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Ein alter Hut Kritik studentischer Verbindungen in Dresden

Ein alter Hut - TU Dresden · 3 Vorwort Liebe Studierende und Interessierte, in diesem Reader sollen die studentischen Verbindungen deutschen Typs unter die Lupe genommen und ein

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Ein alter Hut

Kritik studentischer Verbindungen in Dresden

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VorwortLiebe Studierende und Interessierte, in diesem Reader sollen die studentischen Verbindungen deutschen Typs unter die Lupe genommen und ein kritischer Blick auf die Dresdner Verbindungslandschaft geworfen werden. Ähnliche Reader gibt es bereits in vielen anderen Universitätsstädten. Sie sind zur Analyse der jeweiligen Korporiertenszene ein verlässliches Hilfsmittel. Gleichzeitig trägt die Erarbeitung neuer Reader dazu bei, alte Lücken zu schließen und Fehler, mit denen sich anfangs gegenüber den Korporationen angreifbar gemacht wurde, zu ver-meiden.

Wir vom Referat für politische Bildung wollen dazu beitragen, die gesellschaft-lichen Verhältnisse auf und außerhalb des Campus kritisch zu betrachten, um der Ent-wicklung frei individualisierter Menschen Vorschub zu leisten. Deshalb hoffen wir, dass dieser Reader allen Leser_innen und vielleicht auch dem einen oder anderen Verbin-dungsmitglied hilft, Traditionen und Prinzipien der Korporationen, deren gesellschaftli-chen Einfluss, sowie generell studentischen Standesdünkel zu hinterfragen.

Der Reader besteht dabei aus einem allgemeinen Teil über studentische Verbin-dungen, in dem unter anderem die Rolle beim Aufstieg des Nationalsozialismus be-leuchtet wird, und einer genauen Betrachtung der einzelnen Dresdner Verbindungen und deren Vernetzung untereinander. Gerade dieser Bereich zeichnet sich durch einen schnellen zeitlichen Verfall aus, so dass eventuell früher oder später eine aktualisierte Auflage von Nöten ist. Solange sich die studentischen Verbindungen aber nicht aufge-löst haben, sollte der größte Teil des Inhalts noch aktuell sein.

Die Lebenswelt studentischer Verbindungen hat den Charakter einer Parallelge-sellschaft, die ihre ganz eigene Sprache besitzt. Typisches Vokabular, welches auch zum Verstehen der Texte gebraucht wird, findet sich im Glossar erklärt.

Wir bedanken uns beim AStA der Uni Münster und bei Dr. Stephan Peters für die Unter-stützung und wünschen viel Spaß beim Lesen!

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InhaltTeil 1

Studentische Verbindungen- ein alter Hut? ............................ 7Studentische Verbindungen und Nationalsozialismus ........... 13Elite sein - Ziel korporationsstudentischer Erziehung .............. 20Exkurs: Deutsche Burschenschafter aus Chile? ..................... 24

Teil 2

Studentische Verbindungen in Dresden ................................ 25Corps Teutonia ...................................................................... 28Interview mit ehem. Teutonia-Bewohner ............................... 30Aachen- Dresdner Burschenschaft Cheruscia: ....................... 33AMV Arion ........................................................................ 37Interview mit Arionmitglied ................................................... 38KDStV Chursachsen ............................................................... 41Turnerschaft Germania .......................................................... 43Gesellschaft zur Förderung studentischer Kultur (GFSK) ....... 45Jagdcorporation Cervidia: ..................................................... 49Corps Silvania ........................................................................ 51A.D.V. Regia Maria -Josefa zu Dresden .................................. 53Verein Deutscher Studenten Dresden ................................... 55K.St.V. Abraxas-Rheinpreußen .............................................. 57Corps Altsachsen ................................................................... 58Burschenschaft Salamandria .................................................. 60

Übersichtsplan der Dresdner Verbindungen ......................... 62Glossar ........................................................................ 63Weiterführende Literatur ....................................................... 69

ImprESSum:V.i.S.d.P.: Florian HenzRedaktion:Christian Träger, Florian Henz, Robert Seliger, Sabine Hoffmann, Stefan Fehser, Stefan Taubner, Kristin HofmannDruck: Copy Cabana DresdenLayout: Andrej Bukowski , Sabine Hoffmann, Stefan FehserHerausgeber: Stura der TU Dresden und Stura der HTW DresdenAuflage: 750 Stück

Kontakt:Referat für politische Bildungc / o Stura der Technischen Universität DredenHelmholtzstraße 1001069 Dresdenpob @ stura.tu-dresden.de

October 2010

EigentumsvorbehaltDieser Reader bleibt bis zur Aushändigung an den_die Adressat_in Eigentum des_der Absender_in“. „Zur-Habe-Nahme“ ist keine Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts. Nicht ausgehändigte Zeitungen sind unter Angabe von Gründen an den_die Absender_in zurückzusenden.

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terstützung der Studenten mit ähnlicher Herkunft eingeführt. Sie wurden dabei schnell zu einem eigenen konstituieren-den Moment und verlangten von Neumit-gliedern oft gewalttätige Aufnahmeritua-le.[2] In einigen Teilen Europas etablierte sich für die „Nationes“ der Begriff „Bur-sen“, von welchem sich die heutigen Bur-schen der Burschenschaft ableiten. Beides hatte noch nichts mit heutigem National-staatsdenken zu tun, da es ein solches noch nicht gab und die Studenten unterei-nander für gewöhnlich in Latein sprachen. Aus den Bursen und Nationes entwickel-ten sich im deutschsprachigen Raum die Landsmannschaften, die die Traditionen der studentischen Vereinigungen fortführ-ten. An den Universitäten waren sie oft Restriktionen ausgesetzt, da sie für Duelle, Prügeleien und Trinkgelage verantwortlich gemacht wurden. Das Tragen von Unifor-men, wie es die Landsmannschaften prak-tizierten, war an den meisten Universitäten verboten. Die Organisation der Lands-mannschaften beschränkte sich aber noch auf die Zeit des Studiums und hatte keine weiterreichenden Ziele. Das Lebensbund-prinzip führten erst die geheim geführten studentischen Orden, die in ihrer Ausrich-tung mit den im späten 18. Jahrhundert aufkommenden Geheimlogen vergleich-bar waren, ein. Lebensbund bedeutet, der gewählten Vereinigung das ganze Leben über anzugehören und nach dem Studi-um den neuen aktiven Studierenden die erfahrene Unterstützung weiterzugeben. Im 19. Jahrhundert übernahmen schnell alle studentischen Verbindungen dieses Prinzip. Auch die Orden wurden verboten, da sie republikanischer Ideale beschuldigt wurden. Neue Vereinigungen wie Kränz-chen oder Clubs griffen Regularien stu-dentischer Orden auf und erweiterten sie

StudentISche VerbIndungen- eIn alter hut?Korporationen haben ihre besten Zeiten mittlerweile lange hinter sich. Während Studierende bis in die 60er Jahre hinein oft harte Aufnahmebedingungen bei be-gehrten Verbindungen bestehen muss-ten und viele Verbindungen im Selbstlauf fortbestanden, gehörten 1984 nur noch zwei bis drei Prozent aller Studierenden in Deutschland einer Verbindung an[1], mitt-lerweile dürfte der Anteil noch beträcht-lich tiefer liegen. Von den elitären Bestre-bungen der meisten Verbindungen ist nicht mehr viel übrig geblieben, stattdes-sen wird händeringend um neue Mitglie-der geworben. Auf Flyern und Plakaten, die für Veranstaltungen der Korporatio-nen werben, wird, wie in Dresden, oft gar nicht mehr der Verbindungshintergrund angegeben, lediglich die Überprüfung der Adresse verrät die Verbindung. Auf der einen Seite steht so die momentane Bedeutungslosigkeit der Verbindungen, auf der anderen Seite stehen ihre ver-zweifelten Versuche um gesellschaftlichen Einfluss. Daher ist es nötig, den Charakter und die Geschichte der Verbindungen, die in ihrer mitteleuropäischen Form ein spezifisch deutsches phänomen sind, zu untersuchen und offen zu legen.

Vorläufer der studentischen Verbin-dungen waren in den Universitäten des Mittelalters die „Nationes“, in denen die Studenten nach ihrer Herkunft organisiert waren. Dieses System wurde zur effizien-ten Verwaltung und zur gegenseitigen Un-

„Anknüpfen ließe sich an das Leiden, das die Kollektive zunächst allen Individuen, die insie aufgenommen werden zufügen. (...) Anzugehen wäre gegen jene Art folk-ways, Volkssitten, Initiationsriten jeglicher Gestalt, die einem Menschen physischen Schmerz – oft bis zum unerträglichen – antun als Preis dafür, daß er sich als dazugehöriger, als einer desKollektivs fühlen darf. (...) In der gesamten Sphäre geht es um ein vorgebliches Ideal, das in der traditionellen Erziehung auch sonst eine erhebliche Rolle spielt, das der Härte. (...) DasErziehungsbild der Härte, an das viele glauben mögen, ohne darüber nachzudenken, istdurch und durch verkehrt. Die Vorstellung Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß anErtragenkönnen, wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der (...) mit dem Sadismusnur allzuleicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-sein bedeutet Gleichgültigkeitgegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderergar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich dasRecht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungener nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste.“Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz

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um eine zeitgemäße, sittliche Erziehung, die das Ansehen der Studentenschaft ohne obrigkeitliche Reglementierung verbessern sollte. Für diese Vereinigun-gen sollte sich später der Begriff Corps herausbilden. Sie stellen zusammen mit den Landsmannschaften die ältesten heute existierenden Verbindungstypen dar. Auch das Conventsprinzip etablier-te sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auf Conventen wurden demokratisch die Verbindung betreffende Entscheidungen getroffen, die für alle Mitglieder bindend waren.

Der Kampf gegen die Truppen Na-poleons führte in Deutschland zu einem Nationalisierungsschub. Das betraf nicht zuletzt die Studentenschaft, aus deren Reihen viele freiwillige Kämpfer kamen. In Jena lösten sich die dortigen Lands-mannschaften 1815 auf und gründeten die Urburschenschaft mit den Farben schwarz-rot-gold, die den Uniformen des Lützower Freikorps nachempfunden waren. Bei gleichzeitigen Demokratiefor-derungen führte der Nationalismus in der Studentenschaft auch zu einer maßgeb-

lichen Beteiligung an den antijüdischen Pogromen 1919. Bis Mitte des 19. Jahr-hunderts war die organisierte Studenten-schaft auf Burschenschaften mit dezidiert nationalpolitischem Anspruch und Corps mit dem Prinzip der Neutralität verteilt. Die Karlsbader Beschlüsse zwangen aber alle Verbindungen in die Illegalität. mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich vie-le neue Arten von Verbindungen wie Sän-gerschaften und Turnerschaften, sowie christliche Verbindungen. Gleichzeitig gab es bereits damals Bestrebungen, die hierarchisierten und streng reglementier-ten Korporationen zu liberalisieren bzw. ganz abzuschaffen. Wie die Progress-Be-wegung der 40er und 50er Jahre des 19. Jahrhunderts zeigt, ist antikorporatives Engagement keine Erfindung der „Stu-dentenbewegung“ von 1968. Vielfach wurde der elitäre Habitus der Verbindun-gen kritisiert, manche störten sich auch an uniformen und Symbolik (Wichs und Couleur) und gründeten sog. schwarze Verbindungen. Zu dieser Zeit entstand das Verbindungen gänzlich ablehnende Freistudententum. Im Kaiserreich kam den Verbindungen, von katholischen Korporationen abgesehen, eine staats-tragende Rolle zu und das Lebensbund-prinzip erweiterte sich zur gefestigten Elitenförderung.

Studentische Zusammenschlüs-se und Vereinigungen gibt es weltweit, aber die beschriebenen Zustände sind ein Phänomen deutscher Herkunft. Die Tradition von mensur (die mittlerweile nur noch einer Minderheit der Verbindungen zu eigen ist), Lebensbund und Couleur ist in dieser Form einzigartig, aufgrund der deutschen Geschichte und verschiedener Siedlungsbewegungen aber in weiten Teilen Europas (besonders im Baltikum

Bücherverbrennung zum Wartburgfest. Hier wurden u.a. Werke jüdischer Autoren und

der Code Civile Napoleons verbrannt.

und in Südosteuropa) verbreitet. Auch in Südamerika gründeten ausgewanderte Deutsche Verbindungen nach deutschem Vorbild. Sie alle berufen sich auf Traditio-nen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die in dieser Form einen Selbstzweck bilden. Die Couleur zeigt die Gruppenidentität nach außen, was bei jeder Jugendsubkul-tur kritisch betrachtet werden könnte, bei Verbindungen aber eine Identität fürs Le-ben ist, die zusätzlich oft noch durch Uni-formierung verstärkt wird. Uniformierung an sich unterdrückt bereits die Individuali-tät, hinzu kommt noch die Fuxenerziehung der Verbindungsanwärter_innen und die Reglementierung des Verbindungslebens,

von der Unterordnung unter die Gemein-schaft der Verbindung ganz zu schweigen. Auf Fehlverhalten droht dabei Bestrafung, die je nach Modernitätsgrad der Verbin-dung auf alten Traditionen beruht oder selbst „kreativ“ ersonnen wurde. Auch wenn die Hierarchien der Verbindungen demokratisch legitimiert wurden, ändert das nichts an ihrem Charakter. Verschie-dene Veranstaltungen der Verbindungen

laufen allesamt nach festen Regeln ab: die Vorstände (Chargen oder präsiden) haben dabei das Recht, Mitgliedern das Wort zu erteilen oder zu verweigern, Lieder anzu-stimmen oder Ruhe einzufordern.

Diese Grundregeln teilen alle stu-dentischen Verbindungen deutschen Typs in Europa. Hinzu kommt die Bewahrung patriarchaler Geschlechterverhältnisse. Die Traditionen, aus denen sich Verbin-dungen speisen, haben ihren Ursprung in einer Zeit, in der es Frauen nicht erlaubt war, zu studieren. Seitdem auch Frauen ein Studium aufnehmen konnten, grün-deten sich ebenfalls viele Damenverbin-dungen nach Vorbild der Männerverbin-

dungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Trotzdem zemen-tierten die Korpo-rationen weiterhin bestehende Ge-schlechterrol len, denn gemischt ge-schlechtliche Ver-bindungen gab es nicht und die Da-menverbindungen wurden lange Zeit von den männlichen Korporationen nicht als gleichberech-tigte Partnerinnen

akzeptiert, zumal in Damenverbindungen natürlich nicht das Satisfaktionsprinzip galt oder gefochten wurde. Auch ohne Degen und Ehrenstreit erreichten die Damenver-bindungen bei weitem nicht eine mit den Korporationen der Männer vergleichbare Position unter den Studentinnen.

In Folge der 68er - Bewegung ver-suchten einige Verbindungen ihr Image zu verbessern und wandelten sich, zum Teil

Georg Mühlberg: Renommierbummel

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Politik und Wirtschaft verhindert.Negativ zum Bild aller studentischen Ver-bindungen trägt auch das Auftreten der Deutschen Burschenschaft (DB) und deren Mitgliedern bei, die immer wieder mit nati-onalistischen, völkischen und rassistischen

Äußerungen von sich Re-den machen. „Burschis“ wurden im allgemeinen Sprachgebrauch längst zum Übergriff sämtlicher Verbindungsstudenten, was dazu führt, dass in der öffentlichen meinung oft verschiedene Korpo-rationen mit dem Welt-bild der Burschenschafter in Verbindung gebracht werden. Die Deutsche Burschenschaft nimmt keine ausländischen Mit-glieder auf, wobei hier die Staatsangehörigkeit keine Rolle spielt. Stattdessen müssen ihre Mitglieder auf das Volkstum bezogen deutscher Herkunft sein. Die völkische Ausrichtung wird auch in den Grund-sätzen der Verfassung der Deutschen Burschen-schaft deutlich. In Artikel 9 heißt es hier:

„Die Burschenschaft be-kennt sich zum deutschen Vaterland als der geistig-kulturellen Heimat des deut-schen Volkes. Unter dem Volk versteht sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Spra-che verbunden ist. Pflicht der Burschen-schaften ist das dauernde rechtsstaatliche

gegen erhebliche Widerstände innerhalb der Dachverbände, in gemischte Verbin-dungen, die Frauen und Männer gleicher-maßen aufnehmen, um. Dennoch haben gemischte Verbindungen und Damenver-bindungen eine zahlenmäßig marginale Bedeutung im gesam-ten Korporationswe-sen. Die übergroße Mehrheit sind reine Männerbünde, die auch Bedeutung für die Konstruktion von Männlichkeit haben. Le is tungsbewusst -sein, Durchsetzungs-fähigkeit, aber auch hierarchische Einord-nung, geschlechts-spezifische Konventi-onen im Umgang mit Menschen und nicht zuletzt oft auch Ehrbe-griffe und politisches Sendungsbewusstsein werden unter bewuss-ter Verwendung des Begriffes „Erziehung“ an die Studenten wei-tergegeben.[3] Das dem Leistungsbe-wusstsein oft die Wi-dersprüchlichkeit der Seilschaften mit „Vi-tamin B“ entgegen-steht, lässt das elitäre Selbstverständnis fast zum adligen Standesdünkel werden. Doch der Einfluss der Seilschaften wird zunehmend geringer, da mittlerweile auch viele Alte Herren, die in der Zeit vor den 68ern studiert haben, aus dem Berufsle-ben ausscheiden und die allgemeine Ver-bindungsflaute einen großen Einfluss in

„Die VosDB [Vorsitzende Burschenschaft im Dachverband, Anm. der Redaktion] wendet sich im Namen der DB an den deutschen Bundestag, die Bundesregierung und die Länderregierungen mit der Bitte, [....] durch ein Gesetz alle Medien, Landkarten- und Schulbuchverlage in der Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, die völkerrechtlich gültigen Grenzen Deutschlands vom 31.12.1937 zu zeigen und zu nennen“

Beschluss auf dem Burschentag 1983 (Bonn)

„Die DB fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich ein Konzept zu entwickeln und zu realisieren, dasdie Deutschen auf dem Territorium der heutigen Bundesrepublik Deutschland auch langfristig vor Überfremdung schützt. Es ist dafür Sorge zu tragen, daß die Bundesrepublik Deutschland ein deutscherStaat bleibt.“

Beschluss vom Burschentag 1984(Landau)

Wirken für die freie Entfaltung deutschen Volkstums in enger Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes, unabhängig von staatlichen Grenzen in einem einigen Europa in der Gemeinschaft freier Völ-ker.“[4]

Die Freiheit im Wahlspruch der Burschen-schafter bezieht sich immer auf eine kon-struierte Gemeinschaft deutschen Volks-tums und nicht auf individuelle Freiheiten. Das Eintreten für eine deutsche Freiheit führte beispielsweise zur Beteiligung von Wiener Burschenschaftern an (mord-)An-schlägen in Südtirol unter Norbert Bur-ger in den 60er-Jahren oder zum Mord an Shlomo Levin und Frieda Poeschke durch Uwe Behrendt im Dezember 1980. Sowohl Burger als auch Behrendt waren

nicht nur individuelle randfiguren. Burger war u.a. Vorsitzender des Ringes Freiheit-licher Studenten (Hochschulorganisation der FpÖ) und Behrendt war, abgesehen von einer Chargenposition in seiner Ver-bindung, der Straßburger Burschenschaft Arminia zu Tübingen, auch Mitglied des hochschulpolitischen Ausschusses der Deutschen Burschenschaft.[5] Neben die-sen Beispielen ließe sich die Liste um un-zählige NPD- oder Republikaner-Politiker erweitern, die die Deutsche Burschen-schaft hervorgebracht hatte.

Selbstverständlich sind die Bur-schenschaften eine Minderheit der Ver-bindungen, wenngleich auch mit großer Außenwirkung und wahrscheinlich sind studentische Verbindungen auch refor-mierbar, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Problematisch ist aber, dass den We-senskern studentischer Verbindungen die alten studentischen Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts bilden, alles andere könnte auch als bloßer Verein, Hochschul-gruppe oder sonstige, an der Gegenwart orientierte Organisation gebildet werden. Tradition als Selbstzweck sollte immer kritisch gesehen werden. Zum einen sind 200 Jahre alte Werte oft nicht vereinbar mit dem Selbstverständnis emanzipier-ter Menschen, zum anderen führt blinder Traditionsglaube zu gesellschaftlichem Konservatismus, unter Umständen auch zu Schlimmeren, wie die Burschenschaf-ten, aber auch manch andere Verbindung eindrucksvoll beweisen. Zudem sollte ein Festhalten an studentischem Elitedenken hinterfragt werden, da es den Wert von Bildung und Handeln an der Zugehörig-keit zu einer Institution misst. Selbst unter rein geschichtswissenschaftlichen Aspek-ten erscheinen Korporationen so überflüs-sig wie Trachtenvereine. Doch auch heu-

Burschenschafter in höchster Position: Bild-Chefredakteur Kai Diekmann

(Burschenschaft Franconia Münster)

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te ist ihr Einfluss noch größer als der von provinziellen Brauchtumsbewahrer_innen.

____________________________[1] HERBERT NEUPERT: Statistiken, Orga-

nigramme und Aufstellungen anderer

Korporationsverbände. In: Vorstand des

Verbandes Alter Corpsstudenten e.V.

(Hrsg.): Handbuch des Kösener Corps-

studenten. Band II, Ziffer 4, 6. Auflage,

Würzburg 1985, S.4/1.

[2] Vgl. Vgl. ROSCO G.S. WEBER: Die

deutschen Corps im Dritten Reich. Köln

1998. S.21.

[3] Als ein Beispiel unter vielen sei hier

ein Zitat Burkhard Meisters aus dem

Vorstand des Weinheimer Verbandes

alter Corpsstudenten (WVAC) genannt:

„Die Leistungen der Corps für die Ge-

meinschaft, die Gesellschaft, das

Vaterland fasse ich immer gern unter

den Begriffen „Bildung, Erziehung,

Gemeinschaft" zusammen.“ In:

Corpsstudenten müssen sich bekennen.

Interview mit dem WVAC-Vorsitzenden

Dr. Burkhard Meister Hannoverae.

In: Die Corps 1/2005. http://www.

die-corps.de/Corpsstudenten_mues-

sen_sich_be.710.0.html. Letzter Zugriff:

4.10.2010.

