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342 | Biologie in unserer Zeit | 30. Jahrgang 2000 | Nr. 6 Ein riskantes Bravourstück der Evolution Der Stoffwechsel der Arachidonsäure F RIEDRICH MARKS bensvorgänge beteiligt. Pflanzen benutzen als Ausgangspro- dukte vor allem Linol- und Linolensäure, der tierische Or- ganismus verwendet dagegen am häufigsten die mehrfach ungesättigten C 20 -Fettsäuren, allen voran Arachidonsäure (5,8,11,14-Eicosatetraensäure). C 20 -Oxylipine heißen Eico- sanoide und stellen vermutlich die vielfältigste, zumindest aber die am besten erforschte Oxylipin-Familie dar.Trotz- dem sind wir noch immer weit davon entfernt, alle ihre Funktionen zu verstehen und das, obwohl die ersten Eico- sanoide – die Prostaglandine – schon vor fast siebzig Jahren von Ulf von Euler in Stockholm entdeckt wurden. Eicosanoide kontrollieren zahlreiche Lebensvorgänge Dass die Eicosanoidforschung lange Zeit abseits der Mode- strömungen der biomedizinischen Wissenschaft gestanden hat, mag in methodischen Schwierigkeiten und in einem Mangel an raschen Erfolgen begründet gewesen sein, keineswegs jedoch in einer untergeordneten (patho-)phy- siologischen Rolle dieser Wirkstoffe. Eicosanoide werden bei Säugern von jedem Gewebe als Antwort auf hormo- nelle, immunologische und nervöse Signale sowie Umwelt- reize gebildet. Sie sind metabolisch instabil, sodass sie hauptsächlich im Nahbereich wirken. Eine ihrer Aufgaben ist es, die Reaktionen der einzelnen Zellen auf die eintref- fenden Signale zu einer übergeordneten Gewebsreaktion zu integrieren und zu koordinieren. Eicosanoide bilden so- mit ein für komplexe mehrzellige Organismen typisches Signalsystem. Darüber hinaus gibt es aber auch Hinweise auf Funktionen bei einzelligen Eukaryoten wie Hefe. In ihrer molekularen Wirkungsweise sind Eicosanoide „Allround-Signale“, denn anders als bei den meisten hor- monartigen Wirkstoffen finden sich spezifische Rezeptor- proteine für Eicosanoide sowohl auf der Zelloberfläche als auch auf der Kernmembran und sogar im Inneren des Zell- kerns.Die Membranrezeptoren gehören zur großen Familie der Proteine mit sieben Transmembrandomänen und kon- trollieren über G-Proteine die Bildung von intrazellulären Signalmolekülen (second messengers) wie zyklischem AMP, Inositol-1,4,5-trisphosphat und Diacylglycerin [1]. Als Eico- sanoidrezeptoren im Zellkern wurden die so genannten Peroxisomenproliferator-aktivierten Rezeptoren (PPAR) identifiziert [1], welche zuvor dadurch entdeckt worden waren, dass sie bestimmte Pharmaka (Peroxisomen- Aus einer mehrfach ungesättigten Fettsäure und Sauerstoff können Organismen mithilfe zahlreicher Enzyme eine Vielfalt von meist kurzlebigen, aber hochaktiven Wirkstoffen pro- duzieren. Als kontrolliertes „Spiel mit der Sauerstofftoxizität“ ist diese „Oxylipin“-Biosynthese jedoch nicht ohne Risiko, denn Fehlsteuerungen scheinen entscheidend zur Entwicklung von Alterskrankheiten wie Infarkten, Krebs und Alzheimer- Demenz beizutragen. D ie zwei- und dreifach ungesättigten C 18 -Fettsäuren Li- nol- und γ-Linolensäure sind für den tierischen Orga- nismus essentiell, das heißt, er kann sie selbst nicht synthe- tisieren, sondern muss sie mit pflanzlicher Nahrung auf- nehmen. Ein Mangel an essentiellen Fettsäuren führt über schwere Fehlentwicklungen zum Tod. Linol- und γ-Lino- lensäure haben zwei wichtige Funktionen: Einerseits re- gulieren sie die Viskosität von zellulären Membranen, ande- rerseits werden sie direkt oder nach Umwandlung in vier- und fünffach ungesättigte C 20 - und C 22 -Fettsäuren wie Arachidonsäure, Eicosa- pentaensäure und Doco- sapentaensäure zu hor- monartigen Wirkstoffen metabolisiert. Dieses ge- schieht bis auf wenige Ausnahmen durch kon- trollierte Oxidation. Mit anderen Worten: Die Evo- lution hat die Neigung der ungesättigten Fettsäuren mit Sauerstoff zu reagie- ren, Schritt für Schritt un- ter enzymatische Kon- trolle gebracht. Auf diese Weise haben Eukaryoten die Fähigkeit erlangt, eine große Zahl oxidierter Fettsäurederivate – Oxyli- pine genannt – zu bilden. Sie sind an der Kontrolle nahezu sämtlicher Le- ABB. 1 Die Koralle Plexaura homomalla, eine der ergiebigsten Quellen für Prostaglandine in der Na- tur. (Foto: Dr. Harry Erhardt, Fritzlar)

Ein riskantes Bravourstück der Evolution Der Stoffwechsel ... · 342|Biologiein unserer Zeit|30. Jahrgang 2000 |Nr. 6 Ein riskantes Bravourstück der Evolution Der Stoffwechsel der

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342 | Biologie in unserer Zeit | 30. Jahrgang 2000 |Nr. 6

Ein riskantes Bravourstück der Evolution

Der Stoffwechsel derArachidonsäureFRIEDRICH MARKS

bensvorgänge beteiligt.Pflanzen benutzen als Ausgangspro-dukte vor allem Linol- und Linolensäure, der tierische Or-ganismus verwendet dagegen am häufigsten die mehrfachungesättigten C20-Fettsäuren, allen voran Arachidonsäure(5,8,11,14-Eicosatetraensäure). C20-Oxylipine heißen Eico-sanoide und stellen vermutlich die vielfältigste, zumindestaber die am besten erforschte Oxylipin-Familie dar. Trotz-dem sind wir noch immer weit davon entfernt, alle ihreFunktionen zu verstehen und das, obwohl die ersten Eico-sanoide – die Prostaglandine – schon vor fast siebzig Jahrenvon Ulf von Euler in Stockholm entdeckt wurden.

Eicosanoide kontrollieren zahlreicheLebensvorgänge

Dass die Eicosanoidforschung lange Zeit abseits der Mode-strömungen der biomedizinischen Wissenschaft gestandenhat, mag in methodischen Schwierigkeiten und in einemMangel an raschen Erfolgen begründet gewesen sein,keineswegs jedoch in einer untergeordneten (patho-)phy-siologischen Rolle dieser Wirkstoffe. Eicosanoide werdenbei Säugern von jedem Gewebe als Antwort auf hormo-nelle, immunologische und nervöse Signale sowie Umwelt-reize gebildet. Sie sind metabolisch instabil, sodass siehauptsächlich im Nahbereich wirken. Eine ihrer Aufgabenist es, die Reaktionen der einzelnen Zellen auf die eintref-fenden Signale zu einer übergeordneten Gewebsreaktionzu integrieren und zu koordinieren. Eicosanoide bilden so-mit ein für komplexe mehrzellige Organismen typischesSignalsystem. Darüber hinaus gibt es aber auch Hinweiseauf Funktionen bei einzelligen Eukaryoten wie Hefe.

In ihrer molekularen Wirkungsweise sind Eicosanoide„Allround-Signale“, denn anders als bei den meisten hor-monartigen Wirkstoffen finden sich spezifische Rezeptor-proteine für Eicosanoide sowohl auf der Zelloberfläche alsauch auf der Kernmembran und sogar im Inneren des Zell-kerns.Die Membranrezeptoren gehören zur großen Familieder Proteine mit sieben Transmembrandomänen und kon-trollieren über G-Proteine die Bildung von intrazellulärenSignalmolekülen (second messengers) wie zyklischem AMP,Inositol-1,4,5-trisphosphat und Diacylglycerin [1]. Als Eico-sanoidrezeptoren im Zellkern wurden die so genanntenPeroxisomenproliferator-aktivierten Rezeptoren (PPAR)identifiziert [1], welche zuvor dadurch entdeckt wordenwaren, dass sie bestimmte Pharmaka (Peroxisomen-

Aus einer mehrfach ungesättigten Fettsäure und Sauerstoffkönnen Organismen mithilfe zahlreicher Enzyme eine Vielfaltvon meist kurzlebigen, aber hochaktiven Wirkstoffen pro-duzieren. Als kontrolliertes „Spiel mit der Sauerstofftoxizität“ist diese „Oxylipin“-Biosynthese jedoch nicht ohne Risiko,denn Fehlsteuerungen scheinen entscheidend zur Entwicklungvon Alterskrankheiten wie Infarkten, Krebs und Alzheimer-Demenz beizutragen.

