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Eckermann - Wir vom Neptunplatz

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11. Prolog

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Page 1: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 74

KÜSSER-QUALITÄTEN

Das eigentlich Absurde an der Situation waren nicht Will oder seine

Piercings, sondern seine Kusstechnik. Lucky war kein Kind von

Traurigkeit. Wie jeder Mann liebte er Sex. Aber er war anspruchsvoll

geworden in den letzten Jahren. Was die Optik und den Intellekt seiner

Partner anging, vor allem aber ihre Küsser-Qualitäten. War ein Kuss

früher eher so etwas wie eine Eintrittskarte oder ein kurzes Vorspiel, war

diese Kunstform mehr und mehr zu einem Dealbreaker geworden. Ein

Mann, der nicht küssen konnte, würde nur noch in absoluten

Dürreperioden einen Weg in Luckys Hose finden. Zum erweiterten Kuss-

No-go gehörten Zungenakrobaten, Schnäuzerträger – besonders die

Kölsche Spezialität mit Kurbelspitzen – Raucher, Zahnarztverweigerer und

natürlich Zungengepiercte.

Jetzt hing Lucky Will bereits seit mehr als vier Drinks zwischen den

Lippen – und war begeistert. Nicht vom Piercing, soweit verzauberte Will

ihn dann doch nicht. Aber von seiner Technik, von seiner beharrlichen

Weichheit, seinem unaufdringlichen Knabberstyle, der Lucky völlig

vergessen ließ, was da alles an Metallveredelung zwischen Ohren und

Mundwinkeln baumelte und vor allem die sensible Zungenspitze zierte.

Page 2: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 75

Zu Beginn hatte Lucky fast die Fäuste geballt vor Angst, dass Will ihm

mit seiner Abrisskugel einen Schneidezahn aushebelte. Doch mehr und

mehr war er dahingeflossen. Bis er schließlich völlig vergessen hatte, wie

Will aussah, wie der Laden aussah, in dem sie knutschten, und wohin das

alles überhaupt führen sollte.

Bis Will plötzlich abbrach, ihn anlächelte, sich dann zum Barmann wandte

und bezahlte. Lucky war irritiert. Hormonell verstrahlt, aber irritiert.

„Will? Was machst du?“

„Einer Anzeige als Zechpreller entgehen?“ Will grinste Lucky offen an

und bestellte beim Barmann ein Taxi. „Wir fahren zu dir.“

Dominante Männer waren in Luckys Welt ein weiterer Njet-Faktor.

„Vergiss es“, setzte er sich wieder demonstrativ auf seinen Barhocker.

„Bei mir sind die Wände aus Pressspan. Und ich will meinen Nachbarn

auch morgen noch in die Augen sehen.“

„Dann gehen wir zum Aachener Weiher.“

„Ja klar, morgen zum Schwäne füttert – falls die bei den Temperaturen

nicht fest mit der Eisdecke verwachsen sind. Vielleicht hast du‘s nicht

mitbekommen, Will, aber jenseits deiner Sonnenbank ist so gut wie

Winter.“

Page 3: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 76

Will schenkte Lucky den Blick eines Hundes mit Scherbe in der Pfote.

Lucky schüttelte entschlossen den Kopf.

„Wenn das überhaupt was gibt mit uns, dann nur mit Stil. Warum gehen

wir nicht zu dir. Hast du keinen Stil?“

Will grinste Lucky unschuldig an. „Ich hab so viel Stil, du würdest meine

Wohnung nur noch unter Protest verlassen.“

„Na dann …“ Lucky versuchte es mit einem aufmunternden Grinsen.

„Na ja … in meinem Bett liegt jemand, der in etwa zwei Stunden

aufstehen und auf den Großmarkt fahren muss.“

„Jemand?“ Lucky war froh, dass der Barhocker unter ihm nicht die gleiche

wabbelige Konsistenz annahm, die seine Knie plötzlich hatten.

„Sein Mann“, grinste der immer noch knackige Barmann und stellte zwei

neue Drinks vor die beiden.

„Mein Mann“, bestätigte Will. Und immer noch glänzte dieses

unschuldige Jungengrinsen zwischen seinen Piercings hervor.

