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UNTERNEHMEN REGION Ausgabe 2|2010 Ein Ziel vor Augen Schwerpunkt Gesundheit Weitere Themen: Ganzheitliche Gebäudesanierung Intelligentere Messtechnik durch digitale Bildverarbeitung Bitterfeld-Wolfen im Porträt

Ein Ziel vor Augen - bmbf.de · genannten Ultraschall-Scherwellen-Tomographie die Struktur bestehender Wände zerstörungsfrei geprüft (mehr dazu im Kasten). Das nuBau-Projekt, das

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Page 1: Ein Ziel vor Augen - bmbf.de · genannten Ultraschall-Scherwellen-Tomographie die Struktur bestehender Wände zerstörungsfrei geprüft (mehr dazu im Kasten). Das nuBau-Projekt, das

UNTERNEHMENREGIONAusgabe 2|2010

Ein Zielvor Augen

Schwerpunkt GesundheitWeitere Themen: Ganzheitliche Gebäudesanierung

Intelligentere Messtechnik durch digitale Bildverarbeitung Bitterfeld-Wolfen im Porträt

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ImpressumHerausgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)Referat „Regionale Innovations-initiativen; Neue Länder“11055 Berlin

Bestellungenschriftlich an den HerausgeberPostfach 30 02 3553182 Bonnoder perTel.: 0 18 05 - 262 302Fax: 0 18 05 - 262 303(Festnetzpreis 14 ct/min, höchstens 42 ct/min aus Mobilfunknetzen)E-Mail: [email protected]: www.bmbf.de

Redaktion und GestaltungPRpetuum GmbH, Mü[email protected]

BildnachweisSeite 15, Karl Will Seite 18, LMBV mbH Seite 25, Stadt Bitterfeld-Wolfen Seite 38, Carsten Grötzinger Seite 40, Sebastian Bundholtz Seite 41, Carsten Grötzinger Seite 42/43, 46, OncoRay/André WirsigSeite 47, Marc Waschkau

DruckereiSchlossdruckerei zu Püchau,Leipzig

Bonn, Berlin 2010

„Unternehmen Region“ erscheint 3-mal im Jahr und wird unentgeltlich abgegeben.

Liebe Leserin, lieber Leser,

schon heute ist die Gesundheitswirtschaft eine der größten Branchen in Deutsch land mit mehr als 4 Millionen Beschäftigten und einem erheblichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Für die Unternehmen im Gesundheitsbereich werden für die kommenden Jahre hohe Wachstums potenziale prognostiziert, denn der Bedarf an Gesundheitsleistungen steigt; auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft. Innovationen in der Gesundheitsforschung können die Vorsorge, Diagnose und Therapie sicherer, schneller und preiswerter machen. Daher gehört das Themenfeld Gesundheit/Ernährung zu den fünf zent-ralen Forschungsschwerpunkten der Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung.

Auch viele Unternehmen-Region-Initiativen forschen und entwickeln in diesem für uns alle wichtigen Bereich. Einige stellen wir Ihnen in diesem Magazin vor, weitere finden Sie auf der Homepage von Unternehmen Region.

In der Reihe unserer Städteporträts stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe die Region Bitterfeld-Wolfen vor. Und natürlich finden Sie wie immer im Magazin weitere Geschichten aus der Unternehmen-Region-Welt.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Ihre Redaktion

E d i t o r i a l

Inhalt

Kompetenz-Profile 3

Immer an den Nutzer denkenDas Unternehmen-Region-Projekt „NuBau“ an

der Bauhaus-Universität Weimar stellt beim

Sanieren die Bewohner in den Mittelpunkt

Gut gesehen ist halb gemessen 8

Das InnoProfil „Qualimess“ an der

Technischen Universität Ilmenau entwi-

ckelt die intelligente Messtechnik mit

digitaler Bildverarbeitung weiter

Markt und Wettbewerb 12

Magdeburg Wo Techniker die Sprache der

Mediziner lernen können

Region im Profil 18

Bitterfeld-WolfenDie Stadt der chemischen Industrie

baut ihren Bogen in die Zukunft

Schwerpunkt 26

Ein Ziel vor AugenWie die InnoProfile-Initiative MIntEye an der

Technischen Universität Ilmenau die Diagnostik

von Augenkrankheiten verbessern will

Der unbekannte Feind 32

Wissenschaftler des Jenaer Zentrums

für Innovationskompetenz SEPTOMICS

bekämpfen die gefährliche Sepsis

Umdenken bei der Diagnose Krebs 38

In Berlin wird der Einsatz von peptidischen

Bindungsmolekülen erforscht, um eine

individuelle und damit bessere Krebstherapie

mit geringeren Nebenwirkungen zu ermög-

lichen.

Kampf gegen tödliche Tumore 42

Im Dresdner Zentrum für Innovations kompe-

tenz OncoRay entwickeln Wissenschaftler

neue Methoden der Strahlentherapie

Gesund in Greifswald 47

Drei Unternehmen-Region-Projekte rund

um das Thema Gesundheit sind in der

Ostsee-Hansestadt Greifswald angesiedelt

Ansprechpartner 55

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K o m p e t e n z - P r o f i l e

Immer an den Nutzer denken

Das Unternehmen-Region-Projekt „nuBau“

an der Bauhaus-Universität Weimar stellt

beim Sanieren die Bewohner in den Mittelpunkt

Das ist Feelix. Er kommt aus Dänemark, und er hat den lieben lan-gen Tag nichts an de res zu tun als in Labors und Versuchsaufbauten herumzusitzen – um Messungen zum Raumklima exakter zu machen. „Immerhin verbringt der Mensch im Schnitt etwa 90 Prozent seiner Lebenszeit in Gebäuden“, weiß nuBau-Projektleiter Conrad Völker.

Nnchrr – Chrr, Nnchrr – Chrr. Ungewohnte Geräusche sind im Seminarraum 109 der Bauingenieur-Fakultät der Bauhaus-Universität Weimar zu hören. Ist da etwa jemand eingeschlafen? „Kann schon mal vorkommen“, sagt Conrad Völker und lacht. „Nein, im Ernst – das muss so sein“, betont der Leiter der Nach-wuchs forschungsgruppe und richtet die Wärmebild-Kamera auf das ungerührt auf einem Schreibtischstuhl lümmelnde Modell mit dem schönen Namen Feelix aus. „Die simulierte At mung unseres ‚Manikins‘ macht die Messergebnisse zur ther-mischen Behaglichkeit realistischer.“ Und hätte Feelix hinter der schicken randlosen Brille ein paar Augen, könnte man ihn mit seinem weißen Fakultäts-T-Shirt, dem schwarzen Sakko, den mo -dischen Jeans und den lässigen Turnschuhen glatt für ein Mitglied von Conrad Völkers neunköpfiger Forschergruppe hal-ten. „In einem gewissen Sinn ist er das ja auch“, meint Völker, und zieht Feelix in seinem Stuhl nach oben: „Etwas mehr Hal-tung, Mann!“

Das ist Feelix. Er kommt aus Dänemark, und er hat den

lieben langen Tag nichts an de res zu tun als in Labors

und Versuchsaufbauten her-umzusitzen – um Messungen

zum Raumklima exakter zu machen. „Immerhin ver-

bringt der Mensch im Schnitt etwa 90 Prozent seiner

Lebenszeit in Gebäuden“, weiß nuBau-Projektleiter

Conrad Völker.

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K o m p e t e n z - P r o f i l e

Feelix kommt aus Dänemark, und er hat weltweit 300 Brüder, die den lieben langen Tag nichts anderes tun als in Labors und Versuchs auf bauten herumzusitzen. „Das kann man ja kei nem Menschen zumuten“, weiß Nachwuchs forscher Jens Schmidt, „stunden- und tagelang ruhig auf einem Stuhl sitzen, nur um realistische Messungen möglich zu machen.“ Immer hin gibt der Mensch schon im Sitzen 100 bis 120 Watt Wärmeenergie ab: „Das wirkt sich durchaus auf das Raumklima aus“, so Schmidt: „Wenn wir ganz genau messen wollen, brauchen wir Feelix.“ Aber wozu der ganze Auf wand? „Wir haben in einer Umfrage fest ge stellt, dass für die Nutzer eines Gebäudes das Raum klima am wichtigs-ten ist“, erläutert Conrad Völker. „Gerade mit der thermischen Behag lich keit sollte man sich daher möglichst früh ausein-andersetzen, wenn man eine Sanierung plant“, so der nuBau-Projektleiter: „Immerhin verbringt der Mensch im Schnitt etwa 90 Prozent seiner Lebenszeit in Gebäuden.“ Fühlt man sich dort unwohl, sinke die Leis tungsfähigkeit, und man wird leichter krank, weiß der Nachwuchs for schungs grup penleiter. Im Rah men des Wei marer InnoProfile-Pro jekts „nuBau“ (nutzerorientierte Bausanie rung) wird daher ein Soft ware-Tool entwickelt, mit dem Luftströmungen im Raum und die Thermo regulation des Men-schen gekoppelt simuliert werden können – unter anderem mit-hilfe von Feelix.

Altbau-Sanierung als Wirtschaftfaktor

Die Bauhaus-Universität Weimar beschäftigt sich seit Langem mit der Sanierung von Be stands gebäuden und Altbauten. „Wir haben einen recht hohen Anteil an sanierungsbedürftigen Ge bäu den in Thüringen. Daher die Ausrichtung etlicher Fakul-täten der Weimarer Universität auf die Instandsetzung und Re -vi tali sierung von Gebäuden“, erklärt Bauphysik-Professor Oliver Kornadt, einer der Mentoren des nuBau-Projekts: „Vor allem für die Stadt Weimar, die 1999 europäische Kulturhauptstadt war und die umgebende Region mit ihren zahlreichen Baudenk-mälern haben Altbausanierung und Gebäudeinstandsetzung auch wirtschaftlich eine hohe Bedeutung.“ Erst durch ein gut er haltenes, möglichst durchgängiges historischen Stadtbild wird die Attraktivität Weimars und anderer Städte der Region für Besucher aus aller Welt gewahrt, glaubt Kornadt: „Und dazu wollen und können auch wir einen Beitrag leisten.“

Seit gut eineinhalb Jahren arbeitet die nuBau-Nachwuchsfor-schungsgruppe der Bauhaus-Universität um Teamleiter Conrad Völker an Verfahren und Methoden für eine nutzerorientierte und kostengünstige Bausanierung. Dabei steht ein Projekt im Mittel punkt: „Wir entwickeln ein digitales Gebäudemodell, das alle relevanten Angaben zum Ist-Zustand eines Bauwerks verar-beiten kann“, so Völker. Zu diesem Modell gehört die bauseitige Aufnahme einer Raumgeometrie mit verschiedenen Aufmaß-tech niken, die Ablage der Daten in einem Bauwerksmodell und die Integration weiterer Informationen wie etwa Materialart und Materialzustand. So wird beispielsweise mithilfe der so -genannten Ultraschall-Scherwellen-Tomographie die Struktur be stehender Wände zerstörungsfrei geprüft (mehr dazu im

Kasten). Das nuBau-Projekt, das vom BMBF durch das InnoProfile-Pro gramm über fünf Jahre mit fast vier Millionen Euro gefördert wird, ist eines der größten Forschungsvorhaben der Bauhaus-Universi tät. Und dass die Weimarer Wissenschaftler hierfür besonders quali fiziert sind, steht für Bauphysiker Prof. Kornadt außer Frage: „Das hier vorhandene Wissen um bewährte und innovative Metho den zur Sanierung bietet gute Voraussetzungen, um geeignete Methoden für eine effiziente und nutzerorientier-te Bausanierung weiterzuentwickeln.“ Aber was ist das eigent-lich – eine nutzerorien tier te Sanierung? „Das be deu tet, den Planungs- und Sanierungs prozess im Vergleich zum konventio-nellen Bauen wesentlich stärker auf die Anforde run gen und Bedürfnisse des künftigen Ge bäudenutzers aus zurichten“, erklärt Projektleiter Oliver Kornadt: „Das bringt ein besseres Ergebnis, erfordert aber auch neue Me tho den, verbesserte Baustoffe und ein vernetztes Zusammen arbeiten aller Beteiligten.“ In der Praxis sei das allerdings immer noch schwierig umzusetzen, sagt Prof. Dirk Donath, Architekt, Informatiker und Mentor des Ge bäu de-modells: „Häufig ist ein unzureichender Datenaustausch zwi-schen den Beteiligten festzustellen, meist aufgrund mangelhafter Software-Möglichkeiten und nicht vorhandener Schnittstellen.“ An seinem Institut „Infor matik in der Architektur“ wird das digita-le Gebäudemodell entwickelt: „Das wird die Zusammenarbeit bei Sanierungspro jekten deutlich verbessern.“ Und nicht nur das: „Mit dem Modell lassen sich verschiedene Sanierungsvarianten vergleichen, um die für den Nutzer beste Lösung zu finden“, so Donath. So kann etwa die Auswirkung eines anderen Baumaterials auf das Raumklima simuliert werden.

Digitales Gebäudemodell für bessere Zusammenarbeit

Raumstruktur, Materialbeschaffenheit, Statik, Nutzung – wer ein Gebäude sanieren will, müsse viele Faktoren in die Planung einbe-ziehen, weiß Dirk Donath: „Umso wichtiger ist es, exakte und nach-prüfbare Informationen zu haben, auf deren Grundlage ein Pro-jekt geplant wird.“ Zudem sind an der Sanierung von Gebäu den viele Spezialisten beteiligt: Architekten, Bauingenieure, Sta tiker, Haustechniker, viele Handwerker, oft auch Denkmal pfle ger und Restaurateure. „Deren Zusammenarbeit ist meist schwie rig, da häufig dezentral und mit unterschiedlichen Pro grammen und Mo dellen geplant wird“, sagt Thorsten Thurow, ein promovierter Informatiker, der die Entwicklung des digitalen Gebäudemodells leitet: „Das große Problem dabei ist, dass jede neue Messung und jede kleine Änderung zwangsläufig die Ar beits grundlage aller

„Unser Ziel ist es, eine ganzheitliche

Ge bäude sanierung möglich zu machen.“

„Unser Ziel ist es, eine ganzheitliche Ge bäude sanierung möglich zu machen.“

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Schon im Sitzen gibt der Mensch 100 bis 120 Watt Energie ab, wie das Bild der Wärmekamera zeigt. „Das wirkt sich durch-aus auf das Raumklima aus“, so Völker. „Gerade mit der thermischen Behaglichkeit sollte man sich daher möglichst früh auseinandersetzen, wenn man eine Sanierung plant“, so der nuBau-Projektleiter.

Im Rahmen des Weimarer InnoProfile-Projekts wird ein Software-Tool entwickelt, mit dem Luftströmungen im Raum und die Thermoregulation des Menschen gekoppelt simu-liert werden können – unter anderem mithilfe von Feelix.

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Das nuBau-Projekt „Polymere Bindemittel und Baustoffe“ entwickelt sogenannte Ergänzungsbaustoffe, mit denen etwa morsche Holzbalken eines alten Dachstuhls oder marode Ziegelmauern wieder stabilisiert werden können. Unter dem Mikroskop werden verschiedene Proben analysiert.

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K o m p e t e n z - P r o f i l e

Beteiligten verändert.“ Das digitale Ge bäu de modell der Bauhaus-Universität setzt genau an dieser Stelle an. „Mit einem integrierten Modell lassen sich nicht nur Planungsfehler vermeiden, sondern auch Zeit und Geld sparen“, so Thurow.

Planungs-Software ist in der Architektur seit Langem gebräuch-lich. Das Konzept der Weimarer Nachwuchsforscher trägt je doch den speziellen Anforderungen der Bausanierung Rech nung: „Das gibt es so bisher nicht“, weiß Teamleiter Völker. Das Bau-werksmodell ist dynamisch angelegt und besteht im Prinzip aus einer kleinen, einfachen Grundstruktur. „Anhand verschiedener Applikationen kann die Modell-Grundlage, die sogenannte Fach-schale, je nach Planungsziel und Gebäude-Eigenschaften indivi-duell definiert und erweitert werden“, so Völker. Zudem werden die Daten in Echtzeit verarbeitet. Und das digitale Ge bäudemodell ist zukunftsorientiert: Die „Fachschale“ wird mit kommenden Programmen kompatibel bleiben, betont Con rad Völker: „Die einmal gesammelten Daten können auch bei späteren, erneuten Sanierungsmaßnahmen verwertet werden.“

Ganzheitliche Gebäudesanierung

Bei nuBau wird aber nicht nur für neue Software geforscht. „Das digitale Gebäudemodell ist gewissermaßen die Klammer, der

Container unseres Projekts“, erklärt Nachwuchsforschungs-grup penleiter Völker: „Unser Ziel ist es, eine ganzheitliche Ge bäude sanierung möglich zu machen.“ So konzentriert man sich an der Professur Bauphysik auf die Bereiche Sanierung unter Energie-Gesichtspunkten, thermische Behaglichkeit und Feuchtigkeits verhältnisse im Gebäude. „Das alles wollen wir mit unserem Modell simulieren, um aufwändige, teure Unter su-chungen zu vermeiden“, sagt Bauphysiker Prof. Oliver Kornadt. Viele Messverfahren dazu gebe es schon, manches müsse aber erst entwickelt werden. „So haben wir einen Versuchsstand auf-gebaut, der Luftun dich tigkeiten in Bauteilen lokalisieren kann“, erläutert Kornadt. Die Patentanmeldung für den großen schwar-zen Hightech-Kas ten läuft derzeit, so Forschungsleiter Jens Schmidt: „Luftzug im Gebäude wird nicht nur von den Nutzern als sehr unbehaglich empfunden. Er führt auch zu einem erheb-lichen Energie verlust.“

Vom schwarzen Kasten geht’s weiter ins Material-Prüflabor von Professorin Andrea Dimmig-Osburg. Sie untersucht mit ihren Mitarbeitern am Lehrstuhl „Polymere Bindemittel und Bau-stoffe“ im Rahmen des nuBau-Projekts, mit welchen sogenann-ten Ergänzungsbaustoffen etwa morsche Holzbalken eines alten Dachstuhls oder marode Ziegelmauern wieder stabilisiert wer-den können. Umgeben von Hunderten von Proben verschie-

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denster Baustoffe sitzt Nachwuchsforscher Albert Vogel an der Steuerung eines Zugversuchs. Ein dicker, langer Stahlbetonstab ist zwischen den beiden Sensoren des Testgeräts eingespannt. „Hier testen wir das Trag- und Verformungsverhalten von mit verschiedenen Er gän zungsbaustoffen behandelten Bauteilen“, erklärt Bau stoffkundler Vogel. Er startet den Versuch, und bald beginnt der Betonstab zunehmend zu knirschen, bis er einen Riss bekommt. „Die Erkenntnisse, die wir hier gewinnen“, sagt Prof. Dimmig-Osburg, „fließen auch in ein Simulationsmodell ein, das solche aufwändigen Versuche demnächst weitgehend ersetzen soll.“

Zerstörungsfreie Bauzustandsanalyse

Im Bereich Materialentwicklung und -Prüfung werden darüber hin aus neue Verfahren zur Bauzustandsanalyse erprobt. „Um Bau-maßnahmen in alten Gemäuern adäquat planen und durchführen zu können, sind Informationen über verwendete Materialien, Wand stärken und etwaige Schäden unerlässlich“, erklärt der pro-movierte Baustoffkundler Wolfgang Erfurt, er ist Mentor für das Projekt „zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden“. Da es sich nicht selten um denkmalgeschützte Objekte handelt, soll die Zu standsanalyse so weit wie möglich ohne Beschädigung des Baukörpers erfolgen. So experimentiert Erfurts Team mit

verschie denen akustischen Messmethoden, die eine zerstörungs-freie Prüfung von Bauteilen möglich machen.

Ganz neu im Gerätepark der Baustoffkundler ist ein Ultraschall-Scherwellen-Tomograph (siehe Kasten Seite 7), den Nach wuchs-forscher René Tatarin an einer speziell präparierten Betonprobe testet. Da zu hat Tatarin den mit 40 Geber-Sensoren ausgestatteten To mo gra phen in einen kleinen Wagen eingesetzt, mit dem er dann Streifen um Streifen des eine halbe Tonne schweren Beton-Pro be körpers abfährt. Auf dem Bildschirm des Laptops, der zur Aus wer tung dient, zeigen sich die eingebauten Stahlstäbe und Kiesel nester als rote Streifen und Flecken. „So können wir etwa tragende Wände komplett untersuchen“, stellt Projektleiter Völ-ker fest: „Mit den bisher üblichen Probebohrungen bekommen wir ja immer nur punktuelle Ergebnisse.“ Einen halben Me ter neben der Bohrung könne es schon wieder ganz anders aussehen, so Völker: „Die Ergebnisse, die wir mit dem Scherwellen-Tomo -graphen bekommen, sind deutlich zuverlässiger.“ Und bis sich solche Untersuchungen in das digitale Gebäudemodell integrie-ren lassen, wird es auch nicht mehr lange dauern. Dabei wird Feelix die Nachwuchsforscher jedoch leider nicht unterstützen können …

Ultraschall-Scherwellen-Tomographie Mithilfe dieser neuen, aus der Medizin abgeleiteten Untersuchungsmethode kann eine zerstörungsfreie Strukturanalyse von Bauwerksteilen vorgenommen wer-den – so etwa die Bestimmung der Wand-dicke, die Lage von Struktur elementen, Fehlstellen, Risse oder Delaminationen (Störungen im Verbund von Bauteilen). Die gewonnenen Erkenntnisse lassen Rück-schlüsse auf Materialeigenschaften zu und sollen später in das digitale Gebäude-modell einfließen.

