8
Aus der k. k. Universitiits.Kinderklinik in Wien (Vorstand; Professor Escherich). Ein Zugleieh Fall yon angeborener Tuberkulose. ein Beitrag zur Diagnose dot Tuberkuloso im frtihesten Kindesalter. Yon Dr. Franz Hamburger, I. Assistent der Klinik. Das Interesse des Falles, der in folgendem beschrieben werden soll, liegt in zwei Momenten. Der Fall erscheint einmal klinisch ausserordentlich interessant deswegen, weil die an und ftir sich gewiss sehr schwierige Diagnose einer allgemeinen miliaren Tuberkulose bei einem Kinde yon sieben Wochen hier mit grosser Sicherheit und ohne Schwierigkeit zu stellen war auf Grund yon Hautver~nderungen, die man als Tuberkulide ansprechen musste. Eben dieser Fall ist aber auch noch deswegen ganz besonders beachtenswert, well es sich um eine kongenitale, richtiger gesagt um eine intrauterin erworbene Tuber- kulose handelte, wie aus dem im fo]genden ausfiihrlich mitgeteilten Sektionsbefund zu schliessen war. Zuerst sei kurz die Krankengeschichte mitgeteilt. Am 28. Juli 1905 wurdo das Kind Karl S. yon einer Frau mit der Bitte um Aufnahmo ins spiral gebracht. Die Anamnese des sieben Woehen alton Kindes ergab folgendes: Geburt reehtzeitig, normal, ElmahruDg immer kiinstlieh, fort- wiihrender Kiirpergewiehtsstillstand. Seit einigen Wochen besteht Husten, der in der letzten Zeit noch zugenommen hat. Die bestehenden roten KnStehen waren yon der l~berbringerin des Kindes erst am selben Tag bemerkt worden. Der Vater ist vSllig gesund, eino Schwester mit 6 Jahren aus unbekannten Griinden taub- stumm, sonar gesund. Ein zweites Kind mit 16 Monaten ist v~llig gesund. Die Mutter war eine Woehe fraher an Tuberkulose gestorben. Diese Krankheit der Mutter begann klinisch l0 Tage nach der Geburt des Kindes unter den Er- seheinungen einer Pleuritis. Sie wurde ]aut Mitteilung der Direktion des k. k. Kronprinzessin-Stephanie-Spitals dortselbst am 21. VL 1905 behafs Thoraxpunktion aufgenommen. Es fand sich ein rechtsseitiges pleuritisches Exsudat, das sieh im 13"

Ein Fall von angeborener Tuberkulose

Embed Size (px)

Citation preview

Aus der k. k. Universitiits.Kinderklinik in Wien (Vorstand; Professor Escherich).

Ein Zugleieh

Fall yon angeborener Tuberkulose. ein Beitrag zur Diagnose dot Tuberkuloso

im frtihesten Kindesalter.

Yon

Dr. Franz Hamburger, I. Assistent der Klinik.

Das Interesse des Falles, der in folgendem beschrieben werden soll, liegt in zwei Momenten. Der Fall erscheint einmal klinisch ausserordentlich interessant deswegen, weil die an und ftir sich gewiss sehr schwierige Diagnose einer allgemeinen miliaren Tuberkulose bei einem Kinde yon sieben Wochen hier mit grosser Sicherheit und ohne Schwierigkeit zu stellen war auf Grund yon Hautver~nderungen, die man als Tuberkulide ansprechen musste. Eben dieser Fall ist aber auch noch deswegen ganz besonders beachtenswert, well es sich um eine kongenitale, richtiger gesagt um eine intrauterin erworbene Tuber- kulose handelte, wie aus dem im fo]genden ausfiihrlich mitgeteilten Sektionsbefund zu schliessen war.

Zuerst sei kurz die Krankengeschichte mitgeteilt.

