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1 Einführung Langfristige Entscheidungen sind häufig komplex, dynamisch und unvorherseh- bar; dennoch vertrauen sie häufig auf In- formationen und Situationseinschätzun- gen, die kaum mittels historischer Daten gestützt werden können. Zahlreiche, be- reits ältere Veröffentlichungen [u.a. Ma- Pe85] stellen quantitative oder qualitative Lösungsansätze vor, die sich auf problem- orientierte Extrapolationsansätze aus der Vergangenheit konzentrieren. Diese Me- thoden sind mehrfach in Systeme inte- griert worden, die heute wohl als Ent- scheidungsunterstützungssysteme (EUS) bezeichnet würden. Alternativ werden langfristige Pläne von Experten mit Modellierungs- und Si- mulationsexpertise aufgestellt. Simulatio- nen setzen voraus, daß alle Annahmen ex- plizit dargestellt und dann in ein Glei- chungssystem übersetzt werden, das die Interdependenz der Annahmen und der jeweiligen Konsequenzen aufzeigt. Die Konsequenzen der von den Nutzern ge- nannten Annahmen werden repräsentiert, unabhängig davon, ob diese Annahmen richtig oder falsch sind [Forr72]. Während entsprechende Experten für ihre Modellierungsfähigkeiten bekannt sind, gilt ihre Leistungsfähigkeit im Rah- men der dynamischen Simulation als eher schwach [z.B. Ster89]. In jüngerer Zeit zei- gen Forschungsergebnisse der Verhaltens- wissenschaft (‚cognitive science‘), daß kognitives Feedback sowohl zur Verbesse- rung von Entscheidungen als auch von Entscheidungsprozessen beitragen kann [z.B. SeTe93; SeAb93; PaSt93]. Dieser Artikel stellt System Dynamics (SD) [Forr69; Forr87] als EUS-Entwick- lungsansatz vor, der kognitives Feedback unterstützt. Die vorgeschlagene Vorge- hensweise ist bereits mehrfach in Zusam- menarbeit mit hochrangigen Managern zur Entwicklung strategischer Planungs- werkzeuge für den Mobilfunk-Markt ein- gesetzt worden [Loeb96; BuLo96]. 2 System Dynamics als EUS-Entwicklungansatz SD, das zurückgeht auf Forrester [Forr69; Forr72] ist bereits vielfach erfolgreich in verschiedenen Entscheidungssituationen im wirtschaftlichen und sozialen Umfeld angewandt [Forr71; Home87; MeMR93] sowie kritisch hinterfragt [Barl96; Home 96; Mill96; Rich96] worden. Der Ansatz stützt sich auf den Grundgedanken der Kybernetik, wonach keine Größe eines Systems unabhängig von den anderen Größen darstellbar ist [Robe78]. Als dyna- misches Entwicklungsverfahren betont SD Kausalbeziehungen und ihre Wechsel- wirkungen untereinander. SD-basierte Systeme bieten ihren Nut- zern einen Bezugsrahmen für das Ver- ständnis dynamischer Beziehungen zwi- schen einzelnen Systemelementen. Somit geht SD über die traditionelle Entschei- dungsunterstützungsmetapher hinaus und kann auch als Werkzeug zur Förderung des strategischen Denkens, der Gruppen- diskussion und des Lernens in Manage- mentteams genutzt werden [More92]. SD- Charakteristika lassen den Ansatz beson- ders geeignet erscheinen für (1) Entschei- dungsumfelder mit einer hohen Intensität dynamischer Rückkopplungsschleifen zwischen den verschiedenen Kräften [Mo- re86] und für (2) Entscheidungssituatio- nen mit einem großen Ausmaß an implizi- ter Expertise. Forrester [Forr72] nennt folgende Un- zulänglichkeiten ,mentaler‘ Modelle, die ihn zur SD-Entwicklung veranlaßt haben: ,Mentale‘ Modelle sind meist schlecht definiert und auf verschiedene, nicht klar beschriebene Ziele ausgerichtet. Modellannahmen sind nicht eindeutig beschrieben. Das Einfließen von Infor- mationen und Erfahrungen in den Mo- dellierungsprozeß ist unklar. ,Mentale‘ Modelle lassen sich nur schwer in Zusammenhang mit anderen Modellen setzen. Eine gezielte Manipulation ,mentaler‘ dynamischer Modelle ist schwer durchführbar. Im Gegensatz dazu werden SD-Modelle auf ein bestimmtes Ziel bzw. auf eine prä- zise Fragestellung ausgerichtet, und die ge- troffenen Annahmen werden explizit dar- gestellt. ,Szenarien‘ können aufgezeigt und analysiert werden. Dementsprechend sollten SD-basierte EUS anhand von drei Fragen beurteilt werden [Forr72]: 153 Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungs- unterstützungssysteme Claudia Löbbecke WI – Aufsatz WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 2, S. 153 – 161 Prof. Claudia Löbbecke, Chair for Electro- nic Commerce, Copenhagen Business School, Howitzvej 60, DK-Frederiksberg, Tel: (+45) 3815-2455, Fax: -2401. Dieser Beitrag wurde im Rahmen einer Tätigkeit an der Erasmus Universität Rotterdam, Faculteit der Bedrijfskunde, erstellt.

Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

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Page 1: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

1 Einführung

Langfristige Entscheidungen sind häufigkomplex, dynamisch und unvorherseh-bar; dennoch vertrauen sie häufig auf In-formationen und Situationseinschätzun-gen, die kaum mittels historischer Datengestützt werden können. Zahlreiche, be-reits ältere Veröffentlichungen [u.a. Ma-Pe85] stellen quantitative oder qualitativeLösungsansätze vor, die sich auf problem-orientierte Extrapolationsansätze aus derVergangenheit konzentrieren. Diese Me-thoden sind mehrfach in Systeme inte-griert worden, die heute wohl als Ent-scheidungsunterstützungssysteme (EUS)bezeichnet würden.

Alternativ werden langfristige Plänevon Experten mit Modellierungs- und Si-mulationsexpertise aufgestellt. Simulatio-nen setzen voraus, daß alle Annahmen ex-plizit dargestellt und dann in ein Glei-chungssystem übersetzt werden, das dieInterdependenz der Annahmen und derjeweiligen Konsequenzen aufzeigt. DieKonsequenzen der von den Nutzern ge-nannten Annahmen werden repräsentiert,unabhängig davon, ob diese Annahmenrichtig oder falsch sind [Forr72].

Während entsprechende Experten fürihre Modellierungsfähigkeiten bekanntsind, gilt ihre Leistungsfähigkeit im Rah-men der dynamischen Simulation als eherschwach [z.B. Ster89]. In jüngerer Zeit zei-gen Forschungsergebnisse der Verhaltens-wissenschaft (‚cognitive science‘), daßkognitives Feedback sowohl zur Verbesse-rung von Entscheidungen als auch vonEntscheidungsprozessen beitragen kann[z.B. SeTe93; SeAb93; PaSt93].

Dieser Artikel stellt System Dynamics(SD) [Forr69; Forr87] als EUS-Entwick-lungsansatz vor, der kognitives Feedbackunterstützt. Die vorgeschlagene Vorge-hensweise ist bereits mehrfach in Zusam-menarbeit mit hochrangigen Managernzur Entwicklung strategischer Planungs-werkzeuge für den Mobilfunk-Markt ein-gesetzt worden [Loeb96; BuLo96].

2 System Dynamics alsEUS-Entwicklungansatz

SD, das zurückgeht auf Forrester [Forr69;Forr72] ist bereits vielfach erfolgreich inverschiedenen Entscheidungssituationenim wirtschaftlichen und sozialen Umfeldangewandt [Forr71; Home87; MeMR93]

sowie kritisch hinterfragt [Barl96; Home96; Mill96; Rich96] worden. Der Ansatzstützt sich auf den Grundgedanken derKybernetik, wonach keine Größe einesSystems unabhängig von den anderenGrößen darstellbar ist [Robe78]. Als dyna-misches Entwicklungsverfahren betontSD Kausalbeziehungen und ihre Wechsel-wirkungen untereinander.

SD-basierte Systeme bieten ihren Nut-zern einen Bezugsrahmen für das Ver-ständnis dynamischer Beziehungen zwi-schen einzelnen Systemelementen. Somitgeht SD über die traditionelle Entschei-dungsunterstützungsmetapher hinaus undkann auch als Werkzeug zur Förderungdes strategischen Denkens, der Gruppen-diskussion und des Lernens in Manage-mentteams genutzt werden [More92]. SD-Charakteristika lassen den Ansatz beson-ders geeignet erscheinen für (1) Entschei-dungsumfelder mit einer hohen Intensitätdynamischer Rückkopplungsschleifenzwischen den verschiedenen Kräften [Mo-re86] und für (2) Entscheidungssituatio-nen mit einem großen Ausmaß an implizi-ter Expertise.

Forrester [Forr72] nennt folgende Un-

zulänglichkeiten ,mentaler‘ Modelle, dieihn zur SD-Entwicklung veranlaßt haben:

■ ,Mentale‘ Modelle sind meist schlechtdefiniert und auf verschiedene, nichtklar beschriebene Ziele ausgerichtet.

■ Modellannahmen sind nicht eindeutigbeschrieben. Das Einfließen von Infor-mationen und Erfahrungen in den Mo-dellierungsprozeß ist unklar.

■ ,Mentale‘ Modelle lassen sich nurschwer in Zusammenhang mit anderenModellen setzen.

■ Eine gezielte Manipulation ,mentaler‘dynamischer Modelle ist schwerdurchführbar.

Im Gegensatz dazu werden SD-Modelleauf ein bestimmtes Ziel bzw. auf eine prä-zise Fragestellung ausgerichtet, und die ge-troffenen Annahmen werden explizit dar-gestellt. ,Szenarien‘ können aufgezeigtund analysiert werden. Dementsprechendsollten SD-basierte EUS anhand von dreiFragen beurteilt werden [Forr72]:

153

Eignung und Umsetzungdes System Dynamics

Ansatzes zur Entwicklungstrategischer

Entscheidungs-unterstützungssysteme

Claudia Löbbecke

WI – Aufsatz

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 2, S. 153 – 161

Prof. Claudia Löbbecke, Chair for Electro-nic Commerce, Copenhagen BusinessSchool, Howitzvej 60, DK-Frederiksberg,Tel: (+45) 3815-2455, Fax: -2401. DieserBeitrag wurde im Rahmen einer Tätigkeitan der Erasmus Universität Rotterdam,Faculteit der Bedrijfskunde, erstellt.

Page 2: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

■ Ist die Darstellung der zugrunde liegen-den Annahmen transparenter als in be-stehenden ,mentalen‘ Modellen?