Die zwei- und dreifach ungesättigten C18-Fettsäuren Li-nol- und γ-Linolensäure sind für den tierischen Orga-

nismus essentiell, das heißt, er kann sie selbst nicht synthe-tisieren, sondern muss sie mit pflanzlicher Nahrung auf-nehmen. Ein Mangel an essentiellen Fettsäuren führt überschwere Fehlentwicklungen zum Tod. Linol- und γ-Lino-lensäure haben zwei wichtige Funktionen: Einerseits re-gulieren sie die Viskosität von zellulären Membranen, ande-rerseits werden sie direkt oder nach Umwandlung in vier-und fünffach ungesättigte C20- und C22-Fettsäuren wie

Arachidonsäure, Eicosa-pentaensäure und Doco-sapentaensäure zu hor-monartigen Wirkstoffenmetabolisiert. Dieses ge-schieht bis auf wenigeAusnahmen durch kon-trollierte Oxidation. Mitanderen Worten: Die Evo-lution hat die Neigung derungesättigten Fettsäurenmit Sauerstoff zu reagie-ren, Schritt für Schritt un-ter enzymatische Kon-trolle gebracht. Auf dieseWeise haben Eukaryotendie Fähigkeit erlangt, einegroße Zahl oxidierterFettsäurederivate – Oxyli-pine genannt – zu bilden.Sie sind an der Kontrollenahezu sämtlicher Le-

A B B . 1 Die Koralle Plexaura homomalla, eine derergiebigsten Quellen für Prostaglandine in der Na-tur. (Foto: Dr. Harry Erhardt, Fritzlar)

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Veresterung am 2. C-Atom (Position A2) des Glycerins. Da-raus werden sie bei Bedarf vor allem durch entsprechendePhospholipasen des A2-Typs (PLA2) freigesetzt und sofortweiter zu Eicosanoiden verarbeitet. A2-Phospholipasen bil-den eine große heterogene Enzymfamilie und finden sichinnerhalb und außerhalb der Zelle [8]. Besonderes Inte-resse hat eine Form der cytoplasmatischen PLA2 (cPLA2) ge-funden,die selektiv nur Arachidonsäure freisetzt und durchextrazelluläre Signale wie Hormone, Neurotransmitter, Um-weltreize, Stressfaktoren und andere aktiviert wird. Dieseserklärt, warum Zellen auf eine enorme Vielzahl von Außen-reizen mit der Synthese von Eicosanoiden reagieren.Die Ak-tivierung von cPLA2 kommt durch eine Phosphorylierungs-reaktion zustande, die durch „Mitogen- (= Wachstumsfak-tor) aktivierte Proteinkinasen“ (MAP-Kinasen) katalysiertwird ([14], siehe auch unten Abbildung 11).Aus der freige-setzten ungesättigten Fettsäure werden Eicosanoide durchCytochrom P450-haltige Monooxygenasen, durch Dioxyge-nasen vom Typ Lipoxygenase und Cyclooxygenase sowiedurch nichtenzymatische Oxidation synthetisiert (Abbil-dung 2).

MonooxygenasenMonooxygenasen bilden eine große Enzymfamilie mitwichtigen Funktionen,beispielweise bei der Entgiftung vonPharmaka, der Biosynthese von Steroidhormonen usw. Diemeisten enthalten im aktiven Zentrum das Sauerstoff akti-vierende Cytochrom P450.Einige dieser Cytochrom P450-Mo-

Phospholipid

LIPOXYGENASEN

Arachidonsäure

MONOOXYGENASEN

PHOSPHOLIPASE A2

CYCLOOXYGENASEN

ExtrazelluläresSignal, Umweltreiz

NICHT ENZYMATISCH

HydroxyeicosanoideLeukotriene

LipoxineHepolixineTrioxiline

Hydroxy- undEpoxyeicosanoide

ProstaglandineProstacyclinThromboxan

(15-Epi-Lipoxine)

Isoprostane

Anstelle von Ara-chidonsäure kön-nen Mono-oxygenasen undLipoxygenasenauch anderemehrfach unge-sättigte Fettsäu-ren umsetzen,während Cyclo-oxygenasen rela-tiv selektiv fürArachidonsäuresind. 15-Epi-Lipo-xine werden vonmit Aspirin be-handelter Typ2-Cyclooxygenasegebildet.

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proliferatoren oder Blutfettsenker wie Clofibrat) spezifischbinden konnten [8]. PPAR -Moleküle gehören zur gleichenRezeptorfamilie wie Steroid- und Thyroidhormonrezepto-ren. Als Transkriptionsfaktoren regulieren sie die Aktivitätzahlreicher Gene.

Ihre Fähigkeit, aus zwei einfachen Molekülen –Fettsäure und Sauerstoff – eine fast unübersehbare Füllevon Wirkstoffen zu bilden, macht die Oxylipinbiosynthesezu einem der faszinierendsten Beispiele für biochemischeEvolution. Allerdings ist speziell der Arachidonsäurestoff-wechsel keineswegs risikofrei, sondern bedarf einer strik-ten Kontrolle durch den Organismus. Versagt diese Kon-trolle, so kann es zu schweren und sogar tödlichen Erkran-kungen kommen. Dieses soll an den Beispielen Krebs undAlzheimerkrankheit erläutert werden. Zuvor ist jedoch einkurzer Überblick über die vielfältigen Wege des Arachidon-säurestoffwechsels nützlich, denn nur wenn man die bio-chemischen Zusammenhänge kennt, wird man den mögli-chen Gefahren einer fehlgeleiteten Eicosanoidbiosynthesebegegnen und Maßnahmen gegen die entsprechendenKrankheiten ergreifen können. Dass so etwas möglich ist,zeigt die mittlerweile übliche Chemoprävention vonSchlaganfall und Herzinfarkt mittels Aspirin.

Enzyme der Oxylipin- undEicosanoidbiosynthese

Ungesättigte Fettsäuren sind in Zellen stets in den Phos-pholipiden der Plasmamembran gespeichert, meist durch

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nooxygenasen katalysieren die Hydroxylierung von Arachi-donsäure an den C-Atomen 5,7,8,9,10,11,12,13,15,16,18,19,20 sowie die Bildung von 5,6-, 8,9-, 11,12- und 14,15-Epoxiden [19].Diese Primärprodukte können von der Zelleauf vielfältige Weise weiter verändert werden, sodass einefast unüberschaubare Mannigfaltigkeit von potenziellenWirkstoffen entsteht, deren Funktionen nur ansatzweiseoder überhaupt noch nicht bekannt sind.Beschrieben wur-den bisher vor allem Effekte auf die glatte Gefäß-muskulatur, durch die die Durchblutung der Niere und desHerzmuskels sowie der Blutdruck beeinflusst werden. Inder Niere sind durch Monoxygenase gebildete Eicosanoidezudem an der Kontrolle von Reabsorptionsvorgängen be-teiligt, und ihr Vorkommen im Gehirn lässt auf Funktionenim Zentralnervensystem schließen.

Evolutionär sind Cytochrom P450-Monooxygenasensehr alt, denn sie finden sich bereits bei Prokaryoten. In-wieweit sie hier am Stoffwechsel von ungesättigten Fett-säuren und an der zumindest bei Blaualgen nachweisbarenOxylipinsynthese beteiligt sind, ist nicht klar.