Am 28. Juli 1905 wurdo das Kind Karl S. yon einer Frau mit der Bitte um Aufnahmo ins spiral gebracht. Die Anamnese des sieben Woehen alton Kindes ergab folgendes: Geburt reehtzeitig, normal, ElmahruDg immer kiinstlieh, fort- wiihrender Kiirpergewiehtsstillstand. Seit einigen Wochen besteht Husten, der in der letzten Zeit noch zugenommen hat. Die bestehenden roten KnStehen waren yon der l~berbringerin des Kindes erst am selben Tag bemerkt worden. Der Vater ist vSllig gesund, eino Schwester mit 6 Jahren aus unbekannten Griinden taub- stumm, sonar gesund. Ein zweites Kind mit 16 Monaten ist v~llig gesund. Die Mutter war eine Woehe fraher an Tuberkulose gestorben. Diese Krankheit der Mutter begann klinisch l0 Tage nach der Geburt des Kindes unter den Er- seheinungen einer Pleuritis. Sie wurde ]aut Mitteilung der Direktion des k. k. Kronprinzessin-Stephanie-Spitals dortselbst am 21. VL 1905 behafs Thoraxpunktion aufgenommen. Es fand sich ein rechtsseitiges pleuritisches Exsudat, das sieh im

13"

] 9S Franz Hamburger. [~

Laufe der n,~iehsten Tage nicht anderte. Da Pationtin die ihr am 23. VI. vor- goschlagene Thoraxpunktion verweigerte, wurdo dioselbo am 26. V[. entlassen. Es entwickolte sich nun naeh der Angabo des behandolnden Arztes sine gallopierende Lungensehwindsueht, der die Mutter vier Wochen sparer, gerade sine Wocho vor dem Tode des Kindes, zum Opfer fiel. Dot Status pr~tsens des Kindes, aufgenommen am 29. VII., ergab folgendes: 51 cm langes, stark abgemagertes Kind. Temperatur zwisehen 38,4 und 39,4; auf der Haut dos Stammes und der unteren Extremitaton mehrere stecknadelkopfgrosse Livido, leicht glanzende Hautinfiltrate, zum Toil mit zentralom Zerfall (Tuborkulid). Sch~,idelumfang 33,5, Brustumfang 33. Fontanolle lanzettfSrmig, otwas gespannt. R~inder bart. Am Halse zahlreiche, bis linsen- grosso Drfisen, links viol mehr. als recEts. Ebenso in der linken Axil!a und in boiden Loisten. In der reehten Axilla keine Driisen, Sensorium frei. Patellar- Sohnenreflexe auslSsbar; Augen friseh, Ohren fliessen nicht. Im Rachen nichts pathologisches. (~ber der ganzen rechten Lunge vorn loichte Sehallverkfirzung. Die Atmung daselbst: etwas leiser. Eine deutlieho Verseh~trfung des Atmungs- charakters jedoch ist daselbst nicht nachweisbar. Es bestoht ziemlich reichlicher Husten. Die HerztSne sind rein. Der Bauch ist etwas aufgetriebon und gespannt. Die Nahrungsaufnahmo gentigend. Halb Milch, halb Tee. Stuhl normal, Leber nicht vorgrSssert, Milz ca. 2 Querfinger untorhalb des Rippenbogens tastbar.

Bei einer nochmaligen genauen Untersuchung des Kindes konnte weder per- kussorisch noch auskultatorisch sine Ver~tnderung fiber den Lungen nachgewiesen werden. Zwecks Untersuchung auf Tuberkelbazillen wurde sine Magenausheberung 4 Stundon nach der letzten Nahrungsaufnahme vorgenommen. ]n dem sp~irlichen, glasigen Schleim, der daboi zutage gef(irdert wurde, konnten keine Tuberkel- bazillen naehgowiesen werden. Der urspriinglich geausserte Verdaeht auf eine bostehende tuberkulSse Lungenerkrankung konnte mit Rfieksicht auf den negativen physika]ischon Bofund kaum mehr aufroeht erhalten worden. Zum mindesten konnte man sine ausgebreitetere Tuberkuloso ausschliessen. Dagegen konnte die Diagnose auf Tuborkulose fiberhaupt mit Sieberheit gestsllt werden wegen dot bostehenden charakteristischen Effloroszenzen, die man mit Sicherheit als Tubor- kulide erkonnen konnte.