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K o m p e t e n z - P r o f i l e

Gut gesehen ist halb gemessen

Gut gesehen ist halb gemessen

Das InnoProfil „QualiMess“ an der Technischen Universität Ilmenau

entwickelt die intelligente Messtechnik mit digitaler Bildverarbeitung weiter

Disko im Industriegebiet: Steffen Lübbecke lässt die Rolläden herunter und dimmt das Licht. Dann schaltet der Leiter des Trans- ferzentrums Bildverarbeitung in Ilmenau das neue Demo-Prüf-gerät auf dem Tisch ein. Die auf einer Aluscheibe montierten kleinen Federn drehen sich immer schneller. Das Rotlicht der gegenüber positionierten Kamera blitzt wie ein Stroboskop auf den wild kreisenden Werkstücken. Da sollen nun noch winzigste Fehlstellen erkannt werden? Aber es funktioniert: Auf dem Bild-schirm des Auswertungs-Computers erscheinen in schneller Ab -folge gestochen scharf die Standbilder der einzelnen Federn – samt der dazugehörigen Messdaten und der Angabe, ob das Stück noch innerhalb der Toleranzgrenzen liegt. „Mit der neuen Auswertungs-Software können wir bis zu 750 Federn in der Minute testen“, sagt Lübbecke: „Das ist 25 Prozent schneller als

mit den bisher üblichen Messmethoden.“ Maik Rosenberger nickt zufrieden: „Damit erfüllen wir die hohen Ansprüche der Kfz-Zulieferer auf jeden Fall.“ Die wollen mindestens zehn Fe dern pro Sekunde mit einer Genauigkeit von einem hundertstel Milli meter messen, weiß der QualiMess-Nachwuchs for schungsgruppenleiter: „Das schaffen wir nun leicht.“

Der Weg zu diesem vom „Steinbeis-Transferzentrum Qualitäts-sicherung und Bildverarbeitung“ (STZ) zur Serienreife entwickel-ten Mess-System war weit – aber es ist ein erstes fassbares Er geb-nis des InnoProfile-Projekts „QualiMess“ an der Maschinenbau-Fakultät der Universität Ilmenau. „Die Initiative beschäftigt sich mit der Untersuchung und Entwicklung der Bildverarbeitung der nächsten Generation – vor allem für Qualitätssicherung und

Mit einem Bildverarbeitungssystem werden die Toleranzen auf einer

Leiterplatte gemessen – derzeit noch teurer, aber zuverlässiger als mit

herkömmlichen, taktilen Methoden.

werden die Toleranzen auf einer Leiterplatte gemessen – derzeit noch teurer, aber zuverlässiger als mit herkömmlichen, taktilen Methoden.

Mit einem Bildverarbeitungssystem

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Messtechnik“, erklärt Projektleiter Maik Rosenberger. Das Vor ha-ben wird bis 2013 über eine Laufzeit von fünf Jahren mit über 2,5 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium gefördert. In Zusammenarbeit mit mehreren Unternehmen aus der Region und dem STZ forscht die sechsköpfige QualiMess-Gruppe seit zwei Jahren an diversen neuen Technologien zur digitalen Bild ver-arbeitung. „Unser Ziel ist, die etablierten Systeme in allen Berei-chen zu verbessern“, so der promovierte Maschinenbauer Rosen-berger: „Erhöhung der Geschwindigkeit, Verringerung der Messunsicherheit, Verbesserung der Robustheit und Er schließung neuer Aufgabenfelder durch Erweitern der Mess bereiche.“

Warum gerade Bildverarbeitung? „Die digitale Bildverarbeitung gehört zu den wichtigsten Technologien des 21. Jahrhunderts“,

sagt Professor Gerhard Linß, Mentor der Initiative an der Ilme-nauer Universität. Das zeige sich etwa auch daran, dass an der TU in drei unterschiedlichen Fachgebieten an drei verschiede-nen Fakultäten jeweils für andere Anwendungsfelder an Bild-verar beitungsprojekten geforscht werde, so der Leiter des STZ. „Die digitale Bildverarbeitung wird heute vielfältig eingesetzt – beispielsweise in der Verkehrstechnik für Fahrerassistenz- und Maut systeme, in der Sicherheitstechnologie für biometrische Aus weise und Infrarottechnik, in der Medizin- und Gen technik, in der Lebensmittelherstellung und -Prüfung, in der Sensor tech-nik und in der Optik“, erklärt Gerhard Linß. Wegen der Fülle der Einsatzmöglichkeiten gehe man davon aus, dass das Anwen-dungspotenzial dieser Technologie derzeit erst zu etwa 20 Pro-zent ausgeschöpft ist, so der Qualitätssicherungsspezialist. u

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K o m p e t e n z - P r o f i l e

„Und auch in Thüringen ist die technische Optik eine zukunfts-trächtige Branche“, betont Linß: „Seit 1990 sind im Techno lo gie-dreieck Jena – Erfurt – Ilmenau im Bereich Bildverarbeitung rund 140 Firmen entstanden, darunter mehrere Spin-off-Unternehmen des Fachgebiets Qualitätssicherung.“

Qualitätssicherung in neuer Dimension

Eines dieser Unternehmen sitzt nur ein paar Häuser weiter am Ilmenauer Campus: der QualiMess-Industriepartner MRB Auto-mation. Hier werden Mess-, Prüf- und Montage-Automaten aller Art hergestellt (unter anderem für Porsche und Bosch), häufig unter Zuhilfenahme der Bildverarbeitung (BV). „Noch ist die BV bei automatischen Messungen teurer als die ‚klassischen‘ takti-len Methoden mit Messfühlern“, weiß MRB-Geschäftsführer Stefan Weber: „Aber das ändert sich zum einen gerade, und zum anderen können Toleranzen von wenigen Mikrometern, wie sie etwa die OEMs, die Autohersteller bei manchen Werkstücken fordern, nur mit Kameras erfasst werden.“ Stefan Weber geht zu einem großen Schneideautomaten in der Werkhalle, den er für einen Laserdrucker-Produzenten hergestellt hat. Auf dem Tisch-tennistisch-großen Gerät werden Löcher mit einer Genauigkeit von drei bis fünf Mikrometer in Dekoder-Scheiben gestanzt, die später die Druckwalze steuern. Die plakatgroßen Folien mit den darauf gedruckten Scheiben werden mithilfe eines von Quali-Mess und dem STZ entwickelten Bildverarbeitungssystems so

präzise ausgerichtet, dass der Ausschuss deutlich unter dem üblichen Wert liegt. Stefan Weber ist zufrieden mit der Zusam-men arbeit mit den QualiMess-Forschern: „Das bringt uns einen echten Wettbewerbsvorteil. In diesen Größenordnungen kön-nen im Maschinenbau bisher nur wenige Hersteller präzise mes-sen und steuern.“

Und QualiMess hat auch die Zukunft fest im Blick – fast möchte man sagen, in der Verarbeitung: „Die nächste Generation der Bild verarbeitung wird durch serielle digitale Schnittstellen, eine deutlich höhere Auflösung der Bildsensoren, verbesserte Abbil-dungs- und Beleuchtungssysteme, eine wachsende Auswertungs-geschwindigkeit, intuitive Bedienung, störsichere Anwendun-gen sowie durch deutlich erweiterte Einsatzgebiete gekenn-zeichnet sein“, erläutert Projektleiter Rosenberger die Perspek-tiven der BV-Technik. So gewinne die Bildverarbeitung vor allem als Qualitätssicherung in der Produktion stark an Bedeutung, betont Mentor Linß: „Durch kostengünstige und immer leis-tungsfähigere Hardware eröffnen sich zudem fast täglich weite-re neue Anwendungsfelder.“ Anwendungen, die überwiegend von der Industrie definiert werden. So etwa das Vordringen in den Nanometer-Bereich oder die zunehmende Automatisierung der Mess- und Steuer prozesse. „Hier steht die Bediener freund-lichkeit im Vorder grund“, sagt Teammitgleid Martin Correns, der ein neues Ver fah ren zur Farbbildverarbeitung entwickelt hat, das derzeit zum Patent angemeldet wird. „Mit den bisher

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„In Thüringen ist die technische Optik eine zukunftsträchtige Branche.“

Links: QualiMess-Projektleiter Maik Rosenberger vor einem von seiner Nachwuchsforschungs gruppe entwickelten Bildverarbeitungs-Mess-System. Im Hintergrund auf dem Bildschirm ist die Maske der Aus wer-tungs-Software zu sehen.

Links außen: Aufnahme eines von Quali Mess ent wickelten Bild ver-arbeitungssystems zur Messung von Toleranzen auf elektronischen Bauelementen

Rechts: Prof. Gerhard Linß, Mentor der InnoProfile-Initiative QualiMess an der Maschinenbau-Fakultät der Universität Ilmenau.

üblichen Grau werten sind die Unterscheidungsmöglichkeiten zu gering“, erklärt Correns: „Die Farbe gibt uns mehr Infor ma tio-nen.“ Aktuell entwickelt der Maschinenbauer zusammen mit einigen Kollegen Algorithmen, um aus den Farbbildern Messungen ableiten zu können. Langfristiges Ziel ist ein selbst-kalibrierendes Mess- und Steuer-System, das automatisiert mit bis zu 25 Para metern arbeiten kann.

Neues Laser-Scanning-Mikroskop

Farbe spielt auch bei der neuesten Anschaffung der QualiMess-Forscher eine zentrale Rolle: Um auch in kleinste Bereiche vorzu-dringen, wurde nach Aufstocken der BMBF-Förderung im ver-gangenen Sommer ein Laser-Scanning-Mikroskop angeschafft. „Das LSM 700 von Zeiss ist mit seinen vier Laser-Lichtquellen und zwei variablen Detektorkanälen enorm vielfältig“, erzählt Jörg Bargenda. Durch die hohe Flexibilität könne man das LSM nicht nur in der Fertigungs-Messtechnik, sondern auch zur Qualitäts-sicherung bei Natur-Produkten einsetzen, so der Qualitäts siche-rungs-Spezialist des Teams: „Wir untersuchen damit biologische Proben, beispielsweise für die Analyse von natürlicher Fluores-zenz oder Fluoreszenz mittels Farbstoffen.“ So leuchten nun auf dem Auswertungsbildschirm des Mikroskops zwei Getreide kör-ner in Grün und Gelb sowie ein wenig Rot am unteren Ende. Dabei geht es um die Keimfähigkeit des Saatguts. „Wie an der Ampel“, erklärt Jörg Bargenda: „Die grünen Bereiche sind ok,

Gelb ist kritisch, und Rot ist tot.“ Die biologische Schiene des Pro-jekts wird derzeit allerdings nur gebremst weiterverfolgt. „Da sind die Prüfkosten mittels Bildverarbeitung momentan noch deutlich zu hoch“, weiß Rosenberger. Aber mit den weiter sin-kenden Hardware-Preisen werde sich das mittelfristig wohl ändern.

Anfang April wurden die ersten Erfolge in den fünf Teil bereichen des Projekts QualiMess auf dem ersten Status-Seminar verkün-det. „Beim Schwerpunkt ‚Steigerung des Automatisierungsgrads der Bild verarbeitung‘ konnten wir bereits die Parameter Beleuchtung und Fokus systematisieren sowie ein Konzept zur Umsetzung in entsprechende Algorithmen erarbeiten“, erzählt Projektleiter Rosenberger, nicht ohne etwas Stolz in der Stimme. Im zweiten Bereich, der Nutzung der Farb- und Spektral-Information für Mess- und Erkennungsaufgaben, wurden diver-se Untersu chungen zur Farb bildverarbeitung, insbesondere zur Farbkan tenantastung, erfolgreich abgeschlossen. Beim dritten Schwer punkt, der Fusion von Erkennungs- und Mess-Algorithmen, legten die Nach wuchsforscher bisher ein Konzept zur Datenreduk tion bei schnellen Aufnahmeszenen fest, das sie teilweise bereits umsetzen konnten. „Zudem haben wir ein mathematisches Kon zept zur Formelement-Extraktion gefun-den“, stellt der Gruppen leiter fest. Auf die lichttechnischen Auswirkungen weiterer neuer Er kennt nisse im Ilmenauer Industriegebiet darf man gespannt sein.

„In Thüringen ist die technische Optik eine zukunftsträchtige Branche.“

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M a r k t u n d W e t t b e w e r b

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Magdeburg: Wo Techniker die Sprache

der Mediziner lernen können

Die minimal-invasive Chirurgie steht im Zentrum der Magde-burger INKA-Nachwuchsforscher. Sie wollen Katheter noch intelligenter machen, um Diagnose und Therapie weiter zu verbessern.

Magdeburg: Wo Techniker die Sprache der Mediziner lernen können

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„Überraschend anders!“ ist vielleicht die zutreffende Charakteri-sierung der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, die heute mit der Werbebotschaft „Otto-Stadt Magdeburg“ für sich um Auf-merk samkeit und Identität ringt. Denn niemand Geringerer als Kaiser Otto der Große machte den frühmittelalterlichen Flecken an der Elbe zu seiner Lieblingspfalz und damaligen Stadt von Welt. Schließlich waren auf der anderen Elbeseite die Slawen zum Christentum zu bekehren und bei dieser Gelegenheit ein umsatzstarker Handel mit ihnen gleich mit aufzubauen. Nicht minder interessant der andere Otto – mit dem Nachnamen von

Guericke. Als Bürgermeister, Forscher alter universeller Schule und Erfinder des wissenschaftlichen Events hinterließ er große Spuren an der Elbe.

Auch wenn einmal errungene Klischees an einer Stadt so festhaf-ten wie lästiger Vogeldreck auf bestem Autolack, so fühlt sich der Besucher heute vom neuen Magdeburg hin- und hergerissen. In so manchem Reiseführer wird ihm mitgeteilt, dass die Stadt lei-der ihr historisches Stadtzentrum durch die Bomben nächte im Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich verlor. Ande rer seits steht

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Axel Boese leitet das Magdeburger INKA-Nachwuchs for scher -team an der Otto-von-Guericke-Universität.

Rechts: Er ist Antreiber, Zuhörer, Mutmacher und Medizin-technik-Experte: Prof. Dr. Georg Rose lehrt und forscht am Institut für Elektronik, Signalverarbeitung und Kom muni ka-tions technik der Uni Magdeburg.

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er auf dem Domplatz und entdeckt mit dem ersten gotischen Dom in Deutschland, mit dem barocken Landtags gebäude und der Grünen Zitadelle, dem letzten Architektur projekt des Wiener Künstlers Friedensreich Hundertwasser, eine in der Bundesrepublik einzigartige gestalterische Vielfalt an einem Platz.

Viele Gäste erwarten die Silhouette einer klassischen Industrie-stadt mit Werksgeländen so groß wie viele Fußballfelder zusam-men und mit einer Luft, die nach Eisen und Stahl duftet. Aber was passiert ihnen vor Ort? Sie sind überrascht von einer Elbe-stadt, an deren Ufern sich historische Parkanlagen über viele Quadratkilometer ausbreiten, unter anderem der von Joseph Peter Lenné im 19. Jahrhundert entworfene erste Bürger park Deutschlands – der Klosterbergegarten.

Und für viele Interessierte steht auch heute noch die Otto-von- Guericke-Universität in der Landeshauptstadt für erstklassige Ingenieursausbildung, um kompetenten Nachwuchs für den Maschinen- und Anlagenbau des langjährigen Exportwelt meis-ters Deutschland auszubilden. Das alles ist richtig, aber nur die eine Hälfte der wissenschaftlichen Wahrheit.

Auf der anderen Hälfte der Wahrheit sitzt Prof. Dr. Georg Rose. Nein, viele Jahre ist er noch nicht an der Magdeburger Elbe zu Hause, aber ein neues Zuhause hat er hier gefunden. Das heißt: Lehrstuhl für Medizintechnik und medizinische Telematik an der Fakultät für Elektro- und Kommunikationstechnik der Mag de- burger Universität. Hier lehrt und forscht er, was seine Kräfte hergeben.

Bei seinem Arbeitsbeginn im Jahr 2006 fand er folgende Situation an der Otto-von-Guericke-Universität vor, die ihre Gründe in der

Geschichte, aber ihre Auswege in Richtung Zukunft noch nicht gefunden hatte: Auf dem Campus am Universitätsplatz fanden sich alle Lehr- und Forschungsgebiete wieder, aber nur verein-zelte Kooperationen mit der forschungsstärksten Fakultät der Uni Magdeburg – der Medizin. Die war und ist angesiedelt auf dem Campus des Universitätsklinikums Magdeburg – etwa 15 Autominuten entfernt und doch viel zu oft außer Blickweite.

Georg Rose muss noch heute ein wenig den Kopf schütteln, wenn er an diese Zeit zurückdenkt: „Nein. Die beiden Campi mit zwei verschiedenen Planeten gleichzusetzen, wäre doch über-trieben. Aber irgendwie aus verschiedenen Ländern kamen wir schon, obwohl alle eigentlich aus Deutschland stammten. Die Ingenieure mussten ganz einfach beginnen, eine Sprache zu lernen und zu sprechen, die sowohl die Ärzte als auch die Techniker gut verstanden.“

Er hatte nicht zufällig den Schritt nach Sachsen-Anhalt gewagt. Viele Jahre sammelte er Wissen und unschätzbare Erfahrung bei namhaften deutschen Herstellern von moderner Medizintechnik. Seine Mission in Magdeburg war für ihn schon früh definiert: „Ich war mir sicher, dass wir in Magdeburg eine besondere Chan-ce haben, die Kompetenz hervorragend ausgebildeter Ingen-ieure in verschiedenen technischen Bereichen zusammenzu-bringen für Innovationen, auf die unsere forschungsaktiven Mediziner für ihre Arbeit schon heute warten.“ Und wenn sie nicht aus Magdeburg kämen, dann eben von woanders her. Damit aber wollte sich Georg Rose nicht zufriedengeben. Und er hatte den richtigen Riecher – womit nicht viele rechneten: Seit dem Jahr 2008 zählt die Medizintechnik zu den definierten Forschungsschwerpunkten an der Magdeburger Universität. Vorausgegangen war ein viele Jahre dauernder Aufbau einer Forschungsinfrastruktur in Magdeburg auf dem Gebiet neuro-u

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„Ich war mir sicher, dass wir in Magdeburg eine besondere Chan ce haben.“

Prof. Dr. Georg Rose

„Ich war mir sicher, dass wir in Magdeburg eine besondere Chan ce haben.“Prof. Dr. Georg Rose

Die neue Roboter basierte 3D-Anlage unterstützt die Arbeit der INKA-Nachwuchsforscher. Mit ihr können Katheter-basierte minimal-invasive Eingriffe noch präziser navigiert und kontrolliert werden. Hauptsächlich werden Geräte dieser Art bei der Gefäßbehandlung im Kopf und am Herz sowie in peripheren Gefäßen und bei Tumorbehandlungen eingesetzt.

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Prof. Martin Skalej hat das Institut für Neuroradiologie am Magdeburger Uni-Klinikum aufgebaut. In seiner Hand hält er das Modell eines Aneurysma – ein krankhaft vergrößertes Blutgefäß. Das Original in dieser Größe entstammt dem Kopf eines Patienten.

Prof. Matthias Raith ist Inhaber des Lehrstuhls für Entre preneur ship an der Uni Magdeburg. Er leitet das inter-disziplinäre TASC-Vorhaben, das die Versorgung von Schlaganfallpatienten in Sachsen-Anhalt verbessern will.

Frank Baumgart zählt zu den Pionieren des Netzwerks Medi zin technik in und um Magdeburg. Heute steht der Unter -nehmer dem Vorstand des Innomed e. V. vor. Die Medi zin-tech nik-Unternehmen der Region nutzen das vorhandene Know-how der Uni Magdeburg in Medizin und Technik.

wissenschaftlicher Grundlagenforschung sowie damit korres-pondierender Medizintechnik. Dabei konzentriere man sich aus gutem Grund auf die minimal-invasiven chirurgischen Eingriffe in den menschlichen Körper, so Georg Rose.

Oder aus ganz konkreter Sicht von Dr. Frank Fischbach, Oberarzt an der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, kann man diese fachliche Umschreibung so schildern: In einem Magnet-Resonanz-Tomographen (MRT) wartet eine Patientin mit einem Lebertumor auf ihre Operation. Im Unterschied zu zahlreichen MRT-Geräten liegt sie hier nicht in einer geschlossenen Röhre, um lediglich Bilder zur Dokumentation des Tumorbefundes anzufertigen. Vielmehr ist dieses moderne Gerät für den Arzt an der Seite offen und für einen minimal-invasiven Eingriff gut zugänglich. Durch einen kleinen Hautschnitt lassen sich ange-passte Instrumente zielgenau gesteuert einbringen. Ein Blick zum Monitor verrät live und mit guter Bildqualität, ob das Werk-zeug bereits den Tumor erreicht hat und wie der Eingriff ver-läuft. Bereits nach einer knappen halben Stunde ist dieser dann auch schon beendet. Der Magdeburger Oberarzt wird die Patientin bereits nach zwei Tagen in der Klinik wieder entlassen können: „Etwa 500 minimal-invasive Eingriffe zur Behandlung von Tumoren führen wir jährlich in Magdeburg durch. Für viele Patienten ist das oft eine letzte Chance, weil im Rahmen klassi-scher Operationen entweder der Tumor nicht zu entfernen ist oder auch die körperliche Konstitution schon so geschwächt ist, dass nur noch ein kleinst-chirurgischer Eingriff mit örtlicher Betäubung infrage kommt.“ Frank Fischbach arbeitet seit 2007 an der Klinik unter Leitung von Prof. Dr. Jens Ricke, der 2006 mit einer Reihe von Experten der Berliner Charité den Weg nach Magdeburg fand.

