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1 Einführung und Übersicht Frank Waldfahrer 1.1 Definition des Fokusbegriffs – 2 1.2 Historische Entwicklung des Fokusbegriffs – 2 1.3 Potenzielle Herde bzw. Foci im Kopf-Hals-Bereich – 4 1.4 Potenzielle Herderkrankungen – 5 1.5 Resümee – 6 Literatur – 6

Einführung und Übersicht - · PDF fileReferat stammte von Schlemmer, ein pathologi-sches Referat von Dietrich. Die Deutsche HNO-Gesellschaft griff die ... 4 Uveitis 4 Chorioretinitis

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Einführung und Übersicht

Frank Waldfahrer

1.1 Definition des Fokusbegriffs – 2

1.2 Historische Entwicklung des Fokusbegriffs – 2

1.3 Potenzielle Herde bzw. Foci im Kopf-Hals-Bereich – 4

1.4 Potenzielle Herderkrankungen – 5

1.5 Resümee – 6

Literatur – 6

Kapitel 1 · Einführung und Übersicht2

1

Wichtig

Der klinisch tätige Hals-Nasen-Ohren-Arzt wie auch der Zahnarzt und Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg werden häufig mit der Fragestellung der Fokussuche im jeweiligen Fachgebiet konfrontiert. Die typischen Auftraggeber einer solchen Fokus-suche sind Dermatologen, Augenärzte, Hämato-onkologen, Rheumatologen und Nephro logen. Anlass einer solchen Fokussuche sind zumeist akute oder chronische Erkrankungen der genann-ten Fachgebiete, deren Ätiologie und Pathogenese noch nicht hinreichend aufgeklärt sind oder aber Krankheitsbilder, die eine Immun suppression und/oder Knochenmarkdepression erforderlich machen und man das Aufflackern eines ruhenden Entzündungsherdes fürchtet. Auch das infekt-anfällige Kind wird häufig dem HNO-Arzt vorge-stellt, um festzustellen, ob die Gaumenmandeln oder Nasennebenhöhlen Sitz eines Fokus sind.

1.1 Definition des Fokusbegriffs

Eine einfache, aber universell gültige Definition wurde von der Deutschen Gesellschaft für Herd-forschung und Herdbekämpfung im Jahre 1960 gegeben:

Unter einem Fokus sind alle abwegigen loka-

len Veränderungen im Organismus zu ver-

stehen, welche über ihre Umgebung hinaus

pathologische Fernwirkungen auszulösen

vermögen.

Zuvor hatte Chini 1955 folgende Definition ge-geben: Eine Herderkrankung müsste dann als augenscheinlich autonom angenommen werden, wenn sie von einem latenten Infektionsherd ver-schiedener Lage im Organismus ausgelöst und dann als toxisch-infektiöser, chronischer, ständi-ger oder intermittierender Mechanismus unter-halten wird, der als Fernwirkung seine krank ma-chende Tätigkeit ausübt.

Vom Fokus im Sinne dieser Definition müs-sen andere Prozesse abgegrenzt werden, die die Kriterien nicht erfüllen. Ein Peritonsillarabs-zess oder ein Kieferhöhlenempyem sind natür-lich ebenfalls »Entzündungsherde«, entfalten aber eine vornehmlich lokale Symptomatik, wenngleich auch diese Erkrankungen Ausgangs-punkt einer Allgemeininfektion (Sepsis) sein können.

Auch die Streptokokken-Folgeerkrankun-gen (. Tab. 1.1), wie sie durch bestimmte Seroty-pen β-hämolysierender Streptokokken der Lance-field-Gruppe A ausgelöst werden, fallen nicht mehr unter den oben definierten Fokusbegriff, da die Pathogenese dieser Erkrankungen weit-gehend aufgeklärt ist. Wie Olivier (2000) ausführt, spielt das rheumatische Fieber auch heute noch eine beachtenswerte Rolle, wenngleich die Inzi-denz durch eine zumeist adäquate Antibiotika-therapie der bakteriellen Tonsillitis deutlich rück-läufig ist.