Es ist hier nicht der Platz, auf die J(tiologie und Morphologie der Tuberkulide des niiheren einzugehen. Um so mehr, als die Frage jetzt nocb im Vordergrunde des dermatologischen Interesses stehend~ lebhaft diskutiert wird und noch immer nicht endgiiltig entschieden ist. Unter Tuberkuliden versteht man nach D a r i e r~ der diesen Namen in die Dermatologie eingefiihrt hat~ gewisse Hautver~nderungen, ~tir die tier Tuberkelbazillus bisher zwar nicht mit Sicherheit als ~tio- logischer Faktor nachgewiesen ist, welche jedoch nut bei tuberkulSsen odor skrophulSsen Individuen gefunden werden. Nach den Aus- fiihrungen yon Be e c k gehSren hierher der Lupus erythematosus disse- minatus, Lichen scrophulosorum (Hebra), Ekzema scrophulosorum, Erythema induratum (Bazin) und noch andere Formen, wie Ache scrophulosorum in infants ( R a d c l i f f , C r o c k e r und C o l c o t t Fox) sowie Acne cachectichorum ( t t ebra ) . W~ihrend friiher diese ver- schiedenen Namen aufgestellt wurden fiir an sich sehr seltene Er- krankungen und dadurch wahrscheinlich sine allgemein gel~ufige

3] Ein Fall yon angeborener Tuberkulose. 199

Kenntnis dieser Hautver/~nderungen bei Tuberkulose nicht entstehen konnte, so wurde durch die Untersuchungen yon B a r t h e l e m y , D a r i er und B o e ck gezeigt dass eben diese Hautver~nderungen gar nicht so selten seien und damit wurde dann eine allgemein verbreitete Kenntnis der Tuberkulide angebahnt. B o e c k hat dann auf dem Kongresse in Paris im Jahre 1900 schon eine zusammenfassende Ein- teitung der Tuberkulide gegeben. Nach seiner Einteilung handelte es sich in unserem Falle um ein papulo-squamSses Tuberkulid. Wie schon erwi~hnt, ist die Tuberkulidfrage noch nicht abgeschlossen und so kommt es, dass ein Dermatologe gewisse Effloreszenzen als Tuber- kulide bezeichnet, wiihrend ein zweiter jeden Zusammenhang eben dieser Effloreszenzen mit der Tuberkulose leugnet. Die Bedeutung der Tuberkulide lieg%, wie B o e c k mit ReCht ganz besonders betont, in erster Linie in ihrer diagnostischen Bedeutung und zwar in der diagnostischen Bedeutung nicht fiir den Dermatologen, sondern ffir den praktisehen Arzt. Wenn man einmal weiss, dass eine gewisse Form yon Effloreszenzen nur bei tuberkulSsen Individuen angetroffen wird, so kann man dann auch umgekehrt, aus der Anwesenheit eben dieser Effloreszenzen bei einem Individuum, von dem man sonst, d. h. aus anderen klinischen Anhaltspunkten, die Diagnose auf Tuberkulose nicht stellen kann, die Tuberkulose mit grosser Sicherheit diagnosti- zieren und darin liegt eben die Bedeutung der Kenntnis der Tuber- kulide fiir den Arzt. Auch F i n k e l s t e i n weist in seinem Lehrbuch der S~uglingskrankheiten darauf bin, dass unter Umst~nden die an sich ja schwierige Tuberkulosediagnose beim S/~ugling erleichtert werden kann durch die Anwesenheit tuberkulSser Hautver~nderungen u n d e r zitiert dabei auch zwei Mitteilungen von D o b l e r und Rens - burg. Besonders ]etzterer, welcher in mehreren Fiillen Hauttuber- kulide nachweisen konnte, macht auf ihre diagnostische Bedeutung aufmerksam.