[4] http://www.burschenschaft.de/die-

burschenschaft.html. Letzter Zugriff:

4.10.2010.

[5] Vgl. http://www.nadir.org/nadir/periodika/

anarcho_randalia/brosche/arb1.htm.

Letzter Zugriff: 4.10.2010.

StudentISche VerbIndungen undnatIonalSozIalISmuS Die Geschichte der eigenen Korporation ist für deren Mitglieder von großer Bedeu-tung, da das Bewahren von studentischen Traditionen eines der Hauptziele von Ver-bindungen ist. Da Geschichte fast immer auch Legitimationszwecken dient, ist sie oft starken Verzerrungen ausgesetzt. Zu viele negative Aspekte stören an dieser Stelle und werden maximal zum Beweis der Läuterung in der Gegenwart. Wäh-rend sich die meisten studentischen Ver-bindungen auch heute noch gern als Op-fer des Nationalsozialismus sehen, gelten seit den 68ern Korporierte bei vielen per se zu den Unterstützer_innen des Natio-nalsozialismus. Umfangreiche geschichts-wissenschaftliche Arbeiten entstanden dabei meist aus Perspektive der Korpora-tionen im Auftrag der „Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte.“ Zwar ge-ben beispielsweise Rosco G. Webers „Die deutschen Corps im Dritten Reich“ und Friedhelm Golückes (Hrsg.) „Korporatio-nen und Nationalsozialismus“ einen um-fassenden Einblick in die Quellenlage und sind keineswegs einseitig geschrieben, können aber jedoch nicht immer ganz ihre Fürsprache zugunsten der Verbindungen verbergen. Das muss zwangsläufig auf Kosten der Wissenschaftlichkeit gehen und so heißt es auch im Vorwort von „Kor-porationen und Nationalsozialismus“, dass „das atmosphärische Moment, […] die Emotionalität“ eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung in den Verbin-dungen der 20er und 30er Jahre gespielt habe, die nur von „zeitgenössischen Ver-

fassern“ hinreichend erklärt werden kann.[1] Da muss es fast als Anmaßung erschei-nen, aus heutiger Sicht die Frage nach Schuld oder Unschuld der verschiedenen Korporationen zu stellen.

Allen Korporierten der späten Wei-marer Jahre Unterstützung der NS-Bewe-gung vorzuwerfen ignoriert die historische Bedeutung von studentischen Verbin-dungen im deutschsprachigen Raum seit dem 19. Jahrhundert. Dass die national-staatliche Bewegung des 19. Jahrhun-derts letztendlich in einen aggressiven, nationalistischen Obrigkeitsstaat münde-te, hatte Auswirkungen auf die gesamte Studierendenschaft in Deutschland. Auf-grund bestehender gesellschaftlicher Schranken blieb dem überwiegenden Teil der Bevölkerung, und bis Anfang des 20. Jahrhunderts generell auch allen Frauen, die möglichkeit zum Studium verwehrt. Bildung, besonders die höchstmögliche in einem Land, hat immer auch den Zweck, das vorherrschende gesellschaftliche System zu reproduzieren. Studierende sollten also Teil einer gesellschaftlichen Elite werden, um mit ihrem Wissen die Gesellschaft zu unterstützen. Selbst die Elite der Studierenden war gespalten: Es gab Universitäten für die klassischen Dis-ziplinen, aus denen vor allem zukünftige Staatsangestellte hervorgingen und es gab Technische Hochschulen, welche für die Herausbildung der wirtschaftlichen Eli-te zuständig waren. Seit der Reichsgrün-dung, die maßgebliche Unterstützung durch Korporierte erfahren hatte, besetz-ten ehemalige Verbindungsstudenten die wichtigsten Positionen in Staat und Wirtschaft. Bald gründeten sich die ersten Altherren-Verbände und sorgten dafür, dass bestimmte macht- und Einflusspo-sitionen in den Händen der jeweiligen

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Verbindungen bzw. ihrer verbündeten Korporationen blieben. Der Einfluss ka-tholischer Verbindungen blieb im antika-tholisch ausgerichteten Kaiserreich lange Zeit gering. Insgesamt gehörte rund ein Drittel aller Studierenden im Kaiserreich einer studentischen Verbindung an. Wer Karriere machen wollte, kam an einer Verbindung nicht vorbei. Der nahezu voll-ständig in die deutsche Gesellschaft assi-milierte jüdische Bevölkerungsanteil stell-te dementsprechend auch einen Teil der Korporierten. Durch den stärker werden-den völkischen Antisemitismus, in dessen Aufkeimen sich auch der Verband der Ver-eine Deutscher Studenten (VVDSt) als ex-plizit antisemitischer Korporationsverband gründete, wurden viele Juden von den Verbindungen bedroht oder ausgeschlos-sen und gründeten in der Folge eigene, jüdische Verbindungen. Das national-ide-alistische Konglomerat von Fortschritts-glauben und Traditionsbewusstsein, von Negierung des Individuellen zugunsten einer abstrakten Gemeinschaft und doch gleichzeitig die Abstraktion verwerfend- diese im Kaiserreich geformte und aus der deutschen Romantik und Klassik ge-speiste Geisteshaltung sollte unter den Bedingungen der Weimarer Republik ihr gefährliches Potential entfalten.

Mit dem Ersten Weltkrieg kam auch in der Studierendenschaft der gro-ße Umbruch. Aus den staatstragenden Verbindungen meldeten sich eine große Zahl von Freiwilligen für die Front, 20% kehrten nicht zurück. Die Bereitschaft zum Krieg war in den meisten Verbindungen noch größer als in der allgemeinen Be-völkerung. Die Burschenschaften waren generell explizit politisch auf den Kampf für das deutsche Volkstum in Europa aus-gerichtet, während die Corps als solche

am unpolitischen Prinzip festhielten, wo-bei die Unterstützung des Vaterlands- hier spielte der Staat eine wichtigere Rolle als der Volkstumsbegriff- nicht zu politischen Bestrebungen zählte.[2] Ob „politisch“ oder „unpolitisch“, national eingestellt waren sie fast alle. Und nach dem Krieg gab es keinen Platz mehr für sie in der Armee und für viele ehemalige Studie-rende auch aufgrund der wirtschaftlichen Lage keinen anderweitigen Arbeitsplatz. Stattdessen beteiligten sie sich zu großen Teilen an den Freikorps, die zunächst mit Unterstützung der Regierung Aufstände im ganzen Land blutig niederschlugen um anschließend selbst zu versuchen, die neue Ordnung zu stürzen. So wurden in Marburg die beim Kapp-Putsch 1920 zu besetzenden Orte auf die einzelnen Verbindungen (hier waren vom christli-chen Wingolf über die Corps bis zu den Burschenschaften alle dabei) unter Füh-rung von Bogislav von Selchow (Corps Hasso-Nassovia marburg) aufgeteilt. Das „Studentenkorps Marburg“ erschoss im Anschluss des gescheiterten Putsches 15 in Haft genommene Arbeiter im thüringi-schen Mechterstädt. Alle Gerichtsverfah-ren endeten mit Freisprüchen- die Richter waren entweder bereits im Kaiserreich Justizangehörige oder haben zumindest dort studiert.

Der Umgang mit studentischen Ver-bindungen spiegelte das allgegenwärtige Dilemma der Weimarer Republik wieder: Die Mensur war verboten und gerade aus den linken Parteien schlug den Verbin-dungen politischer Widerstand entgegen, aber die alten Eliten trugen weiterhin dazu bei, Studierenden aus den Verbindungen einflussreiche positionen zu verschaffen. Hinzu kommt, dass sich die Regierung der Freikorps, die sich zu großen Teilen

aus Verbindungsstudenten zusammen-setzten, bediente, um Aufstände von links niederzuschlagen. politischer Einfluss im staatstragenden Sinne kam mehr den ka-tholischen Korporationen zu, aus denen die Zentrumspartei ihre bedeutendsten Mitglieder rekrutierte.[3]

Die staatlichen Restriktionen be-wirkten aber eine Annäherung der ver-schiedenen Dachverbände, die 1919 zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Waffenrings (ADW), in dem sich der Köse-ner Senioren-Convents-Verband (KSCV), der Weinheimer Senioren-Convent (WSC), der Vertreter-Convent (VC) der Turner-schaften, die Deutsche Landsmannschaft und die Deutsche Burschenschaft als Dachorganisationen schlagender Verbin-dungen zusammen schlossen, um die In-teressen des Waffenstudententums nach außen zu vertreten, führte. Das wichtigs-te Prinzip, das alle im ADW organisierten Verbände einigte, war das Bekenntnis zur Satisfaktion mit der Waffe.[4] Gegen eine durch die Deutsche Burschenschaft zunehmend versuchte Politisierung des ADW wehrte sich vor allem der KSCV. Nichtsdestotrotz übernahmen alle Ver-bände nach und nach den „Arierparagra-phen“, welche die Deutsche Landsmann-schaft bereits 1894 auf ihrem Kongress in Coburg und zahlreiche österreichische Burschenschaften bereits noch früher ein-führten. 1920 wurde der „Arierparagraph“ in der Deutschen Burschenschaft und im Vertreter-Convent eingeführt, die öster-reichischen Corps schlugen dies auch für den KSCV vor, der diesen Vorschlag zwar annahm, aber den einzelnen Verbindun-gen die Umsetzung freistellte.[5] Katholi-sche Verbindungen nahmen naturgemäß nur katholische Studierende auf, die Ab-stammung spielte dabei aber keine Rolle

und so erreichten immer wieder gestellte Anträge auf Einführung des „Arierpara-graphen“ nie eine Mehrheit. Unabhängig davon nahm unter der gesamten Studie-rendenschaft und besonders in den Ver-bindungen der Antisemitismus stark zu, so dass bereits 1921, als die NSDAP noch eine einflusslose Splitterpartei war, der völkisch-nationalistische „Hochschulring Deutscher Art“, in dem auch die meisten Korporationsverbände organisiert waren, an der Mehrzahl der deutschen Universi-täten bei den AStA-Wahlen die absolute Mehrheit erreichte.[6]

Als 1926 der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) ge-gründet wurde, konnte er gut auf den ideologischen Nährboden der meisten Korporationen zurückgreifen. Die Idee zur Gründung kam vom Burschenschafter und Nationalsozialist Hans Glauning.[7] Zu-nächst war der Einfluss auf Verbindungen, von den Burschenschaften abgesehen, aber gering, da der NSDStB anfangs stark vom sozialrevolutionären Flügel um die Gebrüder Strasser beeinflusst war. Dies änderte sich nach der Übernahme des NS-DStB durch Baldur von Schirach, der das Potential der Korporationen erkannte und für die NS-Bewegung nutzen wollte. Die NSDAP setzte sich in Folge für die Aufhe-bung des Mensurverbots in Deutschland ein und hoffte durch das Erfurter Abkom-men von 1931 Anerkennung durch die schlagenden Korporationen des ADW zu gewinnen. Dieses Abkommen führte dazu, dass der NSDStB den Ehrenkodex der Verbindungen größtenteils anerkann-te und die Mitglieder des NSDStB und der Verbindungen von einer verpflichte-ten Stimmabgabe für eine bestimmte Lis-te befreit wurden.[8] Der NSDStB konnte jetzt auf mehr Stimmen aus dem Bereich

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der Verbindungen hoffen. Auf dem Erfur-ter Waffenstudententag kam es gleichzei-tig zum Austritt der Deutschen Wehrschaft (DW), die als Dachverband verschiedener völkischer Korporationen einen Dringlich-keitsantrag zur sofortigen Durchsetzung des „Arierparagraphen“ in allen ADW-Verbindungen einbrachte, der aber abge-lehnt wurde.[9]

Die Fronten waren dennoch wei-ter unklar. Die Führung des NSDStB war sich bewusst, dass, trotz der in den schla-genden Korporationen weit verbreiteten völkischen und militaristischen Einstel-lungen, sich früher oder später Konflikt-linien abzeichneten, da Führerprinzip und Alleinvertretungsanspruch der NS-Organisationen von den meisten Korpo-rierten nicht ohne weiteres mitgetragen werden würden. Von Schirach plante da-her, die örtlichen Korporationsverbände mit NSDStB-Mitgliedern zu unterlaufen, um durch ein solches Spionagesystem für künftige Konflikte gewappnet zu sein.[10] Davon unbeeinflusst führte die Deutsche Studentenschaft (DSt) als Dachorganisati-on aller AStA in Deutschland auf der Kö-nigsberger Konferenz im Juli 1932 ganz demokratisch mit 155 zu 3 Stimmen bei 25 Enthaltungen das Führerprinzip ein.[11] Im selben Jahr trat der KSCV aus protest gegen die zunehmende Politisierung aus dem Allgemeinen Deutschen Waffenring aus, da man das Neutralitätsgebot der Corps bedroht sah. Der einzige in Teilen NS-kritische Verband war somit ausge-schieden und entsprechend wurde Hitlers Machtergreifung durch den ADW 1933 begrüßt. Im mai wurde das beschlossen, was die Deutsche Wehrschaft 1931 noch vergeblich gefordert hatte: die auf Ver-wandte, Ehefrauen und Alte Herren aus-gedehnte sofortige „Arisierung“.[12]

Wenn man davon sprechen will, dass Kor-porationen Opfer des Nationalsozialismus waren, so gilt das hauptsächlich für die jüdischen Verbindungen. Diese wurden mit SA-Gewalt im Sommer 1933 gestürmt und aufgelöst. Ansonsten versuchten die Korporationen mit dem NS-Regime aus-zukommen oder unterstützten es direkt. Selbst im Kartellverband der katholischen Studentenvereine Deutschlands (KV) ge-wannen die nationalistischen Mitglieder schnell Einfluss, nachdem im märz 1933 die deutschen Bischöfe den Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufgaben.[13] In Folge dessen schaltete sich der Verband nach einigen inneren Auseinan-dersetzungen, in denen sich besonders die Alten Herren gegen eine Unterstüt-zung des Nationalsozialismus ausspra-chen, unter Konstantin Hank selbst gleich.[14] Im Einklang mit dieser Entwicklung steht natürlich auch die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsge-setz und das Reichskonkordat zwischen Vatikan und Nazideutschland. Auch der Cartellverband der katholischen deut-schen Studentenverbindungen (CV) stellte sich schnell in den Dienst des NS-Staates, nachdem die alte Führung durch eine Re-volte junger Aktiver gestürzt wurde.[15] In den meisten anderen Korporationen gab es weniger Auseinandersetzungen. Da das Mensurverbot durch die NS-Regie-rung schnell aufgehoben wurde, waren auch die Mitglieder des KSCV, unter de-ren Studenten sich ebenfalls eine große Anzahl begeisterter Nationalsozialisten befand, gegenüber der NS-Bewegung wieder besser gestimmt. Trotzdem übten Nazis innerhalb des KSCV großen Druck auf den Vorstand aus, der auch hier die Gleichschaltung und den pflichteintritt der Mitglieder in eine NS-Organisation

zur Folge hatte.[16] Die völkischen Ver-bindungen aus der Deutschen Burschen-schaft, der Deutschen Wehrschaft, dem Vertreter-Convent und der Deutschen Sängerschaft unterstützten wie vor 1933 auch jetzt die NS-Bewegung. Da die im ADW organisierten Verbände nach An-sicht der Deutschen Burschenschaft keine ausreichend klare Haltung zugunsten des Nationalsozialismus einnahmen, trat die Deutsche Burschenschaft zusammen mit dem Vertreter-Convent und drei kleine-ren Verbänden aus dem ADW aus, nicht zuletzt um Privilegien gegenüber den an-deren Korporationen durch die NS-Füh-rung zu erhalten.[17] Bei allen inhaltlichen Übereinstimmungen verhinderte das bei keiner der Verbindungen die Überführung zur NS-Organisation. Den Übergang zur Auflösung der Verbindungen bildete die Einrichtung von Wohnkameradschaften in den Verbindungshäusern, in denen NS-Veranstaltungen immer mehr die al-ten partikularistischen Korporationsinte-ressen ablösten. Gegen die Bildung der

Wohnkameradschaften regte sich kaum Widerstand.[18] Während die Burschen-schaften freiwillig ihre Couleur und Fah-nen beim Wartburgfest 1935 dem NSDtB übergaben und sich auflösten, was im sel-ben Jahr auch die Deutsche Wehrschaft freiwillig tat, erfolgte bei vielen anderen Verbindungen die Auflösung gegen den Willen der meisten Mitglieder durch die bereits 1933 gleichgeschaltete Führung. Um eine Gegnerschaft zum National-sozialismus zu vermeiden, blieben die Häuser den Studenten erhalten und es wurden neue Kameradschaften errichtet, die sich zumindest in Teilen an den alten Korporationen orientierten. Bei Bedarf wurden Studenten, die nicht ausreichend auf Parteilinie waren, gegen disziplinier-tere ausgetauscht.[19] Zudem wurde ein NS-Altherrenverband gegründet. Nach Umsetzung dieser Maßnahmen konnten auch die Zugeständnisse an die Korpo-rationen, die im eigentlichen Sinne seit 1935 nicht mehr bestanden, aufgehoben werden. 1936 wurde das Fechten von Be-

Bücherverbennung 1933 in Berlin: Hier waren massiv Angehörige der Burschenschaften und anderer Verbindungen beteiligt.

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stimmungsmensuren durch Rudolf Heß im sog. Heß-Erlass untersagt.

Widerstand gegen den Nationalso-zialismus betraf aus den Reihen der Waf-fenstudenten hauptsächlich heimliches Fechten oder weniger heimliches Tragen von Couleur. Zunächst waren solche Pro-vokationen durchaus mit Risiken verbun-den, aber bei weitem nicht mit der Be-drohung, der sich im Widerstand aktive Regimegegner_innen ausgesetzt sahen. Während des zweiten Weltkriegs wurden sogar Verbindungen inoffiziell rekonstitu-iert[20], da die Nazis zu sehr mit der Ver-nichtung der Jüdinnen und Juden, dem Halten der Fronten, und dem Ausschalten von Widerstandskämfer_innen beschäftigt waren, um sich mit Korporationsstuden-ten, deren Gegnerschaft sich im Fechten erschöpfte, zu befassen.

Es wäre fragwürdig, an die Korpo-rationen der 20er und 30er Jahre einen höheren maßstab anzulegen als an die allgemeine Studierendenschaft, die sich in weiten Teilen durch Nationalismus und Republikfeindlichkeit auszeichnete. Trotz-dem spielten die Verbindungen gerade in ideologischer Perspektive eine entschei-dende Rolle bei der Etablierung von Na-zidenkweisen, und zwar noch lange bevor die NSDAP nennenswerte Erfolge erziel-te. Diese ideologische Hilfestellung speist sich aus den Entwicklungen des 19. Jahr-hunderts und der Elitenbildung im Kaiser-reich sowie aus den konkreten politischen Umständen kurz nach dem ersten Welt-krieg. Konfliktlinien bildeten sich zunächst nur zwischen dem proletarischen Stil der NSDAP und dem elitären Selbstverständ-nis der meisten Korporationen. Nach Aus-schaltung des Strasser-Flügels schaffte es die NSDAp, ihren Einfluss bei den nicht katholischen Korporationen entscheidend

zu verstärken, was zum Teil tatsächlichen politischen Absichten der NS-Führung, zum Teil aber auch nur politischer Taktik geschuldet war. Gerade die schlagenden Verbindungen gaben sich mit der Aufhe-bung des Mensurverbots zufrieden, die meisten ihrer Mitglieder standen dem Na-tionalsozialismus längst nahe und die Bur-schenschafter konnten im Mai 1933 wie bereits 1817, nur diesmal mit staatlicher Unterstützung, „undeutsche“ Literatur verbrennen. Die schrittweise Auflösung der Verbindungen stieß bei den Mitglie-dern zwar meistens nicht auf großen Zu-spruch, aber Widerstand war längst nicht mehr zu erwarten, zumal die meisten Mit-glieder bereits fest ins NS-System einge-bunden waren. Heutzutage verklären ver-schiedenste Korporationen ihre Auflösung im Nationalsozialismus gerne als Zeichen für ihre ungebrochene demokratische Traditionslinie. Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass sehr viele Verbindungen dem Nationalsozialismus ideologischen Vorschub lieferten. In katholischen Verbin-dungen war das nicht in gleichem Maße der Fall, sie stellten mehr ein Spiegelbild der allgemeinen Rechtslastigkeit in der Studierendenschaft dar. Spätestens in den Jahren nach der Machtergreifung war der Nationalsozialismus jedoch eine derartige Volksbewegung, dass es nahezu unsin-nig wäre, nach einer besonderen Rolle der Korporationen zu suchen, insofern es nicht aktiven Widerstand betrifft.

____________________________[1] FRIEDHELM GOLÜCKE (Hrsg.): Kor-

porationen und Nationalsozialismus.

Schernfeld 1990. S.11.

[2] Vgl. ROSCO G.S. WEBER: Die deut-

schen Corps im Dritten Reich. Köln

1998. S.41 u. 73. Es wurde bereits

1848 auf dem Jenaer Kongress, auf dem

sich die Definition von Corps heraus-

bildete, festgelegt, „daß nur solche

Korporationen als Corps anerkannt

werden sollten, die auf alle politischen

Neigungen und Ziele verzichteten.“

1928 wurde der Antrag einer großen

Gruppe auf dem Kösener Congress, der

die politische Erziehung zum Teil des

Corpslebens machen wollte, abgelehnt

und stattdessen ein Beschluss zuguns-

ten der Entwicklung von Patriotismus

gefasst sowie ein „Ausschuß für Grenz-

und Auslandsdeutschtum“ gegründet.

[3] Als Beispiele sollen hier Wilhelm Marx

(KStV. Arminia Bonn), Heinrich Brüning

(KDStV Langobardia München und

KDStV Badenia Straßburg), Konstantin

Fehrenbach (KDStV Hercynia Freiburg

und KAV Suevia Berlin) und Felix

Porsch (u.a. AV Guestfalia Tübingen

und KDStV Winfridia Breslau) genannt

werden.

[4] Vgl. WEBER: Die deutschen Corps im

Dritten Reich. S.71.

[5] Vgl. ebd. S.79.

[6] Eine Übersicht über die einzelnen

Wahlergebnisse findet sich in der Ver-

bandszeitung: Die Studentenschaft. 5.

Jahrgang, Nr.12. 25.7.1921. S.17.