LipoxygenasenLipoxygenasen (LOX) sind eine Familie von Nichthäm-Ei-sen-(und Mangan-)Proteinen, welche die Reaktion von un-gesättigten Fettsäuren mit Sauerstoff stereospezifisch kata-lysieren. Bei tierischen Zellen unterscheidet man zwischen5-,8-,12- und 15-Lipoxygenasen,wobei man sich auf den je-weiligen Angriffspunkt im Arachidonsäuremolekül bezieht(Abbildung 3). Im Gegensatz zu Monooxygenasen übertra-

gen Lipoxygenasen zwei Sauerstoffatome. Dabei entstehenunter Verschiebung und cis-trans-Isomerisierung der je-weils attackierten Fettsäuredoppelbindung Hydroper-oxide. Diese können anschließend zu Hydroxyverbindun-gen reduziert werden oder Epoxide bilden. Für Letzteregibt es eine Vielzahl von enzymatisch katalysierten Folge-reaktionen wie die Hydrolyse zu Dihydroxyderivaten, dieAnlagerung von Glutathion oder weitere Oxidationendurch Lipoxygenasen.

Die Evolution der Lipoxygenasen beginnt bereits beiden Prokaryoten. Zwar sind mit einer Ausnahme – Pseudo-monas aeruginosa – in den derzeit bekannten Bakterien-genomen noch keine Lipoxygenase-homologen Sequenzengefunden worden, jedoch gibt es für Blaualgen (Cyanobak-terien) zahlreiche Hinweise auf eine Lipoxygenase-kataly-sierte Oxilipinsynthese.

Funktion pflanzlicher LipoxygenasenPflanzen sind eine besonders ergiebige Quelle für Lipoxy-genasen. So ist die Oxylipinsynthese bei Rot- und Braunal-gen hoch entwickelt und dient hier vor allem zur Herstel-lung von Sexuallockstoffen und zur Abwehr. Ähnliches giltfür höhere Pflanzen. Bereits 1932 wurde der Prototyp allerLipoxygenasen in Sojabohnen entdeckt. Da auch anderePflanzensamen viel Lipoxygenase enthalten, vermutet maneine Funktion bei Wachstums- und Entwicklungsvorgän-gen.Weit besser erforscht ist aber die Rolle der pflanzlichenLipoxygenasen bei der Abwehr von Mikroorganismen undPilzen sowie bei der Wundheilung [2]. Hier katalysieren sie

8 5

12 15

COOH

OOHCOOH

5(S)-HPETE

5-LIPOXYGENASE

OCOOH

LTA4

LTA4 HYDROLASE LTC4 SYNTHASE 12-LIPOXYGENASE

OHRCOOH

OH

Lipoxin A4(R = OH)

LTC4

COOHOHS

Cys

GlyGlu

COOHOH

LTB4

HO

a) b)

Angriffspunkte von Säuger-Lipoxygenasen amArachidonsäuremolekül (a) und Biosynthese vonLeukotrienen (LTA4, LTB4, LTC4) und Lipoxinen überden 5-Lipoxygenase-Weg (b). Leukotrien A4 kanndurch 12-Lipoxygenase auch zu einer 15-Hydro-peroxyverbindung umgesetzt werden, die nachReduktion und Addition von Glutathion ein demLeukotrien C4 entsprechendes Lipoxin C4 liefert[R = -S-Cys (Gly, Glu)]. 5(S)-HPETE (= 5(S)-Hydro-peroxyeicosatetraensäure) ist das Primärproduktder Reaktion von Arachidonsäure mit 5-Lipoxy-genase.

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die ersten Schritte von Reaktionsketten, über die α-Lino-lensäure in pflanzliche Wundhormone wie Jasmonsäureund Traumatin sowie in pilzhemmende Wirkstoffe umge-wandelt wird, und bei denen über die Oxidation von Öl-säure die Cutinbiosynthese eingeleitet wird [2]. An diesenAbwehrreaktionen sind noch andere Enzyme beteiligt.So wandeln zum Beispiel Allenoxidsynthasen die durchLipoxygenasen produzierten Fettsäureperoxide in α,β-un-gesättigte Epoxide (Allenoxide) um. Allenoxidcyclasenkatalysieren den Ringschluss von Allenoxiden zu Prosta-glandin-ähnlichen Cyclopentenon-Oxylipinen (wie die Jas-monsäurevorstufe 12-Oxophytodienonsäure), und Peroxy-genasen epoxidieren Fettsäuren mithilfe von Peroxiden alsSauerstofflieferanten. Interessanterweise haben viele Eico-sanoide des Säugerorganismus als Entzündungsmediatorenanaloge Abwehrfunktionen wie die Phytooxylipine.

Funktion der Lipoxygenasen in SäugetierenDie Funktionen der Säugerlipoxygenasen sind nur bruch-stückhaft bekannt.Am meisten weiß man noch über die 5-Lipoxygenase. Sie ist das Schlüsselenzym für die Biosyn-these der Leukotriene [6], welche aus 5,6-Epoxy-eicosa-tetraensäure durch Hydrolyse (Leukotrien B4, LTB4) oderAddition von Glutathion (Leukotrien C4, LTC4) entstehen(Abbildung 3,LTC4 kann durch schrittweise Abspaltung vonGlutaminsäure und Glycin in die Leukotriene D4 und E4 um-gewandelt werden). Als einer der stärksten „Lockstoffe“ fürLeukozyten spielt LTB4 eine wichtige Rolle bei Entzün-dungsprozessen. Synthetische LTB4-Antagonisten sind da-her als entzündungshemmende Arzneimittel in der Erpro-bung, obwohl sie – das zeigen Beobachtungen an 5-LOX-defizienten Mäusen – wahrscheinlich nicht gegen jede Artvon Entzündung wirken werden. Die drei „Cysteinyl-Leukotriene“ C4, D4 und E4 sind äußerst wirksame Bron-chokonstriktoren und identisch mit einer früher postulier-ten slow-reacting substance of anaphylaxis (SRSA). Ihre –vor allem durch Allergene – verursachte übermäßige Aus-schüttung gilt als eine der Hauptursachen von Bronchial-asthma. Große Anstrengungen sind unternommen worden,entsprechende Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Sol-che „Antileukotriene“ blockieren die zellulären Cysteinyl-Leukotrien-Rezeptoren und werden neuerdings gegenAsthma eingesetzt. Für den gleichen Zweck werden auchInhibitoren der 5-Lipoxygenase entwickelt.

Natürliche Gegenspieler der Leukotriene könnten dieanti-entzündlich wirkenden Lipoxine (LX) sein (Abbildung3). Sie entstehen durch einen kombinierten Angriff von 5-Lipoxygenase mit 12- oder 15-Lipoxygenase auf Arachi-donsäure und enthalten vier konjugierte Doppelbindungenund drei Hydroxygruppen (LXA4 und LXB4), von deneneine wie bei Leukotrien C4 durch Glutathion ersetzt seinkann (LXC4). Pharmaka, welche die Lipoxinwirkung beein-flussen, gibt es derzeit noch nicht [24].

Im Experiment als Entzündungshemmer mindestensebenso wirksam wie die Lipoxine sind die stereoisomeren15-Epi-Lipoxine (die Hydroxygruppe am C-Atom 15 liegt in

R- statt in S-Konfiguration vor). Sie können über den Cyto-chrom P450-Monooxygenase-Weg aus Arachidonsäure ent-stehen. Ein zweiter, besonders interessanter und unerwar-teter Syntheseweg wird induziert, wenn Aspirin mit dem„Entzündungsenzym“ Cyclooxygenase-2 (COX-2, siehe un-ten) reagiert. Dabei wird aus der Prostaglandin H-SynthaseCOX-2 eine 15(R)-Lipoxygenase, welche im Zusammen-spiel mit 5-Lipoxygenase Arachidonsäure in 15–Epi-Lipo-xine umwandelt [24]. Ob dieser Mechanismus allerdingsbei der entzündungshemmenden Wirkung von Aspirin eineRolle spielt, ist ebenso unklar wie die zelluläre Funktionvon Epi-Lipoxinen.

