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ebook HPL 040 140110 FINAL A3 - Dirk Farsch · Menschliches Leistungsvermögen 040 Human Performance and Limitations Ein Lehrbuch für Piloten nach europäischen Richtlinien

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MenschlichesLeistungsvermögen

040 Human Performance and Limitations

Ein Lehrbuch für Pilotennach europäischen Richtlinien

1. Auflage Januar 2010

Final Version 2.140110K1

Copyright © 2009, 2010 bei K.L.S. Publishing, Köln Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigungen jeglicher Art z. B. in Form konventioneller Kopiertechnik oder auch mit Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung auch in Auszügen nur mit schriftli-cher Genehmigung des Verlags

Herstellung: Verschiedene Druckereien im Auftrag des Verlags Dieses Buch wurde im Digitaldruckverfahren hergestellt. Verlag: K.L.S. Publishing, Köln Umschlaggestaltung, Satz und Layout: K.L.S. Publishing, Köln Text: Neue deutsche Rechtschreibung Mit 119 Abbildungen (Grafiken und Fotos) und 14 Tabellen

ISBN-13: 978-3-942095-00-6 (Schwarz-Weiß-Druck) ISBN-13: 978-3-942095-01-3 (Farbdruck) ISBN-13: 978-3-942095-52-5 (e-Book)

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbiblio-graphie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort des Autors ................................................................................................... 15

Vorwort des Verlags .................................................................................................. 17

Menschliches Leistungsvermögen............................................................................. 19

01 00 00 Menschliche Faktoren: die Grundlagen .................................................. 2101 01 00 Der Weg zum kompetenten Piloten ....................................................... 2101 02 00 Unfallstatistik........................................................................................ 2401 03 00 Sicherheitskonzepte in der Luftfahrt ..................................................... 30

Threat and Error Management (TEM)................................................................................30SHELL-Modell ..................................................................................................................38

01 04 00 Safety Culture ....................................................................................... 41

02 00 00 Grundlagen der Flugphysiologie ............................................................. 4902 01 01 Die Atmosphäre .................................................................................... 49

Luftdruck, O2-Partialdruck...............................................................................................52Grundlegende Gasgesetze aus der Physik ........................................................................54

Gesetz von Boyle-Mariotte .......................................................................................54Gesetz von Dalton....................................................................................................55Gesetz von Henry.....................................................................................................56Gesetz von Charles ..................................................................................................56Das allgemeine Gasgesetz........................................................................................56

02 01 02 Atmung und Kreislauf ........................................................................... 57Atmung ...........................................................................................................................57

Äußere Atmung........................................................................................................58Gasaustausch...........................................................................................................59Innere Atmung.........................................................................................................61Atemvolumen, Atemmechanik und Atemfrequenz ....................................................61Atemregulation ........................................................................................................64

Hyperventilation ..............................................................................................................64Hypoxie...........................................................................................................................66

Symptome der Hypoxie ............................................................................................67Objektive Symptome............................................................................................67Subjektive Symptome...........................................................................................67

Hypoxische Hypoxie.................................................................................................68Anämische Hypoxie..................................................................................................71

Kohlenmonoxid (CO)............................................................................................71

Rauchen...............................................................................................................72Histotoxische Hypoxie .............................................................................................73Messung der Sauerstoffsättigung .............................................................................73Time of Useful Consciousness (TUC) ........................................................................74Sauerstoffbedarf in Abhängigkeit von der Flughöhe .................................................76

Kreislaufsystem...............................................................................................................77Herz.........................................................................................................................77Blutdruck .................................................................................................................78Herz- und Kreislauferkrankungen ............................................................................79

Risikofaktoren .....................................................................................................79Bluthochdruck (Hypertonie, Hypertension) ...........................................................79Niedriger Blutdruck (Hypotonie, Hypotension)......................................................80

Kreislauf ..................................................................................................................81Arterien, Kapillaren und Venen.................................................................................82Blut ..........................................................................................................................83

Auswirkung von Beschleunigung auf das Kreislaufsystem ................................................84Formen der Beschleunigung .....................................................................................85

Lineare Beschleunigung .......................................................................................85Zentrifugale (oder radiale) Beschleunigung...........................................................85Winkelbeschleunigung (anguläre Beschleunigung)................................................85Beschleunigungsachsen .......................................................................................87

Auswirkungen von Beschleunigung ..........................................................................88Tunnel Vision.......................................................................................................89Greyout ...............................................................................................................89Blackout...............................................................................................................89G-LOC (Gravity Induced Loss of Consciousness)...................................................89Negative Beschleunigungen .................................................................................90

Gegenmaßnahmen ...................................................................................................91Dekompressionskrankheit ...............................................................................................92

Symptome der Dekompressionskrankheit.................................................................95Creeps .................................................................................................................95Bends ..................................................................................................................95Chokes ................................................................................................................95Staggers ..............................................................................................................95

Gegenmaßnahmen ...................................................................................................96Tauchen...................................................................................................................96

02 01 03 Bedingungen in großer Höhe ................................................................ 99Ozon........................................................................................................................99Strahlung .................................................................................................................99Sonnenstrahlung....................................................................................................100

Luftfeuchtigkeit......................................................................................................101Extreme Temperaturen...........................................................................................101

02 02 00 Sensorisches System des Menschen .................................................... 10202 02 01 Zentrales, peripheres und autonomes Nervensystem ......................................10302 02 02 Sehen .............................................................................................................107

Funktionelle Anatomie des Auges...........................................................................108Projektion und Akkommodation .............................................................................109Binokulares Sehen / Monokulares Sehen ................................................................110Der blinde Fleck .....................................................................................................111Farbsehschwäche, Farbenblindheit .........................................................................112Dunkelanpassung, Nachtsehen...............................................................................113Blendung (Flash-Blindness) ....................................................................................114Sehschwächen und Erkrankungen ..........................................................................114

Weitsichtigkeit (Hyperopie) ................................................................................115Kurzsichtigkeit (Myopie).....................................................................................115Altersweitsichtigkeit (Presbyopie).......................................................................115Katarakt.............................................................................................................116Glaukom............................................................................................................116Astigmatismus...................................................................................................116

Blauverschiebung / Ultraviolette Strahlung .............................................................116Sonnenbrille...........................................................................................................117Brillen / Kontaktlinsen............................................................................................118