Page 4: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 77

DUELL IM MORGENGRAUEN

Lale war traurig. Und wütend. Und frustriert. Sie saß mit dem Mann ihrer

Träume in der Badewanne – und stritt sich. Nicht, dass sie eine Wahl

gehabt hatte. Eigentlich war vom ersten Moment an klar gewesen, dass die

ganze Sache früher oder später im Streit enden würde. Die wunderbare

Zeit dazwischen – der Sex, die Zärtlichkeiten, die vertraute Nähe zwischen

ihnen –, das war alles nur das Vorspiel gewesen.

„Wie kannst du nur glauben, dass du mir nicht wichtig bist“, warf er ihr

gerade vor. Ihre Füße lagen wieder auf seinem durchtrainierten Brustkorb,

und seine Beine schlängelten sich noch immer zu beiden Seiten um ihren

Körper herum. Das Wasser duftete schwach nach Rosen und schwappte in

kleinen Wellen auf und ab. Die aufgehende Sonne glomm durch das viel

zu kleine Fenster und ließ das Wasser in der Wanne wild und ungeduldig

glitzern.

Sie stritten jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Richtig in Fahrt

gekommen war das Ganze durch ihren Vorwurf, es sei ihm bei seinem

Besuch nur um Sex gegangen.

„Tja, wieso komm‘ ich wohl drauf, dass ich dir nicht wichtig bin?“

Page 5: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 78

Lale merkte, wie sich ihr Hals immer mehr zuzog, das passierte ihr immer,

wenn sie zornig wurde. „Vielleicht, weil du wichtige Entscheidungen

lieber ohne mich triffst?“

Hannes seufzte, nahm eine Hand von ihren Füßen und rieb sich mit

Zeigefinger und Daumen die Augen.

„Lale“, begann er. „Ich habe schon mal gesagt, es tut mir leid. Sehr leid.

Aber ich kann‘s nicht mehr ändern. Ich hab‘ da unten was angefangen, das

ich auch zu Ende bringen muss.“

Bla, bla, bla. Diese Platte kannte sie schon. Und sie wurde nicht besser

durch diese nervtötenden Wiederholungen.

„Darum geht‘s mir ausnahmsweise nicht.“ Ihre Stimme war jetzt ganz

kratzig. „Es geht darum, dass du schon wieder eine Entscheidung für uns

beide triffst.“

„Das tue ich nicht.“

„Tust du doch!“, beharrte sie. „Du entscheidest, dass es gut ist, getrennt zu

sein. Und ich soll damit klarkommen!“

Er atmete hörbar aus und schüttelte den Kopf, die Lippen fest

aufeinandergepresst. Draußen krächzten immer noch die Raben.

„Diese Entscheidung hast du auch schon mal für uns beide getroffen.

Erinnerst du dich?“, sagte er schließlich.

Page 6: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 79

„Dann bestrafst du mich jetzt dafür, oder was?“ Wieder schwappte diese

unendliche Traurigkeit in ihr hoch. „Ich hab damals keinen anderen Weg

gesehen. Aber heute ...“, sie stockte und suchte nach Worten, „ich bin mir

nicht mehr sicher. Es hat sich nicht viel geändert, seit wir getrennt sind.

Ich krieg dich nicht aus meinem Kopf. Meine Gefühle sind immer noch

da.“ Sie zögerte. „Vielleicht kann ich es ja doch irgendwie aushalten.“

Er schüttelte den Kopf. Seine Augen sahen jetzt fast traurig aus.

„Lale, nein. Es tut mir so leid. Ich hätte nicht herkommen dürfen. Das

Ganze war ein Fehler. Ich hab kein Recht, dich nochmal in mein

beschissenes Leben hineinzuziehen.“

„Du ziehst mich in nichts rein!“, brauste sie auf. „Ich bin alt genug, meine

eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich kann jederzeit nein sagen. Damals

wie heute.“

Er schüttelte wieder den Kopf.

„Das stimmt nicht, Lale. Ich allein weiß, wie ich ticke. Ich bin nicht

gemacht für eine Beziehung. Das wusste ich auch schon damals. Ich hätte

dich von Anfang an in Ruhe lassen müssen. Alles was ich dazu sagen kann

ist, dass es mir leid tut. Ich hab es wirklich versucht. Ich wollte wirklich

der Mann sein, den du verdienst.“

Page 7: Eckermann - Wir vom Neptunplatz

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 80

„Hör auf, so zu reden. Ich hab niemanden verdient. Ich liebe dich.“ Eine

Träne rollte ihr aus dem Auge. Trotzig wischte sie sie weg.

„Ich liebe dich auch“, sagte er. „So sehr, dass es wehtut. Aber manchmal

reicht das eben nicht.“