Die 12-Lipoxygenasen der Säuger bilden eine weit ver-breitete Enzymfamilie mit derzeit mindestens vier Mitglie-dern.Sie sind nicht nur an der Lipoxinbiosynthese beteiligt,sondern überführen Arachidonsäure auch in 12-Hydro-peroxy-eicosatetraensäure (12-HPETE), die in Folgereaktio-nen entweder zur entsprechenden Hydroxyverbindung(12-HETE) oder durch das Enzym Hepoxilinsynthase in He-poxiline umgewandelt werden kann (Abbildung 4). Hepo-xiline sind Monohydroxy-epoxy-eicosatriensäuren; durchHydrolyse des Epoxidrings entstehen daraus Trihydroxy-eicosatriensäuren, die „Trioxiline“ [20]. Hepoxiline sind invielen Geweben und Spezies nachgewiesen worden. Zuihren prominentesten pharmakologischen Wirkungengehört die Calciummobilisierung in Zellen, das heißt, siefördern den Ausstrom von Ca2+-Ionen aus dem Lumen desendoplasmatischen Retikulums in das Cytoplasma. DieCa2+-Mobilisierung ist von zentraler Bedeutung für Sekreti-onsvorgänge (zum Beispiel von Insulin im Pankreas) undfür die Kontraktion der glatten Muskulatur. Beides wirddurch Hepoxiline stimuliert. Außerdem gibt es Hinweise,dass zumindest in Invertebraten wie der MeeresschneckeAplysia die Signalübertragung zwischen Nervenzellendurch Hepoxiline und 12-HPETE kontrolliert wird [9, 22].Schließlich lösen Hepoxiline und Trioxiline bei Ranken-füßern das Schlüpfen von Larven aus. Ob solche Effekteeine physiologische Bedeutung haben, ist allerdings nichtklar.

Wenig ist über die Funktion der 8(S)-Lipoxygenase be-kannt. Dieses Enzym ist bisher nur in der Maushaut unddort auch nur unter sehr speziellen Bedingungen (nach Be-handlung mit tumorpromovierenden Wirkstoffen) gefun-den worden [17].Eine enantiomere 8(R)-Lipoxygenaseakti-vität wurde in Seesternen sowie in Süßwasserpolypen und

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anderen Cnidariern nachgewiesen und scheint dort die Rei-fung von Eizellen beziehungsweise morphogenetische undMetamorphoseprozesse zu induzieren [22].

Bei der 15-Lipoxygenase des Säugers unterscheidetman zwischen einem Retikulozytentyp und einem Epider-mistyp [3]. Auch ihre Funktionen sind weitgehend unbe-kannt, sieht man einmal von ihrer Beteiligung an der Lipo-xinbiosynthese und einer noch nicht schlüssig bewiesenenRolle bei der Bildung roter Blutzellen ab. Neuerdings wirddie Retikulozyten-15-Lipoxygenase des Menschen im Zu-sammenhang mit atherosklerotischen Erkrankungen disku-tiert.Das Enzym findet sich nämlich in großer Menge in den„Schaumzellen“ der atherosklerotischen Gefäßschäden,nicht dagegen in normalen Blutgefäßzellen, und kann zu-mindest in vitro das low-density-Lipoprotein (LDL) zu ei-ner Form oxidieren, welche die Bildung atheroskleroti-scher Ablagerungen („Plaques“) fördert. Dem steht jedochentgegen, dass Mäuse, welche 15-Lipoxygenase in weißenBlutzellen überproduzieren, eher vor Atherosklerose ge-schützt sind. Solange dieser Widerspruch nicht geklärt ist,bleibt die pathophysiologische Funktion der 15-Lipoxyge-nase eine offene Frage, von einer klinischen Anwendungvon – derzeit ohnehin noch nicht verfügbaren – 15-Lipoxy-

genaseinhibitoren ganz zuschweigen.

Lipoxygenasen scheinenfür den Säugerorganismusnicht lebensnotwendig zusein, denn Mäuse, bei denen5-LOX oder Leukozyten-12-LOX (dieses Enzym entsprichtder Retikulozyten-15-LOX desMenschen) durch die Gen-Knockout-Technik ausgeschal-tet worden waren, bliebengesund und vermehrten sichnormal. Diese Versuche be-stätigten im Übrigen, dass 5-LOX eine wichtige Rolle bei al-lergischem Asthma und ande-ren – aber keineswegs allen –Entzündungsreaktionen spielt[7].

CyclooxygenasenCyclooxygenasen katalysierendie Oxidation von C20-Fettsäu-ren durch zwei Moleküle Sau-erstoff [26]. Ihr Name beziehtsich auf den Fünfring im Reak-tionsprodukt Prostaglandin H,der durch Verknüpfung der C-Atome 8 und 12 entsteht (Ab-bildung 5). Prostaglandin H istein instabiles Endoperoxidund wird durch weitere En-

zyme in stabilere Prostaglandine (vor allem vom Typ D, Eund F2α), Prostacycline und Thromboxane (zusammenfas-send als Prostanoide bezeichnet) umgewandelt. Invertebra-ten, wie die in der Karibik häufige Koralle Plexaura homo-malla (Abbildung 1) und manche Mollusken gehören zuden ergiebigsten Quellen für Prostaglandine und verwen-den diese zur Abschreckung von räuberischen Fischen, diemit Erbrechen und anderen Vergiftungserscheinungen rea-gieren [9], während wiederum anderen Spezies wie Gold-fischen Prostaglandine als Sexuallockstoffe dienen. Die An-nahme, dass Invertebraten keine Cyclooxygenase enthal-ten, sondern Prostaglandine auf anderen Wegen (überLipoxygenasen und Allenoxidcyclasen) synthetisieren, istinzwischen überholt,da Cyclooxygenasen in Korallen nach-gewiesen worden sind.

Aspirin, ein Cyclooxygenase-InhibitorVor 30 Jahren zeigte der britische Pharmakologe J.R.Vane,dass nicht steroidale Entzündungshemmer wie Aspirin spe-zifische Cyclooxygenase-Inhibitoren sind. Diese mit demNobelpreis gewürdigte Entdeckung ist ein Meilenstein inder medizinischen Forschung und hat entscheidend zu ei-nem Verständnis der (patho)physiologischen Funktionen

A B B . 5 | B I OS Y N T H E S E VO N PROS TAG L A N D I N H 2Jede der beidenbekannten Cy-clooxygenasen(COX-1 und COX-2) hat zwei En-zymaktivitäten,die eigentlicheCyclooxygenase-Aktivität (Schritt1) und eine Per-oxidase-Aktivität(Schritt 2). DieFolgereaktionenzu ThromboxanA2, Prostaglandi-nen (als BeispielProstaglandin E2)und Prostacyclinwerden durch an-dere Enzyme ka-talysiert.

COX-1(konstitutiv)MagenschutzBlutgerinnung

COX-2(induzierbar)

ZellproliferationEntzündungenWundheilung

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von Cyclooxygenasen beigetragen. Cy-clooxygenasen sind Haemoproteine.Mankennt derzeit zwei Isoformen, nämlicheine Cyclooxygenase-1 (COX-1) und eineCyclooxygenase-2 (COX-2), die beidedurch Aspirin und andere herkömmlicheEntzündungsinhibitoren gehemmt wer-den [26]. COX-1 findet sich offensicht-lich in allen Säugergeweben. Sie spielteine wichtige Rolle bei der Blutgerin-nung und beim Schutz des Magens vorSelbstverdauung. Dieses erklärt die vor-beugende Wirkung von Aspirin gegen In-farkte, aber auch seine Nebenwirkungen im Magen-Darm-Bereich.Der erste Schritt der Blutgerinnung und damit vonSchlaganfällen und Herzinfarkten ist die Aggregation vonBlutplättchen. Sie wird durch Thromboxan A2 stimuliertund durch Prostacyclin gehemmt.Beide entstehen aus Pros-taglandin H2 (Abbildung 5), Thromboxan A2 in Blutplätt-chen, Prostacyclin in Endothelzellen. Ihre Biosynthesesollte also durch Aspirin in gleichem Maße unterdrücktwerden. Endothelzellen können diese Blockade jedochdurch Neuproduktion von COX-1 überwinden und aufdiese Weise wieder das gerinnungshemmende Prostacyclinbilden. Die kernlosen Blutplättchen sind zu einer solchenAnpassungsreaktion nicht in der Lage, sodass bei regel-mäßiger Einnahme von Aspirin nur die Thromboxansyn-these dauerhaft unterdrückt wird.Damit sinkt das Infarktri-siko, wenn auch zum Preis einer erhöhten Blutungsnei-gung! Bei Eskimos, deren fischreiche Nahrung weit mehrEicosapentaensäure als Arachidonsäure enthält, sind In-farkte relativ selten. Tatsächlich wirkt das aus Eicosapen-taensäure gebildete Thromboxan A3 weit weniger gerin-nungsfördernd als das aus Arachidonsäure entstehendeThromboxan A2, während die gerinnungshemmende Wir-kung der beiden analogen Prostacycline ähnlich ist.

