30
W

Eckhard Beubler Opiatabhängigkeit Interdisziplinäre …download.e-bookshelf.de/download/0000/0087/42/L-G... · 2013-07-19 · Dr. med. Toni Berthel Integrierte Psychiatrie Winterthur

  • Upload
    vothien

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

W

Eckhard BeublerHans Haltmayer, Alfred Springer (Hrsg.)

Opiatabhängigkeit

Interdisziplinäre Aspekte für die Praxis

2. Aufl age

SpringerWienNewYork

Univ.-Prof. Dr. Eckhard BeublerInstitut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie,

Karl-Franzens-Universität Graz

Dr. Hans HaltmayerVerein Wiener Sozialprojekte, Ambulatorium „Ganslwirt“, Wien

Univ.-Prof. Dr. Alfred SpringerLudwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung

am Anton-Proksch-Institut, Wien

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur aus-zugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Ge-

setzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.

Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über Dosierungsanweisungen und Applika-tionsformen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt

dieses Werkes ist ausgeschlossen.

© 2007 Springer-Verlag/Wien • Printed in AustriaSpringer-Verlag Wien New York ist ein Unternehmen von

Springer Science+Business Mediaspringer.at

Umschlagbild: GettyImages/Taxi/Man injecting himself, silhouette(multiple exposure, gel effect)/Tipp Howell

Satz: H. Meszarics • Satz & Layout • A-1200 WienDruck: Stauss GmbH, 69509 Mörlenbach, Deutschland

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCFSPIN: 11557463

Mit 33 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN-10 3-211-29116-4 Springer-Verlag Wien New YorkISBN-13 978-3-211-29116-0 Springer-Verlag Wien New York

Auch nach langjähriger Erfahrung stelltdie Behandlung opiatabhängiger Patien-tInnen immer noch eine große Heraus-forderung für die medizinische, sozialme-dizinische und psychosoziale Versorgungdar. Opiatabhängigkeit ist nicht eineKrankheit wie andere auch, sondern einkomplexes Phänomen, das Krankheitenund Leidenszustände einschließt, dieInterventionen auf den verschiedenenBehandlungsebenen erforderlich macht.Die Mortalität unter Opiatkonsumenten istbis zu zwanzig Mal höher als in der All-gemeinbevölkerung der gleichen Alters-gruppe. Dafür sind nicht nur Überdosie-rungen, Aids und andere Infektionserkran-kungen verantwortlich, sondern auch ex-terne Ursachen wie Gewalt, Selbstmordund schlechte Lebensbedingungen (Ob-dachlosigkeit, Mangelernährung, gesell-schaftliche Ausgrenzung).Trotz aller Bemühungen, die Behandlungdieser Patientengruppe zu „normalisie-ren“, war es bislang nicht möglich, derStigmatisierung, die sich gegen die Be-troffenen selbst und oftmals auch gegenderen Behandler richtet, wirkungsvoll ent-gegenzutreten. Die Stigmatisierung wirdvon der im außermedizinischen Feld er-worbenen Sucht auf die Behandlung über-tragen, ist vielgestaltig und kann selbst aufdie in der Behandlung eingesetzten Me-dikamente übergreifen, wie eine aktuell inÖsterreich stattfindende Diskussion über„gute“ und „böse“ Medikamente im Rah-men der arzneimittelgestützten Behand-lung Suchtkranker zeigt.

Große Anstrengungen sind erforderlich um die komplexen Zusammenhänge vonEntstehung und Phänomenologie diesesErkrankungsbildes zu verstehen und freivon ideologischen Einflüssen darzustellen.Nur auf dieser Basis sind wirksameInterventionen möglich, die im Regelfallauf mehreren Ebenen (pharmakologisch,psychosozial, medizinisch, juristisch) undunter besonderer Berücksichtigung von interdisziplinären Aspekten erfolgen müs-sen.Mit vorliegendem Buch versuchen wir, die-sem Ansatz gerecht zu werden. Die 2. Auf-lage wurde in diesem Sinn um neue Bei-träge zu medizinischen Problemstellungenaus den Bereichen Geburtshilfe, Chirurgieund Schmerztherapie erweitert. Beiträgezu den Themen „Begutachtungspraxis hin-sichtlich Suchtgefährdung und Sucht-krankheit“ sowie zur Fahrtauglichkeit sol-len – ebenso wie die Darstellung von As-pekten der psychosozialen Betreuung undder Behandlung mit Heroin – das Spektrumder Behandlung des Erkrankungsbildes er-gänzen.Diese erweiterte Neuauflage soll einen ra-tionaleren Umgang mit dem Erkrankungs-bild „Opiatabhängigkeit“ fördern undeinen Beitrag dazu leisten, die Behand-lungsqualität weiter zu verbessern und dieAusgrenzung von Betroffen zu reduzieren.

Die HerausgeberWien, im September 2006

Vorwort zur 2. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

Dieses Buch soll einen möglichst umfas-senden Blick auf das Krankheitsbild der„Opiatabhängigkeit“ unter Beachtungweitreichender Interdisziplinarität vermit-teln. Um diesem Umstand möglichst ge-recht zu werden, sind auch die Heraus-geber aus drei verschiedenen fachlichenRichtungen, der Psychiatrie, der Allge-meinmedizin und der Pharmakologie, zu-sammengekommen. Diagnostik, Betreu-ung und Behandlung der Opiatabhängig-keit und deren Begleiterkrankungen ver-langen eben koordiniertes, fächerüber-greifendes Handeln auf der Basis fundier-ten Wissens. Alle beteiligten Berufsgrup-pen sollten über dieses Wissen verfügen,zum Wohle der ihnen anvertrauten Men-schen, aber auch um eigenen Negativ-erlebnissen und Frustrationen, die oft in re-signativem Rückzug enden, vorzubeugen.Das dafür notwendige Rüstzeug soll in die-sem Buch dargelegt werden. BesondererWert wurde dabei auf praktische Anwend-barkeit unter Einbindung wissenschaftli-cher Erkenntnisse und klinischer Erfah-rungen gelegt.

In Österreich gibt es heute etwa 2Millionen RaucherInnen, 330.000 Alkohol-abhängige, 110.000 Arzneimittelabhän-gige und etwa 20.000 Menschen mit „prob-lematischem“ Opiatkonsum. Statistischbetrachtet spielt Opiatkonsum als gesell-schaftliches Problem gegenüber den lega-len Suchtmitteln im Gegensatz zur emo-tionalen Bewertung eine untergeordneteRolle. Gerade auf diesem Gebiet hat sichaber in den letzten Jahren vieles verändert.Schadensminimierende Strategien wurdenverfeinert, das Wissen um die Diagnostik

und Therapie psychischer und somatischerBegleiterkrankungen hat sich beträchtlicherweitert, und bei der medikamentösenBehandlung der Opiatabhängigkeit wur-den Fortschritte gemacht. Besonders dieSubstitutionsbehandlung hat im gesamtendeutschen Sprachraum kontinuierlich anBedeutung gewonnen. In Österreich wer-den derzeit etwa 5000 PatientInnen nachdieser Methode behandelt, und in diesemBuch wird ihr ein entsprechend breiterRaum gewidmet. Grundlagen, Möglichkei-ten, Grenzen und Gefahren der Substitu-tionsbehandlung werden von kompeten-ten AutorInnen beleuchtet.

Der breite Einsatz der Substitutions-therapie hat dazu geführt, dass der medizi-nische Zugang zum Suchtphänomen wie-der jene alte Bedeutung gewonnen hat, dieim Spannungsfeld drogenpolitischer Auf-träge an die Behandlung der Suchtkrankenbereits verloren gegangen schien. DieseEntwicklung hat entscheidende Verän-derungen im Umgang mit Suchtkrankenmit sich gebracht. Darüber hinaus wurdeeine Versachlichung im Umgang mitOpiaten angebahnt, welche die bei denPraktikern der Suchtbehandlung oftmalsüberhöhte Angst vor diesen Substanzen re-lativierte. In der Folge geriet das „Absti-nenzparadigma“ ins Wanken und es eröff-nete sich eine neue Dimension im drogen-politischen Diskurs.

Der hohe Stellenwert des medizinischenZuganges sollte jedoch nicht den Eindruckentstehen lassen, dass nunmehr eine Ein-bahnstrasse zur effizienten Behandlungsuchtbezogener Probleme eröffnet sei.Trotz der intensiven Forschung, die im

Bereich des Drogengebrauchs und derAbhängigkeit betrieben wird, gibt es bis-lang kein Erklärungsmodell, das eingrundsätzliches und universelles Ver-ständnis dieser Phänomene erlauben wür-de. Umso wichtiger sind interdisziplinäreAnsätze. All die wissenschaftlichen undpraktischen Disziplinen, die in diesem Feld arbeiten, müssen in einem ständigenDialog stehen. Nur so kann vermiedenwerden, dass Standpunkte verhärten undeine Situation entsteht, in der die Versor-gung Abhängigkeitskranker durch ideo-logische Positionierungen behindert wird.

Auch die Prävention außermedizini-schen Drogengebrauchs kann nur durchdie Bereitschaft zu fächerübergreifenderKooperation im Denken und Handeln er-füllt werden. Die bestimmenden Variab-len für die Entwicklung einer Abhän-gigkeit kommen in der Interaktion vonSubstanz, Persönlichkeit und sozialem Um-feld zur Wirkung. Dementsprechend müs-sen Möglichkeiten erarbeitet werden, in alle diese Bereiche einzugreifen. Nebender Beschränkung der Verfügbarkeit undtherapeutischen Maßnahmen sind sozial-pädagogische Strategien notwendig, umjunge Menschen rechtzeitig, objektiv,sachlich und offen aufzuklären und so kul-turellen Trends zur Verklärung der Wirk-samkeit psychoaktiver Stoffe, also der„Drogenromantik“, entgegenzuwirken.Inhalt und Form der sachlichen Aufklärungkönnen aber wieder nur als Resultat inter-disziplinärer Kooperation ihre bestmögli-che Wirkung entfalten.

Wir weisen darauf hin, dass hinsichtlichrechtlicher und administrativer Belangeländerspezifisch (Österreich, Schweiz,Deutschland), aber auch regional (Bun-desländer, Kantone) oftmals recht un-terschiedliche Voraussetzungen gegebensind und somit für den Leser und dieLeserin die Aufgabe besteht, die Aussagemancher Artikel an die jeweilig herrschen-den Bedingungen angepasst umzudenken.Wo immer es ging, wurde darauf geachtet,die Beiträge so grundsätzlich zu halten,dass sie über regionale Grenzen hinwegGültigkeit besitzen.

In diesem Buch kommen viele Fächerrespektive ihre VertreterInnen zu Wort,und diese wurden eingeladen, über denengen Themenbereich des Buchtitels„Opiatabhängigkeit“ hinaus auch die mitdem Gebrauch anderer psychoaktiverStoffe verbundenen Probleme zu erörtern.Dennoch wird wohl manches zu kurz gekommen und einiges unerwähnt geblie-ben sein. Sollten die LeserInnen bestimm-te Themen oder Problemstellungen ver-missen, werden Anregungen gerne für ei-ne zukünftige Auflage entgegengenom-men.

Besonderen Dank möchten die He-rausgeber an Frau Mag. Renate Eichbergerund Herrn Raimund Petri-Wieder für diebesondere Betreuung bei der Bearbeitungdieses Buches richten.