02 02 03 Hören.............................................................................................................119Funktioneller Aufbau des Ohres .............................................................................120Gehörschädigungen (Hearing loss) .........................................................................122

Altersschwerhörigkeit (Presbycusis) ...................................................................122Schallleitungsschwerhörigkeit (Conductive deafness) .........................................122Schallempfindungsschwerhörigkeit (Noise Induced Hearing Loss, NIHL) .............122

Gehörschutz ..........................................................................................................12302 02 04 Gleichgewichtssinn.........................................................................................123

Bewegungskrankheit (Kinetose, Motion sickness) ...................................................125Coriolis Stimulation............................................................................................125

02 02 05 Zusammenspiel der sensorischen Wahrnehmung............................................127Visuelle Illusionen ..................................................................................................127Illusionen bei relativer Bewegung ...........................................................................129Fehleinschätzungen bei der Landung .....................................................................129Empty Field Myopia ................................................................................................133Flicker-Vertigo.......................................................................................................138Lufttrübung ...........................................................................................................138Parallaxefehler .......................................................................................................138

Propriorezeptoren..................................................................................................139Täuschungen des Maculaorgans (Lineare Beschleunigungen)..................................141Scheinbares Steigen (Somatogravic illusion) ...........................................................141Scheinbares Sinken (Somatogravic illusion).............................................................143Täuschungen der Bogengänge (Somatogyral illusion) .............................................145Leans .....................................................................................................................146Friedhofstrudeln (Graveyard spin) ..........................................................................147Coriolis Illusion ......................................................................................................148

02 03 00 Gesundheit und Hygiene ..................................................................... 14902 03 01 Persönliche Hygiene .......................................................................................14902 03 02 Körperrhythmus und Schlaf ............................................................................150

Schlaf.....................................................................................................................151Credit-Debit System ..........................................................................................152Naps..................................................................................................................152

Jetlag .....................................................................................................................15402 03 03 Problemfelder für Piloten................................................................................156

Allgemeine Unpäßlichkeiten (Common minor ailments) ..........................................156Druckausgleichsprobleme..................................................................................156Konsultation des Fliegerarztes ...........................................................................157

Gaseinschlüsse und Barotrauma (Entrapped gases and barotrauma) .......................157Ohren ................................................................................................................158Nasennebenhöhlen ............................................................................................159Magen-Darm-Trakt ...........................................................................................159Zähne ................................................................................................................160Augen................................................................................................................160

Magen-Darm-Beschwerden (Gastro-intestinal-upsets)...........................................160Adipositas (Obesity) ...............................................................................................161

Diabetes ............................................................................................................162Rückenschmerzen..................................................................................................163Gesunde Ernährung (Food hygiene) ........................................................................164Tropisches Klima (Tropical climates) ......................................................................165Infektionskrankheiten (Infectious diseases) ............................................................166

Malaria ..............................................................................................................167Tuberkulose.......................................................................................................167Gelbfieber..........................................................................................................168Hepatitis ............................................................................................................168HIV, Aids............................................................................................................170

02 03 04 Suchtmittel und Vergiftung.............................................................................172Rauchen und Tabak (Tobacco)................................................................................172Koffein (Caffeine) ...................................................................................................173

Alkohol (Alcohol)....................................................................................................174Alkoholismus.....................................................................................................175

Medikamente und Selbstbehandlung (Drugs and self-medication)..........................175Sonstige Giftstoffe (Toxic materials).......................................................................177

02 03 05 Ernste Gesundheitsprobleme im Flug (Incapacitation) .....................................178

03 00 00 Psychologie der Luftfahrt..................................................................... 18103 01 00 Informationsverarbeitung des Menschen............................................. 181

03 01 01 Aufmerksamkeit und Wachsamkeit (Attention and vigilance)...........................183Aufmerksamkeit (Attention) ...................................................................................183Wachsamkeit (Vigilance).........................................................................................184Cocktailparty-Effekt ...............................................................................................186

03 01 02 Wahrnehmung (Perception).............................................................................18703 01 03 Gedächtnis (Memory)......................................................................................189

Kurzzeitgedächtnis ................................................................................................190Langzeitgedächtnis ................................................................................................192

03 01 04 Antwortverhalten (Response selection) ...........................................................192Lernprinzipien und Lerntechniken ..........................................................................192

Klassische und operante Konditionierung (behaviouristic approach)...................193Lernen durch Einsicht (cognitive approach) ........................................................194Lernen durch Imitation (modeling) .....................................................................194Mnemonics ........................................................................................................196Mentales Training (Mental training) ....................................................................197

Motor-Programme (Skills) ......................................................................................198Modell von Anderson .........................................................................................199SRK-Modell von Jans RASMUSSEN.......................................................................201

Motivation..............................................................................................................206Bedürfnispyramide nach Maslow ........................................................................207

03 02 00 Menschliches Irren und Zuverlässigkeit ............................................... 20903 02 01 Zuverlässigkeit und menschliches Verhalten ...................................................20903 02 02 Mentale Modelle und Situationsbewußtsein.....................................................210

Situationsbewusstsein (Situational Awareness) .......................................................21103 02 03 Theorie und Modell des menschlichen Fehlers ................................................214

Fehlerkette (Error chain) .........................................................................................21503 02 04 Erzeugen von Fehlern .....................................................................................216

Ergonomische Faktoren (ergonomics).....................................................................217Ökonomische Faktoren (economics) .......................................................................221Soziale Faktoren (social environment) ....................................................................222Fehlertolerante Systeme .........................................................................................223

03 03 00 Entscheidungsfindung (Decision making)............................................ 224

03 03 01 Konzepte zur Entscheidungsfindung (Decision making concepts) ...................225FORDEC .................................................................................................................229Beeinflussungsfaktoren bei Entscheidungen ...........................................................229

Zeitdruck (time pressure) ...................................................................................230Commitment......................................................................................................230Group-thinking..................................................................................................231

03 04 00 Fehlermanagement im Cockpit............................................................ 23103 04 01 Safety awareness ............................................................................................23203 04 02 Ko-ordination (Multi-Crew-Concept)..............................................................233

Standard Operating Procedure (SOP).......................................................................235Briefings ................................................................................................................235Checklisten ............................................................................................................236

