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Eine Sternennacht auf dem Teide Zwei Tage nach dem prachtvollen Leonidenmeteorschauer, den wir aus der Caldera auf Teneriffa beobachtet hatten, beschloß ich den höchsten Punkt der Insel, den Pico de Teide, der sich 3718m über dem Meer erhebt und den geographischen Höhepunkt der Kanarischen Inseln darstellt, zu besteigen, um von dort oben eine Sternennacht zu erleben. Er wird auch als die höchste Erhebung Spaniens bezeichnet und bereits 1799 erklomm diesen Riesen ein berühmter „Leonidenbeobachter“, nämlich der Naturforscher Alexander von Humboldt bei einem Zwischenstopp anläßlich seiner damaligen Schiffsreise nach Südamerika. Noch im selben Jahr erlebte er in Venezuela einen der großartigsten Leonidenschauer der Geschichte. Folgendes berichtet er über seine Erlebnisse auf dem Gipfel des Pico de Teide: „Solche Empfindungen zu schildern ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer auf, da sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermeßlichkeit des Raumes und die Größe, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenen Gegenstände mit sich bringen… Man erblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der über die höchsten Berge der benachbarten Inseln hinaufreicht, man sieht auch die Wälder von Teneriffa und die bewohnten Inselstriche so nahe, daß noch Umrisse und Farben in den schönsten Kontrasten hervortreten…“ Derart vorbereitet fühlte ich mich geistig und materiell auf den Spuren Humboldts, als ich den imposanten Gipfel betrat. Schwefelgase strömten aus dem gelblichen Gipfelgestein. Es herrschte Windstille und ich spürte die ätherisch reine Atmosphäre, welche nur die ganz großen magischen Gipfel der Erde umgibt. Die gewaltige Aussicht wird hier dadurch verstärkt, daß man fast 4000m bis zum Meer hinabschaut, was einem selbst auf 6000 oder 7000m hohen Bergen fast nie gelingt. Schon 1986 hatte ich hier eine erlebnisreiche und unvergeßliche Sternennacht mit Blick auf den Kometen Halley direkt am Gipfel auf vulkanisch heißem Boden verbracht. Diesmal war das unmöglich, da der Gipfel jetzt vom Nationalparkpersonal streng überwacht und kontrolliert, ja sogar der Zutritt reglementiert wird.

Eine Sternennacht auf dem Teidesdeiries/images/Teneriffa2002/teide.pdf · 2002. 12. 23. · Title: Eine Sternennacht auf dem Teide Author: Venediger Wastl Created Date: 12/23/2002

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  • Eine Sternennacht auf dem Teide Zwei Tage nach dem prachtvollen Leonidenmeteorschauer, den wir aus der Caldera auf Teneriffa beobachtet hatten, beschloß ich den höchsten Punkt der Insel, den Pico de Teide, der sich 3718m über dem Meer erhebt und den geographischen Höhepunkt der Kanarischen Inseln darstellt, zu besteigen, um von dort oben eine Sternennacht zu erleben. Er wird auch als die höchste Erhebung Spaniens bezeichnet und bereits 1799 erklomm diesen Riesen ein berühmter „Leonidenbeobachter“, nämlich der Naturforscher Alexander von Humboldt bei einem Zwischenstopp anläßlich seiner damaligen Schiffsreise nach Südamerika. Noch im selben Jahr erlebte er in Venezuela einen der großartigsten Leonidenschauer der Geschichte. Folgendes berichtet er über seine Erlebnisse auf dem Gipfel des Pico de Teide: „Solche Empfindungen zu schildern ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer auf, da sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermeßlichkeit des Raumes und die Größe, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenen Gegenstände mit sich bringen… Man erblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der über die höchsten Berge der benachbarten Inseln hinaufreicht, man sieht auch die Wälder von Teneriffa und die bewohnten Inselstriche so nahe, daß noch Umrisse und Farben in den schönsten Kontrasten hervortreten…“

    Derart vorbereitet fühlte ich mich geistig und materiell auf den Spuren Humboldts, als ich den imposanten Gipfel betrat. Schwefelgase strömten aus dem gelblichen Gipfelgestein. Es herrschte Windstille und ich spürte die ätherisch reine Atmosphäre, welche nur die ganz großen magischen Gipfel der Erde umgibt. Die gewaltige Aussicht wird hier dadurch verstärkt, daß man fast 4000m bis zum Meer hinabschaut, was einem selbst auf 6000 oder 7000m hohen Bergen fast nie gelingt. Schon 1986 hatte ich hier eine erlebnisreiche und unvergeßliche Sternennacht mit Blick auf den Kometen Halley direkt am Gipfel auf vulkanisch heißem Boden verbracht. Diesmal war das unmöglich, da der Gipfel jetzt vom Nationalparkpersonal streng überwacht und kontrolliert, ja sogar der Zutritt reglementiert wird.