Hyperplastische Tonsillen im Kindesalter, die den Oropharynx verlegen und zu nächtlichen Atemstörungen im Sinne eines obstruktiven Schlaf apnoesyndroms führen, haben zwar unstrei-tig Krankheitswert, stellen aber ebenfalls keinen »Fokus« nach obiger Definition dar.

1.2 Historische Entwicklung des Fokusbegriffs

Als Erstbeschreiber der Fokustheorie wird immer wieder der Internist Päßler mit der Jahreszahl 1909 genannt, der einerseits von Mundhöhlen-infektionen ausgehende Allgemeininfektionen (Sepsis) beschrieb, andererseits aber auch auf von den Tonsillen abgesonderte Toxine hinwies, die andernorts Krankheitssymptome hervorriefen.

Bereits 1923 hatte die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde auf ihrem Jahreskongress in Bad Kissingen der chronischen Tonsillitis einen Schwerpunkt gewidmet. Hier griff Werner Kümmel, Heidelberg, die damaligen,

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vornehmlich kasuistischen Kenntnisse zur Herd-wirkung einer chronischen Tonsillitis in einem klinischen Referat zusammen. Ein anatomisches Referat stammte von Schlemmer, ein pathologi-sches Referat von Dietrich.

Die Deutsche HNO-Gesellschaft griff die Fokalinfektion in ihrem Jahreskongress 1949 in Karlsruhe erneut auf. Heinlein erstellte hierzu ein Referat unter dem Thema »Pathogenese und Pathomorphologie der Fokalinfektion«.

Im weiteren Verlauf erlebte die Fokustheorie ihre Glanz- und Blütezeit, erkennbar beispiels-weise daran, dass eine »Deutsche Gesellschaft zum Studium der Herderkrankung und der Be-handlung der Herde« bzw. »Deutsche Arbeits-gemeinschaft für Herdforschung und Herdbe-kämpfung« gegründet wurde. In den 50er Jahren wurden von dieser Gesellschaft mehrere Kongres-se abgehalten, die sich verschiedenen Aspekten der Fokaltoxikosen annahmen (z. B. Düringer 1957).

1950 widmete Eckert-Möbius, Halle, der chro-nischen Tonsillitis eine Monographie, in der eben-falls der damalige Kenntnisstand zu den tonsillo-genen Herderkrankungen zusammengefasst war.

Im Jahre 1957 publizierte Fioretti, Padua ( Italien), eine weitere Monographie über die Gau-menmandel und ihre Erkrankungen, wobei sich ein von Arslan, Padua, verfasstes Kapitel der ton-sillogenen Fokalinfektion widmete. 1961 erschien die deutsche Übersetzung dieses Buches. Falk u. Maurer verfassten das entsprechende Kapitel für das Handbuch der Hals-Nasen-Ohren-Heilkun-de, das 1963 erschien.

Auch die Nasennebenhöhlen und das Mittel-ohr wurden in der damaligen Zeit als Sitz von Foci erkannt bzw. postuliert (Vogel 1950), wobei dem Mittelohr eine untergeordnete Rolle zugespro-chen wurde.

In der Übersicht sind die in dieser Zeit entwi-ckelten Theorien zur Pathogenese der Herd erkran-kungen bzw. Fokaltoxikose zusammengefasst.

. Tabelle 1.1. Streptokokken-Folgeerkrankungen

Name Erläuterung

Akute Glomerulonephritis Symptome: Hämaturie, Proteinurie, arterielle Hypertonie, C3-ErniedrigungLatenzzeit: ca. 10 TagePathogenese: Immunkomplex-Nephritis

Akutes rheumatisches Fieber (ARF)

Symptome: Karditis (Endokarditis, Myokarditis, Perikarditis), Polyarthritis, Chorea minor Sydenham, subkutane Knoten, Erythema marginatumLatenzzeit: ca. 18 TagePathogenese: Kreuzreaktion von Antikörpern gegen Streptokokken-M- Protein bestimmter Serotypen mit Herz, Synovia und ZNS

Poststreptokokken-reaktive Ar-thritis (PSRA)

Symptome: solitäre reaktive Arthritis, die die Jones-Kriterien des rheuma-tischen Fiebers nicht erfülltPathogenese: wie ARF

PANDAS (»pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections«)

