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Eigenartige Gesichtshalluzinationen in einem Falle von akuter Trinkerpsychose. Von Professor Dr. Josef Berze (Wien). (Eingegangen am 7. Mdirz 1923.) Der Fall, fiber den im folgenden berichtet wird, gehSrt zu jenen Misehformen yon Delirium und akuter Halluzinose der Trinker, die im HShestadium dam ersteren, in dem zur Genesung ffihrenden Sta- dium dagegen der letzteren ni~herstehen und yon dan Autoren bald auf die eine, bald auf die andere Seite gerechnet werden. Aus diesem Grunde wurde im Titel die ffir beide Formen passende Bezeichnung ,,akute Trinkerpsychose" gew~hlt. Bemerkenswert erscheint mir der Fall auger wegen eines in vielen Punkten interessanten Eigenberichtes des intelli- genten Kranken wegen eigenartiger Gesichtshalluzinationen. Gerade fiber diese Halluzinationen ist freilich in dem erwghnten Eigenberichte nicht viel enthalten, doch vermochte der Kranke seine Angaben nach- tri~glich auf Befragen in einer ffir die Beurteilung des Symptomes be- langvollen Weise zu erg~nzen. Th. S., geb. 1870, Professor (englische Spraehe) an einer hOheren Sehule. Ist seit 10--12 Jahren dem Alkoholgenusse in solchem MaBe ergeben, daB yon seinem reichliehen Einkommen nicht einmal das h75tigste ftir seine Familie iibrig- bleibt und seine Gattin genOtigt ist, sieh und ihre Kinder dureh ihrer H~nde Arbeit zu erhalten. Seit etwa 11/2 Jahren lebt er yon seiner Familie getrennt. Seither f~llt er seinen Kollegen dureh h/~ufige Verstimmungszust~nde, zunehmende Zer- streutheit und ,,Nervositi~t" auf. Die letztere ging schlieBlich so welt, dab er seinen Berufspflichten kaum mehr naehkommen konnte. -- Fiir die Annahme einer greifbaren psyehisehen Konstitutionsaaomalie ergibt die Anamnese keinen Anhaltspunkt. In der Naeht vom 17. zum 18. IX. 1922 begann er lebhaft zu halluzinieren (vgl. den Eigenbericht des Kranken). Fiel am Abend des 18. IX. einem Waeh- manne durch sein sonderbares Benehmen auf und wurde yon ibm daher der Unter- suchung zugefiihrt. Beim Examen (durch den Polizeiarzt) zeigte er sich hochgradig erregt, aber orientiert, gab geordnet an, daB er aus Gewohnheit starke alkoholische Getr/~nke zu sich nehme, in der letzten Zeit aber nicht mehr so viel vertrage wie friiher, immerhin jedoch noeh 6--7 Viertelliter Wein t/~glich zu sieh nehme. Seit heute naehts werden ihm durch Geister die Stimmen seiner Frau und seiner Siihne ,,iibermittelt". Er hSre von diesen Stimmen Warnungen, dab sein Schwager ibm naeh dem Leben trachte, dail seine Familie Selbstmord begehen wolle usw., wo- dureh er sehr ge~ngstigt sei.

Eigenartige gesiehtshalluzinationen in einem falle von akuter trinkerpsychose

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Eigenartige Gesichtshalluzinationen in einem Falle von akuter Trinkerpsychose.

Von Professor Dr. Josef Berze (Wien).

(Eingegangen am 7. Mdirz 1923.)

Der Fal l , f iber den im folgenden be r ich te t wird, gehSrt zu jenen Misehformen yon De l i r ium und a k u t e r Hal luz inose de r Tr inker , die im HShes t ad ium dam ersteren, in dem zur Genesung ff ihrenden Sta- d ium dagegen der l e tz te ren ni~herstehen und yon dan A u to re n ba ld auf die eine, ba ld auf die andere Seite gerechnet werden. Aus d iesem Grunde wurde im Ti te l d ie ffir be ide F o r m e n passende Bezeichnung , ,akute Tr inkerpsychose" gew~hlt . Bemerkenswer t e rsche in t mi r de r Fa l l auger wegen eines in v ie len P u n k t e n in te ressan ten Eigenber ich tes des intel l i -

gen ten K r a n k e n wegen e igenar t iger Ges ichtshal luz ina t ionen. Gerade fiber diese Ha l luz ina t ionen i s t frei l ich in dem erwghnten Eigenber ich te n ich t viel en tha l ten , doch ve rmoch te der K r a n k e seine Angaben nach- tri~glich auf Bef ragen in einer ffir die Beur te i lung des S y m p t o m e s be- langvol len Weise zu erg~nzen.

Th. S., geb. 1870, Professor (englische Spraehe) an einer hOheren Sehule. Ist seit 10--12 Jahren dem Alkoholgenusse in solchem MaBe ergeben, daB yon seinem reichliehen Einkommen nicht einmal das h75tigste ftir seine Familie iibrig- bleibt und seine Gattin genOtigt ist, sieh und ihre Kinder dureh ihrer H~nde Arbeit zu erhalten. Seit etwa 11/2 Jahren lebt er yon seiner Familie getrennt. Seither f~llt er seinen Kollegen dureh h/~ufige Verstimmungszust~nde, zunehmende Zer- streutheit und ,,Nervositi~t" auf. Die letztere ging schlieBlich so welt, dab er seinen Berufspflichten kaum mehr naehkommen konnte. - - Fiir die Annahme einer greifbaren psyehisehen Konstitutionsaaomalie ergibt die Anamnese keinen Anhaltspunkt.

In der Naeht vom 17. zum 18. IX. 1922 begann er lebhaft zu halluzinieren (vgl. den Eigenbericht des Kranken). Fiel am Abend des 18. IX. einem Waeh- manne durch sein sonderbares Benehmen auf und wurde yon ibm daher der Unter- suchung zugefiihrt. Beim Examen (durch den Polizeiarzt) zeigte er sich hochgradig erregt, aber orientiert, gab geordnet an, daB er aus Gewohnheit starke alkoholische Getr/~nke zu sich nehme, in der letzten Zeit aber nicht mehr so viel vertrage wie friiher, immerhin jedoch noeh 6--7 Viertelliter Wein t/~glich zu sieh nehme. Seit heute naehts werden ihm durch Geister die Stimmen seiner Frau und seiner Siihne ,,iibermittelt". Er hSre von diesen Stimmen Warnungen, dab sein Schwager ibm naeh dem Leben trachte, dail seine Familie Selbstmord begehen wolle usw., wo- dureh er sehr ge~ngstigt sei.

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488 J. Be~e:

In die Anstalt gebracht, zeigt er sich nicht mehr orientiert, ganz yon seinen Halluzinationen eingenommen, in hochgradiger ~ngstlicher Unruhe, nur schwer fixierbar. Bringt u. a. vor: Die Stimmen sagen, dab er erschlagen werde. Sie mfen ihm zu: ,,Zu spat, zu sp~t!" H6rt w~hrend der Unterredung mit dem Arzt die Stimmen sagen: ,.Suche, suchet ihn im Postamt !" Dann: ,,Suchet die Wahrheit zu sprechen !" Die eine Stimme sei die seiner Frau. Sie h~tten beide geglaubt, seine Frau under , sie seien Ehegatten, aber sie seien es nicht, weil er ,,vorher" mit ihrer Mutter geschleehtlieh verkehrt habe. W~hrend er dies vorbringt, rufen die Stimmen: ,,Suche die Wahrheit, Blutschander!" Erwidert den Stimmen in eng]Jseher Sprache. Auf die Frage, ob auch die Stimmen engliseh reden, sagt er: ,21, Jahreszahl 1901." Erkl~rt dann, dies sei das Jahr seiner Heirat. Die Stimmen sagen: ,,Wenn m a n . . . , sueht man die Wahrheit ganz!" - - Er sei gestern abends hierhergekommen. Jetzt sei es 6 Uhr abends (in Wirklichkeit 10 Uhr vormittags). Heute zu Mittag habe er um 11 Uhr etwas gegessen; er habe schwarzen Kaffee gehabt - - naeh dem Rindfleisch. Quilt sich damit, das Datum zu finden. Erz~hlt dann: Am Mofltag sei er plStzlich angerufen worden, dureh das Fenster seien schattenhafte Gestalten hereingekommen. Wenn er danaeh greifen wollte, seien sie verschwunden. Auch auf dem Polster seien Gestalten gewesen, die aber ,,keine Gestalten waren, weft sie nicht da waren, als er danach griff". Gibt auf Befragen an, er kSnne nicht angeben, wieviel er in ]etzter Zeit getrunken babe, es sei auch nieht alle Tage dasselbe gewesen, 10--12 Viertelliter Wein und Schnaps. .,Tee mit Rum, sage die Wahrheit!" rufen die Stimmen dazwischen, und Pat. ruft plStzlich aus: ,,Auf jeden Fall war ieh ein Saufer!" Die Stimmen .fordern ihn weiter auf anzugeben, da[3 aueh sein Vater ein Saufer gewesen sei. Er fiigt un- verst~ndlich bei: ,,Die Weisheit, das ist doch klipp und klar." Spricht dann noch yon Theaterstiicken, die fortw~hrend vor ibm aufgeffihrt werden. Verliert sich dann immer mehr in ein Reagieren auf die Stimmen.

Pat. ist ein mittelgroBer, m~Big kr~ftiger Mann, der nieht auff~llig gealtert aussieht. Pupillen mittelweit, die linke etwas weiter und im Gegensatz zur rechten nur sehr wenig reagierend. Sehnenreflexe gesteigert. Tremor fiber den ganzen K6rper ausgebreitet. K6rperlich sonst nichts yon Belang.

Ungef~hr 9 Woehen lang zeigt Pat. nun immer beilaufig denselben Zustand: Er schl~ft wenig, ist manche ~acht fast ganz schlaflos. Zumeist unruhig. Hallu- ziniert fast ohne Unterbrechung lebhaft. H6rt die Stimmen aus der Wand, spricht angelegentlieh auf diese ein. Kniet oft neben dem Bette und betet. Ist schwer und nur fiir kurze Zeit fixierbar. Erkl~rt gelegentlich, er sei wahrscheinlich geistig minderwertig. - - Gegen Ende der erw~hnten Zeit wird Pat. allm~hlieh ruhiger. Die Halluzinationen haben offenbar an Intensit~t verloren. - - Am 29. XI. gibt Pat. an, er sei nun sehon seit etwa 8 Tagen ganz frei yon Stimmen und fiihle sieh jetzt ganz gesund. Das habe ganz pl6tzlieh und ,,wie abgeschnitten" aufgeh6rt. Ist klar, geordnet, krankheitseinsichtig. Liefert in den n~ehsten Tagen fiber Aufforderung einen schriftlichen Berieht fiber seine Krankheit folgenden Inhaltes:

,,Meine Halluzinationen. Sonntag den 16. IX. verbraehte ich den ganzen Tag im Bette; ieh al~ blo~ drei Biskuits und frank zwei Schalen russischen Tee. Am Montag den 17. IX. hielt ich vormittags die Wiederholungspriifungen an der Schule ab, naehmittags wohnte ieh einer Konferenz anlal~lich der Er6ffnung einer Anstalt bei. Leistete sonst keine Arbeit.

Am selben Abend begab ich reich zur Ruhe zu der ftir reich ungewohnten Stunde um 10 Uhr. Um 12 Uhr mitternaehts wurde ieh dureh eine leise, ruhige Stimme geweekt, welche reich mit meinem vollen Namen anrief: ,,Mister Th. S." Ieh erkannte die Stimme meiner Frau, die sieh zur Zeit in der Sehweiz aufhielt. Auf meine Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie, sie habe geh6rt, ich sei am Tage

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vorher krank gewesen, und sie erkundigte sich dann nach meinem Befinden. Sie teilte mir dann mit, dal3 ihr Vater, der schon 15 Jahre~ bevor ieh mit der Famihe bekannt wurde, gestorben war, zurtickgekehrt sei, und setzte dann fort, dab sie .~ekommen wgren, urn tiber mich Gericht zu halten. Bald darauf kamen in das Zimmer herein und zwar durch das geachlossene Fenster die astral bodies meiner Frau, ihrer Mutter, eines jungen Mannes - - mir derzeit unbekannt, aber wie mir lm weiteren Verlaufe der Halluzination mitgeteilt wurde, war es einer meiner Schwgger - - und eines mir ebenfalls unbekannten Kindes. Hier mull ieh ein- flechten, daI~ das Wort ,,astral bodies" von den Stimmen gebraucht wurde, was darauf hinzudeuten scheint, dall ich ganz im klaren war, daf~ das Ganze nur eine lllusion sei. Die Gestalten waren alle in blguliehen diaphanen Kleidern; sie huseh- ten an meinem Bette vorbei; ieh versuchte sie zu erhaschen und fuhr dabei mit der t tand an die Wand. Mehrere Male maehte ich Licht, um durch Lesen auf andere Gedanken zu kommen. Dann verschwanden die Gestalten, aber draullen am Fenster sprachen noeh immer die Stimmen und lasen sogar mit, was mieh in kein geringes Erstaunen setzte, obschon ieh mich bei der ganzen Geschichte unter- hielt und eigentlieh keine Furcht empfand. Endlieh wurde ich der StSrung tiber- drtissig und bat meine Besueher gegen 3 Uhr, reich schlafen zu lassen, da ieh sehon frtih aufstehen miil3te. Mein Flehen war abet ganz vergebens, sie waren beharrlich und qualten reich his Tagesanbruch. Ich stand dann auf, machte Toilette und verlie$ das Haus um 3/46 Uhr. Auf der Stra$e redeten mir die Ge- stalten zu, reich umzubringen, und ieh h6rte ihre Fuf3tritte immer hinter mir. leh ging meinen gewohnten Weg in die Stadt. Um die Stimmen zu verscheuchen, trank ieh in 3 versehiedenen Kaffeeh~usern 4- -5 Schnapse, sie aber blieben nicht aus. In meiner Verzweiflung nahm ich um 71/4 Uhr ein Autotaxi und fuhr in die Wohnung eines Bekannten auf der LandstraSe, bei dem ich sehon einige gahre Unterricht erteile, um Rat einzuholen. Ich verliel~ die Wohnung meines Freundes um 3/4 8 Uhr und nachdem ich ein Viertel Wein getrunken hatte, ging ich zu FuI~ in ein Bankbureau, um einem Freunde einen Besuch abzustatten. 10 Minuten lang unterhielt ich reich mit ihm, erwahnte abet nichts yon meinem Zustande. Von dort ging ich wieder in ein Bureau, um reich naeh einem anderen Bekannten zu erkundigen. Mittlerweile war es 11 Uhr geworden und ich dachte zum erstenmal arts Essen; ging in ein Gasthaus und nahm ein Mittagessen ein, wozu ich ein Krtigel Lagerbier trank. Naeh dem Essen auf dem Heimwege, den ich wieder zu Full machte, wurde ich konstant yon den Stimmen begleitet, die mir mitteilten, dall alle meine Verwandten yon seiten meiner Frau sieh meinetwegen umgebraeht batten mit Ausnahme meines Schwagers, tier reich erschiellen werde. Die Stimmen drangen in reich, reich lieber selbst umzubringen, damit ieh ihre Seelen erl6se. Nach einem kurzen Verweilen zu Hause, ging ich um 1 Uhr in mein Stammgasthaus, wo ich eine Snppe all und 2--3 Viertel Wein trank. Um 1/~4 Uhr war ich sehon in der Schule, um einer Konferenz beizuwohnen und so durchdrungen war ich yon der Wirkliehkeit der mir drohenden Gefahr, daf~ ich den Portier bat, meinen gef/~hrlichen Schwager nieht hereinzulassen oder jedenfalls einen Wachmann in Bereitschaft zu haben. Die Konferenz begarm um 4 Uhr, ieh konnte ihr aber nicht folgen, weil ich das Zimmer wiederholt verlassen mullte, um deutlich zu hSren, was die Stimmen mir zu sagen hatten. Es war immer derselbe Refrain: ,,ErschieB dieh, oder der Schwager erschiellt dich." Nach der Konferenz bat mh 2 oder 3 Kollegen, reich in Schutz zu nehmen, und stets in groller 1%reht spazierte ich mit ihnen zum Wiedner-Gtirtel und dann zuriiek zu einem Kaffeehaus, wo einige Kollegen Karten spielten. Dort verzehrte ich einen Milehkaffee und zwei Buttersemmeln. Um ~/28 Uhr wollte ich die Kollegen ins Gasthaus begleiten, aber bei der Karlskirehe waren die Stimmen so imperativ, dall ieh dort stehen-

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blieb; ich wurde dann yon einem Wachmann auf das Polizeikommissariat in der Taubstummengasse gebraeht. Mein Verhalten war aber sonst ganz ruhig und wie ieh glaube nieht besonders auffallend. Ieh wurde yon den Kollegen bis aufs Kommissariat begleitet und nach meiner Einvernahme sp/~t abends hierher ge- bracht. Ieh hatte die Polizei um Schutz gebeten und glaubte, man werde reich in meine Wohnung bringen. Die Fahrt, die fiber 8/4 Stunden dauerte, kam mir des- halb furchtbar lang vor und erst beim Aussteigen war es mir klar, dab ieh nicht naeh tIause, sondern anderswohin gebraeht worden war; wohin wuBte ieh nieht.

Die Halluzinationen w/~hrend meines Aufenthaltes bier in der Anstalt zer- fallen haupts/~chlich in 5 Teile: 1. ReligiSse Vorstellungen, 2. gerichtliehe Vor- stellungen, 3. Ermordungs-(Vergiftungs-)Ideen, 4. Erfindungsideen, die ieh in Ermanglung eines besseren Ausdruckes drahtloses Fernspreehen nenne. 5. Eine Episode ffir sich.