[7] Vgl. WEBER: Die deutschen Corps im

Dritten Reich. S.83.

[8] Vgl. ebd. S.88ff. An dieser Stelle wird

auch ersichtlich, wo die Grenzen des

demokratischen Convents-Prinzip

lagen: Vor dem Erfurter Abkommen

musste sich jedes Verbindungsmitglied

sogar bei einer allgemeinen und freien

Wahl dem gemeinsamen Beschluss

unterordnen.

[9] Vgl. ebd. S.81.

[10] Vgl. ebd. S.115f.

[11] Vgl. ebd. S.116.

[12] Vgl. ebd. S.131. „Die Anerkennung als

waffenstudentischer Verband wird aus-

gesprochen, [...]wenn er unter seinen

Mitgliedern weder Judenstämmlinge

oder jüdisch Versippte noch Freimaurer

hat...“

[13] Vgl. HANS SCHLÖMER: Die Gleich-

schaltung des KV im Frühjahr 1933. In:

GOLÜCKE (Hrsg.): Korporationen und

Nationalsozialismus. S.14.

[14] Vgl. ebd. S.36ff.

[15] Vgl. FRIEDHELM GOLÜCKE: Die

Wohnkameradschaft Markomannia

1934/35- Ein erster Gleichschaltungsver-

such. In: GOLÜCKE: Korporationen und

Nationalsozialismus. S.91.

[16] Vgl. WEBER: Die deutschen Corps im

Dritten Reich. S.134ff.

[17] Vgl. HANS WILHELM BENSCHEIDT: Das

Darmstädter Corps Obotritia im Dritten

Reich. In: GOLÜCKE (Hrsg.): Korpora-

tionen und Nationalsozialismus. S.127f.

[18] Vgl. ebd. S.167. Vor Einrichtung der

Wohnkameradschaften war es sogar

unüblich, das Korporierte auf ihrem

Haus wohnten.

[19] Vgl. GOLÜCKE: Die Wohnkamerad-

schaft Markomannia. In: GOLÜCKE:

Korporationen und Nationalsozialis-

mus. S.93.f. Bei ehemaligen katholi-

schen Verbindungen war der Austausch

zum Teil größer. Die Belegung der

Wohnkameradschaft Markomannia

wechselte sogar fast vollständig, bis sie

den Zwecken des NSDStB genügte und

in eine neu gegründete Kameradschaft

umgewandelt wurde.

[20] Vgl. BENSCHEIDT: Das Darmstädter

Corps Obotritia im Dritten Reich. In:

GOLÜCKE (Hrsg.): Korporationen und

Nationalsozialismus. S.236f.

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elIte SeIn - zIel korporatIonSStudentIScher erzIehungDer folgende Text ist die verschriftlichte Form eines Vortrages, den Stephan Peters 2004 gehalten hat. Stephan Peters war sechs Jahre lang Mitglied einer katholischen Studentenverbindung in Marburg und hat sich nach seinem Ausstieg kritisch mit Korporationen beschäftigt und schließlich auch zum Thema promoviert.

„Hier werden Nachfolger aufgebaut, Geld und Einfluß geltend gemacht, Helfer und Verbündete unterstützt und beharrlich Männer für Machtpositionen selektiert.“[1]Je wichtiger die gesellschaftliche Position, desto eher ist diese mit einem Mann aus dem milieu des gehobenen und (konser-vativ eingestellten) Bürgertums besetzt.[2] Die westlichen Industrienationen haben im Laufe ihrer Entwicklung für diese ge-schlechtlich-soziale Selektion unterschied-liche Systeme entwickelt, allerdings mit sehr ähnlichen Ergebnissen: Sie weisen hinter einer formellen Chancengleichheit in Bezug auf das Geschlecht und sozialer Herkunft eine Selektion durch eine syste-matisch angelegte informelle „Erziehung“ zur Schaffung eines für die männliche Pro-tektion günstigen „Corpsgeistes“ auf. In den USA ist hierfür das System der Eliteu-niversitäten bekannt, in Frankreich sind es die Grandes Ecoles. In Deutschland (auch in Österreich und in der Schweiz), wo es kein vergleichbares offizielles Elitesystem gibt, übernehmen u. a. studentische Kor-porationen diese Aufgabe. Am Beispiel der Corps[3] soll dies verdeutlicht werden:

Die Corps des Kösener Senioren-Conventes (KSCV) und des Weinheimer Senioren-Convent (WSC), sie stellen mit zusammen ca. 24.000 mitgliedern (Alte Herren + Aktive) heute etwa 15% der Korporierten,[4] können hinsichtlich ih-rer Elitebildung und Reproduktion zum Teil auf eine ca. 200jährige Tradition zu-rückblicken. Die ersten Gründungen seit dem Jahre 1789 – sie richteten sich direkt gegen die Ideen der französischen revo-lution - hatten mit den heute bekannten Corps noch wenig gemein. Sie waren zu-nächst reine Standesvertretungen an der Universität. Erst nach 1871 entwickelten sich die Corps und auch andere Korpo-rationen rasch zu überregionalen und generationsübergreifenden Verbänden (Lebensbund) mit organisierten Altherren-schaften. Durchhierarchisierung der Corps nach einem Befehl und Gehorsamsystem (Fux, Bursche, Alter Herr), Erziehung zum Mann als Zweck des Männerbundes und Zielsetzung im elitären Streben waren die Folge. Mit Erfolg: 1893 saßen 45 Corps-studenten (11 % der Abgeordneten) im Reichstag, vorwiegend in den konserva-tiven parteien zu finden. Die Chefs der Reichskanzlei waren seit 1871 fast aus-nahmslos Corpsstudenten, hinzu kommen zahlreiche Corpsstudenten in den führen-den Positionen der Ministerien, Präsiden-ten des Reichs- und der Landtage.[5] Na-men wie Otto Fürst von Bismarck, Wilhelm II., Adolf Stoecker, paul von Hindenburg, Friedrich Bayer, Fritz Henkel und Gottlieb Daimler, Emil von Behring, Justus Freiherr von Liebig sowie Aloys Alzheimer be-zeugen das Gelingen des corpsstudenti-schen elitären Strebens.[6] Sowohl an den corpsstudentischen Zweck- und Zielset-zungen und den innerorganisatorischen Reglementierungen als auch an dem Er-

folg hat sich bis heute – wenn auch mit Verschiebung im gesellschaftlichen Feld - wenig geändert: Namen von Mitgliedern wie Hanns- Eberhardt Schleyer, Edzard Schmidt-Jorzig, Manfred Kanther, Horst Weyrauch (Hessens schwarze Kassen), Henning Schulte-Noelle, Hans-Dieter Ha-rig usw. weisen darauf hin.

Als Voraussetzung des Erfolges bekommen die Mitglieder in einem men-sur- also pflichtschlagenden Corps eine besondere Prägung. Der genauere Cha-rakter dieser Inkorporation der mitglie-der durch den korporierten Männerbund wurde in dem Einführungsartikel anhand der Erziehungsmethoden und des Mit-gliedschaftsverlaufs bereits beschrieben. Wichtig ist hier die Selektion nach „Her-kunft und Gesinnung“[7] (also nach sozi-alem milieu und politischer Einstellung), Verstärkung der männlich autoritären Strebungen der persönlichkeit durch zahl-reiche Integrationsmittel und – nicht zu vergessen – das Mannbarkeitsritual[8] als Bestimmungsmensur (denn erst nach der erfolgreich bestandenen Mensur ist der Corpsstudent ein „richtiger“ mann), die alle zusammen zu dem führen, was mit corpsstudentischen Worten folgenderma-ßen erläutert wird:

Der Männerbund „besitzt einen Schatz von Mythen und Riten, mit denen er seine Vornehmheit deklariert und seine Distanz gegenüber dem ‚gewöhnlichen Volk’ herausstreicht beziehungsweise rechtfertigt. Zum ‚gewöhnlichen Volk’ ge-hört in diesem Sinne vor allem die Frau, der es traditionell nicht gestattet ist, die Geheimnisse’ des Männerbundes zu er-gründen.[9]“oder „Noblesse erscheint als wesentliches Prinzip corpsstudentischen Benehmens. Hierzu gehören neben diver-sen Gruß-, Kleidungs-, und anderen Sitten

Großzügigkeit, ‚Ritterlichkeit’ – was immer das heißen mag – und eine vornehme Distanz zu nicht gleichartigen und damit ‚weniger würdigen’ Personen.“[10] Die Zielrichtung der corpsstudentischen Erzie-hung richtet sich also einerseits gegen die personen eines anderen milieus („weni-ger würdige“ personen) und andererseits direkt gegen die Frauen, denen sich der Corpsstudent als mann „höherwertig“ fühlt. In dem korporationsstudentischen System geht es um die Konstruktion einer „guten Gesellschaft“, um das Herstellen einer Gruppe von „Gleichen unter Glei-chen“, die sich – ausgestattet mit dem für sie allzeit erkennbaren besonderen korpo-rierten Habitus – gegenseitig helfen und protegieren, wobei sie von dem korporier-ten Gegenüber nicht einmal unbedingt wissen müssen, daß derjenige Korporier-ter ist. Man spricht die gleiche Sprache und vertraut sich untereinander aufgrund des gleichen Habitus.[11] Michael Hart-mann beschreibt das für den Habitus des gehobenen Bürgertums so:

„Das Gefühl, auf einer „gemeinsa-men Wellenlänge“ zu kommunizieren, ist (…) außerordentlich wichtig. Es schafft die Basis für das gegenseitige Vertrauen auch in geschäftlichen Dingen.“

Somit wird auch deutlich, warum es bei der Besetzung höherer und höchster Positionen nicht nur um das Einstellungs-kriterium der „Leistung“, der beruflichen Qualifikation der Kandidaten geht, son-dern um das habituelle „Plus“, das ein-schließt, ob der Kandidat ein unter Män-nern „gegebenes Wort“ auch unter allen umständen zu halten in der Lage ist (wie man es mittels der „Ehre“ in der Korpora-tion einpaukt). Das ist das Feld der Korpo-rationen und insbesondere der Corps,[12] die in ihrer Gemeinschaft dafür Sorge

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tragen, das neben der „Herkunft und Ge-sinnung“ auch gewährleistet ist, daß man im Corpsstudenten (Korporierten) einen gleichdenkenden mitarbeiter findet, der zudem für das gehobene bürgerlich-kon-servative Milieu innerhalb der gesamten Gesellschaft eine Verstärkung, ein Zu-gewinn zu sein verspricht (reproduktion der konservativen Wertvorstellungen und Handlungsanweisungen).Es kann demnach im Ergebnis festgehal-ten werden, daß die studentischen Kor-porationen, insbesondere die konservativ eingestellten Corps, einen milieuspezi-fischen Elitarismus pflegen, den sie als Männerbund sexistisch legitimieren, als solcher ihre Mitglieder einem ausgepräg-ten hierarchischen Befehl- und Gehorsam-system unterwerfen und zahlreicher, ideo-logisch verdichteter Rituale unterziehen, wodurch sie die autoritären Strebungen in der individuellen persönlichkeit verstär-ken. Im Sozialisationsverlauf erfolgt eine Vergemeinschaftung als Mannwerdung (Sexismus) und eine Vergesellschaftung als Elitestreben (Elitarismus), die die auto-ritären Strebungen des einzelnen Mitglie-des verstärken (Autoritarismus). Die Corps sind unter Einbeziehung des eigenen ge-sellschaftlichen Reproduktionsprozesses als eine gesellschaftliche Form des (männ-lich-elitären) autoritären Korporatismus zu werten.

____________________________[1] Robert W. Connell, Der gemachte

Mann. Konstruktion und Krise von

Männlichkeiten, Opladen 1999, Seite

226.

[2] Michael Hartmann, Klassenspezifischer

Habitus oder exklusive Bildungstitel als

Selektionskriterium? Die Besetzung von

Spitzenpositionen in der Wirtschaft,

in: Beate Krais (Hrsg.), An der Spitze.

Von Eliten und herrschenden Klassen,

Konstanz 2001, Seite 161 ff.

[3] Die Corps – neben den später (1815)

entstandenen Burschenschaften – sind

hinsichtlich des Brauchtums und

der Protektion wohl die bekannteste

Gruppe studentischer Korporatio-

nen und die entwicklungshistorische

„Urwurzel“ des heutigen Verbindungs-

lebens. Vgl. Stephan Peters, Elite sein.

Wie und für welche Gesellschaft sozia-

lisiert eine studentische Korporation?,

Marburg 2004, Seite 58 ff.

[4] CDK/CDA (Hrsg.), Vielfalt und Einheit

der deutschen Korporationsverbände,

ohne Ort 1998, Seite 239.

[5] Manfred Studier, Der Corpsstudent

als Idealbild der Wilhelminischen Ära.

Untersuchungen zum Zeitgeist 1888

bis 1914, Schernfeld 1990, Seite 130.

[6] Auch in Dingen des Antisemitismus

waren die Corps nicht nur personell

(Stoecker) sondern auch geistige

Elite, so beschloß der KSCV 1921 den

Ausschluß von Juden (erstmals bean-

tragt 1877, beschlossen 1920) um

einen „Mischlingspassus“ zu erweitern,

der der Definition der 1935 beschlos-

senen „Nürnberger Rassegesetze“

entsprach. Vgl. Helmut Neuhaus, Die

Konstitution des Corps Teutonia, Mar-

burg 1979, Seite 65.

[7] Constitution des Corps Borussia zu

Tübingen, ohne Ort 1977, Seite 14, § 21.

[8] Roland Girtler (selbst Corpsstudent),

Corpsstudentische Symbole und Rituale

– die Traditionen der Antike und der

frühen Universitäten, in: Rolf-Joachim

Baum (Hrsg.), „Wir wollen Männer, wir

wollen Taten!“, Deutsche Corpsstuden-

ten 1848 bis heute, Berlin 1998, Seite

370 f.

[9] Ebenda, Seite 370.

[10] Ebenda, Seite 378.

[11] Vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntags-

zeitung vom 26. März 2000, Äußerun-

gen von Edzard Schmidt-Jorzig oder

auch von Eberhard Diepgen.

[12] Es gibt noch mehr Gruppen, die hier

wirken. Zu denken wäre an den Lions-

Club, die Rotarier, Freimaurer, etc..

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scia, gegründet 1861. Sie ist zugleich die reaktionärste Studentenverbindung und tritt immer wieder durch ihre Verbindun-gen zur Neonaziszene in Erscheinung. Weiterhin gibt es die „Altherrenschaft“ Burschenschaft Salamandria, welche nicht weniger reaktionär sind, aber im studenti-schen Leben nicht nach außen treten. Sie gehört der rudelsburger Allianz der Ver-bindungen auf dem Gebiet der ehemali-gen DDR an. Bis vor einigen Jahren gab es in Dresden außerdem die christliche Burschenschaft Albinia, die gemischt und überkonfessionell, sowie im sehr hetero-genen Schwarzburgbund organisiert war.

Eine weitere Art der Verbindung sind die Landsmannschaften, welche die älteste Form studentischer Zusammen-schlüsse sind. Der Name rührt daher, dass sie ursprünglich nur „Landsmänner“ aus derselben Region aufnahmen und sich nach eben diesen Regionen benannten und immer noch so heißen, so zum Bei-spiel „Saxonia“. Ihr Dachverband ist der Coburger Convent (CC) mit dem Wahl-spruch „Ehre-Freiheit-Freundschaft-Vater-land“. Zudem sind alle Verbindungen im CC pflichtschlagend.

Aus einigen Landsmannschaften gingen im 18. Jhd. die Corps hervor. Sie nahmen häufig nur sozial privilegierte mit-glieder auf und vertreten eher sehr tradi-tionelle wertkonservative positionen. In Dresden gibt es drei solcher Corps: das Corps Altsachsen sowie das Corps Teuto-nia sind im Weinheimer Senioren-Convent (WSC) organisiert, das Corps Silvania ist mitglied im Dachverband Kösener Seni-oren-Convents-Verband (KSCV).

Weniger bekannt in der Öffentlich-keit sind die akademischen Turner- und Sängerschaften. Neben den klassischen Traditionen der studentischen Verbin-

StudentISche VerbIndungen In dreSdenDie Begrifflichkeiten für studentische Ver-bindungen führen oft zu Verwirrungen – Burschenschaften, Turnerschaften, Corps, ... und „Burschen“ sind sie alle, wenn sie endgültiges Mitglied sind.

Der Oberbegriff für studentische Verbindungen ist Verbindung oder Kor-poration (lat.: „Körperschaft”) und meint eine lebenslange Gemeinschaft von be-rufstätigen Akademikern (“Alte Herren“ bzw. „Hohe Damen“) und Studierenden. unter diesem Label finden sich dann ver-schiedenen Verbindungsarten.

Die wohl am meisten bekannte, obwohl zahlenmäßig eher kleinere Grup-pe, sind die Burschenschaften. Mit ihrem Wahlspruch „Ehre! Freiheit! Vaterland!“ geben sie eine klare deutschnationale Richtung vor. Der Großteil der circa 250 Burschenschaften bekennt sich zur Ur-burschenschaft, welche 1815 in Jena von Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und Johann Gottlieb Fichte gegründet wurde, und zum Wartburgfest von 1817, wo es unter anderem zur Verbrennung von Literatur kam, die als antinational oder un-deutsch galt, so zum Beispiel der Code Civil und Bücher jüdischer Autoren. Etwa die Hälfte aller Burschenschaften sind im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) zusammengeschlossen. In der re-gel ist die Aufnahme von Studierenden mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit nicht gestattet. In Dresden gibt es die Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheru-

schenschaften Mitglied werden. Da die-sen Nachfahren von Deutschen, die sich in den Burschenschaften organisiert hatten, der völkisch- rassistischen Definition des „Deutschen“ zufolge ja nun auch „deut-sches Blut“ - heutzutage wird das unter Beibehaltung der alten Inhalte auch ger-ne mal als „Sprache und Kultur“ bezeich-net - durch ihre Adern fließt, können sie selbstverständlich auch Mitglied der DB werden. Am 19. April 1959 wurde dann der „Bund Chilenischer Burschenschaf-ten“ (BCB) gegründet, um nach außen hin gemeinsam auftreten zu können bzw. um mit der DB einen Freundschafts- und Ko-operationsvertrag zu schließen. Seitdem gibt es Förderprogramme, die dafür sor-gen, dass es einen regen Austausch zwi-schen den Burschenschaftern der beiden Länder gibt. Stellt sich nur die Frage, wie das aussieht, wenn sich der „volkstumsbe-zogene Vaterlandsbegriff“ mal realisieren lassen würde. Ob es dann wohl Teile des „deutschen Vaterlandes“ in Chile, pardón auf ehemaligem Territorium des Staats Chile, gäbe? Vorausgesetzt natürlich, dass dieser „Volksteil“ dann sein „recht (...) auf die Selbstbestimmung über seine staatli-che Zugehörigkeit“[2] gemäß seiner „na-türlichen Bestimmung“ wahrnimmt.

____________________________[1] http://www.bmontania.cl/index.

php?mod=grundbestimmungen.

php&PHPSESSID=

51550ba25870cdbb30a57ebe1faed010.

http://

[2] www.burschenschaft.de/.

exkurS: deutSche burSchenSchafter auS chIle?Wir bedanken uns bei den den allgemei-nen Studierendenausschüssen der Uni-versität Münster und der Fachhochschule Münster für die Zurverfügungstellung des folgenden Beitrages.

Der Deutschen Burschenschaft gehören derzeit auch alle fünf Burschenschaften, die in Chile existieren, an. Wie, könnte man fragen, Burschenschaften in Chile? und warum können die mitglied in derDeutschen Burschenschaft sein? Ganz ein-fach, erstens weil die DB ein völkisches Verständnis von „deutsch“ - Sein hat, und zweitens weil ab den 1840er Jahren auch deutsche Emigranten nach Chile ge-gangen sind, so dass dort heute ca. 200 000 Menschen mit deutschen Vorfahren leben. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an begannen sich die studierenden Nachfah-ren dieser Emigrant_innen in Burschen-schaften zu organisieren. Wesentliche Motivation dürfte die in allen chileni-schen Burschenschaften in den jeweiligen Grundsätzen verankerte Hochschätzung und pflege deutscher Kultur und Spra-che sein. Oder, wie es die Burschenschaft Montania ausdrückt: „Volles Eintreten für das deutsche Volkstum. Demnach mit al-len Kräften beizutragen, deutsche Sitte und Art zu erhalten und unter den übri-gen Mitbürgern Achtung zu erwecken, zu Gunsten unserer Väter Land“[1]. Dement-sprechend gibt es hier auch noch ein ganz besonderes Ausschlussmerkmal: Ohne die Beherrschung der deutschen Sprache kann man in keiner der chilenischen Bur-

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dungen steht in diesen Zusammenschlüs-sen der sportliche beziehungsweise der musikalische Aspekt im Vordergrund. Die meisten Turnerschaften sind wie die Landsmannschaften im Coburger Convent mitglied und damit „pflichtschlagend“. In Dresden ist das die Turnerschaft Germa-nia.

Sängerschaften hingegen fech-ten meist nicht oder sie sind „fakultativ schlagend“. Die AMV Arion Dresden ist eine Akademisch-Musische Verbindung im Sondershäuser Verband, ist nicht schlagend und die einzige derzeit aktive Dresdner Verbindung, die auch Frauen aufnimmt.

Die drei größten katholischen Ver-bände sind der 1856 gegründete Cartell-verband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV) mit 127 Mitgliedsbünden, der 1865 gegründe-te Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine (KV) mit 90 mitglieds-bünden und der 1855 gegründete Ver-band der Wissenschaftlichen Katholischen Studentenvereine unitas (uV) mit 35 mit-gliedsbünden. Während im CV nur Katho-liken aufgenommen werden, können im KV in Sonderfällen auch nichtkatholische Christen aufgenommen werden. Im uV können nichtkatholische Christen am Ver-einsleben teilnehmen und mit bestimm-ten Voraussetzungen vereinsbezogene Rechte erhalten, aber nicht Mitglieder des Vereins werden. Auch Studentinnen können mit eigenen Vereinen mitglied des UV werden. Gemischte Vereine sind jedoch ausgeschlossen. In Dresden finden sich einmal die Katholische Deutsche Stu-dentenverbindung KStV Abraxas-Rhein-preußen, welche im KV Mitglied ist und die KDStV Chursachsen mit dem Dachver-band CV.