03 04 03 „Co-operation“ ...............................................................................................237Status, Rolle, Normen innerhalb einer Gruppe ........................................................240Trans-Cockpit-Autoritäts-Gradient (trans-cockpit-authority-gradient)..................243

Autokratisches Cockpit (autocratic cockpit)........................................................243Laisser-faire-Cockpit.........................................................................................244Synergetisches Cockpit (synergistic cockpit).......................................................244

03 04 04 Kommunikation..............................................................................................245Kommunikationsmodell .........................................................................................246Ein-Weg-Kommunikation (one-way communication)..............................................247Zwei-Weg-Komunikation (two-way communication) ..............................................248Verbale Nonverbale Kommunikation..................................................................249

Die 55-38-7-Regel nach Albert Mehrabian ........................................................250Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun .....................................251Professionelle Sprache (professional language).......................................................253Eskalation in menschlichen Konflikten (Escalation process in human conflict).........257

Maßnahmen zur Konfliktlösung .........................................................................25803 05 00 Menschliches Verhalten....................................................................... 260

03 05 01 Persönlichkeit, Einstellung und Verhalten .......................................................26003 05 02 Individuelle Unterschiede bei Persönlichkeit und Motivation............................262

Der ideale Pilot.......................................................................................................263Selbstkonzept/Selbstbild (Self-concept) .................................................................263Selbstdisziplin (Self-discipline)...............................................................................264

03 05 03 Identifikation gefährlicher Einstellungen.........................................................265Antiautoritär (anti-authority)..................................................................................265Impulsivität (impulsiveness) ...................................................................................265Unverwundbarkeit (invulnerability) .........................................................................266Machokomplex (machismo-complex).....................................................................266

Selbstaufgabe (resignation) ....................................................................................26703 06 00 Über- und Unterforderung, Überlastung ............................................. 268

03 06 01 Erregung (arousal) ..........................................................................................26803 06 02 Stress .............................................................................................................270

Homeostase (homeostasis).....................................................................................270Stress.....................................................................................................................271Stressmodell nach Lazarus .....................................................................................272Allgemeines Anpassungssyndrom (General Adaption Syndrome, GAS) ....................273Stressoren..............................................................................................................275Kumulativer Stress .................................................................................................278Chronischer Stress .................................................................................................278Break-point............................................................................................................280

03 06 03 Intentionally left blank....................................................................................28203 06 04 Intentionally left blank....................................................................................28203 06 05 Ermüdung und Stress Management.................................................................283

03 07 00 Moderne Cockpit Automation ............................................................. 28503 07 01 Vor- und Nachteile der Automatisierung ........................................................286

Vorteile (Advantages) der Automatisierung.............................................................289Nachteile (Disadvantages) der Automatisierung......................................................290Ironie der Automatisierung (irony of automation) ...................................................292Methoden um den Nachteilen der Automatisierung zu begegnen ...........................294

03 07 02 Automation Complacency...............................................................................29503 07 03 Arbeitskonzepte (Working concepts)...............................................................297

Schlusswort ....................................................................................................... 299

Human Performance (Syllabus) ............................................................................... 303

Anhang ................................................................................................................... 339Aeromedical Center (AMC) in Deutschland ......................................................... 341Vorschriftenauszug zur Konsultation des Fliegerarztes (JAR FCL 3.040) ............. 343Vorgaben HPL Lehrtätigkeit................................................................................ 345Information zum Strahlenschutz ........................................................................ 350Informative Internet-Links ................................................................................. 356Literaturverzeichnis/ Literaturempfehlung ......................................................... 357Autor dieses Buches........................................................................................... 363Bildnachweis ...................................................................................................... 364

Übersicht zur Lehrbuchreihe nach JAR-FCL........................................................... 365

Menschliches Leistungsvermögen (040)

Seite 66

Ein oder mehrere der folgenden Symptome können eine Hyperventilation indizieren:

Kribbeln in Händen und/oder Füßen

Hitze/Kälte-Empfinden

Schwindel

Sehstörungen

Benommenheit

Muskelzittern

Muskelkrämpfe

Bewusstlosigkeit

Eines der wichtigsten Unterscheidungskriterien zwischen Hypoxie und Hyperventila-tion ist das Nichtvorhandensein einer Cyanose bei der Hyperventilation!

Unter Cyanose versteht man die Blaufärbung von Lippen und Fingernägeln. Zwar kommt es bei der Hyperventilation letztendlich ebenfalls zu einer Sauerstoffmangel-versorgung der Zellen und Gewebe, der unverändert hohe Sauerstoffgehalt des Blutes verhindert jedoch im Gegensatz zur Hypoxie die Entstehung der Cyanose.

Wenn Sie ein oder mehrere Symptom(e) bei sich bemerken, gilt es, sofort Gegenmaß-nahmen zu ergreifen. Kontrollieren Sie bewusst Ihre Atmung. Atmen Sie langsam und ruhig tief ein und aus. Da meist aus der Panik heraus hyperventiliert wird, ist es wich-tig, sich zu beruhigen. Weniger im Cockpit, aber gut geeignet für Passagiere ist das Atmen in eine Tüte. Durch dieses Verfahren wird die mit Kohlendioxid angereicherte Ausatemluft erneut eingeatmet und so der zu geringe Kohlendioxidgehalt im Körper wieder auf ein physiologisch akzeptables Niveau erhöht.

Hypoxie

Unter Hypoxie versteht man eine Sauerstoffunter- beziehungsweise Sauerstoffman-gelversorgung von Zellen und Geweben. Wie bereits oben beschrieben, ist Sauerstoff für alle Zellen und Gewebe lebensnotwendig, um aus Sauerstoff und Nährstoffen letzt-endlich Energie zu gewinnen. Nur mit dieser Energie können die Zellen ihre physiolo-gische Funktion erfüllen. Unterschiedliche Zellen und Gewebe und daraus folgend

Flugphysiologie

Seite 67

auch Organe reagieren verschieden stark und schnell auf Sauerstoffmangel. Das Ge-hirn und die Netzhaut des Auges sind besonders empfindlich gegenüber Hypoxie.

Symptome der Hypoxie

Man unterscheidet bei den Symptomen der Hypoxie zwischen objektiv messbaren Symptomen und subjektiven Symptomen.