Sie spielten sieh alle gleichzeitig ab mit Ausnal:me der Episode, die nur 24-Stunden dauerte, und der Vergiftungs- oder Ermordungsvorstellungen, welche in den letzten 3 Wochen gEnzlieh aufh6rten. Die Dramatis Personae waren Be- kannte, aber yon 3 der wichtigsten waren 2 mir ganz unbekannt und einer war ein Herr, mit dem ich fiberhaupt nur 3- oder 4 mal den MorgengruB gewechselt habe. W/~hrend der ersten 3 oder 4 Tage war mein normales BewuBtsein - - womit ich das ]3ewuBtsein eines normal Geistesgesunden meine - - ganz versunken; ich reagierte fiberhaupt nicht auf/tuBerliehe Eindriicke. Die religi6sen Vorstellungen w/ihrten Tag und Nacht, die gerichtliehen bloB naehts, ob im Waeh- oder Schlaf- zustande weiB ich nieht, jedenfalls kam es mir oft vor, dab ieh die ganze Nacht dadureh waeh gehalten worden war.

Hier muB ich erw~ihnen, 1. dab merkwiirdigerweise meine Frau und ihre Brfider die ganze Zeit hindurch und in allen F/~llen meine argsten und unerbitt- lichsten Gegner waren. 2. Wenn ich yon einem Zeitraum spreehe, ist es nieht unbedingt eine tats/iehliehe Spanne Zeit, sondern bloB, wie sie mir vorkam.

Am ersten Abend bier sagte mir die Stimme - - und wieder war meine Frau am t/~tigsten - - , dab ich im Krankenhaus des Nonnenklosters des Ordens veto Herrn und Heiland Jesu liege. Ich konnte nieht einschlafen. Man versuchte mich dureh fortw/~hrendes Wiederholen des Satzes: , ,Jetzt muBt du einschlafen; jetzt sehlafst du sehon" oder :,Du darfst nieht sehlafen" und durch Elektrisieren ein- zuschl/~fern. Am n~chsten Morgen muBte ich in die Kirehe, we meine Frau, die einen ziemlieh hohen Rang innehatte, und der die Verwaltung der Wirtsehaft oblag, mich in die /iuBeren Former* des rSmisch-katholischen Gebetes einweihte. (Hier fiel es mir auf, dab meine Frau, die bis 14 Tage vorher eine Protestantin war, zum r6misehen Glauben fibergetreten und in so kurzer Zeit eine Wfirdenstelle bekleidete.) Jedesmal, wenn ieh mieh beim Bekreuzen verfehlte oder es unterlieB, die Priorin in der vorschrfftsmaBigen Form und Redeweise anzuspreehen, diktierte mir meine Frau die sehwersten Strafen und so oft verstieB ich gegen die Vor- schriften, dab ieh mir an dem einen Tag 2000 Streiehe mit der GeiBel zuzog, und auBerdem sollte ich gebrandmarkt und kastriert werden. Ieh wurde aueh zu diesem Zweeke auf die chirurgische Abteilung geschieht und war auch Augenzeuge einer Operation, wobei der Arzt einem einen Hoden abnahm. Die Operation schien fast schmerzlos zu sein, denn der Betreffende /~chzte nieht einmal dabei. An mir wurde die Operation nicht vorgenommen, man fibersah mieh einfaeh.

Am n/~ehsten Tage spielte sich die Episode ab. Ieh war in einem Gasthaus in einem Dorfe Nieder6sterreichs. Dieses Gasthaus stand unter der Oberaufsieht des Nonnenklosters und meine Frau, die die Oberaufsicht fiihrte, h/itte sieh dort dureh eine zu strenge Kontrolle unbeliebt gemacht. Ich war ihr durch Ra t be- hilflieh und erregte dadurch den Zorn des Wi~es und des Personals im aUgemeinen.

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Man sperrte reich am Abend in ein Gitterbett ein (also doch eine Sinneswahrneh- mung) und liel3 gerade vor Torsperre eine Kundmachung anschlagen, dal~ man einen Englander gefangen halte, und dab ein ieder, der am n~hsten Tage ins Wirtshaus komme, um den Englander durchzuhauen, ein Viertel Wein gratis bekommen werde. Einige Leute liel3en sich eine so gute Gelegenheit nicht ent- gehen und beschlossen dort zu fibernachten. Sogar in dieser Lage empfand ich keine Furcht und war eher neugierig, ob ich mit dem Leben davonkommen wiirde. Meine Frau jedoch avisierte telegraphisch die englische Gesandtschaft und gegen 3 Uhr frfih marschierten auf, nieht nur englische, sondern auch deutsche, schwei- zerische, amerikanische, franzSsische usw. Truppen; einige bereit, den Englander zu schfitzen, andere wieder, das Deutschtum zu verteidigen. Im letzten Momente, gerade als die Schlaeht anfangen sollte, besann sieh der Wirt eines Besseren und bot 10 Millionen Goldkronen an, die unter die diversen Truppen verteilt werden sollten. Das Los entschied, dal3 nicht gek~mpft werden soUte. Die Kommandanten der verschiedenen Truppen, die englisch gesinnt waren, gratulierten mir und sehickten mir Geld und Essen in groBen Mengen; kurz, ich wurde wie ein Held geieiert. Ich stammelte einige Dankesworte, wobei ich reich entschuldigte, dab ich meine Retter nicht entsprechend empfangen konnte, da ich im Gitterbette nicht aufrecht stehen konnte und auch nur mit einem Hemde bekleidet war. (Wieder ein Zeichen des erwachenden Bewul3tseins.) Die Truppen zogen dann ab, ich aber wurde nicht sogleieh in Freiheit gesetzt, sondern erst am n~chsten Morgen gegen ein LSsegeld von 2 Millionen Kronen.

Jetzt weehselte der Schauplatz, und als ich eines Morgens (eines wirklicheu Tages) reich hier im Krankensaal befand, war mein erster Gedanke: ,,Wie bist du in dieses Hotel gekommen?" und ,,Wo ist meine Frau?"

Dann setzten die religiSsen Vorstellungen wieder ein, ich ~ollte mit Gott Frieden schlie[~en und bat den Heiland, mir gemal3 seinem Versprechen zu vergeben und mich durch das Tor, welches den Eingang zum schmalen Weg, der zum ewigen Leben fiihrt, bildet, eintreten zu lassen. Jedesmal aber wurde mir der Eintritt verboten mit der Begriindung, dCB ich zu arrogant sei und dal~ ein Stinder, der wahrlich Reue empfindet, dcmfitig sei. Mittlerweile wurde mir yon meiner Frau mitgeteilt, dal~ eine grol~e Anzahl yon Kollegen und Bekannten sich meinctwegen das Leben genommen hatten; Christus gab mir zu verstehen, dab ich ihre Seelen yon den HSllenqualen durch Beten erlSsen mfisse. Ich kam der Aufforderung naeh, ich der Protestant, der immer belehrt wurde, da]3 da~ Beten ffir Verstorbene ein Unding ist. Sie wurden alle sofort in das Himmelreieh aufgenommen; jedesmal jedoch, wenn ich mich dagegen str~ubte, so zu beten, wie mir angeordnet war, wurden einige aus dem Himmel gewiesen, bis endlich der Himmel fast entv61kert war; meine selige Mutter war eine yon den wenigen, die noch da geduldet waren. Ich war sehr erstaunt fiber die Machtffille, die mir dadurch eingeri~umt war. (tJbrigens waren sie und mein seliger Vater die cinzigen, welche nicht mehr am Leben sind.) Oft bat mich die Mutter mit tranenden Augen, demiitig und reu- mfitig zu sein. Einmal als Christus mich abwies, sagte ich kfihn: ,,Ich lasse dich nicht los, bis du mich gesegnet hast, und wenn du dich meiner aueh nicht an- nimmst, besitze ieh dich doeh; und wenn ich auch in die tiefste H611e hinabsteige, werde ich dich dort finden." Dies gab mir eine unerschfitterliche Seelenruhe, und ich war meines Seelenheiles so sicher, dal3 ich gegen jede Furcht gefeit war.

Die RoUen des Heflands und des Luzifer waren yon Menschen gespielt, aber obwobl ich dessen bewul~t war, gehorchte ich ihrem Geheii3e und betete so oft als mir befohlen war. Als ich aufgefordert wurde, laut zu beten und die Entschuldigung vorbrachte, dab dies unnfitz sei, weil meine Umgebung englisch nieht verstehe, lieB man mich niederknien und das Pater noster und das apostolisehe Glaubensbekennt-

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nis in Deutsch laut vorbeten. Im Laufe der Zeit wurde ich fiber meine religiSsen (~berzeugungen yon verschiedenen :Personen verhSrt, unter anderem yore Kardinal Erzbischof yon Wien, yore Erzbischof yon Westminster, yon Frau Eddy, der Begrfinderin der Christian Science. Ich liefl aber nicht locker und endlich, weft ich reich steif und lest weigerte, das Wort ,,rSmisch" vor katholische in dem Satze: ,,Ich glaube an die katholische Kirche" zu setzen, wurde ich verurteilt, auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Sehr'oft war der Ernst dieser Gespz/iehe erhellt dutch lange Diskussionen fiber die Etymologie yon ver~chiedenen WSrtern und Christus, Luzifer und ich unterhielten uns oft lange fiber solche Sachen, wobei ich nicht vernehmen konnte, was meine geistlichen Richter zu mir und fiber reich sagten, bis Luzifer mir mitteilte, dal3 ich wegen meines hartn/ickigen Schweigens in contumaciam verurteilt war. Bei solchen Anl/issen unterschied ich ~trenge die Menschen yon den Gestalten, die sic darstellten, und redete sie mit You (Sie) und nicht mit Thou (Du) an. In den nhchsten 3 Wochen meiner Krankheit sagte mir Christus oder Luzifer, als ich im Tagraum Schach spielte ,,das ist ein sehr schlechter Zug" oder ,,nicht fibel, aber besser w a r e . . . " , oder war ich im Gespr~che mit Patienten X., der mir verschiedene Xichtigkeiten fiber Kaiser Wilhelm oder KSnigin Viktoria und andere PersSnlichkeiten mitteilte, mischten sie sich aueh ein mit Bemerkungen wie ,,das ist interessant", ,,das ist mir neu" oder ,,das sthnmt nicht, die Geschichte hat sich so a b g e s p i e l t . . . " usw. Alle Gespri~che wurden in der englischen Sprache geffihrt.

Die gerichtlichen Verfolgungen spielten sich, wie schon erw~hnt, nur nachts ab. Ich w~rde folgender Verbrechen beschuldigt: I. des vorsatzlichen Mordes, begangen an Herrn E., Sohn des Landesgerichtspr/tsidenten, und zwar sollte ich ihn im Duel1 erschossen haben, bevor das Duell begonnen hatte, 2. des Diebstahls, 3. des Meineides, 4. des Ehebruches. Der vorsitzende Richter war immer der Vater des Ermordeteu. Von der Anklage erfuhr ich erst, nachdem ich schon cinmal wegen Nichterscheinens bei der Verhandlung in contumaciam verurteilt worden war, Ich rekurricrte selbstverst/~ndlich gegen diese Ungesetzlichkeit und das VerhSr wurde dann noch dreimal durchgeffihrt; man gestattete mir keinen Rechtsbeistand. Das Komische und mir Auffallende war, dab die Verhandlungs- sprache immer englisch war. Einmal machte ich sogar den Richter aufmerksam, (lab einer der Geschworenen der englischen Sprache nicht machtig war. Jedesmal waren meine Schw/tger beisitzende Richter oder Ankh~ger. Sehr oft kam es vor, daI3 ich wegen des L~rmes im Saale, hervorgerufen dutch das laute Sprechen der Patienten oder durch das Geklirr der metallenen Bestecke, die an reich gerichteten Fragen nicht gut h0ren konnte, und meine Beschwerden darob wurden ganz ein- fach ignoriert. Manchmal verteidigte reich der mir fast unbekannte Herr B. sehr geschickt; aber alles nfitzte nichts, ich wurde immer aller mir zur Last gelegten Verbrechen schuldig befunden und regelmal3ig zur Kastigation (150 Streiche mit der Neunschw/~nzigen), dann zum Kastrieren und zu 30 Jahren schweren Kerkers verurteilt, wobei meine Schw~ger immer auf die schwerste Bestrafung dr/~ngten.

Auch bei diesen Verhandlungen gab es recht heitere Momente f fir reich, wenn z. B. Herr B. witzige Einfalle hatte u n d e r und ich, vergel31ich ob des Vor- ganges, uns sehr gut tiber Verschiedenes, insbesondere fiber die Absonderlichkeiten der englischen Sprache unterhielten.

Die Erfindungsvorstellungen. Die ersten 3 ~ Tage antwortete ich auf die Stimmen nicht. Dann durchzuckte reich der Gedanke: ..Wenn du Stimmen hSren kannst, warl~m sollen die dich nicht auch hSren ?" und so ring ich an zu sprechen. Die waren ganz verwlmdert, als sie erfuhren, dab ich mich keines Apparates bediente, keines Transmitters und Empf/ingers, die beim wirklichen drahtlosen Fernsprechen notwendig sind. Zuerst wollten sie es mir nicht glauben, aber nach-

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dem auf mein Anraten sie einen Versuch gemacht hatten, waren sie yon tier Zweck- m/illigkeit der Erfindung iiberzeugt, und diese Art des Telephonierens wurde allm/~hlich in der ganzen Welt eingefiihrt. Sparer kam ich auf den Gedanken, dab es iiberhaupt nieht notwendig war, die Lippen zu bewegen, dab das blollo Denken gentige. Dies wurde als eine Wohltat ffir die Menschheit angesehen, weil dadurch das Dureheinandersurren der Stimmen ausgeschaltet war. Ftir diese Erfindung und far einige Naehrichten, die ich dureh eine Art Hellseherei dem englischen Blatte The Times znkommen liel], 3 Tage frtiher als sie in der Welt bekannt waren, zahlte mir diese Zeitung die horrende Summe yon 450 l~illionen Pfund Sterling, die jedoch veto Prasidenten der anglo-6sterreichischen Bank, we das Geld eingezahlt worden war, tremntreut wurde, wieder haupts/ichlieh auf Anregung meiner Frau und Seh~v/~ger, die den meisten Nutzen davon zogen und nach Amerika durehbrannten. Erupts sv~ter erland eider meiner Sghne da8 lumin6se Fernscltreiben, das darin bestand, daft ich aUes las, wdihrend man es schrieb. Dies hatte den gro[~en Vorteil, dab dritte unbefugte Personen die Botschaiten nieht aufnehmen konnten. Wir kamen trotzdem bald davon ab, weft es auf die Augen ermtidend wirkte.

Die Verfolgungsvorstellungen waren auch yon langer Dauer. Man schtittete, wi~hrend ich a13, Gift in die Speisen oder hatte vorher, naehdem man das ganze Personal best~chen hatte, sieh Zutritt in die Kiiehe verschafft und die fiir mich bestimmten Speisen vergiftet. Trotzdem aB ieh die Speisen ruhig. Sehr oft ver- suchte man, mich zu erschiel3en. Hier waren die Personen immer nur meine Sehwi~- ger. Sie kamen zum Fenster und verlangten yon mir, dai3 ieh fiir sie die Fenster dureh Zauberworte, die sie mir selbst angaben, 5ffnen lasse. Ieh tat wie befohlen, abet sie konnten reich nicht erschie[3en, weil der Revolver jedesmal versagte.

Dann versuehten sie reich dureh Dolche zu tSten und steckten sie zu diesem Zweck unter mein Bett. Meistens wurden sie selbst dann gefangengenommen, weft ich mit gekreuzten Beinen lag, und ich muBte sie durch Hersagen yon ,,Abra- kadabra" u. dgl. befreien. Mir waren sie aber nie dankbar, sondern kamen ti~glich, um ihren Plan zu vollfiihren.

Eine weitere Halluzination von 2--3 Wochen Dauer war der Besuch von zwei _4rzten. Einer, ein gut bekannter und beriihmter Internist in Wien, Dr. G. S., der mir freundlich gesinnt war, und ein zweiter feindlicher, der mich aueh zu hypnotisieren versuchte, aber ohne Erfolg. Sie machten mir ihre Visite regel- m/~gig um 8 Uhr, 2 Uhr nachmittags und manchmal auch um 7 Uhr abends. Der erstgenannte Arzt gab mir ungefiihr 10 Tage vor Schlul3 der Halluzinationen don guten Rat: ,,Stelle keine Fragen, gib keine Antworten und du wirst bald gesund."

Noch einiges sei erw~hnt. Anfangs November begann ich dem Patienten Z. beim Erlernen der englischen Sprache behilflich zu sein, und die Stimme Christi sagte mir: ,,Du kannst ihn nieht unterrichten, du machst ihn mlr konfus, unterlasse es lieber." Man sagte mir auch, da$ meine Frau sieh einem liederliehen Lebenswandel hingegeben babe, und bekr~ftigte die Anschuldigung dureh Bilder. Hier aber be- hauptete sich mein normales Bewul3tsein ganzlich und ich rief: ,,Das ist ganz aus- gesehlossen, und were1 auch die ganze Welt es sagte, glaube ieh kein Jota davon.'"

Zum Schlul~ sei bemerkt, da$ bis zum allerletzten Tag, den 21. XI., die Stimmen noch sehr persistent, wenn auch allmi~hlich immer weniger insistent waren. Am 21. XI. war ich halluzinationsfrei. Sie hatten daher genau 9 Wochen 1 Tag angehalten."

In der Folge ist der Kranke dauernd klar. Volle Krankheitseinsieht. Keine Halluzinationen mehr, auch nicht sporadisch.

Da er seinen Posten zu verlieren fiirchtet, dr/ingt er auf Entlassung. Wird daher schon am 18. XII. 1922 ,,geheilt" entlassen.