Der Wingolfbund ist ein Dach-verband „nichtschlagender (die mensur ablehnender)“ Studentenverbindungen, in welcher sowohl Katholiken als auch protestanten mitglied werden können. In Dresden gibt es derzeit keine aktive Win-golf Verbindung.

Die katholischen Verbindungen sind wertkonservativ ausgerichtet und ge-ben sich teilweise ein modernes Image. Die Mitglieder dieser Verbindungen stel-len einen Rekrutierungspool für politische und ökonomische Funktionäre des christ-lich – konservativen Milieus.

Erwähnenswert sind noch die Ver-eine Deutscher Studenten, welche sich Anfang der 1880er Jahre gründeten und anlässlich eines Treffens am 6. August 1881 von 800 Studenten auf dem Kyffhäu-ser den „Verband der Vereine Deutscher Studenten VVDSt“ ins Leben riefen. Die VDSt´s verstanden sich explizit als politi-sches Angebot für interessierte Studenten und hatten den Anspruch, die deutschen Studenten als Ganzes zu vertreten. Die politischen Leitlinien waren Deutschtum, Monarchie, Christentum und schon in der Gründungsbewegung stark antisemitisch geprägt. Auch in Dresden gibt es einen Verein Deutscher Studenten Dresden. Glücklicherweise vertritt dieser nicht mehr die identische Ideologie wie sein Dach-veband in alten Zeiten.

Eine weitere Art studentischer Ver-bindungen entstand als Zusammenschluss von an Jagd und Forstwirtschaft interes-sierten Studenten, so genannte Jagdver-bindungen. Diese pflegen nicht nur klas-sisch konservative Verbindungstraditionen wie Kneipen, Kommerse und Mensur, son-dern sie kommen auch noch dem Jagd-Brauchtum nach. Hierzu zählt gemeinsam Schießen, Jagdhorn blasen und natürlich

auch Jagen. In Tharandt bei Dresden gibt es die Forstakademische Jagdcorporati-on Cervidia, organisiert im Wernigeroder Jagdcorporationen Senioren-Convent ist.Wie die Burschenschaft Salamandria, die beiden Jagdverbindungen Silvania und Cervidia entstand auch die christliche Ver-bindung Eques Aureus Dresdensis inoffi-ziell in der DDr und gehört noch heute der Rudelsburger Allianz der in der DDR gegründeten Korporationen, wie auch die F. St. K. Cimbria Dresdensis, an. Bei-de Verbindungen haben momentan keine aktiven Studenten.

Damenverbindugen spielen in der Verbindungslandschaft eine zahlenmäßig unbedeutende rolle. Die meisten gehören keinem Dachverband an, einige wenige sind im katholischen Unitas-Verband, so-wie jeweils eine im Sonderhäuser Verband und eine im Schwarzburgbund organisiert. In Dresden wurde 2009 die Akademische Damenverbindung Regia Maria-Josepha gegründet, die sich als Eintagsfliege ent-puppte und bereits nach einem Jahr in der Versenkung verschwand.

Die beiden Verbindungen der Deutschen Gildenschaft, einem aus der Wandervogelbewegung der 20er Jahre entstandenen Dachverband gemisch-ter Verbindungen, in Dresden, die DHG (Deutsche Hochschulgilde) Notung und die DHG vom Stein, sind ebenfalls nicht mehr aktiv.

Im folgenden sollen nun die einzel-nen aktiven, in Dresden ansässigen Ver-bindungen näher betrachtet werden.

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Leistner ist mittlerweile als Nachfolger von Ralf Prescher auch Vorsitzender der GFSK sowie Vorsitzender der Außen- und sicherheitspolitischen Studienkreise (ASS) Dresden. Ralf Prescher engagierte sich au-ßerdem im Deutschen Institut für sachun-mittelbare Demokratie und ist derzeit, während seiner Promotion, auch Mitglied des Zentrums für Demokratie Aarau in der Schweiz.[2]

„Wer nichts besonderes ist, geht unter. Dies ist nicht nur ein Naturgesetz, es ist auch ein marktwirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Gesetz.“[3] Was sicher nur zufällig nach Sozialdarwinismus klingt, soll vor allem verdeutlichen, wie zwanghaft sich das Corps und dessen Mit-glieder um Einfluss in universität und Ge-sellschaft bemühen. Welche Blüten dieser Drang zuweilen treibt, zeigt der Artikel über die GFSK in diesem Reader. Das au-ßerdem im Anschluss an diesen Text abge-

corpS teutonIa Adresse: Caspar-David-Friedrich-Straße 19Farben: schwarz-rot-weißpflichtschlagend farbentragendDachverband: Weinheimer Senioren-Convent

Dem Corps Teutonia fällt unter den Dresd-ner Verbindungen eine Schlüsselrolle zu. Ralf Prescher und Ken Leistner sind als maßgebliche Integrationsfiguren in meh-reren Vereinigungen gleichzeitig mit füh-renden Positionen beteiligt. So geht die Gründung der Gesellschaft für Studenti-sche Kultur (GFSK) 2008 nicht zuletzt auf die Initiative Ken Leistners, damals noch Mitglied bei AMV Arion, zurück.[1] Ken

druckte Interview wird schließlich zeigen, wie weit es mit den „elitären Zielen“[4], zu denen sie sich berufen fühlen, wirklich her ist. Trotzdem konnten die Mitglieder des Corps ihren Einfluss deutlich machen, indem sie zur Feier zum 150. Stiftungsfest 2009 Festreden von Kurt Biedenkopf und Horst-Walter Endriss, sowie Grußworte vom damaligen Rektor Hermann Kokenge und der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz ankündigten.[5]

Als Mitglied im Weinheimer Senio-ren-Convent (WSC) ist das Corps Teutonia wie jedes Corps pflichtschlagend und far-bentragend (schwarz-rot-weiß). Bei all den Traditionen und dem Festhalten am Cha-rakter einer angeblichen Funktionselite verlangen die Teutonen in ihrer Selbstdar-stellung mit „mut zum Infragestellen von Gegebenheiten“[6] auch, „Reformbereit-schaft“ zu zeigen, um auf der gleichen Sei-te zu fordern: „Tradition wahren“[7]. Wie

auch bei anderen Verbindungen deutlich wird, scheint es fast, als müssten manche Korporationen an all ihren Widersprüchen zerreißen. Doch all zu laut sollten solche Worte nicht in Anwesenheit der Teutonen geäußert werden, schließlich ist ihr Wahl-spruch „amico pectus, hosti frontis“ (Dem Freund die Brust, dem Feind die Stirn), während unter dem Motto „Teutonia sei‘s Panier“ gefochten wird.[8] Hinzu kommt die Berufung auf „preußische Tugenden“, die nicht näher erklärt werden. [9] Deshalb seien an dieser Stelle die bekanntesten erwähnt: Fleiß, Pünktlichkeit, Tapferkeit, Gehorsam, Härte. Diese funktionieren ver-mutlich besonders gut in einer entindivi-dualisierenden studentischen Verbindung. Bei all den fragwürdigen Verlautbarungen gibt sich das Corps trotzdem überzeugt, ein Teil der Universität zu sein.[10] Aber das sind Kaffeeautomaten, Sitzbänke und Bordsteine ja auch. Das studentische Le-

Fackelmarsch des Weinheimer Senioren-Convents 2008

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ben bereichert das Corps Teutonia u.a. mit Kneipentouren für Erstsemester und Feuerzangenbowleabenden.

_________________________[1] Vgl. Gesellschaft zur Förderung

Studentischer Kultur gegründet. In:

SV-Zeitung. Zeitschrift des Sonders-

häuser Verbandes (gegr. 1867) und des

Verbandes Alter SVer (gegr. 1919). Nr.

3/2008. S.60f.

[2] www.wegezurdirektendemokratie.ch/

index.phpcontent=inner&linkid=127&h

ead=Referent/innen&page_id=5.

Letzter Zugriff: 6.10.2010.

[3] http://www.teutonia-dresden.

de/index.php?option=com_

content&view=article&id=47:corps-he

ute&catid=31:allgemein&Itemid=54.

Letzter Zugriff: 6.10.2010.

[4] Vgl. http://www.teutonia-dresden.de/

index.php?option=com_content&vi

ew=article&id=48:grundsaetze&cat

id =31:allgemein&Itemid=54. Letzter

Zugriff: 6.10.2010.Unter „Funktionse-

lite darstellen“ heißt es u.a. „Vielmehr

vermittelt das Corps seinen Angehöri-

gen Eigenschaften, die sie befähigen,

wesentliche Funktionen und verantwor-

tungsvolle Aufgaben in der Gesellschaft

zu übernehmen. Damit erstrebt ein

Corps Zugehörigkeit zur verantwortli-

chen Funktionselite[...]“

[5] Vgl. http://www.newsmax.de/lteste-

dresdner-studentenverbindung-feiert-

150jaehriges-bestehen-news48432.pdf

Letzter Zugriff: 29.10.2010.

[5] http://www.teutonia-dresden.de/

index.php?option=com_content&view=

article&id=48:grundsaetze&catid

=31:allgemein&Itemid=54. Letzter

Zugriff: 6.10.2010.

[6] Ebd.

[7] http://www.tradition-mit-zukunft.

de/community/couleurinfo/

verbindung,teutonia_dresden.html.

Letzter Zugriff: 6.10.2010.

[8] http://www.teutonia-dresden.

de/index.php?option=com_

content&view=article&id=47:corps-he

ute&catid=31:allgemein&Itemid=54.

Letzter Zugriff: 6.10.2010.

[9] Ebd.

InterVIew mIt eInem ehem. teutonIa-bewohnerHallo paul* (21),wir führen mit dir ein Interview, weil du 4 Wochen im Haus des Corps Teutonia gewohnt hast und aus erster Hand über die Verbindung berichten kannst. Zunächst die Frage:

Wie bist du zu diesen Leuten gekommen? Wieso hast du da eigentlich gewohnt?

Paul: Ich war in Wohnungsnot. Schon vor Beginn meines Studiums bin ich schon mehrere Wochenenden nach Dresden gefahren um eine WG zu finden, aber das war extrem schwer. Über Beziehungen meiner Eltern bin ich dann an das Corps gekommen. Mir war schon bewusst, dass solche Verbindungen schon eher am rechten Rand der Gesellschaft stehen –

was mir eigentlich höchst zuwider ist.

Wie warst du da unterbracht?

Paul: Hab dann da mein spärliches Zimmer bekommen, das ich mir auch mit einem teilen musste. Das war so eine Art Dachkammer, zum Teil mit völlig kaputten Betten. Der rest des Hauses war eigentlich ganz nett. Da lebten so ca. 6 Leute auf 2 Etagen und es gibt so eine Art Festsaal mit Bar, wo auch eine Zapfanlage dran ist. Im Garten gabs solche ‚Pappkameraden‘, das waren so menschenähnliche Lederfiguren zum Fechttraining. Ich war zwar nur 4 Wochen da, aber das war eine der Regeln für des Gästezimmer: du musstest halt männlich sein und darfst auch maximal einen Monat dort wohnen. Wenn du länger wolltest, musstest du dem Corps beitreten.

Was bedeuten würde...?

Paul: Na ja, ich wollte das eh nicht, aber da gabs auch 2 Füchse. Das sind Leute, die relativ neu dazugekommen und erst mal Mitglieder auf Probe sind, und sich in verschiedenen Sachen beweisen müssen. Also man musste ein „Mann“ sein und zeigen, dass man saufen kann und hatte auch mehrmals pro Woche beim Fechttraining zu sein. Außerdem mussten die Aufgaben übernehmen, die Vollmitglieder nicht machen wollen, wie abwaschen. Die waren dann schon so eine Art Lakaien. Nicht unbedingt wie ein Sklave, aber du bist auf jeden Fall nicht so viel wert und die anderen Vollmitglieder haben dir was zu sagen. Die ganz niedrigen Dienste mussten sie aber auch nicht machen; für Klo

putzen und so was kam fast täglich eine Putzfrau vorbei. Das hat mir aber auch die Unselbständigkeit von den Leuten gezeigt; also bei den Meisten waren soziale Kompetenzen eh ein bisschen unterentwickelt. Das einzige, worum die sich kümmern mussten, war, dass der Kühlschrank gefüllt wurde. Die Mahlzeiten bestanden dann aber trotzdem vor allem aus Tiefkühlpizza und selten mal kulinarischen Sensationen wie Bratkartoffeln mit Wurststücken. Sehr viel mehr gabs dann nicht, außer wenn mal eine Frau da war.

Wenn du sagst, da waren auch Frauen - welchen Stellenwert hatten diese?

Paul: Also die Kontaktperson meiner Eltern war sogar eine Frau, aber die war auch nur ab und zu da. Aufgrund der klaren Trennung in Mann und Frau kann sie da niemals Mitglied werden und Frauen dürfen eigentlich nur per Einladung ins Haus rein. War mehr so eine formelle Sache aber sie war zumindest kein gleichwertiges Mitglied wie ein Mann.

Was haben denn die Männer dann den Tag über getrieben, so ganz unter sich?

Paul: Na ja, das waren schon ganz schöne Nerds; haben extrem viel Computer gespielt, oft gesoffen und waren aber auch enorm mit Lernen beschäftigt. Für meinen Geschmack eindeutig zu viel. Da gabs eine Menge sozialen Druck, sein Studium erfolgreich durchzuziehen, wers da nicht bringt oder schleifen lässt, ist für die Gesellschaft dann nix wert und sollte dann eben auch beim Corps eher an der falschen

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Adresse sein. Die begreifen sich schon als Elite; und die Elite geht eben zur Universität um ein gutes Studium abzulegen. Dafür muss viel gepaukt werden, also pauken wie lernen.

Stimmt, ‚pauken‘ wird in studentischen Verbindungen eher für ‚fechten‘ verwendet. Kannst du darüber ein paar Worte verlieren?

Paul: Bei den Teutonen ist man halt männlich, wenn man sich mit anderen Männern beweist. So gabs dieses Pauken, bei dem die Paukanten - ich glaube, das Wort ist wirklich so - gegeneinander fechten, bis einer vom zuschauenden Komitee ausgeschlossen wird, weil er technisch unsauber gefochten hat oder nicht mehr weiter fechten kann, z.B. wegen Verletzungen. So gelangt man dann da zu Ruhm und Ehre; sehr altertümliches Männlichkeitsbild.

Bei Studentischen Verbindungen ist ja oft auch das Schlagwort ‚Lebensbund‘ im Umlauf?

Paul: Das Wort sagt‘s schon: Wenn du Mitglied der Verbindung wirst, ist dies ein Bund fürs Leben, den du da eingehst und der endet mit dem Tode. Da gibts auch eine schwülstige Erklärung, die man da eingeht und man schwört irgendwas auf irgendwen. Hab zwar vor allem mit Studenten meines Alters zu tun gehabt, aber es gab auch Altherren, das sind dann Verbindungsleute, die fertig sind mit studieren aber dann immer noch zur Gruppe gehören. Einer von denen, unglaublich alt und wohnt eigentlich in München oder so, hat sich auch um

die Verwaltung des Hauses gekümmert, die Finanzen gemacht und sich um die Studenten vor Ort gekümmert. Außerdem hat er sich recht viel von diesen Couleurartikeln gekauft.

Kannst du das näher erläutern?

Paul: Na so weit ich den Überblick habe, sind die meisten der Verbindungen ja farbentragend, also haben eine bestimmte Farbkombination als ‚Markenzeichen‘. Bei Teutonia war das schwarz / rot / weiss; der reichskriegsflagge ziehmlich nah. man kann sich dann Artikel kaufen, die diese Farben haben bzw. Wappen. Da gibts irgendwelche Anstecker, Feuerzeuge und Bänder. Schenkt man jemand anderem in der Verbindung solch einen Artikel, symbolisiert das eine tiefe Freundschaft und man trägt die Farben dann zu gegebenen Anlässen.

All in all – wie wars? Würdest du da noch mal einziehen?

Paul: Würde es nicht noch mal machen. Bin dankbar, dass ich ein Dach überm Kopf hatte, aber das wars auch schon. Denke, dass die Leute da einen totalen Egotrip fahren und hab wirklich keine Lust, meine Jugend mit so was zu verschwenden

Danke für dieses Gespräch!

* Name von der Redaktion geändert

aachen-dreSdner burSchenSchaft cheruScIa: Adresse: Eisenstuckstraße 50Gründungsjahr: 1861Farben: schwarz-rot-goldfakultativ schlagendfarbentragendDachverband: Deutsche Burschenschaft

Burschenschaften liegen allgemein nicht im Trend der heutigen Generation Studie-render und gelten für gewöhnlich als nicht besonders modern. Das reaktionäre Welt-bild von Burschenschaften muss daher zu-mindest zu Werbezwecken der modernen Gesellschaft teilweise angepasst werden.

Die größte und älteste Burschenschaft Dresdens, die 1861 gegründete Aachen-Dresdener Cheruscia, betreibt zu diesem Zweck eine Seite unter der Bezeichnung partybuxen.de, auf der Neumitglieder vor allem durch Partys, Alkohol und Frauen geworben werden. Die verhasste indivi-dualistische Spaßgesellschaft[1] soll wohl mit ihren eigenen Mitteln geschlagen werden. Das auf dieser Seite angebotene Programm, das sich dank etablierter Wer-bemethoden wie „sex sells“ (herbstliche Hawaii-Party: Damen im Bikini erhalten vier Freigetränke) nach Eigenangaben durchaus als erfolgreich bezeichnen könn-te, bietet jede Menge Kritikpunkte, unter-scheidet sich aber kaum vom sexistischen Normalzustand.

Viel interessanter sind Themen und persönlichkeiten der Verbindung, die über die „partybuxen“ Zugang zu größeren

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Teilen der Gesellschaft erlangen will und schon nach kurzer Recherche ein breites Spektrum an neurechten Ideologien und persönlichkeiten bieten. Beginnen ließe sich an dieser Stelle mit Martin Lochschmidt, der auch Domaininhaber von partybuxen.de ist. Der Student der Ver-kehrswirtschaft an der Tu Dresden gehört zu den Gründungsmitglie-dern des rechtskonser-vativen Magazins „Blaue Narzisse“, die von der Schülerburschenschaft „Theodor Körner“, der vom Landesamt für Ver-fassungsschutz teilweise rechtsextremistische Bestrebungen be-scheinigt werden[2], 2004 in Chemnitz ins Leben gerufen wurde. Wie ähnlich diese Pennälerburschenschaft der Cheruscia aus Dresden ist, wird bei den Selbstbeschrei-bungen deutlich. Beide treibt die Angst vor zu viel Individualismus um und in bei-den werden Burschenschaften als „geleb-te Basisdemokratie“[3] bezeichnet, was selbstverständlich keinerlei Widerspruch zum Ausschluss von Frauen (die immerhin an den meisten Veranstaltungen als Gäste teilnehmen können) und zur streng gere-gelten hierarchischen Ordnung darstellt, die bei den Pennälern beispielsweise zu Rangabstufung bei Nichtbestehen der Abiturprüfung führt. Des Weiteren ist er aktives Mitglied der Jungen Union Chem-nitz und Mitglied des dortigen „Rings christlich-demokratischer Studenten“ und fühlt sich dem Semesterplan (WS 08/09) von Cheruscia Dresden zufolge berufen, den Burschenschaftsmitgliedern und Gäs-ten die „Verbrechen des Kommunismus“

zu erklären.[4] Alexander Kleber, jahrelan-ger Anmelder des Nazigroßaufmarsches in Dresden für die „Junge Landsmann-schaft Ostpreußen“ (heute „Junge Lands-

mannschaft Ostdeutschland“), verbrachte seine Studienzeit genauso wie Holger Szymanski, Pressereferent der NPD-Frakti-on im sächsischen Landtag[5], im Verbin-dungshaus auf der Eisenstuckstraße in un-mittelbarer Nähe des Nürnberger Platzes.

Sollten die personellen Überschnei-dungen ins Nazilager bei der Einschät-zung der Cheruscia noch nicht ausreichen, lohnt sich ein Überblick über ausgewählte Veranstaltungen der Burschenschaft. Im April 2006 fand eine Veranstaltung zum Thema „Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland am Beispiel der ‚Jungen Freiheit’“ mit deren Referent für Öffent-lichkeitsarbeit, peer Lars Döhnert, statt. Die ‚Junge Freiheit’ stellt das zentrale Organ der neuen Rechten dar und wur-de vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet.[6] Im November 2005 refe-rierte Hans Meiser über die Nürnberger Prozesse, die seinem Buch „Das Tribu-nal“ zufolge der größte Justizskandal der Weltgeschichte waren und von ihm

Burschenschafter von Cheruscia auf dem Heidefriedhof am 13.2.2010.

als „grausame Rachejustiz“ beschrieben wurden. Sein Buch ist im für revisionisti-sche und NS-verherrlichende Literatur bekannten Grabert-Verlag erschienen. 2004 veranstaltete die Burschenschaft ei-nen Vortrag mit Ex-General R.Günzel, der Martin Hohmanns antisemitische Rede in einem offenen Unterstützungsbrief vertei-digt hatte, unter dem Thema „Das Ethos des Offizierskorps am Beispiel der Affäre Hohmann/Günzel“. Ebenso erlangte der ehemalige sächsische CDU-Abgeordne-te Henry Nitzsche Aufmerksamkeit bei den Burschenschaftern als er im Oktober 2003 von Türken als „Parasiten“ sprach.[7] 1998 ist es im Zusammenhang mit der Cheruscia zu einem größeren Skandal gekommen, als in Räumlichkeiten der TU Dresden ein Winterkolleg zu „Erkennt-nissen in der Militärgeschichte“ von der Burschenschaft AFV Rugia Karlsbad und der „Freien Deutschen Sommerakade-mie“, deren Leiter Hans-Ulrich-Kopp Mit-glied des nazistischen Witikobunds und der Münchner Burschenschaft Danubia ist, veranstaltet wurde. Organisiert wurde die Veranstaltung mit fast ausschließlich Nazi-, Burschenschafts- und revisionisti-schen Kreisen zugehörigem publikum von den Burschenschaftern der Cheruscia in Kooperation mit dem DSU-Rechtsaußen und Initiator der „Dresdner Freitagsge-spräche“ Hans-Holger Malcomeß. Bun-deswehrprofessor Franz W. Seidler und General a.D. Franz Uhle-Wettler, der den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 als Präventivschlag bezeichnet und in der „Jungen Freiheit“ über die „absur-de“ Strafverfolgung des SS-Hauptsturm-führers Erich Priebke schrieb, rundeten die Veranstaltung personell ab. Zudem durfte der Neonazi Steffen Huppka einen Büchertisch, auf dem Schriften und Musik

mit rassistischen, antisemitischen und na-tionalistischen Inhalten zu finden waren, betreuen.[8]

Die fakultativ schlagende Verbin-dung Cheruscia, deren Mitglieder nichts-destotrotz im Netz stolz ihre Mensurwun-den präsentieren, zeigt die Merkmale einer typischen Burschenschaft, die sich, wie bei anderen Burschenschaften, in ei-nem männerdominierten, reaktionären und elitären Weltbild äußern. Darüber hinaus ist sie sowohl personell als auch weltanschaulich mit Nazis und Rassist_in-nen eng verbunden, weswegen es umso mehr nötig ist, sich mit allen politischen Mitteln mit ihr auseinanderzusetzen und ihr mittels einer kritischen, aufgeklärten Student_innenschaft auch zunehmend den Nährboden an den Hochschulen zu entziehen.