COX-2, ein „proinflammatorischesNotfallenzym“

Im Gegensatz zu der überall vorkommenden COX-1 findetman COX- 2 nur in wenigen Organen wie Gehirn, Lunge,Niere und Testes. Alle anderen Gewebe produzieren das En-zym lediglich bei Bedarf und nur für kurze Zeit, so nach Sti-mulation der Zellproliferation durch Hormone und Wachs-tumsfaktoren sowie als Antwort auf Stress durch chemischeReizung, Verletzung, UV-Bestrahlung, bakterielle Infektionusw. Da es bei solchen Stressreaktionen meist zu Entzün-dungen kommt, gilt COX-2 als „proinflammatorisches Not-fallenzym“. Für den Selbstschutz des Magens ist COX-2ohne Bedeutung. Neu entwickelte Arzneimittel, die andersals die herkömmlichen Entzündungshemmer lediglichCOX-2 nicht aber COX-1 hemmen, werden daher seitkurzem in der Klinik als nebenwirkungsarme Mittel gegenRheuma eingesetzt [10]. Da COX-2 anders als COX-1 keineRolle bei der Blutplättchenaggregation spielt, kommen je-doch spezifische COX-2-Hemmer – nicht ganz glücklich

auch „Superaspirine“ genannt – für die Infarktvorbeugungnicht in Frage.Vielmehr bleibt man hier auf das mittlerweilehundertjährige Aspirin angewiesen und muss dessen Nut-zen gegen seine Nebenwirkungen sorgfältig abwägen.Überlegungen, mit COX-2-Hemmern gegen Krebs und Alz-heimer-Demenz vorzugehen, werden weiter unten kom-mentiert.

Sind Cyclooxygenasen lebenswichtig?Sind Cyclooxygenasen lebensnotwendige Enzyme? Unter-suchungen an Mäusen, bei denen beide COX-Gene mittelsder Gen-Knockout-Technik ausgeschaltet worden waren,lassen diese Frage mit einem Ja beantworten [13]. SolcheTiere entwickelten sich zwar normal, starben aber unmit-telbar nach der Geburt an Atemnot, weil sich die Verbin-dung zwischen Aorta und Lungenarterie (Ductus arterio-sus) nicht geschlossen hatte.Auch Tiere, denen nur COX-2fehlte, waren erheblich beeinträchtigt. Viele starben anNierenversagen und Bauchfellentzündung, und die Weib-chen waren unfruchtbar. Weniger dramatisch waren dieKonsequenzen eines COX-1-„Knockouts“. Solche Tiere wa-ren gesund und fortpflanzungsfähig,abgesehen davon,dasses durch Verzögerungen des Geburtsvorgangs zu vielen Tot-geburten kam. Dem entspricht umgekehrt die Wehen aus-lösende Wirkung von Prostaglandinen, von der auch in derKlinik Gebrauch gemacht wird. Überraschend war, dassMäuse ohne COX-1 kaum mehr Magengeschwüre ent-wickelten als normale Tiere, eine Beobachtung, die natür-lich nicht ganz zu der bisherigen Vorstellung von COX-1 alseinem Schutzenzym des Magens passt.

Nichtenzymatische EicosanoidbiosyntheseEine umfangreiche Gruppe von Eicosanoiden, die Iso-prostane (oder Epi-prostanoide), kann im Körper auchdurch nichtenzymatische Peroxidation von Arachidonsäureentstehen [23]. Anders als bei der Cyclooxygenase-Reak-tion wird dabei der Fünfring nicht nur durch Verknüpfungder C-Atome 8 und 12, sondern auch von C5 und C9, sowieC11 und C15 gebildet und seine beiden Seitenketten sindcis- statt trans-ständig (Abbildung 6).

Lange Zeit wurden Isoprostane für unphysiologischoder sogar für experimentelle Artefakte gehalten, bis manerkannte, dass es sich um biologisch hochaktive Wirkstoffe

A B B . 6 | N I C H T E N Z Y M AT I S C H E OX I L I PI N - S Y N T H E S E

Gezeigt sind zwei nichtenzymatisch entstandene Iso-Prostaglandine F2αα im Vergleich zum enzymatischgebildeten Prostaglandin F2αα (PGF2αα). In Pflanzen entstehen durch nichtenzymatische Oxidation vonαα-Linolensäure entsprechende Phytoprostane.

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handelt [23]. Besonders ausgeprägt sind die Effekteauf die glatte Muskulatur, und man diskutiert sogardie Existenz spezifischer zellulärer Rezeptoren. Da-rüber hinaus scheinen Isoprostane Indikatoren füroxidativen Stress und Radikal-induzierte Gewebs-schäden zu sein. Unter oxidativem Stress verstehtman die Überproduktion von gefährlichen, reakti-ven Sauerstoffspezies wie Hydroxyl-, Hydroper-oxyl-,Peroxyl- und Superoxidanion-Radikalen.Dieseentstehen bei zahlreichen enzymatischen Reaktio-nen und werden normalerweise durch Schutz-enzyme (wie Katalase, Superoxiddismutase undGlutathionperoxidase) sowie durch Oxidations-hemmer (Glutathion, Selen,Vitamine C und E usw.)unschädlich gemacht.Bei oxidativem Stress werdendiese Schutzmechanismen überrannt. Diesesscheint eine der Ursachen für allgemeine Alte-rungsprozesse sowie für spezielle Alterserkrankun-gen wie Atherosklerose, Krebs und Alzheimer-Demenz, aber auch für toxische Leber- und Nieren-schäden sowie Lungen- und Gefäßschäden beistarken Rauchern zu sein. Durch eine detaillierteErforschung der Isoprostansynthese und andererautoxidativer Stoffwechselvorgänge hofft man da-her, mehr über Zusammenhänge zwischen Lebens-weise und chronischen Erkrankungen zu erfahren.

Isoprostan-analoge Substanzen sind auch inPflanzen gefunden worden. Diese so genannten„Phytoprostane“ entstehen durch nichtenzymati-sche Oxidation von α-Linolensäure,auch hier vor al-lem in Stresssituationen wie Verwundung oder Aus-trocknung.

Anandamid, einArachidonsäureabkömmling mitCannabiswirkungAufsehen erregt hat in jüngster Zeit ein weiterer Ab-kömmling der Arachidonsäure, das Anandamid. Esentsteht nicht wie die herkömmlichen Eicosanoideüber eine Oxidationsreaktion, sondern durch Ver-knüpfung von Arachidonsäure mit Ethanolamin[11]. Anandamid (der Name erinnert an das Sans-kritwort ananda für Glückseligkeit) ist ein endoge-ner Ligand der „Cannabinoidrezeptoren“ (Abbil-dung 7).Diese finden sich vor allem im Gehirn,aberauch in anderen Organen und wurden durch ihre Ei-genschaft entdeckt, den Marihuana-Wirkstoff Te-trahydrocannabinol spezifisch binden zu können[1]. Die Droge imitiert über diesen Weg die dämp-fende Wirkung eines inhibitorischen Neurotrans-mitters. Dabei könnte es sich um Anandamid han-deln, obwohl dessen Funktion als Neurotransmitternoch nicht bewiesen ist. Die physiologische Rolledes Cannabinoidrezeptor-Systems ist ohnehin un-klar. Warum beispielsweise der Anandamidspiegelim Gehirn ausgerechnet in den ersten Stunden nach

A B B . 7 Anandamid (N-Arachidonyl-ethanolamin), ein endogener Ligand der zellulären Re-zeptoren für den Marihuana-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC).

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dem Tode stark ansteigt, ist völlig mysteriös. Anandamidwirkt auch auf den Kreislauf,und man hat vermutet,dass esmit einem blutdrucksenkenden endothelium-derivedhyperpolarizing factor (EDHF) identisch sein könnte.