Axel Boese leitet eine Gruppe von sieben Nachwuchsforschern als Gemeinschaftsprojekt zwischen den Magdeburgern Medizin-technikern unter Leitung von Prof. Georg Rose und den Mikrosys-temtechnikern unter Leitung von Prof. Bertram Schmidt mit dem stolzen Namen INKA. Nein, indianische Forschungs auf-gaben spielen hier eher keine Rolle. Der Magdeburger INKA-Blick geht nach vorn und landet beispielsweise im Team von Jens Ricke. Mit Hochdruck versuchen die Nachwuchswissenschaftler, technische Lösungen für die Ärzte um Prof. Dr. Ricke zu erarbei-ten, um einer Vision näherzukommen, nach der in nicht mehr ferner Zukunft die Mikrotherapie mit MRT-Geräten als etablierte Behandlungsform zum Beispiel beim Kampf gegen Tumore oder auch in der Frauenheilkunde als Standard eingesetzt werden kann – ohne große Operationsschnitte, belastende Röntgen-strah len und Kontrastmittel. Dazu müssen aber noch die Bild-gebung deutlich verbessert sowie die für Diagnose und Therapie im Körperinneren notwendigen Katheter in Material, Form und Funktionsfähigkeit spürbar weiterentwickelt werden, um den hohen medizinischen Anforderungen dieser innovativen Methode genügen zu können.

Bekannt geworden ist Magdeburg seit den 1990er-Jahren als neurologisches Forschungs- und Behandlungszentrum. Das In sti- tut für Neuroradiologie an der Magdeburger Universitäts klinik, welches 2005 von Prof. Dr. Martin Skalej aufgebaut wurde, leis tet dazu einen wichtigen Beitrag. Prof. Skalej zählt zu den Schritt -machern einer engen Zusammenarbeit zwischen Medizintechnik und Ärzteschaft: „Gerade bei minimal-invasiven Eingriffen in das Gehirn oder die Wirbelsäule brauche ich ein extrem präzises

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und verlässliches Navigationssystem. Führe ich also einen Kathe-ter mit einem Außendurchmesser von 0,5 – 0,6 mm in das mensch- liche Hirn, um eine krankhafte Ausweitung eines Blutgefäßes (Aneurysma) zu behandeln, dann muss jeder Milli meter dieses Weges sitzen. Ohne ein exzellentes Computer bild, ohne Geräte mit Speziallegierungen und ohne eine hundertprozentig funk-tionierende Steuerung dieser Arbeitsmittel im Millimeterbereich haben der Patient und ich keine Chance.“ Und er offeriert noch mehr Zukunftsmusik – gemeinsam mit Spezialisten der Medizin-technik, Simulation und Bildverar bei tung arbeitet er an Verfah-ren, bei denen Diagnosebilder aus dem Gehirn so aufbereitet werden, dass personalisierte Implan tate hergestellt werden und die erforderliche minimal-invasive Operation vorab am Com-puter bzw. an originalgetreuen Modellen simuliert und geübt werden kann, um so für den Patienten das optimale Ergebnis zu erreichen.

Zusammen mit Prof. Dr. Georg Rose erreichen wir wieder den medizinischen Alltag. Und der bedeutet z. B. allein in der Landeshauptstadt Magdeburg pro Jahr 1.000 Schlaganfälle. Früh hat das Universitätsklinikum auf diese Situation reagiert und 1996 eine Stroke Unit (Behandlungszentrum für Schlag an fälle) aufgebaut. Unter der Leitung von Dr. Michael Görtler arbeitet sie exzellent und verfügt inzwischen über acht Patien ten plätze. Auch er hat schon vor einigen Jahren die Zusammen arbeit mit dem „technischen Unicampus“ gesucht und Georg Rose gefun-den. Ein erster Meilenstein ihrer Kooperation war ein spektaku-läres Innovationsforum (ASTER), bei dem gezeigt wur de, wie Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall bereits im Rettungs-wagen mit modernster Diagnosetechnik schnell erstversorgt werden können und diese Patientendaten via Internet vor Ein-treffen in der Stroke Unit schon in der Klinik aufbereitet sind. Die erforderliche Therapie kann so in kürzester Frist vorbereitet wer-den und beginnen.

Diese erfolgreiche Kooperation führte zu einem neuen For-schungsvorhaben, das die bittere Realität in sich hat. Die demo-grafische Entwicklung in Sachsen-Anhalt mit dramatischen Aus-wirkungen auf die medizinische Versorgung zieht immer weite-re Kreise. Besonders im mittleren und nördlichen Landesteil, so etwa in der schönen sanften Altmark, gehen die Einwohnerzahl und die Bevölkerungsdichte jährlich und vorhersehbar kontinu-ierlich zurück. Natürlich sind alle Akteure der allgemeinärzt-lichen Versorgung nach Kräften bemüht, diese heute und künf-tig sicherzustellen. Unrealistisch scheint aber ein alle Flächen abdeckendes System der spezialärztlichen Versorgung. Was also passiert eigentlich, wenn – sagen wir in der Hansestadt Stendal – ein Patient mit Verdacht auf Schlaganfall im städtischen Krankenhaus eingeliefert wird. Natürlich arbeiten alle dienst-habenden Ärzte sofort und mit Hochdruck an Diagnose und Therapie. Schließlich entscheiden hier wenige Minuten über Leben, lebenslange Behinderung oder gar Tod.

Professionelle Unterstützung erhalten die Stendaler Ärzte in ei ner Probephase schon heute von den Spezialisten der Mag de burger Uniklinik. Mithilfe von Live-Bildern des Patienten, die von Sten-dal nach Magdeburg übertragen werden sowie den entschei-denden Patientendaten helfen die Magdeburger Experten der Stroke Unit bei schneller Diagnose und ersten erforderlichen Therapie schritten. Diese Form der Telemedizin wird auch in anderen Bundesländern, z. B. in Bayern und Sachsen, seit einiger

Zeit erprobt und entwickelt. Neu in Sachsen-Anhalt ist die beste-chende Idee, aus den jetzt gemachten Erfahrungen ein Geschäfts-modell zu entwickeln, das technisch, organisatorisch und finan-ziell auf solide Füße kommen soll, um eine gute Versorgung der Patienten auch in den nächsten Jahren sicherzustellen. Unter-stützt wird dieses Vorhaben unter der Überschrift TASC (Telemedical Acute Stroke Care) auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), könnte doch der hier zu erwartende Modellcharakter auch auf andere deutsche Regio-nen angewandt werden.

Prof. Dr. Matthias Raith, Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneur-ship an der Uni Magdeburg, spricht für die Akteure des TASC-Vorhabens: „Zur Zeit addieren sich die durchschnittlichen Behandlungs- und Pflegekosten eines Schlaganfallpatienten in der Bundesrepublik auf über 43.000 Euro. Das summiert sich auf jährlich 7,1 Milliarden Euro in Deutschland. Nur 2 % der deut-schen Schlaganfallpatienten erhalten heute die Thrombolyse während der ersten drei Stunden nach Symptombeginn. Sie ist die effektivste Akutversorgung und könnte viele Menschenleben retten bzw. Behinderungen lindern.“

Diese Rate im Sinne der Patienten auch in Sachsen-Anhalt deut-lich zu steigern, be schreibt ein Ziel der TASC-Initiative. Um dies zu erreichen, arbeitet ein eigenes TASC-Forscherteam mit Peter Knüppel an der Spitze auf dem Unicampus und vor allem eng mit den Ärzten am Uniklinikum und den inzwischen sechs Krankenhäusern zusammen, die wie Satelliten an die Magde-burger Stroke Unit mit modernster Rechentechnik und starker Datenleitung angebunden sind. Peter Knüppels Mannschaft ver-bessert mit und für die Ärzte der Stroke Unit Schritt für Schritt die technische Infra struktur der Telemedizin, damit das gemein-same Telekonzil zwischen dem Arzt vor Ort und dem weit ent-fernten Experten in Magdeburg möglichst zuverlässig und gleichzeitig effizient durchgeführt werden kann. Schnell, beleg-bar und nachvollziehbar müssen alle medizinisch relevanten Daten und Fakten zum Patienten verfügbar sein. Heute noch geschieht dies per Telefon und Telefax. Die Magdeburger Forscher entwickeln zur Zeit eine Software für den Arzt, mit der alle relevanten Werte in eine Bildschirmmaske eingetragen und optimal intuitiv aufbereitet werden. Nach Angaben von Matthias Raith stößt die TASC-Initiative schon jetzt auf breites Interesse.

Durch den raschen Ausbau des Netzwerks mit jetzt sechs an Magdeburg als Expertenklinik angeschlossene Krankenhäuser und der Integra tion einer zweiten Stroke Unit in Bernburg als weitere Expertenklinik steige die Attraktivität des Modells: „Die Nach frage vor Ort ist jedenfalls belegbar vorhanden“, freut er sich. Jetzt stehe die nächste spannende Phase vor der TASC-Tür, die Kosten für den Mehrwert dieser innovativen und lebensret-tenden Diagnose- und Behandlungsmethode müssen von den an geschlossenen Krankenhäusern getragen werden. Diesen Ge -sprä chen sehe er mit großem Interesse entgegen, so Prof. Dr. Raith.

Auch Georg Rose blickt gespannt in seine Zukunft – dass 2009 der internationale Masterstudiengang Medizinische Systeme in Mag de burg startete und bereits eine Kooperation mit der Uni-versi tät Edinburgh durch Studentenaustausch etabliert werden konnte, war ein Meilenstein. Jetzt drückt er die Dau men für seine Magdeburger Vision – das Zentrum für interventionelle Medizin-technik. Wieder einmal wird Magdeburg uns alle überraschen!

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Bitterfeld-Wolfen

Wie kann man diese Stadt lieben?

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„Waren Sie mal an der Goitzsche?

Fahren Sie hin und Sie wissen es.“

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Zu Seite 18Volksmund aus DDR-Zeiten: Und treffen wir uns nicht auf dieser Welt, dann sehen wir uns in Bitterfeld.

allem Braunkohle abgegraben. Aber auch das vermeintliche Gold der Ostsee – Bernstein – hatte bei Bitterfeld

Kein bisher unentdecktes Foto vom Mond, sondern der ehemalige Tagebau Goitzsche bei Bitterfeld. Hier wurde vor

sein größtes Vorkommen in der DDR. Seite 19:Und heute: Vamos a la playa! Feinster Sandstrand am Bitterfelder Goitzschesee. Umgeben von einem avant-gardistischen Landschaftspark.

„Gestalte deine Zukunft“ fordert das Faltblatt. Darunter das Foto eines Mädchens, das eine Digitalkamera in die Luft wirft, dann geht es weiter im Text: „Bei der ORWO Net GmbH Wolfen.“ Angeboten werden aktuell die Berufe Fotomedienlaborant und Digitaldrucker; in den nächsten Jahren auch Mechatroniker, Informations-Telekommunikations-Systemelektroniker und Servicefachkraft Dialogmarketing. Angesprochen werden die jungen Menschen der Region Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt, einst „die schmutzigste Stadt Europas“, wie Monika Maron in ihrem Debütroman „Flugasche“ im Jahre 1981 schrieb.Das ist 30 Jahre her. Zu dieser Zeit gab es die ORWO Net GmbH Wolfen noch nicht. Ihren Chef, Dr. Gerhard Köhler, treffen wir in seinem Büro, oberhalb der langen Produktionshalle. „Wir haben regelmäßig bis zu 10 Auszubildende und einen so guten Ruf, dass wir uns um Nachwuchs keine Sorgen machen müssen.“ Das ver-wundert nicht, denn die Geschichte ist spektakulär. „Wir feiern dieses Jahr den 100. Geburtstag der Foto- und Filmtradition am Standort, beginnend mit dem Bau der Agfa-Filmfabrik, 1936 wurde hier der erste Farbfilm produziert. Es folgten die Umbe-nennung in ORWO ORiginal WOlfen, die Privatisierungsversuche 1990, die digitale Fotografie begann sich ab 2000 zu entwickeln, und seit 2003 gibt es die ORWO Net mit einem erfreulichen durchschnittlichen jährlichen Wachstum zwischen 2004 und 2009 von 45,3 Prozent.“ Auch für 2010 erwartet der Geschäfts-führer eine Umsatzsteigerung von 20 Prozent auf 33 Millionen Euro. Es gäbe Marktbereinigungen und einen Boom der Foto bü-cher, Kalender, Leinwandbilder und andere Foto geschenk arti kel, wovon man profitiere. 35 Prozent des deutschen Foto-Finishing-Marktes wurden im Jahr 2004 neu verteilt. „Vor 5 Jahren hatten wir einen Marktanteil von 0,5 Prozent, heute von 10 Prozent.“ Für angehende Fotomedienlaboranten, Drucker und die Bewer ber für die neuen Ausbildungsberufe sei dies eine positive Per spek-tive, zumal seit dem Erwerb von FotoQuelle nach deren Insolvenz die Bekanntheit bundesweit gesteigert wurde. „Ich bin über-zeugt, dass es ein gutes Geschäft wird“, sagt Köhler, ein versier-ter Schachspieler mit dritten Plätzen bei DDR-Jugend meister-schaften in den 70er-Jahren, der sich auch für die diesjährige Deutsche Schachamateurmeisterschaft in Halle/Saale qualifi-zierte. Köhler hat auch einige neue Züge in petto, unter ande-rem Fototerminals, die in Drogeriefilialen stehen und online mit einem Zentralrechner verbunden die Bearbeitung der Daten über Nacht erledigen. „Wir haben zwölf Softwareentwickler, die daran arbeiten, die Bestellvorgänge für Kunden zu vereinfachen und die Produktionsprozesse effektiver zu gestalten.“

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Zu Seite 18Volksmund aus DDR-Zeiten:

Und treffen wir uns nicht auf dieser Welt, dann sehen wir uns in Bitterfeld.

Kein bisher unentdecktes Foto vom Mond,

sondern der ehemalige Tagebau Goitzsche bei Bitterfeld. Hier wurde vor

allem Braunkohle abgegraben. Aber auch das vermeintliche Gold der Ostsee

– Bernstein – hatte bei Bitterfeld sein größtes Vorkommen in der DDR.

Seite 19:

Und heute: Vamos a la playa! Feinster Sandstrand am Bitterfelder

Goitzschesee. Umgeben von einem avant-gardistischen Landschaftspark.

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Die Zukunft zu gestalten ist auch für Matthias Gabriel die große Aufgabe. Wir treffen ihn im ehemaligen IG-Farben-Bau am Rande des Chemieparks, dessen Geschäftsführer er heute ist, genaugenommen der P-D ChemiePark Bitterfeld Wolfen GmbH. Wobei P-D für Jürgen Preiss-Daimler steht, den Inhaber einer Firmengruppe, mit dem Gabriel so „symbiotisch“ zusammenar-beitet, dass ein „baldiger Ruhestand überhaupt kein Thema ist.“

Mit einem Blick aus dem Fenster erfassen wir das Herzland der deutschen Chemie. „1893 begann hier die chemische Groß-produktion“, erläutert Gabriel. „Energie war das Thema. Auch die Metalllegierung, die industrielle Farbfilmherstellung, die Farbstoffe zur Beschichtung von CDs und DVDs wurden hier er funden. Auch diese werden bald der Vergangenheit angehö-ren. Wir erleben Phasen einer aufregenden Entwicklung.“

Was bleiben wird, sagt Gabriel, sei „kulturelle Affinität zur Chemie, das Verstehen und das Verständnis bei denen, die hier leben. Die chemische Industrie ist hier zu Hause. Und mithilfe der Hochschulen in Halle, Leipzig und Dessau rüsten wir uns technologisch für neue Phasen und dafür, dass die Chemie ihre Heimat behält.“

Mit 230 Millionen Euro wurde die Infrastruktur des Standortes seit 2001 komplett erneuert. Auf einem Gesamtareal von 1.200 ha stehen noch 170 ha für Neuansiedlungen zur Verfügung. 360 Fir- men mit 11.000 Mitarbeitern sind hier tätig. Rund 4,3 Milliarden Euro wurden bisher am Standort investiert. Das Industrieprofil ist geprägt durch die Chlor-, Phosphor-, Farbstoff-, Pharma- und Quarz glas-Herstellung, durch die Metallurgie und generell durch Fein- und Hightech-Chemie. Wer hier siedelte, der wollte und will noch heute die Vorzüge und Synergien des Stoffver-bundes innerhalb des ChemieParks nutzen.

Bitterfeld war einer der wichtigsten Industriestandorte der DDR. „Aber seit 1970 wurde auf Verschleiß gefahren, mit den Folgen einer rücksichtslosen Umweltzerstörung“, sagt Gabriel. 70.000 Arbeiter produzierten hier, rund dreißig Kilometer nörd-lich von Leipzig, mehr als 4.000 Chemikalien – vor allem Chlor. Ende der 1980er-Jahre hatten die wichtigsten Kombinate Braun-kohle-Tage bau, Che mie- und Filmindustrie abgewirtschaf tet. Die Arbeits plätze waren im Silbersee versunken. So nannten die Einheimi schen die ungeklärten Abwässer, die sich in einem riesigen See sammelten. Heute quaken dort Frösche. Der Tage-

Der Bitterfelder Bogen ist Symbol und Ausblick. Diese Riesen-Baggerschaufel des Frankfurter Künstlers Claus Bury auf dem Bitterfelder Berg bietet Ausblicke aus 28 m Höhe auf Land und Leute.

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Wer hier siedelte, der wollte und will noch heute die Vorzüge und Synergien des Stoffver bundes innerhalb des ChemieParks nutzen.

bau ist vorbei, sei ne Fläche füllt ein See mit Trink wasser qualität, die Goitzsche. In der Chemie- und in der Film indus trie entstan-den neue Arbeits plätze in neuen und alten Firmen. Die Solar -indus trie ist mit einem eigenen Standort, dem Solarvalley, hinzu-gekommen.

„Heute sind wir 20 Jahre weiter. Was von Bestand ist, sind die Standortvorteile: Historie, Know-how, ein innovatives Betreiber-modell, niedrige Produktionskosten, gute Kooperationsmöglich-keiten, qualifiziertes Personal, gute Infrastruktur und gute Be -ziehun gen zu Verwaltung und Politik.“ Das sei ihm zuletzt von einem japanischen Investor bestätigt worden, bemerkt Gabriel stolz.

Vom Fenster weg bewegen wir uns zu einer großen Karte an der Wand. „Wir sind zu über 80 Prozent ausgebucht. Den Rest heben wir auf für attraktive Industrieansiedlungen. Matthias Gabriel stammt aus Halberstadt, er entwickelte die IT-Ausstattung für die evangelische Kirche der DDR, die Hardware kaufte er im Westen, die Software kam von seiner eigenen Firma. Er war Mit-glied der Friedensbewegung, des Neuen Forums, Bürger meister in Halberstadt, ab 1996 Wirtschaftsminister in der Regie rung von Sachsen-Anhalt. Die Sehnsucht nach einer „Front auf gabe“ führte ihn 2000 nach Bitterfeld. „Die Nachfrage zieht wieder an, 2009 war besser als 2007. Wir wollen harte Industrie ansiedeln, jedes Jahr ein schönes Projekt, das reicht.“ Das könnte 2010 auch etwas in der Luftfahrtindustrie sein.

Im Chemiepark führt uns der Weg zu Dr. Roland Watzke. Mit seiner AMykor GmbH ist er Teil eines geförderten Wachs tums-kerns und Beispiel für die Verzahnung von Wirt schaft und Wissen schaft in regionalen Netzwerken. Das Inno vationsbündnis ReactiveWetCoating strebt mit einem neuartigen Verfahren einer funktionellen Nassbeschichtung eine internationale Techno lo-gie führerschaft an. „Es gibt meine Firma und es gibt den Wachs-

Wer hier siedelte, der wollte und will noch heute die Vorzüge und Synergien

des Stoffver bundes innerhalb des ChemieParks nutzen.

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tumskern“, erläutert Dr. Roland Watzke in seinem Büro, das wie eigentlich jede Adresse, die wir in dieser weiten Ebene aufsuchen, schwer zu finden ist, als suche man eine Insel in einem Meer. Man kann auch niemanden fragen, die Straßen sind fast men-schenleer. „AMykor, der Name steht für aktive Mykor rhiza, und Mykorrhiza bezeichnet eine Form der Symbiose von Pilzen und Pflanzen, bei der ein Pilz mit dem Fein wurzelsystem einer Pflanze in Kontakt ist, AMykor also beschäftigt sich mit biologischen Systemen. Der Ursprung der Firma liegt in der Re kulti vierung kontaminierter Flächen. Aus Liebe zum Standort haben sich innovative Mittelständler vor acht Jahren zu einer Ver eini gung zusammengeschlossen. Wir wollten Netzwerke bil den“, sagt Watzke, der Vorstand der Vereinigung wurde und dieses Amt auch in den Wachstums ker nen bekleidete, „wir wollten forschen und über Wachstumskerne bestimmte Beschich tungs-technologien in Bitterfeld erhalten und fördern. Ich bin Foto-chemiker, die Kompetenz ist da, ein Farbfilm ist nichts anderes als eine Beschichtung. Filme werden in Deutschland nicht mehr produziert, aber Beschichtungen schon.“

Dann sollten die Beschichtungen bestimmte Funktionalitäten übernehmen. „Nach drei Jahren haben wir uns überlegt, diese Aufgaben auch für Nanopartikel, für Beschichtungen nicht ebe-ner Flächen, also für Kugeln, Schläuche, Formkörper aller Art zu definieren. Daher unternahmen wir den nächsten Schritt mit Coating 2.“ Als wissenschaftlichen Partner habe man das Fraun-hofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Halle, für die Che mie eine Reihe von Spezialfirmen und in der Biologie die AMykor. Die passenden Maschinen entwickelt die MABA Spezial ma schi nen GmbH.

