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Eine Totenmesse für den Konzertsaal Zum Requiem von ... · PDF filerück, sondern stellte sich das Libretto aus Bibel-texten der Luther-Übersetzung selbst zusammen. Andere Komponisten

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Page 1: Eine Totenmesse für den Konzertsaal Zum Requiem von ... · PDF filerück, sondern stellte sich das Libretto aus Bibel-texten der Luther-Übersetzung selbst zusammen. Andere Komponisten

Eine Totenmesse für den Konzertsaal

Zum Requiem von Antonín Dvorák

Wie schon vor ihm Felix Mendelssohn Bartholdy er-langte auch Antonín Dvorák mit seinen Beiträgenzur Chormusik einen bedeutenden Ruf in der an-gelsächsischen Welt. Seit der Aufführung seinesStabat Mater in London im Jahre 1883 war Dvorákals Komponist und Musiker in England außeror-dentlich gefragt. In den darauffolgenden Jahrenentstanden deshalb einige Werke im Auftrag derberühmten englischen Chorfestivals: Mit der Kan-tate Die Geisterbraut erlebte Dvorák1885 beim Mu-sikfest in Birmingham einen der größten Erfolgeseines Lebens, und ein Jahr später wurde ebensodie Uraufführung der Heiligen Ludmilla in Leedsfrenetisch bejubelt.

Auch für das Birmingham Musical Festival 1888lag eine inoffizielle Anfrage vor: Die Veranstalterwünschten sich ein »großes geistliches Werk«.Doch Dvorák war vorerst mit anderen Projekten be-schäftigt. Erst zwei Jahre später konnte er mit derKomposition des Requiem op. 89 beginnen, dasam 9. Oktober 1891 in Birmingham uraufgeführtwurde. Die Wahl der Gattung war dabei von Dvorákselbst getroffen geworden. Vermutlich sah auch er,wie viele andere Komponisten vor und nach ihm,die Komposition eines Requiems als eine ganz be-sondere Herausforderung an, als eine Möglichkeitder subjektiven musikalischen Auseinanderset-zung mit der Endlichkeit des menschlichen Da-seins. So entstand ohne einen besonderen Anlassund ohne einen spezifischen Auftrag ein bemer-kenswertes Requiem, dessen Uraufführung – einerstaunliches Phänomen – in einem Theater statt-fand. Aber blicken wir erst einmal zurück...

Einführung

Ritus und Totenklage

Die Bestattungszeremonie gehört zu den grundle-gendsten Kulturleistungen der Menschheit. DieEhrfurcht vor dem Tod, in dessen Angesicht allesandere seine Wichtigkeit verliert, und das damitzusammenhängende Bedürfnis, den verstorbenenMenschen durch eine angemessene Feierlichkeitüber den Tod hinweg Achtung zu erweisen, sindEmpfindungen, die am Beginn der menschlichenEntwicklungsgeschichte stehen. Ob im kleinenoder großen Rahmen: Die Bestattungsriten der ver-schiedenen Kulturen sind darauf bedacht, dem Toddes Menschen Würde zu verleihen und damit sein

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Antonín Dvorák 1891 (Pastellvon L. Michalek, Archiv des

Prager Konservatoriums)

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Leben zu respektieren. Wird dem Toten eine solcheZeremonie vorenthalten, so wird ihm seine Würdegenommen.

Dass Musik erklingt, wenn es um Tod und Trauergeht, hat eine lange Tradition. Neben der ange-messenen Untermalung des feierlichen und ehr-furchtsvollen Charakters der Ze-remonie hat sie noch einen weite-ren Effekt: Sie scheint die Auflö-sung erstarrter, stummer Trauerin die emotionsgeladene Artiku-lation des Weinens bewirken zukönnen und kann daher der Trau-er Ausdruck verleihen. Das wirduns schon im Mythos durch Ovidüberliefert: Mit seinem betören-den Gesang gelang es Orpheus,seine geliebte Eurydike wenigs-tens vorübergehend dem Toten-

Einführung

reich zu entreißen: Überwältigt von der gewaltigenmusikalischen Totenklage Orpheus’ sollen sogarzum ersten Mal die Wangen der Eumeniden, derRachegöttinnen, von Tränen benetzt gewesen sein.

Requiem und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert

Die Diskrepanz zwischen allgemeingültigem Rituseinerseits und dem Bedürfnis individueller Trauerandererseits schlägt sich auch in der langen Tradi-tion der katholischen Totenmesse, des Requiems,nieder. Als Gattung für die musikalische Ausge-staltung von Begräbnis- und Gedenkgottesdiens-ten gedacht, hat das Requiem seine bis heute gül-tige Text-Gestalt bereits 1570 erhalten. Damals wardie katholische Kirche darauf bedacht, die ver-schiedenen Texttraditionen der Länder zu verein-heitlichen, was jedoch nicht vollständig gelang. Esmusste weiterhin akzeptiert werden, dass Textkür-zungen, -umstellungen und -ergänzungen vorge-nommen wurden.