Ähnlich wie Arachidonsäure ist Anandamid ein Substratvon Monooxygenasen, Lipoxygenasen und Cyclooxy-genasen. Es wird von diesen Enzymen in eine große Zahlvon Sekundärprodukten umgewandelt, deren zelluläre Wir-kungen noch weitgehend unbekannt sind.Anandamid unddas ähnlich wirkende 2-Arachidonylglycerin sind auch inInvertebraten wie Süsswasserpolypen (Hydra), Blutegeln,Seeigeln und verschiedenen Mollusken gefunden wordenund scheinen dort vor allem neuromodulatorisch zu wir-ken und Abwehrfunktionen zu haben. Bei Seeigeln hemmtein von Eizellen produziertes Anandamid zudem die akro-somale Reaktion der Spermien und könnte auf diese Weiseeine Polyspermie verhindern.

Entstehung von KrebsKrebs entsteht in aller Regel nicht plötzlich, sondern ent-wickelt sich schrittweise über Jahre und Jahrzehnte [18].Jeder Schritt scheint einer genetischen Veränderung zuentsprechen, die häufig in einer irreversiblen Mutationbesteht, durch die bestimmte Gene zu „Onkogenen“überaktiviert, andere „Suppressorgene“ dagegen ausge-schaltet werden.Für einen bösartigen metastasierenden Tu-mor müssen mehrere Genschäden – Schätzungen liegen beieinem halben Dutzend – zusammenkommen. Im Anfangs-stadium der Erkrankung werden solche Genmutationenmeist durch Umweltfaktoren wie Chemikalien, Sonnen-licht, Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Viren verursacht.In späteren Stadien kommt eine Instabilität des Genomshinzu,wahrscheinlich zurückzuführen auf eine Schädigungder zellulären Mechanismen,welche Gendefekte normaler-weise reparieren, sowie auf eine Überschwemmung derZelle mit genschädigenden Stoffwechselprodukten, häufigals Folge von oxidativem Stress [16]. Darüber hinaus be-ginnt eine Krebsvorläuferzelle irgendwann damit, ihre ei-gene Vermehrung zu stimulieren, indem sie sich beispiels-weise selbst mit zellteilungsfördernden Signalmolekülen(Wachstumsfaktoren) versorgt (eine solche „autokrine“Zellaktivierung ist im gesunden Gewebe nur für kurze Zeitund unter strenger Kontrolle, beispielsweise bei der Wund-heilung,erlaubt).Man spricht in diesem Fall auch von einer„Selbstpromotion“ der Tumorentwicklung [18]. In frühenPhasen der Krebsentstehung wirken dagegen, ähnlich wiebei den Genmutationen, vor allem Umweltfaktoren als Tu-morpromotoren. So enthält zum Beispiel Tabakrauch so-wohl genschädigende als auch tumorpromovierende Sub-stanzen, und auch ein Zuviel an Sonnenlicht wirkt als Ursa-che für Hautkrebs zugleich mutagen und promovierend.Die schrittweise Krebsentwicklung bietet die Chance, denKrankheitsprozess vorzeitig zu stoppen, entweder durchVerminderung der gefährlichen Umwelteinflüsse oderdurch Hemmung der zellulären Prozesse, die an der Tu-morentstehung beteiligt sind.

Chemoprävention von Krebs mitEntzündungshemmern

Viele Tierversuche und Beobachtungen, wonach Tumorge-webe häufig abnorme Mengen an Prostaglandinen und an-deren Eicosanoiden enthält,haben schon seit langem einenZusammenhang zwischen einem unkontrollierten Arachi-donsäurestoffwechsel und Krebs vermuten lassen. In denletzten zehn Jahren wurde dieser Verdacht durch Aufsehenerregende epidemiologische Erhebungen erhärtet. Sie ha-ben gezeigt, dass Personen, die chronisch Aspirin einge-nommen hatten, wesentlich seltener an Dickdarmkrebs, ei-ner der häufigsten und gefährlichsten Krebsarten, erkrank-ten (Abbildung 8 und [25]).Vorstufen von Darmkrebs sindgutartige Polypen, bei denen meist das Tumorsuppressor-gen APC defekt ist. Unmittelbar von Nutzen sind diese Er-kenntnisse bereits für Hochrisikopatienten, die an familiä-rer adenomatöser Polyposis coli (= APC) leiden. Infolge ei-nes vererbbaren APC-Defekts entwickeln sich bei ihnenschon in jungen Jahren enorm viele Dickdarmpolypen. Da-durch wird die Wahrscheinlichkeit einer späteren malignenEntartung sehr groß. Die Behandlung mit einem nichtste-roidalen Entzündungshemmer, in diesem Fall Sulindac,brachte die Polypen zum Verschwinden oder verhinderte,dass sie nach einer Operation wieder nachwucherten [18].Tierversuche haben diese Befunde voll bestätigt, und zwarnicht nur für Darmkrebs, sondern auch für Krebs in ande-ren Organen. Sie haben aber auch gezeigt, dass Cyclooxy-genase-Inhibitoren lediglich die Entwicklung von Krebs ausgutartigen Vorstadien unterbrechen, das Wachstum bereitsbösartiger Tumoren aber nicht hemmen können.

Tumorpromotion durch COX-2Die Untersuchungen über Zusammenhänge zwischen Ara-chidonsäurestoffwechsel und Krebs konzentrieren sich ge-

A B B . 8 | DA R M K R E B S R I S I KO

Mit nur einer Ausnahme sind alle epidemiologischen Erhebun-gen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine chronische Ein-nahme von Aspirin das Darmkrebsrisiko um etwa 50 % ver-mindert.

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genwärtig auf die Typ2-Cyclooxygenase [18, 25]. Diesesnormalerweise vor allem bei entzündlichen Prozessen auf-tretende Enzym wird nämlich nicht nur in Krebsvorstufenund Krebsgewebe aus vielen Organen (Dickdarm, Lunge,Speiseröhre, Haut, Brustdrüse, Leber, Gallengang usw.)permanent gebildet (Abbildung 9), sondern im Tierversuchkann die Tumorentwicklung auch mit den neuen selektivenCOX-2-Hemmern oder durch Ausschaltung des COX-2-Gens(Abbildung10) unterdrückt werden. Eine Überproduktionvon COX-2 wird in frühen Phasen durch Tumorpromotorenangeregt, so zum Beispiel im Tierexperiment durch Son-nenlicht oder hochentzündliche Pflanzengifte (die Phor-bolester) in der Haut oder durch sekundäre Gallensäurenim Dickdarm. In späteren Stadien ist dann die Selbststi-mulation der Tumorzellen durch Wachstumsfaktoren eineUrsache der permanenten COX-2-Bildung [17, 18]. Tier-versuche und Experimente mit Zellkulturen geben Hin-weise, dass die durch COX-2 gebildeten Prostaglandine vorallem an der Tumorpromotion beteiligt sind, nämlichdurch Stimulation der Zellteilung, Hemmung des program-mierten Zelltods (über den Krebszellen eliminiert werdenkönnen), Hemmung der Immunabwehr gegen Krebszellenund Förderung des Blutgefäßwachstums. Letzteres, auchAngiogenese genannt, ist für die Tumorentstehung vongroßer Bedeutung, da sich die wachsende Geschwulst nurso mit den nötigen Nährstoffen versorgen kann.

Angesichts der geschilderten Situation ist es nicht er-staunlich, dass selektive COX-2-Hemmer in klinischen Testsdarauf überprüft werden, ob sie sich zur Chemopräventionvon Krebs – derzeit vor allem von Dickdarmkarzinomen –eignen. Erste durchaus ermutigende Ergebnisse solcherStudien liegen inzwischen vor.

Enzymkaskaden induzieren COX-2-ProduktionFür die Überproduktion von COX-2 wird in der Zelle stetsdas COX-2-Gen aktiviert. Dieses geschieht über Signalkas-kaden,das heißt Enzymketten,welche Signalrezeptoren auf

der Zelloberfläche mit dem Zellinneren, insbesondere demGenom, verbinden. Solche Kaskaden steuern beispiels-weise die bereits erwähnten MAP-Kinasen an, welche dieFreisetzung von Arachidonsäure und die Wirkungsweisezahlreicher Transkriptionsfaktoren kontrollieren, oder dasProtein NFκB (nuclear factor κB), welches die Aktivität„pro-inflammatorischer“ Gene reguliert. Auslöser von Sig-nalkaskaden sind in der Regel extrazelluläre Signale wieHormone, Neurotransmitter, Cytokine,Wachstumsfaktoren,Entzündungsmediatoren sowie Stressfaktoren und andereUmweltreize [14, 15]. Dabei wird neben der Biosynthesevon COX-2 auch die Bildung von Wachstumsfaktoren undCytokinen stimuliert, welche ihrerseits über die genanntenSignalkaskaden COX-2 induzieren (Abbildung 11). SogarProstaglandine selbst können auf diesem Wege die Gene fürWachstumsfaktoren und COX-2 aktivieren.