Im Juli 2010 schließe man nun ReactiveWetCoating 2 mit einem Kolloquium ab und stelle die Ergebnisse vor. „Das ist eine ganze Menge“, sagt Watzke nicht ohne Stolz. „Und es hört nicht auf. Jetzt geht es in die technische Umsetzung. Die Anwendungs-

möglichkeiten sind unendlich, aber wir können nur das Segment bedienen, das wir in unseren Firmen bearbeiten.“

Das Thema der AMykor ist heute vor allem die organische Bei-zung von Samen zur Steigerung von Erträgen, also die naturge-mäße Alternative zu genetisch verändertem Saatgut. „Wir wol-len jetzt gemeinsam eine entsprechende Produktionsanlage errichten, alleine wären wir zu klein. Jeder bringt sein Können ein.“ Die Beschäftigungszahl in der AMykor GmbH habe man in der Zeit der Wachstumskerne von 10 auf 20 verdoppelt. „Das mag nicht viel sein, aber für mich ist es ein großer Schritt.“ Dane-ben habe er Doktoranden und Diplomanten, die sich Gedanken machten, wie man Flächen, auf denen nichts wachse, begrünen könne und wie man Pflanzen und Böden ihre Kraft zurückgibt. „Vielleicht kriegen wir das Problem Trockenstress ja auch bald in Deutschland.“

Eine wichtige Partnerin Watzkes ist Ingrid Weinhold, Geschäfts-führerin der MABA Spezialmaschinen GmbH in Bitterfeld-Wol-fen. Ihr Leitspruch ist: „Es gibt keine Probleme, es gibt nur Auf-gaben zu lösen.“ Seit mehr als zehn Jahren kämpft sie für ihr Unternehmen, das sich sowohl als Industriedienstleister als auch als Investitionsgüterhersteller versteht.

Die „Unternehmerin des Landes Sachsen-Anhalt“, Trägerin des „Exportpreises“, des „familienfreundlichen Unternehmens“ und anderer Auszeichnungen musste 1991 keine symbolische D-Mark, sondern 1,2 Millionen bei einem Management Buy Out

Der Preiss-Daimler ChemiePark in Bitterfeld-Wolfen gehört nach Expertenmeinung zu den modernsten

Produktionsstätten der Chemiebranche in Deutschland. Mehr als 11.000 Männer und Frauen sind in

360 Unternehmen tätig.

Der Preiss-Daimler ChemiePark in Bitterfeld-Wolfen gehört nach Expertenmeinung zu den modernsten Produktionsstätten der Chemiebranche in Deutschland. Mehr als 11.000 Männer und Frauen sind in 360 Unternehmen tätig.

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„Wir müssen wandlungsfähig bleiben. Aber darin sind wir geübt, wir haben Hö-hen und Tiefen erlebt.“

Petra Wust,

Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen

„Wir müssen wandlungsfähig bleiben. Aber darin sind wir geübt, wir haben Höhen und Tiefen erlebt.“Petra Wust,

Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen

der Treu hand auf den Tisch legen. „Letztes Jahr habe ich die letz-te Zah lung geleistet.“ Die aktuelle Wirtschaftskrise sei bereits ihre dritte. „Das schaffe ich auch“, sagt sie, und es sprudelt nur so aus ihr heraus, wenn sie von ihren Forschungs-, Produktions- und Serviceeinrichtungen erzählt. 50 Mitarbeiter seien aktuell bei ihr tätig. Beachtliche 20 Prozent ihres Jahresumsatzes investiere sie in Forschung und Entwicklung.

Dies ist das Zehnfache des sonst in Sachsen-Anhalt üblichen Wer tes. Als die Solarindustrie boomte und üppige Gehälter zahl-te, hat sie keinen ihrer Mitarbeiter verloren. Das Klima im Haus, das auf Transparenz und Eigenverantwortung basiert, beugte dem vor. „Trotz des Umsatzeinbruchs geht es mir mit einer Eigen-kapitalquote von 36 Prozent noch gut, mit Kurzarbeit habe ich das letzte Jahr überstanden. Aber die Zahlungsmoral der Kunden ist seitdem deutlich schlechter geworden.“ In vielen Unter neh-men der Region, mit denen man Geschäftsbeziehungen pflege, seien die alten Ansprechpartner durch neue ersetzt worden, die nicht aus der Region kämen. „Das Miteinander, das wir gepflegt haben, bleibt auf der Strecke.“

Als positives Beispiel neuer Beziehungen nennt sie die Bayer Bitterfeld GmbH, deren Chef Dr. Christian Schleicher sich über die freundlich übermittelten Worte freut. Der Leverkusener Pillen-Riese hat mit Nachdruck unterstrichen, dass er in der Region Bitterfeld-Wolfen angekommen ist. Den Regionalwett-bewerb „Jugend forscht“ richtet Bayer seit dem Jahr 1997 aus. Anfang März 2010 stellten 66 Teilnehmer ihre 40 Projekte einer Jury vor. Die Sieger qualifizierten sich für den Landeswettbewerb in Magdeburg. „Dieser Wettbewerb ist für die Nachwuchswissen-schaftler und für uns als Erfinderunternehmen eine Investition in die Zukunft“, sagt Schleicher. „Als wir kamen, war das zum einen durchaus ein Akt tätiger Nächstenliebe. Zum anderen haben wir hier eine hundertjährige Tradition innovativer chemi-scher Industrie und hervorragender Mitarbeiter vorgefunden. Eigentlich war die Fertigungsanlage für Spanien geplant. Helmut Kohl hat unseren Vorstand bedrängt, dies nach Bitterfeld umzuswitchen. Rückblickend gesehen war es eine hervorragen-

de Entscheidung. Maschinen kann ich überall hinstellen, den Unterschied machen die Mitarbeiter.“ Der Begriff einer „verlän-gerten Werkbank“ stört ihn nicht. „Wenn es nur um einen billigen Standort gegangen wäre, wäre China die erste Wahl gewesen.“

Die Bayer-Bitterfeld GmbH hat 500 Mitarbeiter, die Tabletten für die ganze Welt fertigen, vor allem Aspirin und Alka Selzer, späte-re Investitionen, die inzwischen ausgegliedert wurden, beschäf-tigen weitere 400 Menschen. Bezahlt werde nach dem Tarif „Berlin-West“.

Zurückhaltender ist man in der Region heute, wenn es um die Solarindustrie geht. Als vier Kreuzberger Enthusiasten 2001 in der Provinz eine Solarzellenfabrik mit vierzig Arbeitsplätzen bauen wollten, war die Begeisterung groß. Und tatsächlich: Acht Jahre später war Q-Cells der größte Solarzellenhersteller der Welt. Ein Solar Valley mit 3.500 Arbeitern, Wissenschaftlern und Ingenieuren entstand. „Zu schnell, zu arrogant“, meint Matthias Gabriel heute, in dessen Chemie-Park alles seinen Anfang nahm. Rasant wachsende Photovoltaikunternehmen nutzten die Prä-senz der Glas- und Chemie-Industrie. Die industrielle Fertigung von Solarmodulen zur wettbewerbsfähigen Stromerzeugung war das Ziel. „Aber die unternehmerischen Strukturen und die Vorstellungen der vielen ortsfremden Manager passten nicht zu der vorhandenen Kultur“, versucht sich Ingrid Weinhold mit einer Erklärung des aktuellen Einbruchs. „Uwe schwankt zwi-schen Einsicht und Wehmut“, beschreibt Monika Maron in ihrem Jubelbuch auf die Solarindustrie „Bitterfelder Bogen“ die Seelenlage eines Schlossers bei Q-Cells, „wenn er den Zauber des Anfangs beschwört und doch weiß, dass der Anfang vorbei ist.“

Wenn es nur der Anfang sein möchte, der vorbei ist... „Ein Fehler war, eine Monostruktur aufzubauen“, äußert sich Gabriel. Der-zeit wird um einen Neustart im Solar Valley gerungen. Mit einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt will man Leichtbau-Photovoltaik-module entwickeln, um die Konkurrenzfähigkeit zu sichern.

„Wir müssen wandlungsfähig bleiben. Aber darin sind wir geübt, wir haben Höhen und Tiefen erlebt“, sagt die Oberbürgermeis-te rin Petra Wust, die wir im Rathaus der Stadt Bitterfeld-Wolfen, dem ehemaligen Agfa-Gebäude, treffen. Auch ihr Amtssitz reflektiert industrielle, nicht kommunale Planung. Da ist kein Markt davor, keine Kirche daneben. Es ist ein Industriedenkmal, das – durchaus konsequent – nun Verwaltungs- und politische Zentrale einer Stadt mit Chemie in den Adern ist, die jetzt zurück zur Urbanität finden will. „Wir haben die größte Wandlung von allen Regionen im Osten durchgemacht. Wir waren die schmut-zigste Gegend, jetzt locken wir Touristen. Im vergangenen Jahr kamen immerhin 500. 000. Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht? An der wunderschönen Goitzsche, einem See mit 25 Quadrat-kilometern Fläche und in riesigen Waldflächen von insgesamt 60 km2 können Sie Urlaub machen. Dessau, Halle, Wörlitzer

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Park, Leipzig, Sie haben alles im Umfeld. Zugleich sind wir auch einer der wichtigsten Industriestandorte, mit einer Besonderheit: Während alle anderen Städte ihre Gewerbe- und Industriegebiete am Rand ausweisen, sind sie bei uns in der Mitte.“

Deswegen ist die Stadt auch so schwer zu verstehen und Ge -sprächs partner so schwer zu finden. Nur Bitterfeld hat einen Markt, der als gewachsenes urbanes Zentrum auszumachen ist. Ansonsten sind es vor allem zehn Industrie- und Gewerbegebiete, die man durchfahren und in denen man die Adressen suchen muss, um seine Gesprächspartner zu finden.

„Die LANXESS AG, die am Standort Bitterfeld eine sogenannte Membran-Filtrationstechnologie für die Wasseraufbereitung ent wickeln und produzieren wird, hat nach einem harten Stand-ort-Wettbewerb unsere Region ausgewählt. Die wären nicht gekommen, wenn man hier nicht sehr gut leben könnte“, sagt Petra Wust. Das Investitionsvolumen dafür beträgt rund 30 Millionen Euro. Und es entstehen langfristig 200 neue Arbeits-plätze. Und das norwegische Unternehmen Vetro Solar begann im Mai mit dem Bau eines neuen Solarglaswerkes.

Die Oberbürgermeisterin wirbt erfolgreich mit dem investoren-freundlichen Umfeld. Die Ansiedlung neuer oder die Erweiterung bestehender Unternehmen funktioniert noch, trotz Krise. Grund ist ein Innovationskonzept des Landkreises, für das der Landrat Uwe Schulze verantwortlich zeichnete. Als zentrales Anliegen für ein modernes Regionalmanagement wird darin die Stärkung der vorhandenen „Kristallisationskeime“ formuliert. Genannt werden die Technologiezentren Bitterfeld-Wolfen und Köthen, das CPI ChemiePark-Institut für industrielle Vorlaufforschung, die Technologie-Interessengemeinschaft Bitterfeld-Wolfen e.V. (TIG) mit dem innovativen regionalen Wachstumskern und das Institut für Kunststofftechnologie und -recycling Weißandt-Gölzau (IKTR) in enger Verzahnung mit den Kompetenzbereichen der Hochschule Anhalt. „Aber es wäre alles nur Papier geblie-ben“, erläutert Petra Wust, „wenn es hier keine Akzeptanz für Industrie gegeben hätte.“ Dabei sei es eine Region gewesen, in der man oft aus dem Dorf nicht herauskam, die Entfernung von Bitterfeld nach Wolfen schon als zu groß galt. „Wir haben kein Schloss, keine Stadtmauer, nichts zum Vorzeigen. Was wir haben, ist unsere Industriegeschichte seit 150 Jahren.“ Auch als Stadt sei man nicht gewachsen, sondern Ergebnis eines politi-schen Beschlusses. Zu einer der größten Städte Sachsen-Anhalts mit 47.000 Einwohnern auf 87,31 Quadratkilometern wurde man durch den freiwilligen Zusammenschluss der Städte Bitter-feld und Wolfen sowie der Umlandgemeinden Greppin, Holz-weißig und Thalheim im Jahre 2007 und Bobbau 2009. „Es war ein großer Gewinn für alle, jede Gemeinde bringt etwas ein. Greppin z. B., eine deutschlandweit bekannte Reit anlage.“ Es wäre falsch zu sagen, man stürze sich jetzt auf den Tourismus. „Wir sind ein Industrie-Standort, aber wir zeigen, dass das eine das andere nicht ausschließt. Wir gestalten unsere Zukunft, ste-hen auf mehreren Beinen. Unlängst auf einer Versammlung ostdeutscher Bürgermeister bekam ich wieder dieses mitleidige Lächeln. Klar, unser Image ist schlecht. Aber ich habe die Kollegen gefragt, ob sie schon mal an der Goitzsche waren. Nein, bekam ich zur Antwort. Dann fahren sie mal hin, sagte ich, dann sparen Sie sich die Reise in die Toskana.“

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Beim Fluoreszenz-Lifetime-Imaging (FLIM) werden Stoffe im Augenhintergrund über extrem kurze Laserimpulse zum Fluoreszieren gebracht. Die Fluoreszenzzeit gibt Auskunft über den Stoffwechsel.

Ein Ziel vor Augen

„Wenn ich 60 bin, möchte ich gerne erleben, dass mich beispielsweise eine Glaukom-Frühdiagnostik davor bewahrt, am grünen Star zu erkranken.“

Diese Vision von MIntEye-Chef Prof. Dr. Jens Haueisen zeigt deut-lich, was ihn und das gesamte Team motiviert: Am ältesten Institut für Biomedizinische Technik in Deutschland entwickeln die Wis sen schaftler modernste Diagnosetechnologien für die Augenheil kunde. Seit drei Jahren arbeiten Informatiker und Bio-medizin tech niker gemeinsam mit Augenärzten und medizin-technischen Unternehmen daran, Augenkrankheiten früher zu erkennen und besser zu therapieren.

Das Auge ist das wichtigste Sinnesorgan des Menschen. 70 Pro zent aller Informationen nehmen wir über das Auge wahr. Wird unser Augenlicht durch Krankheiten getrübt oder erlischt es sogar ganz, bedeutet das eine große Einschränkung der Lebensqualität. Die Verbesserung der Diagnose solcher Erkrankungen ist wichtig, allerdings nicht einfach, denn das Sehen ist ein sensibler und hoch komplexer Vorgang: Sobald Licht auf die Hornhaut trifft, durchquert es die Linse und den Glaskörper und wird in der Netz-haut in Nervenimpulse umgewandelt. Diese werden zu einer bestimmten Hirnregion, dem visuellen Cortex, weitergeleitet und dort zu optischen Wahrnehmungen verarbeitet. Die Netzhaut, auch Retina oder Fundus genannt, ist also ein sehr wichtiger Teil des Auges und steht deshalb im Mittelpunkt der Untersuchungen des MIntEye-Teams.

„Wenn die Menschen alt genug werden, wird im Prinzip jeder an einer degenerativen Augenerkrankung leiden“, meint Dr. Uwe Grai chen, Informatiker und Koordinator des MIntEye-Projektes. Die Wissenschaftler beschäftigen sich mit den drei häufigsten Augenkrankheiten: dem Glaukom, auch grüner Star genannt, der Altersbedingten Makuladegeneration, kurz AMD, und der diabe-tischen Retinopathie, einer Begleiterscheinung von Diabetes. Die AMD ist in den Industriestaaten die Hauptursache für Erblin-

Beim Fluoreszenz-Lifetime-Imaging (FLIM) werden Stoffe im

Augenhintergrund über extrem kurze Laserimpulse zum Fluoreszieren

gebracht. Die Fluoreszenzzeit gibt Auskunft über den Stoffwechsel.

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Wie die InnoProfile-Initiative MIntEye an der

Technischen Universität Ilmenau die Diagnostik von

Augenkrankheiten verbessern will

dungen von Menschen, die über 65 Jahre alt sind. Sie verursacht 32 Prozent der Neuerblindungen, gefolgt von Glaukom und dia-betischer Retinopathie mit je 16 Prozent. Durch die steigende Lebens er war tung können diese Erkrankungen in Zukunft dra-matisch zunehmen. „Das Problem ist, dass diese Krankheiten schwer therapierbar sind“, erläutert Dr. Uwe Graichen. „Sie kön-nen nur auf dem Status, auf dem sie sind, gehalten werden. Deswegen ist es wichtig, dass man sie sehr frühzeitig erkennt.“

Meist werden Krankheiten wie das Glaukom erst diagnostiziert, wenn sie schon weit fortgeschritten sind. So beginnt der grüne Star sehr schleichend mit einem leicht erhöhten Augeninnen-druck, der keine Beschwerden verursacht. Dabei wird der Sehnerv jedoch stark geschädigt und stirbt langsam ab. Das kann Jahre oder gar Jahrzehnte dauern. Die Betroffenen merken erst etwas, wenn sie schlechter sehen können. Dann ist es für eine Therapie oft schon zu spät.

An der Altersbedingten Makuladegeneration erkranken 30 Pro-zent aller Menschen über 75 Jahre, die Tendenz ist weltweit stei-gend. Die Krankheit ist nach der Makula lutea, dem Gelben Fleck, dem Punkt des schärfsten Sehens benannt. Die Funktion des Gewebes lässt hier allmählich nach. Bei fortschreitender Krank-heit sterben die Netzhautzellen und die Sehfähigkeit im zentra-len Gesichtsfeld wird stark beeinträchtigt.

Während die Altersbedingte Makuladegeneration erst im höhe-ren Alter auftritt, ist die diabetische Retinopathie die häufigste Erblindungsursache bei Menschen zwischen 20 und 65 Jahren. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zur Schädigung der kleinen Blutgefäße in der Netzhaut, dies verursacht eine Minderung der Sehschärfe sowie die Einschränkung des Gesichtsfeldes und kann ebenfalls zur Erblindung führen.

Vernetzung statt Insellösungen

Im Moment werden diese Krankheiten mithilfe verschiedener technologischer Verfahren untersucht. Daraus ergeben sich etliche einzelne Resultate. „Der Arzt steht dann vor der Aufgabe, aus den Ergebnissen der vielen Diagnostik-Arten eine Schluss folge rung

zu ziehen“, erklärt Professor Haueisen. „Die Datenintegration findet im Kopf des Arztes statt und nicht unterstützt durch einen Computer. Das ist genau der Ansatz für das MIntEye-Projekt, dass man dem Arzt diese Unterstützung gibt, die Daten zu kombinie-ren und aus der Kombination der einzelnen Aussagen mehr Information gewinnt.“ Die Informatiker nennen das „Super addi-tion“. Die Verbindung der Daten ergibt nicht nur eine Summe, sondern einen zusätzlichen Informationsgewinn. Damit der Arzt diese Informationen nutzen kann, haben die Wissenschaftler ein spezielles Koordinatensystem für das Auge entwickelt, auf dem die einzelnen Untersuchungsdaten registriert werden. Bestim m-te Parameter, die die Krankheit möglichst kompakt beschreiben, werden herausgezogen, aufbereitet und für den Arzt in ge -eigneter Weise visualisiert.

Ursprünglich war die Kombination der Diagnosedaten das einzi-ge Ziel von MIntEye. Doch im Laufe der Zeit haben die Wissen-schaftler erkannt, dass es bei bestimmten Technologien auch wichtig ist, Verfahren und Geräte zu kombinieren. So haben die MIntEye-Wissenschaftler erstmals die Elektrodiagnostik mit der Mikrozirkulationsdiagnostik verknüpft. Auf diese Weise können sie den Durchmesser der kleinsten Blutgefäße der Netzhaut mes-sen und gleichzeitig die neuronale Tätigkeit untersuchen. Dafür haben die MIntEye-Wissenschaftler verschiedene Technologien, die auf der Funktionsweise einer Netzhautkamera basieren, mit einer Farbprojektionstechnik zusammengebracht. „Mit einem Gerät wird die Summe von Messfehlern minimiert und damit die Genauigkeit erhöht. Außerdem verringert sich die Patienten-belastung, weil ich nahezu zeitgleich verschiedene Parameter erfassen kann“, erklärt der Optik-Ingenieur Dietmar Link.

Und Jens Haueisen ergänzt: „Die Vision ist, irgendwann von den maximal 30 Geräten, die in einem Augendiagnose-Labor stehen, auf zwei bis drei Geräte runterzukommen, die die gesamte Funktionalität erledigen.“

Leuchten im Auge

Neben der Kombination bereits vorhandener Diagnoseverfahren will das MIntEye-Team auch neue Ideen entwickeln, immer mit

Ein Ziel vor Augen

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MIntEye-Wiossenschaftler haben Netzhautkamera- Technologien und Farbprojektionstechnik vereint, um den Durchmesser kleinster Blutgefäße und die neuronale Tätigkeit gleich zeitig messen zu können.

dem Ziel, Augenkrankheiten so früh wie möglich zu erkennen und zu behandeln. Eines dieser neuen Verfahren ist das so -genannte Fluoreszenz-Lifetime-Imaging, kurz FLIM. Die Technik ist von einer Forschungsgruppe um Dr. Dietrich Schweitzer an der Augenklinik in Jena entwickelt worden und weltweit einma-lig. Bisher gibt es nur zwei dieser Geräte; eins steht bei den Entwicklern in Jena und eins bei MIntEye in Ilmenau. FLIM ist ein Verfahren aus der Mikroskopie. Damit lässt sich ermitteln, wie lange verschiedene Stoffe im Augenhintergrund nach Anregung mit extrem kurzen Laserpulsen fluoreszieren. Die Ilmenauer Wissenschaftler beobachten, wie sich die Intensität des Fluores-zenzlichtes über die Zeit verhält. Dieses Verhalten wird „Lifetime“ genannt und ist eine bestimmte Eigenschaft, mit der man Stoffe unterscheiden kann, die fluoreszieren. „Wir möchten gerne die Verteilung von diesen Stoffen am Augenhintergrund messen. Die Idee ist, dass wir Stoffe nachweisen können, die am Stoff-wechsel beteiligt sind“, erklärt Matthias Klemm von MIntEye, der mit dieser Methode arbeitet. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass auf der Stoffwechselebene bereits Abweichungen statt-finden, bevor es zu krankhaften Veränderungen und bleibenden Schäden auf der Netzhaut kommt. Mit dem FLIM könnten dege-nerative Augenerkrankungen künftig sehr früh diagnostiziert werden. Das hilft den Patienten, denn das Ungleichgewicht im Stoffwechsel ist in der Regel noch behandelbar oder umkehrbar. Für die MIntEye-Wissenschaftler ist die Auswertung der Daten, die sie durch diese Technologie erhalten, der wichtigste Teil ihrer Arbeit. Zusammen mit ihren Jenaer Kollegen entwickeln sie dafür neue Methoden.