In dem vorliegenden Falle w/ire die Diagnose auf eine Tuber- kulose ohne die Tuberkulide iiberhaupt nicht mit Sicherheit zu stellen gewesen. Man h~tte wohl mit Riicksicht auf die herediti~re Belastung dutch die Mutter an eine Tuberkulose des Kindes denken kSnnen, jedoeh w~re eine solche Diagnose im besten Falle nur als eine Wahr- scheintichkeitsdiagnose anzusehen gewesen. War doch in den Lungen keine sichere Ver~inderung nachweislich, konnte doch der schlechte Erniihrungszustand des Kindes ebensogut als durch ein6 Atrophie bedingt angesehen werden. Da abet im vorliegenden Falle ein Haut- ~usschlag vorhanden war, den wir auf Grund der Erfahrung, die wir im Laufe der Zeit an einer grSsseren Anzahl yon tuberkulSsen Kindern gesammelt hatten, als sicheres Tuberkulid bezeichnen konnten, so

.900 Franz Hamburger. [4

konnten wir eben die Diagnose nut" Tuberkulose iiberhaupt mit eben solcher Sicherheit stellen, zumal wir auch wenige Tags vorher bei einem ffinf Monate alton Kind dieselbe Diagnose eben auch auf Grund spezifischer Hautver~nderungen hatten stellen kSnnen.

Das Kind starb nach nicht ganz dreit~igigem Spita]aufenthalt und die Diagnose wurde mit Rficksicht auf das Fehlen sines sicheren Lungenbefundes und mit Riicksicht auf die relative H~iufigkeit der allgemeinen miliaren Tuberkulose im Kindesalter auf sine allgemeine miliare Tuberkulose gestellt. Wir dachten dabei selbstverst~ndlich, dass es sich um sine yon einer Bronchialdriisentuberkulose ausgehende a/lgemeine Tuberkulose handelte, indem wir uns vorsteilten, dass das Kind yon der Mutter dureh Sputum infiziert worden war.

Die Sektion ergab jedoch zu unserer Uberraschung sin anderes Resu]tat, das wir zuerst in Form des Sektionsprotokolles mitteilen wollen~ um dann etwas n~ther auf die Deutung des anatomischen Befundes einzugehen.

Sektion, ausgeffihrt von Professor Ghon am 31. VII. 1905:51 r lunge mllnnliche Kindesleiche, sehwitehlich, mager. Haut grauweiss mit miissig vielen kleinen, finch erhabenen Effloreszenzen, die zeniral schuppend und br~iunlich-violett erscheinen, bedeckt. Schilddriise entspreehend gross briiunlich. Thymusdriise klein. Sehleimhaut des Raehens b]ass, Tonsillen kleinbohnengross, blass, in beiden mehrere seharfbegrenzte miliengrosse graugelb]iehe Kniitchen. Sehleimhaut des Oesophagus, Larynx und der grossen Bronchien blass. Ha/slymphdriisen beiderseits bis kleinbohnengross, r~itlichgrau and yon gelblichen Kn(itchen durehsetzt, die meist distinkg stehen, in der Peripherie liegen und selten konfluieren.

Die traeheo-bronehealen und bronchopulmonalen Lymphdriisen beiderseits klein und in genau der gleichen Weiss verandert wie die Halsdriisen. hush die vorderen mediastinalen Lymphdriisen und sine Driisengruppe im vorderen Media- stinum unmittelbar tiber dem Zwerehfell in der gleiehen Weiss verander/, ebenso die regromedias~inalen Lymphdriisen und die l~ings des Ductus thoraeieus, nament- lich in der HShe seiner Umbiegungsstelle. Der Ductus selbst sicbtbar, gleich- m~issig breit und nicht gefiillt; aufgeschnitten sieht man keinerlei Eindruck der Lymphdrtisen yon der Umgebung.