Bemerkenswert am Requiem ist die Tatsache,dass nicht die Trauer um die Verstorbenen im Mit-telpunkt des liturgischen Textes steht, sondern dieKraft des Glaubens, mit der die Angst vor demJüngsten Tag überwunden werden soll. Zweck desRequiems ist die Stärkung des Glaubens an Gott,an die Erlösung und an die Überwindung des Todesdurch Wiederauferstehung. Das mag einerseits eintröstlicher Gedanke sein, andererseits lässt es denindividuellen Gefühlen wenig Raum.

Vielleicht ist das der Grund, warum die Kompo-nisten des 19. Jahrhunderts darangingen, die da-mals sehr beliebte Gattung aus ihrer liturgischenFunktion und den damit verbundenen Beschrän-

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Jean-Baptiste-Camille Corot:Orpheus leitet Euridice aus

der Unterwelt, 1861 (Museumof Fine Arts, Houston)

»... Während er [Orpheus] so sang und zu seinenWorten die Saiten schlug, weinten die blutlosenSeelen, Tantalus griff nicht nach der fliehendenWelle, staunend stand Ixions Rad still, die Vögelzerfleischten nicht die Leber des Tityos, die Beli-den ließen ihre Krüge stehen, und du, Sisyphus,saßest auf deinem Stein. Damals sollen zum ers-ten Mal die Wangen der Eumeniden von Tränenfeucht geworden sein, weil der Gesang sie über-wältigte. Weder die Königin noch der Herrscher derUnterwelt bringen es über sich, die Bitte abzu-schlagen, und sie lassen Eurydice rufen. Sie be-fand sich unter den neuangekommenen Schatten,kam heran, und die Wunde erlaubte ihr nur lang-sam zu schreiten. Orpheus vom Rhodopegebirgeerhält sie unter der Bedingung, nicht zurückzu-blicken, bevor er die Täler des Avernus verlassenhabe – sonst werde das Geschenk zunichte ...«

Ovid: Metamorphosen

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kungen zu befreien und sie im öffentlichenRahmen aufzuführen. Als Folge dieser Entwicklungbegannen nun auch evangelische Komponisten,den Messetext zu vertonen. Das Requiem wandeltesich langsam von der katholischen Totenmessezum konfessionsübergreifenden Vokalwerk fürsäkularisierte Trauerfeiern und damit zu einemzunehmend eigenständigen Kunstwerk, das dieMöglichkeit bot, individuelle Gedanken und Ge-fühle – wie etwa den Schmerz über den Verlust ei-nes oder vieler Menschen oder die Angst vor demeigenen Tod – ganz unabhängig von der Liturgieaus einer subjektiven Perspektive heraus in Musikzu fassen.

Im Zuge dieser Lösung aus dem kirchlichen Rah-men eröffneten sich dem Requiem neue Wege. Dader liturgische Text vielen Komponisten als nichtmehr zeitgemäß erschien, gab es neue Konzepte.

Einführung

Johannes Brahms etwa griff in Ein deutsches Re-quiem (1868) nicht auf bestehende Vorlagen zu-rück, sondern stellte sich das Libretto aus Bibel-texten der Luther-Übersetzung selbst zusammen.Andere Komponisten suchten nach Vorlagen, diesich dem Thema Tod und Trauer auf persönlichereWeise näherten. Oder sie verzichteten ganz auf dieWorte: Nur der Titel des Werkes nimmt dann nochBezug auf die ursprüngliche Textvorlage.

Dvoráks Requiem trägt dieser allgemeinen Ent-wicklung Rechnung. Zwar bediente sich der Kom-ponist des liturgischen Textes, doch ist sein Requi-em weder ein liturgisches Werk, noch ist es aus ir-gendeinem aktuellen Anlass entstanden. Es gabweder einen eigentlichen Auftrag noch ein privatesauslösendes Ereignis. Um im Vergleich andere Bei-spiele zu nennen: Zwar sind auch die Requiem-Ver-tonungen von Hector Berlioz und Giuseppe Verdinicht mehr für den liturgischen Gebrauch gedacht.Dennoch wurden sie aus bestimmten Anlässenkomponiert: Die Grande Messe des Morts von Hec-tor Berlioz aus dem Jahre 1837 wurde im Rahmeneiner Trauerfeier für einen französischen Generalim Pariser Invalidendom uraufgeführt. GiuseppeVerdis Messa da Requiem erklang erstmals zumeinjährigen Todestag des italienischen DichtersAlessandro Manzoni 1874 in der Kirche San Marcoin Mailand.