Auch bei der FLIM-Technik kann die Verknüpfung der Diagnose-daten dem Arzt helfen, eine optimale Therapie für den Patienten zu finden. „Wenn ich die Aussage kombinieren kann, mit der Information, wo der Stoffwechselvorgang zuerst schiefläuft oder wo zuerst eine Gefäßveränderung auftritt, dann erhalte ich eine Zusatzinformation, die sehr viel mehr wert ist, als das, was ich von einer Einzelmessung erfahren habe“, erklärt Professor Haueisen. Abgesehen vom diagnostischen Aspekt ist die Arbeit mit dem FLIM auch für Forschungszwecke wichtig. Denn bisher sind die Ursachen einiger Augenerkrankungen und Funktions-störungen dieses wichtigen Sinnesorganes noch nicht genau bekannt. Das MIntEye-Team will hier mehr Licht ins Dunkel brin-gen. Dazu haben die Forscher eine vergleichende Studie mit

Probanden, also gesunden Menschen und Patienten durchge-führt, die an der Altersbedingten Makuladegeneration leiden. Um solche Studien realisieren zu können, arbeiten sie momen-tan mit einem niedergelassenen Augenarzt aus Rudolstadt zusammen. Demnächst will die MIntEye-Gruppe mit weiteren Augenheilkundlern aus Ilmenau kooperieren. Schließlich benö-tigen die Wissenschaftler so viele Patienten wie möglich, um bei ihren Untersuchungen aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten.

Für manche Tests arbeiten die Wissenschaftler allerdings nur mit gesunden Probanden. So haben sie eine große Reproduzier-barkeitsstudie mithilfe der Optischen Kohärenz Tomografie (OCT) durchgeführt. Mit dieser Studie wurde allein die Zuver lässigkeit der Messergebnisse untersucht. Bei der OCT handelt sich um ein ähnliches Verfahren wie Ultraschall. Statt Schall wird jedoch Licht in einem ganz bestimmten Wellenlängen bereich verwen-det. Mit dem Licht können hoch aufgelöste, dreidimensionale Aufnahmen der einzelnen Netzhautschichten gemacht werden. Damit wird das kleinste Gewebe sichtbar, bis hin zu einzelnen Sehsinneszellen. „Man kann frühzeitig und objektiv Zell struk-turen darstellen und Veränderungen erkennen und damit Krankheiten sehr früh diagnostizieren. Außerdem schont diese Methode die Patienten, geht schnell und ist kontaktlos im Vergleich zum Ultraschall“, erklärt Jens Liebermann, der sich in seiner Promotion mit dieser Technik beschäftigt. Die Methode wird zwar schon seit einigen Jahren von Augenärzten angewen-det, doch das MIntEye-Team will noch einen Schritt weitergehen. Die Aufnahmen der Optischen Kohärenz Tomografie sollen mit der Diagnose des Stoffwechsels, die mithilfe der FLIM-Technik erstellt wird, verbunden werden. Eine solche Kombination ist bisher weltweit einzigartig. Auf diese Weise können zusätzliche Aussagen für die Diagnose der Augenerkrankungen getroffen werden.

Alte Idee – neuer Plan

Die Doktoranden Patrick Beßler und Sascha Klee haben einen innovativen Ansatz für die Frühdiagnostik von Glaukom, also dem grünen Star, entwickelt. Sie nutzen dafür die Methode der Elektrophysiologie. Damit können Prozesse im Körper, die mit elektrischen oder elektromagnetischen Veränderungen einher-gehen, gemessen werden. Durch visuelle Reize geschehen solche u

MIntEye-Wiossenschaftler haben Netzhautkamera-Technologien und Farbprojektionstechnik

vereint, um den Durchmesser kleinster Blutgefäße und die neuronale Tätigkeit gleich zeitig messen

zu können.

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Oben: Die Biomedizintechniker Patrick Beßler und Sascha Klee (v. l. n. r.) entwickelten eine neue Methode zur Früherkennung des grünen Stars.

Links: Objektive Diagnose: Welche Signale von der Netzhaut im Gehirn ankommen, zeigt das EEG. Der Arzt ist nicht mehr auf die Auskunft des Patienten angewiesen.

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Der Informatiker Dr. Uwe Graichen koordiniert das Ilmenauer MIntEye-Projekt zur Früherkennung von Augenkrankheiten.

Veränderungen auch auf der Netzhaut. Diese Reize werden in die hintere Hirnregion weitergeleitet und dort verarbeitet. In welcher Weise dies geschieht, wird durch die Messung der Gehirnströme mit einem EEG sichtbar gemacht. Daraus können wiederum Parameter abgeleitet werden, die eine Aussage über bestimmte Erkrankungen zulassen, auch über das Glaukom. Für ihre Studie nutzten Beßler und Klee eine Erkenntnis, die nicht neu ist: Der grüne Star wirkt sich zuerst auf die Sinneszellen im Auge aus, die die Farbe Blau verarbeiten. Ist die Krankheit fortge-schritten, lässt sich dies deutlich nachweisen. Doch die MIntEye-Forscher verfolgten einen neuen Ansatz. „Wir haben versucht, das Glaukom mit speziellen Methoden in einem früheren Stadium zu erkennen. Es gibt ganz gute Anzeichen dafür, dass das funktioniert“, resümiert Patrick Beßler. Für ihre Studie haben die Biomedizintechniker den visuellen Reiz über spezielle Displays strukturiert. Das bedeutet, die Probanden bekamen ver-schiedene Muster und Farben zu sehen. „Zielvorstellung ist, dass man diese Technik in die normale Funduskamera, die beim Augenarzt steht, integriert und dass der Arzt, wenn Glaukom-Verdacht besteht, den Patienten einfach vor dieses Gerät setzt und eine entsprechende Stimulation durchführt. Hoffentlich sehen wir in 10 Jahren so ein Gerät beim Augenarzt stehen“, resü-miert Jens Haueisen. Auch diese Methode wollen die Ilmenauer wieder mit anderen Untersuchungen kombinieren. Wenn bei-spielsweise bei der Mikrozirkulationsdiagnostik, der Messung der kleinsten Blutgefäße im Auge, eine Störung festgestellt würde, könnte genau an dieser Stelle ein visueller Reiz gesetzt werden. Parallel dazu wird ein EEG durchgeführt und der Augenarzt erkennt, was im Gehirn passiert, wie der Reiz verar-beitet wird. So kann er schon sehr früh eine Diagnose stellen.

Diese Methode ist ein gutes Beispiel für die objektive Diagnostik, die das MIntEye-Team weiterentwickeln will. Momentan ist es so, dass Ärzte bei vielen Augenuntersuchungen auf die aktive Mitarbeit der Patienten angewiesen sind. „Das klappt bei koope-rativen Patienten ganz gut, aber insbesondere bei der Unter su-chung von psychiatrischen oder an Demenz erkrankten Patien ten, sind die Ergebnisse subjektiver Messverfahren häufig nicht zu verwerten“, meint Professor Haueisen. Das heißt, es werden neue Methoden benötigt, die nicht allein von der Unterstützung der

Patienten abhängen. Durch die Verknüpfung mit dem EEG ist das möglich. Hier sieht der Arzt sofort, ob Signale von der Netz haut im Sehzentrum des Gehirns ankommen. Auf der Basis solcher objektiven Untersuchungsergebnisse kann er eine wirksame Therapie erstellen.

Geballte Kraft

Hinter der intensiven Forschungsarbeit des MIntEye-Teams ste-cken viele kluge Köpfe. Dieses Wissen und die Ideen zu bündeln, über die Fachgrenzen hinauszudenken, ist eine große Heraus-forderung. Bei MIntEye arbeiten Optik-Ingenieure, Mediziner, Biomedizintechnik-Ingenieure, Elektrotechniker und Informa-tiker eng zusammen. „Wir haben einen sehr regen Austausch. Nur mit dieser Interdisziplinarität, den verschiedenen Kompe-tenzen kann man so ein Thema vorwärts bewegen“, findet Dr. Uwe Graichen. Wie aber funktioniert der Austausch zwischen so unterschiedlichen Disziplinen wie Informatik und Medizin? „Es ist zwar schwierig miteinander zu kommunizieren, aber möglich. Man muss auf den anderen eingehen. Ich denke, das Wichtigste ist letztlich die Offenheit“, meint Jens Haueisen. Und genau das haben die MIntEye-Forscher geschafft: offen aufeinan-der zuzugehen, sich auszutauschen; innerhalb des Teams, aber auch nach außen. So arbeiten sie mit regionalen Medi zin technik-Unternehmen wie Zeiss Meditec, IMEDOS Systems UG und NEURO CON zusammen. Zeiss stellt den Wissenschaftlern bei-spielsweise Geräte als längere Leihgaben zur Ver fü gung. Außerdem hat MInt Eye im Laufe des Projekts bereits vier weitere In dus trie partner gewonnen.

Auch international ge winnt das Team um Jens Haueisen und Uwe Grai chen immer mehr Partner und größere Beachtung. So organisiert MIntEye im Sep tember in Ilmenau das erste deutsche Symposium zur Fluoreszenz-Lifetime-Imaging-Technologie am menschlichen Auge. Namhafte Wissenschaftler aus den USA und England werden zu Gast sein. Der gemeinsame Austausch bringt Synergieeffekte und neue Ideen. Genau das hilft den MIntEye-Forschern bei der Verwirklichung ihrer Vision, Menschen mit Augenkrankheiten in Zukunft früher und besser helfen zu können.

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Der Informatiker Dr. Uwe Graichen koordiniert das Ilmenauer MIntEye-Projekt zur

Früherkennung von Augenkrankheiten.

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DerunbekannteFeind

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Wissenschaftler des

Jenaer Zentrums für

Innovationskompetenz

SEPTOMICS bekämpfen die

gefährliche Sepsis

Derunbekannte

Feind

Wissenschaftler des Jenaer Zentrums

für Innovationskompetenz SEPTOMICS

bekämpfen die gefährliche Sepsis

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Er sieht harmlos aus, doch der Hefepilz „Candida albicans“ kann unter bestimmten

Bedingungen eine gefährliche Sepsis hervorrufen.

Er sieht harmlos aus, doch der Hefepilz „Candida albicans“ kann unter bestimmten Bedingungen eine gefährliche Sepsis hervorrufen.

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Fast 60.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr an Sepsis. Trotz dieser alarmierenden Zahl wird die lebensbedrohliche Krankheit in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dabei könnte jeder von uns betroffen sein. Schon ein kleiner Kratzer genügt, um eine Sep sis auszulö-sen. „Unser Ziel muss es sein, in fünf Jahren die Sepsis-Sterblichkeit um 25 Prozent zu senken“, formuliert Professor Konrad Reinhart ganz klar die Rich tung. Er ist Chefarzt der Inten sivstation des Uniklinikums Jena und einer der Köpfe des SEPTOMICS-Teams, in dem Medi zi ner und Mikro-biologen eng zusammenarbeiten.

Papst Johannes Paul II. ist an den Folgen einer Sepsis gestorben, genauso wie Superman-Dar-steller Christopher Reeve und Fürst Rainier von Monaco. Offiziell war allerdings von einer Sepsis als Todesursache nie die Rede. Stattdessen wur-den nur die primären Erkrankungen wir Lungen- entzündung oder Harnwegsinfektion erwähnt. Doch daran stirbt eigentlich niemand. Auch nicht an einer Wunde am Kopf, wie sie sich Christopher Reeve zugezogen hatte. Normaler-weise halten Immunzellen die Keime am Ort der Entzündung in Schach. Doch ist der Be -troffene geschwächt, oder sind die Erreger beson ders aggressiv, können sie über das Blut in den Kreis lauf gelangen. Von dort aus verteilen sie sich in alle Organe. Das Immunsystem gerät in höchsten Alarmzustand und versucht, die Eindring linge unschädlich zu machen. Die Reaktion gerät außer Kontrolle. Weiße Blutkörperchen setzen Gifte frei, die helfen sol-len, die Erreger zu vernichten. Doch diese Gifte greifen auch den Körper an. Kleine Blutgefäße werden durchlöchert und große Mengen Flüssigkeit gelangen ins Gewebe. Das Herz ver-sucht dagegen anzupumpen, doch vergeblich. Da kein Blut und kein Sauerstoff mehr zu den Organen gelangt, versagt eins nach dem ande-ren. Der Patient stirbt.

Wettlauf mit der Zeit

Dieser Prozess kann sehr schnell gehen. Bei der ersten Diagnose sind die Ärzte auf Indizien ange wiesen. Dazu gehören Fieber, Verwirrtheit, niedriger Blutdruck und hoher Puls. Wird die Sepsis nicht schnell genug erkannt, können die Betroffenen in kurzer Zeit sterben. „Wir rech-nen ungefähr so, dass eine Stunde sieben Pro-zent Überlebensrate kostet“, meint der klini-sche Mikrobiologe Professor Eberhard Straube von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der zum SEPTOMICS-Team gehört. „Das bedeutet,

wir müssen schneller sein, als wir bisher mit unseren diagnostischen Methoden sind, insbe-sondere was mikrobiologische Methoden an -geht.“ Das sieht auch Konrad Reinhart so: „Es ist wichtig, die Zeit zwischen Diagnose und Thera-pie zu verkürzen. Nor ma ler weise dauert es drei Tage, bis man weiß, was da los ist. Dann ist der Patient tot.“ Momentan wird bei Verdacht auf Sepsis eine Erreger-Kultur angelegt. Auf diese Weise sollen die Bakterien oder Pilze identifi-ziert werden, die die Infektion ausgelöst ha ben. Doch das kann einige Tage dauern. Schon seit 150 Jahren wird das so gehandhabt. Obwohl es heutzutage moderne Therapien gibt, sind die Diagnosemethoden völlig veraltet. Das soll sich nun ändern. SEPTOMICS hat dafür die Thera-gnostik-Idee entwickelt. „Das ist nichts anderes als die enge Verzahnung der Therapien mit der Diagnose“, erklärt Professor Reinhart. Ziel sei „die richtige Dosierung zum richtigen Zeitpunkt beim richtigen Patienten über eine adäquate Zeit.“ Derzeit haben die Ärzte oft Schwierig-keiten, den Infektionsherd im Körper der Sepsis-Patienten zu finden und die Erreger eindeutig zu identifizieren. Dann können sie den Patien-ten nicht die passenden Antibiotika verabrei-chen. Wie der medizinische Mikrobiologe Eber-hard Straube weiß, gibt es eine ganze Reihe von Studien, die nachweisen, dass die Sterb lichkeit um die Hälfte sinkt, wenn die kalkulierte Therapie richtig ist. Es gibt aber noch ein ande-res Problem, das die Behand lung mit Anti-biotika erschwert, insbesondere in Kran ken -häusern. „Bei Bakterien hängt das zu sam men mit der Zunahme von multiresistenten Erre-gern, die nicht mehr auf die üblichen Anti-biotika ansprechen“, meint Professor Axel Brak-hage. Der Mikrobiologe ist Direktor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infek-tionsbiologie in Jena, das zu den SEPTO MICS-Partnern ge hört. Ihm ist es besonders wichtig, krankheitserregende Pilze zu erforschen, die bei der Sepsis eine Rolle spielen können. Die Gefährlichkeit dieser Mikroorganismen ist bis-her unterschätzt worden. Pilze können sowohl Sepsis als auch sekundäre Infek tionen verursa-chen, meist mit tödlichen Folgen.

Die Taktik der Erreger und der Widerstand ihrer Opfer

Um die Infektionsmechanismen der Pilze besser zu verstehen ist am Leibniz-Institut für Natur-stoff-Forschung und Infektions biologie die Nachwuchsforschungsgruppe „Fungal Septo-mics“ gegründet worden. Professor Oliver Kur zai

Der Mediziner Prof. Dr. Oliver Kuzai leitet

seit Ende letzten Jahres die Nachwuchsforschungsgruppe

„Fungal Septomic“ am Leibniz-Institut für Naturstoff-

Forschung und Infektionsbiologie in Jena.

Der Mediziner Prof. Dr. Oliver Kuzai leitet seit Ende letzten Jahres die Nachwuchsforschungsgruppe „Fungal Septomic“ am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena.

Prof. Dr. Axel Brakhage, Mikrobiologe und Direktor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-

Forschung und Infektionsbiologie in Jena, will dabei helfen, neue Therapien

gegen die Sepsis zu entwickeln.

Prof. Dr. Axel Brakhage, Mikrobiologe und Direktor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena, will dabei helfen, neue Therapien gegen die Sepsis zu entwickeln.

Der klinische Mikrobiologe Prof. Eberhard Straube von

der Friedrich-Schiller-Universität Jena hält eine

schnellere Sepsis-Diagnose für besonders wichtig.

Der klinische Mikrobiologe Prof. Eberhard Straube von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hält eine schnellere Sepsis-Diagnose für besonders wichtig.

Prof. Dr. Konrad Reinhart, Chefarzt der Intensivstation am

Uniklinikum in Jena, setzt sich schon seit Jahren für die

Bekämpfung der Sepsis ein, er ist einer der geistigen Väter des

SEPTOMICS-Projekts.

Prof. Dr. Konrad Reinhart, Chefarzt der Intensivstation am Uniklinikum in Jena, setzt sich schon seit Jahren für die Bekämpfung dear Sepsis ein, er ist einer der geistigen Väter des SEPTOMICS-Projekts.

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leitet diese Gruppe. Der 34-jährige Mediziner ist erst Ende letzten Jahres ins SEPTO MICS-Team nach Jena berufen worden. Kurzai und seine Mitarbeiter untersuchen den Pilz Candida albicans, der im Darm der meisten Menschen lebt. Manchmal verlässt die-ser Hefepilz jedoch seine natürliche Umgebung und ruft eine systemische Infektion und eine Sepsis hervor. „Die Frage, die wir uns stellen, ist: Was verändert sich bei dem Erreger im Rahmen dieses Übergangs zwischen gutartiger Interaktion mit dem men-schlichen Wirt und Krankheitserreger?“, erklärt Oliver Kurzai. Um Antworten darauf zu finden, untersucht er das Tran skriptom und das Proteom des Pilzes. Das Transkriptom sind sämtliche Gene, die zu einer bestimmten Zeit in einer Zelle transkribiert, also von DNA in RNA umgeschrieben werden. Das Proteom ist die Gesamtheit aller Proteine, also Eiweiße, in einer Zelle. Mit diesen Untersuchungen hofft er zu erkennen, wie regulatorische Netz-werke in den Pilzen funktionieren. „Mikro orga nismen wie Bakte-rien und Pilze sind ja auch integre Organismen, die Regula tions-mechanismen zur Verfügung haben. Das ist ein Bereich, den wir jetzt gerade beginnen zu verstehen“, fügt Eber hard Straube hinzu. Doch für die Forscher sind nicht nur die Erreger interes-sant, sondern auch deren Wirt, also der Mensch, der von einer Sepsis betroffen ist. Deshalb wird momentan die Nach wuchs -gruppe „Host Septomics“ aufgebaut. Die jungen Wissen schaftler wollen der Frage nachgehen, wie die menschlichen Immunzellen gegen die Infektion kämpfen und welche Verteidi gungs-mechanis men dabei aktiviert werden. Sie wollen verstehen, wie es bei der Sepsis zur Überreaktion des Immun sys tems kommt. Bei ihren Untersuchungen nutzen die SEPTOMICS-Gruppen einen systembiologischen Ansatz. Ziel ist es, Algorith men zur Berech-nung der komplexen Interaktionen zu finden, um sie besser begreifen und vorhersagen zu können. Dafür bekommen sie große Unterstützung von Bio informatikern, die ebenfalls zum Team gehören.

Heilen und vorausschauen

Um wirksame Therapien gegen die Sepsis zu finden, interessiert die SEPTOMICS-Wissen schaft ler, wie sie in die Regulierung des menschlichen Immunsystems eingreifen können. Ihr Ziel ist es, die Überreaktion zu verhindern oder diese wieder ins Lot zu brin-gen. Außerdem wollen sie Menschen, bei denen die Gefahr einer Sepsis groß ist, schon vor dem Ausbruch der Er krankung erken-nen. Schließlich ist Prophy laxe besser als jede Therapie. „Bei Herz-Kreis lauf-Erkrankungen können Sie aufhören zu rauchen und anfangen, Sport zu treiben. Sie können Kondome benutzen, um sich vor AIDS zu schützen. Sie können zur Krebsvorsorge unter- suchung gehen. Für Sepsis gibt es diese Mög lich keiten nicht“, meint Oliver Kurzai. SEPTO MICS will dazu beitragen, das zu ändern. Es gibt bestimmte genetische Konstellationen, die ein Sepsis-Risiko bergen. Für die Unter su chun gen des Genoms ist den Wissenschaftlern die Bio bank am Uniklinikum in Jena eine große Hilfe. Die Biobank ist eine weltweit einzigartige Sammlung von Biomaterialien, also Blutplasma, Serum und DNA, von Patien-ten mit Sepsis und systemischen Entzündungen. Die Proben wer-den deutschlandweit unter sehr standardisierten Bedin gun gen gesammelt und in Jena in kleinen Röhrchen von jeweils 250 bis

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Die Proben werden in der Biobank voll automatisiert

gehandhabt. Bis zu 200.000 dieser kleinen Röhrchen

können innerhalb von 48 Stunden ausgelagert

werden.