Dagegen sind die Drtisen an der L e b e r p f o r t e bis tiber base | - n u s s g r o s s und g l e i chml l s s ig verk~ist, w~ihrend die Driisen gegen die kleine Magenkurvatur zu sehon wieder klein und yon kaum hirsekorngrossen Kniitehen durehsetzt erseheinen.

Die Drtisen am Milzhilus kaum erbsengross und von einzelnen, zum Toil konfluierenden his hanfkorngrossen Kn~tehen durehsetzt. Die mesenterialen Lymph- driisen his kleinbohnengross, rStliebgrau und die meiston namentlieh an dot Peri- pherie yon hirsekorngrossen gelbliehgrauen KnStehen durehsetzt. In einzelnen der Drtisen konfluioren diese KnStehen. Die retroperitonealen Lymphdriisen D.ng- fish, die oberen etwa kleinbohnengross, die unteren kleiner. Diese anseheinend frei yon Kn(itehen, jens iihnlieh veriindert wie die mesenterialen.

Die Lymphdrtisen der Leisten und AehselhShen beiderseits kleinbohnengross und ebenso veritndert wie die iibrigen peripheren Drlisen. blur in der linken Aehselhiihle erseheint eine zum grSsseren Teil verktist.

5] Ein Fall von angeborener Tuberkulose. 201

Herz entprechend gross; an seiner Spitze im Epikard ein hirsekorngrosses graues Knfitchen. Solche disseminiert fiber beiden Lungen. Nur an der medialen Fliiche der Spitze des linken Unterlappens konfluieren mehrere solcher KnStchen zu einem fast erbsengrossen.

Milz 8 : 51 ~ : 1 ~, dunkel und yon dichtstehenden hirse- bis kleinerbsengrossen Kn~itchen durchsetzt.

In der Leber zahlreiche hirsekorngrosseKnStchen. An der Unterf l~iehe des l inken Lappens ein kle in h a s e l n u s s g r o s s e r ge lbe r Knoten.

Zahlreiche hirsekorngrosse KnStchen auch in den Nieren. Im Magen sp~irlicher Inhalt. Schleimhaut grauro~. Im Fundus mehrere

hirsekorngrosse KnStchen mit intakter Oberfl~iche fiber diesen. Im Dfinndarm breiiger gelblieher Inhalt, Sehleimhaut blass, Follikel und Plaques etwas blut- reicher. Einzelne der Follikel und Plaques zeigen hirsekorngrosse gelbliche Knfit- chen, fiber die die Sehleimhaut entweder intakt hinwegzieht oder wie im unteren Ileum einen ganz seiehten Substanzverlust zeigt. Im Dickdarm gelblicher brauner Inhalt, Follikel eben sichtbar, in einzelnen hirsekorngrosse graue KnStchen mit intakter Oberfl~iche.

Die aus diesem Sektionsbefund gemachte pathologisch-anatomische Diagnose des Prosektors lautete: Allgemeine subakute Tuberkulose; chronische Tuberkulose mit gleichm~ssiger Verk~sung der Driisen an der Leberpforte (kongenitale Tuberkulose).

Die Diagnose auf eine angeborene Tuberkulose griindet sich hier auf eine allen Anatomen und Tierexperimentatoren bekannte Tatsache, n~mlich darauf, dal~ immer diejenigen Lymphdriisen yon Tuberkulose am meisten ergriffen sind, in deren Wurzelgebiet die Infektion statt- gefunden hat; und gerade die Versuche derjenigen~ welche den Be- weis erbringen wollen, dal~ die Bronchial-Lymphdriisen beim Menschen nicht deswegen am h~ufigsten erkranken, weil die Tuberkuloseinfek- tion durch die Luftwege erfolgt, sondern deswegen~ weil die Bronchial- driisen eine ganz besondere Stellung in dem topographischen Lymph- drtisensystem einnehmen (W e 1 em i n s k y), zeigen, dal] immer die der Infektionsstelle zun~chst gelegenen Lymphdriisen am friihesten, bezw. am intensivsten erkrankt sind.