Die Herausgeber

Vorwort zur 1. AuflageVIII

Inhaltsverzeichnis

Mitarbeiterverzeichnis ....................................................................................................... XI

I. Drogen und Ihre Wirkung

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle (A. Springer) .................................................... 3Opiate aus heutiger Sicht (S. Haas) .................................................................................. 17Abhängigkeit aus psychologischer Sicht (J. W. Egger) .................................................. 23Abhängigkeit im Experiment (G. Zernig, J. A. Crespo, P. Stöckl, K. Sturm,J. Schneider, A. Saria) ........................................................................................................ 33Abhängigkeit in der Adoleszenz (K. Steinberger) ........................................................... 45Pharmakologie psychotroper Substanzen (E. Beubler) .................................................... 51Heroinmythologie und Heroinkontrolle (A. Springer) ..................................................... 65Heroingestützte Behandlung: drogenpolitische Aspekte (A. Springer) ......................... 79

II. Begleiterkrankungen

Psychiatrische Komorbidität (T. Berthel) ........................................................................... 93Agieren und Mitagieren in der Behandlung von Substanzabhängigen (T. Berthel) ..... 99Prophylaxe und Therapie der Hepatitis A, B und C (H. Haltmayer) .............................. 107Das A-B-C der postexpositionellen Prophylaxe (B. Schmied) ........................................ 117Antiretrovirale Therapie (B. Schmied) .............................................................................. 125Kardiologische und pulmologische Komplikationen bei Opiatabhängigkeit (S. Reiter) ............................................................................................................................. 139Chirurgische Komplikationen (G. Hastermann) ............................................................... 149Geburtshilfliche Komplikationen (I. Frech) ...................................................................... 155

III. Behandlungsstrategien

Schadensmindernde Aspekte – „Harm Reduction“ (H. Haltmayer) .............................. 165Aspekte der Apotheker (M. Einfalt, H. Jakesz, S. Köhler-Barta, M. Wellan) ................. 173Substitutionstherapie (W. Werner) .................................................................................... 185Heroingestützte Behandlung (A. Uchtenhagen) .............................................................. 205Entzugstherapie der Opiatabhängigkeit (F. Tretter) ........................................................ 213Begleitende psychosoziale Unterstützung in der Substitutionsbehandlung (R. Gerlach, H. Stöver) ........................................................................................................ 225

Psychotherapeutische Aspekte (A. Springer) ................................................................... 231Allgemeinmedizinische Aspekte (H.-J. Fuchs, R. Jens) ................................................... 243Opiatabhängigkeit und Schmerztherapie (W. Jaksch) .................................................... 251Entwicklung von Kindern substanzabhängiger Mütter (E. Berger, T. Elstner, S. Fiala-Preinsperger) ......................................................................................................... 259Drogen und Opiate im Straßenverkehr (Y. Körner, E. Schnabel, H.-P. Krüger) ............. 269Drogentests: Möglichkeiten und Grenzen (R. Schmid) ................................................... 281Begutachtungspraxis hinsichtlich Suchtgefährdung und Suchtkrankheit (Ch. Grünhut) ...................................................................................................................... 297Substanzabhängigkeit und Strafvollzug (C. Obrist, W. Werdenich) ............................... 309Was sind eigentlich „Drogenopfer“? (A. Uhl) .................................................................. 321Sachverzeichnis .................................................................................................................. 339

InhaltsverzeichnisX

Univ.-Prof. Dr. Eckhard BeublerInstitut für Experimentelle und KlinischePharmakologieKarl-Franzens-Universität GrazUniversitätsplatz 4A-8010 GrazTel.: +43 316 380-43 09E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Ernst BergerNeuropsychiatrische Abteilung für Kinder undJugendliche mit BehindertenzentrumNeurologisches Krankenhaus RosenhügelRiedelgasse 5A-1130 WienTel.: +43 1 880 00-361E-Mail: [email protected]

Dr. med. Toni BerthelIntegrierte Psychiatrie Winterthur (IPW)Wieshofstrasse 102Postfach 144CH-8408 WinterthurTel.: +41 52267 5904E-Mail: [email protected]

Dr. Jose A. CrespoAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstraße 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504-3711E-mail:[email protected]

Univ-Prof. Dr. Josef EggerInstitut für Medizinische Psychologie undPsychotherapieMedizinische Universität GrazAuenbruggerplatz 43A-8036 GrazTel.: +43 316 385-3042E-Mail: [email protected]

Mag. pharm. Margita EinfaltApotheke am ReumannplatzReumannplatz 16A-1100 WienTel.: +43 1 604 13 98E-Mail: [email protected]

OA. Dr. med. Thomas ElstnerNeuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche mit BehindertenzentrumNeurologisches Krankenhaus RosenhügelRiedelgasse 5A-1130 WienTel.: +43 1 880 00-361E-Mail: [email protected]

OÄ. Dr. med. Sabine Fiala-PreinsbergerAbteilung für Kinder- und JugendheilkundeThermenklinikum MödlingSr.M.Restituta-Gasse 12A-2340 MödlingTel.: +43 2236 204-814E-Mail: [email protected]

Dr. med. Inge FrechAbteilung für GeburtshilfeUniversitätsklinik für FrauenheilkundeAllgemeines Krankenhaus WienWähringer Gürtel 18–20A-1090 WienTel.: +43 1 40400-2821E-Mail: [email protected]

Univ.-Lektor Dr. med. Hans-Joachim FuchsPraxis für AllgemeinmedizinMarktgasse 62/1/3A-1090 WienTel.: +43 1 319 72 75E-Mail: [email protected]

Mitarbeiterverzeichnis

Dipl.-päd. Ralf GerlachInstitute zur Förderung qualitativerDrogenforschung, akzeptierenderDrogenarbeit und rationaler Drogenpolitik (INDRO e.V)Bremer Platz 18–20 D-48155 MünsterTel.: +49 251 601 23E-Mail: [email protected]

Dr. Christine GrünhutDöblinger Hauptstraße 21/15A-1190 WienTel.: +43 0 699 111 083 19E-Mail: [email protected]

Dr. Sabine HaasÖsterreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG)Stubenring 6A-1010 WienTel.: +43 1 515 61-160E-mail: [email protected]

Dr. med. Hans HaltmayerSozialmedizimsche Drogenberatungsstelle„Ganslwirt“Verein Wiener SozialprojekteEsterhazygasse 18A-1060 WienTel.: + 43 1 586 04 38-22E-Mail: [email protected]

OA Dr. med. Gabriele HastermannFachärztin für Allgemein-u.Gefäßchirurgie Abteilung für Allgemein-u.GefäßchirurgieKrankenanstalt RudolfstiftungJuchgasse 25A-1030 Wien Tel.: +43 664 422 65 62E-mail: [email protected]

Mag. pharm. Hans JakeszAdler ApothekeWähringer Straße 149A-1180 WienTel.: +43 1 479 33 20E-Mail: [email protected]

OA Dr. med. DEAA Wolfgang JakschAbteilung für Anästhesie und Intensivmedizin Wilhelminenspital Montleartstr. 37 A-1160 WienTel.: +43 1 491 50-4001E-Mail: mailto:[email protected]

MR Dr. med. Rolf JensPenzingerstraße 361140 WienTel.: 894 23 55Fax: 893 50 63 74E-Mail: [email protected]

Mag. pharm. DDr. Silvia Köhler-BartaVerdi-ApothekeLaxenburgerstraße 123–125A-1100 WienTel.: +43 1 604 12 44E-Mail: [email protected]

Dipl. Psych. Yvonne KörnerInterdisziplinäres Zentrum fürVerkehrswissenschaften an der UniversitätWürzburgRöntgenring 11D-97070 WürzburgTelefonnummer: +49 931 97099 41E-Mail:[email protected]

Univ.-Prof. Dr. Hans-Peter KrügerInterdisziplinäres Zentrum fürVerkehrswissenschaften an derUniversität WürzburgRöntgenring 11 D-97070 WürzburgTel.: +49 931 31 26 53E-Mail:[email protected]

Mag. Corinna ObristJustizanstalt Wien-FavoritenHardtmuthgasse 42A-1100 WienTel.: +43 1 60121-3405E-Mail: [email protected]

Dr. med. Susanne ReiterSozialmedizinische Drogenberatungsstelle„Ganslwirt“Verein Wiener SozialprojekteEsterhazygasse 18A-1060 WienTel.: + 43 1 586 04 38-22E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. DI Dr. Alois SariaAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstrasse 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504-3710E-Mail: [email protected]

MitarbeiterverzeichnisXII

Univ.-Prof. Dr. Rainer SchmidKlinisches Institut für Medizinische undChemische LabordiagnostikAllgemeines Krankenhaus WienWähringer Gürtel 18–20A-1090 WienTel.: +43 1 40 400-5398E-Mail: [email protected]

OA Dr. med. Brigitte Schmied2. Interne LungenabteilungPulmologisches ZentrumSozialmedizinisches Zentrum Baumgartner HöheOtto Wagner Spital mit PflegezentrumBaumgartner Höhe 1A-1140 WienTel.: +43 1 910 60-42 711E.Mail: [email protected]

Dipl. Psych. Eva SchnabelInterdisziplinäres Zentrum fürVerkehrswissenschaften an der UniversitätWürzburgRöntgenring 11 D-97070 WürzburgTel.: +49 931 31 24 89

Dr. Juliane SchneiderAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstraße 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504-3711

Univ.-Prof. Dr. med. Alfred SpringerLudwig Boltzmann Institut für SuchtforschungMackgasse 7–11A-1237 WienTel.: +43 1 888 25 33-112E-Mail: [email protected]

OA. Dr. med. Karl SteinbergerNeuropsychiatrische Abteilung für Kinder undJugendliche mit BehindertenzentrumNeurologisches Krankenhaus RosenhügelRiedelgasse 5A-1130 WienTel.: +43 1 880 00-328E-Mail: [email protected]

Dr. Petra StöcklAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstraße 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504-3711

Heino StöverInstitut zur Förderung qualitativerDrogenforschungAkzeptierender Drogenarbeit und rationalerDrogenpolitik (INDRO e.V)Bremer-Platz 18–20D-48155 MünsterTel.: +49 251 601 23E-Mail: [email protected]

Dr. Katja SturmAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstraße 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504

Priv.-Doz. Dr.med. Dr.phil. Dr.rer.pol. Felix Tretter Suchtabteilung im Bezirkskrankenhaus Haar Vockestraße 72D-85529 Haar / MünchenTel.: +49 89 45 623708E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr.med. Dr.phil. AmbrosUchtenhagenStiftung für Sucht- und Gesundheitsforschung(assoziiert mit der Universität Zürich)Konradstr. 32, CH-8005 ZürichTel.: +41 44 448 11 60E-Mail: [email protected]

Dr. Alfred UhlLudwig Boltzmann Institut für SuchtforschungMackgasse 7–11A-1237 WienTel.: +43 1 888 25 33-112E-Mail: [email protected]

Mag. pharm. Max WellanApothekerkammer WienSpitalgasse 31A-1090 WienTel.: +43 1 404 14-151E-Mail: [email protected]

Dr. Wolfgang WerdenichJustizanstalt Wien-FavoritenHardtmuthgasse 42A-1100 WienTel.: +43 1 60121-3508E-Mail: [email protected]

Mitarbeiterverzeichnis XIII

OA. Dr. med. Wolfgang WernerDrogeninstitut-Pavillon WSozialmedizinisches Zentrum BaumgartnerHöhe – Otto Wagner Spital mit PflegezentrumBaumgartner Höhe 1A-1140 WienTel.: +43 1 910 60-24 830E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Gerald ZernigAbteilung für NeurochemieUniversitätsklinik für PsychiatrieAnichstraße 35A-6020 InnsbruckTel.: +43 512 504-3711E-Mail: [email protected]

MitarbeiterverzeichnisXIV

I. Drogen und Ihre Wirkung

Die Begrifflichkeit „legal“ vs. „illegal“

Im gesellschaftspolitischen Diskurs um denGebrauch von psychoaktiven Substanzenhat es sich eingebürgert, von „legalen“ und„illegalen“ Drogen zu sprechen. Als „le-gal“ gelten Alkohol und Nikotin, die Kate-gorie „illegale Drogen“ umfasst alle Stoffe,die vom Suchtmittelgesetz erfasst sind undderen außermedizinischer Konsum zwarde lege nicht strafbar ist, die jedoch nur un-ter eingeschränkten Bedingungen herge-stellt und nicht frei verkauft bzw. sonst wie weitergegeben oder erworben werdendürfen. Eigentlich ist es falsch, in dieserForm von legalen und/oder illegalen Dro-gen zu sprechen. Diese Interpretation ent-spricht lediglich der Sicht des Konsumen-ten, der bestimmte psychoaktive Substan-zen zugänglich haben möchte, die unterdiese Kontrolle gestellt sind. Sie ist dahernur vom Standpunkt der „Freizeitgebrau-cher“ zu begreifen.