Dvoráks Requiem steht hinsichtlich seiner Formund seines Ausdrucks der Gattung des Oratoriumsnahe. Weil es für eine konzertante Aufführung kon-zipiert ist, gliedert es sich in zwei Teile: Im erstenTeil – Introitus, Graduale und Sequenz – kommen

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Arnold Böcklin: Die Toteninsel, 1883

(Nationalgalerie, Berlin)

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Trauer, Schuldeingeständnis und Bitte um Erlö-sung zum Ausdruck. Die Stimmung ist vorwiegenddüster, beklemmend, oft auch erschreckend. Beider Textvertonung gibt es einige Besonderheiten:Wie im 19. Jahrhundert üblich werden die einst ei-genständigen liturgischen musikalischen Teile In-troitus und Kyrie in einem Satz vertont, der Tractusbleibt unvertont. Den Text der Sequenz verteiltDvorák auf sechs Sätze (»Dies irae«, »Tubamirum«, »Quid sum miser«, »Recordare«, »Con-futatis«, »Lacrimosa«), wobei das »Dies irae« amEnde des »Tuba mirum« noch einmal aufgegriffenwird. Auch die letzten Worte der Sequenz – »PieJesu, Domine« – erscheinen später noch einmal:Sie bilden dir Grundlage für den zwölften Satz. Derzweite Teil – Offertorium, Sanctus und Agnus Dei –steht inhaltlich komplementär zum ersten: Erbringt Trost, die Stimmung hellt sich auf.

Chiffre des Todes

Inwiefern schlägt sich der öffentliche Charakterdieses Werkes in der Musik nieder? Wie gelingt esDvorák, zu einer so universellen Ausdruckskraft zugelangen?

Einführung

Zum Zeitpunkt der Komposition des Requiemhatte Dvorák bereits acht seiner insgesamt neunSymphonien geschrieben. Er hatte also in der Arti-kulation einer differenzierten instrumentalen Klang-sprache höchste Meisterschaft erlangt. Aus dersymphonischen Praxis stammt die Idee, durch Auf-greifen eines Themas des ersten Satzes innerhalbspäterer Sätze – also in neuem Umfeld – Zusam-menhang zu stiften. Diese Idee nimmt in DvoráksRequiem poetische Gestalt an und stellt eine be-sondere Bedeutungsebene her: Das in den erstenbeiden Takten exponierte Leitthema durchziehtdas ganze Stück und bringt immer wieder denGrundgedanken der Gattung zur Sprache: denTod. Wie aus dem Nichts – pianissimo und consordino – intonieren die Streicher zu Beginn desRequiem unisono ein Vierton-Motiv, das für dasgesamte Stück von größter Bedeutung sein wird:

Metrisch unbestimmt, harmonisch schwebend, va-ge, verwischt... Und doch ist das Motiv so präg-nant, dass es sich im Folgenden wiedererkennenlässt. Die ersten beiden Takte sind die Keimzelledes Ganzen. Immer wieder taucht das Motiv auf, infast allen Sätzen. Stets kunstvoll abgewandelt inTonart, Rhythmus, Taktart und Klangfarbe scheintes weit über hundert Mal aus dem Stimmenge-flecht hervor, hier im Orchester, dort in den Vokal-stimmen. Immer wieder wird es wirkungsvoll inSzene gesetzt. So rufen in der langsamen Einlei-

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Antoine Watteau: Der Tod,Skizze (National Museum,

Stockholm)

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tung des »Tuba mirum«, dem Beginndes Jüngsten Gerichts, die Trompe-ten nicht – wie bei Berlioz oder Verdi– mit schmetternden Fanfaren zurAuferstehung. Nein, hier gleichenihre Stimmen einsamen Rufen, dieunbeantwortet bleiben: Dreimal,immer um einen Halbton aufwärtsversetzt, erklingt jenes Motiv, dasjedes Mal in die Dissonanz einessich nicht auflösenden, übermäßi-gen Dreiklanges mündet. Dann grei-fen gedämpfte Streicher den Leitge-danken auf.

Die Bedeutung dieses Motivs liegtauf der Hand: Es ist eine Chiffre fürden Tod. Der MusikwissenschaftlerKlaus Döge nennt in seiner Dvorák-Biographienoch andere Werke Dvoráks, in denen dieses »To-desmotiv« in demselben Sinnzusammenhang auf-tritt. Erstmals erscheint es im Klaviernachspiel des6. Liedes der Liebeslieder op. 83 (1888) nach denWorten »Wann spült die Lebensflut auch mich hin-ab?«. Auch in der 1892 komponierten OuvertüreOthello op. 93 findet sich das Motiv, und zwar nurwenige Takte vor jener Stelle, an der sich in der Par-titur Dvoráks Vermerk findet: »Othello ermordet sie[Desdemona] in toller Wut.«