Objektive Symptome

Erhöhung des Atemzeitvolumens

Erhöhung des Herzzeitvolumens

Blaufärbung von Nägel und Lippen (Cyanose)

Signifikante Unterscheidung zur Hyperventilation !

Verminderte Urteilsfähigkeit/Kritikfähigkeit/Auffassungsvermögen

o Dies ist anhand entsprechender Tests unter Laborbedingungen (Unter-druckkammer) leicht nachweisbar. An sich selbst ist das Symptom kaum bis überhaupt nicht feststellbar. Dies stellt eine besonders große Gefahr dar.

Motorische Koordinationsstörungen

Muskelkrämpfe

Bewusstlosigkeit

Tod

Subjektive Symptome

Müdigkeit, Abgeschlagenheit

Benommenheit

Schwindel

Wärme- und/oder Kältegefühl

Kribbeln

Angst/Beklemmung

Druckgefühl in Kopf und/oder Brust

Sehstörungen (besonders Nachtsehfähigkeit)

Menschliches Leistungsvermögen (040)

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Wichtig:Die unendlich große Gefahr der Hypoxie liegt in der Nichtwahrnehmung! Es entsteht kein Erstickungsgefühl! Die verminderte Urteilsfähigkeit beziehungsweise die vermin-derte Kritikfähigkeit kann zu einem nahezu euphorischen Zustand führen, der jegliche Wahrnehmung der Gefahr verhindert. Dies wiederum kann dazu führen, noch größere Gefahren und Risiken einzugehen.

Die unterschiedlichen Gründe, die eine Hypoxie auslösen können, sollen im Folgenden vorgestellt werden:

Hypoxische Hypoxie

Die in der Luftfahrt am meisten vorkommende Form der Hypoxie ist die hypoxische Hypoxie. Dabei handelt es sich um einen Sauerstoffmangel in der Atemluft. Wobei hier der nicht ausreichende Sauerstoffpartialdruck mit zunehmender Flughöhe die Haupt-ursache darstellt. Um einen adäquaten Gasaustausch in der Lunge sicherzustellen, ist ein Mindestsauerstoffpartialdruck notwendig (vgl. Gasgesetz von Dalton auf Seite 55 und Gasaustausch auf Seite 59). Ab einer Höhe von 5.000 ft muss aufgrund der Hyp-oxieanfälligkeit der Netzhaut mit einer Verringerung der Nachtsehfähigkeit gerechnet werden. Bis ca. 7.000 ft sind keine weiteren Einschränkungen zu erwarten. Man spricht hier von der Indifferenten Zone. Einem verringerten O2-Partialdruck entgegnet der Körper mit Kompensationsmaßnahmen. Ab einer Höhe von ca. 6.000 ft wird durch Erhöhung des Atemzeitvolumens und des Herzzeitvolumens versucht, den Sauer-stoffmangel auszugleichen. Da hier der Körper beginnt, auf den Sauerstoffmangel zu reagieren, wird diese Höhe als Reaktionsschwelle bezeichnet. Bis zu 10.000 ft – 12.000 ft, der Zone der vollständigen Kompensation, können durch die oben genann-ten körpereigenen Kompensationsmechanismen die Folgen der Hypoxie vollständig ausgeglichen werden. Ab dieser sogenannten Störschwelle können die Symptome der Hypoxie nur noch unvollständig durch den Körper kompensiert werden. Die Leistung des Menschen nimmt ab dieser Höhe signifikant ab. In 22.000 ft kann die Hypoxie nicht mehr kompensiert werden. Die kritische Schwelle ist erreicht und somit der Übergang zur Tödlichen Zone. Beim Ausbleiben von Gegenmaßnahmen (Höhenaufga-be, zusätzlicher Sauerstoff) tritt nach Handlungsunfähigkeit und Bewusstlosigkeit der Tod ein. Die oben genannten Richtwerte gelten für gesunde, durchtrainierte Nichtrau-cher. Jede Abweichung von dieser „Norm“ führt zu einer Verschlechterung (Symptom-beginn in geringerer Flughöhe oder schwerwiegendere Symptomatik).

Flugphysiologie

Seite 69

Entscheidend für das Auftreten von entsprechenden Symptomen ist die Sauerstoffsät-tigung des Blutes. Bevor wir uns den Symptomen zuwenden, wollen wir uns weitere Faktoren anschauen, die das Vorkommen von Hypoxie beeinflussen. Die Anfälligkeit für Hypoxie beziehungsweise die Toleranz gegenüber Sauerstoffman-gel ist von Person zu Person unterschiedlich. Rauchen senkt die Hypoxietoleranz si-gnifikant. Dies wird im speziellen unter dem Punkt anämische Hypoxie behandelt (Sei-te 71). Alkohol und Medikamente können zusätzlich zur hypoxischen Hypoxie eine histotoxische Hypoxie (Seite 73) auslösen und somit die Toleranz gegenüber Sauer-stoffmangel weiter herabsetzen. Weiterhin spielen körperliche Fitness, Erkrankungen und auch der emotionale Zustand (Angst, Stress usw.) eine entscheidende Rolle.

Beispiel hypoxische Hypoxie:Am 14. August 2005 startet eine Boeing 737 der Helios Airways von Larnaca auf Zypern in Richtung Prag mit geplantem Zwischenstopp in Athen. Der Autopilot ist auf die geplante

Abbildung 17: Höhenschwellen, Höhenzonen und Sauerstoffsättigung

Menschliches Leistungsvermögen (040)