Die Substanzen selbst sind nicht „ille-gal“, sie alle genießen irgendeine Art le-galen Status. Ihr Gebrauch ist aber unterbesondere Kontrollmaßnahmen gestellt,die den Umgang mit ihnen unter bestimm-ten Umständen zum Delikt werden lassen.Das heißt, dass es stimmiger ist, zwischen„erlaubten“ und „verbotenen“ Drogen zudifferenzieren. Diese Terminologie ent-spricht der amerikanischen Klassifizierungin „licit and illicit drugs“. Allerdings wirdauch diese der komplizierten Sachlagenicht gerecht, deren Komplexität sich da-raus ergibt, dass psychoaktive Stoffe in ver-schiedenen gesellschaftlichen Kontexten

zum Einsatz kommen und der jeweils kontextabhängigen Kontrolle unterworfenwerden.

Die Verschränkung vonGebrauch und Kontrolle in anthropologischer SichtWir kennen keine Kulturen, von den ein-fachsten Naturvölkern bis zu Vertreternder höchstentwickelten Gesellschaften,von denen nicht der Gebrauch psychoak-tiver Stoffe überliefert wäre. Grundsätzlichkommen dem Umgang mit Drogen mehr-fache Bedeutungen und Funktionen zu, diein gewisser Weise miteinander verschränktsind. In allen Kulturen lässt sich dabei be-obachten, dass der Umgang mit psycho-aktiven Stoffen in drei gesellschaftlichenTeilbereichen abläuft:

– einem rituellen, religiös-„mantischen“,– dem medizinischen und– dem Bereich der Gestaltung der Freizeit

und der Genussmittel.

Der Gebrauch der Stoffe unterliegt in al-len Kulturen und auf allen zivilisatorischenNiveaus Regulierungen. Es wird vorge-schrieben, wie die Rohstoffe der Drogenaufgesucht und verarbeitet und die Sub-stanzen selbst zubereitet werden sollenund, schließlich, wie und in welchemKontext sie gebraucht werden dürfen. Aufdiese Weise tragen die Stoffe zur Struk-turierung hierarchischer gesellschaftlicherKonstruktionen bei. Ein weiterer Einflussauf die Gliederung der Gesellschaft ergibtsich aus dem Umgang mit Drogen insofern,

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle

Alfred Springer

als eine bestimmte Substanz oder Sub-stanzengruppe zur „Leitdroge“ bestimmtwird, die dann auch in AlltagsritualeEingang findet. Der Gebrauch der andernbekannten Stoffe wird auf den medizini-schen Bereich eingeschränkt, dem Über-greifen der Konsumation auf die Gestal-tung der Freizeit werden Regeln entge-gengestellt. Dadurch werden jene Perso-nen, die sich den Gebrauch dieser Stoffedennoch nicht verbieten lassen, zu Ab-weichlern und je nach den Prinzipien, nachdenen die jeweilige Kultur oder Gesell-schaft geordnet ist, sanktioniert.

Im 20. Jahrhundert entwickelte sich diezweite große drogenbezogene Krisensitua-tion der westlichen Zivilisation. Die erstefand im 16. und 17. Jahrhundert statt undbezog sich damals auf den Gebrauch vonAlkohol, Tabak und Kaffee. Es war in die-ser früheren Epoche dadurch zu einer star-ken Veränderung der Konsumsitten ge-kommen, dass erstmals Branntwein ingrößeren Mengen produziert und konsu-miert wurde und dass Tabak und Kaffeeaus der Neuen Welt und aus Arabien ein-geführt wurden. Die Kontroverse, die da-mals um die neuen Konsumsitten bezüg-lich der heute gebräuchlichen und „er-laubten“ Stoffe entstand, war mit äußersterHeftigkeit geführt worden, durchaus ver-gleichbar mit der heute ablaufenden dro-genpolitischen Diskussion (2).

Kultischer Gebrauch und religiöse KontrolleIn traditionellen Kulturen („Naturvöl-kern“) ist das Wissen um den Umgang mitDrogen dem Schamanen als dem Mittlermit den Reichen der Götter und Dämonenvorbehalten. In diesen Kulturen sind in der Gestalt des schamanistischen Systemsauch die religiösen und die medizinischenFunktionen des Drogengebrauches in einsgefasst. Die Stammesangehörigen erhaltennur zu bestimmten streng durchrituali-sierten Anlässen Zugang zum kollektiven festlichen Gebrauch dieser Drogen. Einederartige Strukturierung ist jedoch nicht

ausschließlich Naturvölkern vorbehalten.Reste einer vergleichbaren Einstellung fin-den sich wohl auch noch im katholischenWandlungsritual, in dem nur der Priesterdie Droge zu sich nimmt. Im kultischenKontext ergibt sich eine weitere Funktionder Stoffe: sie werden zu Medien der Sub-version. Sie finden sakramentalen Eingangin „periphere Kulte“ und können zumMotor kritisch-alternativer kultureller Ten-denzen uminterpretiert und umfunktio-niert werden. Die Vertreter der jeweiligenstaatlichen Ordnung und der Hochkirchenreagieren auf diese Möglichkeit recht sen-sibel und sind aus eben diesem Grundbemüht, den Drogengebrauch unter Kont-rolle zu halten und zu sanktionieren. Dro-gen, die in Rituale anderer Religionen ein-gebunden sind, bedrohen die einzigartigePosition der herrschenden Religion undmüssen ferngehalten werden. Dieses In-volvement der religiösen Ordnungsmächtelässt sich der Religionsgeschichte, insoweitsie eine Geschichte des Missionarismus ist,deutlich entnehmen. Besonders interes-sant ist in diesem Kontext die Historie derEroberung der Südamerikanischen Kultu-ren und der religiös motivierten Unterdrü-ckung des Kokagebrauches. Jedoch auchder Genuss von Hanfdrogen wurde bereitsim ausklingenden Mittelalter durch päpst-liche Order verboten.

Mit diesem Kontrollanspruch tragenaber auch die kirchlichen Ordnungsmäch-te wieder dazu bei, dass Drogengebrauchinnerhalb subversiver peripherer Kulte eine Funktion übernimmt. Dies lässt sichim europäischen Kulturkreis z.B. bereits in der Antike, etwa in den dionysischenMysteriumskulten der Frauen in Pompej,aufspüren. Sie erreicht eventuell einenfrühen Gipfel im Mittelalter in der Periodeder Hexen und reißt seither nicht ab. Sie findet sich in den Satanskulten desRokoko und des 19. Jahrhunderts ebensowie im „Magick“ Aleister Crowleys und in parapsychologischen und ästhetischenRitualen sowie gesellschaftspolitischen Be-wegungen bis in unsere Tage. In den peripheren Ritualen spielen zumeist hallu-zinogene Stoffe eine große Rolle. Bei den

A. Springer4

Hexen waren es die natürlich vorkommen-den Atropinkörper in den Nachtschatten-gewächsen; diese Tradition setzte sich imSatanismus fort. In den zwanziger Jahrenfand das Mescalin Eingang in die Zirkel derGeheimen Wissenschaften. In den 60er-Jahren wurde das LSD diesen Drogen zu-geordnet. Allerdings scheiterte der ameri-kanische Psychologe und Propagator derDrogenkultur der 60er-Jahre, TimothyLeary, in seinem Versuch, einen quasi le-galen LSD-Kult, analog zum sakramental-legalisierten Peyote-Gebrauch in der„Nativ American Church“, zu etablieren.Auch die Anregung, im Gefolge AldousHuxleys, Mescalin, LSD und ähnlicheDrogen innerhalb der christlichen Liturgiezwecks der Provokation mystischer Zu-stände zum Einsatz zu bringen, stieß aufwenig Gegenliebe. In den Ritualen der„Magick“ von Aleister Crowley fandenauch Kokain und Heroin Verwendung (2, 3).

Medizinischer Gebrauch undmedizinische KontrolleIn traditionellen Kulturen ist der Pries-ter/Schamane gleichzeitig Arzt. Dadurchkommt ihm automatisch die Verfügungs-gewalt über den heilenden Einsatz derDrogen zu. Mit dem Fortschritt des Zivili-sationsprozesses wird die Festschreibungder medizinischen Kompetenz in zuneh-mendem Maß zu einem Instrument derKontrolle des Freizeitgebrauches der Dro-gen.

Der Gebrauch der Substanzen soll aufden therapeutischen Bereich beschränktbleiben. Idealtypisch repräsentiert sichdieser Kontrollmechanismus in den For-mulierungen der internationalen Kontroll-verträge. Wird Substanzen die medizini-sche Brauchbarkeit aberkannt, dann kannihr Gebrauch in jedem Kontext verbotenund kriminalisiert werden. Das bekannteSchicksal des Heroin und der Hanfdrogenkann diesen Zustand deutlich illustrieren.

Die meisten psychoaktiven Stoffe, auchjene, deren Gebrauch heute aufgrund in-

ternationaler Regeln und Vertragswerkeals obsolet gilt und/oder verboten ist, waren bis vor nicht allzu langer Zeit im europäischen Kulturkreis gebräuchlicheArzneimittel. Zum Teil kann die Heilkunstauch heute nicht auf sie verzichten. Schonin der Antike wurden Zubereitungen ausdem Mohnsaft und aus der Hanfpflanzemedizinisch verwendet. Das Opium spielteeine große Rolle im medizinischen Systemvon Galen (131–201 nach Christi Geburt)und fand in der Folge weite Verbreitung imAbend- und Morgenland. Das Morphin alsdas wirksamste Alkaloid des Opium wurdeam Beginn des 19. Jahrhunderts von demdeutschen Apotheker Sertürner entdeckt.Auch später wurden in Deutschland wirksame Opiumderivate und synthetischemorphinähnliche Stoffe entwickelt. Soauch das Diazetylmorphin (Heroin) 1898durch Dreser für die Firma Bayer und dasPolamidon in der Zeit des 2. Weltkrieges.Die Opium- und Morphiumpräparate sindauch heute noch unverzichtbare Mittel beibestimmten schweren Schmerzzuständen,bei Durchfallerkrankungen und bei schwe-rem Husten.

Während der medizinische Stellenwertder Opiumabkömmlinge unumstritten ist,wurde im 20. Jahrhundert in der offiziellenLiteratur über Rausch- und Suchtmittel diemedizinische Bedeutung der Hanfdrogenheruntergespielt bzw. überhaupt keinerErwähnung würdig befunden. Hinweiseauf die medizinische Verwendung desCannabis finden sich jedoch in der Euro-päischen Kulturgeschichte bereits im Mit-telalter, im „Gargantua und Pantagruel“des Arztes und Schriftstellers Rabelais. Im19. Jahrhundert, nachdem das Wissen überdie verschiedenen Rauschmittel als Folgeder Berichte der großen Reisenden jenerZeit und des Kolonialismus ungemein zu-genommen hatte, wurden an vielen Ortenmedizinische Experimente mit den Hanf-drogen durchgeführt. Der indischen Medi-zin ließen sich Zuschreibungen an dieWirkung dieser Stoffe entnehmen, die ansWunderbare grenzten. Haschisch sollte beiPest, Tetanus und Cholera wirksam sein.Englische Ärzte verbreiteten diese Ein-

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 5

schätzung in Europa. Wien nahm in dieserZeit in der pharmakologischen Forschungeine führende Rolle ein. Auch hier wurdentherapeutische Experimente mit Cannabisdurchgeführt. Die Substanz wurde klinischerprobt und zum Beispiel in die Gynäkolo-gie eingeführt. In der Geburtshilfe wurdedie Droge als Ersatz für Opium verwendet.Diese Indikation ergab sich vor allem da-raus, dass im Gegensatz zu Opium dasCannabis nicht zu Verstopfung führt. DieKrankheits- und Leidenszustände, in de-nen im 19. Jahrhundert Hanfdrogen alsArzneimittel zum Einsatz gebracht wur-den, umfassten spastische Erscheinun-gen, Migräne und andere Formen desKopfschmerzes, andere Schmerzzustände,Menstruationsbeschwerden und Zyklus-unregelmäßigkeiten, Schlafstörungen undErregungszustände. Später wurde auch eine antiepileptische Wirksamkeit desCannabis beschrieben. Heute ist das wirk-same Alkaloid Tetrahydrocannabinol alssynthetische Droge im Handel und wird alsAntiemetikum vor allem als Begleitbe-handlung bei Nebeneffekten zytostati-scher Therapie verordnet. In letzter Zeitwird die medizinische Brauchbarkeit derDroge in der Schmerzmedizin, der Neuro-logie und der Ophthalmologie erneut dis-kutiert und man geht daran, die Wirk-samkeit nunmehr auch in klinischen Un-tersuchungen unter Einsatz korrekter For-schungsmethoden zu überprüfen.