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Also: nach wenig ausgesprochenen Vorboten - - d e r Kranke brachte den Tag zuvor im Bette zu und ,,al~ bloI~ drei Biskuits", ging am kri- tischen Tage ungewohnt friih schlafen - - pl6tzlich, nach kurzem Schlaf, um Mitternacht einsetzende lebhafte Geh6rsti~uschungen, zu denen sich bald auch Gesichtst~uschungen gesellen, tagsiiber dann stetig anstei- gende Angst bei immer drohender werdenden ttalluzinationen, zu- n~chst noch besonnenes Verhalten, gegen Abend rascher fortschreitende St6rung des Bewu[ttseins, in den sp~tteren Abendstunden Eintritt der Desorientierung; auf der H6he der Krankheit, dig damit erreicht ist, Tremor, Schlaflosigkeit, traumhafter Zustand, massenhafte ,,kombi- nierte akustisch-optische Halluzinationen" (Schroeder), traumhafte Er- lebnisreihen schreckhaften, drohenden, h6hnenden Inhaltes, dazwischen kurze akustische Worthalluzinationen gleichen Inhaltes, reiche Wahn- bildung, namentlich Befiirchtungs- und Verfolgungs-, abet auch Gr6l~en- ideen, zu Zeiten deutliche Tendenz zur Systematisierung, dauernd Vor- herrschen der charakteristischen Mischstimmung yon ,,Angst und Hu- mor" bei wechselnder Betonung einer oder der anderen Komponente; mehrmalige Schwankungen der Intensit~,t der BewuI~tseinsst6rung, zeit- weilig aufd~mmernde Orientierung, bald darauf wieder vSlliges Ver- sinken in den deliranten Zustand; etwa in der 7. Woche der Krankheit Umwandlung des deliranten Zustandes in einen Zustand, in dem bei dauernder vSlliger Orientiertheit und Besonnenheit zahlreiehe GehSrs- tauschungen, zeitweilig aber auch noch Gesichtshalluzinationen, Angst und andere Unlustgeffihle erweckenden Inhaltes auftreten, die erst nach weiteren 2--3 Woehen ,,immer weniger insistent" werden, um endlich nach 9 Wochen Gesamtdauer der Krankheit mit einem Schlage ganz aufzuhSren.

Auf einige Momente, die im Eigenberichte des Kranken eine inter- essante subjektive Darstellung erfahren, soll etwas niiher eingegangen werden.

Uber seinen Bewu[3tseinszustand zur Zeit der Halluzinationen be- richter der Pat. zun~chst: ,,Wi~hrend der ersten drei oder vier Tage war mein normales Bewu~tsein - - womit ich das Bewul~tsein eines normal Geistesgesunden meine - - ganz versunken; ich reagierte i~berhaupt nicht au/ ~iu[3ere Eind/ri~clce. Die religiSsen Vorstellungen w~hrten Tag und Naeht, die gerichtliehen blol~ nachts, ob im Wach- oder Schla/zustande well3 ich nicht, jedenfalls kam es mir oft vor, dal~ ich die ganze Nacht dadurch wachgehalten worden war."

Es handelte sich also nach der Meinung des Pat. um einen Zustand zwischen Waehen und Schlafen. Das normale Bewul~tsein war ,,ganz versunken". Das wiehtigste Kriterium dieses Versunkenseins erbliekt Pat. darin, da~ er au/guflere Eindriicke nicht reagierte. Bei der Darstel- lung seiner weiteren halluzinatorischen Erlebnisse legt er groBen Wert

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darauf, seinen jeweiligen Bewu]tseinszustand auf Grund dieses Kri- teriums zu beurteilen. So flicht er in den Bericht fiber seine Hallu- zinationen am zweiten Tage seiner Internierung ein: ,,Man sperrte mieh am Abend in ein Git terbet t ein (also doch eine Sinneswahrnehmung) und liel~ gerade vor Torsperre eine Kundmachung anschlagen, dab man einen Englander gefangen h a l t e . . . " Odor sp~ter: ,,Ich s tammelte einige Dankesworte, wobei ich mich entschuldigte, da~ ich meinen Ret ter nicht entsprechend empfangen konnte, da ich im Git terbet te nicht auf- rechtstehen konnte und auch nur mit einem Herod bekleidet war" (~vieder ein Zeichen des erwachenden Bewu[3tseins).

Auf Befragen gibt Pat. noch an, er habe w~ihrend des Halluzinierens ,,nicht das Geffihl gehabt, nicht bei vollem Bewul~tsein zu sein" schlieBe aber daraus, da~ er eben halluzinierte, da~ sein Bewul]tsein doch gestSrt gewesen sein miisse. Gelegentlieh gibt er aber doch wieder an: ,,Ich war mir dessen bewuBt, da ] ich nicht weil~, was um reich vorgeht ."

t tervorgehoben sei noch eine Bemerkung des Kranken fiber seinen Bewu~tseinszustand zur Zeit, als das ausgesprochene Delirium bereits voriiber war oder, wie vielleicht besser anzunehmen sein wird, die einem Delirium entsprechende BewulttseinsstSrung nur mehr zeitweilig ein- setzte: ,,Man sagte mir auch, dal~ meine Frau sich einem liederlichen Lebenswandel hingegeben habe und bekr~ftigte die Anschuldigungen durch Bilder. Hier aber behauptete sich mein normales BewuBtsein giinzlich und ich rief: ,Das ist ganz ausgeschlossen, und wenn auch die ganze Welt es sagte, glaubte ich kein Jo ta davon." ,,Normales Be- wul~tsein" ist hier ein Bewul~tseinszustand, der es der PersSnlichkeit ermSglicht, kritisch zu dem Inhalte tier Halluzinationen Stellung zu nehmen, - - i m Gegensatz zur ausgesprochen deliranten Phase, in der ihr dies nicht gelingt, die Inhalte vielmehr widerspruchslos 1) hingenom- men werden.

Schroeder erw~hnt 2) in seiner Darstellung dos Delirium tromens, dal~ sich in der Literatur welt auseinandergehende Angaben fiber den BewuBtseinszustand des Deliranten finde. ,,Die einen sprechen yon einer leichten (Kraepelin, Sommer) odor yon einer tiefen (yon Speyr) StSrung des Bewul]tseins, die anderen stellen jede Bewul]tsoinstriibung in Abrede." Schroeder selbst finder ,,eine qualitative Horabsetzung der psychischen Vorg~nge in jedem Delir" Diese Horabsetzung hat aber ,,nicht das Gepr~ge des als Bewufltseinstrfibung im engeren Sinne odor als Benommonheit, Unbesinnlichkeit, und in seinen hSheren Graden als Somnolenz

1) Nach dem subjektiven Urteile des Kranken! Objektiv liegt die Saoho wohl anders, wie noch zu erSrtern sein wird. Eine eigentliche voUwertige kritischo Stellungnahme ist selbstverst~ndlich bei keiner BewulltseinsstSrung mSglich. Widerspruch aber auf Grund eigener Effahrung, ~berzeugung, Gesinnung usw. ist auch noch bei recht weitgehender BewuBtseinsalteration - - es braucht nut an die Hypnose erinnert zu werden - - mSglich.

") Schroeder, Intoxikationspsychosen (Aschaffenburgs ,,Handbuch"), Leipzig und Wien 1912.

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und Koma bezeichneten Symptomenkomplexes". Die psychischen Leistungen des Deliranten ,,sind minderwertig, aber sie sind zahlreich und sie gesehehen rasch und prompt; er ist unaufmerksam abgelenkt, aber er ist in der Regel gut fixierbar. Allerdings verhalten sieh die Alkoholdeliranten in dieser Hinsicht nicht alle gleich; in manchen Fallen ist eine Benommenheit unverkennbar; vor allem sind das schwere Delirien und solche, die mit epileptischen Anfi~llen einhergehen oder nfit Sch~delverletzungen, grSberer Arteriosklerose und /~hnlichem kompliziert sind." Im allgemeinen zeiehnet sich das Delirinm potatorum vor den meisten Delirien aus anderen Ursaehen ,,dadureh aus, dab die Benommenheit in der Mehrzahl der F~lle nicht besteht oder gering ist, und dab sie nur in besonderen Fallen hShere Grade erreicht".

Wie kommt es nun, dab die Autoren nieht dartiber einig sind, wie es um den Bewul~tseinszustand der Alkoholdeliranten steht ? Wohl vor allem daher, dab die einzelnen Autoren mit den Worten, die zur Bezeichnung der verschiedenen iiberhaupt vorkommenden BewuBtseinsveranderungen dienen, nieht immer die- selben Begriffe verbinden. Zur Verwirrung tr/~gt noch bei, dab gelegentlich zwei oder mehrere von diesen Ausdriicken als gleichbedeutend angesehen und an- gewendet werden. Schroeder findet z.B., wie erw/ihnt, dab die Angaben der Autoren weit auseinandergehen, indem, wie er sagt, die einen yon einer St6rung des Bewu/3tseins sprechen, wahrend die anderen jede Bewufltseinslr~ibung in Abrede stellen; darin liegt aber an sich noch kein Widerspruch, da StSrung des BewuBtseins der allgemeinere Begriff und die BewuBtseinstriibung nur eine unter mehreren Arten der Bewul~tseinsstSrung ist. Erst darin kann ein Auseinandergehen der Meinungen erblickt werden, dab manche Autoren eine Trt~bung finden - - nach Kraepelin ,,zeigt das BewuBtsein regelmhBig eine leichte, traumartige Trtibung" - - , andere ,,jede BewuBtseinstriibung in Abrede stellen". Welter wird yon manchen Autoren ,,Benommenheit" mit ,,BewuBtseinstriibung" zusammengeworfen, erstere als eine Vorbedingung, bzw. ihr Grad als ein Mal3 der letzteren genommen und, da eine wirkliche Benommenheit beim unkomplizierten und nicht besonders schweren Alkoholdelirium im aUgemeinen in der Tat nicht zu linden ist (vgl. namentlich Bonhoe//er), auch das Bestehen einer BewuBtseinstriibung verneint. Man hat mit dieser Verneinung, eine entsprechend enge Fassung des Begriffes vorausgesetzt, recht; die Beziehung auf die fehlende Benommenheit ist aber falsch, da es BewuBtseinstriibung mit und ohne Benommenheit gibt.

Bonhoe/]erl), dem wir wohl die eingehendste und zugleieh vorsiehtigste Ana- lyse des BewuBtseinszustandes der Alkoholdeliranten verdanken, findet im all- gemeinen keine BewuBtseinstrtibung im Sinne einer mit ,,wirklicher Benommenheit" zusammenh~ngenden StSrung, sondern einen BewuBtseinszustand, der nach seiner Meinung als D/~mmerzustand bezeichnet werden kann, eharakterisiert durch ein niedriges Niveau der Aufmerksamkeit 2) (dem ,,im groBen ganzen das Auftreten der deliranten Sinnest/~uschungen entspricht"), oder, wie es an anderen Stellen heiBt, als ,,primare Schwi~ehe der Aufmerksamkeit" und damit als Ergebnis eines gewissen Grades yon ,,Herabsetzung des Bewufltseiws". Als priradr bezeiehnet er diese St6rung, well die ,,Schw'hche", wie er zeigt, ,,keineswegs lediglich auf Ab-

1) Bonhoe//er, Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker. Jena 1901. - - Bonhoe]/er, Die alkoholischen Geistesst6rungen. Dtsch. Klinik 1906.

2) In gleichem Sinne spricht Bonhoe]/er yon einer ,,gewissen Schwache der Vorstellungsfolge", yon einem ,,Daniederliegen der assoziativen 'f/~tigkeit", einer ,,Schw/~che des Gedankenablaufes", einer ,,Loekenmg des Vorstellungs- verlaufes", einer unzureichenden ,,Intensit/~t der Zielvorstellung", yon einer ,,Sehw/~ehe der inneren Assoziation" und damit im Zusammenhange der Neigung des Vorstellungsverlaufes, ,,sich in Nebenassoziationen zu verlieren" usw.

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lenkung durch Sinnest~uschungen zuriickzuftihren ist". Bonhoe//er ist vielmehr geneigt, die kausale Beziehung der beiden Elementarsymptome des Deliriums, n/~mlich der ,,Schwhche der inneren Assoziation" und der mit ihr parallel gehenden ,,psyehosensorischen t~bererregbarkeit", unter Beziehung auf die Wernickesehe Sejunktionshypothese im Sinne der Auffassung der Reizerscheinung (der ,,hallu- zinatorischen Hyperproduktion") als Folge der Ausfallserseheinung (der ,,Herab- setzung des Bewui~tseins") zu deuten. Ftir dieses VerhMtnis sprieht nach ihm u. a., dab nach Abzug der eigentlichen ,,Sinnesdelirien" vom Gesamtbilde ,,dig Sehwaehe der Assoziation zurtickbleibt, die sich als Orientierungsverlust, als Merkfi~higkeits- und Aufmerksamkeitsdefekt, als Unfahigkeit, die zeitliche Sukzession der Er- eignisse zu erfassen, ~uBert", und dall man diesen Zustand ,,gelegentlieh im Beginn des Deliriums, nicht selten auch wi~hrend 1/~ngerer oder kiirzerer Phasen innerhalb des Deliriums und vor allem gegen Ende des Deliriums beobachten kann"l).

Nach Jaspers 2) hat das BewuBtsein des Deliranten (allgemein) ,,nur einen niedrigen Wellengipfel und befindet sich im Habitualzustande immer an der Grenze des Sehlafes, der jedoch nicht erreicht wird". Voriibergehende maximale Anspannung der Aufmerksamkeit vermag Zurticktreten des deliranten Erlebens zu bewirken. Es besteht ,,BewuBtseinstrtibung in der Richtung zum traumhaften Seelenleben, ein gewisser Zusammenhang (,,szenenhafte lllusionen"), ferner Bei- misehung yon Ziigen der Benommenheit".

Die A n g a b e n unseres K r a n k e n fiber seinen Bewul3tseinszustand sprechen en tsch ieden fiir d ie Auffassung, da$ es sich be im Del i r ium t r emens um eine Herabsetzung des Bewu[3tseins, wie Bonhoe//er sagt, bzw. u m eine Insu//izienz der psychischen Aktivitdit3), wie ich sagen mSchte, hande l t . Beze ichnend s ind vor a l lem die vom K r a n k e n ge- huSer ten Zweifel, ob , ,Wach- oder Sch la fzus tand" , d a n n die J~ul~erung, nach der er nur vorf ibergehend bei , ,vol lem" Bewul~tsein war, wel ter a b e r auch die merkwi i rd ige Bemerkung des K r a n k e n , er sei wahrschein- l ich , ,geistig minde rwer t ig" , womi t er offenbar dasselbe me in t wie Schroeder, wenn er yon einer , ,Herabse tzung der Gesamthe i t der Be- wuBtseinsvorgi~nge des De l i r an ten in qualitativer Hins i ch t " spr icht . I m Grunde genommen mein t auch Jaspers nichts anderes , wenn er

1) Alle angeftihrten Argumente spreehen nur dafiir, dab die ,,Herabsetzung des BewuBtseins" geeignet ist, die psychosensorielle ,,~bererregbarkeit" besonders deutlich hervortreten zu lassen, nieht aber dagegen, dab die letztere an sieh dennoch ebenso prim/~r ist wie erstere. _F//r letztere Annahme spricht aber, dab eine ,,erhShte Erregbarkeit der Sinnesorgane (Hyper/~sthesie, subjektive Ger/~usche, Blitze, feurige Sterne)", wie wir mit Kraepelin konstatieren miissen, bisweilen schon wochen lang im Vereine mit anderen Vorboten der eigentlichen Entwicklung des Krank- heitsbildes vorangeht, also schon zu einer Zcit besteht, da von einer Herabsetzung des BewuBtseins noch nicht gesprochen werden kann. Aueh die besonders groBe Lebhaftigkeit und ,,sinnliche Deutlichkeit" der T/~uschungen scheint fiir eine nebenhergehende prim~tre ~bererregbarkeit zu sprechen, zumal ein durehg~ngiges Parallelgehen der [terabsetzung des Bewulltseins und der psyehosensoriellen ~)bererregbarkeit, was die lntensi~t der beiden Elementarsymptome betrifft, ftir viele F/tlle doeh nicht zugegeben werden kann.

2) Jaspers, Allgemeine Psychopathologie. 2. Aufl. Berlin 1920. 3) Vgl. Berze, Die primKre Insuffizienz der psyehischen Aktivit~t. Leipzig

und Wien 1914.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXX:[V. 32

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von einem ,,niedrigen Wellengipfel" des BewuBtseins spricht, sowie auch alle die Autoren, welche das Traumartige des Zustandes, das traumhafte Seelenleben" u: dgl. betonen; denn das TraumbewuBtsein ist zweifellos ein herabgesetztes BewuBtsein. Ob es gut ist, von einer,,Be- wuBtseinstri~bungin der Richtung zum traumhaften Seelenleben" (Jaspers) zu sprechen, bleibe dahingestellt, notwendig ist es jedenfalls nicht, da der Ausdruck traumartig oder t raumhaft hinliinglich bezeichnend ist.

Was nun das von Bonhoe][er vermutete kausale Verh~ltnis zwischen der in der ,,Herabsetzung des BewuBtseins" begrtindeten ,,Schwgche der inneren Assoziation" und der ,,psychosensorischen t3bererregbar- kei t" betrifft, muB wohl in der Tat von vornherein angenommen werden, dab die Erscheinungen, welche als Ausdruck der letzteren angesehen werden, in ersterer allein schon im wesentlichen begriindet sein k6nnen, liegt doch auch im allgemeinen kein rechter Grund fiir die Annahme vor, dab zum Tr~umen auger der Herabsetzung des BewuBtseins immer auch noch ein eigenes, von ihr unabh~ngiges Moment der durch einen besonderen Faktor direkt gesetzten Reizung der zentralen Sinnes- st~tten und daraus resultierenden psychosensoriellen Ubererregbarkeit geh6re, spricht doch vielmehr alles daftir, dab die mit der Herabsetzung des BewuBtseins verbundene ,,Abkehr a) v o n d e r realen AuBenwelt" es ist, welche es den Vorstellungen ermSglicht, die Lebhaftigkeit und den Wirklichkeitscharakter yon Halluzinationen zu gewinnen. Indes sind Zweifel doch nicht ganz v o n d e r Hand zu weisen, ob speziell beim Delir der Trinker nicht doch auBer der Herabsetzung des BewuBtseins als dem Moment, welches gleichsam nur die Neigung zum Trgumen oder nur die Disposition zur Abkehr vonder realen AuBenwelt begrtindet, auch noch ein anderes, sozusagen aktives Moment im Spiele ist, das diese Abkehr tats~chlich bewirkt. Es ist, wie Bonhoe]/er bemerkt, die Auffassung sicher ,,nicht richtig, dab der Defekt der Aufmerksamkeit (beim Delirium alc.) lediglich der Ausdruek der Abgelenktheit durch die Sinnest~usehungen wgre". Aber andererseits wieder ist doch die Vermutung gerechtfertigt, dab Reizvorgi~nge in den Sinnessph~tren bci der Ablenkung der Aufmerksamkeit bzw. bei der Entstehung der Halluzinationen, mitspielen. Man kann z. B. daran denken, dab auf Grund einer ,,psychosensoriellen ~bererregbarkeit" im optischen Ge- biete zun~tchst Lichterscheinungen (Perzeptionshalluzinationen) auf- treten, welehe es bewirken, dab die leicht ablenkbare Aufmerksamkeit auf dieses Sinnesgebiet gelenkt wird. Da nun aber, wie besonders wieder Bonhoe]]er hervorgehoben hat, die Lenkung der Aufmerksamkeit

1) Wieso diesc mit einer Herabsetzung des Bewul3tseins verbunden ist ? Wir mtissen es als eine Tatsache hinnehmen, dab das vollwache BewuBtsein stets den ,,Wahrnehmungswillen", die Zuwendung der Aufmerksamkeit zur realen AuBenwelt, mit sich bringt,' und dal~ jede Herabsetzung des Bewul3tseins eine Verminderung des Wahrnehmungswillens bzw. die Abkehr von der Au]enwelt zur Folge hat.