■ Werden die Konsequenzen der Annah-men kontinuierlich überprüft und neueingeschätzt, wenn sich die Annahmenim Verlauf der Zeit ändern?

■ Ist die System- und Problem-/Entschei-dungsstruktur im Vergleich zu Textenoder mathematischen Darstellungentransparent und leicht verständlich?

3 Kognitives Feedbackals kritisches Element SD-basierter EUS-Entwicklung

3.1 Kognitives Feedbackim unternehmerischenEntscheidungsumfeldSengupta und Te‘eni [SeTe93] unterschei-den drei Ebenen, auf denen kognitivesFeedback bei unternehmerischen (Grup-pen)-Entscheidungen eine Rolle spielt.Auf individueller Ebene unterstützt kogni-tives Feedback mittels kontinuierlicherKonsistenzprüfungen die Kontrolle desEntscheidungsprozesses und der Entschei-dungsergebnisse. Auf interpersoneller

Ebene trägt kognitives Feedback dazu bei,Entscheidungsprozesse anderer Teammit-glieder zu verstehen, den eigenen Ansatzzu überdenken (Lernen!) und eine gewis-se Strategiekonvergenz zu erreichen. Aufkollektiver Ebene ermutigt kognitivesFeedback den Austausch persönlicherMeinungen und fördert so ,Team Lear-ning‘ und die Entwicklung von ,sharedmental models‘.

Nach Simon [Simo79] ist ,cognitivescience‘ die Wissenschaft der Intelligenzund intelligenter Systeme. Intelligenz istüber ,Problemlösung‘, ,Lernen‘ und ,Ent-wicklung‘ (,problem solving‘, ,learning‘,und ,evolution‘) eng verbunden mit An-passungsfähigkeit. Da Intelligenz durchdie Grenzen des menschlichen Gedächt-nisses und der menschlichen Verarbei-tungskapazität begrenzt ist, kennzeichnetein gutes, intelligentes System, daß es sichmit dem Nutzer über die Zeit entwickelt,d. h. daß es an neue Bedingungen ange-paßt werden kann. Dementsprechendkann kognitives Feedback definiert wer-den als Information, die dem Entschei-dungsträger zur Verfügung gestellt wird,um Entscheidungsprozesse besser zu ver-

stehen. Diese Informationen beziehensich auf das Entscheidungsumfeld, dieWahrnehmung des Umfeldes durch denjeweiligen Entscheider und die Beziehun-gen zwischen dem Umfeld und dem Ent-scheider. Derartiges Feedback hilft demEntscheidungsträger, die Problemstruk-tur, sein eigenes kognitives System unddas Zusammenspiel zwischen beiden bes-ser zu verstehen.

Feedback spielt auf zwei Ebenen desEUS-Entwicklungszyklus eine Rolle: Feed-

back über das Entscheidungsergebnis

(die Entscheidung i.e.S.) vermittelt demEntscheidungsträger einen Eindruck dar-über, wie gut seine Entscheidung ist[Tind89], und erlaubt dem Entscheidungs-träger, die generelle Richtung seiner Ent-scheidung anzupassen. Kognitives Feed-

back konzentriert die Aufmerksamkeit aufden Entscheidungsprozeß.

Verschiedene empirische Studien zei-gen, daß Feedback über das Entschei-dungsergebnis nicht zu besseren Entschei-dungen führt, daß aber kognitives Feed-back Entscheidungsprozesse durch Ver-deutlichung und Klärung der Intentionenund durch Überprüfung der Umsetzungs-konsequenzen effektiv verbessern kann[Newe89].

3.2 Ansatzpunkte zurFörderung kognitivenFeedbacksGrundlegende Annahme der folgendenÜberlegungen ist, daß EUS-Entwicklungenund systemgestützte, strategische Ent-scheidungen durch Feedback verbessertwerden können [Bola94]. In diesem Zu-sammenhang zeigen Paich und Sterman[PaSt1993], daß computergestützte, inter-aktive Entwicklungswerkzeuge die Ver-deutlichung von Rückkopplungsstruktu-ren und somit iterative Lernzyklen von Be-obachtung, Reflexion, Konzeption undAktion ermöglichen. Die Literatur[Seng90, sowie Forr87; BuLo96] nenntverschiedene Ansatzpunkte zur Förde-rung des kognitiven Feedbacks:

■ Navigation über die Zeit: Feedback im-pliziert Einschätzungen über die Zeit.Da durchaus lange Perioden betroffensein können, bietet das Navigieren überdie Zeit – Beschleunigungen oder Ver-langsamungen – Möglichkeiten zur Re-flexion.

■ Navigation im Raum: Komplexe, dyna-mische Probleme betreffen häufig ver-schiedene geographische Gebiete oderfunktionale Einheiten.

■ Spezifikation der Problemdeterminan-

ten: Relevante Variablen werden iso-liert, um Ursachen und Konsequenzenbestimmter Teilentscheidungen voll-ständig bewerten zu können.

■ (Ganzheitliche) Betrachtung: Wäh-rend die Zerlegung eines Problems zurKomplexitätsreduktion beiträgt, för-dert eine holistische Betrachtung dieAufdeckung eventueller Inkonsisten-zen, Unvollständigkeiten und sonstigerSchwachpunkte im mentalen Modell.Sie erlaubt die Formulierung systemati-scher Hypothesen und unterstützt sodas Verständnis der realen Welt.