Die Blätter des Kokastrauches selbst,Zubereitungen aus ihnen und dadurch dasAlkaloid Kokain sind bis heute wesenhaftmit der Volksmedizin der Andenländerverbunden. Die Beobachtung, dass eine di-rekte Beziehung zwischen dem Kauen vonKoka-Blättern und der Anpassung an dieLebensverhältnisse in großen Höhen be-steht, die von Humboldt, Tschudi, Poeppigund anderen großen Reisenden des 19.Jahrhunderts beschrieben wurde, führte zueinem großen Interesse an der medizini-schen Anwendung der Koka. In Wien be-fasste man sich im PharmakologischenInstitut unter Schroff, an das entsprechen-des Material von der Weltumsegelung der„Novara“ gesandt wurde, mit der Substanz

und hier gehörte Sigmund Freud zu den ersten, die sowohl das Wissen um dieseDroge verbreiteten sowie selbst Experi-mente mit ihr durchführten.

Die Koka galt zunächst als Wun-dermittel, dem vor allem eine ungeheureSteigerung der Leistungsfähigkeit zuge-schrieben wurde. Neben dem bekanntenMarianischen Wein gab es weitere alko-holische Kräftigungsmittel ähnlicher Zu-sammensetzung sowie auch kokainisierteMilch („Cocalac“) und Produkte wie dasCoca Cola, das ursprünglich in jenen ame-rikanischen Bundesstaaten, in denen be-reits im späten 19. Jahrhundert Alkohol-prohibition eingeführt wurde, als Alko-holersatz angeboten wurde. In den erstenJahren des 20. Jahrhunderts wurde dasGetränk dann „entkokainisiert“. Von Me-dizinern wurde Kokain als Kräftigungs-mittel, aber auch als Entzugshilfe beiAlkoholismus und Morphinismus empfoh-len.

Ebenfalls in Wien gelang Koller derNachweis der lokalanästhetischen Wir-kung des Kokains; diese Entdeckung si-cherte der Substanz ihren hohen Rang im Arzneimittelschatz. Obwohl sie heutedurch andere Substanzen mit ähnlich lo-kalanästhetischer Wirkung bei geringeremNebenwirkungspotential verdrängt ist,gibt es immer noch Anwendungsbereiche,in denen das Kokain unvergleichlich bes-ser wirkt und in denen dementsprechenddie Nebeneffekte in Kauf genommen wer-den müssen. Dies betrifft vor allem Ope-rationen im Augenbereich.

Das Kokain ist auch keineswegs ausdem Arzneimittelschatz verschwunden. In manchen Ländern beträgt auch heutenoch der Jahresbedarf der Substanz vieleKilogramm. Es gibt hier erstaunliche regio-nale Schwankungen. Zu den Ländern, dieregelmäßig einen hohen Jahresbedarf anKokain anmelden, zählen die USA, Groß-britannien, Belgien, die Niederlande undRussland, aber auch Finnland, Bulgarienund die Schweiz (siehe die entsprechen-den Berichte des Drogenkontrollbüros derUNO).

A. Springer6

Psychoaktive Stoffe und die Psychiatrie

Einen wesentlichen Bezug zu psychoakti-ven Stoffen hat die psychiatrische For-schung und Praxis.

Bereits in der Mitte des 19. Jahrhundertsexperimentierte neben anderen der fran-zösische Psychiater Moreau le Tour mitHaschisch. Er versuchte sowohl mittels kli-nischer Experimente hinter das Wesen derGeisteskrankheit zu kommen, wie auchmittels der Hanfdrogen bestimmte Formender Geisteskrankheit zur Heilung zu brin-gen. Er führte seine Experimente einerseitsmit Patienten andererseits aber auch im„Klub der Haschischraucher“ mit Freun-den, Mitarbeitern, Intellektuellen undKünstlern durch. Die Ergebnisse, zu denener kam, veröffentlichte er 1845 in einerMonographie (4), die als die erste psycho-pharmakologische Arbeit gelten kann:„Über Haschisch und die Geisteskrank-heit“. In dieser Monographie wird auchzum ersten Mal die Phänomenologie desHaschischrausches in der wissenschaftli-chen Literatur zur Darstellung gebracht.Charles Baudelaires berühmte Ausführun-gen über die „künstlichen Paradiese“ sindnicht unwesentlich von diesen frühen kli-nischen Beobachtungen beeinflusst. DieUntersuchungen von Moreau Le Tour undseinen Zeitgenossen stehen am Anfang derBemühungen, die Geisteskrankheiten mit-tels Modellpsychosen zu beforschen. Can-nabis wurde mit dieser Intention in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhun-derts weiter benützt. Bei entsprechendenExperimenten in München wirkten späterso prominente Intellektuelle wie ErnstBloch und Walter Benjamin (5) als Ver-suchspersonen mit. Noch 1958 führte einsüdafrikanischer Autor eine „klinische undmetabolische Studie über akute Cannabis-vergiftung und deren Rolle in der Modell-psychose“ durch.

Daneben wurde auch versucht, die Wir-kung der Hanfdrogen für die Behandlungvon Geisteskrankheiten nutzbar zu ma-chen. Moreau Le Tour hatte empfohlen, dieeuphorisierende Wirkung des Haschischgegen Verstimmungen von depressivem

Charakter einzusetzen und seine Auffas-sung mittels Falldarstellungen belegt. Erfand teils Zustimmung, teils stieß er aufWiderspruch. Schroff in Wien, der in Kon-takt mit Le Tour stand, warnte vor der qua-si psychopharmakologischen Anwendungder Droge, da er sie in ihrer Wirkung zu un-sicher fand. Auch in dem ebenfalls in Wienerschienenen „Lehrbuch der Arzneimittel-lehre“ von Bernatzik und Vogel aus demJahr 1891 (6) wird festgestellt, dass sich„der indische Hanf für die Behandlung vonNeurosen und Psychopathien nicht ein-zubürgern vermocht hat.“ Interessant ist jedoch, dass sowohl eine standardisierteCannabinollösung als auch ein Kombina-tionspräparat, zusammengesetzt aus Can-nabinol und einem Barbiturat (Luminal)noch 1931 mit der Indikation „Behandlungder Dementia präcox“ mit dem Produkt-namen „Canual“ in den Arzneimittelschatzaufgenommen wurde.

Sowohl hinsichtlich der Forschung zurModellpsychose wie auch hinsichtlich derEntwicklung der medikamentösen Be-handlung von Geisteskranken wandte sichdas Forschungsinteresse jedoch im 20.Jahrhundert weitgehend von den Hanf-drogen ab und anderen halluzinogenenStoffen zu. Zunächst wurde mit Mescalinexperimentiert, das ebenfalls bereits im 19. Jahrhundert durch Lewin der wissen-schaftlichen Bearbeitung erschlossen wor-den war. Erste umfassende Untersuchun-gen mit dieser Droge wurden in Heidelbergvon Beringer durchgeführt (7). Nach derzufälligen Entdeckung des LSD 25 durchAlbert Hofmann im Jahr 1943 (8) wurde be-vorzugt mit dieser neuen Substanz experi-mentiert. Versuche mit LSD 25 fanden invielen Kliniken und Forschungszentren inEuropa und in den USA statt. Auch LSD 25wurde, wie vorher das Haschisch, in derPsychiatrie nicht nur zu Forschungszwe-cken benutzt, sondern auch in die Be-handlung eingebracht. Es wurden sowohlschwere klinische Krankheitsbilder behan-delt, z.B. Autismus bei Kindern (9), wieauch mittels bereits in den 50er-Jahren entwickelter durch Pharmazeutika ge-stützter psychotherapeutischer Techniken

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 7

alle denkbaren Formen von Entwicklungs-und Charakterstörungen und Neurosen(10, 11). Diese rege Tätigkeit fand ein ab-ruptes Ende als 1966 Sandoz, die Herstel-lerfirma, sowohl des LSD 25 wie auch desPsilocybin, die Abgabe dieser Stoffe aus-setze und 1967 der Einsatz von halluzino-genen Stoffen unter strenge Kontrolle ge-stellt wurde. Dennoch kommt es immerwieder zu Bestrebungen im wissenschaftli-chen Milieu, diese Tradition wieder aufzu-greifen.

Das Schicksal des LSD illustriert ein ge-nerelles Problem. Es scheint im Allgemei-nen nicht zu gelingen, psychoaktive Stoffeim experimentellen oder therapeutischenRaum zu behalten. Früher oder später ge-langen sie in die Populärkultur. Dann wer-den Kontrollmechanismen in Gang gesetzt,die auch auf die klinische Verwendung restriktiv rückwirken.

„Freizeitgebrauch“ – das Konzeptder „recreational drugs“Bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhundertsblieb in Europa die Gruppe derer, die le-bensstilgebundenen Rausch- und Sucht-mittelkonsum über den Konsum von Al-kohol, Tabak und Kaffee hinaus betrieben,in ihrer Struktur relativ unverändert undzahlenmäßig überschaubar, wenn es auchin bestimmten Perioden zu einer wellen-förmigen Zunahme des Morphium- (10er-Jahre) und Kokaingebrauches (20er-Jahre)kam. Schon in den 10er- und 20er-Jah-ren hatten Beobachter dieser Szene ihreInhabitanten folgendermaßen beschrie-ben: „Man raucht in der Welt der Intellek-tuellen, der Schriftsteller, der Studenten,des Theaters, der Konzerte, der Artisten,der Ateliers und der Müßiggänger, vor al-lem aber in der Halbwelt ... Zusammen-gefasst, die Frauen, als Maitressen oder alsLiebende, verführen auch zur Leidenschaftdes Opiumrauchens.“ (12 bezüglich desOpiumkonsums). Ganz ähnlich stellte H.W.Maier in seiner 1926 (13) erschienenenMonographie zum Kokainismus die Klien-tel des Kokains dar. Zu diesem Personen-

kreis kamen noch nach den beiden Welt-kriegen jene Fälle, die während des Krie-ges mit Morphium behandelt worden wa-ren und eine überdauernde Sucht ent-wickelt hatten und eine bestimmte Anzahlvon Ärzten und anderen Angehörigen derHeil- und Pflegeberufe, die ihren relativleichten Zugang zu den Stoffen ausnütztenund so in eine Abhängigkeit gerieten.

In der ersten Zeit nach dem ZweitenWeltkrieg blieb diese epidemiologischeVerteilung im Wesentlichen unverändert.In den bohemistischen Zentren wurdenDrogen gebraucht, so etwa im „Existen-zialistenmilieu“ oder im Jazzmilieu, es gab die Kriegsmorphinisten und das Ab-hängigkeitsproblem der medizinischenBerufe. Insgesamt wurde im EuropäischenRaum angenommen, dass auch noch nachdem 2. Weltkrieg rund 80% aller Abhän-gigen ihr Leiden aufgrund unsachgemäßeroder leichtsinniger ärztlicher Verordnungerworben hatten. Eine gewisse Verände-rung ergab sich lediglich in der Art derSubstanzen; nach dem Zweiten Weltkriegspielte nämlich, wenn man der medizi-nischen Fachliteratur trauen kann, dasMorphium im außermedizinischen Ge-brauch nur mehr eine untergeordnete Rol-le, während zunehmend die gegen Endedes Zweiten Weltkriegs entwickelten syn-thetischen Analgetika Heptadon und Pe-thidin missbraucht wurden. Beachtung vonSeiten der internationalen (Kontroll-)Be-hörden fand dieses Phänomen zuerst in denfrühen 50er-Jahren. Es wurde als neuesProblem geortet, das erneut die Verant-wortlichkeit des Ärztestandes hinsichtlichder Entwicklung des Suchtproblems insZentrum rückte (14, 15).

Kokain war in der Zeit nach dem Zwei-ten Weltkrieg kaum zu bekommen undwurde durch die ebenfalls während desKrieges aktuell gewordenen Amphetami-ne ersetzt.

Eine tiefgreifende und folgenschwereÄnderung hinsichtlich der gesellschaft-lichen Gebrauchsmuster ergab sich dannin den 60er-Jahren. Ganz allgemein stiegan der Wende der 50er- zu den 60er-Jah-ren in Europa der Gebrauch psychoaktiver

A. Springer8

Stoffe stark an. Es wurde vermehrt Alkoholgetrunken, die neu entwickelten Tranqui-lizer fanden Eingang in die außermedizi-nischen Gebrauchsmuster, in der Psychiat-rie erwachte, wie vorhin ausgeführt, erneutdas Interesse am Drogenexperiment undstieg die Neigung, sich der Wirkung psy-choaktiver Stoffe als Heilmittel zu bedie-nen, generell stark an.