________________________[1] www.cheruscia-dresden.de. Letzter

Zugriff: 29.11.2009. Selbstdarstellung

der Burschenschaft.

[2] http://chemnitz-report.muellers-seiten.

de/Nachrichten/2008-11-19_Hand-

lungsempfehlungen-zum-Umgang-

mit-Die-Linken.html. Letzter Zugriff:

29.11.2009. Auf der politisch eher

CDU-nahen Seite wird dies im Anhang

erwähnt

[3] siehe Selbstdarstellungen der Bur-

schenschaften (www.pb-chemnitz.de

und www.cheruscia-dresden.de)

[4] http://www.cheruscia-dresden.de/html/

semesterprogramm_ws2008-2009.pdf.

Letzter Zugriff: 29.11.2009

[5] Jungle World 44/2005. Zurück in die

Ursuppe. Letzer Zugriff: 29.11.2009.

[6] http://www.spiegel.de/kultur/gesell-

schaft/0,1518,362682,00.html. Letzter

Zugriff: 29.11.2009.

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Flyer der Burschenschaft Cheruscia

amV arIon Adresse: Könneritzstraße 11Gründungsjahr: 1919Farben: blau-weiß-grünnicht schlagendfarbenführendDachverband: Sondershäuser Verband

Die akademisch-musische Verbindung (AmV) Arion gehört ohne Zweifel zu den liberaleren Verbindungen in Dresden. Sie nimmt Männer und Frauen auf, es wird nicht gefechtet und sogar bisher verzichtet, in Verbindungstracht nach außen in Erscheinung zu treten. Da sie trotzdem ihre Verbindungssymbole besitzt, gehört sie zu den farbenführenden Verbindungen (im Gegensatz zu den farbentragenden). mittlerweile übt sich die Verbindung ihrem Blog zufolge aber

öfters im „Couleur-Bummeln“[1], bei dem gemeinsam von Verbindung zu Verbindung gezogen wird. Ansonsten praktizieren sie das ganz normale Verbindungsleben mit Kneipen, Kommersen und Stiftungsfesten, wobei das Singen im Chor den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten bildet. Laut Selbstdarstellung sind im Chor (und daher vermutlich auch in der Verbindung) derzeit 12 mitglieder aktiv. Arion gehörte 2008 zu den an der Gründung der „Gesellschaft zur Förderung studentischer Kultur“ (GFSK) beteiligten Verbindungen. Neben Christin Herzog war das ehemalige Arionmitglied Ken Leistner, der jetzt zum Corps Teutonia gehört, Gründungsmitglied und Hauptinitiator.[2] Beide sind später aus der Verbindung ausgeschlossen wurden.

Trotz der, im Vergleich zu den meis-ten Verbindungen, liberalen Tendenzen bei Arion, rückt die Verbindung mit ande-ren, wesentlich reaktionäreren Verbindun-gen zusammen, wenn es um den Zustand des Verbindungswesens allgemein geht. So arbeitete Arion beispielsweise an der Ringvorlesung „Füxe, Kneipen und Cou-leur“ mit Verbindungen wie Cheruscia zusammen[3] oder organisierte gemein-sam mit der KDStV Chursachsen, der Tur-nerschaft Germania und dem VDSt Dres-den die „Lange Nacht der Farben“ am 25.6.2010, um das Image studentischer Verbindungen aufzupolieren. Laut Eigen-darstellung der beteiligten Verbindungen ist ihnen das gelungen[4], sodass für Ok-tober bereits die zweite Auflage der Ver-anstaltung geplant ist. Außerhalb des Ver-bindungsmilieus schien die „Lange Nacht der Farben“ jedoch keine öffentliche re-sonanz erzeugt zu haben. Darüber hinaus gehört Arion dem „Sondershäuser Ver-band Akademisch-Musikalischer Verbin-

[7] Taz vom 8.11.2003. Wer ist Nitzsche?

[8] Dresdner Neueste Nachrichten vom

4.3.1998

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dungen“ an, dessen Leitprinzipien „Lied, Freundschaft, Vaterland“ sind.[5] Liberaler als eine studentische Verbindung zu sein, ist eben auch für Arion unmöglich.

_________________________[1] http://arion-dresden.de/. Letzter Zu-

griff: 29.9.2010. Unter der Überschrift

„Couleurbesuch“ wird vom Besuch

einer befreundeten Verbindung und

dem gemeinsamen „Couleur-Bummel“

berichtet. Farbentragen wurde demzu-

folge „bis jetzt nicht aktiv ausgeübt.“

Die Formulierung weist darauf hin, dass

es aber in Erwägung gezogen wird.

[2] Vgl. Füxe, Kneipen & Couleur. In: SV-

Zeitung. Zeitschrift des Sondershäuser

Verbandes (gegr. 1867) und des Verban-

des Alter SVer (gegr. 1919). Nr. 4/2007.

S. 107f. Hier heißt es zu den Vorberei-

tungen der Ringvorlesung u.a.: „Einmal

pro Woche trafen sich die Vertreter der

fünf beteiligten, ortsansässigen Verbin-

dungen, der Burschenschaft Cheruscia,

der Turnerschaft Germania, der KDStV

Chursachsen im CV, des Corps Teutonia

im WSC und der AMV Arion Dresden im

SV abwechselnd auf ihren Häusern.“

[3] Vgl. Gesellschaft zur Förderung

Studentischer Kultur gegründet. In:

SV-Zeitung. Zeitschrift des Sonders-

häuser Verbandes (gegr. 1867) und des

Verbandes Alter SVer (gegr. 1919). Nr.

3/2008. S.60f.

[4] http://chursachsen.de/2010/08/semes-

terferien/. Letzter Zugriff: 5.9.2010.

[5] http://www.sv.org/verband/struktur8.

html. Letzter Zugriff: 5.9.2010.

InterVIew mIt arIonmItglIed

Das folgende Interview wurde mit Benja-min Pelikan, derzeit Hauswart in der AMV Arion, per Mail geführt:

Du bist Mitglied in der Dresdner Ver-bindung AMV Arion. Arion gilt un-ter Verbindungen als ziemlich libe-ral, ihr seid die einzige Dresdner Verbindung, die auch Frauen aufnimmt. Wie bist du zu Arion gekommen, was hat dich an einer Korporation gereizt?

Benjamin: Ich bin zur Arion gekommen, weil ich eine Wohnung gesucht habe und ich im Internet gesehen habe, dass es zu dem Zeitpunkt noch freie Zimmer gab. Außerdem habe ich mich für das System Verbindung interessiert. Gereizt hat mich daran das Zusammenleben und der mu-sikalisch-künstlerische Gedanke und das Fortführen von gesellschaftlichen Traditi-onen.

Hast du vom „System“ Verbindung schon vorher gehört? Und welche Traditionen meinst du konkret?

Benjamin: Ja, das habe ich. Ich habe mich mit Verbindungen vor meinem Studi-um schon auseinandergesetzt. Ich habe 3 unterschiedliche Arten von Verbindungen besucht, indem ich an den sogenannten Kneipen teilgenommen habe. Als Traditionen, die es mir angetan haben, sind das Prinzip der Freundschaft über das Studium hinaus, das Toleranzprinzip, das prinzip der freien meinung und der Indi-

vidualität zu nennen. Auch das Kennen-lernen und verstehen von hierarchischen Strukturen hat mich überzeugt, einer Ver-bindung, wie der AMV Arion zu Dresden, zugehörig zu sein.

Viele Verbindungen sind ja im momen-tanen gesellschaftlichen Diskurs eher als konservativ oder rechtslastig bewertet. Was entgegnest du solchen Kritiker_in-nen? Oder sagst du einfach: „Konserva-tiv? Na und!“

Benjamin: Ich denke, es kommt darauf an, wie man konservativ definiert. Sicher-lich gibt es den einen oder anderen Zu-sammenschluß von Studenten zu einer Verbindung, die in der heutigen aufge-klärten Zeit als konservativ zu bezeichnen sind. Ich weigere mich aber, zu behaup-ten, dass Verbindungen per se als konser-vativ und somit als rechtslastig zu titulie-ren. Leider ist es aber so, und das ist mit 100% Sicherheit zu beweisen, dass einige Studenten dem politisch rechten Spek-trum zuzuordnen sind. Ich betone aber ausdrücklich, dass das Ausnahmen sind und auch bleiben werden.Ist es als konservativ zu bezeichnen, wenn man lernt pünktlich zu sein? Oder gegen-über erfahreneren und demnach meistens auch älteren einen ihr oder ihm gebühren-den Respekt zu erweisen? Oder wenn man sich meldet, wenn man etwas zu sagen hat und den anderen in einer Unterhaltung ausreden lässt? Wenn das im Allgemei-nen als konservativ bezeichnet wird, dann: „Ja, zum Konservativsein.“ Ich persönlich denke aber, dass das gewisse Regeln des menschlichen Zusammenlebens sind, die auch schon Freiherr Knigge genannt hat.

Nun ist es ja so, dass Arion im Verhältnis

zu anderen Verbindungen einen zwiespäl-tigen Umgang pflegt. 2007 gab es im Vorfeld der Ringvorlesung „Füxe, Knei-pen und Couleur“ eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Dresdner Korporatio-nen, u.a. der Burschenschaft Cheruscia, die in das von dir beschriebene Spektrum „rechtslastig“ fällt. 2008 habt ihr dage-gen zwei Mitglieder wegen Gründung der GFSK aus der Verbindung ausge-schlossen. Habt ihr einfach eure Haltung geändert, oder entscheidet ihr im Einzel-fall konkret und verwahrt euch dagegen, euch von einer bestimmten Verbindung pauschal zu distanzieren?

Benjamin: Wir behandeln jede Verbin-dung mit Respekt, das heißt, dass wir keinen zwiespältigen umgang pflegen. Ob die Burschenschaft Cheruscia als rechtslastig zu bezeichnen ist, weiß ich nicht, denn uns gegenüber wurde NIE eine in die Richtung gehende Äußerung gemacht. Der Ausschluss der beiden Verbindungs-mitglieder hatte nichts mit der Gründung der GFSK zu tun.Unsere Grundhaltung hat sich bisher nicht geändert. Wir distanzieren uns nicht spe-ziell von anderen Verbindungen, wir dis-tanzieren uns nur von gewissen Praktiken und/oder ggf. von ausgewählten Perso-nen.Die AMV Arion distanziert sich auch inso-fern nicht von anderen Verbindungen, als dass wir versuchen, gemeinsame Projekte aufzuziehen. So sei zum Beispiel das Pro-jekt „Lange Nacht der Farben“ zu nennen.

Die meisten Verbindungen sind reine Männerbünde. Der Anteil der gemisch-ten oder rein weiblichen Verbindungen ist sehr gering, obwohl mittlerweile mehr

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Frauen als Männer studieren. Woran könn-te das liegen?

Benjamin: Dass die meisten Bünde Män-nerbünde sind, liegt sicher an den über viele Jahrhunderte gewachsenen Struk-turen. Der größte Teil der Verbindungen des Sondershäuser Verband, dem auch die AmV Arion zu Dresden angehört, sind mittlerweile Gemischtbünde.Dass es wenige Frauenbünde gibt, leitet sich wahrscheinlich daher ab, dass das Know-How fehlt. mÖGLICHErWEISE scheuen sich Frauen auch eine Damenver-bindung in einer verbindungsfeindlichen Hochschullandschaft zu gründen, die von außerschulischen Institutionen und Gremi-en dominiert wird, die von vielen offenen Studenten als vermeintlich mächtig einge-stuft werden.Außerdem denke ich, dass ein massiver Faktor das große unbekannte sein könn-te. Das rührt wahrscheinlich daher, dass uns als Verbindungen der Zugang zur Prä-sentation an der Hochschule größtenteils verwehrt wird oder anderen Initiativen Vorrang gewährt wird.

Zum Schluss noch mal zu den Traditionen: Welche Bedeutung haben die vielen fes-ten Rituale, wie Kneipen, Kommerse oder auch das Singen bestimmter Lieder zu be-stimmten Zeiten für dich bzw. für euch in der Verbindung?

Benjamin: Wo musik ist, herrscht fröhli-che Gesellschaft. Das schätze ich. Kneipen sind zum Semesterauftakt und zum Ende eine schöne Sache, um sich nach den Se-mesterferien wiederzusehen oder in die Semesterferien zu gehen. Der Kommers ist der offizielle Teil einer solchen Veran-staltung.

Bestimmte Lieder zu bestimmten Zeiten zu singen, ist eine regionale Diversität. Hier in Dresden und Umgebung wird das so genannte „Steigerlied“ gesungen. Auch in der Kirche werden bestimmte Lie-der zu bestimmten Anlässen gesungen, ähnlich ist das in Verbindungen auch.

Vielen Dank für dieses Interview!

kdStV churSachSen Adresse: Tieckstraße 9Gründungsjahr: 1992Farben: schwarz-gold auf grünem Grund nicht schlagendfarbentragendDachverband: Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen

Würde an der Uni eine Umfrage gemacht werden, was die Studierenden mit den Worten “konservativ“ und “reaktionär“ assoziieren, wäre eine spontane Antwort wohl: Die Katholische Kirche! Da diese Attribute auch diversen studentischen Verbindungen immanent sind, ist die Existenz einer Katholischen Deutschen Studentenverbindung (KDStV) kein abwe-giger Gedanke. Atypisch dagegen ist der

Standort Dresden, mitten in stark säkula-risierten Landen, bzw. falls doch religiös, eher protestantisch geprägt. Enklavenar-tig wirkt auch ihr Haus in der Neustädter Tieckstrasse, fernab des Campus.

Bei der KDStV Chursachsen handelt es sich um eine farbentragende Verbin-dung, die ausschließlich für römisch-ka-tholisch getaufte Männer offen steht und nach dem Lebensbundprinzip organisiert ist. Als Leitprinzipien steckte man sich un-ter anderem die Vaterlandsliebe (patria) sowie die religiosität (religio). Auch wenn die Chursachsen im Vergleich zu anderen Verbindungen eher konservativ-gemäßigt erscheinen mögen, stehen sie mit Grup-pierungen wie der Burschenschaft Che-ruscia oder dem Corps Teutonia über die Gesellschaft zur Förderung studentischer Kultur (GFSK), an deren Gründung sie mit-beteiligt waren[1], in engem Kontakt. So verteidigte auch Paul Stadelhofer, derzeit Consenior der Chursachsen, die GFSK und die Dresdner Verbindungen mit ei-nem tendenziösen Artikel in der Dresd-ner Campuszeitung CAZ, der die meisten verbindungskritischen Argumente außer Acht lässt und sich auf den angeblichen Vorwurf des Rassismus konzentriert.[2]

Schon aus dem katholischem Selbstverständnis verbietet sich das Schlagen von Mensuren. Ob dies nun aus christlicher Nächstenliebe geschieht (3. mose 19,18) oder es einfach ungünstig ist, beim Fechten auch noch die andere Wan-ge hinzuhalten (matthäus 5, 39), wird of-fen gelassen. Auch in anderen Bereichen stehen die kirchlichen Traditionen stets an erster Stelle. So wurde, entgegen der breiten Masse am “Herrentag“ zunächst ein zeremonieller Gottesdienst abgehal-ten, bevor sich mit 130 Litern Bier exzessiv abgeschossen wurde (nach langjähriger

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Tradition „Himmel-fahrtskommando“ genannt [3]).

I n t e re s s a n t wird es, wenn der Cartellverband der Katholischen Deut-schen Studenten-verbindungen (CV) als Dachverband der Chursachsen näher betrachtet wird. In-haltlich ist der Dach-verband deutlich national-konservativ ausgerichtet. Einige Textstellen platzen geradezu vor Chau-vinismus: Es werden große Töne über Herkunftsbewusstsein, große kulturelle Vergangenheit, Traditi-onen und Wertschätzung der deutschen Sprache gespuckt. Mit dem Vokabular einer “europäischen Leitkultur“[4] macht der Cartellverband schließlich seinen überheblichen Traditionalismus deutlich, mit dem Bestehendes legitimiert und jeg-liche Hinterfragung gesellschaftlicher Ver-hältnisse verhindert wird.

________________________________[1] Vgl. Gesellschaft zur Förderung

Studentischer Kultur gegründet. In:

SV-Zeitung. Zeitschrift des Sonders-

häuser Verbandes (gegr. 1867) und

des Verbandes Alter SVer (gegr. 1919).

Nr. 3/2008. S.60f.

[2] Nachzulesen unter: http://www.caz-

lesen.de/index.php/aktuell-einzelmel-

dung/items/Aufkl%C3%A4ren_ist_gut_

aber_bitte_kompetent.html. Letzter

Zugriff: 4.10.2010.

[3] http://chursachsen.de/?p=217. Letzter

Cartellversammlung des CV in Bonn 2008. Die Degen sind stumpf und nur Schmuckgegenstände, die Verbindungen des CV fechten nicht.

turnerSchaft germanIa Adresse: Altenzeller Straße 44Gründungsjahr: 1898Farben: schwarz-weiß-rotpflichtschlagendfarbentragendDachverband: Coburger Convent

Die 1898 gegründete Turnerschaft Ger-mania Dresden ist unweit der Cheruscia-Villa auf der Altenzeller Straße 44 in ihrem Corpshaus anzutreffen und konzentriert sich eher auf interne und vergleichsweise unpolitische Veranstaltungen. Die größte Auffälligkeit dieser Verbindung ist wohl ihr Name, um den die Mitglieder auch selbst gelegentlich verlegen werden. So erklärte Gerrit Volland, der Zweitchargierte (stell-

vertretender Vorsitzender der Aktiven), gegenüber der Sächsischen Zeitung, dass der Name vom ersten Treffpunkt am ehe-maligen Germania-Brunnen auf dem Alt-markt herrühre und fügte hinzu: „Wir sind keine Nazis.“[1] Nazis erkennt man für gewöhnlich nicht an deren Selbstbezich-tigung und der Wahlspruch der Verbin-dung, „Gedenke, daß Du ein Deutscher bist“[2], spricht seine eigene nationalisti-sche und ausgrenzende Sprache. Jedoch muss festgestellt werden, dass die weni-gen Mitglieder dieser Verbindung bisher politisch kaum aufgefallen sind. Der an Idealen des Kaiserreichs ausgerichtete Charakter wird vor allem im internen Be-reich zelebriert, als Mitglied im Coburger Convent und im Waffenring Halle-Leipzig ist die mensur pflicht. Über die Herkunft der Farben Schwarz-Weiß-Purpur heißt es: „Die Herkunft der Farben ist so alt, wie die

Zugriff: 9.10.2010.

[4] CV-Papier „Globalisierung“.

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Verbindungen selbst. Damals versuchten Studenten ihre Kleidung an den Farben der Offiziersuniformen beliebter heimat-licher Regimenter […] anzulehnen.“[3] Die Mitglieder gehen somit bewusst eine Verbindungslinie mit den Militärs des Kai-serreichs und der mit ihnen verbundenen rassistischen Kolonialpolitik ein.

Der Höhepunkt an Veranstaltungen, die sich nicht um die Verbindung selbst drehen, stellt die Teilnahme am pfingst-kongress des Coburger Convents statt, dessen Bedeutung auf der Germania-Homepage mit angeblichen 4000 ange-gliederten aktiven Mitgliedern weit über-trieben wird[4], der Convent selbst gibt die Zahl aktiver und inaktiver mit 1600 an.[5] Das ändert nichts an der Tatsache, dass zu jenem pfingstkongress ganz Co-burg zum pflaster für ein nationalistisches Spektakel mit Fackeln und Marschmusik wird, zu dessen Gelingen auch die Turner-schaft Germania beiträgt.

________________________________[1] http://www.sz-online.de/nachrichten/ar-

tikel.asp?id=1523333&swbm=favorites.

Letzter Zugriff: 14.3.2010.

[2] http://www.coburger-convent.de/

studieren-in.html?tx_studylocations_pi

1[location]=22&cHash=2ffffd171c. Letz-

ter Zugriff: 14.3.2010.

[3] http://www.germania-dresden.de/.

Letzter Zugriff: 14.3.2010.

[4] Ebd.

[5] http://www.coburger-convent.de/

ueber-den-cc/ rmation.html. Letzter

Zugriff: 14.3.2010.

Fackelmarsch des Coburger Convents 2008

geSellSchaft zur förderung StudentIScher kultur (gfSk)

Die Zusammenarbeit zwischen den ein-zelnen studentischen Verbindungen in Dresden gestaltet sich seit einigen Jahren intensiver. Im Wintersemester 2010/2011 wird zum dritten Mal die Ringvorlesung „Füxe, Kneipen und Couleur“ als interkor-porative Veranstaltung durchgeführt. Auf-grund der nach eigenen Angaben positi-ven Reaktionen auf die Vorlesungsreihe, beschlossen die beteiligten Verbindungen die Gesellschaft zur Förderung studenti-scher Kultur (GFSK) zu gründen. Schon an den für die Entstehung der Gesellschaft verantwortlichen Verbindungen, nämlich der AMV Arion, der KDStV Chursachsen, dem Corps Teutonia und der Burschen-schaft Cheruscia, wird deutlich, dass hier sowohl moderat-konservative Verbindun-gen als auch solche des äußeren rechten Spektrums zusammenarbeiten.