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In der weltweit einzigartigen Jenaer Biobank können mehr als 500.000 Plasma-, Serum- und DNA-Proben von Sepsis-Patienten und Menschen mit schweren systemischen Infektionen bei -80° Celsius gelagert werden.

500 Mikro liter portioniert. Derzeit wird ein voll automatisiertes System aufgebaut, das die Einlagerung von mehr als 500.000 Proben bei -80°C ermöglicht. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Querschnittssammlung, sondern das Plasma wird den Patien ten über einen längeren Zeit raum in verschiedenen Sta dien der Sepsis entnommen. Dies ist für die wissenschaftlichen Unter-suchungen von großer Bedeutung. Außer dem können den Forschern in sehr kurzer Zeit sehr viele Proben zur Verfü gung gestellt werden. Innerhalb von 48 Stunden lassen sich bis zu 200.000 Röhrchen auslagern. Ein medizinisch-technischer Assis-tent würde maximal 100 –150 Proben pro Tag schaffen. Das Kon-zept für diese einzigartige Sammlung ist am Uniklinikum Jena entwickelt und von einer Firma technisch umgesetzt worden. Bereitgestellt werden die Blutproben von der Forschungs gruppe „Clinical SEPTOMICS“, die ebenfalls zum Zentrum für Inno-vationskompetenz gehört. Die Mediziner dokumentieren den Krankheitsverlauf der Sepsis-Patienten. Außerdem erstellt die Gruppe Studien zur optimalen Diagnose und Behandlung von Sepsis. Das Team kann die For schungs ergebnisse von SEPTOMICS direkt in klinischen Studien bewerten. Das erleichtert und beschleunigt die Umsetzung der Resul tate in die Praxis. Schließ-lich wollen die Wissenschaftler neue Therapien entwickeln, die den Patienten so schnell wie möglich zugute kommen. Dazu gehört auch die Zell- und Immuntherapie. „Wir wollen die Bedeutung des Immunsystems besser verstehen“, meint Axel Brakhage. „Wir wissen, dass einige Krankheits erreger Immun-modulatoren binden können, das heißt, sie verstecken sich vor dem Immunsystem. Wenn man diese Bindung durch Antikörper verhindern könnte, dann würden die Erreger vom Immunsystem wieder besser erkannt.“

Ein anderer Ansatz ist die Untersuchung von Medikamenten oder Molekülen, die bisher für die Therapie einer Infektion eher ungewöhnlich sind. Die Wissenschaftler wollen untersuchen, welches antibiotische Potenzial Medikamente haben, die längst zugelassen sind und momentan für andere Behandlungen ver-wendet werden.

Sobald die SEPTOMICS-Forscher interessante Ergebnisse gefun-den haben, wollen sie diese nicht nur veröffentlichen, sondern auch patentieren lassen. Durch die Kooperation mit Jenaer Biotech-Firmen wie InflaRx, SIRS-Lab, Analytik Jena und Wacker Biotech sollen die Resultate auf lange Sicht auch vermarktet wer-den können.

Allianz gegen den Sepsis-Tod

In den entwickelten Ländern nimmt die Sepsis jedes Jahr um sie-ben bis elf Prozent zu. Mehr als 150.000 Deutsche erkranken jähr-lich daran, fast die Hälfte der Patienten stirbt. Ein Teil dieses Problems verursacht der medizinische Fortschritt. Denn je mehr in den Körper eingegriffen wird, desto größer ist die Gefahr einer Infektion. Hinzu kommt, dass die Patienten immer älter werden. „Es gibt beispielsweise immer mehr Menschen, die über 80 sind und sich am Herzen operieren lassen. Da entstehen viele Kolla te-ral schäden. Man kann sagen, der medizinische Fortschritt wird begrenzt durch septische Komplikationen“, resümiert Professor Reinhart. Aber auch in anderen Teilen der Welt ist die Sepsis ein Problem. So ist die Krankheit in den Entwicklungs ländern die Todesursache Nummer eins bei Kindern. Gemeinsam mit ande-ren Wissenschaftlern bemüht sich Konrad Reinhart deshalb um die Gründung eines globalen Sepsis-Bündnisses.

Der Standort Jena spielt dabei eine wichtige Rolle. Schon vor SEPTOMICS hat sich hier eine große Kompetenz in der Sepsis-forschung entwickelt. So wurde auf Initiative von Professor Rein-hart bereits vor neun Jahren die Deutsche Sepsis-Gesellschaft gegründet. Die wissenschaftliche Fachgesellschaft, zu der Ärzte und Forscher aus ganz Deutschland gehören, bemüht sich um die Erforschung dieser Krankheit, die Verbesserung von Diagnose und Therapie sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit. Im Jahr 2004 ging von Jena die Etablierung des Kompetenz netzwerkes SepNet aus, das ebenfalls vom Bundesforschungs ministerium gefördert wird und im letzten Jahr folgte dann die Gründung von SEPTOMICS. Diese Expertise zieht wiederum Sepsis-Spezialisten und Nachwuchsforscher nach Jena. Junge Wissenschaftler haben hier gute Arbeitsbedingungen und Ausbildungsmöglichkeiten. So gibt es in der Universitätsstadt verschiedene Graduierten-schulen wie die Jena School for Microbial Communication, die von der Exzellenzintiative des Bundes gefördert wird und die International Leibniz Research School. Im Focus steht die Kommunikation von Mikroorganismen, die bei der Erforschung von Infektionen eine große Rolle spielt.

Und auch an der medizinischen Fakultät der Jenaer Universität werden Prioritäten gesetzt. Der Schwerpunkt dort ist die Sepsis- und Alternsforschung. „Das hat auch Auswirkungen auf die Leute, die auf die Lehrstühle berufen werden. Das ist ein autoka-talytischer Prozess, der eine weitere Verbesserung der Ergebnisse nach sich ziehen kann“, prognostiziert Professor Straube. Er war als Studiendekan daran beteiligt, dass die medizinische Fakultät gerade einen neuen Studiengang für molekulare Medizin einge-richtet hat. Auf diese Weise wird der Nachwuchs im Bereich Infektionsforschung optimal gefördert.

Für Professor Konrad Reinhart steht fest: „So etwas wie den Standort Jena als Sepsis-Cluster gibt es weltweit nicht noch ein-mal. Der Vorsprung, den wir in den nächsten fünf Jahren erzielen können, ist gigantisch.“ Das lässt hoffen, dass die Forschungs-ergebnisse des SEPTOMICS-Teams den Patienten bald zugute kommen werden und deren Überlebenschancen steigen.

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Umdenken bei der Diagnose Krebs

In Berlin wird der Einsatz von

peptidischen Bindungsmolekülen

erforscht, um eine individuelle und

damit bessere Krebstherapie mit

geringeren Nebenwirkungen zu

ermög lichen.

Krebs: Ein Tier, ein Sternzeichen, eine Krankheit. Ein Wort, bei dem die meisten Menschen zusammenzucken, weil es etwas Schlechtes bedeutet. Der Krankheit den fatalen Beigeschmack zu nehmen, indem sie so weit erforscht wird, dass die tödliche Kom po nente wegfällt, wenn ein Patient mit dieser Diagnose kon-frontiert wird, daran arbeiten Dr. Grötzinger und sein Team „Opti mierte Peptid-Leitstrukturen für die bildgebende Tumor-diag nos tik und die Tumortherapie“ an der Berliner Charité. Wäre das nicht schön? Eine Welt voller gesunder Menschen? Oder zumindest eine Welt, in der Menschen, die eine Krankheit haben, die sie umbringen könnte, auf jeden Fall geheilt werden könnten? In der die Worte „Herzinfarkt“, „Alzheimer“, „Diabetes“ oder „Krebs“ zwar immer noch ein Umdenken im Lebenswandel, aber keine panische Angst und Verzweiflung mehr hervorrufen würden – weil diese Krankheiten wirkungsvoll behandelt und der Patient sogar geheilt werden könnte.

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Umdenken bei der Diagnose

Krebs

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Dr. Carsten Grötzinger liebt seine Arbeit: Konzepte erarbeiten, experimentieren, Ergebnisse erzielen. Und dann mit den Kollegen schnell wieder eine neue Idee aus-arbeiten!

Täglich bekommen überall auf der Welt Menschen die Diagnose „Krebs“, und oft ist diese Aussage damit verbunden, dass nun ein großer Kampf beginnen wird: Ein Kampf gegen die Krankheit und um das Überleben. Tagtäglich sitzen aber auch Menschen in Laboren an ihren Geräten, vor ihren Computern oder ihren Dok-tor arbeiten, um genau dem entgegenzuwirken: Der Angst da vor, dass diese Diagnose mit einem tödlichen Ausgang verbunden sein könnte.

Früherkennung ist das A und O

Einer von ihnen ist Dr. Carsten Grötzinger: Seit 2007 leitet er die InnoProfile-Nachwuchsforschungsgruppe „Optimierte Peptid-Leit strukturen für die bildgebende Tumordiagnostik und die Tumortherapie“ an der Charité, genauer gesagt auf dem Campus des Berliner Virchow-Klinikums. Sein Ziel ist, Tumore in einem

möglichst frühen Stadium zu erkennen und bei einer notwendi-gen Chemotherapie wenigstens die negativen Neben wir kungen für die Patienten zu minimieren. Begleiterscheinungen wie stän-dige Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen oder Haarausfall lassen einige Patienten an der Wirkung einer solchen Therapie nämlich oft (ver)zweifeln.

Die Attraktivität von Ergebnissen

Bis März 2012 läuft das Projekt noch, der sympathische Forscher ist sehr zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen, die die För de-rung durch das BMBF ihm und seinem Team ermöglicht hat. Sein Team, das sind zwei promovierte Mitarbeiterinnen, acht Dokto-randen der Fachrichtungen Biologie, Biochemie, Biotechnologie und Veterinärmedizin, und eine technische Mit ar beiterin. Wie in allen Projekten, die mit Chemie und Biologie im weitesten Sinne u

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Kleine Peptide wie dieses werden von der InnoProfile-Arbeitsgruppe um Dr. Grötzinger pharmakologisch optimiert, um sie als Sonden für die Bildgebung oder Therapie von Tumoren einsetzen zu können.

zu tun haben, ist auch hier zu beobachten: Ein erfreulich hoher Frauenanteil. Das liegt wohl an den Studien gängen, die aus vieler- lei Hinsicht anscheinend besonders attraktiv auf Frauen wir ken. Für Dr. Carsten Grötzinger ist allerdings nur eines besonders attraktiv: Unabhängig vom Geschlecht der For schenden möglichst viele und effektive Ergebnisse mit seinem Team zu erreichen.

Und immer wieder Berlin

Dr. rer. nat. Carsten Grötzinger wurde 1964 in Berlin geboren, er ist verheiratet und hat eine Tochter. Sein Diplom in Biochemie und Molekularbiologie machte er an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1997 promovierte er hier. Seine Studien führten ihn u. a. nach Würzburg und an die University of Sheffield, es zog ihn aber immer wieder zurück in seine Heimat. Neben der Lebens-qualität Berlins lag das vor allem auch an der dortigen viel fäl-tigen akademischen und industriellen Szene im Bereich Biotech und Pharma. Und schließlich nicht zuletzt auch an den ausge-zeichneten Bedingungen, die sich ihm in Berlin bieten. Die Charité hat die onkologische Forschung zu einem ihrer Schwer-punktthemen erklärt und unterstützt diese nachhaltig im kürz-lich gegründeten Molekularen Krebsforschungszentrum (MKFZ). Hier an der Charité betreut Grötzinger neben seiner anspruchs-vollen Arbeit Studenten der Medizin und Biotechnologie, hält Vor lesungen und Seminare, u. a. zu den Themen „Tumortarget-ing oder Biologie G-Protein gekoppelter Rezeptoren“ – seit 2007 auch an der benachbarten Beuth-Hochschule für Technik.

Der ganz alltägliche Wahnsinn

Den Alltag des Wissenschaftlers prägen hingegen überwiegend die koordinierende Arbeit im Labor und die Diskussion von Kon-zepten und Ergebnissen mit seinem Team. Zweimal in der Woche trifft sich die gesamte Arbeitsgruppe zum Austausch über neueste Veröffentlichungen in ihrem Fachgebiet und über eigene Pro -jektfortschritte. Daneben werden Probleme und neue Lö sungs-ansätze in kleineren Projektteams oder zu zweit erörtert, neue Kooperationsmöglichkeiten diskutiert und die Publi kationen anderer Forscher analysiert. Aber auch andere Heraus for derun-gen hält der Alltag bereit: hier ist ein Gefrier schrank defekt und die Finanzierung der Reparatur ist zu klären, dort wird der Platz im Labor zu eng und eine Lösung muss her. Zeit zur stra-tegischen Planung, zum Schreiben von eigenen Veröffent-lichungen bleibt da oft nur am Abend oder am Wochenende. Am meisten genießt Grötzinger an seinem Beruf, wenn Konzepte nach langem, zähen Experimentieren endlich in Ergebnissen greifbar werden. Und wenn aus überraschenden experimentel-len Befunden im Aus tausch mit Kollegen neue Ideen entstehen.

Dieser Weg wird kein leichter sein

Doch von der Idee bis zum Ergebnis ist es in der Biomedizin häu-fig ein langer Weg. Das gilt insbesondere für die Entwicklung

von medikamentösen Therapien. Von der Idee für ein Medika-ment bis zum Ladentisch in der Apotheke vergehen gut und gerne 10 bis 12 Jahre. Und etwa eine Milliarde an Forschungs- und Entwicklungsgeldern! Das Projekt mit dem vielleicht etwas sper-rigen Namen „Optimierte Peptid-Leitstrukturen für die bildge-bende Tumordiagnostik und die Tumortherapie“ möchte diese Arbeit beschleunigen, es zielt auf die Selektion, Validierung und Optimierung von peptidischen Bindungsmolekülen für die Thera-pie und die bildgebende Diagnostik von Tumoren des Ver-dauungstrakts und anderer innerer Organe.

Diese Moleküle können chemisch an ein Signal gebende oder therapeutisch wirksame Substanz gekoppelt und dem betroffe-nen Patienten über die Blutbahn verabreicht werden. Auf diese Weise erhalten die Erkrankten statt eines unspezifischen ein molekular gerichtetes Kontrastmittel und statt eines konventio-nellen Chemotherapeutikums ein gerichtetes, zielsuchendes Medikament, das sich im Tumorgewebe konzentriert und dort seine schädigende Wirkung entfaltet. Vermieden werden soll dabei auf jeden Fall, dass gesundes Gewebe zerstört wird. Der Tumor wird sichtbar gemacht durch sogenannte Liganden (das ist ein Stoff, der an ein Zielprotein bzw. einen Rezeptor binden kann), die ein radioaktives Nuklid derart an den Rezeptoren befestigen und nicht nur den Tumor selbst, sondern auch eventu-elle Metastasen erkennbar machen.

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Gesucht wird das Medikament, das nur die kranken – und nicht die gesunden – Zellen zerstört.

Mit optischen Technologien wie Lumineszenz und Fluoreszenz kann die Wirksamkeit von Krebstherapien im Tiermodell auch ohne einen chirurgischen Eingriff schnell und genau beurteilt werden.

Dr. Grötzinger und sein Team arbeiten an der Erforschung von Tu mo ren des Verdauungstraktes. Es geht vor allem um den Tumor befall der Bauchspeicheldrüse, der besonders heimtückisch ist, da bis zu 90 Prozent der Erkrankungen erst in einem so späten Sta dium erkannt werden, dass nicht mehr operiert werden kann und auch eine Chemotherapie keine Heilung mehr bringt. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Darmkrebs: Daran erkranken jähr-lich ca. 60.000 Personen. An den Möglichkeiten zur Früherkenn-ung durch Speichel oder Blut wird fieberhaft gearbeitet.

Der Natur auf der Spur Dr. Grötzinger und sein Team haben innerhalb des Unternehmen Region-Projekts bereits viele Ergebnisse erzielt: So konnten sie eine Reihe von neuen Zielstrukturen, Proteinmolekülen auf der Oberfläche von Tumorzellen, identifizieren und genauer charakterisieren. Solche „Targets“ sind das A und O für die Entwicklung moderner, zielgerichteter Therapeutika und Kontrastmittel. Die Auswahl des richtigen, möglichst spezifi-schen Targets entscheidet ganz wesentlich darüber, wie wirksam und wie nebenwirkungsarm eine medikamentöse Behandlung sein kann. Auch bei der Entwicklung geeigneter molekularer Sonden, die sehr spezifisch an solche Targets binden und Tumoren damit entweder für eine bildgebende Diagnostik sichtbar machen oder gezielt schädigen können, ist Grötzingers

Arbeitsgruppe in mehreren Pro jekten weit vorangekommen. In einem Fall ist es ihnen gelungen, ein Sondenmolekül durch che-mische Modifikation mit einer zwanzigfach stärkeren Bindungs-kraft und einer höheren Stabilität auszustatten als das entspre-chende von der Natur geschaffene Molekül. Auch der Austausch mit anderen Initiativen des Verbunds ist fruchtbar: So steht man z. B. in Kontakt mit dem Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe „Glykodesign und Glykoanalytik“ an der Berliner Charité, Dr. Markus Berger, und mit Dr. Katja Heilmann: Die Biowissen-schaftlerin leitet das „InnoProfile“-Projekt „Antikörper-Techno-logien“ in Potsdam. Können aus diesen Kontakten vielleicht wirklich einmal Mög lich keiten entstehen, die Krankheiten in den Griff zu bekommen? Die Wirkstoff- und Therapeutika-entwicklung hat in Berlin schließ lich nicht nur eine lange akade-mische und wirtschaft liche Tradition, sie ist auch aktuell eines der wichtigsten Schwer punkt felder im Bereich Biotechnologie und Biomedizin der Region. Nach einem Besuch in seinem Labor, nach einem Gespräch mit dem Mediziner und nach einigem Nachdenken über dieses Thema kann man nur hoffen, dass den Wissenschaftlern die Weiterarbeit an ihren Forschungen möglichst leicht gemacht wird und sie in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Ergebnisse erzielen können. Man wäre „auf der Suche nach der heilen Welt“ dann schon ein gutes Stück weitergekommen.

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Kampf gegen tödliche Tumore

Im Dresdner Zentrum für

Innovationskompetenz OncoRay

entwickeln Wissenschaftler neue

Methoden der Strahlentherapie

Jedes Jahr erkranken in Deutschland 436.000 Menschen an Krebs. Fast die Hälfte stirbt daran. Experten schätzen, dass die Zahl der Neuerkrankungen in den nächsten vier Jahrzehnten sogar um 30 Prozent steigen wird. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Menschen immer älter werden und Krebs leiden in höherem Alter zuneh-men. Momentan sterben die meisten Deutschen an Herz-Kreislauf-Erkran-kun gen. Doch in Zukunft könnte Krebs zur Todesursache Nummer eins aufstei-gen. Zusammen mit seinen Kolle gen will Michael Baumann, Professor für Strahlentherapie und Radio onko logie am Universitätsklinikum in Dres den, etwas dagegen unternehmen: „Die Mis sion von OncoRay ist die Ver bes se-rung der Heilungserfolge bei Krebs er-kran kungen“, erklärt der Spre cher des Zen trums, „Und zwar ganz gezielt da -durch, dass die Strahlen thera pie ver-bessert wird.“

Selbst nach vielen Jahrzehnten der Forschung ist Krebs noch immer unberechenbar und schwer zu therapieren. Das liegt vor allem daran, dass Krebszellen über besondere Eigenschaften ver-fügen: Sie stimulieren sich selber zur Teilung, können dies un endlich oft tun und sind dadurch potenziell unsterblich. Krebs zellen sind in der Lage, bestehende Blutgefäße für ihr eige-nes Fortleben anzuzapfen. Ihre gefährlichste Eigenschaft besteht jedoch darin, in benachbartes Gewebe einzudringen, sich im Körper auszubreiten und an entfernten Stellen Tochterge-schwüls te zu bilden. Durch diese Metastasen wird ein bösartiger Tumor zur lebensbedrohlichen Gefahr.

Wer an Krebs erkrankt, erhält meist eine kombinierte Therapie, die aus der chirurgischen Entfernung des Tumors, der Gabe von Chemotherapeutika und einer Bestrahlung besteht. 60 Prozent aller Krebspatienten in Deutschland werden mit einer Strahlen-

Kampf

therapie behandelt. Das OncoRay-Team arbeitet daran, diese Therapie zu optimieren. Ihr Konzept ist die multidisziplinäre Forschung von Medizinern, Biologen und Physikern. Ihr Ziel: eine schnellstmögliche Anwendung der Ergebnisse in der Klinik, bei den Patienten. Um dies zu erreichen, wollen die Wissen-schaftler neue Technologien entwickeln und die Therapie biolo-gisch individualisieren. Was bedeutet biologische Individualisie-rung? Den meisten von uns sind die häufigsten Krebserkran kun-gen von Lunge, Brust, Prostata oder Darm bekannt. Was jedoch kaum jemand weiß: Krebs besteht aus ungefähr 500 unterschied-lichen Krankheitsbildern. Es gibt zum Beispiel verschiedene Formen von Lungenkarzinomen oder Prostatakrebs. Darüber hinaus kann jede dieser Krebsformen bei den einzelnen Patienten völlig unterschiedlich sein. „Bei manchen Patienten kann ein Tumor in einem bestimmten Stadium, bei einer bestimmten Größe geheilt werden. Der nächste Patient mit einem vermeint-

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Wie kann die Strahlentherapie bei Krebser-krankungen sicherer und effizienter werden und wie können künftig mehr Patienten geheilt werden?