Im außermedizinischen Feld beganndas Konzept des Drogengebrauches alsKomponente eines hedonistisch motivier-ten Lebensstils (Playboy-Philosophie) inder Mittelschicht Verbreitung zu finden.Dadurch wurde der Kreis der Personen, diepsychoaktive Substanzen als „Freizeit-drogen“ einsetzten, über die früher be-schriebenen Drogenszenen hinaus unge-mein erweitert.

Im Kontext dieser allgemeinen Drogen-euphorie, der weitverbreiteten Tendenzsich „mittels der Chemie ein besseres, zumindest angenehmeres Leben zu ver-schaffen“, kam es im europäischen Westenzu einer starken Zunahme der Jugendli-chen und jungen Erwachsenen innerhalbder drogengebrauchenden Population – offenkundig als Ausdruck separatistischerTendenzen innerhalb der damals neuen so-zialen Struktur der „jugendlichen Teilkul-tur“ oder „Teenagerkultur“ – und damit zurAnlage der Entwicklung jener Struktur derDrogenszene, wie wir sie heute kennen.

Über die hedonistische Motivation hi-naus wurde dem Drogengebrauch in denspäten 60er- und frühen 70er-Jahren des20. Jahrhunderts, zusätzlich wie früher zurZeit der Romantik und des Surrealismus,erneut subversive politische Relevanz zu-geschrieben.

Der Umstand, dass intellektuelle Sub-kulturen, wie z.B. die holländischen „Pro-vos“, ihren Widerstand nicht mehr aus-schließlich in symbolischer Form durch ihre Werke zum Ausdruck brachten, son-dern konkret in das tagespolitische Ge-schehen einzugreifen versuchten, und dieneue „sakramentale“ Bedeutung, die derDrogengebrauch in diesem Kontext ge-wann, lösten in der Gemeinschaft Unsi-cherheit, Angst und den Ruf nach ver-

schärfter Kontrolle aus. Diese gesellschaft-liche Reaktion wurde noch dadurch ver-stärkt, dass naturgemäß der völlig unkon-trollierte und naive Umgang mit stark wirk-samen Halluzinogenen dazu führte, dassein deutlich merkbarer Anteil der zumeistjungen Drogengebraucher averse Reaktio-nen erlebte und psychiatrischer Hilfe be-durfte. Diese neuen Entwicklungen ver-schleierten die Erkenntnis des Umstandes,dass daneben auch in den 60er-Jahren dieEntwicklung des Drogengebrauches denbereits vertrauten Mustern folgte.

Die retrospektive Betrachtung zeigt,dass im Drogengebrauch der kleinste ge-meinsame Nenner alter (z.B. der traditio-nellen Boheme) und bestimmter Anteileneuer ästhetischer Teilkulturen (z.B. Ju-gendkultur) zu liegen scheint. Diese Ge-meinsamkeit zeigt sich auch darin, dass dieästhetischen Produkte in engen Kontextzum Umgang mit psychoaktiven Stoffengerückt werden und Protagonisten desPop-Milieus sowohl zu Helden der Jugend-kultur wie auch der Drogenkultur werdenkönnen.

Kontrolle des Freizeitverhaltens

Seit in der Mitte des 19. Jahrhunderts derGebrauch verschiedener psychoaktiverSubstanzen in der westlichen Kultur mehrund mehr Verbreitung fand, bestehen zu-nehmende Tendenzen, diese Sitte einzu-schränken. Zum Teil sind diese Tendenzensicherlich ebenfalls von der Abwehr des„Fremden“ motiviert. Archaische religiöseVorurteile und säkulare, zuweilen wissen-schaftlich verbrämte Argumente habensich vermischt und sind schließlich, ver-bunden mit ökonomischen Interessen, inden aktuellen „Krieg gegen Drogen“ ge-mündet. Kulturhistoriker späterer Zeitenwerden vielleicht in der Drogenkontrolleein entscheidendes Charakteristikum des20. Jahrhunderts erkennen.

Nachdem in verschiedenen Ländern bereits im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert verschiedene Kontrollmecha-nismen in Gang gesetzt worden waren,

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 9

wurde innerhalb der Völkergemeinschaftdie Internationalisierung der Kontrollmaß-nahmen zu einem zentralen Anliegen.

Die Internationale Kontrolle richtetesich zunächst gegen das Opium. Das ersteentsprechende Vertragswerk war das Ab-kommen von Schanghai, 1909. 1911 wurdein Den Haag die Kontrolle des Opium-anbaus und -gebrauches entschieden.Nach der Konstituierung des Völkerbun-des im Jahre 1920 wurden von diesem dieentsprechenden Agenden übernommen.Als erster Schritt wurde ein Beirat fürFragen bezüglich Opium und anderer Dro-gen eingerichtet.

1925 kam es zum ersten Übereinkom-men von Genf. Es wurde nunmehr ein per-manentes zentrales Kontrollbüro einge-richtet. Coca und Cannabis wurden in dieListe der zu kontrollierenden Stoffe aufge-nommen. Die Unterzeichner verpflichtetensich den Vertrag umzusetzen.

Ein zweites Übereinkommen wurde1931 getroffen. Dabei wurde striktereKontrolle verfügt. Alle Unterzeichnerlän-der wurden verpflichtet, ihren Bedarf anden kontrollierten Substanzen im Vor-hinein abzuschätzen. Die Produktion sollteden Bedarf decken, aber möglichst nichtüberschreiten. Dem Heroin gegenüberwurde die strengste Kontrolle verfügt: Alleillegalen Ex- und Importe sollten sofort ver-nichtet oder sonst unwirksam gemachtwerden. Insgesamt wurde angeordnet,dass alle Schritte, vom Anbau der Pflanzebis zur Verwendung des Produktes über-wacht werden sollten.

1961 wurde dann innerhalb der Funk-tion der Vereinten Nationen als Nachfolge-organisation des Völkerbundes die EinzigeSuchtgiftkonvention beschlossen. In ihrwurden die Kontrollbestimmungen desZweiten Abkommens von 1931 bekräftigt.Als neue Aufgabe imponierte die Bekämp-fung des Gebrauches in den Ursprungs-ländern. Der legale Status der Substanzenwurde neu definiert. Als Suchtgifte defi-niert sind alle Zubereitungsformen derHanfdrogen (Cannabis, Cannabisharz/Ha-schisch, Marihuana, Ganja etc.), Mohn-stroh (z.B. Kapseln des Schlafmohns),

Opium, Morphium und alle halb- oder ganzsynthetischen Abkömmlinge und Agonis-ten des Morphins (z.B.: Heroin, Fentanyl,Methadon, Dolantin etc.), Kokablätter undKokain, Heroin und Cannabis wurden er-neut als Substanzen ohne medizinischeBedeutung klassifiziert, in den Anhang IVgereiht und damit den strengsten Kontroll-bestimmungen unterworfen.

1971 wurde in Wien die Konventionüber psychotrope Substanzen beschlossen.Sie stellt eine Ergänzung der EinzigenSuchtgiftkonvention dar. Die Kontrollewurde auf eine Vielzahl psychoaktiverSubstanzgruppen ausgedehnt. Damit trugdie internationale Kontrolle der veränder-ten Epidemiologie des Rauschmittelkon-sums Rechnung. Als psychotrope Stoffe de-finiert sind jene Stoffe, die ohne Suchtgifteim Sinne der Einzigen Suchtgiftkonvention1961 zu sein, die Fähigkeit besitzen, einenZustand der Abhängigkeit und eine An-regung oder Dämpfung des Zentralner-vensystems, die zu Halluzinationen oderStörungen der motorischen Funktionen,des Denkens, des Verhaltens, der Wahr-nehmung oder der Stimmung führt, her-vorzurufen und die aufgrund dieser Wir-kungen missbräuchlich verwendet wer-den. Die Substanzen, die dieser Definitionentsprechend den Kontrollbestimmungender Psychotropen-Übereinkunft aus demJahr 1971 unterworfen sind, werden in denAnhängen I–IV dieser Konvention aufge-listet. Im Wesentlichen handelt es sich umdie Stoffgruppen der Halluzinogene, derzentralen Stimulanzien vom Amphetamin-typ sowie um Tranquilizer (insbesondereBenzodiazepine), Sedativa und Hypnotika.

1988 wurde das bislang letzte interna-tionale Kontrollabkommen, die „Conven-tion against Illicit Trafficking in NarcoticDrugs and Psychotropic Substances“ – wie-der in Wien – verabschiedet. Es verfügt eine scharfe Kontrolle gegenüber dem illegalen Handel und der Folgekriminalitätund der Geldwäsche und brachte eine Erweiterung der Befugnisse der kontrollie-renden Strukturen und Organe mit sich.

Das neue Abkommen schließt auch dieKontrolle von Vorläuferstoffen ein. Darun-

A. Springer10

ter verstehen wir Substanzen, die Schlüs-selfunktionen in der unerlaubten Herstel-lung und damit auch für das Inverkehr-bringen von Suchtgiften oder psychotro-pen Stoffen haben. Als Beispiele könnender Essigsäureanhydrid für die Herstellungdes Heroin aus Morphium, oder Ephedrinals Basissubstanz für die Herstellung vonAmphetaminen gelten. Als Vorläuferstoffegelten auch Zubereitungen dieser Stoffe,außer wenn sie in Form von Arzneimittelnoder in einer Zubereitung auf den Marktgebracht werden, aus der sie nur schwer zulösen sind. Auch die Vorläuferstoffe wer-den auf einer Liste erfasst, die jeweils ak-tualisiert wird. Derzeit sind folgende Substanzen aufgeführt: Ephedrin, Ergome-trin, Ergotamin, Lysergsäure, 1-phenyl-2-propanon, Pseudoephedrin, N-acetyl-anthranilsäure, 3,4-methylendioxyphenyl-propan-2-on, Isosafrol (cis und trans), Pipe-ronal, Safrol, Essigsäureanhydrid, Anthra-nilsäure, Phenylessigsäure, Piperidin, Ace-ton, Äthyläther, Methyläthylketon, Toluol,Kaliumpermanganat, Schwefelsäure undSalzsäure sowie – ausgenommen die Salzeder Schwefel- und der Salzsäure – die Salzedieser Stoffe, soweit ihr Bestehen möglichist.

Die Kontrolle der Vorläufersubstanzengewann neues Gewicht durch die neueBedeutung synthetischer Drogen in denSzenen der Jugendkultur und den damitverbundenen Problemen.

Die Problematik der synthetischen Dro-gen hat auch zu einer neuen Form der internationalen Kontrollbemühungen ge-führt: dem „Early warning system“. In diesem System werden Substanzen, dieneu auf dem Markt sind, rasch erfasst, zent-ral gemeldet und einer Überprüfung zu-geführt, die eine Bewertung der medizini-schen Brauchbarkeit der Substanz und desKonsumrisikos einschließt. Diese Überprü-fung obliegt der Drogenüberwachungsbe-hörde in Lissabon, die auf Basis der ent-sprechenden Ergebnisse Kontrollvorschlä-ge entwickelt.