■ Gedächtnis: Unternehmungen sam-meln ein umfangreiches, unterneh-mungsbezogenes Wissen bezüglich in-stitutionalisierter Prozesse und Mecha-nismen an. Die Anhäufung und Verfüg-barkeit dieses Wissens spielt häufigeine entscheidende Rolle bei der ge-wünschten Einführung durchgreifen-der Veränderungen.

Bild 1 zeigt die fünf genannten Ansatz-punkte mit ihren Attributen und den mitihnen verbundenen Aktionen oder Wer-ten. Sie sollten Entscheidungsträger befä-higen, Differenzen zwischen ihren menta-len Modellen und der Realität zu identifi-zieren. Roberts [Robe78] betont, daß Mo-delle keine perfekte Abbildung der Reali-tät sind und auch nicht zu sein brauchen.Vielmehr sind sie flexible Werkzeuge, diezur Reflexion anregen. Mit den genanntenfünf Ansatzpunkten können Bewertun-gen/(Teil-)entscheidungen schneller undsystematisch durchgeführt und so die Re-präsentationsqualität des zugrundeliegen-den Modells verbessert werden. Entschei-dungsträger sollten mit ihrer Hilfe in derLage sein, zügig Einsicht in Probleme derrealen Welt und in die Interdependenzder entsprechenden Faktoren/Variablenzu gewinnen.

Aus den dargestellten Ansatzpunktenleiten wir die in Tabelle 1 dargestelltenAnforderungen an ein EUS ab. Diese An-forderungen sind entsprechend der dreitraditionellen Hauptkomponenten einesEUS ,Datenbank‘, ,Modellbank/analyti-sche Werkzeuge‘ und ,Benutzerschnitt-stelle‘ [SpCa82, Krcm92, GlGC97] sortiert.Die in Tabelle 1 genannten Werkzeugeentsprechen im wesentlichen den typi-

154

Claudia Löbbecke

Page 3: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

scherweise für ein EUS empfohlenen Ele-menten. Dennoch sind sie insbesondererelevant, um Anwender mit kognitivemFeedback zu unterstützen.

4 SD-basierte EUS-Entwicklung

Die traditionelle EUS Literatur schlägt Pro-totyping als geeignetes Entwicklungsver-fahren vor [u.a. BuSZ97]. Iteratives und in-teraktives Design sowie schrittweise Ent-wicklung haben sich als erfolgreich erwie-sen, potentiellen Systemnutzern Anforde-rungen zu ,entlocken‘, Systemfunktionali-täten zu verbessern und die Nutzerakzep-tanz zu steigern. Allerdings stößt Prototy-ping bei der Entwicklung dynamischerEUS an seine Grenzen.

Eine SD-basierte EUS-Entwicklung be-tont das intuitive Verständnis der den dy-namischen Systemen zugrunde liegendenMathematik. Personen sind häufig stark inder Skizzierung bzw. Konzeptionierung ei-ner Systemstruktur; jedoch haben siemeist Schwächen hinsichtlich der Vorher-sage bzw. Verarbeitung von dynamischenEffekten oder Verhaltensmustern, die ausdieser Systemstruktur unmittelbar folgen.Computer haben ein komplementäresStärken-/Schwächenprofil. Deshalb bieteteine SD-basierte EUS-Entwicklung dieMöglichkeit, beide Profile zu verknüpfen.

In der Simulation eines Phänomens ver-einigt SD quantitative und qualitativeAspekte [Forr70]. Zuerst werden Zu-stands- und Flußgrößen in einem logi-schen Diagramm festgehalten, das späterin ein mathematisches, computergestütz-tes Simulationsmodell überführt wird. Diegraphische Darstellung erleichtert die Ent-wicklung eines den Nutzern und Model-lierern gemeinsamen Verständnisses derSystemstruktur. Der Prozeß der graphi-schen Darstellung fördert die Einbindungvielseitiger Fähigkeiten und der Expertiseverschiedener Mitglieder einer Gruppeund ermöglicht somit die volle Nutzungihrer vorhandenen intellektuellen Kapazi-tät.

Die Entwicklung SD-basierter EUS im-pliziert unabhängig von der Entschei-dungssituation

(1) die explizite Präsentation aller Annah-men,

(2) die Integration ,softer‘ Variablen und(3) das Angebot kognitiven Feedbacks.

155

System Dynamics für strategische EUS

Kernpunkte für das Management

Es wird ein Ansatz für die Entwicklung dynamischer, auf System Dynamics(SD) beruhender Entscheidungsunterstützungssysteme (EUS) entwickelt. EineAnwendung auf den deutschen GSM-Markt simuliert Verlauf und Ursachender Nachfrage zwischen 1995 und 2005. Wesentliche Ergebnissehinsichtlich des Entwicklungsansatzes sind:• SD-basierte EUS-Entwicklungen eignen sich zur Entscheidungs-

unterstützung in Umfeldern mit komplexen Interdependenzen undzeitlichen Wirkungsverzögerungen.

• SD-basierte EUS ermöglichen das Angebot kognitiven Feedbacks undunterstützen so insbesondere Gruppenlern- und -entscheidungsprozesse.

• Trotz notwendiger Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Anwen-dern führen EUS-Entwicklungen zu einem hohen Grad an Subjektivitätim Systemdesign. Gegebene Entscheidungssituationen können in einerVielzahl verschiedenartiger Systeme mit unterschiedlichen Realitätsauf-fassungen und integrierten Annahmen dargestellt werden.