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auf ein bestimmtes Sinnesgebiet beim Deliranten allein schon fiir das Eintreten des Halluzinierens genfigt, kann man ganz gut annehmen, dab auch auf die eben erw~hnte Weise der das Halluzinieren begrfin. deride Zustand herbeigeffihrt werden k(innte. Selbstverst~ndlich werden sich die einzelnen Phasen dieser Entwicklung kaum je ph~tnomeno- logisch auseinanderlegen lassen, werden vielmehr die Lichterscheinungen bereits in illusioni~rer Entstellung zu BewuBtsein kommen. Die Hin- |enkung der Aufmerksamkeit auf das betreffende Sinnesgebiet kSnnte aber auch darauf zurfickzuftihren sein, dab irgendwelche assoziativ oder sonstwie angeregte Vorstellungen infolge der sensoriellen Uber- erregbarkeit halluzinatorischen Charakter gewinnen und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. MSglicherweise kommt beides in Betracht. Vielleicht hi~ngt es hauptsi~chlich vom Grade des zentralen Reizzustandes des Sinnesgebietes ab, ob der eine oder der andere Me- chanismus mehr wirksam wird.

Ein Anhaltspunkt fiir die Beurteilung der relativen Bedeutung der beiden Momente fiir die Genese der Halluzinationen las t sich vielleicht auch daraus gewinnen, da$ unser Kranker in der Zeit, da die Herab- setzung des BewuStseins und damit die Abkehr yon der realen Aul~en- welt bereits im ganzen behoben oder doch stark verringert war und sich nur noch zeitweise gewisse Riickfi~lle einstellten, der Hauptsache nach nut mehr akustisch halluzinierte und daft die seltenen Gesichts- halluzinationen, die in dieser Zeit doch noch auftraten, den Charakter yon ,,Bildern" hatten, ein Befund, der, nebenbei bemerkt, beili~ufig dem bei der akuten Halluzinose der Trinker entspricht. Bonhoe//er halt es fiir ,,mSglich, dab sich ein Reizzustand der akustischen Wahrnehmungs- sphi~re fiberhaupt langsamer zurfickbildet", und ffihrt daffir an, ,,da$ man bei manchen akuten Psychosen, die mit Halluzinationen der ver- schiedensten Sinnesgebiete einhergingen und zur Heilung gelangten, die Sprachhalluzinationen am li~ngsten andauern und am schwersten zur Abheilung kommen sieht". Meines Erachtens ist ein Unterschied der Riickbildungsgeschwindigkeit des Reizzustandes der einzelnen Sin- nessphi~ren durchaus unwahrscheinlich. Es liegt kein anderer Grund vor, daran tiberhaupt zu denken, als eben das Andauern der akustischen Halluzinationen fiber die Dauer des Halluzinierens auf anderen Sinnes- gebieten hinaus. Daffir last sich aber leicht eine andere, m. E. weit plausiblere und durch vielfache Erfahrung gestfitzte Erkli~rung geben: Zum Halluzinieren auf akustischem Gebiete reicht offenbar eine ge- ringere Intensitd~t jener St~rung, die im speziellen Falle das Halluzinieren fiberhaupt zustande kommen l~$t - - in unserem Falle also der Herab- setzung des Bewul~tseins - - aus, als zum Halluzinieren auf anderen Sinnesgebieten - - in unserem Falle besonders dem optischen - - er- forderlich ist. Was besonders die Gegenfiberstellung optischer und

32*

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akust ischer W a h r n e h m u n g e n bzw. Ha l luz ina t ionen betrifft , sollte n ich t fibersehen werden, dab die Objekte des Gesichts der groBen Menge nach

mehr besti~ndiger Natur , die des GehSrs dagegen mehr fliichtiger Ar t

sind, und dab letzteres u. a. auch gerade fiir die sprachlichen GehSrs- eindri icke zutrifftl) . Da es n u n aber wohl aul~er Zweifel steht , dab Fli ichtiges leichter hal luzinier t werden k a n n als Besti~ndiges, k 6 n n e n

akust ische I-Ialluzinationen noch lange persistieren, wo die opt ischen zurfickgetreten sind oder auch schon ganz aufgehSrt haben. Vergleichbar

in dieser Hins icht s ind den akust i schen n u r rasch vori ibergehende,

fliichtige Gesichtseindriicke. Es ist daher m. E. ungemein bezeichnend, daI~ unser Kranke r zur Zeit, als sein de l i ranter Zus tand vorbei war,

1) Das optisch tIalluzinierte erscheint in einem von Gesehenem er/i~llten Rahmen und mu~ daher, falls keine ,,Abkehr yon der AuBenwelt" besteht, ,,leb- haft" genug sein, reales Optisches zu verdr~ngen, zu fiberdecken. Das akustisch Halluzinierte erscheint zwar auch sozusagen in einem akustischen Rahmen, ist doch auch die ,,Stille" nicht, wie es zun~chst scheinen mag, ein negatives, sondern ein positives, aus dem ZusammenflieBen unz~hliger sehw~chster Eindriicke zu- sammenflieBendes und darum indifferent erscheinendes akustisches Ph~nomen; aber dieser akustische Rahmen hat eine andere Bedeutung als der optisehe, da wohl nicht zwei Sehgegenst&nde zugleich denselben Raum einnehmen, aber zwei GehSrseindriieke zur selben Zeit effolgen kSnnen und das akustisch Halluzinierte demnach nieht etwa - - wie das optisch Halluzinierte ein reales Optisches aus seinem Raume - - sozusagen ein reales GehSrtes aus seiner Zeit zu verdr~ngen, sondern sieh ihm gegentiber nur bemerkbar zu machen hat, was ihm um so leichter gelingen wird, je weniger intensiv das reale GehSrte ist, das gerade mit ihm kon- kurriert. Es besteht also bei Zuwendung zur realen Aul3enwelt, wie sie bei nicht oder nicht wesentlieh herabgesetztem Bewul]tsein immer statthat, eine Situation, die dem optischen Halluzinieren weit weniger gfinstig ist als dem akustischen. Dieses Verh~ltnis ~tndert sich sofort bei Abkehr yon der Au~enwelt. Dann hat das optisch Halluzinierte nichts reales Optisches mehr zu verdri~ngen, ordnet sich vielmehr in die kombiniert (optisch, akustisch, kin~sthetisch, taktil usw.) hallu- zinierte Phantasiewelt einfach ein. DaB in solchem Falle die Gesiehtshalluzinationen sogar tiber die akustisehen pr~valieren, dtirfte vielerlei Grfinde haben, die ab- zuwiigen schwer f~llt. Es kSnnte in Betracht kommen, dab unsere Gesichts- vorstellungen im allgemeinen lebhafter sind als unsere GehSrsvorstellungen, den Wahrnehmungen also yon vornherein n~herstehen als letztere, - - wenn es auch in dieser Hinsicht sicher weitgehende individuelle Unterschiede gibt. Was besonders die Sprachhalluzinationen betrifft, die unter den akustischen eine so hervorragende Bedeutung haben, dtirfte der Unterschied der Lebhaftigkeit der akustischen Wortvorstellungen von der der optischen Vorstellungen um so betr~chtlicher sein, als unsere Aufmerksamkeit in der Regel fiber das Wort hinweg auf den Sinn gerichtet ist, den es ,,bedeutet", w~hrend auf optischem Gebiete zumeist das ,,Aus- sehen" selbst (der gesehenen Objekte) der Hauptgegenstand unseres Interesses ist, was zweifellos aueh das Lebhaftigkeitsverh~ltnis der Vorstellungen auf beiden Gebieten in dem erw~hnten Sinne beeinflussen muir. Weiter kommt vielleicht auch im allgemeinen irgendwie in Betracht, dal~ wir - - vom Blinden abgesehen - - yon dem Momente an, da wir erwachen, da wir ,,die Augen 0ffnen", dauernd in einer vorwiegend optisch erfaBten Welt leben, w~hrend das Akustische, das ,,bemerkt" wird, in der Regel auf eine begrenzte Zeit beschri~nkt ist.

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auBer akustischen Sprachhalluzinationen nur mehr gelegentlich Ge- sichtshalluzinationen yon jener undeutlichen und fliiehtigen Art hatte, die yon den Kranken so gewShnlich als ,,Bilder" bezeichnet werden. Und im gleichen Sinne w~re vielleicht auch zu deuten, dal~ bei der akuten Halluzinose der Trinker, bei der - - abgesehen yon deliranten Phasen eine nennenswerte Herabsetzung des BewuBtseins nicht zu konstatieren ist, die GesichtshaUuzinationen nicht nur eine untergeordnete Bedeutung haben, sondern aueh oft den ,,Charakter yon Bildern" (Bonhoe]/er) zeigen.

Der Inhalt der I-Ialluzinationen unseres Kranken ist der fiir das Delirium tremens typische. Eine besonders interessante Art yon Hallu- zinationen stellt aber das vom Pat. so genannte ,,luminSse Fern- schreiben" dar, das seiner Darstellung nach darin bestand, dal~ er ,,alles las, w~hrend man es schrieb".

Bei seiner Intelligenz war der Kranke leicht dazu zu bringen, vom Inhalte dieser Halluzinationen weg auf das Phi~nomenologische an ihnen zu sehen. Bruchstiickweise brachte er allmi~hlich folgende Angaben vor, aus denen sich ein etwas genaueres Bild der Erscheinung ergibt. ,,Ich habe gesehen, wie die Schr i / t entsteht, nicht das geschriebene Wort

selbst . . . die Schrift ist nicht bestehen geblieben . . . im Entstehen ist die Schrift schon wieder verschwunden . . . das ist riesig rasch ge- gangen und, weft es wichtige Mitteilungen waren, habe ich riesig auf- gemerkt . . . ich habe ja immer nur die Schri f tz i ige gesehen, nicht die Schrift . . . ich habe mit den Augen immer folgen mfissen, das hat auf die Augen ermfidend gewirkt (vgl. Bericht : ,,Wir kamen trotzdem bald davon ab, well es auf die Augen sehr ermfidend wirkte") . . . die Schrift ging immer welter yon links nach rechts, so dal~ ich dachte: Wann wird sie aufhSren in dieser Richtung ? Warum soll ich einen steifen Hals bekommen ? . . . absichtlich bin ich oft plStzlich herfibergerfickt nach links, dann haben sie eine frische Zeile angefangen . . . ich habe es so erzwingen k~innen, dab eine neue Zeile angefangen wird . . . wenn einige Buchstaben geschrieben waren, habe ich meistens schon gewul~t, was kommt, z. B. G-e-sch, babe ich schon gewuBt: Geschi~ft, aber das ganze Wort folgte dem anderen selbstverst~ndlich fiberraschend." An Einzelheiten fiihrt er auf Befragen noch an: ,,LuminSs" bedeute so viel wie ,,phosphorescent". Der Eindruck sei ,,jedenfalls ein optischer" gewesen. Eine unsichtbare Hand habe mit einer unsichtbaren Feder geschrieben. ])as Schreiben sei vor sich gegangen in einer Entfernung yon etwa 5 - -6 m. Es war nicht zu erkennen, worauf geschrieben wurde, weft nur die entstehenden Buchstaben zu sehen waren. Die Tafel oder das Papier etwa, auf dem die Schrift entstand, mfiItte beil~ufig senkrecht gewesen sein, ,,wie wenn ein Brief vorgehalten wird". Die Schrift war fast immer als die einer bestimmten Person erkennbar. GewShnlich ,,schrieb" der Sohn, welcher die Mcthode erfunden hatte, zuweilen der

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andere Sohn oder die Frau, gelegentlich auch eine andere dem Pat. bekannte Person. Auf Befragen, wie er sich selbst beim Schreiben ver- halte, erkl~rt Pat., dab er dabei regelm~Big seine Hand betrachte, und fiigt dann bei, dab das ,,luminSse Fernschreiben" und das Ver- folgen der schreibenden eigenen Hand etwas ~hnliches an sich haben. - - Bei wiederholter Fragestellung h~lt der Kranke seine Angaben im wesentlichen unver~ndert aufrecht. Mit groBer Sicherheit stellt er lest, dab er niemals einen fertigen Buchstaben stehen gesehen habe, sondern immer nur ,,die Bewegungen, die gemacht werden mfissen, um ihn zu sehreiben". Einmal sagt er: ,,Das Phosphorescente hat den Weg ge- macht, der zum Schreiben der Worte n5tig ist, . . . weil nichts zurfick- blieb, mu~te man mit den Augen genau folgen." - - Zu bemerken ist noch, da~ der Kranke fiber die GrSBe der Schrift nichts Rechtes an- geben kann. Sie war eben so gro~, da[~ man ihr mit den Augen folgen konnte. Auch kann er nicht recht angeben, worauf sich seine An- nahme, dab die Distanz ungef~hr 5 - -6 m betragen habe, grfinde; er habe aber sicher diesen Eindruck gehabt.

Die Trugwahrnehmungen, welche Pat. als ,,luminSses Fernschreiben" bezeichnet, stellen sich also zunachst als optische Halluzinationen dar. Das ,,Lumin5se", das ,,Phosphorescente", ist ja, wie der Kranke selbst sagt, ,,jedenfalls ein optischer Eindruck". Aber aulter dem Optischen ist in dem Erlebnisse noch etwas anderes enthalten, n~mlich - - nach der retrospektiven Darstellung des Kranken - - der Zwang, den sich ,,luminSs" darbietenden Schriftzfigen, welche ,,im Ents tehen" auch schon wieder versehwanden, mit den Augen zu folgen, d. h. die Schrift- bewegungen in Augenbewegungen mitzumachen und aueh dem langen Zuge der Schrift yon links nach rechts mit dem Kopfe zu folgen, und die unter Aufmerksamkeitsanspannung erfolgende und zu ffihlbarer Ermfidung fiihrende tats~chliche Ausfiihrung aller dieser Bewegungen.

Wie steht es nun um diesen, sagen wir kurz motorischen Anteil des pathologischen Gesamterlebnisses? Is t er auch halluziniert oder handelt es sich um tats~chliche Blickarbeit ?

Da~ der ganze motorische Anteil halluziniert sein lcSnnte, unterliegt m. E. keinem Zweifel. In einer friiheren Arbeit habe ich 1) darauf hin- gewiesen, dab es Zustande gibt, in denen der Kranke, w~hrend in ihm tatsachlich blo] der Antrieb zu einer Bewegung oder Handlung, sei es im Sinne aktiven oder passiven Strebens, z. B. wie im vorliegenden Falle des Zwanges, rege wird, die Bewegung oder Handlung wirklieh auszuffihren w~hnt - - geradeso wie wir uns im Traume s ta t t strebend handelnd wahnen, z. B. zu gehen, zu laufen, zu fliegen, anzugreifen und Angriffe abzuwehren, zu sprechen meinen, wo tatsaehlich nur die

1) Berze, Die prim~re Insuffizienz der psychischen Aktivit~it. Leipzig und Wien 1914.

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entsprechenden Intentionen oder aul~erdem hSchstens noch Ans~tze zu Bewegungen im Sinne der intendierten Aktion vorliegen - - u n d habe ffir diese Erlebnisse die Bezeichnung: Aktionshalluzinationen vor- geschlagen. Freilich ist auch nicht yon der Hand zu weisen, dab die ganze Folge yon Bewegungsempfindungen, wie sie einer noch so kom- plizierten Aktionsreihe entspricht, und so auch die Folge yon Be- wegungsempfindungen im Bereiche des motorischen Sehapparates und im Bereiche des Kopfes, wie sie dem yon unserem Kranken geschil- derten Verfolgen der ,,luminSsen" Schrift entsprechen, halluziniert sein kSnnten, dab also optisch-kin~sthetisches Hallizunieren vorliegen kSnnte; falls es fiberhaupt Aktionshalluzinationen in dem oben bezeichneten Sinne gibt, werden sie ja sicherlich von kiniisthetischen Halluzinationen kaum je sieher zu unterseheiden sein, abgesehen davon, dab auch an Ubergangserscheinungen gedacht werden mfiBte, zumal es mSglich w~re, dab yon der Intention her die ihr entsprechenden Innervationen in einem leichten, nicht zur Bewegung, aber doch zu einer st~rkeren Span- nung in den betreffenden Muskeln ffihrenden Grade angeregt und so auch die entsprechenden kin~sthetischen Empfindungen ausgelSst wer- den und es wohl auch noch andere Wege der Miterregung im kin~sthe- tischen Gebiet v o n d e r Intention her geben mag.

Andererseits liegt aber kein sicherer Beweis dafiir vor, dab der mo- torisehe Anteil des in Rede stehenden Erlebnisses fiberhaupt hallu- zinatorischer Natur ist. Die subjektiven Angaben des Kranken reichen zu einem sicheren Urteile dariiber nicht aus. Die von ihm so drastisch geschilderte ermiidende Wirkung spri~ehe eher ffir tats~chliche moto- rische Leistung, doch kann schlieglich auch das Ermiidungsgeffihl hallu- ziniert sein. Objektive Beobachtungsergebnisse entscheidender Art lie- gen nicht vor. Der Kranke hat zur Zeit, da er lebhaft halluzinierte, oft in der bekannten Art der optisch Halluzinierenden l~ngere Zeit in eine bestimmte Richtung gestarrt, die von ihm angegebenen Augen- und Kopfbewegungen sind niemandem aufgefallen. Ubrigens ist aber der Kranke, der fiber das Symptom erst zu einer Zeit berichtete, da es nicht mehr auftrat, daraufhin nicht besonders beobachtet wordenl).