Drogen in der Kultur –Drogenkultur

Der Gebrauch der Drogen, seine Wirkun-gen und Auswirkungen, sind in der Weltder kulturellen Produkte repräsentiert. So-wohl in inhaltlicher Hinsicht, wie auch hin-sichtlich bestimmter theoretischer Diskur-se. Dass sich unter schöpferischen Men-schen Drogengebraucher befinden, unddass sich dieses Verhalten in ihrer Produk-tion niederschlägt, wurde erstmals in derromantischen Periode deutlich. In jenerZeit war neben Alkohol Opium das Rausch-gift, dessen Gebrauch in der frühen Bo-hème größte Bedeutung zukam. Durchsehr verschiedenartige Vertreter der ro-mantischen und spätromantischen Schule – Gautier, Nerval, Dumas und Baudelai-re – wurde der Gebrauch von Hanfdrogenan die Öffentlichkeit gebracht und dadurchdas Spektrum der innerhalb der Bohemegebräuchlichen Drogen um das Haschischerweitert. In der Epoche der Dekadenz tratschließlich noch der Äther hinzu (z.B. JeanLorrain; Guy de Maupassant). Dabei mussberücksichtigt werden, dass sicher in einerReihe der bekannten Fälle die Drogen auchärztlich verordnet wurden (Baudelaire,Poe, Coleridge, de Quincey ...). Weiterssind diese Träger berühmter Namen ledig-lich als exemplarische Drogenkonsumen-ten anzusehen. Es ist nicht anzunehmen,dass der Umgang mit den Giften sich aufdie Gruppe kreativer Persönlichkeiten be-schränkte. Wir verfügen jedoch über keinausreichend gesichertes dokumentari-sches Material über die tatsächliche Ver-breitung, die der außermedizinische Ge-brauch von Hanf- und Mohndrogen im spä-ten 19. Jahrhundert gefunden hat. Eins istjedoch sicher: Haschisch war nicht nur inden bohemistischen Kreisen thematisiert,sondern auch in populären Zeitschriften, inKolportagegeschichten und in populärwis-senschaftlichen Darstellungen. Über dieepidemieartige Verbreitung, die kurzfristigder Äthergebrauch in bestimmten engli-schen Regionen gefunden hatte, liegenhingegen gut dokumentierte wissenschaft-liche Untersuchungen vor.

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 11

Zu Opium, Cannabis und Äther trat imletzten Drittel des 19. Jahrhunderts nochder Gebrauch des Kokain bzw. Koka-häl-tiger Zubereitungen hinzu. Im Gefolgeschwärmerischer Aufsätze über die Wir-kungen der Kokapflanze von Seiten aner-kannter und repräsentativer Autoren, wiez.B. des italienischen Mediziners und An-thropologen Paolo Mantegazza, scheintdas Kauen von Kokablättern in bestimmteneuropäischen Regionen als Genussmittelkurzfristig Verbreitung gefunden zu ha-ben. Mehr Bedeutung gewannen koka-bzw. kokainhältige Zubereitungen auf derBasis von Weinen oder von Milch. Am be-kanntesten wurde ein Kokawein, den derPariser Apotheker Mariani herstellte. Denvon diesem Produzenten veröffentlichtenJahrbüchern lässt sich entnehmen, wie il-lustre der Kundenkreis dieses Produkts be-schaffen war.

Um die Zeit des Ersten Weltkrieges undin der Zwischenkriegszeit nahm dann of-fenkundig in Europa der Gebrauch vonHaschisch in allen Bevölkerungsgruppenab, während es zur Zunahme des Kokain-gebrauches kam. In den künstlerischenGruppierungen des Expressionismus, desDadaismus und des Surrealismus und desGrand Jeu fanden auch weiterhin Drogen-experimente in Verfolgung der Traditiondes 19. Jahrhunderts statt (16). In dieserZeit kam es dann auch dazu, dass promi-nente Angehörige dieser künstlerischen Be-wegungen süchtig wurden, an ihrer Suchtlitten oder auch an ihr zugrunde gingen. Sointeressant die biographischen Zusam-menhänge aus anekdotischen Gründenauch sein mögen, ist es für die sozialhisto-rische und anthropologische Interpretationallerdings nicht von vordringlichem Inte-resse aufzudecken, ob und welche Perso-nen jemals Zugang zu Drogen hatten.Wichtig ist es vielmehr, ob diese individu-ellen oder kollektiven Gebrauchsritualeihren Niederschlag in inhaltlicher oder for-maler Hinsicht gefunden haben und ob da-mit der Drogengebrauch zu einem Inhaltinnerhalb des kulturellen Themenkatalo-ges und zu einem Mitgestalter unseressinnlichen Erlebensraums werden konnte.

Diese Frage ist eindeutig zu bejahen. Vieleder erwähnten Schriftsteller, Dichter undbildenden Künstler stellten ihren Drogen-gebrauch in der ihnen eigenen Technik dar und boten lebhafte Schilderungen derjeweiligen drogengebrauchenden Grup-pierungen. Insofern haben die illegalenRauschmittel bereits traditionell ihren fes-ten Platz in unserer kulturellen Produktionund Symbolwelt.

Und insofern bedurfte es nicht der ge-waltigen Zunahme dieser Repräsentanz inder zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umzu erkennen, dass auch in der europäi-schen Kultur nicht nur eine Droge ihrenNiederschlag gefunden hat. Heute ist dieAnzahl der Lieder und der Texte in denendas Drogenthema offen oder manieristisch-verschlüsselt behandelt wird, nicht mehrzu überschauen (17). Mehr als dreitausendSpielfilme befassen sich zentral oder mar-ginal mit dem Drogenthema (18, 19). Fern-sehserien können auf diesen Inhalt eben-falls nicht mehr verzichten. In den Biogra-fien der Pop-Stars wird offen über ihre Dro-gengewohnheiten berichtet. Umso skurri-ler wirkt es, wenn im Kontext der Drogen-prävention immer noch behauptet wird, alle andern psychoaktiven Substanzen alsder Alkohol seien „kulturfremd.“ Das ak-tuelle Ausmaß des Gebrauches einer Dro-ge sagt nichts darüber aus, ob sie einen kul-turellen Inhalt repräsentiert oder nicht.Auch das Amerika der Alkohol-Prohibi-tionszeit gehörte noch der Alkoholkulturan. Die Prohibition war lediglich eine be-stimmte Gestalt des kulturellen Umgangesmit der Substanz. Die aktuelle Prohibitiondes Gebrauches anderer Stoffe ist nicht an-ders zu bewerten. Andererseits stellt diekulturelle Immanenz beziehungsweise Repräsentanz einer Droge einen vielleichtwesentlichen unterschwelligen Motiva-tionshintergrund dafür dar, dass es nochniemals gelungen zu sein scheint, ein Ge-brauchsverbot völlig durchzusetzen.

Zur kulturellen Immanenz der Drogengehören auch jene mannigfaltigen Ver-suche, positive Auswirkungen kontrollier-ter Drogenexperimente für den außer-medizinischen Bereich zu erarbeiten. Zu

A. Springer12

ihnen sind vorrangig Bemühungen zu zäh-len, die Bedeutung des Drogengebrauchesfür den kreativen Prozess zu erarbeiten(16). Diese reichen zurück in die Romantik.In dieser frühen Zeit wurden die entspre-chenden Versuche über Ästhetik undPoetik von den Künstlern selbst verfasst.Sie waren dementsprechend auch zumeistSelbstreflexionen nach stattgehabten Dro-genexperimenten. Diese Tradition lebt bisin die Mitte des 20. Jahrhundert fort. DieFragestellung verblieb jedoch nicht aus-schließlich in den Händen der selbst KunstSchaffenden, sondern wurde von For-schern aus den Bereichen Psychopatholo-gie, Psychopharmakologie und -physiolo-gie sowie Psychologie und Tiefenpsycholo-gie aufgegriffen, wobei die entsprechen-den Bemühungen ebenfalls durch dieEntdeckung des LSD 25 gefördert wurden.Die letzten theoretisch intendierten Expe-rimente dieser Art fanden denn auch in denspäten 60er- und den 70er-Jahren unterdem Eindruck der Möglichkeiten, die LSDund andere Halluzinogene zu eröffnenschienen und wohl auch der psychedeli-schen Kunst, statt (20). Von wissenschaftli-cher Seite wird als Ergebnis dieser Unter-suchungen ein direkt positiver Einfluss derverschiedenen Drogen auf den schöpferi-schen Prozess im Allgemeinen negiert, wo-bei zu sagen ist, dass auch die Aussagender Künstler selbst zu diesem Zusammen-hang wesentlich kritischer geworden sindals sie es noch in den zwanziger Jahren wa-ren und sie heute generell eher an diefrühen, ebenfalls äußerst kritischen, Aus-führungen Baudelaires anschließen.

Der drogenpolitische Diskurs

Die Auseinandersetzung um den Drogen-gebrauch findet zwischen zwei verschie-denen Interpretationen der Auswirkungendieser Sitte auf den menschlichen Organis-mus und Geist statt. Auf der einen Seite be-finden sich die Befürworter des Gebrau-ches: sie meinen, dass die Effekte derDrogen grundsätzlich neutral zu bewertensind und dass Drogen eventuell auch dem

individuellen Potenzial förderlich sein kön-nen. Von eventuellen schädlichen Auswir-kungen des Konsums werden nach diesemVerständnis nur solche Personen betroffen,die eine individuelle oder soziale Prädis-position dafür aufweisen. Diese Interpre-tation entspricht im Großen und Ganzen je-ner, die im 19. Jahrhundert in Europa undmit Einschränkungen auch in den USA do-minierte und im Zeitraum von den mittle-ren 50er- bis zu den mittleren 70er-Jahrendes 20. Jahrhunderts im Kontext der Entwicklung neuer wirksamer psychoak-tiver Stoffe – wenn auch in abgeschwäch-ter Form und mit veränderten kulturellenBesetzungen – wieder in Erscheinung trat.Sie ist charakteristisch für Gesellschaftenmit hoher Toleranz gegenüber dem Dro-gengebrauch. Auf der andern Seite befin-den sich jene Institutionen und Personen,von denen die Auffassung vertreten wird,dass Drogengebrauch auf jeden Fall die individuellen Fähigkeiten und Entwick-lungsmöglichkeiten beeinträchtige unddie Gemeinschaft schädige. Für die Vertre-ter dieser Einstellung repräsentieren nega-tive Auswirkungen des Drogengebrauchesdie Regel und nicht die Ausnahme; dasRisiko gilt ihnen als unabhängig von einerbesonderen individuellen Vulnerabilität.Dieser Interpretationsmodus ist charakte-ristisch für prohibitive Kulturen. Er domi-niert derzeit, wobei seine Kristallisations-orte in verschiedenen Regionen der Völ-kergemeinschaft und in verschiedenenMotivationen zu finden sind. Er steuert, dadie Kontrolle des Gebrauches psychoakti-ver Stoffe zu einem vorrangigen Anliegender Organe dieser Völkergemeinschaft ge-worden ist, den aktuellen „Krieg gegenDrogen“. Beiden Einstellungen ist gemein-sam, dass sie ahistorisch sind und die rea-len Risken des Drogengebrauches verzer-ren. Die permissive Einstellung ist oftmalsnaiv, sie übersieht eventuell die durchausvorhandenen und bekannten Risken undüblen Effekte, die von der prohibitionisti-schen Einstellung zwar erkannt, aber dra-matisiert und übertrieben werden. DieseArt der Auseinandersetzung verhindert es,dass eine vernünftige und realisierbare

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 13

Drogenpolitik verwirklicht wird. Diese be-klagenswerte Situation hat viele Ursachen.Sie ist eine Folge davon, dass einerseits diePerioden verschiedener Zugänge und In-terpretationen zeitlich gerade so weit aus-einander liegen, dass es nicht ausreichendviele einflussreiche Persönlichkeiten gibt,die über eine genügende Erinnerung andie verflossene Periode verfügen und da-her die aktuell ablaufende Diskussiondurch das Einbringen ihres als „Zeitzeu-gen“ erworbenen Wissens kompetent rela-tivieren könnten und dass andererseits dieDiskussionen mit derartigem Eifer und wil-der Wut angstbestimmt geführt werden,dass jeweils die Erinnerung an andereFormen der Problemlösung entweder ausdem Gedächtnis der Öffentlichkeit ver-bannt oder zumindest so verzerrt oder ver-leumdet wird, dass sie für die inhaltlicheAuseinandersetzung an Wert verliert. Dazukommt dann noch, dass Informationen undBewertungen aus den verschiedenstenKulturkreisen mit äußerst differentem his-torischem Erfahrungshintergrund hinsicht-lich des Umganges mit spezifischen psy-choaktiven Stoffen so behandelt werden,als ob sie allgemein gültig wären. Geradedaran wird dann deutlich, dass eine Dro-genpolitik, die global ausgerichtet ist unddabei die anthropologische und kultur-historische Dimension des Drogengebrau-ches unberücksichtigt lässt, einen wesent-lichen Realitätsbezug verfehlt und wahr-scheinlich immer wieder zum Scheiternverurteilt ist.