Mit ihrem Gründungsdatum, dem 17. Juni 2008, will sich die Gesellschaft nach eigenen Angaben in die Tradition des DDR-Arbeiter_innenaufstand vom 17.06.1953 stellen. Dies ist nur eins von vielen Beispielen für die Anmaßungen der GFSK, an denen auch der Versuch deut-lich wird, sich Geschichte anzueignen. Der Widerstand gegen die DDR-Regierung soll dabei zum Vorbild genommen wer-den, um„die eigenen Probleme studenti-scher Verbindungen gemeinsam anzuge-hen und selbstverantwortlich zu lösen.“[2] Auf solche Weise begründet die GFSK ihren Anspruch, auf die Hochschulpolitik

Einfluss zu nehmen und das gesellschaft-liche Erscheinungsbild der Verbindungen positiv zu gestalten. Mit diesen Zielen hat sich die GFSK hohe Ansprüche gesetzt, die sie vor allem zunächst damit zu errei-chen sucht, in der Öffentlichkeit als ganz normale Studierendeninitiative mit ge-sellschaftspolitschem Anspruch wahrge-nommen zu werden. Um das zu erreichen, verschleiert die Gesellschaft gerne ihren Hintergrund als Vernetzung Dresdner Ver-bindungen. Beispielsweise wurde sich im Juni 2010 um die Aufnahme als anerkann-te Hochschulgruppe des Sturas beworben und dabei sämtliche Gründe, die bei der Entstehung der GFSK eine Rolle gespielt hatten, unerwähnt gelassen. Dies hatte zur Folge, dass, nach prüfung der Informa-tionslage, der Gesellschaft der Status als anerkannte Hochschulgruppe durch das Stura-Plenum mit großer Mehrheit wieder aberkannt wurde. In jener Sitzung trieb die Auseinandersetzung mit Ken Leistner als Vertreter der Gesellschaft erstaunliche Blüten. So bestritt dieser vehement, dass das Logo der Gesellschaft einen „Bur-schie“ zeige, ohne aber darauf hinzuwei-sen, dass das Logo Theodor Körner, der Mitglied in zwei studentischen Corps so-wie im Lützower Freikorps war, abbildet. Das Corps Thuringia, welchem er ange-hörte, war eines der Gründungsmitglieder der deutschen urburschenschaft. Höhe-punkt der Debatte war das Eingeständnis Leistners, Mitglied einer „rechtsradikalen Vereinigung [gem. ist das Corps Teutonia, der Verfasser]“ zu sein, wobei er nur dort sei, um dies zu ändern [3]. Wenige Tage nach der Aberkennung bekam das Rekto-rat der TU Dresden Post, in der juristische Schritte gegen die Stura-Entscheidung angekündigt wurden, sowie weitere em-pörte Schreiben. Das rektorat hat mitt-

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lerweile die Rechtsaufsichtbeschwerde zurückgewiesen. Das Auftreten der GFSK hat sich seitdem nicht wesentlich geän-dert. Nach wie vor ist auf ihrer Homepage von der „Förderung der studentischen Bil-dung und Erziehung, sowie der Kunst und Kultur im Sinne des humanistisch hum-boldtschen Bildungsideals“[4] die Rede, von studentischen Verbindungen wird kein Wort erwähnt. Um einen solchen, nach außen hin über das Verbindungs-spektrum hinaus reichenden, Anspruch zu verstärken, unterstützte die GFSK laut eigenem Bekunden das Dresdner Kunst-projekt Ostrale.[5] Wie auch immer diese Unterstützung ausgesehen haben mag, bei der Ostrale wusste man von nichts.

All dies ergibt das Bild einer recht konsequenten Verschleierungstaktik zu-gunsten der Einflussnahme im öffent-lichen raum, über die das Image von studentischen Verbindungen verbessert werden soll. Für Januar 2011 plant die GFSK zudem im Vorfeld des Nazigroßauf-marsches ein „Dresdner Podium gegen den politischen Extremismus“. Die bisher von der GFSK organisierten Veranstaltun-gen konzentrierten sich dagegen stark auf das Thema studentischer Verbindungen. Von einem Vortragsabend über das Enga-gement Scientologys in den neuen Bun-desländern, der dank der Teilnahme Gün-ther Becksteins die GFSK überregional bekannt machte, abgesehen, war bei den anderen Veranstaltungen der Blickpunkt auf studentische Korporationen gerichtet. So organisierte die GFSK neben der re-gelmäßig unter der Schirmherrschaft von Prof. Werner Patzelt angebotenen Ring-vorlesung bisher Veranstaltungen zu den Themen „Zukunftsmodell Korporation“, dass den Einfluss der Bologna-reform auf die Verbindungen untersuchen sollte, und

die Tagung „Minderheiten für Europa?!“, auf welcher die studentischen Verbindun-gen als besonders ausgegrenzte Minder-heit präsentiert wurden.

Diese Tagung organisierte die GFSK zusammen mit den Außen- und si-cherheitspolitischen Studienkreisen (ASS) Dresden, die wie auch die GFSK ihren regionalen Sitz im Corpshaus der Teuto-nen haben und deren Vorsitzender Ken Leistner ist, und mit dem Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Dessen Reservistenkameradschaft Dres-den IV ist durch den Stura der Tu Dres-den anerkannte Hochschulgruppe und konzentriert sich in ihren Aktivitäten laut Selbstdarstellung auf „Sport-, Schieß- und Vielseitigkeitswettkämpf[e] über Vorträge bis hin zur Erhaltung und Weiterbildung der militärischen Fähigkeiten.“[6] In ihren Gefechtsübungen feiern sie auch ger-ne den Sieg über die „roten Kräfte.“[7] Wer trotz dieser für die Tagung verant-wortlichen Gruppierungen etwas über nationale Minderheiten in der EU lernen wollte, wurde enttäuscht. Am ersten Tag war das Thema immerhin insofern für Bedeutung, wie es als relevant für die Si-cherheitspolitik erschien. Deshalb wurde auch der Frage nachgegangen, inwie-weit das Eurokorps als multinationaler Armeeverband förderlich für die Bildung einer europäischen Identität sein könnte. Am nächsten Tag gaben sich jung und alt der deutschen Verbindungslandschaft die Klinke in die Hand und machten deutlich, dass unter Minderheiten vor allem die studentischen Korporationen verstanden werden. So heißt es in der Einleitung des Buches zur Tagung, dass den „Korporati-onen eine zentrale Bedeutung beim Zu-sammenwachsen Europas“[8] zufällt und dass, - hier ist die „gesellschaftliche Min-

derheit“ der studentischen Verbindungen gemeint - „oftmals im Kleinen gelebt [wird], was im Großen erstrebenswert sein sollte“. An dieser Stelle wirkt der unpoli-tische Anspruch, wie ihn sich die meisten Verbindungen bescheinigen [9], geradezu lächerlich.

Einer der Referent_innen war Prof. Eric Schoop, Inhaber des Lehrstuhls für „Wirtschaftsinformatik insb. Informations-management“ an der TU Dresden und Ver-bandsbruder der Landsmannschaft Teuto-nia Heidelberg im Coburger Convent [10]. In seiner position als Verbindungsmitglied hält er des öfteren Vorträge in verschie-denen Dresdener Korporationen. Über das Thema „Hinhaltender Widerstand im Totalitarismus: Die Rudelsburg ein Ort der Inspiration mit europäischer Berufung?“ referierte Dr. Frank Volta von der „Deut-schen Studentenverbindung Saxo-Asca-nia Hallensis“. Volta betrieb früher die Seite über die Rudelsburger Allianz und präsentierte sich dem geneigten Zuschau-er auf seinen „privaten Seiten“[11] als Inkarnation des perfekten Korporierten. mittlerweile hat er sämtliche Inhalte die-ser Seite gelöscht, auf der Online-politik-Simulation „dol2day“ hat er jedoch keine Scheu, sein nationalistisches Weltbild zur Schau zu stellen.[12] Letztendlich war die Veranstaltung also hauptsächlich eine Ver-bindungsangelegenheit, die durch den Reservistenverband ergänzt wurde.

Im Juni 2010 war ralf prescher (Corps Teutonia), der zu dieser Zeit ge-rade in Zürich promovierte, Vorsitzender des Vereins und Sandro Hersel (Burschen-schaft Cheruscia), der momentan regio-nalleiter des Vereins für Deutsche Sprache im Bereich Neubrandenburg/Greifswald ist, dessen Stellvertreter. Im Herbst 2010 hat Ken Leistner (Corps Teutonia) den

Vorsitz der Gesellschaft übernommen. Anhand der auf der GFSK-Homepage zu findenden Linkliste, die neben den an der Gründung beteiligten Verbindungen auch auf die Turnerschaft Germania ver-weist, ist davon auszugehen, dass sich das Spektrum der beteiligten Verbin-dungen erweitert hat. Dagegen sind die an der Gründung der GFSK beteiligten Arion-Mitglieder Ken Leistner und dessen damalige Freundin Christin Herzog von der AMV Arion ausgeschlossen wurden, so dass nicht bekannt ist, inwieweit noch Mitglieder von Arion in der Gesellschaft mitwirken. Mittlerweile hat die GFSK nach eigenen Angaben 30 Mitglieder sowie 2 Fördermitglieder.

________________________________[1] „Die Analogie des Gründungsdatum […]

soll gleichsam Anspruch und Ausdruck

dafür sein, die geschichtlichen Ereig-

nisse um den Aufstand der Arbeiter der

Stalinallee und der folgenden Erhebung

großer Teile der Bevölkerung in der

DDR gegen ein Unrechtsregime zum

Vorbild nehmen[...].“ In: SV-Zeitung.

Zeitschrift des Sondershäuser Verban-

des (gegr. 1867) und des Verbandes

Alter SVer (gegr. 1919). Nr. 3/2008. S.61.

[2] Ebd. S.61.

[3] Augenzeugenbericht mehrerer Anwe-

sender

[4] http://gfsk-dresden.de/?q=node/1.

Letzter Zugriff: 25.9.2010.

[5] Vgl. Ebd.

[6] http://www.vdrbw.de/rk_dresden-IV/

index.php. Letzter Zugriff: 25.9.2010.

[7] http://www.vdrbw.de/rk_dresden-IV/

nachrichten.php. Letzter Zugriff:

25.9.2010. Beim Taktikaufbaukurs ge-

ben sich die Soldaten der Reserve von

ihrer besten Seite: „Auf dem Programm

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stand die Verteidigung des fiktiven

Staates Wettina im nördlichen Sachsen

– heimatnah! Gewappnet mit einiger

Kenntnis der Umgebung plante es sich

schon viel einfacher im Kreise der 12

Kameraden. Nach erfolgreich geschla-

genem Gefecht gegen die roten Kräfte

war selbstverständlich ein Gefechtsbier

nicht weit.“

[8] http://www.verlagdrkovac.de/3-8300-

4273-6.htm. Letzter Zugriff: 25.9.2010.

[9] Vgl. http://www.sv.org/sonstiges/

faq.html. Letzter Zugriff: 25.9.2010.

Beispielsweise ist beim Sondershäuser

Verband, dessen Dresdner Verbindung

AMV Arion maßgeblich an der Grün-

dung der GFSK beteiligt war, zu lesen,

dass nur Burschenschaften primär

politischen Charakter haben und die

„meisten Verbindungen [...] auch völlig

unpolitisch“ sind.

[10] http://www.gfsk-dresden.de/dateien/

flyer.pdf. Letzter Zugriff: 29.10.2010

[11] http://www.dr-volta.de/akupunktur-

rettungsmedizin/private-seiten. Letzter

Zugriff: 25.9.2010.

[12] http://www.dol2day.com/index.php3.

Letzter Zugriff: 25.9.2010. Volta zitiert

hier unter der Überschrift „Politisches

Statement“ Karl Reichsfreiherr von und

zum Stein mit den Worten: „Ich habe

nur ein Vaterland,das heißt DEUTSCH-

LAND, und da ich nach alter Verfassung

nur ihm und keinem besonderen Teil

desselben angehöre, so bin ich auch nur

ihm und nicht einem Teil desselben von

ganzem Herzen ergeben.Mein Wunsch

ist, daß Deutschland wieder groß und

stark wird und seine Selbständigkeit

und Unabhängigkeit wieder erlange.

Mein Glaubensbekenntnis ist: DIE

DEUTSCHE EINHEIT!“

Jagdcorporation

cerVIdIa:

Adresse: Heinrich-Cotta-Straße 21a (Tharandt)Gründungsjahr: 1990Farben: schwarz-weiß-grünfakultativ schlagendfarbentragendDachverband: WernigeroderJagdcorporationen-Senioren-Convent

Vom Männertag zur Jägerverbindung

Die Geschichte der heute bestehenden Forstakademischen Jagdcorporation Cer-vidia (benannt nach dem lateinischen Na-men der Familie der Hirsche) zu Tharandt mutet ebenso fragwürdig an wie deren Existenz an sich. So entstand die Idee zur Wiederbelebung einer Jägerschaft treffender Weise auf einem Männertags-ausflug einiger Forststudenten im Jahr 1987.[1] Die Motivation dazu fand sich in der Sehnsucht danach, sich häufiger zu treffen und „die alten Lieder“ wieder öf-ter singen zu können. Da der offiziellen Gründung 1987 noch die DDR im Wege stand, traf man sich zunächst heimlich. Um dem Bedürfnis nach „Tradition“ gerecht zu werden, kopierte man alte Kommers-bücher, bastelte sich schwarz-weiß-grüne Bänder und besorgte sich eine alte Stu-dentenmütze aus dem Staatsschauspiel und ließ sie nachnähen. Mit Kultobjek-ten und neuer (alter) Identität ausgestat-tet, machte man sich an die Arbeit, die historische Tharandter Verbindung zu rekonstruieren und knüpfte Netzwerke u.a. mit Halleschen und Leipziger Verbin-

dungen. Ergebnis war die rein ostdeut-sche „Rudelsburger Allianz“. Zu diesem Zeitpunkt, 1989, nannte man sich noch „Burschenschaft Silvania“. Nachdem man sich jedoch 1990 als jagdlich orientierte Verbindung „Silvania“ offiziell gegründet hatte, bekundeten so genannte „Traditi-onsträger der Ur-Silvania“ Zweifel an der Rechtmäßigkeit der neuen „Silvania“ und legten ihr nahe, den Corps–Status inklu-sive pflichtschlagen wieder anzunehmen. Stattdessen spaltete sich noch 1990 die "Forstakademische Jagdcorporation Cervidia zu Tharandt" von „Silvania“ ab. Die neuen Leitsätze sind, neben dem Le-bensbundprinzip, die Studentische Tra-ditionspflege“, „das deutsche Waidwerk und die Unterstützung der Kommilitonen in allen Belangen der Jagd“, „pflege des jagdlichen Brauchtums, insbesondere des Jagdhornblasens“ und „Toleranz gegen-über allen polit. Meinungen sowie ge-genüber den anderen Studentenverbin-dungen“[2], außerdem der Wahlspruch: „Durch Eintracht wächst das Kleine, durch Zwietracht zerfällt das Große“.[3] Zum ze-lebrierten Brauchtum gehört außerdem noch ein eigenes „Farbenlied“, in dem der „deutsch[e] Wald“ und die Freiheit der Burschen von weiblicher Bevormun-dung gepriesen wird. [4]

Heute besteht die „Forstakademi-sche Jagdcorporation Cervidia zu Tha-randt“ aus ca. 10 Mitgliedern plus Alte Herren. Ihre Hauptaktivität liegt darin, zu Semesterbeginn die neuen Student_in-nen mit Jagdhornmusik zu beglücken und im selbst eingerichteten Clubhaus Knei-pen abzuhalten. Um den Zusammenhalt zu stärken, geht es gemeinsam auf Jagd oder ins Schießkino, wo auf Leinwand pro-jezierte Ziele getroffen werden müssen.

Zudem ist die Cervidia Mitglied des

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Wernigerorder Jagdcorporationen Seni-oren-Convents. Dieser Zusammenschluss sieht seine Hauptaufgaben in der Bewah-rung von Jagdbrauchtum und Korporati-onstraditionen sowie im „Schutz unserer heimischen Natur [und der] Einhaltung der Grundsätze deutscher Waidgerech-tigkeit“[5], die bis heute nur aus schwam-migen Usancen bestehen. Der Begriff „deutsche Waidgerechtigkeit“ fand dabei erstmals 1934 Eingang in Gesetzestexte und besteht bis heute ohne Konkretisie-rung fort.

________________________[1] Vgl. http://www.cervidia.de/pages/ue-

ber-uns/geschichte.php. Letzter Zugriff:

9.10.2010.

[2] Ebd.

[3] http://www.cervidia.de/pages/ueber-

uns/wahlspruch.php. Letzter Zugriff:

9.10.2010.

[4] Vgl. http://www.cervidia.de/pages/ue-

ber-uns/farbenlied.php. Letzter Zugriff:

9.10.2010.

[5] http://www.wjsc.de/. Letzter Zugriff:

9.10.2010.

corpS SIlVanIa Adresse: Nürnberger Straße 47Gründungsjahr: 1859Farben: grün-weiß-goldpflichtschlagendfarbentragendDachverband: Kösener Senioren-Convents-Verband

Bis 1990 verläuft die Geschichte des „Corps Silvania zu Tharandt“ ebenso wie die der „Forstakademischen Jagd-corporation Cervidia zu Tharandt“; am 19.5.1859 gegründet, im Dritten Reich gleichgeschaltet und schließlich nach der deutschen Wiedervereinigung durch den Druck Alter Herren wieder auf Kurs ge-bracht. Hier trennen sich die Geschichten von Silvania und Cervidia. Während aus der Cervidia „nur“ ein Männerverein mit

Sehnsucht nach „Tradition“ und Freund-schaft auf Lebenszeit wurde, ging die zu-künftige Silvania einen Schritt weiter. Auf dringendes Anraten der Altherrenschaft wurde der Corpsstatus wieder angenom-men – inklusive des pflichtschlagens.

Im Verhältnis zur marginalen Be-deutung des Corps mit sechs aktiven Mitgliedern erreicht die Verbindung mit drei Artikeln in der Sächsischen Zeitung binnen drei Monaten eine erstaunliche mediale Resonanz. Ursprünglich nur für Studenten der Tharanter Forsthochschule zugänglich, zog das Corps vor wenigen Jahren aufgrund Mitgliedermangels nach Dresden und gab die Verbindungsvilla in Tharandt zum Verkauf auf. Ob das Corps, das jetzt für Studenten aller Fachrichtun-gen offen ist, mit seinen Aktivitäten, die sich neben Fechten auf Jagd, Singen und Essgelage konzentrieren, in Dresden mehr Erfolg hat, ist noch nicht bekannt, aber wenn, wird vermutlich ein Artikel in der Sächsischen Zeitung darüber informieren.

Studentische Verbindungen tre-ten immer mehr oder weniger mit einem politischen Verständnis nach außen, auch wenn Toleranz und Überparteilichkeit noch so oft betont wird. Silvania lässt kei-nen Zweifel in seinen Veröffentlichungen aufkommen, dass das Selbstverständ-nis des Corps weit über waidmännische Brauchtumspflege hinausgeht. Dass es um nichts Geringeres geht, als einen Bei-trag zur Rettung des Vaterlands zu leisten, machen sie in der Zeitung „Corps Aktuell“ deutlich, wonach Silvania „ein wesentli-ches Stück der Geschichte und Hoffnung unseres Volkes in der Dämmerung heute bewahrt.“[1] Wenn sich vom Nationalso-zialismus distanziert wird, dann darf na-türlich der Verweis auf die DDR als eben-so totalitäres Regime nicht fehlen, was

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außerdem die Freiheitsliebe der Corps und ihren Gegensatz zu diktatorischen Regierungen zum Ausdruck bringen soll.[2] Demnach muss das Deutsche Kaiser-reich der Gipfel der Demokratie gewesen sein, denn schließlich hatten hier studen-tische Verbindungen ihre größte gesell-schaftliche Bedeutung. Auch wenn es um die räumliche Größe Deutschlands geht, schimmert in den Texten der Verbindung immer ein wenig Revanchismus mit: Vom Gebiet der ehemaligen DDR wird aus-schließlich als „Mitteldeutschland“[3] ge-sprochen, denn jeder Corpsbruder weiß natürlich, dass Deutschland nicht an Oder und Neiße endet. Wie das alles mit den Werten der französischen revolution ver-einbar ist, wie in der Festrede zum 150. Stiftungsfest verlautet wurde, bleibt ein Geheimnis der Silvaner.

________________________[1] http://www.silvania.de/Presse/CorpsAk-

tuell%20COPRS%202_2010.pdf. Letzter

Zugriff: 9.9.2010.

[2] http://www.corpserz.com/von-den-

alten-herren-1/festrede-ah-pirkner-

150-jahre-silvania-tharandt/ Letzter

Zugriff: 9.9.2010. Festrede Pirkners

zum 150. Stiftungsfest des Corps:

„Grundsätzlich lagen und liegen wir

richtig. Der beste Beweis: Wir waren mit

unseren Werten diktatorischen Regimes

stets ein Dorn im Auge. Die Nationalso-

zialisten hatten die Corps in Deutsch-

land und Österreich verboten, und die

sogenannte Deutsche Demokratische

Republik führte das in totalitärer Konti-

nuität fort, wofür gerade wir eindrucks-

voll Beispiel geben.“

[3] http://www.silvania.de/Presse/CorpsAk-

tuell%20COPRS%202_2010.pdf. Letzter

Zugriff: 9.9.2010.

a.d.V. regIa marIa -JoSefa zu dreSden Adresse: -Gründungsjahr: 2009Farben: hellgrün-violett-goldnicht schlagendfarbentragendDachverband: -

Ein sehr kurzes Intermezzo in der Dresdner Verbindungswelt spielte die Akademische Damenverbindung Regia Maria-Josefa, die am 28.03.2009 gegründet wurde, jetzt aber scheinbar nicht mehr existiert.