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Flugstrecke sowie die Reiseflughöhe von 34.000 ft (FL340) eingestellt. Aufgrund von War-tungsarbeiten an der Kabinendruckanlage in der Nacht zuvor ist die Kabinendrucksteue-rung noch auf manuell geschaltet. Das Kabinendruckregelventil ist dabei circa ein Drittel geöffnet. Eine reguläre Druckbeaufschlagung der Kabine und damit auch des Cockpits ist mit diesem Setting nicht möglich.Beim Erreichen der Kabinendruckhöhe von 10.000 ft erscheint im Flug ordnungsgemäß der CABIN PRESSURE ALTITUDE ALARM im Cockpit. Der Alarm wird von der Cockpitcrew offenbar als Fehl-alarm interpretiert und abgeschaltet. Wenig später erscheint eine Warnung wegen nicht funktionieren-der Kühlung der Klimaanlage, was den Kapitän veranlasst, seine Wartungsbasis auf Zypern zu kon-taktieren. Er erkundigt sich dabei nach der Siche-rung für die Klimaanlage, die er ziehen will. Beim Durchsteigen der Kabinendruckhöhe von 14.000 ft fallen zeitlich parallel zur Kommunikation mit der Wartungsbasis in der Kabine die Sauerstoffmasken von der Decke und die MASTER CAUTION leuch-tet auf.Ab einer Flughöhe von 28.900 ft, zirka 13 Minuten nach dem Start, bricht die Kommunikation mit der Boeing 737 ab. Der Autopilot fliegt das Flugzeug gemäß seiner Programmierung auf FL340 und geht nach 1:31 h Flugzeit beim KEA-VOR südlich von Athen ins Holding. Nach 2:17 h Flugzeit und sechs Warteschleifen erreichen zwei griechische F16 Kampfflug-zeuge den Ort des Geschehens. Der Kapitän der Boeing ist nicht zu sehen, der Copilot ist in seinem Sitz bewusstlos zusammengesunken. Der Kapitän verlor wahrscheinlich zeitgleich mit dem Copiloten infolge einer schleichenden Hypoxie das Bewusstsein. Man vermutet, dass der Kapitän zu diesem Zeitpunkt versuchte, die Sicherungen auf der Rückseite des Cockpits zu ziehen und daher seinen Sitz verlassen hat. Nach weiteren 39 min, beziehungs-weise 2:56 h Flugzeit zerschellt das Flugzeug in der Nähe der griechischen Ortschaft Gram-matikos, nachdem beide Triebwerke infolge Treibstoffmangels nacheinander ausgefallen sind. Alle 121 Personen an Bord kommen ums Leben.

Abbildung 18: Oben die falsche Schalter-stellung am Cabin Pressurization System, unten Teile des Unglücksflugzeugs am Unfallort (Quelle: Unfallbericht 2006)

Flugphysiologie

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Anämische Hypoxie

Anämische Hypoxie, auch hypämische Hypoxie genannt, ist jener Sauerstoffmangel, der in Folge einer nicht ausreichenden Menge des atmungsrelevanten roten Blutfarb-stoff Hämoglobin entsteht. Als Sonderform der anämischen Hypoxie kann die Auswir-kung von positiven Beschleunigungskräften entlang der Z-Achse betrachtet werden. Es ist zwar genügend Blut und Sauerstoff vorhanden, aber aufgrund des Versackens des Blutes in die unteren Extremitäten steht dieses in der Kopfregion (Gehirn und Au-gen) nicht zur Verfügung. Durch Blutspenden fehlt für eine gewisse Zeit eine be-stimmte Menge an Blut im Körper. Bis zur vollständigen Regeneration des Blutes durch das Knochenmark ist der Köper einer höheren Anfälligkeit für Hypoxie ausgesetzt. Daher ist Blutspenden, oder aber auch erhöhter Blutverlust infolge der Menstruation mit einem Arzt im Hinblick auf die fliegerische Tätigkeit zu besprechen. Der mit Ab-stand häufigste und wichtigste Grund einer anämischen Hypoxie ist die Kohlenmono-xidvergiftung.

Kohlenmonoxid (CO)

Kohlenmonoxid entsteht als Nebenprodukt einer unvollständigen Verbrennung. Kol-benmotoren und Zigaretten sind permanente Produzenten dieses giftigen Gases, aber auch die Rauchentwicklung bei Bränden (zum Beispiel Kabelbrände im Cockpit). Im Falle eines Flugunfalles sterben die meisten Menschen in der Regel nicht durch den Absturz selbst, sondern durch Rauchgase infolge von Brandentwicklung. Die Geruchs- und Geschmacklosigkeit des farblosen Kohlenmonoxids stellt eine besondere Gefahr dar. Kohlenmonoxid hat eine circa 220-fach stärkere Bindungsaffinität zum Hämoglo-bin als der Sauerstoff. Diese irreversible Bindung verdrängt den Sauerstoff und führt folglich zu Hypoxie. Mit Kohlenmonoxid beladenes Hämoglobin nennt man Methä-moglobin (COHb). Die Stärke der Vergiftung ist abhängig von Konzentration und Dau-er der Kohlenmonoxidexposition. Je stärker die Kohlenmonoxidkonzentration und je länger man dieser ausgesetzt ist, desto schwerer die Vergiftung und deren Folgen. Durch die starke Bindung zum Hämoglobin kann es zu kumulativen Vergiftungs-erscheinungen kommen. Folgende Symptome zeichnen eine Kohlenmonoxidvergiftung aus:

Kopfschmerzen

Schwindel

Sehstörungen

Menschliches Leistungsvermögen (040)

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Konzentrationsstörungen

Übelkeit/Erbrechen

Kollabieren

Wichtig:Da die Kohlenmonoxidvergiftung eine Form der Hypoxie ist, stellt die verminderte Urteils- beziehungsweise Kritikfähigkeit auch hier eine besondere Gefahr dar!

Wenn auch nur der kleinste Verdacht einer Kohlenmonoxidvergiftung besteht, sind generell folgende Gegenmaßnahmen einzuleiten (letztendlich verbindlich sind Manuals und Anweisung des Unternehmens bzw. des entsprechenden Flugzeugherstellers):

Belüftungsdüsen schließen / Heizung abstellen

o Gerade bei Kolbenmotorflugzeugen wird die Heizung meist durch einen Wärmetauscher an der Abgasanlage mit Wärme, und im Falle eines Lecks, mit Kohlenmonoxid gespeist.

Frischluftzufuhr öffnen

Sauerstoff (falls vorhanden) nutzen

Rauchen einstellen

Schnellstmöglich landen

Umgehend Arzt aufsuchen

Rauchen

Rauchen führt zu einer ständigen anämischen Hypoxie. Ein mittelstarker Raucher, der circa 20 Zigaretten pro Tag raucht, hat ungefähr 7 % seines Hämoglobins ständig mit Kohlenmonoxid (Methämoglobin) beladen. Dies ist einer Höhendifferenz von ca. 5.000 ft gleichzusetzen. Physiologisch betrachtet befindet sich der Körper dann um diese Höhendifferenz höher als die tatsächlich geflogene Kabinenflughöhe. Ein Raucher er-reicht somit bereits in einer Flughöhe von ca. 7.000 ft die Störschwelle. Bereits am Boden ist die Nachtsehfähigkeit nachweislich eingeschränkt.