Stichworte: System Dynamics, Entscheidungsunterstützungssystem,Cognitive Feedback, Simulation, Feedback

Bild 1 Ansatzpunkte zur Förderung kognitiven Feedbacks [nach BuLo96]

Page 4: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

Jede Strategie und jedes Verhalten stütztsich auf Annahmen, die allerdings meistnur implizit und nicht getestet sind. So-fern diese Annahmen Widersprüche ent-halten, werden auch die immanenten Wi-dersprüche auf die zu treffende Entschei-dung übertragen und machen so eine Ent-scheidungsumsetzung schwer oder garunmöglich. SD-basierte EUS bringen impli-zite Annahmen an die Oberfläche und zei-gen Inkonsistenzen frühzeitig im Entschei-dungsprozeß auf. Gleichzeitig eröffnen sieDiskussionen über abweichende Annah-men verschiedener Entscheidungsträgerund können so zu einer erhöhten Ent-scheidungsqualität beitragen [BuLo96;RiAn95].

,Softe‘ Variablen wie ,Vertrauen‘ oder,Motivation‘ stellen intrinsische Elementeder meisten Entscheidungsprozesse dar.Wer derartige Variablen vernachlässigt,läuft Gefahr, wesentliche Aspekte einerEntscheidungsfindung außer acht zu las-sen [Oppe97]. Da die Werte ,softer‘ Varia-

blen häufig zufällig sind, erfordert ihreEinbettung in ein EUS regelmäßige Sensiti-vitätsanalysen zur Sicherstellung der inter-nen Konsistenz. Ferner ermöglicht SD dieIntegration der oben dargestellten Ansatz-punkte zur Förderung kognitiven Feed-backs in die EUS-Entwicklung.

5 Fallstudie: EUS-Entwicklung zurSimulation des deutschenMobilfunk (GSM) Marktes

Dieser Abschnitt stellt exemplarisch eineSD-basierte EUS-Entwicklung vor. Ziel deszu entwickelnden EUS ist die Unterstüt-zung verschiedener Marktteilnehmer beistrategischen Entscheidungen, die auf Ba-sis der für den Zeitraum von Juli 1992 bisDezember 2005, eingeteilt in 54 Quartale,geschätzten GSM-Nachfrageentwicklungund der über die Zeit wechselnden, relati-

ven Bedeutung der einzelnen Nachfrage-faktoren zu treffen sind. Unter dem inter-national gebräuchlichen Kürzel ,GSM‘werden im folgenden die drei in Deutsch-land operierenden digitalen, zellularenMobilfunknetze (D1-, D2- und E-Netz) so-wie bei internationalen Betrachtungen dieentsprechenden ausländischen Netze zu-sammengefasst.

Aus Datenschutzgründen wird GSM alsaggregiertes Angebot im Markt betrachtet,d.h. die speziellen Auswirkungen desmarktstrategischen Handelns einzelnerAnbieter werden bewußt ausgeklammert.Dies scheint gerechtfertigt, da die eigentli-che Produktleistung relativ homogen ist.

5.1 Wesentliche Faktorender GSM-NachfrageDas entwickelte EUS, das bereits erfolg-reich von verschiedenen GSM-Netzbe-treibern sowie Regulierungsbehörden inDeutschland [Loeb96; LoBu96], HongKong und Vietnam [BuLo96] eingesetztwurde, betrachtet sieben GSM-Haupt-nachfragefaktoren, die sich jeweils ausverschiedenen Subfaktoren zusammenset-zen.

■ Preis: Der Preis gilt als wichtigsterNachfragefaktor im GSM-Markt. Im EUSwerden Montagsgebühren und Minu-tengebühren unterschieden. Telekom-munikationsexperten sagen einheitlichein weiteres Sinken der GSM-Preise be-dingt durch Skaleneffekte, eine Sätti-gung der Netzwerke und zunehmen-den Wettbewerb im liberalisierten Um-feld voraus.

■ Produktqualität: Produktqualitätbleibt ein dominanter Faktor für dieNachfrage nach Informations- undKommunikationstechnologie. Wie fürjedes Produkt in der Wachstumsphaseseines Produktlebenszyklus ist die Pro-duktqualität für die GSM-Nachfragevon hoher Bedeutung. Das System un-terscheidet die Netzwerkqualität, dieServicequalität und die Endgerätequali-tät.

■ Information über GSM: Die Verbrei-tung neuer Telekommunikationstdien-ste wird durch Werbung (inkl. PublicRelations), allgemeine Berichterstat-tungen und Mund-zu-Mund-Propa-ganda gefördert. Während Werbungund Public Relations i.d.R. ein positivesImage verbreiten, gilt dies für sonstige

156

Claudia Löbbecke

Ansatzpunktefür Feedback

Datenbank Modellbank, analyti-sche Werkzeuge

Benutzerschnittstelle

Navigationüber die Zeit

Historische Daten;Forschungsdaten;Daten über zukünfti-ge Entwicklungen

Projektieren, Kompri-mieren, Einfrieren,Selektieren von Zeit-lintervallen für Kalku-lationen

ChronologischePlots; Tabellen

Navigation imRaum

Daten verschiedenerOrte; Daten überverschiedene Orte

Kombinieren; Vergli-chen; Clustern

3-D GraphischesDisplay; Plots undTabellen

Spezifikationder Problemde-terminanten

Daten über bestimm-te Problembereiche

Variablen isolieren;Szenarien generie-ren; Sensitivitätsana-lysen und Abwei-chungsanalysendurchführen; Rück-kopplungsschleifenanalysieren