Solche positiv rückgekoppelten Systeme müssen vonder Zelle strikt kontrolliert werden.Wird diese Kontrolle ge-schwächt, beispielsweise durch eine onkogene Mutationdes signalübertragenden Proteins Ras (Abbildung 11), sohat das fatale Konsequenzen wie z. B. eine Selbst-stimulation von Tumorzellen. Da Signalkaskaden nicht iso-liert funktionieren, sondern in das äußerst komplexe Netz-werk der zellulären Datenverarbeitung eingebunden sind,kann eine derartige Fehlregulation auch durch einen De-fekt an einer ganz anderen Stelle ausgelöst werden. Sokommt es nach Ausfall des APC-Suppressorgens in Darmtu-moren offenbar auf Umwegen zu unkontrollierter COX-2-Produktion, da das APC-Protein kein Bestandteil der MAP-Kinase- und NFκB-Kaskaden, sondern eines anderen Signal-weges ist [4], der keinen direkten Zugriff auf dasCOX-2-Gen zu haben scheint.

Neben Cyclooxygenasen sind offenbar auch Lipoxyge-nasen an der Tumorentwicklung beteiligt [17]. Einige vonihnen werden ähnlich wie COX-2 von Tumorzellen über-produziert und bilden große Mengen der entsprechendenEicosanoide. Letztere, allen voran 12(S)-HETE, wirken im

Normaler Dickdarm Morbus Crohn Dickdarmkarzinom

A B B . 9 Überpro-duktion von COX-2-Protein (brauneImmunfärbung)bei Morbus Crohn(Mitte), einerpräkanzerösenDarmentzün-dung, und in ei-nem Dickdarm-karzinom(rechts). Im Ver-gleich dazu nor-males Dickdarm-gewebe (links),das kaum COX-2enthält.

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Tierexperiment und in Zellkulturen chromosomenschädi-gend, hemmen das Absterben von Tumorzellen durchApoptose und fördern die Metastasierung. Diese Befundelassen an eine Krebschemoprävention mit selektivenLipoxygenasehemmstoffen denken, die für einen solchenZweck allerdings erst noch entwickelt werden müssen.

Tumorentwicklung durch oxidativen StressDie enzymatische Lipidperoxidation durch Cyclooxyge-nasen und Lipoxygenasen ist ein riskantes Spiel mit derSauerstofftoxizität und kann damit zu einer Quelle nichtnur für tumorpromovierende Gewebshormone, sondernauch für genschädigende Zwischen- und Nebenproduktewie Sauerstoffradikale, organische Radikale, Peroxide undreaktive Aldehyde werden. Wie erwähnt gelangt die Zelleunter oxidativen Stress,wenn ihre Schutzmechanismen mitder Bildung dieser gefährlichen Substanzen nicht Schritthalten.Zu einer solchen Situation kann es bei einer starkenÜberexpression von Cyclooxygenasen und Lipoxygenasen,wie wir sie in Tumorzellen beobachten, kommen. Als Folgewürde sich in der Zelle ein gentoxisches Potenzial auf-bauen,das eine der Ursachen für ihre genetische Instabilitätund damit für den beschleunigten Übergang aus dem gut-artigen in den bösartigen Zustand sein könnte. Zu derschon erwähnten „Selbstpromotion“ käme so eine „Selbst-malignisierung“ von Tumorgewebe.

Oxidativer Stress gilt inzwischen als eine Hauptursacheder Tumorentwicklung. Dieses führt uns unmittelbar zumviel diskutierten Thema Ernährung und Krebs. So ist einekrebsverhütende Wirkung von Oxidationshemmern undRadikalfängern, wie sie vor allem in pflanzlicher Nahrungzu finden sind,vielfältig belegt,während umgekehrt eine zufettreiche Ernährung oder eine unausgewogene Zufuhr vonungesättigten Fettsäuren das Krebsrisiko zu erhöhenscheint.Nach neuen Schätzungen ist mindestens ein Drittelaller Krebserkrankungen auf falsche Ernährung zurückzu-führen.

Eicosanoide und AlzheimerkrankheitDer Verdacht, dass ein fehlregulierter Arachidonsäurestoff-wechsel zusammen mit oxidativem Stress nicht nur beiKrebs, sondern auch bei der Alzheimerkrankheit eine fataleRolle spielen könnte, geht auf Beobachtungen aus den letz-ten zehn Jahren zurück [12]. Danach haben Personen, diewegen chronischer rheumatischer Arthritis oder anderenKrankheiten über viele Jahre nichtsteroidale Entzündungs-hemmer genommen hatten, ein um etwa 50% verringertesAlzheimer-Risiko. Ähnlich ermutigend waren die Ergeb-nisse für Patienten, die sowohl mit antioxidativen Vitami-nen als auch mit Aspirin behandelt worden waren. Zahl-reiche weitere Erhebungen sowie klinische Studien stützendiese Befunde.

Als eine molekulare Ursache der Alzheimerkrankheitgilt die krankhafte Synthese des Amyloidproteins β/A4,wel-ches zusammen mit anderen Proteinen im Gehirn unlösli-che Ablagerungen („Plaques“) bildet, die zum Absterben

von Nervenzellen führen. Ähnliche Amyloidproteine sam-meln sich in vielen Organen bei chronischen Entzündun-gen an, was meist zur Gewebszerstörung führt. Danachkönnte auch die Amyloidbildung im Gehirn durch einenEntzündungsprozess zustande kommen,was die Alzheimer-verhütende Wirkung von Entzündungshemmern zwangloserklären würde [21]. In der Tat gibt es zahlreiche Indizien,dass diese Vorstellung richtig ist. So finden sich in den er-krankten Gehirnarealen große Mengen von proinflamma-torischen Cytokinen und anderen Entzündungsmedia-toren, welche die Mikrogliazellen, also die immun- und ent-zündungsaktiven Makrophagen des Gehirns, aktivieren.Diese produzieren daraufhin Eicosanoide, reaktive Sauer-stoffradikale und andere gewebsschädigende und entzün-dungsfördernde Faktoren. Zumindest in der Zellkulturkönnen freie Radikale die Amyloidbildung stimulieren,während Antioxidantien hemmend wirken.

Ähnlich wie bei Krebs könnte auch hinter der Alzhei-mererkrankung ein sich selbst stimulierender Prozess ste-hen, bei dem Entzündungen einerseits Ursache der Amy-loidablagerung sind, der dadurch induzierte Zelltod ande-rerseits Ursache von entzündlichen Vorgängen ist. Eineweitere Parallele zur Tumorentwicklung könnte in einerSchlüsselrolle von COX-2 bestehen. Dieses Enzym findetsich zwar auch in gesunden Gehirnarealen, tritt aber in er-krankten Bereichen deutlich vermehrt auf. Amyloid akti-viert in Mikrogliazellen die COX-2-Synthese, während um-

A B B . 1 0 | COX- 2 U N D DA R M K R E B S

Die gentechnische Inaktivierung des Tumorsuppressor-GensAPC führt bei Mäusen dazu, dass sich sehr viele Darmpolypenentwickeln, die COX-2 überproduzieren (die Situation ent-spricht der Erbkrankheit Adenomatöse Polyposis coli desMenschen). Nach einfachem (*) oder doppeltem (**) „Knock-out“ des COX-2-Gens geht die Anzahl der Polypen drastischzurück (Experiment von Oshima et al. 1996, nach [17, 18, 25]).

Tierversuch Zahl der Dickdarmpolypen

Eine aktuelle Über-sicht über Eicosa-noide in Invertebra-ten bietet das kürz-lich erschieneneBuch „Eicosanoidsin Invertebrate Sig-nal TransductionSystems“ von D.W.Stanley (PrincetonUniversity Press2000).