Flugphysiologie

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Histotoxische Hypoxie

Bei der histotoxischen Hypoxie hindern Giftstoffe die Zellen und Gewebe daran, Sauerstoff aufzunehmen oder zu verarbeiten. Cyanid, auch bekannt als Blausäure, wirkt in dieser Art und Weise. Ein weiteres zu histotoxischer Hypoxie führendes – wenn auch nicht durch die direkte Wirkung auf die Zellen - Gift ist der Alkohol. Über-mäßiger Alkoholkonsum führt zu einer gesteigerten Harnproduktion. Zusammen mit dem Harn werden Elektrolyte in großer Menge ausgeschieden. Dieser Elektrolytverlust führt zu einer Verschiebung des Säuregleichgewichts in Richtung basisch. Hier kommt wiederum der Bohr-Effekt zum Tragen. Im basischen Milieu kann dann die Bindung des Sauerstoffs zum Hämoglobin so groß werden, dass er nicht mehr adäquat an die ihn benötigenden Zellen/Gewebe abgegeben werden kann.

Messung der Sauerstoffsättigung

Da man selbst nicht oder nur sehr bedingt in der Lage ist, Hypoxie bei sich zu dia-gnostizieren, ist es empfehlenswert, die Sauerstoffsättigung mittels Pulsoxymetrie unkompliziert und nichtinvasiv zu messen. Vorzugsweise am Finger wird ein Clip an-gebracht, welcher diesen quasi durchleuchtet. Ein Fotosensor misst dabei die Lichtab-sorption im Finger. Die Lichtabsorption ist abhängig von der Sauerstoffsättigung. Die-

Abbildung 19: Messung der Sauerstoffsättigung während des Fluges mit einem handelsüblichen Pulsoxymeter

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se Methode misst die arterielle Sauerstoffsättigung, nicht die Sättigung des Gewebes, und gibt diese in Prozent wieder. Bestimmte Fingernägelfarben oder künstliche Fingernägel (z.B. aus Acryl) können je-doch zu Messfehlern führen.

Wichtig:Eine Hypoxie infolge einer Hyperventilation kann mittels Pulsoxymetrie nicht festge-stellt werden. Hierbei ist die arterielle Sauerstoffsättigung entsprechend hoch, jedoch kann dieser Sauerstoff nicht an die Zellen/das Gewebe abgegeben werden. Ebenso kann eine Hypoxie infolge einer Kohlenmonoxidvergiftung nicht durch die Pulsoxyme-trie erkannt werden. Die Pulsoxymetrie kann letztendlich nicht unterscheiden, ob das Hämoglobin durch Sauerstoff oder durch Kohlenmonoxid besetzt ist.

Time of Useful Consciousness (TUC)

Definition: TTime of Useful ConsciousnessDie Zeit zwischen dem Eintritt einer unzureichenden Sauerstoffversorgung, zum Bei-spiel infolge einer rapiden Dekompression, bis zum Eintritt der Handlungsunfähigkeit ist die sogenannte Selbstrettungszeit oder Time of Useful Consciousness (TUC).

Ein anderer in der Literatur verwendeter Begriff ist Effective Performance Time (EPT).Beide Begriffe beschreiben die Zeit, die der Pilot beziehungsweise die Crew zur Verfü-gung hat, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sprich, die Sauerstoffmasken aufzuset-zen und die Flughöhe entsprechend den gängigen Procedures zu reduzieren. Diese

Langsame Dekompression Flughöhe Sitzend, ohne Ar-

beitsbelastungMäßige Arbeitsbe-

lastung

Rapide Dekom-pression

18.000 ft ca. 40 Minuten ca. 30 Minuten ca. 20 Minuten 20.000 ft 10 Minuten 5 Minuten 3 Minuten 25.000 ft 5 Minuten 3 Minuten 2 Minuten 30.000 ft 90 Sekunden 45 Sekunden 30 Sekunden 35.000 ft 45 Sekunden 30 Sekunden 20 Sekunden 40.000 ft 25 Sekunden 18 Sekunden 12 Sekunden 43.000 ft 18 Sekunden 10-12 Sekunden 10-12 Sekunden

Tabelle 7: Time of Useful Consciousness (Durchschnittswerte der gängigen Fachliteratur)

Flugphysiologie

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Zeiten können nur allgemeine Durchschnittswerte sein. Sie werden maßgeblich von individuellen Faktoren beeinflusst (Rauchen, körperliche Fitness, Arbeitsbelastung usw.). Gemäß Syllabus vom Stand Juni 2008 (LBA 2009) sind folgende TUC Werte vor-gegeben und damit als prüfungsrelevant zu betrachten:

Tabelle 8: TUC Werte gemäß Syllabus-Vorgaben

Ab einer Höhe von ca. 25.000 ft kommt es im Falle einer Dekompression zu einem umgekehrten Diffusionsgefälle. Dies bedeutet, dass nicht nur zu wenig bis kein Sauer-stoff in der Lunge aufgenommen wird, sondern sogar Sauerstoff aus den Zellen zurück ins Blut beziehungsweise in die Lunge diffundiert. Mit anderen Worten, Sauerstoff wandert aktiv aus dem Körper. Daraus resultieren die sehr kurzen Selbstrettungszei-ten in großen Höhen! Auch wenn Sie am Boden problemlos für 2 Minuten die Luft an-halten können, würden Sie trotzdem in 43.000 ft nach ca. 10-12 Sekunden das Be-wusstsein verlieren.

Abbildung 20: Time of Useful Consciousness

Flughöhe (ft) Time of Useful Consciousness (TUC)

For person seated (at rest) For persons moderately active

20.000 ft 30 min. 5 min.

30.000 ft 1-2 min. not required

35.000 ft 30-90 sec.

40.000 ft 15-20 sec.

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Innerhalb der praktischen Selbstrettungszeit ist man in der Lage, sofern man die eige-nen Symptome der Hypoxie überhaupt wahrnimmt und als solche erkennt, selbststän-dig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Mit dem Erreichen der Handlungsunfähigkeit kön-nen bis zum Eintreten des Todes nur noch durch andere, nicht betroffene Menschen effektive Gegenmaßnahmen eingeleitet werden (andere Crewmitglieder mit Sauerstoff, Feuerwehr usw.).