Filter; Plots

GanzheitlicheBetrachtung

Informationen überInterdependenzenzwischen Variablenund Daten

Szenarien generie-ren; Teilproblemezerlegen und aggre-gieren; Rückkopp-lungsschleifen analy-sieren

Ursache-Wirkungs-Diagramme; Plots;Zoom

Organisationa-les Gedächtnis

Dokumentation; Pu-blikationen; Persönli-che und ereignisbe-zogene Speicherung

Dokumentieren; zu-gänglich Machen;Bewerten; Diffusion(ehemals) vorhande-nen Wissens

Hypertext; Multime-dia; ElektronischeBildspeicherung

Tabelle 1 EUS-Anforderungen zur Unterstützung kognitiven Feedbacks [nach BuLo96]

Page 5: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

Berichterstattungen und Mund-zu-Mund-Propaganda nicht immer.

■ Einfluß auf das Privatleben: Eigene Er-reichbarkeit und die Möglichkeit, ande-re zu erreichen, beeinflussen auch dasPrivatleben von GSM-Nutzern. Nebenpositiven Annehmlichkeiten kann dieGSM-Verfügbarkeit auch als störendempfundene Effekte hervorrufen.

■ GSM-Einfluß auf das Geschäftsleben:

In vielen Aspekten ähnelt der GSM-Ein-fluß dem des Festnetzes. Während fürdie GSM-Nutzung stärkere externe Ef-fekte als bei anderen Telekommunika-tionsdiensten vorhergesagt werden,wird die gesteigerte Erreichbarkeit vor-aussichtlich zu geringeren Veränderun-gen in Arbeitsabläufen als die Einfüh-rung des Festnetzes führen.

■ Verfügbarkeit alternativer Technolo-

gien: Die GSM-Nachfrage hängt von derEntwicklung alternativer Technolo-gien ab. Während GSM die Flexibilitäterhöht, ist eine Festnetznutzung (noch)preiswerter und für den Transfer gro-ßer Datenmengen geeigneter.

■ Verfügbarkeit eines GSM-Bewertungs-

ansatzes: Wirtschaftlichkeitsbetrach-tungen sind für neue Telekommunika-tionsdienste schwierig [Baco92]. Den-noch wird argumentiert, daß die Ver-fügbarkeit geeigneter Kalkulationshil-fen, insbesondere bei Firmenkunden,die Nachfrage steigern würde.

5.2 EUS-EntwicklungskonzeptDer GSM-Gesamtmarkt wird in vier Nut-zergruppen, ,Nicht-Nutzer‘, ,Wenig-Nut-zer‘, ,Mittlere Nutzer‘ und die ,Viel-Nutzer‘aufgeteilt. Diese Einteilung orientiert sichan der durchschnittlichen monatlichenAnzahl der Minuten des Telefonierens imGSM-Netz pro Anwender bzw. pro Karte.Ist der Markt in vier Nutzergruppen unter-teilt, sind zwölf verschiedene Teilnehmer-flußraten zwischen den Gruppen denkbar(Bild 2). Jede Gruppe wird sowohl für Zu-als auch für Abflüsse mit jeder anderenGruppe verbunden. Während ungeradeRaten Wanderungsbewegungen beschrei-ben, bei denen das durchschnittliche Tele-foniervolumen zunimmt, spiegeln geradeRaten Übergänge zu Gruppen mit geringe-rem Verkehrsaufkommen wider.

Das Zusammenspiel der sieben Haupt-nachfragefaktoren ergibt für jede ,Wande-rung‘, d.h. für jeden ,Teilnehmerfluß‘ ei-nen Veränderungsfaktor, der dann wie-

derum die Teilnehmerflußrate determi-niert (Bild 3).

Der Veränderungsfaktor beschreibtden Prozentsatz der Personen, die in einerZeiteinheit von einer Nutzergruppe ineine andere wechseln. Die Teilnehmer-flußrate steht für diejenige (absolute) An-zahl Personen, die in einer bestimmtenZeiteinheit von einer in eine andere Grup-pe wechseln. Diese Flußrate [Personenpro Zeiteinheit] ergibt sich durch die Mul-tiplikation der Ausgangsgruppe [Perso-nen] mit dem Veränderungsfaktor [Pro-zentsatz pro Zeit]. Da die sieben Haupt-nachfragefaktoren als interdependent be-trachtet gelten, werden sie zur Berech-nung des aggregierten Veränderungsfak-tors miteinander multipliziert.

Bild 4 bietet einen zusammenfassendenÜberblick über den EUS-Aufbau. Die über-geordnete Modellstruktur zeigt, daß die

Anzahl der Nutzer die Ausprägung derNachfragefaktoren beeinflußt, die dannihrerseits zu einer aktualisierten Nutzer-zahl führen. Getrieben wird die Verände-rung der Nutzerzahl von den oben ge-nannten sieben Hauptnachfragefaktoren,die sich aus zwei, drei oder vier Subnach-fragefaktoren zusammensetzen. Die unter-ste Ebene in Bild 4 zeigt beispielhaft dieSD-Modellierung des Subnachfragefaktors‚Netzwerkqualität‘, die zusammen mit,Endgerätequalität‘ und ,Dienste-/Service-qualität‘ die ,Produktqualität‘ ergibt.