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tödliche Tumoreg

egen

u

lich gleichen Tumor, der die gleiche Größe hat und an der glei-chen Stelle sitzt, bekommt exakt die gleiche Therapie, aber der Tumor wächst weiter und der Patient stirbt“, erklärt Professor Baumann. Es gibt also große biologische Unterschiede zwischen den Tumoren, das ist durch Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren und die Erforschung der Gene inzwischen bekannt. Deshalb ist es wichtig, jede Therapie auf den Patienten individuell abzustimmen.

Mehr Treffsicherheit

Das gilt auch für die Strahlentherapie. Für diese Behandlung wer-den bisher überwiegend sogenannte ultraharte Röntgen strahlen eingesetzt. Diese schädigen die Erbsubstanz der Krebs zellen und füh ren dazu, dass der Tumor nicht mehr wächst oder abstirbt. Die Schwie rig keit bei der Bestrahlung besteht je doch darin, dass die

Strah len dosis im Tumor platziert und das umliegende gesunde Gewebe nicht zerstört wird. Das ist vor allem bei den Rönt gen strahlen schwie rig, da sie den ganzen Körper durchdringen können. Des halb wird der Tumor in einer Art Kreuz feuer technik von meh-reren Sei ten unter Beschuss ge nom-men. Das Dosis maxi mum soll nur das bösartige Gewächs treffen. Die Patien-ten be kommen eine solche The ra pie allerdings über viele Tage. Das heißt, sie müssen immer gleich positioniert werden, damit die Strahlen ihr Ziel genau treffen. Das ist nicht einfach, doch mithilfe bild gebender Ver fahren inzwischen recht gut zu lösen. Schwierig wird es allerdings, wenn es sich um ein Lungen karzinom handelt, denn durch die Atmung bewegt sich auch der Tumor ständig. Bisher wurde das Bestrah lungs feld so groß gehal-ten, dass sich das Krebs geschwür im -mer darin befindet. Dabei wird je -doch viel gesundes Gewebe ringsher-

um geschädigt. Bei OncoRay sind Methoden entwickelt worden, um das zu vermeiden. „Wir beobachten die Atem bewegung des Patienten und sind dann in der Lage, das Bestrah lungsgerät so zu steuern, dass es nur dann eingeschaltet wird, wenn der Tumor in einer bestimmten Position ist. Das erfordert aber, dass vor der Bestrahlung, bei der Diagnose des Tumors, mithilfe der CT und PET die Bewe gungszustände des Tumors erfasst werden“, erläu-tert Prof. Wolfgang Eng hardt, der Medizin physiker des OncoRay-Teams. Mit CT ist die Com puter tomo graphie gemeint, PET bedeutet Positronen-Emissions-Tomo graphie. Dabei wird dem Patienten eine schwach radioaktive Substanz gespritzt, die zum Beispiel Zucker enthält und mit der biochemische Prozesse im Körper sichtbar werden. Da die Tumoren einen stärkeren Stoffwechsel haben und mehr Zucker verbrauchen, leuchten sie heller. Sie sind auf diese Weise also sehr gut erkennbar, lassen sich allerdings nicht genau lokalisieren. Dabei hilft die Computer-

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Geballtes Wissen gegen den Krebs: Die Professoren Wolfgang Enghardt, Michael Baumann und Nils Cordes (v. l. n. r.) verkörpern die Verbindung von medizinischer Physik, radiologischer Medizin und molekularer Biologie bei OncoRay.

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tomo graphie. Sie bildet die Anatomie besonders deutlich ab, der Stoff wechsel der Tumoren hingegen ist auf den CT-Aufnahmen nicht zu sehen. Werden die Bilder beider Verfahren am Computer zusammengefügt, zeigen die PET-CT-Aufnahmen, wo und in wel- cher Größe Tumoren im Körper wachsen und welche Stoff-wechselaktivität sie haben. Dafür sind komplizierte mathemati-sche Berechnungen notwendig. Mit der PET-CT-Methode können auch andere biologische Eigenschaften des Tumors sichtbar gemacht werden, zum Beispiel der Sauerstoffgehalt. Diese Infor-mation ist sehr wichtig für die erfolgreiche Bekämpfung der Geschwulst. Ganz im Gegensatz zu normalen Körperzellen kom-men Krebszellen mit sehr wenig Sauerstoff aus. Diese Tat sache verhindert jedoch, dass eine Strahlen- oder Chemotherapie erfolg reich ist. Wenn die Mediziner schon vor der Behandlung wissen, ob und wo wenig Sauerstoff vorhanden ist, können sie die Thera pie entsprechend anpassen und haben größere Chancen, das Tumorwachstum zu stoppen.

Biologische Schützenhilfe

Es gibt aber noch andere Barrieren, die die Wirkung einer Krebsbehandlung beeinträchtigen können. Bestimmte Moleküle im Körper verursachen eine Resistenz gegen Bestrahlung und Chemotherapie. Diese Moleküle will die OncoRay-Nachwuchs-gruppe „Molekulares Targeting“ identifizieren und ausschalten. Das Ausschalten funktioniert theoretisch ganz einfach: „Wenn das Moleküle sind, die auf der Oberfläche sitzen, dann kann man Antikörper geben, die blockieren diese Moleküle und verhin-dern, dass überlebensfördernde Signale für die Tumorzellen da sind“, erklärt Arbeitsgruppenleiter Prof. Dr. Nils Cordes. Und auch in der Praxis haben die Wissenschaftler diese Methode schon angewendet, sowohl in Zellkulturmodellen als auch bei Tieren. Ihre Versuche waren so erfolgreich, dass Cordes davon ausgeht, für ein bestimmtes Molekül in naher Zukunft eine Therapie auf die Beine stellen zu können. „Das ist ein Oberflächen-molekül, das dazu da ist, dass die Zellen an etwas anheften. Wenn man dieses Molekül hemmt, verlieren die Tumorzellen die Anheftung an das umgebende Gewebe und werden dadurch deut lich strahlenempfindlicher.“ Offenbar könnte das ein guter Ansatz für die Behandlung verschiedener Tumoren sein. Die Gruppe hat das Ausschalten des Moleküls in Tumorzellen der Kopf- und Hals-Region sowie der Bauchspeicheldrüse getestet. Überall funktionierte es. Bis zur klinischen Anwendung dieser Methode ist es allerdings ein langer, kostspieliger Weg, für den OncoRay Partner aus der Industrie braucht. Langfristig wollen die Wissenschaftler Medikamente entwickeln, die das Tumor-gewebe empfindlicher und normales Gewebe unempfindlicher gegen Strahlen machen. So könnten, in Kombination mit der Strahlentherapie, künftig mehr Patienten geheilt werden.

Strahlen wie Projektile

Mittlerweile werden Krebspatienten nicht nur mit konventionel-len Röntgenstrahlen behandelt, sondern bei einigen Erkran-kungen auch mit Protonen- und Ionenstrahlen. Diese Strahlen bestehen aus elektrisch geladenen Teilchen, den Ionen. Dazu

gehören Protonen, das sind die positiv geladenen Kerne von Wasserstoffatomen und Schwerionen, die positiv geladenen Kerne von Atomen größerer Masse. Das sind zum Beispiel Kohlenstoff-, Sauerstoff- oder Heliumionen. Der Vorteil dieser Strahlen ist, dass ihre maximale Dosis tiefer im Gewebe abgege-ben wird. Bei Röntgenstrahlen nimmt die Strahlendosis nach nur drei Zentimetern durch die Streuung bereits ab. Hochenergetische Ionenstrahlen hingegen können so gesteuert werden, dass sie ihre volle Wirkung erst in 30 Zentimetern Tiefe entfalten. Und es gibt noch einen Vorteil: „Die Strahlen bleiben in Abhängigkeit von ihrer Energie in einer ganz bestimmten Tiefe im Gewebe einfach stecken“, erläutert Wolfgang Enghardt. „Das ist so, als ob Sie mit einem Luftgewehr in einen Sandsack schießen, dann bleibt das Projektil in einer bestimmten Tiefe stecken. Bei der Bestrahlung ist das natürlich günstig, um das gesunde Gewebe zu schonen.“ Allerdings ist die Berechnung der Tiefe, in der die Strahlen in das Gewebe eindringen noch nicht mit so hoher Präzision möglich, dass sie allen klinischen Anforderungen der modernen Strahlentherapie genügt. Deshalb befasst sich die Gruppe um Professor Enghardt mit Verfahren, die die Ausbrei-tung des Strahls und die Dosis im Körper verifizieren. So wollen sie eine exakte Dosierung und größtmögliche Sicherheit für den Patienten gewährleisten.

Obwohl die meisten Krebspatienten auch künftig mit ultraharter Röntgenstrahlung therapiert werden, sind Protonen- und Ionen-strahlen für kompliziert zu behandelnde Tumoren eine wichtige Alternative, allerdings auch eine sehr kostenintensive. Die Geräte zur Erzeugung dieser Strahlen sind ausgesprochen teuer, des-halb suchen die Dresdner Wissenschaftler nach Alternativen. Dafür kooperieren sie mit Jenaer Physikern in dem gemeinsa-men Projekt „onCOOPtics“, einer Verknüpfung des Zentrums für Innovationskompetenz ultraoptics in Jena und OncoRay in Dresden. Das Verbundprojekt arbeitet intensiv an der Erzeugung therapeutischer Protonen- und Ionenstrahlen. „Seit wenigen Jahren gibt es eine neue Technologie, mit der diese Strahlen auch durch Laser erzeugt werden können. Da sind wir eines der füh-renden Projekte weltweit“, berichtet Prof. Baumann nicht ohne Stolz. Die Jenaer Forscher befassen sich mit den laserphysikali-schen Grundlagen der Technologie. Damit die Strahlen weit genug ins Gewebe eindringen können, ist eine Energie von mehr als 200 Megaelektronenvolt notwendig. Der Hochleistungslaser in Jena erreicht momentan 10 bis 12 Mega elektronenvolt. Hier besteht also noch großer Forschungs bedarf. Doch die Aussichten für eine künftige Anwendung der Laser technologie sind vielver-sprechend. Schließlich steht in Jena der beste Hochleistungslaser Europas mit dem größten Potenzial für die Strahlentherapie.

Die richtige Dosis

Während in Jena die Technik weiterentwickelt wird, kümmern sich die Dresdner Forscher um die physikalische und biologische Charakterisierung sowie die medizinische Anwendung der durch Laser erzeugten Strahlen. Diese haben ganz andere Eigen-schaften als konventionell beschleunigte Protonenstrahlen. „Da kommen sehr viele Protonen in extrem kurzer Zeit angesaust, in u

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„Medizinphysiker müssen wissen, was der Therapeut oder der Diagnostiker bei der Anwendung von ionisierender Strahlung tut.“

Im Bild ein Flüssigszintillator mit optischer Linse und Kamera.Ein Szintillator bezeichnet ein Material zum Nachweis ioni-

sierender Strahlung, insbesondere auch zur Detektion geladener Teilchen. Die von der Strahlung auf den

Szintillator übertragene Energie wird in Form von Licht wieder abgegeben („Szintillation“). Im OncoRay wird dieser

Effekt zur präzisen Messung der räumlichen Dosisverteilung von Protonen- und Ionenstrahlen genutzt.

Hierzu wird die im Szintillator entstehende Lichtmenge durch die Linse gesammelt und von der Kamera registriert.

Aus dem Kamerabild lässt sich die räumliche Dosisverteilung rekonstruieren. Die an jedem Ort emittierte Lichtmenge ist proportional der applizierten Strahlendosis, die Anzahl der

Szintillationen pro Zeiteinheit ist ein Mass für die Strahlintensität (Teilchenfluss).

Femtosekunden, das sind 10 –15 Sekunden“, erklärt der Medizin-physiker Enghardt. „Und wir sind uns nicht sicher, ob solche Strahlen eine andere biologische Wirkung aufweisen als die kon-ventionell beschleunigten Strahlen.“ Zunächst entwickelten die Forscher ein System, mit dem die laserbeschleunigten Strahlen richtig dosiert werden können. In Zellexperimenten konnten sie dieses System erfolgreich testen und haben keine Änderung der biologischen Wirksamkeit dieser Strahlen feststellen können; ein positives Ergebnis. Bis die Forschungsergebnisse den Patien-ten zugute kommen, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen, denn den Experimenten mit Zellen folgen erst Tierver suche und dann klinische Studien. Außerdem arbeiten die Wissenschaftler noch an einem Weg, die Strahlen sicher zum Patienten zu brin-gen. Denn die durch Laser erzeugten Strahlen haben eine andere Ausbreitungscharakteristik als konventionelle. Das sind eine Menge Herausforderungen, die es in den nächsten Jahren zu be -wäl tigen gilt. Dennoch ist OncoRay-Sprecher Michael Baumann optimistisch: „Wir wollen einen Durchbruch erreichen und diese Technologie in den nächsten 10 bis 15 Jahren auch für die Klinik zur Verfügung stellen.“

Vereinte Energie mit Weitblick

Um das zu schaffen, will OncoRay völlig neue klinische Strahlen-therapiegeräte auf Laserbasis entwickeln. Durch die enge Koope-ration mit dem Forschungszentrum Dresden-Rossendorf und der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist das kein utopisches Ziel. So werden am Rossendorfer Institut für Strahlungsphysik Detekto-ren entwickelt, die man sowohl für Bild gebende Verfahren ein-setzen kann als auch für laserbeschleunigte Strahlen. „Die Vorstellung ist, dass das Nachfolgemodell des großen Lasers, den unsere Jenaer Kollegen zurzeit haben, in Rossendorf entwickelt wird“, erklärt Prof. Enghardt. Diese neue Lasertechnik soll klei-ner und leistungsstärker sein und wäre damit für medizinische Zwecke besser geeignet. Um solche Geräte bauen und für den klinischen Betrieb testen zu können, braucht OncoRay ein neues Gebäude direkt am Medizinischen Campus des Dresdner Uniklinikums. Das Konzept dafür haben die Wissenschaftler 2008 bei der sächsischen Landesexzellenz initia tive eingereicht,

mit Erfolg. Der Freistaat hat für den Bau des Ge -bäu des und damit verbundenen Forschungs pro-jekten mehr als 26 Millio nen Euro zur Ver fügung gestellt. Die Grund stein legung ist noch für die-ses Jahr geplant. „Am Ende wird es darum gehen, eine Technologie zu entwickeln, die irgend-wann weltweit in den Krankenhäusern zur Ver-fü gung steht“, definiert OncoRay-Spre cher Michael Baumann das Ziel.

Wer so zukunftsorientiert denkt, dem ist auch der Nachwuchs wichtig. So hat der Medizin-physiker Wolfgang Enghardt federführend den Masterstudiengang „Medical Radiation Scien-ces“ ins Leben gerufen. Medizinphysik-Experten sind sehr gefragt und fehlen derzeit in Deutsch-land und Europa. Ihre Ausbildung umfasst Phy-sik, Medizin und Strahlenbiologie. „Medizin-physiker müssen wissen, was der Therapeut oder

der Diagnostiker bei der An wen dung von ionisierender Strahlung tut“, meint Enghardt. „Insofern bildet dieser Masterstudiengang eine gewisse Klammer für die verschiedenen Disziplinen.“ Doch damit nicht genug. Der Mediziner Prof. Nils Cordes ist mit der Etablierung eines weiteren Ausbildungsangebots bei Onco-Ray beschäftigt. Ab dem Wintersemester 2011 soll der Master-studien gang „Strahlenbiologie“ angeboten werden. „Es gibt in Deutschland keine Einrichtung, die gezielt in Richtung Strahlen-biologie für die Medizin ausbildet“, meint Michael Baumann. „Das wollen wir hier etablieren, weil das eine hervorragende Ergänzung zur Ausbildung der Medizinphysiker ist.“ Zusammen mit den Doktoranden der OncoRay Postgraduate School, die bereits vor fünf Jahren gegründet wurde, können dann 70–80 junge Leute hier studieren. Damit wäre OncoRay der größte Ausbildungs standort auf diesem Gebiet in Europa. Die erfahre-nen Wissenschaftler werden ihre Ideen und ihre Vision an den Nachwuchs weitergeben. Die Vision, so viele Patienten wie mög-lich von Krebs zu heilen.

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HIKEplasmatis

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Gesund in Greifswald

Drei Unternehmen-Region-Projekte rund um das

Thema Gesundheit sind in der Ostsee-Hansestadt

Greifswald angesiedelt

Gesundheit ist nach Meinung vieler Experten das Thema, das unsere Gesellschaft in Zukunft immer stärker prägen wird. Die Universitäts- und Hansestadt Greifswald hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich in den vergangenen Jahren kräftig in Richtung „Gesundheitsregion“ entwickelt. Das Universitäts-Klinikum wid-met sich dabei besonders der sogenannten individualisierten Medizin, die den Patienten im Idealfall mit genau auf ihn und seine Erkrankung zugeschnittenen Medikamenten und Thera-pien behandeln will. „Schon in den nächsten Jahren werden neue diagnostische Strategien etabliert, die individualisierte Thera pien ermöglichen. Der jeweilige Patient wird dann ganz speziell je nach seinen Problemen behandelt – auch präventiv“, erläutert Prof. Heyo K. Kroemer, Dekan der Medizinischen Fakul-tät der Universität Greifswald. u

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Eine wichtige Rolle bei der Etablierung der individualisierten Medizin in Greifswald spielt die groß angelegte Bevölkerungs-Gesundheits-Studie „SHIP“ (Study of Health in Pomerania), die seit 15 Jahren mit über 7000 Beteiligten läuft und bisher schon zigtau-sende Daten geliefert hat. „SHIP und sein wertvoller Datensatz sind eine ideale Plattform, um eine ganz auf den einzelnen Menschen abgestimmte Medizin entscheidend voranzubringen“, so Kroemer. Das Projekt „GaniMed“ (Greifswald Approach to Individualized Medicine) aus dem Programm des Bundes minis-terium für Bildung und Forschung (BMBF) „Spitzenforschung und Innovation in den Neuen Ländern“ zieht aus diesen Datensätzen erste wichtige Erkenntnisse. GaniMed läuft im Rahmen der drit-ten Untersuchungswelle von SHIP seit Oktober 2009. Das BMBF unterstützt die Basisdatenerhebung und -auswertung fünf Jahre lang mit 14 Mio. Euro; das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 1,4 Mio. Euro.

Ein wenig Geschichte: Ein Meilenstein in der Entwicklung zur Gesundheitsregion Greifswald ist die Bildung des „Interfakultären Zentrums“ der Ernst-Moritz-Arndt-Universität im Jahr 2005: Hier haben sich Mediziner und Wissenschaftler der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät unter dem Banner der „Funk-tio nellen Genomforschung“ vereint – die BMBF-Förderung für das Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) „FunGene“ machte es möglich. Das FunGene- Forschungszentrum ist mittlerweile zu einem international beachteten Projekt geworden und geht nun in die zweite Förderrunde.

Ein weiteres Greifswalder Gesundheits-Projekt ist das ZIK „Hike“ (Humorale Immunreaktionen bei kardiovaskulären Erkran kun-gen), das ebenfalls gemeinsam von der medizinischen und mathe-matisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität getra-gen wird. Es erforscht die Zusammenhänge bei der Ent steh ung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei denen Antikörper eine Rolle spielen (mehr dazu im Text unten).

Auch am Greifswalder Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. (INP Greifswald) arbeiten Wissenschaftler ver-schiedener Fachrichtungen zusammen: Im „Campus PlasmaMed“ aus dem BMBF-Programm „Spitzenforschung und Innovation in den Neuen Ländern“ und im ZIK „plasmatis“ erforschen Physiker, Ingenieure und Mediziner die Möglichkeiten der Plasmamedizin. Diese beiden vom BMBF geförderten Projekte haben dazu ge -führt, dass sich Greifswald als ein Zentrum der Plasmamedizin etabliert hat. Das zeigt nicht zuletzt die in diesem Jahr in der Universitäts- und Hansestadt stattfindende dritte internationale Konferenz für Plasmamedizin, die erstmals außerhalb der USA stattfindet und vom INP und der Universität organisiert wird.

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Links: Eine am INP entwickelte Plasmaquelle, die nach dem Prinzip der dielektrisch behinderten Entladung funktioniert. Auch diese Quelle wird erfolgreich eingesetzt, um Wechsel-wirkungen von physikalischen Plasmen mit lebender Materie zu untersuchen.

Oben: Prof. Klaus-Dieter Weltmann (rechts), Sprecher des Greifs walder ZIK plasmatis, und Nachwuchsgruppenleiter Dr. Kai Masur wollen vor der medizinischen Anwendung von kaltem Plasma erst solide Grundlagenforschung betreiben, denn „noch weiß keiner genau, was eigentlich im Detail passiert, wenn Plasma auf menschliche Zellen trifft“, so Prof. Weltmann.

Kinpen09: ein mobiles Plasmagerät zur Entkeimung und Feinstreinigung temperaturempfindlicher Materialien wurde im Campus PlasmaMed (Programm „Spitzenforschung und Innovation in den Neuen Ländern“) entwickelt. Bevor es jedoch zur medizinischen Anwendung kommt, wollen die Forscher im ZIK plasmatis die Wirkung von Plasma auf die menschliche Zelle genau verstehen.