Sauerstoffbedarf in Abhängigkeit von der Flughöhe

Um mit zunehmender Höhe, sofern keine Druckkabine verwendet wird, in den Aveolen einen adäquaten Sauerstoffpartialdruck aufrechtzuerhalten, muss das Atemgemisch mit Sauerstoff angereichert werden. Bis 40.000 ft kann bei Atmung von 100 % Sauer-stoff ein aveolärer Sauerstoffpartialdruck wie in in einer Flughöhe von 10.000 ft bei Normalatmung (~55 hPa) erhalten werden. Ab 40.000 ft kann dies nur noch mit einer Überdruckbeatmung sichergestellt werden. Dies geht jedoch nur bis ca. 46.000-48.000 ft. Ab da würde der benötigte Beatmungsdruck so groß, dass beim Ausatmen gegen den Überdruck die in der Regel schlecht ausgebildete Ausatemmuskulatur überfordert würde.

Flughöhe Sauerstoffbedarf

bis 10.000 ft Umgebungsluft

10.000 ft – 32.000 ft Umgebungsluft-Sauerstoff-Gemisch

(graduell ansteigend)

32.000 ft – 40.000 ft 100 % Sauerstoff

40.000 ft – 48.000 ft 100 % Sauerstoff mit Überdruck

Tabelle 9: Notwendige Sauerstoffdarbietung in verschiedenen Flughöhen.Hinweis: Oftmals wird im Fragenkatalog die Nutzung von 100 % Sauerstoff bis 38.000 ft,

bzw. bereits bei 38.000 ft der Beginn der Überdruckbeatmung angegeben.

Siehe hierzu auch ICAO Annex 68

1. Punkt 4.3.8 Oxygen supply 2. Punkt 4.4.5 Use of oxygen 3. Punkt 6.7 All aeroplanes on high altitude flights

8 vgl. [70] ICAO Annex 6 - Operation of Aircraft

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Abbildung 65: Falsch wahrgenommene Erdanziehung während einer Hochziehbewegung

Abbildung 66: Falsch wahrgenommene Erdanziehung während des Kurvenfluges

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Täuschungen des Maculaorgans (Lineare Beschleunigungen)

Im Folgenden soll schematisch die Funktion des Maculaorgans dargestellt werden, welches im Innenohr für die Wahrnehmung linearer Beschleunigungen sowie der Schwerkraft verantwortlich ist. Im Anschluss werden typische Sinnestäuschungen und deren Ursachen vorgestellt, die im Zusammenhang mit dem Maculaorgan auftreten.

Abbildung 67: Otolith in Ruhe (Kopf gerade, keine Beschleunigung)

Wenn wir den Kopf gerade halten und keine lineare Beschleunigung auf uns einwirkt, befindet sich der Otolith (Kugel) in der Mitte unserer schematischen Darstellung. Die immer vorhandene Schwerkraft klammern wir bei dieser schematischen Betrachtung aus. Ansonsten müsste der Otolith am Boden des Hohlraumes liegen.

Scheinbares Steigen (Somatogravic illusion)

Neigen wir den Kopf oder den Körper nach hinten, wandert durch die Schwerkraft der Otolith relativ zum Maculaorgan nach hinten und reizt die dortigen Sinneszellen, wo-durch wir die Kopf- und/oder Körperneigung wahrnehmen.

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Abbildung 68: Kopf- oder Körperneigung nach hinten

Abbildung 69: Positive lineare Beschleunigung

Bei einer positiven linearen Beschleunigung, wie zum Beispiel während der Startroll-phase, bewegt sich der Otolith aufgrund seiner Massenträgheit ebenfalls relativ zum

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Maculaorgan nach hinten und reizt dort die an der Rückseite platzierten Sinneszellen. Zusammen mit den Propriorezeptoren (verrutschen des Gesäßes nach hinten, höherer Anpressdruck des Rückens an den Sitz) entsteht jetzt im Gehirn der Sinneseindruck der positiven linearen Beschleunigung (+Gx).

Da wir durch das Maculaorgan nun die gleiche Information wie beim Kopfneigen nach hinten erhalten, ist diese Wahrnehmung zweideutig. Da wir mit der Kopf- oder Kör-perneigung nach hinten einen positiven Anstellwinkel des Flugzeuges in Verbindung bringen, interpretieren wir oft fälschlicherweise eine positive lineare Beschleunigung als Steigflug. Dies kann dazu führen, dass man einen Abflug flacher als gewollt durch-führt, da die empfundene Beschleunigung – besonders bei der Verwendung von jetge-triebenen Luftfahrzeugen – als Steigflug missinterpretiert wird. Bei einem hohen Schubüberschuss – auch hier sind jetgetriebene Luftfahrzeuge prädestiniert – kann diese Sinnestäuschung auch beim Beschleunigen im Horizontalflug ausgelöst werden.

Eine ähnliche Fehleinschätzung kann entstehen, wenn man abrupter als normal aus dem Steigflug in den Cruise überleitet. Auch hier wird der Pilot verleitet, entgegen der tatsächlichen horizontalen Fluglage, die Nase nach unten zu drücken.

Scheinbares Sinken (Somatogravic illusion)

Abbildung 70: Kopf- oder Körperneigung nach vorne

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Neigen wir den Kopf bzw. den Körper nach vorne, verschiebt die Schwerkraft den Oto-lithen relativ zum Maculaorgan nach vorne. Die dort gereizten Sinnenzellen lassen im Gehirn den Eindruck der Vorneigung entstehen.

Abbildung 71: Negative lineare Beschleunigung

Wenn Sie zum Beispiel nach der Landung Ihr Flugzeug abbremsen, erfahren sie eine negative lineare Beschleunigung. Aufgrund seiner Massenträgheit bewegt sich der Otolith nun ebenfalls relativ zum Maculaorgan nach vorne und reizt die dortigen Sin-neszellen. Die Propriorezeptoren registrieren jetzt eine Vorwärtsbewegung des Gesä-ßes sowie den Druck, mit dem Sie in die Gurte gedrückt werden, und zusammen ent-steht im Gehirn somit der Eindruck einer negativen linearen Beschleunigung.