Die Codierung der einzelnen Nachfra-gefaktoren sowie der entsprechendenWirkungszusammenhänge würde denUmfang dieses Artikels sprengen. Tabelle2 begnügt sich deshalb mit der Nennungder Subnachfragefaktoren und ihrer Wir-kungsrichtungen.

157

System Dynamics für strategische EUS

Bild 2 Vier Nutzergruppen im Nachfragemodell [Loeb96]

Bild 3 Zusammenhang zwischen Nutzergruppen, Veränderungsfaktor und Teilneh-merflußrate [Loeb96]

Page 6: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

5.3 BeispielhafteSimulationsergebnisse

Kurve ,drei‘ in Bild 5 zeigt den aus den An-nahmen der EUS-Basisversion resultieren-den Verlauf der Nutzerzahl über die Zeit.

Demnach ist noch in der ersten Hälfte desnächsten Jahrzehnts mit knapp 20 Millio-nen Nutzern zu rechnen. Pro Kurve wer-den auf der vertikalen Achse der im Zeit-raum anzutreffende Minimal-, der Maxi-mal-, und der mittlereWert dargestellt. Indem Bild sind der Kurve der Nutzer die

Verläufe der absoluten Preise gegenüber-gestellt, woraus eine starke Abhängigkeitzwischen Nutzerzahl und Preisen deutlicherkennbar wird. Preissenkungen führenpraktisch im Gleichschritt zu Steigerun-gen der Nutzerzahl. Dies läßt sich insbe-sondere mit der Nachfrage auf dem priva-ten Markt begründen, die auch mittelfri-stig sehr preissensitiv agieren wird.

Bild 6 dient der beispielhaften Gegen-überstellung ausgewählter – die Teilneh-merzuflüsse bestimmenden – Hauptnach-fragefaktoren. Beim Vergleich der Kurvenist zu beachten, daß der Preisfaktor andersdimensioniert ist als die übrigen sechs Fak-toren. Der Preisfaktor beschreibt Prozent-sätze von Personen die pro Quartal von ei-ner Nutzergruppe in eine andere wech-seln und ergibt somit recht kleine Werte.Die anderen Faktoren stellen Multiplikato-ren für die durch die Preise ausgelöstenWanderungen dar und ,schwanken‘ des-halb um den Wert ,eins‘.

Insgesamt zeigen verschiedene erstell-te Szenarien eine wachsende Bedeutungvon GSM für professionelle und privateNutzer auf. Die prognostizierten Teilneh-merzahlen für das Jahr 2005 implizierendie Etablierung des digitalen Mobilfunksim täglichen Leben. Ferner ist zu erwar-ten, daß die Technologie gegen Ende desUntersuchungszeitraums ihre Rolle als in-novative, zu einer Verbesserung der Un-ternehmungsposition im Wettbewerb bei-tragende Infrastruktur wieder verlierenund, ähnlich wie heute das Festnetz, alsSelbstverständlichkeit bei Nachfragernkaum noch gesonderte Beachtung findenwird.

5.4 Praktische Erfahrungenmit SD-basierter EUS-EntwicklungIm Laufe der Entwicklungsarbeit wurdenzuerst das Entscheidungsumfeld als ganzesbearbeitet und dann schrittweise einzelneProzesse und Abhängigkeiten untersuchtbis eine allgemein zufriedenstellende EUS-Struktur erreicht war. Es hat sich bestätigt,daß die Herausbildung eines gemeinsa-men ,mentalen‘ Modells und das Angebotkognitiver Hilfen, insbesondere kogniti-ves Feedbacks, zu präziseren Annahmenund einer stärkeren Akzeptanz der gene-rierten Szenarien führten.

Insbesondere in Entscheidungssituatio-nen gekennzeichnet durch Komplexität,Unsicherheit im Entscheidungsumfeld

158

Claudia Löbbecke

Bild 4 EUS-Aufbau [Loeb96]

Bild 5 Nutzerzahl, Minuten- und Monatspreise

Page 7: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

und nur unzureichende Verfügbarkeit hi-storischer Daten förderte der Ansatz dasLernen in Gruppen interdisziplinärer Ex-perten (Marketing- und Finanzspeziali-sten, Netzplaner, Regierungsmitglieder,etc.), die zusammen über einen reichen,jeweils aber fachlich begrenzten Wissens-fundus verfügten. Beispielsweise war zubeobachten, daß Marketing-, Finanz- undNetzplanungsspezialisten mit von jeweilsanderen Gruppenmitgliedern eingegebe-nen Annahmen ,experimentierten‘ und

schließlich auch ihre ,eigenen‘ anfangsvorgenommene Parameterwahl dem Ge-samtbild anpaßten. Bei den einzelnen Ex-perimentierschritten wurden dabei ausge-wählte Formen kognitiven Feedbacks ge-nutzt. So spielte nicht nur die ,Überbrü-ckung der Zeit‘ eine wesentliche Rolle,auch reagierten die Teilnehmer auf gra-phisch verdeutlichte Inkonsistenzen inder holistischen Problembetrachtung.

Dankbar nahmen die an der Entwick-lung teilnehmenden Manager zur Kennt-

nis, auch in komplexen Entscheidungssi-tuationen nicht zu Experten der Mathema-tik werden zu müssen, um Einsicht in dy-namische Prozesse zu erlangen, die dasGeschäftsumfeld und die Diffusion neuerProdukte und Dienste kennzeichneten.