Ein anderer Komponist nahm später ebenfallssemantisch Bezug auf dieses Motiv. Josef Suk warseit 1891 Kompositionsschüler von Dvorák undheiratete 1898 dessen Tochter Ottilie. Als Dvorák1904 starb und 1905 auch noch Ottilie, brach fürSuk eine Welt zusammen. Unter diesen Eindrücken

Einführung

schrieb er 1905/06 seine Symphonie op. 27 Asrael,benannt nach dem Todesengel, der die Seelen derVerstorbenen begleitet. Die Symphonie ist gewid-met »Dem Angedenken Antonín Dvoráks und sei-ner Tochter, meiner Gattin Ottilie«. Zu Beginn deszweiten Satzes zitiert Suk jenes TodesmotivDvoráks... als ein Stück Trauerarbeit.

Dvoráks Verwendung dieses Motivs kann übri-gens auch als eine Reminiszenz an Johann Sebas-tian Bachs h-Moll-Messe aufgefasst werden. Dorterscheint eine ähnliche Tonfolge im zweiten Kyrie –als Kopf des Fugenthemas.

Poesie

Dvorák wird oft als Lyriker unter den Komponistenbezeichnet. Auch in seinem Requiem herrsche derlyrische Gestus vor, so der Allgemeinplatz. Den-noch kann man nicht behaupten, dass dem Requi-em Dramatik fehle. Dvorák nähert sich der Textvor-lage mit Ehrfurcht und Respekt, aber der dem Text

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Josef Suk (1874–1935)

Trauerzug zum BegräbnisAntonín Dvoráks am 5. Mai

1904 in Prag

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innewohnende poetische Gehalt wird inszeniert,wenn auch nicht im theatralischen Sinn.

Vor allem in den Vokalpartien lässt die Musikhäufig eine Aura der Erhabenheit entstehen. Solis-ten und Chor scheinen manchmal wie aus einer an-deren Zeit heraus zu singen. Dann erinnert dieStimmführung und Harmonik zuweilen an alte Kir-chenmusik. Besonders der Gesang der Solistenwirkt oft, als werde musikalisch eine rituelle Hand-lung nachgezeichnet: so zum Beispiel im Tenor-Solo »Liber scriptus« des »Tuba mirum«. Der Textdes Requiem scheint für das Alte, Überlieferte undVertraute zu stehen und damit auch Sicherheit aus-zustrahlen und Trost zu spenden: Die Liturgie istdie Grundlage der Glaubensgemeinschaft. Dieswird von Dvorák vorgeführt. So zum Beispiel imAbschnitt »Domine Jesu Christe, Rex Gloriae« desOffertorium, wo der solistische, traurige Gesanglangsam übergeht in eine sich steigernde Chor-hymne: In der Gemeinschaft der Gläubigen ist derEinzelne sicher aufgehoben.

Zwar gibt es auch in diesem Requiem, wie etwaim »Dies irae«, immer wieder Abschnitte von er-schreckender und bedrohlicher Natur. Die starken,krassen Bilder des Jüngsten Gerichts, die dem Textder Sequenz zugrunde liegen, sind dennoch im Tonviel milder umgesetzt als bei Berlioz oder Verdi, diediese Passage hochdramatisch mit den expressiv-sten musikalischen Mitteln und in den grellstenFarben geschildert haben. Bei Dvorák ist derSchrecken des Todes zurückgenommen. Das Be-drohende liegt nicht im Requiemtext selbst, son-dern es wird von außen an ihn herangetragen: aufder symphonischen Ebene. Jenes »Todesmotiv« ist

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Gustav Klimt: Tod und Leben,1911 (Privatbesitz, Wien)

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es, das die sorgenvolle Frage nach dem Mysteriumvon Leben und Tod stellt. Immer wieder stört es diedurch die Tradition hergestellte Sicherheit. Stehendie Solisten für das Individuum, der Chor für dieGemeinschaft, so könnte man die symphonischeEbene als das lyrische Ich des Komponisten be-zeichnen. Es reflektiert, es ist beunruhigt, es stelltin Frage. Es ist sich bewusst, dass der Tod allge-genwärtig ist.

Dvorák schildert die liturgische Ebene, insze-niert den Text und komponiert das subjektive, in-dividuelle Empfinden aus. Es gelingt ihm auf be-eindruckende Weise, auch die Diskrepanz zwi-schen Ritus und Individuum musikalisch differen-ziert zu thematisieren.

Es gibt ein berühmtes Gedicht, das den poeti-schen Kern dieses Werkes trifft: Es ist das GedichtSchlußstück von Rainer Maria Rilke: »Der Tod istgroß. / Wir sind die Seinen / lachenden Munds. /Wenn wir uns mitten im Leben meinen, / wagt er zuweinen / mitten in uns.«

Verena Großkreutz

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