Da die Reizung im Maculaorgan wiederum identisch wie bei einer Kopf- oder Körper-neigung nach vorne ist, entsteht beim Abbremsen der falsche Eindruck des Sinkfluges, weil wir mit der Neigung nach vorne das Absenken der Flugzeugnase assoziieren. Eine solche negative Beschleunigung kann zum Beispiel in der Luft durch das Ausfahren von Speedbreaks erfolgen. Durch die Verlangsamung glauben Sie fälschlicherweise die Flugzeugnase würde sich senken. Im Gegenzug ziehen Sie am Höhenruder und erzeu-

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gen somit mehr Widerstand, der das Luftfahrzeug weiter abbremst und eventuell in einen gefährlichen Geschwindigkeitsbereich führt (Stall).

Täuschungen der Bogengänge (Somatogyral illusion)

Das menschliche Vestibularorgan hat sich im Rahmen der Evolution über Jahrmillionen entwickelt. Die Bogengänge können Winkelbeschleunigungen aller drei Raumachsen feststellen und dadurch dem Gehirn Drehbewegungen des Körpers, besonders des Kopfes, mitteilen.

Die für die Winkelbeschleunigungen zuständigen Bogengänge können aber auch nachhaltig getäuscht werden. Beispielsweise ist auf einer Kreisbahn nach der Ausbil-dung einer konstanten Drehrate für die Bogengänge keine Winkelbeschleunigung undfolglich auch keine Drehung mehr wahrnehmbar. Das erklärt sich dadurch, dass die in den Bogengängen bewegte Flüssigkeit wieder zur Ruhe kommt und somit keine Aus-lenkung der Sinneszellen mehr bewirkt. Die Bogengänge messen also bei jeglicher Bewegung nur relativ zum vorherigen Bewegungszustand, wobei das Messergebnis anschließend schnell wieder vergessen wird. Betrachten wir ein konkretes Beispiel.

Abbildung 72: Bogengänge im Kurvenflug

Beim unbeschleunigten Horizontalflug verharrt die Flüssigkeit in den Bogengängen bewegungslos (vgl. Abbildung 72 oben links).

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Bei der Einleitung einer Linkskurve (vgl. Abbildung 72 oben rechts) dreht der entspre-chende Bogengang mit und die eingeschlossene Flüssigkeit (Endolymphe) bleibt auf-grund ihrer Massenträgheit zurück und lenkt die Sinneszelle (Pfeil) aus. Nach einiger Zeit der Drehung mit konstanter Drehrate (vgl. Abbildung 72 unten links) verharrt die Flüssigkeit mangels fehlender Winkelbeschleunigung wieder im Zustand der Ruhe. Die Sinneszellen richten sich auf, die Drehung wird fälschlicherweise nicht mehr als solche wahrgenommen. Man glaubt sich erneut im Horizontalflug zu befinden. Beim Ausleiten der Kurve (vgl. Abbildung 72 unten rechts) wirkt erneut die Massen-trägheit und die Flüssigkeit lenkt diesmal die Sinneszelle in die entgegengesetzte Richtung aus. Obwohl jetzt tatsächlich ein unbeschleunigter Horizontalflug vorliegt, empfindet man durch die Auslenkung im Bogengang und der Trägheit der Endolym-phe einen „virtuellen“ Kurvenflug nach rechts - entgegen der ursprünglich tatsächlich geflogenen Kurvenrichtung.

Leans

Unter Leans versteht man unter Piloten das Phänomen des „Sich-zur-Seite-Lehnens (Hängens)“. Nach obiger Darstellung der Somatogyral Illusion kommt es nach dem Ausleiten aus einer Kurve zu einem Gefühl des Kurvens in Gegenrichtung. Um wieder das Gefühl des Geradeausfluges zu erhalten, neigt der Pilot sich intuitiv in die „virtuel-le“ Senkrechte.

Abbildung 73: Leans (Grafik: KLSP)

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Friedhofstrudeln (Graveyard spin)

Der gleiche Mechanismus wie bei der Somatogyral Illusion wirkt auch beim Trudeln. Wenn man nur ein bis zwei Umdrehungen trudelt, hat die Flüssigkeit im Bogengang in der Regel keine Zeit zum zwi-schenzeitlichen Stillstand zu kommen. Wenn man jedoch nach längerem Trudeln ausleitet, kann man der Täuschung unterliegen, scheinbar in entgegengesetzte Richtung weiter zu trudeln.

Wenn man sich dieser Illusion hin-gibt - die Gefahr besteht bevor-zugt beim Fehlen visueller Refe-renzen - versucht man dieses vor-getäuschte Trudeln auszuleiten. Dieses „Ausleiten“ leitet jedoch ein erneutes Trudeln in die ursprüng-liche Richtung ein. Im schlimmsten Fall wiederholt sich dieser Teufels-kreis bis zum Erdboden. Der Auf-schlag beendet dann abrupt dieses sogenannte Friedhofstrudeln (Gra-veyard spin).

Abbildung 74: Friedhofstrudeln (Grafik: KLSP)

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Coriolis Illusion

Den Coriolis Effekt bei Drehbewegungen des Kopfes während längerer Kurvenflüge haben wir bereits bei der Darstellung der Bewegungskrankheit (Kinetose) auf Seite 125 kennen gelernt. Außer den dort beschriebenen Symptomen, wie beispielsweise Schwindel und Übelkeit, können gleichwohl schwere Formen der Desorientierung ein-treten. Zitat aus dem Kompendium Flugmedizin der Luftwaffe13: „Das Gefühl besteht aus dem überwältigenden Eindruck einer Rollbewegung, verbunden mit starkem „Stei-gen“ oder „Fallen“ (tumbling).“ Die Coriolis Illusion ist eine, wenn nicht die schwerste Form der Innenohrtäuschung. Einzige Abhilfe: vermeiden Sie während Kurvenflügen Kopfdrehungen. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Ihnen etwas im Cockpit he-runterfällt (z.B. Kugelschreiber). Ohne nachzudenken, beugt man sich nach vorne oder auch zur Seite und erlebt unter Umständen schlagartig eine Coriolis Illusion.

Abbildung 75: Der Coriolis Illusion vorbeugen! Heruntergefallenes Cateringbesteck nur im Horizontalflug unter dem Sitz suchen!

13 vgl. [2] Hans Pongratz; Kompendium Flugmedizin