Das Problem der „Überschussrepression“Sigmund Freud ortete als einen wesentli-chen Grund für das „Unbehagen in derKultur“, dass der Einzelne regelmäßig inKonflikt mit den Normen- und Regelsys-temen seiner Kultur kommen müsse. DieRepräsentanten der kulturimmanentenKontrolle könnten zu einem Abbau dieserSpannung dadurch beitragen, dass die Forderungen an den Einzelnen, die das Zusammenleben ermöglichen sollen, auf

einem verträglichen Niveau gehalten wer-den. Viel Leid entstehe durch unnötige zu-mindest dysfunktionale Unterdrückung.Herbert Marcuse sprach in diesem Sinnvon „Überschussrepression“.

Im Kontext der Drogenkontrolle impo-niert die durch die Einzige Suchtgiftkon-vention festgeschriebene legale Positiondes Heroin und des Cannabis als ein Stück„Überschusskontrolle“. Und wie so oft bei überschießenden Reaktionen, bewirktdieser Kontrollanspruch kontraproduktiveVerhältnisse. Erst dadurch, dass diesenSubstanzen jegliche medizinische Brauch-barkeit abgesprochen wurde, wurde derRaum für gesellschaftspolitische Überle-gungen über den Umgang mit den Stoffenermöglicht. Sie wurden der medizinischenKontrolle entzogen und damit in ein Kon-trollvakuum gestoßen. Da sie als medizi-nisch wertlose Stoffe nur mehr außerme-dizinisch gebraucht werden konnten, wur-de um sie ein Diskurs entwickelt, der auffragwürdigen Positionen aufbaut. Grund-sätzlich bestand und besteht kein logischerGrund dafür, Substanzen, deren medizi-nischer Gebrauch tradiert ist, aus demArzneimittelschatz auszugliedern. Solangesie in diesem geführt werden, gelten fürihren Gebrauch die Regeln der medizini-schen Kontrolle, die logisch begründbarund auch weitgehend anerkannt sind.Dementsprechend besteht z.B. keine all-gemeine „Legalisierungsdebatte“ um denGebrauch der Opiate oder um den Ge-brauch der Tranquilizer. Wenn von „Lega-lisierung“ gesprochen wird, geht es um dieFestschreibung eines außermedizinischenStatus von Heroin und Cannabis als „Frei-zeitdrogen“ bzw. als Genussmittel. Darauswird klar, dass die Absprengung desHeroin von seiner helfenden, medizinischnützlichen Funktion, die die Grundlage der verschärften Kontrolle repräsentiert,gleichzeitig den Ausgangspunkt dafür dar-stellt, dass ein paradoxer gesellschaftspoli-tischer Zustand gefordert wird, in dem dasHeroin geringeren Kontrollen unterliegtals alle anderen Opiate, die den Regeln dermedizinische Kontrolle unterworfen sind.

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei

A. Springer14

den Hanfdrogen, wenn auch bei diesenSubstanzen der Genussmittelaspekt so-wohl hinsichtlich der pharmakologischenWirkung wie auch hinsichtlich des Ge-brauchs traditionell stärker ausgeprägt ist.Das heißt jedoch mit anderen Worten, dassdas neu erwachte Interesse an der medizi-nischen Brauchbarkeit der Hanfdrogennichts am gesellschaftspolitischen Diskursändern würde. Wenn Cannabis wieder alsmedizinisch brauchbar erkannt und neuklassifiziert wird (der Weg, der 2001 vonGroßbritannien eingeschlagen wurde), be-deutet das nicht gleichzeitig das Ende desgesellschaftspolitischen Diskurses und derLegalisierungsdebatte. Cannabis ist danneine medizinisch kontrollierte Substanzund steht dem Freizeit- und Lebensstilge-bundenen Gebrauch ebenso wenig zurVerfügung wie andere Arzneimittel. Wieschon oben ausgeführt, bezieht sich dieLegalisierungsforderung auf den außerme-dizinischen Gebrauch. Die weite Verbrei-tung, die Cannabis als Freizeitdroge imwestlichen Kulturkreis in den letzten Jahr-zehnten gefunden hat, lässt annehmen,dass durch die Positionierung des Canna-bis als Arzneimittel die Bedürfnisse der ak-tuellen Cannabiskonsumenten nicht be-friedigt werden, an deren Situation sichgrundsätzlich nichts ändert. Sie werdenweiter als Missbraucher gelten, wenn-gleich auch die Sanktionen, die der zweck-entfremdete Gebrauch eines Arzneimittelsnach sich zieht, wohl nicht das aktuell be-stehende Ausmaß erreichen dürften, dasauf der Hanfprohibition gründet, die zu-sätzliche Repression einschließt.

Für den medizinischen Umgang mit denSubstanzen allerdings wäre die Umrei-hung in den Anhängen der Einzigen Sucht-giftkonvention bzw. die ersatzlose Strei-chung des Anhangs 4, wünschenswert,wenn nicht sogar eine grundsätzliche Vo-raussetzung.

Literatur

1. Austin G (1982) Die europäische Drogen-krise des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Völ-ger G, von Welck K (1982) Rausch undRealität. Reinbek

2. Crowley A (1922) Diary of a Drug Fiend.London.

3. King G (1973) The Secret Ritual of the O.T.O.New York

4. Moreau Le Tour J (1845) Sur l’Hashish oul’alienation mentale. Paris

5. Benjamin W (1972) Über Haschisch. Frank-furt

6. Bernatzik W, Vogl AE (1891) Lehrbuch derArzneimittellehre, 2.Aufl, Wien

7. Beringer K (1927) Der Mescalinrausch. Ber-lin

8. Hofmann A (1979) LSD – Mein Sorgenkind.Stuttgart

9. Simmons JQ, St. J. Leiken OI, Lovaas B,Schaeffer, Perloff B (1966) Modification ofAutistic Behavior with LSD 25. Am JPsychiat 122 (11): 1201–1211

10. Leuner H (1962) Die experimentelle Psycho-se. Berlin

11. Caldwell WV (1969) LSD-Psychotherapy.New York

12. Gamel R (1912) Chiqueurs, Mangeurs,Buveurs et Fumeurs d’Opium. Montpellier

13. Maier HW (1926) Der Kokainismus. Leipzig14. Lalanne P (1953) Les stupefiants synthe-

tiques. Cahiers Laennec Jg 13, No 215. Wolff PO (1949) Les derives de la Pethidine

et de la Metadone. 2–207 a 219, Nr. 13.Bulletin der WHO

16. Springer A, Reflexionen zur Anthropologieund Kulturgeschichte der psychoaktivenStoffe

17. Springer A (1975) Jugendkultur, Rockmusikund Drogenmissbrauch. Öst Inst f Jugend-kunde. report nr. 5, Wien

18. Starks M (1983) Cocaine Fiends and ReeferMadness. New York

19. Springer A (1982) Drogenfilme und Anti-drogenfilme I/II. Wr Z f Suchtforschg 5 (3):23–31, 5 (4): 35–52

20. Hartmann HP (1971) Malerei aus Bereichendes Unbewussten. Merck Index 1931, Stutt-gart

Drogenkulturen: Konsum und Kontrolle 15

Die Opiate zählen in der Öffentlichkeitspätestens seit den 1960er-Jahren als diewichtigsten illegalen Drogen hinsichtlichdes Problemkonsums und die Opiat- bzw.Heroinabhängigkeit als „Prototyp“ derDrogenabhängigkeit. Das „moderne Dro-genproblem“ begann in Österreich Mitteder 1960er-Jahre, als vor allem jungeMenschen anfingen, Haschisch, rauscher-zeugende Medikamente, LSD und baldauch Opium zu konsumieren. 1970 wurdeder harte Kern auf schätzungsweise 10.000Drogenkonsumierende geschätzt, von de-nen die Mehrzahl auf Cannabis undHalluzinogene beschränkt war und Opiumund betäubende Medikamente ablehnte.Daneben existierte eher abgegrenzt eine„Fixerszene“ von geschätzten 500 Opiat-süchtigen. Im Laufe der 1970er-Jahre kames zu einem laufenden Anstieg der Drogen-konsumierenden. Anfang der 1980er-Jahregab es bereits 5000 polizeibekannte He-roinkonsumierende, wobei die tatsächlicheZahl unter Einbezug der Dunkelziffer auf8000 bis 10.000 geschätzt wurde (1). Mittebis Ende der 1990er-Jahre wurde die Zahlder Personen mit problematischem Opiat-konsum auf rund 15.000 bis 20.000 Per-sonen geschätzt (2). Aktuelle Schätzungenkommen zum Schluss, dass heute einePrävalenzrate von 20.000 bis maximal30.000 Personen mit problematischemOpiatkonsum für Gesamtösterreich plau-sibel ist (3).

Diese quantitative Entwicklung relati-viert sich aber, wenn sie in Bezug zu quali-tativen Veränderungen gesetzt wird. InÖsterreich ist seit längerem unter den Personen mit problematischem Drogenge-

brauch der polytoxikomane Konsum (wo-runter Mehrfach- sowie Mischkonsum1 ge-fasst wird) vorherrschend, der sich beiDrogenabhängigen häufiger als der Kon-sum nur einer Substanz findet. Währendaber in früheren Jahrzehnten der Schwer-punkt dabei eindeutig auf den Opiaten lag,die häufig mit Alkohol und/oder Medika-menten gemischt wurden, ist seit mehrerenJahren eine Verbreiterung des Substanz-spektrums und ein Trend zum Konsum vonaufputschenden Substanzen (insbesonde-re von Kokain) zu verzeichnen. Die Gründedafür dürften in der besseren Verfügbar-keit und im gesunkenen Preis von Sub-stanzen wie Kokain oder Amphetaminenliegen.

Der Trend zu aufputschenden Substan-zen schlägt sich aber nicht in einer Ablösevon Opiaten sondern in einer qualitativ sin-kenden Bedeutung der Opiate nieder. Dasheißt zum einen, dass Opiate weiterhinkonsumiert werden – auch wenn sie ihredominante Rolle im Rahmen des polytoxi-komanen Konsums zunehmend verlieren.Es bedeutet andererseits aber auch, dass in die Schätzungen zum problematischenOpiatkonsum zunehmend nicht vorrangigreine Opiatkonsumierende eingehen, son-dern generell Problemkonsumierende mit

1 Unter dem Begriff „Mehrfachkonsum“ ver-steht man den Gebrauch mehrerer Substanzen,die entweder abwechselnd oder gleichzeitigkonsumiert werden. Der (mehr oder weniger)zeitgleiche Gebrauch unterschiedlicher Sub-stanzen wird auch als „Mischkonsum“ bezeich-net.

Opiate aus heutiger Sicht

Sabine Haas

polytoxikomanen Konsummustern erfasstwerden.

Eine entsprechende Entwicklung istauch auf europäischer Ebene zu verzeich-nen. „In der Vergangenheit bedeutete prob-lematischer Drogenkonsum in vielen Län-dern vor allem Konsum von Heroin, inzwi-schen nehmen jedoch der polyvalente Dro-genkonsum und der Konsum von Stimulan-tien immer mehr zu.“ (4). Entsprechendgibt es Hinweise, dass der Heroinkonsumin vielen Ländern relativ konstant ist unddie Inzidenz (das heißt neue Fälle von He-roinkonsum) im Vergleich zu den 1990er-Jahren eher sinkt. Dies trifft allerdingsnicht auf jene Länder und Regionen – wiebeispielsweise die neuen EU-Mitglieds-länder – zu, die in der Vergangenheit einegeringe Prävalenz von Opiatkonsum undOpiatabhängigkeit hatten und derzeit oftnoch eine Zunahme verzeichnen. In den„alten“ EU-Mitgliedsländern gibt es hin-gegen teilweise deutliche Trends weg vonOpiaten. So ist in Spanien die Zahl der ge-schätzten problematischen Opiatkonsu-mierenden zurückgegangen, parallel aberein Anstieg von kokainbedingten Drogen-problemen zu beobachten. Deutschlandund Niederlande berichten wiederum voneiner steigenden Zahl von Crack-Kokain-konsumierenden unter den problema-tischen Konsumentinnen und Konsumen-ten (4).

Im letzten Jahrzehnt stechen in Öster-reich – bei gleichbleibend hohem Niveaudes polytoxikomanen Konsums – vor allemdie oben bereits ausgeführten Veränderun-gen in Hinblick auf die bevorzugtenSubstanzen ins Auge. Zunächst hat Kokainnicht zuletzt auf Grund des PreisverfallsEingang in die Straßendrogenszene gefun-den, wo es zum Teil injiziert und oft zu-sammen mit Heroin („Speedballs“) konsu-miert wird. Zum anderen steigt auch dieRelevanz von Amphetaminen – vor allembei jüngeren Konsumierenden. Daten ausverschiedenen Studien sowie Einrichtun-gen der Drogenhilfe belegen diese Ent-wicklung.