Nach ,temporärer Fertigstellung‘ unter-stützte das System nicht nur diejenigen,die an gezielten Simulationsergebnisseninteressiert sind. Es dient auch denen, dieihre eigenen, in das System integriertenAnnahmen und deren Konsequenzen

159

System Dynamics für strategische EUS

PreisMinutengebühren

NutzeranzahlExogene Minutengebührenstrategie

MonatsgebührenNutzeranzahlExogene Monatsgebührenstrategie

ProduktqualitätNetzwerkqualität

Zeit (+),Nutzeranzahl (+,–)

ServicequalitätZeit (+),Nutzeranzahl (+,–)

EndgerätequalitätZeit (+),Nutzeranzahl (+,–)

Information über GSMWerbung

Nutzeranzahl (+,–)Exogene Werbestrategie (+)

Mund-zu-Mund-PropagandaNutzeranzahl (+,–)

PublikationenNutzeranzahl (+,–)

Einfluß auf PrivatlebenPrivate Erreichbarkeit (+)

Private Mobilität (+)Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden (–)

Sicherheitsbedürfnis (+)Anzahl ƒlterer / Kranker (+)Sonst. Sicherheitsbedürfnisse (+)Reduzierung Sicherheitsbedürfnis (–)

Image (+)Nutzeranzahl (+,–)Sättigungswirkung aufgrund der Zeit (–)

Einfluß auf GeschäftslebenArbeitsreorganisation (+)

Nutzeranzahl (+)Abnahmerate Arbeitsreorganisation (–)

Business Process Redesign (BPR) (+)Nutzeranzahl (+)Abnahmerate BPR (–)

Neue Geschäftsfelder (+)Nutzeranzahl (+)Abnahmerate ,Neue Geschäftsfelder’ (–)

GSM-Managementaufwand (–)GSM-Managementnotwendigkeit (+)

NutzeranzahlGSM-Managementschwierigkeit (+)GSM-Managementvereinfachung (–)

Alternative TechnologienFest- und Mobilnetzinfrastrukturen (+)Existierende mobile Technologien (+)Zukünftige mobile Technologien (+)Festnetz Stand-alone-Qualität (–)

Anzahl Festnetzbetreiber(+)

Verfügbarkeit GSM-BewertungsansatzForschung (+)

Nutzeranzahl (+)Kosten-Nutzenorientierung (+)

Nutzeranzahl (+)

Legende:+ Faktor stärkt GSM-Nachfrage– Faktor schwächt GSM-Nachfrage+,– Faktor stärkt oder schwächt GSM-Nachfrage

Tabelle 2 GSM-Nachfragefaktoren [nach BuLo96]

Page 8: Eignung und Umsetzung des System Dynamics Ansatzes zur Entwicklung strategischer Entscheidungsunterstützungssysteme

überprüfen wollen (,learning engine‘).Die eingebaute Simulationsmöglichkeithilft, auf neue Situationen einzugehen unddie Sicht auf eine Entscheidungssituationzu verändern. Das Ergebnis einer EUS-An-wendung wird zum Input der nächsten.

6 Kritische Würdigung

Als wesentliche Vorteile der SD-basiertenEUS-Entwicklung haben sich (1) die Ent-wicklung eines dynamischen, funktionie-renden (,operational‘) Systems zur Unter-stützung strategischer Entscheidungenund (2) die Möglichkeit der Integrationqualitativen Wissens einer Gruppe inter-disziplinärer Experten (Lernen!) herausge-stellt [AkVe97; Krcm90]. Auffallend ist da-bei die Notwendigkeit einer konstrukti-ven Zusammenarbeit zwischen Entwick-lern und Anwendern hinsichtlich der Ent-wicklung einer dynamischen Simulation,die die Nachfrage nach Technologien mo-delliert.

Insgesamt hat sich SD als iterativer,computergestützter EUS-Entwicklungsan-satz bewährt. Allerdings verlangen dreiwesentliche Kritikpunkte bei zukünftigenAnwendungen besondere Beachtung:

Grundsätzliches Problem einer SD-basierten EUS-Entwicklung ist die Schwie-rigkeit, von den Experten ausreichendeMarkt-/Produktkenntnisse für eine fun-dierte und umfassende Modellierung zuerfahren (implizites Wissen explizit zu

machen). Dieses Problemfeld konnte

auch durch die graphische und/oder ma-thematische Darstellung nicht vollständigausgeräumt werden.

Im Vergleich zu statistischen Verfahrenbeinhaltet der SD-Ansatz keine direktenAnalysen hinsichtlich des Signifikanzni-veaus oder der Standardabweichungender Simulationsergebnisse. Demzufolgeliegt die Beurteilung der Relevanz erziel-

ter Aussagen weitgehend im Ermessen der

Betrachter oder Nutzer.SD-basierte EUS-Entwicklungen führen

zu einem hohen Grad an Subjektivität im

Systemdesign. Daraus ergibt sich für dieDesigner ein hohes Maß an Verantwor-tung bzw. ein großes ,Manipulationspo-tential‘. Dieselbe Problemstellung kann –abhängig von Realitätsauffassung, EUS-Zweck und integrierten Annahmen – ineiner praktisch endlosen Anzahl von Sy-stemen dargestellt werden.

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Claudia Löbbecke

Bild 6 Hauptnachfragefaktoren der Teilnehmerflußrate ,1‘ von ,Nicht-‘ zu ,Wenig-Nutzern‘ (1)

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System Dynamics für strategische EUS