Wie immer, mag der motorische Anteil halluziniert sein oder nieht, Tatsache bleibt, dab er von wesentlieher Bed~utung ist in phi~nomeno- logiseher Hinsicht und wohl auch Berficksichtigung verlangt, wenn der Versuch gemaeht wird, der Pathogenese des Symptoms nachzugehen.

In welcher Beziehung mag der motorische Anteil des Erlebnisses zu seinem rein sensorischen, seinem spezifisch optischen Anteile stehen ? Gehen wir nach den Angaben des Kranken, so liegt die Sache ganz

1) Meine eigene Beobachtung des Falles hat erst begonnen, als der Kranke den ,,Eigenbericht" geliefert hatte. Die Angaben fiber sein Verhalten bis dahin sind der Anstaltskrankengeschichte entnommen.

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einfach: er hat die Schrift ,,luminSs" entstehen gesehen und ist dem Zuge der Schrift mit den Augen gefolgt, der motorische Tell des Er- lebnisses war also dem sensorischen gegenfiber ausgesprochen sekundar. Forschen wir aber naeh der Genese des ganzen Erlebnisses, so werden wir uns durch die Art, wie es sich der inneren Wahrnehmung des Kranken darstellt, nicht aUein bestimmen lassen dtirfen, sondern auch die Vorgange, die der Halluzination vermutlich vorangegangen sind, bzw. sie herbei- gefiihrt haben, mit in Betracht ziehen mfissen. Da drangt sich nun aber m. E. die Annahme auf, dab das optisch-motorische Moment schon bei der Entstehung der optischen Halluzination eine wesentliche Rolls gespielt hat.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dab der Weg von der Gedanken- sphare zum ,,luminSsen Fernschreiben" bei dem Kranken der Haupt- sache nach mit dem Wege zusammenfallen muB, der normalerweise vom Denken zum Schreiben fiihrt. Dis Bemerkung des Kranken, dab das ,,luminSse Fernschreiben" und das ,,Verfolgen der schreibenden eigenen Hand" etwas :4~hnliches an sich haben kann, ist daffir ungemein be- zeiehnend. Dieser Weg nun ist, grob gezeichnet, folgender: Der Ge- danke entsteht, wird in Worte gekleidet, es stellen sich die Bewegungs- figuren der zu schreibenden WSrter ein, und schliei~lich kommt es zu den die Ausfiihrung der entsprechenden Schreibbewegungen bringenden Innervationen der Hand, mit welehen - - der Tatsache entsprechend, da~ die schreibende Hand wohl fast immer mit den Augen verfolgt wi rd- - gleichsinnige Innervationen des motorischen Sehapparates eng assoziiert sind. Unter normalen Umsti~nden entspricht bloB dem Wirksamwerden der Bewegungsfiguren und der Innervationen nichts Bewu~tes. Unter pathologischen Verhaltnissen wie im vorliegenden Falle kann aber often- bar die ganze Reihe von Anfang an der inneren Wahrnehmung entgehen find erst der Endeffekt Gegenstand des bewuBten Erfassens werden. Warum das geschieht, warum insbesondere die Bildung des Gedankens, bzw. sein Dasein dem Ich verborgen bleibt, so dab die Halluzination als der seinen Inhalt dem Ich erst vermittelnde Vorgang erscheinen kann, ist eine Frage fiir sich, die m. E. kaum einwandfrei beantwortet werden kann. Man sp1~cht in solchen Fallen gem yon ,,Sejunktion" oder, was im Grunde dasselbe ist, von ,,Spaltung". Dies auch im vor- liegenden Falle zu tun, ware aber - - wie ja immer - - nichts als die Anwendung eines billigen Auskunftsmittels, das nur den befriedigen kSnnte, der nieht beachtet, dai~ mit den genannten Worten die Tat- sachen nur umsehrieben werden. Naheliegend mag es auch erseheinen, den bewahrten Kunstgriff der Verweisung auf das Unbewui~te auch da wieder anzuwenden. Niehts einfaeher: der Gedanke entsteht und wirkt unbewuBt auf die in Betracht kommende Sinnessphare. Aber auch diese ,Erk larung" kSnnte nur einem recht bescheidenen Erkenntniswillen ge- nfigen. Dagegen kommen wir, meine ich, dem Verstandnisse dieser Seite

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des Problems wirklich n~her, wenn wir beriicksichtigen, wie es zur Zeit des Erlebens des ,,lumin5sen Fernsehreibens" um die aktive Au]merk- samkeit des Kranken bestellt war.

Der Kranke berichtet: ,,Etwas sparer errand einer meiner SShne das luminSse Fernschreiben, das darin bestand, dal~ ich alles las, w~hrend man es schrieb." Wie immer diese Idee bzw. Einstellung entstanden sein mag, auf ]eden Fall leuchtet ein, dab der Kranke damit in den Zustand der Erwartung der ,,Schriftziige" versetzt war. Die Erwartung ist ,,eigentlich nichts anderes als eine vorbereitende Au]merksamkeit" (Ki~lpe). ,,Im Zustande der Erwartung ist das Bewu•tsein ftir einen (mehr oder weniger bestimmten) Reiz gleichsam eingestellt, disponiert, parat, indem die Vorstellung des Erwarteten den Aufmerksamkeits- willen best~ndig zur Intention motiviert" (Eisler). Dem Zustand der Erwartung kann nun in unserem Falle in zweierlei tIinsicht grol~e Be- deutung zuzuschreiben sein. Erstens bedeutet das Eingestelltsein auf die erwarteten Eindriicke zugleich Uberregbarkeit des betreffenden Sinnesgebietes, ein die Disposition zu ttalluzinationen auf diesem Sinnes- gebiete in Fallen, die so wie die vorliegende liegen, zweifellos erh5hendes Moment. Zweitens aber bedingt die Konzentration der Aufmerksamkeit auf das eine Sinnesgebiet zugleich eine Abwendung der Aufmerksamkeit von den anderen Sinnesgebieten. Darin ist aber vielleicht das Moment zu erblicken, das uns erkl~ren kann, dal~ dem Kranken die innersprach- liche Wahrnehmung der Worte entgeht, so dad er diese erst sozusagen dureh die Halluzination erfahrt. Das Wort ist ffeilich mit irgendwelcher WortvorsteUung, so namentlich auch der akustischen Wortvorstellung, ebensowenig identisch wie etwa irgendein gesehener Gegenstand mit der Gesichtsvorstellung dieses Gegenstandes 1). Andererseits liegt abet ph~- nomenologisch klar, dal~ das Wort im Bewul3tsein gleichsam im Kleide der Wortvorstellung, und zwar beim HSrenden wohl immer vorwiegend im Kleide der akustischen Wortvorstellung erscheint, durch die Wort- vorstellung im Bewul~tsein dargestellt wird, und dies mit solcher Regel- m~igke i t , dal~ wir die Wortvorstellung dem Worte geradezu gleich- zusetzen gewohnt sind und uns des Wortes nicht bewu~t zu sein glauben,

1) Das Wort ist abet auch nicht der ,,Wortbegriff" im Sinne mancher Autoren. Nach Wernicke ist der Wortbegriff in der festen Verkntipfung des Wortklangbildes und der Sprachbewegungsvorstellung gegeben. Im gleichen Sinne ist bei Kleist der Wortbegriff ,,eine innigste Assoziation der Sprachbewegungs- und der Wort- klangvorstellung". Diese Fassung ist auf die irrige Ansicht gegrtindet, dab sich Begriffe aus der Summation (,,festen Verkniipfung", ,,innigsten Assoziation") yon Vorstellungen ergeben. Der Wortbegriff ist ein allen denkbaren Wortvor- stellungen gegeniiber absolut Neues, ist nicht etwas Akustisches oder Kin~stheti- sches oder Akustisches und Kinasthetisches zugleich, sondern eben etwas Begriff- liches. - - Der Ausdruck Wortbegriff sollte aber iiberhaupt vermieden werden, weil er die Gefahr einer Verwechslung des mit ihm Gemeinten mit der Wort-Bedeutun,g, dio vom Wortbegriff selbstverst~ndlich strengstens zu unterscheiden ist, mit sich bringt.

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wo uns tats i~chlich n u r die Wortvors te l lung a b g e h t 1). I s t nun , wie wi r

ffir u n s e r e n F a l l a n n e h m e n , d u r c h d ie K o n z e n t r a t i o n de r A u f m e r k s a m -

k e i t au f das op t i s che G e b i e t d ie A u f m e r k s a m k e i t ffir das a k u s t i s c h e

h e r a b g e s e t z t , so muff die a k u s t i s c h e E i n k l e i d u n g de r W o r t e bee in t r~ch -

t i g t se in u n d k a n n es wohl a u c h in d e m MaBe sein, d a b das W o r t d e r

i n n e r e n W a h r n e h m u n g en tgeh t .

P6tzl 2) hat bei Besprechung eines Falles aus einem ganz anderen Gebiete der Hirnpathologie auf die Bedeutung der Aufmerksamkeit, ihres Grades und ihrer Richtung fiir die Symptomgestaltung hingewiesen. Es handelt sich um einen Fall von traumatischer L~sion des linken Hinterhauptlappens, in welchem bei homo- nymer rechtsseitiger Hemianopsie und bei konzentrischer Einschr/inkung des erhaltenen Gesichtsfeldes, deren Grad stark nach Tagen guten und sctflechten Befindens wechselte, ,,Alexie-Agraphie yon vorwiegend optisch-motorischem Typus der StSrung mit optischer Aphasie, doch nicht ohne eine geringftigige allgemein aphasische StSrungskomponente", bestand. Die Restitution des Syndroms erfolgte rasch, abgesehen yon der unver~ndert bleibenden Hemianopsie. ,,Zu der Zeit nun, als er schon fleiBig schreibt . . . . kommt eine Verdunkehmgserscheinung, die hier beschrieben werden soil. Er beklagt sich spontan dariiber, dab er die Buch- staben nicht sieht, w/~hrend er sie schreibt, so dab er dadurch im Schteiben beirrt wird; genauer befragt, schildert er, wie alles, was er geschrieben hat, im Weiter- schreiben wieder verschwindet, so dab er nur die Linie im Entstehen sieht, wie sie unter dem Zu 9 seiner Hand er&~heint. Er verliere dadurch den t~berblick und wisse nicht, ob er richtig geschrieben habe oder falsch. Beim ~ben lgllt sich dazu beobachten, daft der Blick wie start verbunden dem Zug der Feder festhaftend folgt, so dais auch die entsprechenden Mitbewegungen des Kopfes zu bemerken sind; dabei ist er immer lest im Zug yon links naeh rechts und hat hie Tendenz zu Spiegelschrift." [nteressant ist cs nun, wie Pbtzl ,,das Unsichtbarwerden der eben geschriebenen Schrift" erkl/irt. Er fiihrt aus, diese Erscheinung sei zu ver- stehen, ,,wenn man annimmt, dab die konzentrische Einschr/~nkung des Gesichts- feldes wKhrend des erschwerten Schreibaktes regelma[3ig ein Maximum erreicht, /~hnlich wie sie an Tagen schlechteren Befindens bei Pat. stark zunimmt. Es wiirde sich gewissermallen nut im engsten Umkreis des Fixierpunktes das Gesichts- feld bilden, solange alle Au/merksamkeit und ver/iigbare Energie durch den m~th- seliffen Schreibakt absorbiert ist; die Erscheinung wiirde gewissermallen bildlich die Redensart des alltfiglichen Lebens darstellen: er (hSrt und) sieht nicht, wenn er in das Schreiben vertieft ist". - - Wie vermutlich in unserem Falle, so wird also auch nach der Annahme P6tzls in seinem Falle die Erscheinungsweise des besprochenen Symptoms in weitgehendem Mal3e durch die Einstellung der Au/- merksamkeit bedingt, in unserem Falle durch die Konzentration der Aufmerksam- keit auf die er~arteten leuchtenden Schriftziige, im Faile P61zls dadurch, dab

1) Man k6nnte fragen: Wie kann denn das Wort bei Abgang jeglicher Wort- vorstellung dennoch im BewuBtsein wirksam sein'? Die Antwort lautet: Als Wissen um die Existenz eines Lautkomplexes, der als Zeichen ftir einen bestimmten Vorstellungs- oder Begriffsinhalt dient, diesen ,,bedeutet". Dieses Wissen erm6glicht es auch, mit einem Worte in Gedanken zu operieren, ohne seine Vorstellung gegen- w~rtig zu haben. Will man es ausspreehen, merkt man dann oft erst diesen Ab- gang und mull nunmehr das ,,Wort", richtig: die Wortvorstellung erst ,,suchen".

~) P6tzl, 0., t~ber optisehe Hemmungserscheinungen in der Riickbildungs- phase yon traumatischer Lii.sion des Hinterhauptlappens (Wien. reed. Woehensehr. 1916, Nr. 36).

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,,die Aufmerksamkeit und verfiigbare Energle durch den miihseligen Schreiba.kt absorbiert ist". In beiden F~llen ist es diesem Faktor durch die pathologische Ver- fassung der in Betracht kommenden cerebralen Apparate, ~.ie sie in unserem Falle durch die toxlschen Ver~nderuns in dem anderen Falle durch die Residuen der traumatischen L~tsion gegeben ist, ermSglicht, die bezeichnete Wirkung zu entfalten. Die iiberaus groBe _~hnlichkeit des Gegenstandes der Aufmerksamkeit in beiden FMlen bedingt zugleich eine groBe hul]erliche _~hnlichkeit der beiden Symptome.

Warum abet der Kranke nicht nur die Worte, sondern auch die durch sie ausgedriickten Gedanken nicht als die seinigen erkannte ? Warum, anders gesagt, nicht nur die Versprachlichung, sondern auch die Bildung der Gedanken seiner inneren Wahrnehmung entging ? Wir stehen diesem Ri~tsel bei Halluzinationen ganz allgemein und besonders bei sprachlichen Halluzinationen auf was immer fiir einem Sinnesgebiete stets gegentiber. Restlos 15sen kSnnen wir dieses R~tsel nicht. Von,,unbewul~ten Gedanken" zu sprechen, hielten wir wieder ftir eine ebenso nichtssagende und sinnlose wie anspruchsvolle Umschreibung. Dagegen wird auch da wieder zu- ni~chst auf die erw~hnteEinstellung der Au[merksamkeit zu verweisen sein. Weiter aber wird gewil~ von Belang sein, dab die in der Halluzination erscheinenden Gedanken offenbar keineswegs yon der Art waren, dal~ ihre Bildung einen grSl~eren Aufwand an geistiger Aktivitiit, bzw. die besondere Hinlenkung der Aufmerksamkeit zur Voraussetzung gehabt hiitte. Es handelte sich ja nicht um ,,schSpferische" Gedanken, sondern um Denkprodukte, wie sie aus der , ,Wahns t immung" durch die bekannte Tendenz, welche man als die der Konkretisierung bezeichnen kann, hervor- zugehen pflegen und, zumeist noch dazu um solche, die - - i n der Form yon mehr oder weniger deutlich formulierten Ahnungen, Beffirchtungen, Hoffnungen, Wiinschen schon yon friiher her vorgebildet - - zur Zeit des Halluziniertwerdens nur als , ,Gedankenerinnerungen", reproduziert worden sind. Berticksichtigt man dies alles, so wird man es verst~ndlich linden, dal~ die den Inhal t der Halluzinationen bildenden Gedanken sozusagen spontan auftauchen und bei der Konzentration der Auf- merksamkeit auf die Trugwahrnehmung unbemerkt bleiben konnten.

Sieht man davon ab, dal~ im Erlebnisse des Kranken ein einheitlicher Zusammenhang der halluzinierten Worte mit eigenen Gedanken, wie er objektiv betrachtet ja klarliegt, nicht enthalten war, so wird man eine weitgehende ~lanlichkdit des Symptoms mit dem sog. Gedanken- lautwerden konstatieren miissen. Es liegt in unserem Falle sozusagen ein Sichtbarwerden yon Gedanken auf dem Wege der optischen Schri]t- zughalluzination der sie ausdrtickenden Worte vor.

Bei dieser Analogie liegt es nahe, Nachschau zu halten, ob in der Diskussion fiber das , ,Gedankenlautwerden", die bekanntlich besonders in der Zeit nach Cramers 1) einschl~tgigen Publikationen eine sehr rege

1) Cramer, Die Halluzinationen im Muskelsinn bei Geisteskranken. 1889. - - Derselbe, ~ber Sinnest~uschungen bei geisteskranken Taubstummen. Arch. f. Psychiatrie u. Nervenheilk. 28, 875. 1896.

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und rech t weitl~tufige gewesen ist , Ges i ch t spunk te zu tage g e t r e t e n sind, die auch ffir d ie Beur te i lung unseres S y m p t o m e s yon Wich t igke i t w~ren.

Cramer hat zuni~ehst den Standpunkt vertreten, ,,dab ein krankhafter hallu- zinatoriseher Vorgang im Sprachbewegungsgebiete dazu fiihren kann, dab Geh6rs- ti~uschungen auftreten", und ,,den ganzen ProzeB" (se. des Gedankenlautwerdens) als eino ,,Halluzination im Muskelsinn 1) des Sprechapparates" bezeiehnet. Wird dem Kranken dureh einen krankhaften Vorgang (Halluzination) in den Bahnen des ,,Muskelsinne~" die einem yon ihm gedachten Worte entsprechende Sprach- bewegung vorget~uscht, so hat er gleichzeitig auch ,,die Empfindung, als ob wirklich das Gedachte gesprochen worden sei".

