tiefere über, so nennt man diesen Vorgang Dispro-

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1

1.9.2 Redoxpotenziale und Spannungsreihe 89

portionierung, z. B.:

±0Cl2 + 2OH− �→ −I

Cl− +O+ICl− +H2O

2H2−IO2 �→ 2H2

−IIO + ±0O2

Der umgekehrte Vorgang wird als Komproportionierung oder Synproportionierung be-zeichnet:

2H2−IIS ++IVSO2 �→ 3

±0S + 2H2O

3+IIMn2+ + 2

+VIIMnO−4 + 2H2O �→ 5

+IVMnO2 + 4H+

1.9.2 Redoxpotenziale und SpannungsreiheDas Bestreben eines Elements, in eine andere Oxidationsstufe überzugehen, kann quanti-tativ festgelegt werden.

Versuch: Reduktion von Cu2+ durch unedle Metalle (auch�S. 404)Gibt man in eine Cu2+-Lösung elementares Zink, so schlägt sich elementares Kupfer nieder undZn2+-Ionen gehen in Lösung. Kupfer wurde von Zink reduziert. Es hat demnach die größereElektronenaffinität, es ist „edler“ als Zink. Hingegen erfolgt keine merkliche Reaktion, wennelementares Silber oder Gold in die Cu2+-Lösung eingetaucht wird, da Silber und Gold edlersind als Kupfer.

Die ablaufende Redox-Reaktion lässt sich beimVorliegen der Elemente X und Y allgemei-ner formulieren:

Summengleichung∶ X + Y2+ ��⇀↽�� X2+ + Y (X ist unedler als Y) .Oxidationsteilreaktion∶ X(fest) ��⇀↽�� X2+ + 2 e−Reduktionsteilreaktion∶ Y2+ + 2 e− ��⇀↽�� Y(fest)

Den Elektronenaustausch kann man mit der in Abb. . dargestellten Versuchsanord-nung direkt nachweisen und messend verfolgen. Eine derartige Versuchsanordnung wird

X

XSO₄ YSO₄

Y

Abb. 1.27 Schematische Darstellung einesgalvanischen Elements