Eine zweite interessante Entwicklungim Zusammenhang mit Opiatabhängigkeit

sind Veränderungen hinsichtlich der Artder konsumierten Opioide. Während lan-ger Zeit war in der Drogenszene Opiat-abhängigkeit in hohem Ausmaß als He-roinabhängigkeit charakterisiert. Dies hatsich in den letzten Jahren in Folge einer hohen Verfügbarkeit von Morphin amSchwarzmarkt stark gewandelt. Es handeltsich dabei häufig um retardiertes Morphin,das im Rahmen der Substitutions- und/oder Schmerztherapie zum Einsatz kommt.Es wurde immer wieder aus einzelnenösterreichischen Regionen berichtet, dasssich deutlich weniger Heroin am Markt fin-det und von den (Opiat-)Abhängigen vor-rangig Morphin konsumiert wird. Aller-dings ist dies keine kontinuierliche Ent-wicklung, da zuletzt auch wieder von einerverstärkten Verfügbarkeit von Heroin be-richtet wurde. Es scheint sich hierbei um eine komplexe Wechselwirkung von Dro-genangebot und Szenepräferenzen zuhandeln, die einem laufenden Wandel un-terworfen ist.

Aus anderen europäischen Ländern gibtes wenig Informationen zu Veränderungenhinsichtlich der Art der konsumiertenOpiate. Es wurde aber aus einigen Län-dern, wie z.B. der Tschechischen Republik,Großbritannien und Finnland über dieVerfügbarkeit von Buprenorphin – einemebenfalls in der SubstitutionsbehandlungVerwendung findenden Opiat – berichtet(4). Auch Hinweise über die missbräuchli-che Verwendung von Methadon gibt es be-reits seit vielen Jahren und aktuell bei-spielweise aus Dänemark und Norwegen.Dies bestätigt die These, dass die Frage desAngebots und der Verfügbarkeit einewichtige Rolle spielt. Retardiertes Morphinwar bisher nur in Österreich in breiteremEinsatz in der Suchttherapie, während inanderen Ländern die Substitutionsbe-handlung oft ausschließlich mit Methadonbzw. mit Buprenorphin erfolgt. Die verfüg-baren Daten und Informationen deutendarauf hin, dass trotz Kontrollmaßnahmeneine Verfügbarkeit dieser für den medizi-nischen Einsatz vorgesehenen Substanzenam illegalen Markt nicht ausgeschlossenwerden kann. Entsprechend gibt es eine

S. Haas18

gewisse Wechselwirkung zwischen thera-peutischem Angebot und missbräuchlicherVerwendung von Substanzen.

Der Konsum von Opiaten und vor allemvon Heroin wurde lange mit dem Bild des„Junkies“, der an der Spritze hängt, asso-ziiert. Tatsächlich wurden über lange Jahrevor allem Opiate intravenös konsumiert. ImZuge der Verbreiterung des Substanz-spektrums trifft dies aber zunehmend auchfür andere Substanzen zu, wobei auchbeim intravenösen Konsum oft mehrereSubstanzen gemischt werden. Dies be-stätigt sich in einer in Zusammenarbeitzwischen der Sozialmedizinischen Dro-genberatungsstelle „Ganslwirt“ und demKlinischen Institut für Medizinische undChemische Labordiagnostik der Univer-sität Wien durchgeführten Studie zurReinheit der konsumierten Substanzen. Beieiner Analyse der Rückstände in 753 ge-tauschten Spritzen wurden in den meistenProben vielfältige Kombinationen unter-schiedlicher Substanzen – ebenso wie vie-le Verunreinigungen und unerwünschteBeimengungen – festgestellt. Heroin warbeispielsweise zu 58 Prozent mit Kokain, zu52 Prozent mit Koffein, zu 41 Prozent mitNoscapin, zu 40 Prozent mit Papaverin, zu32 Prozent mit Codein und zu 18 Prozentmit Noscapin und Papaverin vermischt (5).

In den letzten Jahren gab es immer wie-der Hinweise, dass sich in manchen Be-reichen auch nicht intravenöse Einnahme-formen von Opiaten etablieren. So berich-tete der Verein Wiener Sozialprojekte (6)dass sich in Wien in einer lokalen Szene dassonst eher unübliche Folienrauchen (vonHeroin sowie Speedballs) etabliert habe.Auch der IFES-Bericht über das Jahr 2003liefert interessante Ergebnisse zur Art desKonsums (7). Insgesamt liegen für das Jahr2003 Informationen von 981 Personen vor.42 Prozent dieser Personen geben an, eineoder mehrere Drogen in den letzten 30Tagen vor Betreuungsbeginn intravenöskonsumiert zu haben. Überraschend ist,dass als häufigste Applikationsform vonHeroin „nasal“ genannt wird (47 % der 451Personen mit Heroinkonsum in den letzten30 Tagen vor Betreuungsbeginn). Intrave-

nösen Heroinkonsum geben 42 Prozent an,Heroin zu rauchen zehn Prozent und oraleHeroineinnahme ein Prozent. Hier wärenweitere Analysen notwendig, um zu eru-ieren, ob der nasale Konsum in erster Linieals Einstieg in den Heroingebrauch dientund später ein Umstieg auf intravenöseApplikation erfolgt, oder ob es Personengibt, die Heroin ausschließlich sniffen. BeiKokain (n = 349) liegt der Anteil der Per-sonen mit intravenösem Konsum mit 57Prozent vor jenem der nasalen Applikation(40%).

Trotz der oben ausgeführten Verbreite-rung des Substanzspektrums und desTrends zu aufputschenden Substanzensind die Opiate vor allem hinsichtlich dergesundheitlichen Folgen des Drogenkon-sums noch immer von besonderer Rele-vanz. Dies gilt insbesondere für Überdosie-rungen und suchtgiftbezogene Todesfälle.Die entsprechende Zahl stieg von 1989 (47Fälle) bis 1996 (195 Fälle) stark an. Seitdemschwankt sie zwischen 117 (1998) und 167(2000) Fällen, wobei sie zuletzt (2003) bei163 Todesfällen lag. In den letzten Jahrenzeigte sich ein starkes Überwiegen derMischintoxikationen unter Beteiligung vonOpiaten (2003: 71% aller Intoxikationen).Zählt man jene Intoxikationen, die aus-schließlich auf Opiate zurückzuführen wa-ren (25% aller Intoxikationen) hinzu, sowaren im Jahr 2003 bei 96 Prozent aller di-rekt suchtgiftbezogenen Todesfälle Opiatebeteiligt (8).

Der Anteil der Mischintoxikationen un-ter Beteiligung von Opiaten bei den direktan den Folgen des Drogenkonsums ver-storbenen Personen ist über die Jahre an-gestiegen und hat sich nun auf sehr hohemNiveau stabilisiert (1991 37%, 2003 71%).Auch Alkohol und psychoaktive Medika-mente sind häufig beteiligt. Eine Analyseder 163 Intoxikationen im Jahr 2003 nachden beteiligten Substanzen zeigt, dass bei39 Prozent ausschließlich illegale Drogen(allein oder in Kombination) festgestelltwurden. Zusätzlich zu illegalen Drogenwurden in 18 Prozent der Fälle auch Alko-hol, in 30 Prozent der Fälle auch psychoak-tive Medikamente und in 12 Prozent beides

Opiate aus heutiger Sicht 19

– sowohl Alkohol als auch psychoaktiveMedikamente – nachgewiesen. Kokainwurde bei 30 Prozent der Fälle nachgewie-sen (2000: 29%, 2001: 25%, 2002: 35%), eshandelt sich jedoch nur in drei Fällen umeine reine Kokainintoxikation (8). Die Ana-lyse der Todesfälle bestätigt damit zumeinen die Dominanz von polytoxikomanenKonsummustern, zeigt aber auch die großeRelevanz der Opiate in Hinblick auf dieMortalität.

Dies steht im Einklang mit den Daten inanderen europäischen Ländern. „Bei denmeisten ,drogenbedingten‘ Todesfällen, dieauf illegale, in der EU gemeldete Substan-zen zurückzuführen sind, spielen Opiateeine Rolle, obwohl in zahlreichen Fällenauch andere Substanzen bei der toxi-kologischen Untersuchung nachgewiesenwurden. Weiters wurde erhoben, dass dieMortalität unter Opiatkonsumierenden biszu zwanzig Mal höher ist als die in der glei-chen Altersgruppe der Allgemeinbevölke-rung.

Interessant in Bezug auf die Epidemio-logie der Drogen- bzw. Opiatabhängigkeitsind auch Daten zum Geschlechts- undAltersgefüge. Frauen sind unter den prob-lematisch Konsumierenden unterpropor-tional vertreten. Ihr Anteil sinkt vor allemmit steigendem Alter und Schweregrad der Drogenproblematik. Beim problemati-schen Konsum ist im Jugendalter dasGeschlechterverhältnis noch ausgegli-chen, mit zunehmendem Alter überwiegtder Anteil der Männer. Unter den sucht-giftbezogenen Todesfällen finden sich nurmehr 15 bis 20 Prozent Frauen, wobei esauch hier in den jüngsten Altersgruppeneinen weit höheren Frauenteil gibt. Dieseallgemeinen Aussagen treffen auch spezi-fisch für die Opiatabhängigkeit zu, da sicheine vergleichbare Altersstruktur ebensobei den in Substitutionsbehandlung be-findlichen Klientinnen und Klienten findet.

Bezüglich des Alters wurde im letztenJahrzehnt über einen steigenden Anteilvon älteren Drogenabhängigen in der eta-blierten Drogenszene berichtet. So ist derAnteil der über 30-jährigen Klientinnenund Klienten der Wiener niederschwelli-

gen Einrichtung „Ganslwirt“ im Laufe deszehnjährigen Bestehens von 28 Prozent(1991) auf 60 Prozent (2000) gestiegen (9). Der Wiener SpitalsverbindungsdienstCONTACT betreut immer mehr ältereDrogenabhängige und sieht diese Gruppeweiter im Steigen begriffen. In Niederös-terreich (NÖ) ist die Inanspruchnahme derBeratungsstellen durch ältere Drogenkon-sumenten gestiegen. Auch das Alter derDrogenopfer ist über die Jahre gestiegen.Während 1991 das Durchschnittsalter derdirekt an den Folgen des Drogenkonsumsverstorbenen Personen bei 27,7 Jahren lag,betrug der Altersmittelwert dieser Gruppeim Jahr 2001 31,3 Jahre, im Jahr 2003 sanker allerdings wieder auf 29,5 Jahre. Auchhier ist anzunehmen, dass diese Entwick-lung auch spezifisch für Opiatabhängigebzw. für polytoxikomane Konsumentinnenund Konsumenten mit Opiatkonsum zu-trifft.

Zusammenfassend kann festgehaltenwerden, dass die Opiate in Österreich tra-ditionell eine große Bedeutung im Zu-sammenhang mit problematischem Kon-sum und Drogenabhängigkeit haben. Diesgilt auch weiterhin, allerdings haben sie imZuge der Verbreiterung des Substanz-spektrums und der steigenden Relevanzvon aufputschenden Substanzen ihre do-minante Rolle verloren. Innerhalb derOpiate wurde Heroin als „Leitsubstanz“ inden letzten Jahren um andere Opiate – vorallem Morphin – ergänzt bzw. zumindestteilweise ersetzt. Diese Entwicklung unter-liegt aber einem stetigen Wandel. Bezüg-lich der gesundheitlichen Folgen und da-bei insbesondere der Überdosierungenund Todesfälle sind die Opiate weiterhinvon großer Bedeutung, da sie an fast allentödlich verlaufenden Intoxikationen betei-ligt sind. Die Opiate sollten daher trotz deraktuellen Trends, die das Augenmerk ver-stärkt auf andere Substanz(gruppen) len-ken, keinesfalls vernachlässigt werden. Esist aber wichtig, die starke Verbreitung vonpolytoxikomanen Gebrauchsmustern zuberücksichtigen und daher die Opiatab-hängigkeit in eine umfassende Sichtweiseeinzubetten.

S. Haas20