Klinke 2) erklhrte dann: ,,Die halluzinatorisehe Erregung aller in die Wort- bewegungsvorstellung eingehenden Empfindungen vermag dem Bewu~tsein nur dann die Annahme yon etwas anseheinend Gehertem aufzudr~ngen, wenn auch das zugeherige Wortklangbild mit erregt wird." Er hglt ,,eine mehr oder weniger starke Beteiligung resp. halluzinatorisehe Erregung der Wortbewegungsempfindun- gen" in gewissen I~llen yon Gedankenlautwerden ,,nicht fiir ausgeschlossen, da ja erst aus der kombinierten T~tigkeit des Klang- und Bewegungselementes die Wortvorstellung hervorgeht", m6chte aber glauben, ,,da~ es auch bei isolierter Reizung der Wortklangsti~tte, ohne intensivere Beteiligung der entsprechendenWort- bewegungsempfindungen, zum Lautwerden l~ngerer Gedankeng~nge kommen k~nn".

Cramer kam darauf in seiner zweiten Arbeit zu folgenden Ergebnissen: ,,Wie bei den versehiedenen Menschen das verbale Denken bald mehr, bald weniger betont ist, so ist auch bei Geisteskranken das Symptom des Gedankenlautwerdens bald mehr, bald weniger yon abnormen Vorgi~ngen bei Bildung yon Sprach- bewegungsvorstellungen abhi~ngig. Gedankenlautwerden ohne oder fast ohne Beteiligung von akustischen EIementen kommt vor. Gedankenlautwerden rein auf der Basis yon abnormen Vorg~ngen in der Wortklangbildungssti~tte ist ohne Mitbeteiligung der Sprachbewegungsbilder kaum denkbar. Geherst~uschungen, welehe auf rein akustischen Elementen beruhen, bestehen meistens nur in dem tteren yon einzelnen Worten."

Nach Koeppen (Berliner Ges. f. Psyehiatrie, 9. III . 1896) und Bechterew 8) sowie nach Probst 4) f~llt den Wortbewegungsbildern nur eine geringe Rolle zu. Letzterer Autor hebt besonders hervor: ,,Objektive sichere Priifungen der Wort- bewegungsbilder beim Denken sind sehwer auszufiihren, well die Aufmerksamkeit zu intensiv einseitig beteiligt ist und bei der Priifung die ganzc Aufmerksamkeit auf die Wortbewegungsbilder gelenkt wird. Dadurch wird subjektiv die Empfin- dung der Wortbewegungsbilder oft vorgeti~uscht." Die Kranke, die er selbst genau beschreibt, ,,hat nie Wortbewegungen im Muskelsinn versptirt".

Meines E rach tens i s t in de r ganzen Diskuss ion fiber das Gedanken- l au twerden und seine E n t s t e h u n g viel zu sehr de r Ton da rau f ge legt worden, ob im Erlebnisse der K r a n k e n eine , ,ha l luz inator ische E r r egung

1) Unter ,,Muskelsinn" versteht er, wie er besonders betont, ,,alle die ver- schiedenen Komponenten, welche sich aus der Empfindung der Spannung, Ver- i~nderung der Haut, der Veriinderung in den Gelenken, den Aktions~u~erungen in den Sehnen und Muskeln usw. zusammensetzen".

2) Klinke, ~ber das Symptom des Gedankenlautwerdens. Arch. f. Psychiatrio u. Nervenkrankh. 2G. 1894.

a) Bechterew, ~ber das Heren der eigenen Gedanken. Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. 30. 1898.

4) Probst, t~ber das Gedankenlautwerden. Monatsschr. f. Psychiatric u. Neurol. 13. 1903.

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der Wortbewegungsempfindungen" mitenthalten, ob in ihm ,,subjel~tiv die Empfindung der Wortbewegungsbilder" mit gegeben ist oder nicht. Was zunachst das Phanomenologische betrifft, geht fiir mich aus meinen eigenen Fallen, aber auch aus den von den Autoren beschriebenen, un- bestreitbar hervor, dab beides vorkommt, dab es also einerseits Falle gibt, in denen gar nichts yon Wortbewegungsbildern bewuBt wird, andererseits solche, in denen Bewegungsimpulse oder Bewegungsempfin- dungen in mehr oder weniger deutlicher Auspragung mit in Erscheinung treten. Worin diese Unterschiede begriindet sind, ob mehr in individuell habituellen Momenten - - e s ware ja z. B. m5glich, dab beim motorischen Typus deutlichere Bewegungsempfindungen auftreten, beim akustischen dagegen nicht - - oder mehr in Eigenheiten des im Einzelfalle vorliegenden Pathologischen, kann wohl nicht gesagt werden. Wieder dfirfte, neben anderen Momenten, die Einstellung der Aufmerksamkeit nicht ohne Be- lang sein. Wie Probst richtig bemerkt, kSnnten durch die Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf diese Sphare ,,Wortbewegungsbilder" auch vorgetauscht werden. Man kSnnte aber auch annehmen, dab sie unter dieser Bedingung erst bemerkt werden. Erwahnen mSchte ich in diesem Zusammenhange, dab manche Kranke, die das Symptom des Gedanken- lautwerdens angeben, auch die Erklarungswahnidee vorbringen, dab die ,,Stimme" ihre Gedanken nur deshalb nachsprechen kSnne, weft diese vom Kranken gegen seinen Willen, unter dem Zwange eines auBeren Einflusses, flfisternd ausgesprochen werden. Solche Kranke versuchen diesem Zwange wohl auch durch allerlei Mittel, z. B. Aufeinanderpressen der Zahne, VerschlieBen des Mundes mit der Hand oder auch durch unablassiges lautes Aussprechen stereotyper sinnloser Silbenfolgen (~der Redensarten zu begegnen. Es kann sein, dal~ diese Erklarungswahnidee schon durch bemerkte Sprachbew%ungsempfindungen fundiert ist, es kann auch sein, dab die Erklarungswahnidee vorausgeht und zu jener Einstellung der Aufmerksamkeit ffihrt, die den Kranken diese Emp- findungen erst bemerken last, es kann endlich aber auch sein, dab die durch die Wahnidee gesetzte Erwartung dieser Empfindungen die ent- sprechende kinasthetische Halluzination entstehen laBt. Was nun aber die Bedeutung der ,,Wortbewegungsbilder" fiir die Genese des Gedanken- lautwerdens betrifft, muB wohl gesagt werden, dab sie in dieser Hinsicht auch in Fallen eine Rolle spielen kSnnten, in denen sie phanomenologisch nicht deutlich hervortreten. Auch Klinl~e, der sich im ganzen gegen Cramer stellt und auf Grund seiner eigenen Beobachtungen das Sym- ptom im allgemeinen au~ ,,eine gesteigerte Tatigkeit der Wortklang- statte" beziehen mSchte, halt fiir gewisse Falle ,,eine mehr oder weniger starke Beteiligung resp. halluzinatorische Erregung der Wortbewegungs- empfindungen nicht ffir ausgeschlossen" (,,da j a erst aus der kombinierten Tatigkeit des Klang- und Bewegungselementes die Wortvorstellung

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hervorgeht und so ein ,SpreehenhSren', eine ,innere Sprache' zustande kommen kann"), und zwar auch, ,,ohne dab die Bewegungsimpulse dem Bewufltsein wirklich verst~irkt vorge/i~hrt zu werden brauchen".

Dies ist wohl der richtige Standpunkt. Man darf nicht darauf rechnen, dal~ die Empfindungsarten, aus deren Synthese ein bestimmtes psy- chisches Erlebnis, physiologisch oder pathologisch, hervorgeht, auch ausnahmslos aus ihm durch ph~tnomenologische Analyse herauszuson- dern sein mfissen. Der Raum, psychologisch genommen (,,Raumvorstel- lung"), ist zweifellos aus der Synthese verschiedener Empfindungsarten hervorgegangen (vgl. Wundt), ist in seiner jeweiligen Erscheinung durch den Inhalt aller zusammenwirkenden Empfindungen bestimmt, hat aber an sich ph~tnomenologisch nichts mit ihnen mehr gemein, ist ihnen gegeniiber etwas absolut Neues - - wie eine chemische Verbindung den Elementen gegenfiber, aus denen sie besteht - - , es ist daher unmSglich, aus der Raumvorstellung selbst die Empfindungen, die ihr zugrunde liegen, ph~nomenologisch herauszuanalysieren. Der Sehende wird frei- lich immer angeben, dab sich ihm der Raum vorwiegend optisch dar- stelle, und zwar auch dann, wenn er sich im Finstern tastend orientiere. Was sagt er aber damit ? Nichts anderes, als dab die ,,Raumvorstel- lung" bei ihm vorwiegend auf optischem Wege erregt wird, und dab er das zur Entstehung der Raumvorstellung fiihrende Erleben yon Ge- sichtseindriieken mit dem Erleben der Raumvorstellung selbst zu- sammenwirft, so daf~ ihm diese als ein Optisches erseheint. ~ n l i e h e s gilt vom Wort. Das Wort ist keineswegs etwas Akustisches, es ist ,,ein Zeichen ffir einen Vorstellungs- oder Begriffsinhalt", das uns nur deshalb als ~kustisch, als ein , ,Lautkomplex" erscheint, weil es beim HSrenden vorwiegend auf diesem Wege erregt wird. Wer viel liest, wird wahr- seheinlich einen optischen Einsehlag bemerken, wer viel schreibt, viel- leicht auch eine Beteiligung von Schreibbewegungsimpulsen; in letzterem Falle wird, wie nicht verkannt werden kann, ein Vorgang, der sich an die Erregung des Wortes anschlieflt oder h5chstens mit ihr gleichzeitig an- geregt wird, mit zur Wortvorstellung gerechnet. Man sollte sich daher, wenn man die Frage erSrtert, woraus die Wortvorstellung bestehe, darfiber klar sein, ob man wirklich nur das vorgestellte Wort meint oder das ganze Erlebnis, welches sozusagen im Worte kulminiert, aber doch aueh versehiedenes mit einschliei~t, das ihm - - kurz gesagt - - voran- geht, mit ihm einhergeht oder ihm folgt. Stricker fiihrte z. B. aus, dal~ beim Denken in Wortvorstellungen fortw~hrend leichte Bewegungs- impulse nach den Sprechorganen abflieBen, erkl~rte aber auch: ,,Die Wortvorstellungen sind motorische Vorstellungen", und war sich sicht- lich dessen nicht klar bewuBt, da$ er damit zweierlei behauptete. Mit ersterer Fassung sagt er abet sicherlich etwas Richtiges, wenigstens fiir gewisse Individuen mit ,,motorischer" Veranlagung Zutreffendes, wo-

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gegen le tz te re B e h a u p t u n g zweifellos unr ich t ig ist. Ebenso un r i ch t i g is t es freilich, wenn Wundt sagt, d ie Wor tvo r s t e l lungen seien , , immer gleichzeit ig akus t i sche und motor ische Vorstel lungen, wobei d a n n wie in jeder K o m p l i k a t i o n ba ld der eine, ba ld der andere Bes t and te i l i iber- wiegen kann" , - - auI3er man rechne t zur Wor tvo r s t e l l ung eben auch, was ihr vorangeht , das Akust ische, und was ihr folgt, das Motorische, yon welchen Momenten al lerdings ba ld das eine, ba ld das andere im Gesamter lebnis vorwiegen, ja das e igent l iche Wor te r l ebn i s i iberwiegen ,kann. Sicher ist , daI] wir o/t in Worten denken, ohne zur Zeit auch nur im geringsten akustische oder motorische Vorstellungen zu haben, was un-

mSglich w~re, wenn die W o r t e selbst e twas Akust i sches oder Motorisches oder beides zugleich w~ren. W e r dies leugnet , beweis t m. E. nur , dab er als Se lbs tbeobach te r das W o r t n ich t aus den versch iedenar t igen Ge- samter lebnissen , in denen es mi t erscheint , he rausheb t und dem Zwange unter l iegt , das W o r t immer sozusagen in der Be leuch tung zu sehen, in die er es du t ch einsei t ige Ber i icks icht igung einer be s t immte n A r t des Wor t -Er l ebens g le ichsam ein ffir a l lemal gerf ickt h a t z).

Das gleiche wie ffir physiologische gi l t nun aber auch fiir pa tho lo- gische psychische Ph~tnomene. Auch sie b rauchen die mehr e l emen ta ren psychischen Vorg~nge, aus denen sie hervorgegangen, n ich t ausnahmslos fiir sich e rkennen zu lassen. W i t s ind daher auch n ich t dazu verha l ten , nur das, was wir an e inem solchen Ph~tnomene kons ta t i e ren , und n ich ts dar i iber zur Erk l~rung seiner Genese zu verwenden. Was wi t kon- s ta t ie ren , wird se lbs tvers t~ndl ich i m m e r die Grundlage abgeben und ge- naues te Berf icksicht igung l inden miissen. We l t e r werden wir abe t auch

1) U. a. scheint auch die Stellungnahme des einzelnen zur Frage der Identit~t yon Sprechen und Denken - - sie ist, wie Arnold Pick (Die agrammatischen SprachstSrungen. Berlin 1913), ein genauer Kenner der ganzen Materie, bemerkt, unter Sachkundigen in negativem Sinne entschieden - - nicht zum geringsten Teile yon seiner Auffassung des Wortes als Ph~nomen abh~ngig zu sein. Wet das Wort generell als akustische VorsteUung nimmt, wird die Tatsache des Denkens ohne Worte. leichter zugeben, als wer das Wesentliche am Worte in dem Inhalte erblickt, den es ,,bedeutet". Was wir zum Denken brauchen, ist dieser Inhalt. Ob das Zeichen fiir ihn dabei selbst mehr oder weniger deutlich mitbewul3t wird, ist Nebensache. Zweifellos gibt es da grol3e individuelle Unterschiede, und die Autoren, die in der grol3en Diskussion fiir die Identit~t yon Sprechen und Denken ein- getreten sind, mSgen zu den Menschen gehSren, bei denen das Denken gewShnlich yon den Worten begleitet ist. Eine welt subtilere Frage ist die, ob wir, wenn schon nicht immer in Worten - - was wohl als sicher gelten kann - - , so doch immer in Wort-Inhalten denken, also in der Art, dal3 wir die Begriffe beim Denken immer so fassen und nehmen, wie es uns durch unsere Sprache, d. h. durch die Inhalte ihrer Worte, vorgezeichnet ist, - - oder nicht, dab es also auch ein Denken gibt, das sich seine Begriffe (zum Teile) fiir den Fall bildet und sich damit sozusagen dem Zwange durch die Sprache entzieht. Erst dieser Fall wtirde die viillige Freiheit de~ Denkens yon den Fesseln der Sprache bedeuten, w~hrend im anderen Falle - - freilich nicht yon einer Identit~t yon Sprechen und Denken, abet doch immer noch yon einem engen Gebundensein des Denkens an die Sprache geredet werden mtiBte.

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unser Wissen tiber analoge Vorkommnisse u n d nament l ich fiber das- selbe Vorkommnis un te r normalen Verh~ltnissen mi t heranzuziehen

haben. Mag also z. B. ein Kranker , der das Symptom des Gedanken-

lautwerdens zeigt, fiber vom Worte ausgehende Bewegungsimpulse oder -vorstel lungen von auffi~lliger Intensiti~t Eignes ber ichten oder nieht ,

Tatsache ist - - nach dem Zeugnisse vieler geistig Gesunder u n d K r a n -

ker - - , dab mi t solehen zu rechnen ist, u n d dies al lein g ib t uns schon alas Recht, bei dem Versuche einer Erk l~rung der Genese des Sym-

ptomes auch ihre Mitwirkung zumindes t zu erw~gen, zumal es mSglieh wi~re, dab das Gedanken lau twerden eben die Ar t ist, in der sich un t e r den vorl iegenden pathologisehen VerhMtnissen das S ta t t f inden dieser

Vorg~nge der inne ren W a h r n e h m u n g des K r a n k e n darbiete t .

Kann uns nun das Stattfinden st/~rkerer Bew%o~ngsimpulse bzw. die in- tensivere Belebung von ,,Bewegungsvorstellungen" allein die Genese des Ge- dankenlautwerdens fiberhaupt erkl/~ren ? Nicht das Gedankenlautwerden in allen seinen offenbar auch genetisch recht versehiedenen Formen, aber vielleieht eine yon diesen Formen. Das Wahrnehmen st/irkerer Spraehbewegmngsimpulse und die halluzinatorische Steigerung der Bewegungsvorstellungen zu Bewegungs- wahrnehmungen miiBte den Kranken vor allem dazu bringen, sich selbst spreehend zu w~hnen. In der Tat geben, wie bereits erwShnt, manche Kranke wahnhafter- weise an, dab sie - - unter einem zwingenden Einflusse - - ihre Gedanken aus- spreehen. Es ist aber wohl kaum zu bestreiten, dab - - objektiv betrachtet - - aus tier halluzinatorischen Erregung im Sprachbewegungsgebiete aueh eine solche im akustischen Gebiete und damit ein Lautwerden der Gedanken im Sinne der Autoren abgeleitet werden k6nnte, sind doch die akustisehen und motorischen ,,Wort- vorstellungen" ohne Zweifel aufs innigste ,,assoziiert". Eine Klippe zeigt sich freilich auch da. W~re die akustische Halluzination sozusagen das sekund~re Ergebnis der Halluzination seiner habituellen eigenen Sprechbewegungen, so miiBte der Kranke seine Gedanken auch mit seiner eigenen Stimme ausgesprochen hSrenl). Es wi~re also nur wieder das Gedankenlautwerden im Sinne der erwi~hnten Kranken, nicht aber in dem der Autoren erklart, da die Kranken, auf die sich ihre Aus- fiihrungen beziehen, ihre Gedanken yon /remden Stimmen ausgesprochen h5ren. Es miissen in solchen F~llen, wenn bei ihnen die bezeichneten Vorg~nge in der Bewegungssph~re iiberhaupt eine l~olle spielen sollten, jedenfalls noch andere Momente mitwirken, z. B. etwa eine aus Wahnideen resultierende Einstellung auf die Stimme einer bestimmten Person. Unter solchen Umst~nden muB es dahin- gestellt bleiben, ob diese Momente nicht auch ohne eine pathologische Erregung in der Bewegungssphdre das Symptom zu begrtinden vermSgen, eine Annahme, zu der ein groBer Tell der Autoren j a neigt. DaB aber auch in diesen F~llen yore Worte ausgehende emissive Impulse mitspielen kSnnten, kunn m.E. nicht in Abrede gestellt werden, sind doch mit der intensiven Vorstellung einer fremden Stimme

1) Es w~re allerdings mSglich, dab das ungewohnt intensive Mitklingen dem Kranken das Mitsprechen einer /remden Stiiume vort~uscht. Klin]ce spricht im Berichte fiber seine Selbstbeobachtung yon einem ,iiberaus lauten DrShnen des Klanges der Stimme", bzw. der ,,eigenen Worte", bringt dies mit der ,,gesteigerten Stimminnervation" in Zusammenhang und ffihrt an, dab ihm dabei ,,plStzlich der Gedanke aufstieg, es habe ein anderer die Worte mitgesprochen und dadurch den Klang der Worte verst~rkt". ~hnliches kSnnte auch fiir das Gedankenlautwerden der Autoren in Betracht zu ziehen sein.