Namensgeberin war Regia Maria-Josefa. Sie lebte im 18. Jahrhundert und war eine Tochter von Kaiser Joseph dem 1. und dessen Frau Amalia Wilhelmine von Braunschweig-Calenberg. Sie heirate-te 1719 Friedrich August II von Sachsen, Sohn August des Starken. Die RMJ hat sie sich aber nicht etwa ausgesucht, weil sie „ihrem Mann 15 Kinder gebar“, sondern weil sie für die barocke Ausrichtung Dres-dens und seine kulturelle Orientierung gen Süden verantwortlich gewesen sein soll. Besonders hervorgehoben wurde, dass Maria Josepha die politischen Ge-schicke des Landes lenkte, da ihr Mann Friedrich August II von Sachsen sehr men-schenscheu und eher dem musisch-küns-terlischem Bereich zugewandt war.

Über die Gründung der Verbindung berichtete am 20. April 2009 die ,Hoch-schulSZene‘, eine wöchentliche Seite in der Sächsischen Zeitung. In diesem Ar-tikel antworten die Mitglieder Katja und Fanny auf die Frage, warum sie sich zur

Gründung einer Frauenverbindung ent-schlossen haben: „Wir saßen zu Haus und lernten, während sich unsere Männer bei einem Treffen ihrer Verbindung amüsier-ten. […]Wir als Damen haben auch ein Recht darauf uns auszuprobieren, ohne dass uns ein Mann ständig über die Schul-ter schaut“.

Aus dem Selbstverständnis, das sich auf der mittlerweile nicht mehr vor-handenen Webseite fand, ging jedoch hervor: „Zusammen wollen wir die ver-schiedensten Aktivitäten unternehmen, aber auch einander beistehen. Des Wei-teren möchten wir durch den Austausch unserer Meinungen unseren Horizont er-weitern […] und neuen Studentinnen die möglichkeit geben, schneller Anschluss zu finden und die Stadt schneller kennen zu lernen. Neben den regelmäßigen Treffen an einem festgelegten Ort, bestehen un-sere Aktivitäten aus verschiedenen Unter-nehmungen. […] Natürlich haben auch wir verschiedene Feiern, mit anderen Verbin-dungen oder ohne, die die verschiedens-ten Anlässe haben.“[1] Ob zum Kennen-lernen der Stadt und Museumsbesuche unbedingt eine Verbindung nötig ist? Vermutlich nicht. Aber diese Frage dürfte wohl auch nicht ausschlaggebend gewe-sen sein. Eher schon der Anschluss von Frauen aus dem Cheruscia- und Teutoni-aumfeld an die leider allzu breite Land-schaft reaktionärer und nationalistischer Kräfte, den eben nicht nur Männer, son-dern auch Frauen suchen.

Der unemanzipatorische und rück-schrittliche Charakter dieser Gemeinschaft gipfelt in Aussagen wie aus dem Interview mit der HochschulSZene, nach denen die ADV-Mitglieder kein Bier trinken, sondern Wein: “Es sieht hübscher aus, ein Wein-glas in der Hand zu halten“. Einer Dame

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entspreche es auch nicht, exzessiv Alkohol zu sich zu nehmen. Daher gebe es keine Trinkspiele. Gefochten wird bei den Mä-dels auch nicht, denn eine Narbe sehe im Gesicht einer Frau nicht gut aus.

Um bei der Frauenverbindung mit-zuwirken, braucht es nicht mehr als ein wenig Unternehmenslust, Aufgeschlos-senheit, Offenheit und eine eigene Mei-nung – so sagte es ihre Vorstellung. Es braucht aber darüber hinaus noch die Bereitschaft, Farben und Prinzipien zu ak-zeptieren. Auf ihrer Homepage stellten sie diese wie folgt dar:

„Amicitia - Das erste Prinzip unserer Verbindung ist Amicitia, Freundschaft. Es steht für einen lebenslangen Bund unter Frauen, der durch Loyalität und Vertrau-en gekennzeichnet ist. Des Weiteren soll dieses Prinzip das familiäre Miteinander innerhalb der Verbindung verdeutlichen.

Audacia - Unser zweites Prinzip ist Audacia, Mut. Unter diesem verstehen wir, dass man für seine Prinzipien und Über-zeugungen einsteht, keine Angst vor der Zukunft hat bzw. vor der Ungewissheit und Lust etwas Neues zu versuchen bzw. vor Neuem keine Angst zu haben. Außerdem verstehen wir darunter auch, dass man Zi-vilcourage zeigt.

Scientia - Das dritte und letzte Prinzip der A.D.V. Regia Maria Josefa zu Dresden ist Scientia, Wissenschaft. Selbst-verständlich steht dieses Prinzip für das Studium. Aber es steht auch für einen lebenslangen Vorgang des Lernens und eine lebenslange Weiterentwicklung.“ [2]

Aussagen über den lebenslangen Bund und lebenslanges Lernen sowie Statements von „Treue bis in den Tod“ oder „bis das der Tod uns scheidet“ sind kaum Grundsätze für ein selbstbestimm-tes Leben, sondern eher Ausdruck eines

autoritären Charakters. Davon abgesehen blieben die Überzeugungen eher unkon-kret und schleierhaft, was beispielhaft für Strukturen dieser Art ist. Natürlich fehlte in den Statements nicht der Bezug zum „schönen Sachsenlande“, denn Lokal-patriotismus und Nationalismus gehören bekanntermaßen zum Verbindungsleben.

Noch ein Schmankerl, das nicht un-erwähnt bleiben sollte, ist ein Artikel, der sich auf dem Blog der Verbindung fand: Über „das liebste Hobby von Frauen – den Männern“. Dort hieß es: „Außerdem haben wir den Männern viele wirklich großartige Erfindungen zu verdanken: Glühbirnen, Dampfmaschinen, das für uns so wichtige Telefon (...) Das zeigt wie gut Männer und Frauen sich ergänzen, wir haben das Bier erfunden, ihr trinkt es.“ Abgesehen vom Abgehen jeglichen Reali-tätssinns ist die Vorstellung schauderhaft, sowas könnte ernst gemeint sein: „Aber wenn ich ehrlich bin, haben die Männer auch ein schweres Leben, gerade in einer Zeit in der Frauen immer weiter in Män-nerdomains vordringen, die Herren von Ihrem [sic] angestammten platz verdrän-gen und seit etwa 1900 nicht nur studie-ren sondern auch die Verbindungsszene stürmen.“

________________________[1] http://www.adv-rmj.de/. Letzter Zugriff:

19.5.2009.

[2] Ebd.

VereIn deutScher Studenten dreSden

Adresse: Westendstraße 18Gründungsjahr: 1895Farben: schwarz-weiß-rotnicht schlagendfarbenführendDachverband: Verband der Vereine Deutscher Studenten

Der VDSt Dresden sollte ebenso wie sein Dachverband, der Verband der Vereine deutscher Studenten, differenzierter be-trachtet werden, denn er fällt aus dem Raster der anderen Dresdner Studenten-verbindungen heraus. Der VDSt Dresden hatte 2009 10 Mitglieder, mit Füxen, Be-urlaubten und Inaktiven summierte sich die Zahl auf 25. Die Aktivitäten beste-hen in Stammtischen und Vorträgen. Die Selbstdarstellung des VDSt verspricht

ein kritisches Verhältnis zur eigenen Ver-gangenheit im Deutschland der 20er und 30er Jahre, als Verbindungsstudenten der nationalsozialistischen Ideologie Vorschub leisteten und später im NS-Studenten-bund aktiv waren. Diese Rolle der Verbin-dungsstudenten zur NS-Zeit verurteilt der VDSt Dresden. Weiter heißt es aber von der eigenen Geschichte: „Im politisch wie wirtschaftlich zerrütteten Deutschland der Weimarer Zeit fanden radikale politische Ansichten bei den national eingestell-ten Verbindungsstudenten einen guten Nährboden.“[1] Angesichts der explizit in Folge des Berliner Antisemitismusstreits 1881 als antisemitsche Bewegung ge-gründeten Vereine ist diese Darstellung der Geschichte eines Verbands, dessen erster Wahlspruch „Mit Gott für Kaiser und Reich“[2] lautete, dann doch etwas verharmlosend. Der heutige Wahlspruch „Mit Gott für Volk und Vaterland“[3] be-kennt sich zwar nicht mehr zur Monar-chie, ist aber ansonsten den alten völki-schen Idealen treu geblieben. Entgegen der Überlieferungen der Tradition ist der Dresdner VDSt eher im bürgerlich-kon-servativen Bereich anzusiedeln, so wurde im November 2009 ein kritischer Vortrag über die Linkspartei abgehalten, für den der in Verbindungskreisen häufig referie-rende Politikwissenschaftler Prof. Werner patzelt (CDu) geladen wurde, der aber letztlich verhindert war und eine Vertre-tung schicken musste.[4]

Im Vergleich zum Dresdner Verein macht der Dachverband fast schon einen zurückgebliebenen Eindruck. Die Positio-nen und das Selbstverständnis des Dach-verbandes lesen sich folgendermaßen: Die Verbundenheit mit Bismarck wird in der Gründungszeit betont. Aktuell wird noch von Bruder Wilhelm, dem deutschen

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Kaiser, gesprochen. Die Farben, die alle Vereine deutscher Studenten tragen, sind schwarz-weiß-rot, da sich am Deutschen Reich orientiert worden ist. Der Verband der Vereine deutscher Studenten sieht sich wie die meisten Verbindungen als Opfer des NS; eine kritische Betrachtung der eigenen Rolle, die der VDSt Dresden versucht, fehlt beim Dachverband in Gän-ze. Positionen zur Tagespolitik sind bei-spielsweise eine Solidaritätsbekundung mit dem Papst und die Behauptung, Mi-grant_innen an sich seien ein Problem, welches sich durch deren hohe Geburten-freudigkeit verschärfe. Bezug nehmend auf Thilo Sarrazin wird gar von einem Volksselbstmord, einem „Genosuizid“ gesprochen.[5] Hier wird deutlich, wel-che Bedeutung der Begriff „Volk“ für den Verband hat: eine metaphysische, von individuellem Leid entkoppelte Schick-salsgemeinschaft. Von „Genosuizid“ in Bezug auf Deutschland zu sprechen heißt, den (angeblichen) untergang bestimm-ter kultureller Traditionen oder ethnische Pluralität mit der physischen Vernichtung von Menschen gleich zu setzen. Solche völkischen und biologistischen Konzepte finden sich noch in den 80er-Jahren in den Verbandszielen: Man wolle eine Stärkung des "deutschen Volkstums", denn ein Volk sei als Abstammungsgemeinschaft mehr als ein Staat.[6] Größere Bekanntheit er-langte der Verband durch die zweimalige Auszeichnung des Projektes „Wissen für Europa“ der VDSt-Akademie durch das UNESCO-Nationalkomitee im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung.“

________________________[1] http://www.vdst-dresden.de/index.php

?module=Content&func=view&pid=10.

Letzter Zugriff: 9.10.2010.

[2] http://akademische-blaetter.de/1984/

heft-6/die-fundamente-der-deutschen-

staatsidee. Letzter Zugriff: 9.10.2010

[3] http://www.tradition-mit-zukunft.

de/community/couleurinfo/

verbindung,vdst_dresden_dresden.

html. Letzter Zugriff: 9.10.2010.

[4] Vgl. http://www.vdst-dresden.de/index.

php?module=Content&func=view&pi

d=30. Letzter Zugriff: 10.10.2010. Hier

heißt es: „Wie fast schon zu erwarten

war, konnte Prof. Patzelt den Termin

leider nicht einhalten. Zum Glück hat er

uns eine sehr gute Vertretung geschickt,

sodass die Veranstaltung mit über 70

Besuchern doch noch gelingen konnte.

Für viele ist die Linkspartei ein Mysteri-

um.“

[5] http://akademische-blaetter.de/mei-

nung/leser-schreiben/der-fall-sarrazin-

und-der-deutsche-genosuizid. Letzter

Zugriff: 10.10.2010.

[6] http://akademische-blaetter.de/1984/

heft-6/die-fundamente-der-deutschen-

staatsidee. Letzter Zugriff: 10.10.2010.

k.St.V. abraxaS-rheInpreuSSen

Adresse: Münchner Straße 34Gründungsjahr: 2003Farben: schwarz-silber-grünnicht schlagendfarbenführendDachverband: Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine

Als katholische Studentenverbindung ist Abraxas – Rheinpreußen, ähnlich wie auch Chursachsen, eine farbentragende Verbindung, die aufgrund des christlichen Selbstverständnis davon absieht, Mensu-ren zu fechten. Nach eigenen Angaben haben sie 12 aktive Mitglieder, die aber eher verstreut leben, da die WG über ih-ren Verbindungsräumen in der Münchener Straße nur Platz für vier Personen bietet.

[1] Für diese katholische Studentenver-bindung ist neben dem Studium auch das Gemeindewesen von hoher Priorität. Da-her besteht eine enge Verzahnung mit der katholischen Studentengemeinde Dres-den, in der mehrere der Verbindungsmit-glieder Funktionsposten inne haben. So ist etwa der Consenior der Abraxas-Rhein-preußen, Vinzenz Gottlieb, auch Präsident des sogenannten Bierkreises, der sich der Bewahrung der hohen Kunst der Bierkul-tur und des studentischen Brauchtums verschrieben hat [2]. Ob die Veranstaltung eines Bierathlon oder Brauereibesichti-gungen zum ökumenischen Engagement gehört, oder einfach nur zu Anerkennung von Alkoholismus beitragen soll, liegt im Auge der Betrachtenden. Obskuritäten wie die 'goldene Pulle' sprechen für sich. Diese vergoldete Bierflasche dient als eine Art Zepter des Bierkreispräsidenten und ist nach eigenen Angaben ein Zei-chen seiner Würde.[3] Von Bier und Kirche abgesehen, tritt diese Verbindung wenig öffentlich in Erscheinung.

________________________[1] Vgl. http://www.abraxas-rheinpreussen.

de/index.php?pid=v_haus. Letzter

Zugriff: 08.10.2010.

[2] Vgl. http://www.ksg-dresden.de/

gemeindeleben/arbeitskreise.html.

Letzter Zugriff: 08.10.2010.

[3] Vgl. http://www.bierkreis.de/. Letzter

Zugriff: 8.10.2010.

Page 30: Ein alter Hut - TU Dresden · 3 Vorwort Liebe Studierende und Interessierte, in diesem Reader sollen die studentischen Verbindungen deutschen Typs unter die Lupe genommen und ein

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corpS altSachSen Adresse: Weißbachstraße 1Gründungsjahr: 1861Farben: grau-grün-goldpflichtschlagendfarbentragendDachverband: Weinheimer Senioren-Convent

Einen schwierigen Spagat zwischen west-licher Liberalität und alten Werten des 19. Jahrhunderts versucht das Corps Alt-sachsen zu meistern. Während bei vie-len Verbindungen das „Toleranzprinzip“ mehr eine leere Formel ist oder sich auf die Tolerierung untolerierbarer Zustände wie Sexismus oder Nationalismus bezieht, versteht das Corps Altsachsen es, dieses

viel gepriesene „Toleranzprinzip“ in seiner Außenwirkung glaubwürdig umzusetzen. In ihren reihen finden sich sowohl schwar-ze Mitglieder als auch bekennde Homose-xuelle. Aufgrund dieses Umstandes waren einzelne Altsachsen bereits „nicht zu ak-zeptierende Beleidigungen“ von Mitglie-dern anderer Verbindungen ausgesetzt.[1] In Konsequenz haben deswegen Bur-schenschafter der Cheruscia keinen Zutritt zum Altsachsenhaus, welches sich auf der Weißbachstraße 1 in unmittelbarer Nähe zum Tu-Campus befindet. mit etwa zwei Dutzend aktiven Mitgliedern und einer Fülle von Veranstaltungen, die neben den üblichen Kneipen, Dachverbandstreffen und Stiftungsfesten auch Tanzkurse und Grillabende, also vermutlich relativ unpo-litische Veranstaltungen, umfasst, gehört das Corps zu den aktivsten Verbindungen in Dresden. Das ist die eine Seite der Ver-

bindung. Die andere Seite besteht aus alten Ritualen und Denkmustern. Als Mit-glied im Weinheimer Senioren-Convent ist die mensur für alle mitglieder pflicht. Eines der Prinzipien des Corps ist das Gesellschaftsprinzip, nach welchem der Umgang in der Gesellschaft und „ange-messenes Auftreten, Anstand, Etikette“[2] erlernt werden sollte. Auf Nachfrage er-klärte ihr Senior, dass darunter besonders die „Höflichkeit gegenüber Frauen“ fällt, die offensichtlich trotz aller Gleichheits-grundsätze anders zu behandeln sind, wie dieses Verständnis suggeriert.[3]

Wie bei den meisten Verbindungen hat auch hier die Toleranz Grenzen, wenn es um mangelnden Erfolg beim Studium geht. Als Leistungsprinzip findet dieser Gedanke Eingang in die Grundprinzipien des Corps. Außerdem heißt es dort, dass die Verbindung für „ein gutes und zügiges Studium, das mit einem akademischen Grad abgeschlossen wird“[4] steht. Dank Bologna-Reform dürfte also in Zukunft schneller das eine oder andere Zimmer im Corps-Haus frei werden. Für soviel Er-folgsdruck gibt es neben den Wahlspruch „litteris et amicitiae“ - „Der Wissenschaft und Freundschaft“ auch einen passenden Waffenspruch: „Nil nisi officium“ - „Nichts, wenn nicht die pflicht.“ Insgesamt macht das Corps somit eher den Eindruck ritter-lichen Heldentums als zeitgenössischer Selbstverwirklichung.

_________________________[1] Briefverkehr zwischen dem Senior der

Altsachsen und dem Referat für politi-

sche Bildung.

[2] http://www.altsachsen.de/corps.php.

Letzter Zugriff: 4.10.2010.

[3] Für Gentleman-Verhalten und gesell-

schaftlichen Anstand bietet das Corps

sogar regelmäßige Seminare an.

[4] http://www.altsachsen.de/corps.php.

Letzter Zugriff: 4.10.2010..

Page 31: Ein alter Hut - TU Dresden · 3 Vorwort Liebe Studierende und Interessierte, in diesem Reader sollen die studentischen Verbindungen deutschen Typs unter die Lupe genommen und ein

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burSchenSchaft SalamandrIa

Adresse: -Gründungsjahr: 1966Farben: violett-weiß-rotnicht schlagendfarbentragendDachverband: Rudelsburger Allianz

Auch wenn diese Verbindung keine ak-tiven Studenten mehr hat, so ist sie es dennoch wert aufgrund der von ihr vertre-tenen Ansichten näher betrachtet zu wer-den. Die „Alte Herren“–Verbindung Sa-lamandria, nach eigenen Angaben 1966 am Institut für Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ zu DDR-Zeiten gegrün-det, fällt weniger durch Aktionen oder Veranstaltungen in Dresden auf, sondern vielmehr durch ihre Ausrichtung und na-tionalistische Ideologie. Als mitglied im Dachverband der Rudelsburger Allianz ist es ihnen ein großes Anliegen „an die Ge-waltherrschaft der "DDR" zu erinnern“.[1] Auch wenn die Burschenschaft Salamand-ria in der Rudelsburger Allianz organisiert ist, bekennt sich zu den Grundsätzen der „Deutschen Burschenschaft“[2] (vgl. Bei-trag „Studentische Verbindungen – eine alter Hut“), womit mehr als deutlich wird, was von ihrem Selbstverständnis zu halten ist.

Durch den Grundsatz der Wah-rung der „Freiheit aller Deutschen“ und der „Brüderlichkeit zwischen allen Deut-schen“, zeigt sich der Ausschluss aller „Nichtdeutschen“ und ihre deutschna-tionale Komponente.[3] Die „Freiheit aller Deutschen“ besteht bei ihnen in

geschichtsrevisionistischer Tradition in der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Linie und in der Vorstellung eines „Groß-deutschlands“[4],. Sehr gute Verbindun-gen unterhält die „Altherrenschaft“ zur ebenfalls in Dresden ansässigen Burschen-schaft Cheruscia[5] (vgl. Beitrag „Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia“), so-wie zur Burschenschaft Dresdensia-Rugia in Gießen.[6] Aus letzterer sind beachtlich viele Kader der NPD hervorgegangen, unter anderem Jürgen Gansel, Mitglied der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, Stefan Rochow, inzwischen Bundesvorsit-zender der Jungen Nationaldemokraten (JN) und Arne Schimmer, in seiner Funk-tion Sprecher der sächsischen NPD-Land-tagsfraktion, Ehemalige der Burschen-schaft Dresdensia-Rugia sind.[7] Der Kreis schließt sich spätestens bei einem kurzen Blick in das Lieder-Repertoire der „Sala-mandria“, womit dann auch den letzten klar werden muss, wie sehr all diese Her-ren doch einer Ideologie verfallen sind, die sie selbst nur ganz unschuldig „Vater-landsliebe“ nennen, hinter der sich aber die pure Barbarei verbirgt.[8] Was dort als „Studentenlieder“ bezeichnet wird, sind überwiegend nationalistische und kriegs-verherrlichende Texte.

Ein kleines Beispiel des Liedguts der Sa-lamandria:

„Alles alles über Deutschland

1. Alles, alles über DeutschlandFeinde ringsum in der Welt,weil es nicht zu Schutz und Trutzebrüderlich zusammenhält.Welsch der Rhein, die Weichsel polnisch,nicht mehr deutsch das deutsche Meer.|: Sklavenketten trägt Germania

schmachvoll, ohne Wehr und Ehr'. :|

2. Die uns früher so begeistert,ach, wie machen sie uns bang;deutsche Frauen, deutsche Treue,deutscher Wein und deutscher Sang.Deutsche Frauen tanzen Foxtrott,Schandcouplet der deutsche Sang.|: Deutscher Wein nur noch für Fremde,deutsche Treue todeskrank. :|

3. Einigkeit und Recht und Freiheit,blüh'n sie noch dem Vaterland?Auf, laßt sie uns neu erringen!Brüder schwört's mit Herz und Hand!Trotzig-stolz bald wieder schallt esvon der Etsch bis an den Belt.|: Deutschland, Deutschland über alles,über alles in der Welt! :|“

_________________________[1] http://salamandria.de/ra!%20-%20

gruendung.html. Letzter Zugriff:

07.10.2010.

[2] vgl. http://salamandria.de/wer%20

sind%20wir%202.html. Letzter Zugriff:

07.10.2010.

[3] vgl. http://www.salamandria.de/

wer%20sind%20wir%201.html. Letzter

Zugriff: 07.10.2010.