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gekehrt Prostaglandine die Amyloidbildung fördern. Diesesmag eine Erklärung dafür sein, dass die COX-2-Expressionim Gehirn mit verstärktem und nicht – wie in Tumoren –mit vermindertem Zelltod einhergeht.

Wie bei Krebs werden auch bei der Alzheimerkrankheitgroße Hoffnungen auf eine Prävention mit den neuen hoch-selektiven COX-2-Hemmern gesetzt.Es sei jedoch nicht ver-schwiegen,dass ein Kausalzusammenhang von COX-2-kata-lysierter Prostaglandinsynthese und Alzheimererkrankungnoch nicht endgültig bewiesen ist.Vielmehr gibt es experi-mentelle Befunde, die mit einem solchen Konzept nicht inEinklang zu stehen scheinen.Solche eher theoretischen De-batten sollten jedoch therapeutische Studien mit Cyclooxy-genase-Inhibitoren nicht verzögern. Allerdings muss vor ei-ner unkontrollierten Einnahme hoher Dosen von Aspirinoder anderen Entzündungshemmern wegen der zuweilen

nicht ungefährlichen Nebenwirkungen aus-drücklich gewarnt werden. Inwieweit dieser Vorbe-halt auch für die selektiven COX-2-Hemmer gilt,wird die Zukunft zeigen.

ZusammenfassungAls Eicosanoide bezeichnet man eine umfangreicheFamilie von Wirkstoffen, die mit Hilfe zahlreicher En-zyme – Cyclooxygenasen, Lipoxygenasen, CytochromP450-Monooxygenasen u.a. – in praktisch allen Zell-typen des tierischen Organismus durch Oxidation vonArachidonsäure gebildet werden. Im Pflanzenreichentstehen analoge Wirkstoffe vor allem aus Linol-und Linolensäure. Zu den Eicosanoiden zählen be-kannte Gewebshormone wie Prostaglandine, Throm-boxane, Prostacycline und Leukotriene sowie zahlrei-che andere Faktoren – Lipoxine, Hepoxiline, Trioxiline,Epoxyeicosanoide, Isoprostane u.v.a. – über derenphysiologische Rolle nur wenig oder nichts bekanntist. Isoprostane entstehen auf nichtenzymatischemWege und gelten als Indikatoren für Sauerstofftoxi-zität oder „oxidativen Zellstress“. Spezielle, nichtdurch Oxidation entstehende Arachidonsäuremeta-boliten sind die Anandamide (z.B. Arachidonyl-etha-nolamin), die als endogene Aktivatoren der sog.Cannabinoid-Rezeptoren Signale im Zentralnerven-system zu sein scheinen. Eicosanoide sind an der Re-gulation der meisten Zell- und Gewebsfunktionenbeteiligt. Eine ihrer Hauptaufgaben ist es, die Reaktio-nen einzelner Zellen zu einer übergeordneten Ge-websfunktion zu integrieren, so z.B. bei Abwehr- undHeilungsprozessen (Entzündung!). Hemmstoffe derEicosanoid-Biosynthese wie Aspirin werden nicht nurgegen Schmerzen, Fieber und Entzündungen, son-dern auch zur Prävention von Herz- und Gehirn-infarkten eingesetzt. Sie können sogar gegen Krebsund Alzheimer-Krankheit schützen. Ein fehlgeleiteterArachidonsäurestoffwechsel spielt demnach eineunheilvolle Rolle bei der Entstehung schwerwiegen-der Erkrankungen. Bei Krebs ist es vor allem die

Entwicklung von Tumoren aus vorgeschädigten Zellen, beider das Cyclooxygenase-Isoenzym „COX-2“ als endogener„Tumorpromotor“ wirkt. Darüber hinaus entstehen imArachidonsäurestoffwechsel genschädigende Nebenpro-dukte, die zur hohen Mutationshäufigkeit (genetischen Insta-bilität) von Tumorzellen und dadurch zur malignen Entar-tung von Geschwülsten, ebenso aber auch zum Absterbenvon Nervenzellen im Gehirn von Alzheimer-Patienten bei-tragen könnten.

SummaryEicosanoids form a large family of hormone-like factors,which are found in almost all animal cell types. They are pro-duced through oxidation of arachidonic acid catalyzed by aseries of specific enzymes, i.e. cyclooxygenases, lipoxyge-nases, cytochrom P450-monooxygenases. In plant cells, re-

A B B . 1 1 | B I OS Y N T H E S E VO N TG F αα U N D COX- 2

Positiv rückgekoppelte Biosynthese des Wachstumsfaktors TGFαα (transforming growth fac-tor αα) und von COX-2 über eine intrazelluläre Signalkaskade. Das am Ende der Kaskade ste-hende Enzym MAP-Kinase aktiviert durch Phosphorylierung die Transkriptionsfaktoren fürdie TGFαα- und COX-2-Gene sowie die Arachidonsäure-freisetzende Phospholipase A2 (PLA2,vgl. Abb.2). In diesem stark vereinfachten Schema entspricht jeder schwarze Pfeil einerWechselwirkung zwischen zwei Komponenten (Proteinen). In vielen Tumoren ist die Kon-trolle dieser Kaskade durch eine onkogene Mutation des Ras-Proteins (oder einer anderenKomponente) geschwächt. Der TGFαα-Rezeptor ist ein Doppelmolekül mit einem enzymatischaktiven Zentrum (Tyrosinkinase) auf der Innenseite, der Prostaglandinrezeptor eine langePolypeptidkette, die siebenmal die Zellmembran durchdringt.

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lated factors are derived from linoleic and linolenic acid. Theeicosanoid family comprises well-known tissue hormonessuch as prostaglandins, thromboxanes, prostacyclins, andleukotrienes, as well as other factors, i.e. lipoxins, hepoxilins,trioxilins, epoxyeicosanoids, isoprostanes, etc., the physio-logical function of which is still widely mysterious. Iso-prostanes, which are formed non-enzymatically, are thoughtto provide indicators of oxygen toxicity or „oxidative cellularstress“. A special class of arachidonic acid metabolites, whichare produced along non-oxidative pathways, are the anan-damides (i.g. arachidonyl ethanolamine), which, as endo-genous ligands of the so-called cannabinoid receptors, mayact as signals in the central nervous system.Eicosanoids are involved in the regulation of most cellularand tissue reactions. One of their major functions is to syn-chronize the reactions of individual cells to an intergrated tis-sue response, for instance in the course of defence and repairprocesses (inflammation!). Inhibitors of eicosanoid biosyn-thesis, such as aspirin, are used not only against pain, fever,and inflammations but also for the prevention of heart at-tacks and stroke. Moreover, they have been found to protectagainst cancer and Alzheimer’s dementia. A dysregulation ofarachidonic acid metabolism, therefore, plays a disastrousrole in severe diseases. As far as cancer is concerned, it is inparticular the development of tumors from pre-damagedcells which is promoted by the cyclooxygenase isoenzyme„COX-2“. The arachidonic acid metabolism is, in addition, asource of genotoxic byproducts which may contribute to ge-netic instability and thus malignant progression of tumors aswell as to the degeneration of nerve cells in the brain ofAlzheimer patients.

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AutorFriedrich Marks, geb. 1936 in Berlin. Studium derChemie an den Universitäten Marburg und Mün-chen. 1964 Promotion am MPI für Biochemie, Mün-chen (A. Butenandt). „Postdoctoral fellow“ am MPIfür Biochemie, Baylor College of Medicine (Houston,Texas) und DKFZ Heidelberg. Derzeit Prof. für Bioche-mie an der Universität Heidelberg und Abteilungslei-ter sowie Sprecher des Forschungsschwerpunkts Tu-morzellregulation am DKFZ. Arbeitsgebiete: Chemi-sche Karzinogenese mit Schwerpunkt auf zellulärenSignalübertragungsprozessen (Proteinphosphorylie-rung, Arachidonsäurestoffwechsel).

Anschrift: Prof. Dr. rer. nat. Friedrich Marks, Deutsches Krebsforschungszentrum, Postfach 101949, D-69009 Heidelberg. E-mail: [email protected]

Zur weiterführendenLiteratur siehe auch:Enzymes in LipidModification, heraus-gegeben von Born-scheuer, U./DGF,erschienen bei Wiley-VCH, Wein-heim 2000. ISBN 3-527-30176-3.