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Eigenartige Gesichtshalluzinationen in einem Fallev. akuter Trinkerpsychose. 513

- - werm reich die Selbstbeobaehtung nicht tauscht - - immer aueh mehr oder weniger deutliche Bewegungsimpulse, die der Imitation dieser Stimme entsprecben, verbunden. Die erw~hnte wahnhafte Einstellung kSnnte also eine der betreffenden Stimme adequate motorisehe Erregung und erst auf dem Wege tiber diese die akustische Halluzination auslSsen.

Was nun unseren Fall betrifft, kommen zuvSrderst Bewegungs- impulse in Betracht, die vom Worte (unter Mitwirkung des optischen ,,Erinnerungsbildes" des geschriebenen Wortes?) her auf den moto- rischen Sehapparat wirken - - im Sinne der Innervat ion jener Be- wegungen, welche dem optisch-motorischen Erfassen der erwarteten Schriftzfige, bzw. dem Verfolgen ihres Entstehens mit den Augen ent- sprechen. Aul~erdem mSgen auch Bewegungsimpulse in das Gebiet der Schreibhand mitspielen. Der Kranke spricht zwar nieht ausdriieklieh von solchen, aber sein Hinweis auf die Ji~hnlichkeit des ,,lumin5sen Fernsehreibens" mit dem ,,Verfolgen der schreibenden eigenen Hand" sprieht daftir, abgesehen v o n d e r zweifellos wieder recht innigen Asso- ziation zwischen gleiehsinnigen Sehreibbewegungs- und Augenbewegungs- impulsen. Es wird nicht daran gedacht werden kSnnen, den Anteil, welchen die einen und die anderen Bewegungsimpulse an der Gonese des Symptoms haben, genauer abzuschi~tzen. Fiir den Gang der Unter- suehung erw~chst daraus aber keineswegs ein Hindernis, da es dabei nicht darauf ankommt, ob auBer den Augenbewegungsimpulsen aueh Schreibbewegungsimpulse fiberhaupt mitwirkten oder nicht.

Wir diirfen wohl annehmen, dab diese Bewegungsimpulse zu illnen inhaltlich entsprechenden kini~sthetischen Erregungen ffihrten, - - so, wie wir annehmen, daft in gewissen Fi~llen yon , ,Gedankenlautwerden" die vom Worte ausgehenden Sprachbewegungsimpulse die diesen ent- sprechenden kin~sthetischen Erregungen hervorrufen. Von dem Be- wegungsimpulse gilt ja erst so recht, was Ribot v o n d e r ,,reprdsentation d 'un mouvement" , also yon der ,,Bewegungsvorstellung" sagt, er ist ,,un mouvement qui commence, un mouvement ~, l 'dtat naissant", - - und diese beginnende Bewegung ist es, die nach unserer Annahme zu den erw~hnten Erregungen im kin~sthetischen Gebiete fiihrt, Er- regungen, die um so intensiver ausfallen miissen, wenn - - was wir ja fiir unseren Fall annehmen - - gleichwie in anderen Sinnesspharen, so auch in der kin~sthetischen eine pathologische Ubererregbarkeit besteht.

Was aber schlieBlich die Halluzination in unserem Falle zur op- tischen maeht, ist die Miterregung in der optischen Sphere yon der kin~sthetischen Sphere her, geradeso, wie das Gedankenlautwerden zu einem akustischen Halluzinieren durch Miterregung der akustischen Sphere auf gleichem Wege wirdX).

1) Es sei bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dab unser Kranker aueh ein Symptom erwi~hnt, das vom ,,Gedankenlautwerden" nicht weit abzustehen seheint. Er nennt es das ,,drahtlose Fernsprecben". Er sprach, wie er erz/~hlt,

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Die optische Erregung ist also nach unserer Annahme sozusagen das letzte Glied der Entwicklungskette des besprochenen Phi~nomens. Sic fiihrt schlieBlich seine ,,Visualisierung" herbei, sic ermSglicht es ihm erst, ein optisches Phi~nomen zu werden. Sic reicht dazu gerade aus, t r i t t im Erlebnis keineswegs besonders hervor. Schon die Bezeichnung ,,phosphorescent" spricht fiir eine rage, recht wenig deutliehe Lieht- erscheinung. Noch bezeichnender ist die Aussage des Kranken: ,,Jeden- falls ein optischer Eindruek", die - - besonders in der zSgernden, un- sicheren Art, in der er sic vorbrachte - - erkennen li~Bt, dab das op- tisehe Moment dem kini~sthetischen gegenfiber zumindest nicht sonder- lich deutlich ausgesprochen war.

Das ,,luminSse Fernschreiben" unseres Kranken stellt sich also m. E. der Hauptsache nach als ein optisch-kinlisthetisches Halluzinieren dar.

Eine Grundbedingung des Zustandekommens solcher Phanomene - - auBer gewissen Formen des ,,Gedankenlautwerdens" gehSren wahr- seheinlich noch manche andere Halluzinationen und verwandte Er- seheinungen hierher - - dfirfte eine erh6hte motorische Ansprechbarkeit sein. Die letztere muB offenbar keineswegs immer in einem ,,Reiz- zustand" der motorischen Sph~tre begrfindet sein, was mit Rficksicht auf den in der Theorie der Halluzinationen immer wiederkehrenden l r r tum, dab gesteigerte Ansprechbarkeit und Reizzustand eines Rinden- feldes als gleichbedeutend genommen werden kSnne, weft letzterer die unbedingte Voraussetzung der ersteren sei, besonders betont werden muB, sondern sic kann auch im wesentlichen oder ganz auf der Herab- setzung hemmender bzw. regulierender Einflfisse beruhen. DaB speziell beim Delirium tremens beides anzunehmen ist, also sowohl Reiz- zustand als auch Herabsetzung regulierender Einflfisse, kann nach der ganzen Erscheinungsweise dieses Zustandes kaum bezweifelt werden.

Es fragt sich m. E. nut, ob die Bedeutung des motorischen Momentes fiir die Genese der Halluzinationen nicht etwa noch weir fiber den engeren Kreis der zuni~chst in Betracht genommenen Halluzinationen hinausreicht. Was besonders das Delirium tremens betrifft, l~l~t u. a. die bekannte Neigung des Kranken zu lebha/t bewegten Gesichtshallu- zinationen den Gedanken an einen solchen Zusammenhang naheliegend erscheinen. Kraepelin erkl~rt: , ,Fast immer zeigen die Gesichtsbilder

zun~chst tats~ichlich, wenn er in welter Ferne gehSrt werden wollte. ,,Sp/~ter kam ich auf den Gedanken, dab es tiberhaupt nicht notwendig war, die Lippen zu be- wegen, dab das blofle I)enken gentige." Ich vermute, dal~ es ,,gentigte", weft die entsprechenden Bewegungsimpulse erregt wurden. Gefragt habe ich den Kranken dartiber nicht, weft das kaum m6glich gewesen w/~re, ohne ihn zugleich zu be- einflussen. Man k6nnte sagen: Es handelt sich um das nicht gerade seltene Sym- ptom, das Kranke ,,Gedankeniibertragung" u. dgl. nennen. Zugegeben; abet es w~re eben m6glich, dab auch bei der Genese dieser Erscheinung Bewegungs- impulse in dem oben bezeichneten Sinne mitspielen.

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mehr oder weniger lebhafte Bewegung, wohl im Zusammenhange mi t der KSrperunruhe und Augenmuskelbewegungen." Gewil3, aber es f ragt sich, welcher Art dieser Zusammenhang ist, und es w~re mSglich, dab er in der gleichen zentralen Bedingthei t zu suchen ist. Aber auch ganz abgesehen yon dem besonderen Falle des Deliriums, verdient die Rolle des motorischen Momentes in der Theorie der Hal luzinat ionen mehr Berficksichtigung, als sie bisher gefunden hat .

Von Psychologen, die der psychophysischen Bedeutung des Motorischen besonders nachgehen, seien zwei herausgegriffen. Mi~nsterberg z) finder: Die mo- torisehen Prozesse sind bisher bei der Erlfl~rung der psyehophysischen Prozesse total vernaehl~ssigt worden; die Apperzeptionstheorie und die Assoziationstheorie saint allen psychophysisehen Variationen sind prinzipiell durch und dutch sen- sorische Theorien. Der nerv6se Proze[3 ist aber stets ein sensorisch-motorischer. Unser Gehirn bereitet in jeder Erregung Handlungen vor. Diese Aktionen des Organismus miissen ftir die zentrale Funktion des Gehirnes genau so entseheidend sein wie die Impressionen. Die rein sensorischen Anschauungen sind somit dutch sensorisch-motoriseho zu ersetzen (Aktionstheorie); die Bewegungsantriebe selbst sind als Bestandteile des psychophysischen Prozesses zu beriieksiehtigen. Von der sensorischen Endstation str6men Erregungen zum motorischen Apparat aus; yon der St~rke der fortgefiihrten motorischen Erregung h~ngt die Empfindung hinsichtlich ihrer Lebha/tigkeit ab (hinsichtlich Qualit~t und Starke yon der sen- sorisehen Erregung selbst). Die sensorische Erregung ohne motorische Entladung wfirde dann dem niedrigsten Grade der Lebhaftigkeit, also der vollst~ndigen Hemmung entsprechen. Erst beim ,,~bergange in die Entladung" wiirde die physiologisehe sensorisehe Erregung ,,psychophysiseh werden". Je vollst~ndiger die Entladung, desto lebha/ter die Empfindung. Dabei bleibt es gleichgfiltig, ob die sensorische Reizung yon der Peripherie oder assoziativ yon koordinierten Zentralteilen aus erfolgt. Der Unterschied zwisehen Wahrnehmung und Erinnerung ist somit prinzipiell ein Unterschied in der zentralen Entlaclun~; 6/]nen sich die Entladungsbahnen vollsti~ndig, so geht die Reproduktion in die Illusion oder HaUu- zination fiber. - - Mi~ller-Freien/els 2) verfolgt die Tendenz, ,,das Denken und die Phantasie nicht als reproduktive, sondern als reaktive Phgnomene zu fassen; d. h., statt der reproduzierten Vorstellungen schieben wir Geftthle und motorische Erscheinungen in den Vordergrund". Die ,,Vorstellung" wird meist als einfach6 Reproduktion yon Empfindungen gefal3t. Bei sch~rferer Analyse ergibt sich abet, daI3 den Kern des Ph~nomens nicht die ,,Anschaulichkeit" bildet, sondern ein subjektives ,,Richtungsbewul3tsein", das wesentlich a]/ektiv-motorischer Natur ist, ein affektiv-motorisehes .,Stellungnehmen", yon M~ller-Freien/els als ,,Ein- stellung" bezeichnet. ,,Die VorsteUung ist Einstellung plus Reproduktion oder plus fiir sie eintretender vikariierender Ph~nomene motorischer oder sensorischer Natur." Wenn man unter Reproduktion die exakte Erneuerung oder Wiederholung versteht, so sind die allerwenigsten unserer ,,Vorstellungen" Reproduktionen, sondern meist sind es nur ungef~l~r ~hnliche, schematisierte Symbole, die gleichen Kurswert haben. Viele Vorstellungen sind sekund~re IUustrationen yore ab- strakten Wissen her. Geruchs- und Geschmacksvorstellungen: Auf dem Gebiete der niederen Sinne muB ,,die fiberwiegende Verbreitung einer symbolischen Phan- tasie start einer reproduzierenden angenommen werden". ,,GeruchsvorsteUungen" sind gew6hnlieh Geffihlsbegleitungs-Erinnerungen plus Ersatzempfindtmgen

z) M~.nsterberg, Grundzfige der Psychologie. Bd. 1. Leipzig 1900. ~) Miiller.Freien]els, Das Denken und die Phantasie. Leipzig 1916.

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5 1 6 J. Berze :

(Atemeinziehen durch die Nase, Schleimhautreizungen usw.). Bewegungsvor- stellungen (einschliefllich der Wortvorstellungen): ,,Kein reproduktives Element." ,,Die Tatsache, die zur Annahme yon Bewegungsvorstellungen verfiihrt hat, ist die, dal3 es ein auf Bewegungen gerichtetes BewuBtsein gibt, ohne dab die Be- wegungen selbst eintreten. In falscher Analogie nennt man diese zentralcn Ein- stellungen auf Bewegungen Erinnerungsbilder oder Vorstellungen." Tastvorstellun- gen: Ihre Existenz ist zweifelhaft; der Hauptsache nach ,,Geftihle 1) und kin- asthetische Empfindungen, die ich in dieser Gesamtheit als Ersatz fiir das ,Bild' hinnehme, die aber nicht etwa eine schw~chere Wiederholung der vorgestellten Empfindung sind". GehSrvorstellungen: ,,Es besteht ein sehr enger Zusammen- hang zwisehen GehSrsvorstellung und Bewegungen der motorischen Organe, vor allem der ,Stimmbildungsorgane' . . . Es ist tatsdchlich kaum zu unterscheiden, ob man einen Ton innerlich h6rt oder innerlich singt, ob man ein Wort /i~r sich spricht oder h6rt." Das Wesen der Geh6rs-,,Vorstellung" liegt nicht in der Reproduktion, obwohl bei dem Geh6rsinn eine wirkliche Vorstclhmg m6glich ist, weil wenigstens viele Menschen hier Reproduktionen bilden k6nnen. Gesichtsvorstellungen: Vom Gebiete des Gesichtssinnes aus hat mit unkritischer Verallgemeinerung die Assoziationspsychologie die These gewonnen, dab wir yon allen unseren Empfin- dungen Reproduktionen zu bilden verm0chten. Auch hier spielt ,,Einstellung" eine grol3e l~olle; die ,,Visualisierung" ist oft gering. Formen werden leichter reproduziert ale Farben. - - Illusion ist nach Mi~ller-Freien/els das Ergebnis einer falschen Reaktion auf eine oberfl~chlich und undeutlich aufgefaflte Empfindung - - infolge einer voraufgegangenen motorischen oder affektiven Einstelhmg. Die Deutung der Halluzination ergibt sich daraus von selbst. - - Es sei hier auch daran erinnert, dab Storch ~) in einer bekannten Arbeit ~hnliche Gedanken ent- wickelt hat. Er nennt die Empfindung (E) das ,,pathopsychische" Moment, die BewuBtseinsver~nderung, welche der einer E zugehSrigen, als Reaktion erfolgenden Bewegung entspricht, (M) das ,,myopsychische Moment. Die Wahrnehmung des Objektes ist ,,offenbar gleich E ~-M, welchen psychischen Komponenten die materiellen Ver~nderungen a und'fl in der scnsiblen bzw. motorischen K6rper- peripherie entsprechen". Die myopsychische Komponente einer Wahmehmung ist ,,eine ebenso gute Abbildung des Objektes als die pathopsychische". E -b M bilden ,,eine ~uflerst enge ,primdre' Assoziatio~, so dab wenn E anklingt, stets auch M mitschwingt, dagegen ist E yon M aus viel weniger erregbar". Die Er- regung der Pathopsyche ist das Korrelat unserer sinnlichen Empfindungen, die der Myopsyche bildet die Grundlage ftir das mit jeder Wahrnehmung in unser BewuBtsein tretende riiumliche Moment. Nur die Kombinationen myopsychischer Elemente bleiben nach Verschwinden des Sinnesreizes im Gehirn zuriick, das sinnliche Moment ist nur so lange vorhanden, als der Reiz dauert. . ,,DAB unter gewissen Umst~nden ohne elnen Reiz sinnliche Empfindnngen in uns entstehen, l~Bt sich unschwer aus der Annahme erkl~ren, dal~ durch eine Erregung der Myo- psyche ausnahmsweise auch umgekehrt einmal die Pathopsyche anschwingen kann wie bei unseren Tr~umen und Halluzinationen."

1) Als ,,Gefiihle" sind da gemeint auBer <len algedonischen Gcfiihlen alle ,,jene subjektiven Charakterisierungen, die wit zu dem Empfindungsinhalte hinzu- bringen und die nicht in Vorstellungen aufzulSsen s ind" . . ,Das GeftihlsbewuBtsein ist die Komponente besonderer kSrperlicher Prozesse, die andere sind als die huBeren Sinnesreizungcn."

~) Storch, Versuch einer psychophys:schen Darstellung der Sinneswahr- nehmungen unter Berticksichtigung ihrer muskul~ren Komponenten. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurol., II . 1902. - - Derselbe, Versuch einer physiologischen Darstellung des Bewul3tseins, Berlin 1912.