W~hrend unter gewShnlichen Verhi~ltnissen ohne Ausnahme oder fast ohne Ausnahme die Lymphdriisen des Bronchialbaumes diejenigen sind, die am ausgebreitetsten und auch zeitlich am l~ngsten tuber- kulSs gefunden werden, finder man eine fortgeschrittene Tuberkulose der Lymphdriisen an der Leberpforte nie oder nur dann, wenn gleieh- zeitig auch die anderen Lymphdriisen des KSrpers eine i~ltere tuber- kulSse Affektion zeigen. Also dann, wenn eine chronische Tuberkulose vorliegt, sei es nun eine allgemeine Tuberkulose oder eine Tuber- kulose, die sich ganz besonders auf das Lymphdriisensystem be- schrankt.

20'. ) Franz Hamburger. [6

In unserem Falle nun waren die tuberkulSsen Ver~nderungen der portalen Lymphdrfisen gegenfiber den anderen Driisen des KSrpers auffallende: sie erreichten mehr als HaselnussgrSsse und waren gleichm~issig verkiist. Keine der iibrigen KSrperlymphdrfisen, die alle auf das genaueste abgesucht worden waren, zeigten iihnlich vorgeschrittene Ver~nderungen. Nur eine Driise der linken Achsel- h5hle zeigt etwas ausgebreitetere Verk/isung als die iibrigen dieser Region, war aber nicht mehr vergrSssert als diese.

Ein solcher ungewShnlicher Befund musste die Vermutung wach- rufen, die Eingangspforte des Tuberkelbazillus in vorliegendem Falle wo anders zu suchen, als dort, wohin sie gewShnlich verlegt wird. Dazu kam der Umstand, dass auch in der Leber neben kleineren KnStchen, die an GrSsse und Aussehen den anderen im KSrper ent- sprachen, ein auffallend grosser verk/~ster Knoten vorhanden war. Ausserdem war der Befund der allgemeinen Tuberkulose nicht der einer akuten miliaren, sondern einer subakuten, ja eigentlich schon beginnend chronisehen Form.

Diese Tatsache stand nach dem Befunde der KnStchen ihrer GrSsse und ihrem Aussehen nach in keinem Widerspruch zum Alter des Kindes (7 Woehen).

Erinnert man sich dazu der durch die Anamnese festgestellten Tatsache, dass die Mutter ~) des Kindes wenige Tage nach der Geburt an einer doch wohl zweifellos tuberkulSsen Pleuritis erkrankte, und dann sehr rasch einer allgemeinen Tuberkulose zum Opfer fiel, so diirfte man wohl kaum auf Widerspruch stossen, wenn man in unserem Falle die Diagnose der kongenitalen Tuberkulose als gerechtfertigt ansieht. In keinem Gegensatze zu dieser Annahme steht der Befund yon kleinen KnStchen und kleinen seichten Gesehwiirchen tuberkulSser Natur im Diinndarm. Sie sind in unserem Falle als Ausdruek der Allgemeininfektion anzusehen. Dass tuberkulSse Ver- i~nderungen im Darm nicht nur primer und retrograd, lymphogen sekund/ir entstehen oder der Ausdruck einer Kontaktinfektion sein miissen, sondern auch h/~matogen entstehen kSnnen, wurde mit Nach- druck in letzter Zeit wiederholt hervorgehoben. Mit Reeht. Wir haben im St. Anna-Kinderspital in Wien h~ufig Gelegenheit, solche Darmver~nderungen zu sehen. Dass es in unserem Falle auch an einigen Stellen schon zu seichter Geschwiirsbildung gekommen war, braucht nicht zu verwundern und spricht nicht gegen die h~tmatogene Entstehungsweise. Schliesslich sei der Vollst~tndigkeit halber noch

1) Dass die Mutter an Tuberkulose gestorben ist, kann wohl wenn uns auch kein Sektionsbefund vorliegt -- mit Sicherheit angenommen werden.