Plasmatis: Heilen mit ionisiertem Gas

Der Begriff Plasmamedizin ist noch jung, er wurde erst 2008 in den USA definiert. Die Wissenschaftler haben erkannt, dass Plas ma antiseptisch wirksam ist und somit die Wundheilung beschle u ni-gen und Hautkrankheiten wie Ekzeme lindern kann. Im Greifs-wal der Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. hatte man schon Jahre zuvor auf dem Gebiet Plasma plus Bio geforscht. „2004 fing alles mit einem Innovationsforum an, es folgte ein internationaler Workshop für Mikroplasmen, der vom Institut ausgerichtet wurde und auch damals waren bei uns schon die medizinischen Anwendungen mit drin“, erzählt Prof. Klaus-Dieter Weltmann, Direktor des INP Greifswald. Der Durch-bruch kam dann mit dem vom BMBF geförderten Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) plasmatis. „Bei der Ausarbeitung des Strategiekonzepts für die BMBF-Förderung wurden erstmals neue Schwerpunkte und Ansätze der Plasmamedizin definiert“, erinnert sich Weltmann.

Mit Plasma werden bisher Oberflächen und Materialien optimiert, Schadstoffe abgebaut, Lampen verbessert, Bildschirme gebaut und etliches mehr.

Unter der Überschrift „Plasma kann heilen“ werden im neuen ZIK plasmatis die medizinischen Eigenschaften von ionisierten Gasen untersucht. Physiker und Biochemiker des INP haben sich mit Pharmazeuten und Medizinern der Greifswalder Universität zusammengetan, um die Wirkung von Plasma auf die menschli-che Zelle zu erforschen. Zwei Forschungsgruppen „Extrazelluläre Effekte“ und „Zelluläre Effekte“ haben als fernes Ziel die Wund-heilung, doch vorher wollen sie die Wechselwirkung von physi-kalischen Plasmen mit Zellen besser verstehen. „Unsere Fragen sind“, so Nachwuchsgruppenleiter Dr. Kai Masur: „Mit welcher Komponente des Plasmas erziele ich welche Wirkung in der Zelle? Wie wirkt Plasma auf Immunzellen, wie auf Hautzellen?“ Eine weitere entscheidende Frage ist, ob sich mithilfe von Plasma die Zellteilungsrate ankurbeln lässt, so dass eine Wunde schnel-ler geschlossen werden kann. „Das würde bedeuten, dass Plasma die Wundheilung fördert; erste Ergebnisse, die diese These bestä-tigen, wurden kürzlich am INP erzielt“, so der promovierte Bio-chemiker Masur: „Eine Riesenchance – allein in Deutschland gibt es rund 4,5 Millionen Patienten, die unter chronisch schlecht heilenden Wunden leiden.“ u

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Kinpen 09: Reinigen mit Plasma

Ein erstes Ergebnis der Greifswalder Plasmaforschungen ist seit einem Jahr auf dem Markt: Der „kinpen09“, ein mobiles Plasma-gerät, unter Normaldruck arbeitend, zur Oberflächenaktivierung, Ent keimung und Feinstreinigung temperaturempfindlicher Ma te-rialien. Entwickelt wurde er im „Campus PlasmaMed“ in Ko ope-ration mit der neoplas GmbH, wo Plasmaphysiker, Ingen ieure und Mediziner zusammenarbeiten. „Hier zielen die Forschungs ar bei-ten ganz konkret auf die Entwicklung neuer plasmagestützter Tech nologien für die spätere Anwendung am Menschen ab“, so Klaus-Dieter Weltmann. Für medizinische Zwecke darf der „kin-pen09“ noch nicht eingesetzt werden, da er noch keine Medizin-produktezulassung hat.

Andere Hersteller sind da nicht so genau, hat INP-Direktor und ZIK-Sprecher Weltmann beobachtet: „Plasmageräte, die für Ober-flächen im technischen Bereich entwickelt wurden, werden Medizinern als Plasmamedizingeräte angeboten, ohne über die für diesen Zweck ausreichende Charakterisierung zu verfügen.“ Manche behaupteten einfach, dass man ihre Geräte auch für medizinische Zwecke verwenden könne – „ohne dass sie dafür getestet waren“, weiß Weltmann: „Wir versuchen in diesem Feld, das zurzeit sehr applikationsgetrieben ist, ein wenig aufzu-klären. Noch weiß keiner genau, was eigentlich im Detail pas-siert, wenn Plasma im medizinischen Bereich eingesetzt wird.“ Die ersten Anbieter mussten schon zurückrudern und ihr aggres-sives Marketing im Medizinbereich einstellen. „Wir müssen die hier ablaufenden Prozesse erst wirklich verstehen, und bewusst steuern lernen, um sie in Zukunft erfolgreich anwenden zu kön-nen“, erläutert Weltmann. Und selbstverständlich seien auch mögliche Nebenwirkungen zu untersuchen.

Optimale Forschungsbedingungen

Zurück nach Greifswald. Was hat den Leipziger Kai Masur an das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e. V. gezo-gen? Er schätzt vor allem die kurzen Wege und die optimalen Forschungsbedingungen, die das ZIK bietet: „Ich kann hier im Haus zu den Physikern und Ingenieuren gehen und sagen, ich hätte jetzt gerne ein Plasma mit bestimmten Eigenschaften. Das bekomme ich dann auch meist recht schnell.“ Inzwischen stehen im Greifswalder Institut zehn verschiedene Plasmaquellen als Prototypen zur Verfügung. „Derzeit laufen die Testverfahren in vitro mit gekauften Humanzellen“, so Masur: „Wir wollen Risiken und Chancen gleichermaßen betrachten, bevor in einer klini-schen Studie Plasma am Menschen ausprobiert wird.“ Darin unterscheidet sich auch nach den Worten von Klaus-Dieter Weltmann die Greifswalder plasmamedizinische Forschungs-einrichtung von anderen: Wir haben hier mit plasmatis und dem Campus PlasmaMed eine starke Verbindung der Grundlagen-forschung mit der Anwendung, das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt und genau diese Kombination ist nötig, wenn wissen-schaftlich fundierte Ergebnisse in die Praxis überführt werden sollen.“

Plasma ist ein (teilweise) ionisiertes Gas, das freie Ladungsträger wie Ionen, Radikale oder Elektronen enthält. Diese Bestandteile der Gas-Moleküle sind besonders reaktiv und beeinflussen so die Eigenschaften anderer Materialien, mit denen sie in Berührung kommen.

Unsere Sonne, ein Blitz und weite Teile des Weltraums bestehen aus Plasma. In der Natur gibt es drei Aggregatzustände: fest, flüssig und gasförmig. Jeweils durch Energiezufuhr wird festes flüssig und flüs-siges gasförmig. Führt man einem Gas weiter Energie zu, entsteht Plasma. Derzeit wird Plasma vor allem aus Edel-gasen wie Argon gewonnen. In der Medizin wird ausschließlich „kaltes“ Plasma mit max. 40° C. verwendet.

Die Wechselwirkung zwischen Plasmen unterschiedlicher Zusammensetzung und lebender Materie wird im Greifswalder ZIK „plasmatis“ untersucht. Dabei geht es vor allem um die antiseptische Wirkung von Plasma und seine Fähigkeit, die Neubildung von gesundem Gewebe zu unterstützen.

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Prof. Andreas Greinacher (stehend), Initiator von ZIK HIKE und Nach wuchs-gruppenleiter Dr. Mathias Hundt wollen die Ursachen schwerer Immunreaktionen auf Biotherapeutika im Herz-Kreislauf-System untersuchen.

HIKE: Antikörper im Herz-Kreislauf-System

Womit wir schon beim nächsten Greifswalder Gesundheits-Projekt wären. Wie die Wissenschaft schon vor Längerem her-ausgefunden hat, sind sich Säue und Menschen in vielem ähn-lich: Beide sind reinlich, neigen zu Bewegungsarmut und daher zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen – dem Gesundheitsproblem Num mer eins in Europa. Bluthochdruck, Arterienverkalkung, Herz insuffizienz und Gerinnungsstörungen sind häufige Auswir-kun gen. Relativ neu allerdings ist die Erkenntnis, dass Reaktionen des eigenen Immunsystems eine wichtige Rolle bei der Ent-stehung dieser Krankheiten spielen können. Auch daran for-schen die Greifswalder Gesundheits-Experten: Das Universitäts-Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) „HIKE“ (Humorale Immun reaktionen bei kardiovaskulären Erkrankungen) hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Reaktionen des Immunsystems mit Methoden der Nano-Technologie zu erforschen. „Im Speziellen wollen wir die Wirkungsweise von Antikörpern (siehe Kasten) gegen körpereigene Proteine untersuchen“, erklärt Projektleiter Professor Andreas Greinacher: „Wir wollen die komplexen Struk-turen, die durch Medikamenten-Einnahme zur Bildung der schädlichen Antikörper führen, erforschen und die beteiligten Immunzellen charakterisieren.“

Dazu haben die Arbeitsgruppen der Klinik für Innere Medizin B (Kardiologie) und des Instituts für Immunologie und Trans-fusionsmedizin (Immun-Hämatologie) an der Universität Greifs-wald vor zwei Jahren ihre Forschungsaktivitäten im ZIK gebün-delt. „Aber neben der Expertise von Immunhämatologen und Kardiologen brauchen wir auch die hoch auflösenden bildge-benden Technologien der Biophysik und die Analysetechniken der Nano-Technologie“, sagt Andreas Greinacher. u

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Prof. Stephan Felix, Leiter der Kardiologie an der Greifswalder Universitätsklinik, setzt bereits klinisch ein neues Therapie-verfahren zur Behandlung der Herzmuskelschwäche ein. „Mit dem ZIK HIKE wollen wir jetzt die Wirkung der Antikörper auf Herzmuskelzellen näher untersuchen.“

Antikörper auch Immun-Globuline genannt, sind Proteine (Eiweiße), die das Immunsystem von Wirbeltieren und Menschen gegen Antigene (körperfrem de Substanzen) wie Viren oder Bakterien ein-setzt, um diese unschädlich zu machen. Antikörper werden von bestimmten Leukozyten (weißen Blutzellen) produ-ziert, und erkennen immer nur ein be -stim mtes Antigen, manchmal auch Varianten. Ist Letzteres der Fall, macht man sich diesen Mechanismus für Schutz-impfungen zunutze: Die harmlose Varian-te eines Antigens wird verabreicht, um die Bildung von Antikörpern anzuregen.

Im Blut von Patienten wurden Aggregate aus dem Bio-Thera peu-ti kum Heparin und PF-4, einem körpereigenen Protein auf Blut-zellen nachgewiesen. „Nachdem diese Aggregate isoliert wur-den, konnten mittels Rasterkraftmikroskopie die physikalischen und andere Eigenschaften zwischen den einzelnen Clustern beschrieben werden“, so der Projektleiter.

Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung der Nano-Techno-logie in der klinischen Forschung wurde kürzlich von zwei Hike-Arbeitsgruppen erbracht. „Sowohl bei der durch Bio-Thera peu-tika im Blut induzierten Immunreaktion gegen Blutzellen als auch bei der Herzmuskelschwäche konnte gezeigt werden, dass organspezifische Autoantikörper eine zentrale Rolle spielen“, erklärt der Kardiologie-Professor Stephan Felix.

Hit: Antiköper entfernen

Ein gut untersuchtes Beispiel für eine durch Medikamente indu-zierte autoimmune Erkrankung ist die durch Heparin-induzierte Thrombozytopenie (Hit). „Von der Erkrankung sind bis zu drei Prozent aller mit Heparin behandelten Patienten betroffen“, weiß Greinacher: „Auch heute noch sterben an dieser Arznei-mittel-Nebenwirkung zehn bis zwanzig Prozent der betroffenen Patienten.“ Als eine der führenden Gruppen Deutschlands befasst sich die Greifswalder ZIK-Arbeitsgruppe mit Störungen der Throm-bozytenbiologie und der Thrombozytenimmunologie sowie mit rekombinanten Thrombininhibitoren als Thera peuti kum.

Blutwäsche als neues Therapieverfahren bei Herzmuskelschwäche

Auch bei der dilatativen Kardiomyopathie, einer häufigen Er -kran kung des Herzmuskels, spielen Antikörper, die sich gegen Herzmuskelzellen richten, eine entscheidende Rolle. Die dilatati-ve Kardiomyopathie hat eine schlechte Prognose, so Prof. Felix: „Bei dieser Erkrankung kommt es zu einer kontinuierlichen Größenzunahme beider Herzkammern und fortschreitenden Pumpschwäche des Herzmuskels.“ In vielen Fällen kann nur eine Herztransplantation das Leben des Patienten retten.

In der Klinik für Innere Medizin B der Ernst Moritz-Arndt-Uni-versi tät Greifswald wurde die Immunadsorption bei Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie erstmals erfolgreich therapeu-tisch eingesetzt. Bei diesem Verfahren werden Antikörper, die sich gegen Herzmuskelzellen richten, aus dem Blut entfernt. In umfassenden wissenschaftlichen Studien der Arbeitsgruppe von Prof. Felix konnte erstmals nachgewiesen werden, dass sich durch die Immun-Adsorptionstherapie auch die Herzmuskel-erkrankung zurückbildet.

Im Rahmen des ZIK HIKE soll jetzt die Wechselwirkung der Antikörper mit den kardialen Zielstrukturen näher untersucht werden.

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Zwei Wissenschaftler haben entscheidend die Gesundheitsforschung an der Greifswalder Universität gestaltet: Prof. Heyo Kroemer, Dekan der Medizinischen Fakultät und Prof. Michael Hecker, Direktor des Instituts für Mikrobiologie, haben

mit dem ZIK FunGene das interfakultäre Zentrum gegründet, das gemeinsam von der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der medizinischen Fakultät

getragen wird.

FunGene: Auswirkungen der Genom-Analyse

Die komplette Analyse der ersten Genomsequenz des Grippevirus Haemophilus influenzae vor 15 Jahren leitete eine neue Epoche der Naturwissenschaften ein. In der Folge hat sich die funktionel-le Genomforschung entwickelt, um „diesen Bauplan des Lebens in das Leben selbst“ umzuschreiben, wie es ihr umtriebiger Pro-ta gonist Craig Venter formulierte. Die funktionelle Genom-Ana-ly se ist wie kaum eine andere Wissenschaft multidisziplinär, methodisch außerordentlich vielseitig sowie apparativ höchst aufwändig. Die Proteom-Analyse ist daher nicht mehr allein von kleinen Universitätsgruppen durchzuführen. Aus diesem Grund geht der Trend zur Gründung von Kompetenzzentren für Pro-teomics, die einer großen Gruppe potenzieller Nutzer zur Ver fü-gung stehen.

Diesem Trend der fachübergreifenden Ressourcenbündelung folgend wurde 2004 das ZIK-FunGene gegründet, das vom BMBF im Rahmen der Innovationsinitiative Unternehmen Region gefördert und von Wissenschaftlern der mathematisch-natur-wissenschaftlichen Fakultät und Medizinern gleichermaßen getragen wird. In diesem interfakultären Zentrum ergibt sich die Chance, die an einfachen Modellorganismen erprobten Kennt-

nisse und ausgereiften Techniken der funktionellen Genom-Analyse auf das deutlich komplexere System „Mensch“ zu über-tragen. Der Methodentransfer von der Mikrobiologie in die Medizin und die damit verbundene Etablierung eines fakultäts-übergreifenden Kompetenzzentrums stellt das Alleinstellungs-merkmal des ZIK FunGene dar.

Drei Hauptfelder im Fokus

Der Forschungsfokus umfasst drei Hauptfelder: In der mikrobio-logischen Arbeitsgruppe (Kernbereich A) steht ein systembiolo-gischer Ansatz im Fokus, der unter Einsatz der Proteomanalyse zu einem umfassenden Verständnis der Physiologie bakterieller Wachstumsprozesse führen soll. Da Bakterien in einer Vielzahl biologischer Verfahren eine große Rolle spielen, ist diese neue Sicht auf bakterielle Lebensprozesse für viele verschiedene In -dus triezweige von erheblichem Interesse. Der Kernbereich B hat bakterielle Infektionsprozesse (Wechselwirkung zwischen pa tho- genen Bakterien und Mensch) im Blickpunkt. Die Erkennt nis se aus der funktionellen Genomanalyse werden genutzt, um bakte-rielle Infektionskrankheiten besser verstehen und bekämpfen zu u

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„Kaum eine andere Strukturverände-rung hat sich so auf das Profil der Univer-sität und auf seine Ausstrahlung nach Deutschland, Europa und in die Welt ausgewirkt wie die durch FunGene aus-gelöste Neustrukturierung.“

können. Damit wird eine solide Brücke zwischen Mikrobiologie und Medizin und eine inhaltliche Klammer zwischen den Kern-bereichen A und C errichtet.

Community Medicine und funktionelle Genomforschung

Die dritte Säule beschäftigt sich mit der funktionellen Genom-Analyse in der molekularen Medizin (Kernbereich C). Mithilfe der Proteom-Analyse werden krankheitsrelevante Proteine in Seren und Gewebeproben identifiziert. Dabei ist die Verbindung von „Community Medicine“ und funktioneller Genomforschung in Greifswald einmalig und ermöglicht, die gefundenen Kandi-daten-Proteine in einer Fall-Kontroll-Studie mit Probanden einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe zu validieren. Durch das frühzeitige Erkennen individueller Risikoprofile und durch

maßgeschneiderte Therapien wird die medizinische Versorgung besser an den einzelnen Patienten angepasst. Eine Voraussetzung für die frühzeitige und individualisierte Behandlung ist die mög-lichst umfassende Kenntnis aller relevanten Krankheitsfaktoren und ein Verständnis ihres Zusammenwirkens. Die Behandlung wird an die individuellen Eigenschaften und Bedürfnisse des Patienten angepasst; letztlich sollen zugleich die Lebensqualität erhöht, Qualitäts- und Kosten-Ziele in der Gesundheitsversorgung erreicht und die Sozialsysteme entlastet werden.

„Aus heutiger Sicht kann man feststellen, dass die mit dem ZIK FunGene im Jahre 2004 ausgelösten Strukturmaßnahmen, insbe-sondere die begonnene Zusammenführung von Arbeitsgruppen der Medizin und der Naturwissenschaften wie Mikrobiologie, und Pharmazie die Universitätslandschaft deutlich verändert haben“, sagt ZIK-Sprecher Prof. Michael Hecker vom Institut für Mikrobiologie: „Kaum eine andere Strukturveränderung hat sich so auf das Profil der Universität und auf seine Ausstrahlung nach Deutschland, Europa und in die Welt ausgewirkt wie die durch FunGene ausgelöste Neustrukturierung.“ An der Hälfte aller gro-ßen Forschungsprojekte der Universität sind FunGene und seine Tochterprojekte direkt oder indirekt beteiligt. Durch gezielte Ausnutzung der mit der ZIK-Gründung verbundenen Synergie-effekte insbesondere durch die Möglichkeit, einen ganzen For-schungsverbund an die hochmoderne Technologieplattform „Funktionelle Genomics“ führen zu können, sind von den betei-ligten Arbeitsgruppen Forschungsnachfolgeprojekte in Höhe von 30 Mio. Euro eingeworben worden.

Das heutige Strukturkonzept geht weit über das Konzept hinaus, das bei der Beantragung des ZIK FunGene verfolgt wurde. „Die Zusammenführung der beiden Nachwuchsgruppen in einem Gebäude wird nur der erste Schritt sein“, so Hecker: „Im zweiten Schritt soll der gesamte Komplex so umgebaut werden, dass Mikrobiologie und Genetik auf die Technologieplattform ‚Funk-tio nelle Genomforschung’ zugreifen können, die die beiden Institutsflügel miteinander verbindet.“ Dafür ist es erforderlich, den Komplex von nicht beteiligten Arbeitsgruppen völlig frei zu ziehen, was noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. „Ziel der Neustrukturierung ist es, im Jahr 2010/11 ein Interfakultäres Zentrum für Funktionelle Genomforschung zu eröffnen, das als Markenzeichen für die Greifswalder Universität dienen soll“, betont ZIK-Sprecher Hecker: „Das alles wäre ohne die Bewilligung des ZIK-FunGene so nicht zustande gekommen.“

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Weiterführende Informationen zur BMBF-Innovations initia tive Neue Länder im Internet unter www.unternehmen-region.de

• Porträts und Profile der regionalen Initiativen• Aktuelle Nachrichten rund um „Unternehmen Region“• Publikationen zum Downloaden und Bestellen

Unternehmen Region – die BMBF-Innovations-initiative Neue LänderDer Ansatz von Unternehmen Region beruht auf einer einfachen Erkenntnis: Innovationen entstehen dort, wo sich Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft, Bildung, Verwaltung und Politik in Innovationsbünd-nissen zusammenschließen, um die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit ihrer Regionen zu erhöhen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt regionale Kooperationsbündnisse dabei, ein eigenes zukunftsfähiges technologisches Profil zu entwickeln und konsequent die Stärken und Potenziale ihrer Region zu nutzen und auszubauen. Kernstück jeder regionalen Initiative ist eine klare Innovationsstrategie, die von Anfang an auf die Umsetzung der neu entwickelten Produkte, Verfahren und Dienstleistungen im Wettbewerb ausgerichtet ist.

Unternehmen Region umfasst die folgenden Programme:

• InnoRegio (1999 bis 2006)• Innovative regionale Wachstumskerne mit Modul WK Potenzial• Innovationsforen• Zentren für Innovationskompetenz • InnoProfile• ForMaT

Für die Förderung stellt das BMBF jährlich rund 90 Mio. Euro zur Verfügung.

AnsprechpartnerBundesministerium für Bildung und ForschungRegionale Innovationsinitiativen; Neue Länder (114) Hannoversche Straße 28–30 · 10115 Berlin Tel.: 0 30 - 1857 - 5273 · Fax: 0 30 - 1857 - [email protected]

Projektträger Jülich – PtJZimmerstraße 26–27 · 10969 BerlinTel.: 0 30 - 2 01 99 - 4 82 · Fax: 0 30 - 2 01 99 - 4 00Projektträger im DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.Carnotstraße 7 · 10587 BerlinTel.: 0 30 - 67055 - 481 · Fax: 0 30 - 67055 - 499

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