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Es mag sein, dab die Autoren, welche die psychophysische Rolle des motorischen Momentes (der ,,motorischen Entladung", der ,,affektiv- motorischen Einstellung", des ,,myophysischen Momentes" usw.) mit so groller Entschiedenheit betonen, bei ihren Konzeptionen dutch ihren eigenen psychischen Anlagetypus einigermallen mitbeeinflutlt sind. Im Prinzip aber wird man ihnen sicher zustimmen mfissen, und der Patho- psychologe wird gut tun, ihre Auffasssung nicht unberiicksichtigt zu lassen. Fiir die Theorie der tialluzinationen ergibt sich daraus die War- nung vor der vielen festbegriindet erscheinenden Meinung, dal~ in jedem Falle des Auftretens yon Halluzinationen, wenn schon nicht ein Reiz- zustand, so doch eine tJbererregbarkeit in den betreffenden sensorischen Gebieten angenommen werden k6nne. Selbst, wenn es feststiinde, dab eine sensorische Erregung, welche der bei der Wahrnehmung gleichkommt, fiir das Zustandekommen einer Halluzination unbedingt n6tig sei, wiire es unrichtig, darum allein schon auch fiir alle F~ille die Annahme einer sensorischen t~bererregbar]ceit fiir berechtigt zu halten, da die Intensitiit der Erregung nicht nur yon dem Grade der Erregbarkeit, sondern auch yon der Stiirke der in Betracht kommenden erregenden Faktoren abh~ngt und eine abnorme St~irke der letzteren daher vorerst ausgeschlossen sein mfiilte. Nun steht es aber nicht lest, dal~ die sensorische Erregung bei der Halluzination stets der bei der Wahrnehmung gleichkommt bzw. nahe- kommt. Was phiinomenologisch als erwiesen gelten kann, ist vielmehr ffir einen Grol~teil der Halluzinationen einzig und allein, dal~ der Kranke yon der Halluzination geradeso affiziert, geradeso ergriffen wird wie yon der Wahrnehmung, dab er auf sie reagiert wie auf die Wahrnehmung, dab sie ftir ihn den gleichen Erlebniswert hat wie die Wahrnehmung des gleichen Inhaltes, --abgesehen selbstverstiindlich yon den Wirkungsveriinderun- gen, die auf Rechnung des psychischen Gesamtzustandes zu setzen sind oder sich daraus ergeben, dab die Halluzination, wie es ja so oft der Fall ist, einen konkreten Ausdruck der Wahnstimmung bedeutet, was besagt, dall der betreffende Bewulltseinsinhalt (Vorstellung, Gedanke, Antrieb, Absicht usw.) yon vornherein auf eine erh6hte Reaktionsbereitschaft st611t. Es ist schon oft betont worden, daI3 manche Halluzinationen, und zwar nicht nur sog. imperative, etwas an sich haben, was das Ffirwahrhalten, das l~berzeugtsein, die Befolgung viel mehr erzwingt als Wahrnehmungen gleichen Inhalts. Wer sich vor Augen hiilt, dall das Wesentliche am Ph~inomen Halluzination in vielen Fgllen offenbar nicht in der Leb- haftigkeit des ,,Anschaulichen" in ihr, sondern in der ,,geffihlsmitlligen geaktion" zu erblicken ist, und wer weiter bedenkt, dall diese gefiihls- mgllige Reaktion einer Steigerung Ii~hig ist - - auch fiber das Mal~ hinaus, durch welches die betreffende Vorstellung zur Valenz einer Wahr- nehmung erhoben wird, wird auch die jede Kritik ausschliellende, das Geistesleben beherrschende Wirkung mancher Halluzinationen verstehen.

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Die im engeren Sinne motorische Komponente der ,,Einstellung" verdient aber zweifellos ganz besondere Berficksichtigung in der Theorie der Halluzinationen. Wenn z. B. der Zusammenhang zwischen GehSrs- vorstellung und Bewegungen der ,,Stimmbildungsorgane", wie Mi~ller- Freien/els - - m. E. richtig - - erkli~rt, ein so enger ist, dab man kaum entscheiden kann, ,,ob man einen Ton innerlich hSrt oder innerlich singt, ob man ein Wort fiir sich spricht oder hSrt", wenn also normaler- weise nicht sicher zwischen GehSrseindrficken und jenen Bewegungen der Stimmbildungsorgane, die zu ihrer Produktion zu Ifihren geeignet sind, unterschieden werden kann - - und doch ]eder naiv Urteilende ohne Bedenken prompt erklgiren wird, er h6re, wenn also normalerweise offenbar der Trieb im Spiele ist, ,,reproduzierte" GehSrseindrficke als sicher akustisch zu nehmen, auch wenn die spezifisch akustische Kom- ponente im Phi~nomen tats~chlich nur andeutungsweise oder gelegentlich vielleicht auch gar nicht vertreten und, was ich ffir das Wahrscheinlichste halte, durch ein ,,vikariierendes" Moment (gedachtes Akustisches, Er- innerung an Akustisches) ersetzt ist, wenn also bei GehSrsvorstellungen normalerweise fiir gew5hnlich gleichsam eine Vortguschung des 8pe- zi/ischen Sinnescharalcters vorliegt, so wird man zugeben mfissen, dab ,,GehSrs"halluzinationen auch ohne Beteiligung der spezifisch akusti- schen Sphiire, also auch ohne akustische Ubererregbarkeit, von einem Reizzustande in der akustischen Sphere ganz zu schweigen, entstehen kSnnen. So gibt es denn aueh unter der fiberaus gro]~en Zahl yon Kran- ken, die ,,Stimmen hSren", wahrscheinlich nicht wenige, deren ,,Stim- men" gar nicht im wahren Sinne akustisch sind. Das ,,Gedankenlaut- werden" im Sinne Cramers unterscheidet sich yon vielen F~llen des ,,StimmenhSrens" wahrseheinlich nur dadurch, da~ die Kranken bei jenem sich dessen bewul~t sind, da~ ihre eigenen Gedanlcen , , laut" werden bei letzterem dagegen nicht, und da~ beim Gedankenlautwerden die Bewegungsimpulse oft bemerkt werden, beim StimmenhSren dagegen wieder nicht. Unter den Kranken, die ich jetzt beobachte, finde ich fiinf, die beim ,,Stimmenh5ren" best~ndig die Lippen leicht bewegen. Keiner von ihnen wei~ etwas davon. Bei einem - - er ffihrt mit der ,,Stimme" Zwiespraehe - - k a n n man ziemlich deutlich erkennen, wann die ,,Stimme" spricht, und wann er , ,antwortet"; in ersteren Phasen sind die Lippenbewegungen weniger ausgiebig als in letzteren. Man finder aber nicht selten unter Kranken, die nur fiber StimmenhSren und niemals fiber Gedankenlautwerden beriehten, auch solche, die geradeso wie Kranke mit Gedankenlautwerden Bewegungssensationen in den Sprechorganen angeben. Eine an Dementia paranoides leidende 37ji~hrige Frau, die ich jetzt sehe, hSrt Stimmen, die besprechen, was sie gerade tu t : , ,Jetzt kocht sie", - - ,,jetzt macht sie das Fenster auf", aul~erdem Beschimpfungen und Bedrohungen: ,,Nun haben wir sie,

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wir schliegen die Klappe." Diese Frau nun ,,spiirt die Stimmen in der Zunge"; die Zunge wird ,,yon den Stimmen zu viel angestrengt"; sie~ hat oft ,,davon Schmerzen in der Zunge"; ,,heute ist die Zunge schon ganz mfide davon". - - A u s solehen Beobachtungen darf nicht ge-. schlossen werden, dab ein wahrnehmbarer tatsdchlicher Bewegungs- effekt in den Sprechorganen zur Entstehung yon ttalluzinationen - - in den F~llen, in denen es auf das motorische Moment iiberhaupt an- kommt - - notwendig sei. Tats~chliche Bewegungseffekte yon solcher Intensit~t stellen vielmehr sozusagen fibersehiissige Erscheinungen der Erregung in der motorischen Sphere dar und dienen uns nur als ein Beweis dafiir, dai~ wit berechtigt sind, diese Erregung wirklich an- zunehmen und mit ihr zu rechnen. F~lle dieser Art sagen uns zugleich. aber auch, dal~ wir die Beteiligung des motorischen Momentes an der Genese der Halluzinationen auch in anderen F~llen zumindest erw~gen miissen, in FMlen, in denen weder objektive Zeichen noch - - sub- jektiv - - die Bewul~theit der motorischen Erregung als solcher ge- geben sind. DaB erstere nicht gefordert werden k6nnen, ergibt sich daraus, dab unter Umst~nden ein Grad yon Erregung in der motorischen Sphere, der zur Hervorrufung tats~chlicher Bewegungseffekte nicht ausreicht, geniigen kSnnte, den ihr yon uns zugeschriebenen psycho- physischen Effekt zu ergeben. Dag abet die innere Wahrnehmung der motorischen Erregung nicht unbedingt gegeben sein mul~, erhellt aus der oben er6rterten Tatsache, dag die elementaren Vorg~nge, aus denen ein psychisches Phiinomen hervorgegangen ist, aus diesem selbst keineswegs ausnahmslos ph~nomenologisch wieder herausstellbar zu sein brauchen.

~hnliches wie fiir das StimmenhSren und andere akustische Hallu- zinationen dfiifte auch ftir Halluzinationen auf anderen Sinnesgebieten gelten, insbesondere auch ftir Gesichtshalluzinationen. Wie von mir in einer frfiheren Arbeit 1) hervorgehoben worden ist, ist die Lebhaftigkeit unserer Gesichtsvorstellungen ganz besonders Lebhaftigkeit der vor- gestellten ,Form und das optische Halluzinieren in der Regel der Haupt- sache nach ein Halluzinieren yon Formen, ein Gestalten-Sehen, dem gegenfiber das Licht- und Farbensehen entschieden zurficksteht. Auch bei der Entstehung optischer Halluzinationen kann also motorische Erregung, n~mlich die optisch.motorische, wahrseheinlich oft einhergehend mit einer andere KSrpergebiete betreffenden motorischen Erregung, bzw. das Ergebnis solcher Erregung, also optiseh-kini~sthetische und sonstige kin~sthetisehe Impressionen, die wesentliche Rolle spielen.

Jedenfalls wird zugegeben werden mfissen, dal~ die Theorie der Halluzinationen auch die MSglichkeit des Gegebenseins und der ge- netischen Bedeutung motorischer Ubererregbarkeit zu beriieksiehtigen

1) Berze, Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. Zeitschr. f. d. ges.. Neurol. u. Psychiatrie 44, 265.

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hat , und dal3 es nicht angeht, in jedem Falle yon vornherein sensorische Ubererregbarkei t anzunehmen, bzw. wenn Grund zu ihrer Annahme ist, in ihr von vornherein die wesentliche oder gar die einzige patho- logisehe Grundlage der Hal luzinat ionen zu erblicken. Wo Grund ist zur Annahme motoriseher Ubererregbarkei t neben der sensorisehon, wird man daran zu denken haben, dab erstere nicht nur als an der Genese der Hal luzinat ionen i iberhaupt beteiligtes Moment in Be t raeh t kommen kann, sondern dab aueh gewisse Ziige der Erscheinungsweise der Halluzinat ionen im Einzelfalle auf ihre Rechnung kommen kSnnen. Dies tr ifft u. a. offenbar fiir gewisse delirante Zusti~nde, insbesondere auch ftir das Delirium tremens zu. Die motorische Ubererregbarbeit be- dingt erstens viele Anregungen zu Halluzinationen, namentl ich des Ge- sichts, t r s zweitens zur Begrt indung ihrer Lebha]tigkeit bei, bedingt es dri t tens oder ist doch eines der Momente, die es bedingen, dab die Halluzinat ionen des Deliranten fast immer lebha]te Bewegung zeigen. Das Verhi~ltnis, in dem sich die sensorisehe L?bererregbarkeit einerseits, die motorisehe andererseits an der Genese des Symptoms beteiligt, kann recht verschieden sein, nieht nur bei verschiedenen Delirien, sondern auch bei verschiedenen F~llen yon Delirium tremens, bzw. in versehie- denen Stadien des letzteren. I n unserem Falle (,,luminSses Fern- schreiben") scheint die Erregung in der motorischen Sphgre die Haup t - saehe gewesen zu sein, die sensorische dagegen, wie bereits ausgefiihrt, nur so weit mitgespielt zu haben, als gerade ausreichte, die Hal luzinat ion sozusagen im optisehen Medium erscheinen zu lassen.

~Nur anhangsweise sei noeh ein Zug im Krankheitsbilde kurz besproehen, der wohl auch in andcren F/~llen von Delirium tremens fast immer zu beobaehten ist, in unserem aber besonders deutlich hervortrat: ~qicht nur in Zeiten, da der Kranke ziemlich besonnen war, sondern auch in Stadien mit schwererer Herab- setzung des Bewul~tseins war den Halluzinationen und Wahnide~n typisch schreck- haften Inhaltes geradezu regelms in Erlebnissen (Hatluzinationen, Wahnideen, unbestimmten BewnBtheiten) beruhigenden, trSstenden, schtitzenden Inhalts ein gewisses Gegengewicht geboten. Es gab viol Feinde, - - aber mit ihnen erschienen immer auch helfende Freunde. Mit Luzifer kam auch Christus. Dem feindlichen Arzt trat der freundlich gesinnte ,,beriihmte Internist" gegeniiber. Man wollte den Kranken ersehieBen,-- aber der Revolver ging nieht los. Man wollte ihn erdolchen,-- aber er konnte sieh dureh Kreuzen der Beine davor schtitzen. Man droht ihm mit dcr Kastrierung, m vollzieht dann die Operation an einem anderen, ihn aber ,iibersieht man einfaeh". Es liegt nahe, dieses Spiel und Gegenspiel der Ideen mit der aus ,,Angst und I-Iumor" gemischten Stirnrnunj des Deliranten zusammen- zuhalten, die unangenehmen Inhalte auf die negative, die angenehmen auf die positive Komponente zuriiekzufiihren. Ist Pat. auch manchmal ganz ,,in Verzweif- lung" oder ,,durehdrungen vonde r Wirkliehkeit der ihm drohenden Gefahr", so schlggt doch immer wieder die positive Stimmungskomponente dutch. Selbst in den schrecklichsten Situationen gibt es fiir ihn zwischendurch immer auch ,,recht heitere Momente". Als die Sache reeht kritiseh wird, ,,unterh~lt er sich doch wieder bei der ganzen Gesehichte" und ,,empfindet eigentlieh keine l~urcht". Mochte ibm noch so Schreckliches drohen, so gab ihm doch wieder etw~s ,,eine

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Eigenartige Gesichtshalluzinationen in einem Fallev. akuter Trinkerpsychose. 521

unerschfitterliehe Seelenruhe". Man schiittete Gift in seine Speisen oder hatte die fiir ihn bestimmten Speisen schon vorher in der Kfiche vergiftet, - - er aber aB sie ruhig auf. Woher diese Unbesorgtheit, woher dieser heitere Einschlag? Bonhoe//er finder, dal3 der ,,euphorische Affekt dann auftritt, wenn die assoziative Tgtigkeit am tiefsten daniederliegt", und meint, da0 er als Ausdruek der psychi- schen Schwgche zu betrachten sei. Kraepelin mSchte die eigentfimliche Euphorie der Deliranten dagegen ,,der belustigten Sorglosigkeit an die Seite stellen, wie wir sie beim Trinker i iberhaupt . . , so h~ufig finden". AuBerdem maeht dieser Autor bei der Sehilderung des ,,ungemein bezeiehnenden Gemisches yon geheimer Angst und Humor" eine m. E. wichtige Bemerkung; es seheine, ,,als wenn der Kranke neben den Sehreckbildern und Gefahren doeh mehr oder weniger deut]ich die lgcherlichen Unm6glichkeiten und Widersprfiche in seinen deliri6sen Erleb- nissen empfindet". Man muB, wie ieh glaube, fragen: Wie kommt es, dal~ der Kranke diese ,UnmSg|ichkeiten und Widersprfiche" zu empfinden und sich fiber seine Lage lustig zu machen vermag ? Unser Kranker deutet die Antwort auf diese Frage an: es liegt an der Unvollstdndig~eit des ~]berzeugungsge/i~hles des Kranken vonde r Wirklichkeit des Inhaltes seiner Halluzinationen und Wahn- ideen und damit an der Unvollst~ndigkeit seiner ~berzeugtheit vom Ernste der Situation. Es soll nieht geleugnet werden, dab dieses ~berzeugungsgeffihl zeit- weise tier genug ist, jede spaBhafte Regung unm6glich zu machen. Es sind dies die Zeiten, in denen er ,,durchdrungen" ist ,,vonder Wirkliehkeit der ihm drohenden Gefahr". Aber abgesehen yon diesen Zeiten haben die Halluzinationen trotz aller Lebhaftigkeit offenbar etwas an sich, was geeignet ist, das ,,Realiti~tsgefiihl" mehr oder weniger abzuschw~chen und Zweifel an der Realit'~t aufkommen zu lassen. Die Rollen des Heilandes und des Luzifer ,,waren yon Menschen gespielt, aber obwohl ich dessen bewuBt war, geborchte ich ihrem GeheiBe". Wenn der Kranke yon einer Phase seines De]irs behauptet, er sei ,,ganz im klaren" gewesen, ,,dab da~ Ganze nur eine Illusion sei"l), so dfirfte er freilich wohl zu weft gehen. Solches dfirfte, wenn fiberhaupt, nur ganz vorfibergehend in Zeiten relativeu ,,Erwachen "mSglieh sein, z. B. jenes Morgens, da sich der Kranke, wie er berichtet, seiner Situation beil~ufig bewuBt wurde. Es daft iiberhaupt nieht auBer acht gelassen werden, dab die ,,Herabsetzung des BewuBtseins" h~ufige Intensitgts- schwankungen aufweist, nieht nur phasenweise, sondern auch im Sinne yon zu jeder Zeit m6glichen Oszillationen. Aber im allgemeinen wird man doeh an- nehmen kSnnen, dab ebenso wie eine so geringe Herabsetzung, die den Kranken noch ,,im klaren" sein l~Bt fiber den irrealen Charakter, aueh eine so weitgehende Herabsetzung, die dem Kranken jede M6gliehkeit des Zweifels benimmt, nur vorfibergehend statthat, und dab der sonst vorherrsehende mittlere Grad voe Herabsetzung des BewuBtseins das Aufkommen einer leisen Kritik und damit der heiteren Komponente des Stimmungsgemisches, der ,,belustigten Sorglosig- keit" des Trinkers erm6glicht. DaB trotz dieser nieht sehr weitgehenden Be- eintr~mhtigung des BewuBtseins die T~usehungen eine so groBe sinnliehe Dentlich- keit aufweisen k6nnen, sprieht m.E. wieder gegen ein restloses Abhiingigkeits- verhSltnis der ,,halluzinatorischen Hyperproduktion" yon der ,assoziativen Schw~che" und dafiir, dab neben der letzteren eine sensorische und aueh mo- torische ~bererregbarkeit als primi~re Elementarst6rung steht.

1) Ein anderer Kranker, den ieh vor Jahren beobachtet habe, sagte mir naeh Ablauf des Delirs: ,,Ieh habe ja doeh gewuBt, dab das Ganze nur Theater war !"