[4] vgl. http://salamandria.de/unsere%20

geschichte%208.html. Letzter Zugriff:

07.10.2010. Auch hier wird vom

Gebiet der ehemaligen DDR nur als

Mitteldeutschland gesprochen.

[5] vgl. http://www.salamandria.de/

wer%20sind%20wir%203.html. Letzter

Zugriff: 07.10.2010.

[6] vgl. http://salamandria.de/unsere%20

geschichte%205.html. Letzter Zugriff:

07.10.2010.

[7] vgl. http://www.uni-giessen.de/demo-

kratische-linke/antifa/und-es-aendert-

sich-doch-nichts/. Letzter Zugriff:

07.10.2010.

[8] vgl. http://www.salamandria.de/_wp_

files_salamandria/Liedfolge%20-%20

VOLLSTAENDIGE%20SAMMLUNG%20

v.2010-06-22_neutral%20A5.pdf. Letz-

ter Zugriff: 07.10.2010.

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Nürnbrtger Str.

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Übersichtsplan der dresdner Verbindungen

Ausschnitt Neustadt

Ausschnitt Südvorstadt

gloSSarAktiver: Studierendes Mitglied einer studenti-schen Verbindung (siehe Aktivitas).

Aktivitas: Alle Füchse (mehrzahl von Fux), akti-ve Burschen und inaktive Burschen bilden zusam-men die Aktivitas. Sie wird geleitet von den Chargen, ist mehrheitsdemokratisch, aber nach festen Regeln aufgebaut (Convente) und gestaltet das Programm und somit das Verbin-dungsleben.

Alter Herr: Ab ca. 1860 neben Philister gebräuch-liche Bezeichnung für ein Mitglied einer Korporation nach Abschluss des Studi-ums. Der „spießbürgerli-chen“ Nebenbedeutung von Philister sollte mit die-sem Ausdruck die Würde des Alters entgegenge-setzt werden.

Alias: bzw. Vulgo: (Ab-kürzung v/o, al/alias) Auch Biername, Bierspitz, Cou-leurname oder Kneipna-me. Interner Name eines Verbindungsmitgliedes. Entstanden in Zeiten, in denen Korporationen ver-

boten waren.

Band: Schmale Schärpe, meist ca. 28mm breit, in den Verbindungsfarben, wird als äußeres Zeichen der Zugehörigkeit zu einer (farbentragenden) Verbin-dung getragen (über die rechte Schulter zur linken Hüfte, zum Frack auch ho-rizontal). Bestandteil des Couleurs. Symbolisiert das Eintreten für die Prinzipien der Verbindung und das „Freundschaftsband“, das alle Gleichgesinnten um-schlingt. Füxe haben im Unterschied zu Burschen ein in der Regel nur zwei-farbiges Band (zweistreifig oder dreistreifig mit Wie-derholung einer Farbe). Entstanden aus dem Band der Ordenskreuze der stu-dentischen Orden.

Bierverschiss: Aus-schluss von den Rechten an der Kneiptafel. Geht oft mit demütigender Positi-on, z.B. alleine auf einem Stuhl, der auf einen leeren Tisch gestellt wurde, ein-her.

Bude: Aus dem 19. Jahr-hundert stammender Aus-druck für die Wohnung Studierender. Bude wird heute auch für Verbin-dungswohnheim verwen-det.

Bundesbruder / Bun-desschwester: Die Mit-glieder einer studentischen Verbindung untereinander werden Bundesbrüder bzw. Bundesschwestern genannt.

Bursch(e): Ausdruck aus dem Mittelalter für Bewoh-ner einer Burse (Studen-tenhaus), heute jedoch vollberechtigtes Mitglied einer Korporation nach Be-endigung der Fuchsenzeit.

Burschung: Feierliche Zeremonie, in der ein Fuchs zum vollberechtig-ten Mitglied endgültig in die studentischen Ver-bindung aufgenommen wird.

Charge: Eine Charge (ursprünglich: Bürde eines Amtes) ist ein Amt, das mit Führungsaufgaben betreut ist. Die Amtsträger werden vom Convent auf die Dauer eines Semesters gewählt. Die Aktivitas hat max. fünf Chargen: Der SENIOr (Abkürzung: x) vertritt die Verbindung nach innen und nach au-ßen. Ihm obliegt die Ein-berufung und Leitung der Convente sowie ande-rer Veranstaltungen. Er ist ausführendes Organ und Hüter der Satzungen von Verbindung Dach-

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verband. Ihm steht das Hausrecht zu. Er hat den erforderlichen Kontakt zu Hochschule, Landes- und Bundesverband zu pfle-gen. Die Rezeption und Burschung der Neumit-glieder wird vom Senior vollzogen.

Die Durchführung der wissenschaftlichen und kulturellen Abende so-wie der Damenver-anstaltungen (bei Da-m e n v e r b i n d u n g e n : Herrenveranstaltungen) fällt in den Aufgabenbe-reich des CONSENIOrS (Abkürzung: xx). Er vertritt den Senior, soweit dieser verhindert ist.

Der FUCHSMAJOR (Ab-kürzung: Fm) ist für den Nachwuchs und die Füch-se zuständig. Er hält re-gelmäßig Fuchsenstunden ab, in welchen er erforder-lichen Wissensstoff über die Verbindung, Dachver-band, die Prinzipien, den Comment usw. vermittelt.

Der/die SCHrIFTFÜHrEr/IN führt die Protokolle der Convente und den Schrift-verkehr der Verbindung.

Der KASSIEr verwaltet die Finanzen der Verbindung.

In schlagenden (=fech-

tenden) Verbindungen findet sich zusätzlich noch ein FECHTWART, der für die Fechtausbildung zu-ständig ist, das Fechtmate-rial (paukmaterial) pflegt und die Paukstunden hält.

Chargierter: Ein Char-gierter ist ein Amtsträger einer Charge. Da dieser während der Zeit sei-ner Charge häufig in Voll-wichs (komplette Couleur sowie entsprechende Klei-dung) auftritt, wird heutzu-tage auch ein in Vollwichs gekleideter Vertreter einer Verbindung so bezeichnet.

Comment: (franz. wie) Normen, Formeln und Formen, die in erster Linie einem einheitlichen Er-scheinungsbild nach au-ßen hin dienen. Der Com-ment besteht in der Regel aus überliefertem studen-tischen Brauchtum.

Convent: Demokratisch beratendes und beschluß-fassendes Organ einer stu-dentischen Verbindung. Je nachdem, welche Mit-glieder einer Verbindung zugelassen sind, unter-scheidet man: - Allgemei-ner Convent - Burschen-convent - Altherrenconvent - Chargenconvent - Gene-ralconvent etc.

Corona: Bedeutet so viel wie Teilnehmer_in-nenkreis, gesellige Runde. So werden die Teilneh-mer_innen einer Kneipe außerhalb des Präsidiums bezeichnet. Unterteilt sich oft weiter in Fuxia (Fuxen-stall) und Burschensalon.

Couleur: (franz. Farbe) Das (die) Couleur (Vollcou-leur) besteht in der regel aus Nadel, Band, Mütze und Zipfelbund, bedeutet also die Farben der Ver-bindung, die sich auf den genannten Couleurartikeln befinden. Die Couleur steht oft auch als Synonym für Verbindung, so werden Gegenstände des Korpo-riertentums als Couleur-gegenstände oder auch Couleurartikel bezeichnet (z.B. Couleurkarten sind Postkarten der Verbin-dung).

Couleurdamen : (gilt nur für männerbünde)(In der regel) Junge Frau-en, die regelmäßig zu Verbindungsveranstaltun-gen eingeladen werden und sich mit der Korpo-ration verbunden fühlen, aber nicht Mitglied sind. Ansprechpartner für die Couleurdamen ist der Con-senior.

Couleurherren : Pen-dant zu den Couleurdamen in Damenverbindungen.

Farben: Jede Verbindung hat Farben, denen eine be-sondere Bedeutung zuge-messen wird. Die Farben finden sich auf den Cou-leurartikeln wieder.

farbenführend: Die Verbindung besitzt zwar ei-gene Farben und Symbole, trägt sie aber in der Regel, bis auf Zipfel und Anste-cker, nicht am Körper. Aus-nahme ist der Wichs der Chargen.

farbentragend: Alle Verbindungsmitglieder tra-gen bei Veranstaltungen, die die Verbindung betref-fen (und oft auch darüber hinaus) Couleur und Wichs.

Fechten: Duellsport, der aus Gründen der Traditi-on bewahrt wird. Wird mit scharfer Klinge nach stren-gen Regeln als Zweikampf ausgeführt. Ehrenangele-genheiten („Satisfaktion“) werden heutzutage kaum noch damit geregelt.

fakultativschlagend: Mitglieder einer Verbindung fechten auf freiwilliger Basis.

Fux, Fuchs: Ursprüng-

lich die Universitätsneu-linge, dann die Neulinge einer studentischen Ver-bindung. Die Fuchsen-zeit beträgt in der Regel zwei Semester. Während dieser Zeit hat der Fuchs die Gelegenheit, die Ver-bindung und das Verbin-dungsleben kennenzuler-nen. Er wird in dieser Zeit vom Fuxmajor betreut. Wenn er nach seiner Fuch-senzeit endgültig Mitglied der Verbindung werden will, kann er durch die Burschung zum vollberech-tigten Mitglied der Verbin-dung werden.

Gründungsfest : Das Gründungsfest erinnert wie das Stiftungsfest an die Gründung der Verbin-dung und findet meist im Wintersemester statt. Es wird nicht in allen Verbin-dungen gefeiert

(Verbindungs-)Haus: Ort für Veranstaltungen und Zimmer der Verbindungs-mitglieder. Veranstaltun-gen finden auf dem Haus statt.

Hohe Dame: Pendant zum Alten Herren bei Da-menverbindungen.

Inaktive/r: Aktives Mit-glied, das sich bereits in der Verbindung engagiert

hat. Ein/e Inaktive/r hat dieselben Rechte wie ein/e →Aktive/r, jedoch weniger pflichten (siehe Aktivitas). In der regel wird man zur Diplomarbeit o.ä. inakti-viert.

Kartell: Abkommen bzw. Freundschaftsverhältnis zwischen Verbindungen. Sowohl innerhalb eines Verbandes vorkommender Begriff für Freundschafts-verhältnisse von Verbin-dungen aus verschiedenen universitätsstädten (dann auch Kreis oder ring), als auch Bezeichnung von ge-samten Verbänden oder ve rbandsübergre i fen -den Zusammenschlüssen.

Keilen: Werben neuer Mitglieder für die Verbin-dung, oft im Aufgabenbe-reich des Fuxmajors.

Kneipe: Traditionelle Art verbindungsstudentischen Feierns, bei der gesun-gen wird, Reden gehalten werden und die nach be-stimmten regeln (Com-ment) abläuft. Während ei-ner Kneipe wechseln sich die Abschnitte mit Reden (Corona im Silentium) und Kolloquium (Corona im Gespräch) ab. Eine Knei-pe hat immer einen feier-lichen Teil (Offizium, kurz Offiz). Es kann sich ein

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gesellig-lustiger Teil (Inoffi-zium, kurz Inoffiz) anschlie-ßen.

Kolloquium: (lat. Ge-spräch) Kolloquium werden die Abschnitte während einer Kneipe oder eines Kommerses genannt, in denen sich die Teilneh-menden (Corona) unter-halten dürfen. Das Gegen-stück zum Kolloquium ist das Silentium.

Kommers: Feierliche Variante der Kneipe, oft bei Stiftungsfesten o.ä.

Kommersbuch: Lie-derbücher in studenti-schen Verbindungen. Es gibt standardisierte und spezielle Formen mit ver-bindungseigenen Liedern. Viele sog. Studentenlieder,

die im 18. und 19. Jahr-hundert entstanden sind, tragen stark nationalisti-sche Züge.

Korporation: (lat. Ge-samtheit, Körperschaft) Synonym für Studenten-verbindung.

Landesvater: Der Lan-desvater, heute eine Ze-remonie der Bekräftigung und Erneuerung des Bur-scheneides, hat mehrere historische Wurzeln, die wichtigsten: 1. das Bruderschaftstrin-ken 2. das Ausbringen eines Vivats (irgendwer lebe hoch) Der Brauch des Landesva-ters geht bis ins 17. Jahr-hundert zurück. Ab dem 30-jährigen Krieg war es üblich, auf alles mögliche Vivats zu sin-gen. So kam es auch zur Huldigung auf dem Lan-desherrn. 1782 revidierte der Kieler Student August Niemann den Text und schuf daraus das Wei-helied bei entblößtem Haupt und Degen, wie es heute noch üblich ist (= Alles schweige). Heute ist der Landesvater die fei-erlichste Zeremonie einer Verbindung als Ehrung für den Landesvater bzw. das Vaterland, die Hochschule,

die Verbindung.

Mensur: Studentischer Zweikampf (Fechten).

Mütze: Kopfbedeckung der Korporierten, deren Farben sich aus den Far-ben der Verbindung zu-sammensetzen. An For-men unterscheidet man u. a. : Teller, Hinterhauptcou-leur, Nackencouleur, Bie-dermeier, Hochformat und Stürmer.

nichtschlagend: In nichtschlagenden Studen-tenverbindungen wird kei-ne Mensur durchgeführt.

Panier: Alte Bezeichnung für Banner (Feldzeichen, Spruchband im (Kriegs)wappen und Kriegsge-schrei.

Pekesche: Besonders verzierte Jacke, Bestand-teil des Wichs, alleine ge-legentlich auch von Nicht-

Typische Tafel einer Kneipe (am Ende sitzen

längs die Chargen)

Paukant vor der Mensur

chargierten getragen. Verbindungen mit Wur-zeln in Studienfächern des Bergbaus verwenden oft stattdessen schwarze Jacken aus bergmänni-scher Tradition. Meist hat die Pekesche die wichtigs-te Farbe der Verbindung.

Philister: Bei Korporati-onen Bezeichnung für die Mitglieder, die ihr Studium beendet haben (Alte Her-ren und Hohe Damen).

Präsidium: Das leiten-de Gremium einer Kneipe oder eines Kommerses, wird normalerweise von den Chargierten gestellt, kann aber im Laufe einer Kneipe gegen Mitglie-der der Corona ausge-tauscht werden. Der/dem präside/n (i.d.r. Seni-or bzw. Erstchargierte/r) obliegt die Führung der Kneipe.

Rezeption: Feierliche Aufnahme in eine stu-dentische Verbindung als →Fuchs.

schlagend: Schlagende Verbindungen verlangen von ihren Mitgliedern das →Fechten in einer oder mehreren pflichtmensuren.

Salamander: Festliche Trinkzeremonie zu be-

stimmten Anlässen, meist zur Ehrung einer persön-lichkeit.

Satisfaktion: „Genug-tuung“ zur Beilegung eines Ehrenstreites, meist durch Ehrerklärung oder Duell. Satisfaktionsfähig war ein Student / eine Verbindung, falls generell die Bereit-schaft gegeben war, Eh-renstreitigkeiten zwischen Studenten und ande-ren „honorigen“ Perso-nen ggfs. mit der Waffe zu regeln. Seit Verdrängung des Duells kaum noch von Bedeutung.

Schläger: Studentische Fechtwaffe, aber auch bei nichtschlagenden Verbin-dungen zur Repräsentati-on mit stumpfen Klingen Teil des sog. Vollwichses. Es gibt Glocken- und Korb-Schläger, die nach der Form des Handschut-zes unterschieden werden.

Schmiss: Schmisse be-zeichnen die beim Fech-ten zugezogenen Verlet-zungen. Vor allem früher oft als Demonstration von Männlichkeit gezeigt. Das Wort „schmissig“ ist da-von abgeleitet.

Silentium: Silentium werden die Abschnit-te während einer Knei-

pe oder eines Kommer-ses genannt, in denen die Corona sich nicht unter-halten darf, es wird Silen-tium (Schweigen) gewahrt. In diesen Abschnitten werden Reden gehalten, studentische Bräuche ze-lebriert (Comment) oder es wird gesungen. Das Ge-genstück zum Silentium ist das Kolloquium.

Spefux: Ein potentielles mitglied. In einigen Ver-bindungen kann auch ein Spefux schon eine Art Mit-gliedschaft eingehen, z.B. Schüler_innen oder Wehr-pflichtige etc., die dem-nächst am Ort der Verbin-dung studieren wollen.

Stiftungsfest: Feier in Erinnerung an die Grün-dung der Verbindung.

Stoff: In vielen Verbin-dungen Bezeichnung für Bier.

Vollwichs: Die Vollwichs besteht aus einer reich verzierten Kopfbedeckung (Cerevis), bei manchen Verbindungen auch Barett; der Pekesche; dem Band; der Schärpe, die über dem Verbindungsband getragen wird und aus denselben Farben wie das Band besteht, nur deutlich breiter ist; einer weißen

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Hose; schwarzen Schaft-stiefeln oder Stulpen (evtl. mit Sporen); weißen Stul-penhandschuhen, dem Gehänge, eine Art Gürtel als Befestigung für den Schläger (Degen); sowie dem Schläger.

Wahlspruch: Ein von einer Verbindung bei der Gründung gewählter Denkspruch, mit dem oft in Neulatein gemeinsame Wertvorstellungen in Kurz-form ausgedrückt werden. Bei jüngeren Verbindun-gen auch in Deutsch.

Wichs: Abgeleitet vom Putzmittel für Ledersachen. In der Korporiertensprache meint es das Festgewand oder den besten Anzug. Halbwichs oder Salonwichs ist eine Pekesche mit schwarzer Anzughose und Band.

Zipfel: Ein Zipfel ist ein Anhänger, bestehend aus einem Stück Couleurband, Schieber mit Zirkel und evtl. Wappen, Endstücken, und trägt eine Widmung. Ein Zipfel ist das Zeichen besonders freundschaft-licher Bindung. Es wer-den Bier-, Wein-, Sekt- und Schnapszipfel, deren Unterschied in der Breite besteht, unterschieden. Ein bzw. mehrere Zipfel

werden an einer Spange eingehängt. Mehrere Zip-fel bilden den Zipfelbund. Der Comment (die regeln) für das Tragen eines Zipfel-bundes ist unterschiedlich. Meist wird er jedoch am linken Hosenbund getra-gen.

Zirkel: Ein in der Regel geschwungenes Symbol für eine Korporation, das die Abkürzungsbuchsta-ben beinhaltet. Er wird an die Unterschrift angehängt und auf Couleurgegen-ständen verwendet.

Bierzipfel

zum SchluSS:Nach dieser Flut an Informationen bleiben uns nur noch die abschließenden Worte: Lasst euch nicht keilen! und um dies bei euren mitmenschen zu verhindern, könnt ihr gerne diesen reader weiterreichen. Eine pdf-Version zum Download findet sich außer-dem auf unserer Homepage (www.stura.tu-dresden.de/referat_politische_bildung) ,wo wir euch zusätzlich die besten Reaktionen auf unsere verbindungskritische Arbeit prä-sentieren. Bereits vor Erscheinen des Readers wurde die Messlatte sehr hoch gesteckt. Es lohnt sich also, ab und an vorbeizuschauen.

Euer Referat für politische Bildung

weIterfÜhrende lIteratur:AStA der Uni Münster und AStA der Fachhochschule Münster: Disconnect! Reader zu studentischen Verbindungen in Münster. Münster 2007.Autorenkollektiv AK Clubhausia: Mitbewohner gesucht. Reader zu studentischen Ver- bindungen in Tübingen. 4. erweiterte und korrigierte Auflage. Tübingen 2005.Elm, Ludwig; Dietrich Heither (Hrsg.): Füxe, Burschen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute. Köln 1992.Golücke, Friedhelm (Hrsg.): Korporationen und Nationalsozialismus. Schernfeld 1990.Kurth, Andrea: Männer - Bünde - Rituale: Studentenverbindungen seit 1800. Frankfurt 2004.Peters, Stefan: Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Korporation?. Marburg 2004.Weber, rosco G. S.: Die deutschen Corps im Dritten reich. Köln 1998.

BILDNACHWEISE:S.2: daklebtwas (Flickr-Account)S.8,9: public domainS. 42: Öffentliche Gallerie von Cartellversammlung auf http://picasaweb.google.com/Vorort.Bonn S.17 Deutsches BundesarchivS.11: Philipp Neuhaus S. 34: alternatives Kultur- und Bildungszentrum (akubiz) PirnaS.29,44: indymediaS.66,68: Patrick-Emil ZörnerS. 66: Wikipedia-User Terbachalle anderen: eigenes Material

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„Wie sehr seit je man Freundschaft zu institutionalisieren suchte, das Streben danach widerspricht zugleich ihrem Begriff. Die Stärkung der Verantwortung des einzelnen einem Bund gegenüber kann mit der Schwächung der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen, der Autonomie, zusammengehen. Wenn etwas nicht sich organisieren läßt, dann Freundschaft. Die festgelegte Form des Bundes, wie sehr sie aus der neuzeitlichen Einsamkeit erlöst, mag edlere, der Sache gerechtere Beziehungen, die spontan entstehen könnten, hemmen. Daß Bundesbrüder sich zu Stellungen verhelfen, daß die proklamierte Freundschaft vielfach nur Deckbild eines Zweckverbandes ist, scheint während der Zeit der Vollbeschäftigung nicht notwendig bedenklich. Ein Unglück geschähe nur dann, wenn die Studenten im Hinblick auf entscheidende Fragen des persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens ihre Ideen sich nicht selbst, im Zusammenhang mit ihrer Akademischen Ausbildung, erarbeiteten und für deren Änderung aus rationalen Gründen offen blieben, sondern sich festlegen ließen durch eine an sie herangebrachte Stereotypie. Die Chancen, daß es so geht, sind nicht gering. Je ohnmächtiger das Ich des Einzelnen sich heute weiß, je mehr ihm die Möglichkeit der Realisierung in der Praxis verbaut ist, desto mehr hat es das Bedürfnis, sich selbst zu bestätigen und zu erhöhen. Aus innerer Unsicherheit und Schwäche verlangt es nach einem Kollektiv, als dessen Teil es sich stark fühlen kann. Dem kommen die Verbindungen entgegen, nicht bloß durch die Aufnahme des Individuumsin den eigenen Verband, sondern durch die Tradition vom starken Staat und nationalenSelbstbewußtsein, für die sie einstehen.“Max Horkheimer: Aus seinem Vortrag auf dem Deutschen Studententag in München 1954

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