  • Deshalb beschloß ich, knapp unterhalb in einem unübersichtlichen Gebiet zwischen wild herumliegenden Lavabrocken auf Bimssteinsand eine tropische Hochgebirgsnacht zu verbringen. Die Nacht fiel ungewohnt rasch herein in immer satteren Farbtönen und gab alsbald einen herrlichen Sternenhimmel frei. Bereits 45 Minuten nach Sonnenuntergang wurde die Milchstraße sichtbar. Aufgrund der Höhe von 3700m bemerkte ich ein ganz leichtes Flimmern auf der Netzhaut. Wenige Minuten später ging der noch fast volle Mond von der Inversionsschicht völlig verzerrt am fernen Horizont auf. Man ahnte da noch die Inseln Lanzarote und Fuerteventura als matten Schimmer. Die Temperatur sank von +5 auf -4 Grad Celsius. Wegen der völligen Trockenheit und anhaltender Windstille war sie aber kaum zu bemerken. Jetzt hörte ich vom Minidisk-Rekorder Bruckners 5. Symphonie: Diese archaische Musik von der leisesten Schwebung zum erschütternden Blechbläserchoral bis ins freudige Fortissimo des ganzen Orchesters ergriff mich noch mehr als sonst hier am gewaltigen Gipfel, thronend über dem riesigen explodierten Kessel der Caldera. Danach: andächtige Stille, wie ein Nachklang der kosmischen Symphonie. Spielten nicht die funkelnden Sterne über mir noch jene zarte das Innerere stark berührende und dann ersterbende Streicherpassage aus dem Adagio? Dem über den Sternen, den die Musik so verherrlicht hatte?

  • War ich plötzlich auf einem fernen einsamen Planeten? Nein, auch das ist die Erde, und wir haben die Aufgabe, sie überall in solcher Schönheit zu erhalten. Mitten in bizarrer Lava bei Mondschein wurden die starren steinernen Gestalten nun beinahe etwas lebendiger: Drachenköpfe, skurrile Fratzen, ein freundlicher dickbauchiger Sumo. Vielleicht machte sich die Höhe doch bemerkbar? Ich fühlte mich trotzdem sehr geborgen und schlief hier an diesem weltabgewandten Orte deutlich besser als zu Hause im Bett. Als ich erwachte, stand der Mond schon im Westen. Gerade erschien Venus wie ein riesiger Diamant. Einige verspätete Leoniden wischten über die Himmelssphäre.

  • Da glomm schon ein erster Dämmerschein am Osthimmel. Zunächst milchig blaß, dann tiefrot, dann fast blutrot in immer neuen Intensitäten. Einfach unbeschreiblich schön in sanften Übergängen. Keine Reproduktion kann diese Farbtöne wirklich wiedergeben. Die Leinwand besteht hier aus Hunderten von Kilometern Luft und Tonnen von Wasserdampf. Ich bedauerte meine Sternfreunde, die jetzt da unten im „sicheren“ Hotel schlummerten, denn was nun geschah, übertraf alle meine Erwartungen. Über Gran Canaria leuchtete das kommende Licht des Tages am kräftigsten, doch war es ungemein schwierig, den Sonnenaufgangspunkt vorherzusagen, zu klar und transparent lag die Luft über dem Ozean. Dann erglühte an einer fernen Cummuluswolke nahe des Hauptgipfels von Gran Canaria der erste Strahl zartgrün und sich an mehreren Punkten entzündend, bis die Sonnenscheibe zunächst glatt wie ein Stab, dann sich immer mehr rundend sichtbar wurde.

    Etwas später schüttete sie pures Gold aufs Meer, über dem eine große Schar kleinster Haufenwölkchen segelte. Die Wasserfläche lag völlig glatt darunter und die Wölkchen schienen wie an Fäden über dem Wasser zu hängen.

  • Ich blickte zurück: Die schwarze Lava leuchtete vom ersten Sonnenstrahl dunkelrot, der Hauptgipfel hellrot und der Himmel darüber in ungeheurem Kontrast tiefviolettblau.

    Dann stieg ich auf einen nahen Felsvorsprung. Fast schwerelos vor Glück schaute ich in die schier unermeßlichen Weiten und Tiefen. Im Inneren verschmolzen die Eindrücke der kristallklaren Nacht und des lichtdurchtränkten Morgens zu flammender Begeisterung.

  • Noch ganz verzaubert von all dem Licht und besonders von dem Anblick des goldenen Meeres stieg ich ganz langsam den Weg hinab zur Caldera jeden Moment geniessend, vorbei an weißen Bimssteinfeldern, orangen Hängen und schwarzem Lavageröll. Es fiel nicht leicht, jenen himmelhohen Beobachtungsplatz wieder zu verlassen.

    Weiter unten lagen riesige Lavaeier auf orangem Grund. Es wurde richtig sommerlich heiß, so daß sich die phantastischen Eindrücke der Nacht und des glühenden Morgens mit all seinen aufblühenden Farbtönen in zweifacher Hinsicht unverwischlich einbrannten. Sebastian Deiries