7] Ein Fall yon angeborener Tuberkuloss. 203

darauf hingewiesen, dass das fast erbsengrosse KnStchen in der Spitze des linken Unterlappens sich makroskopisch deutlich noch als aus Konfluenz mehrerer kleiner entstanden erwies, die in GrSsse und Aus- sehen in nichts yon den umgebenden abwiehen.

Man hat wohl bisher nur solche Fiille als angeborene Tuberkulose gelten lassen, die Kinder betrafen, welche innerhalb der ersten Lebens- rage, oder doch innerhalb der ersten drei Lebenswochen zum Exitus gekommen waren. Doch glaube ich, dass in diesem Falle mit Riick- sicht auf den eben besprochenen Befund und seine Erkliirung die Diagnose auf eine angeborene Tuberkulose vollst~ndig gerechtfertigt erscheint. Schon H a u s e r verweist auf die Bedeutung des Befundes tuberkulSser Ver~nderungen in der Leber und in den portalen Lymph- driisen fiir die Diagnose seiner angeborenen Tuberkulose.

Auf die angeborene Tuberkulose hingewiesen zu haben ist das Yerdienst yon B a u m ga r t e n. Man hat die angeborene Tuberkulose im allgemeinen als ausserordentlich selten hingestellt; gerade im Gegen- satz zu diesem Autor~ welcher diesem Infektionsmodus den Haupt- anteil an der Tuberkuloseentstehung beim Menschen zuwies. Wenn man auch heutzutage noch nicht anzunehmen braucht, dass die Tuber- kulose gewShnlich schon intrauterin entsteht, wenn vielmehr eine solche Annahme vorderhand ganz und gar unwahrseheinlich erscheint, so muss doch daran gedacht werden, dass sie doch etwas h~iufiger vor- kommt als man bisher angenommen hat. Dafiir sprechen besonders die vor kurzer Zeit yon S c h m o r l und G e i p e l erhobenen Be- funde der gar nicht so ausserordentlieh seltenen Tuberkulose der Plazenta.

Wenn man an die yon v. Beh r i n g betonte MSglichkeit glaubt, dass Tuberkelbazillen~ welehe durch die Darmschleimhaut in den Orga- nismus eingedrungen sind~ sich durch lange Zeit virulent erhalten - - ich verweise bier auf die neuesten ausserordentlich wichtigen Unter- suchungen yon B a r t el - - dass sie durch ]ange Zeit keine Tuberkulose zu .verursachen brauchen, so muss selbstverst~ndlich auch der yon v. B a u m g a r t e n aufgestellten Meinung Rechnung getragen werden, dass die auf dem Wege der Plazenta in den KindeskSrper einge- drungenen Tuberkelbazillen ganz die gleichen F~higkeiten besitzen kSnnen. Schmor l~ der diese Ansicht in einem Vortrage ge~ussert hat, hat damit wieder dargetan, dass die urspriingliche yon v. Baum- ga r ten aufgestellte plazentare Infektion vielleicht doch nicht so selten ist, wie man allgemein in der letzten Zeit angenommen hatte. Die Frage der germJnativen Infektion soll hier nicht diskutiert werden.

201 Franz Hamburger: Ein Fall yon angeborener Tuberkulose. [S

Ich glaube, dass vorliegende VerSffentlichung einiges Interesse be- anspruchen darf, einerseits mit Riicksicht auf die Seltenheit der bis- her einwandsfrei nachgewiesenen Fiille yon angeboreher Tuberkulose, andererseits mit Riicksicht auf die diagnostische Bedeutung der bis- her noch reeht wenig bekannten Tuberkulide.

Meinem Chef, Herrn Professor E s c h e r i c h , bin ich fiir die (;Tberlassung des Materiales, Herrn Professor G hon fiir die sorgf~ltige Sektion und fiir die Deutung des Falles zu ganz besonderem Danke verpflichtet.