Synonym: »obsessive compulsive disorder«Symptome: Tics, Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, Zwangssymptome, fraglich AnorexiePathogenese: Kreuzreaktion von Streptokokken-Antikörpern mit Hirnstruk-turen

1.2 · Historische Entwicklung des Fokusbegriffs

Kapitel 1 · Einführung und Übersicht4

1 Historische Fokustheorien

4 Neurodystrophische Theorie (Speransky

1950)

4 Theorie vom Organotropismus gewisser

Streptokokkenstämme (Rosenow 1936)

4 Toxintheorie (Rosenow 1936)

4 Bakteriämische Theorie (Rosenow 1936)

4 Irritationssyndrom (Reilly 1954)

4 Adaptationssyndrom (Selye 1955)

4 Allergisch-hyperergische Theorie

4 Menkin-Substanzen (Fassbender 1955)

Eine detaillierte Erläuterung der einzelnen Hypo-thesen soll an dieser Stelle nicht erfolgen; der his-torisch interessierte Leser sei auf das Re ferat von Arslan (1961) verwiesen. Arslan fasst in zwei Ta-bellen insgesamt 23 teilweise kuriose Tests zu-sammen, die dem Nachweis einer Herdinfek tion dienen sollen.

Die weitere Entwicklung der Theorien um die Fokalinfektionen ist eng mit dem umfangreichen Wissenszuwachs in den Gebieten Infektiologie und Immunologie verbunden. Durch die nähere Charakterisierung der Entzündungszellen, die Ent deckung und Spezifizierung proinflamma -torischer Zytokine, die Spezifizierung von Auto-antikörpern und bakteriellen Antigenen sowie der Zusammenfassung aller Erkenntnisse zu einer »Entzündungskaskade« war eine Aktualisierung der Fokustheorien möglich.

Allerdings wurde es dann in der wissenschaft-lichen Welt ruhig um das Thema Fokalinfektio-nen. Die Deutsche Gesellschaft für Herdforschung und Herdbekämpfung stellte ihre Aktivitäten ein und es finden sich nur noch vereinzelte Publika-tionen zu dieser Thematik.

Berendes fasste 1973 die Geschichte der Fo-kaltheorie zusammen, es folgte 1981 ein Review von Wigand und 1984 eine kritische Stellungnah-me der Rechtsmedizinerin Oepen, die sich v. a. paramedizinischen Interpretationen der Fokal-theorie widmete. Neuere Arbeiten stammen von

Knöbber (1999) sowie von Reiß u. Reiß (2000), die auch den Beitrag über die Tonsille als Fokus in diesem Band verfassten. Deitmer (2000) fasste den aktuellen Stand zur Indikationsstellung und Durchführung der Tonsillektomie in Band 20 dieser Reihe zusammen und diskutierte hierbei auch die tonsillogenen Herderkrankungen.

Anhaltende wissenschaftliche Aktivität hin-sichtlich tonsillogener Fokalinfektionen bestand vornehmlich in Japan. Dort fanden 1987 in Kyoto und 1995 in Sapporo internationale Kongresse über die Erkrankungen der Tonsillen statt. Die je-weiligen Referate sind in zwei Supplementen der Zeitschrift Acta Otolaryngologica zusammen-gefasst (Hayashi u. Tabata 1988; Yamashita et al. 1988; Masuda et al. 1988; Takeuchi et al. 1996; Kobayashi et al. 1996; Izaki et al. 1996; Hayashi et al. 1996; Sato et al. 1996; Shiraishi et al. 1996; Tomioka et al. 1996; Sanai u. Kudoh 1996; Hotta et al. 1996; Kataura u. Tsubota 1996).

Auch in der Reihe Advanced Otorhinolaryn-gology widmete sich ein Themenband im Jahre 1992 den Tonsillen, Originalien zur Fokalinfek-tionen stammen von Kuki et al., Tabata und Ma-suda et al.

1.3 Potenzielle Herde bzw. Foci im Kopf-Hals-Bereich

Herderkrankungen werden mit folgenden Orga-nen in Verbindung gebracht:4 Gaumentonsillen4 Nasennebenhöhlen4 Zähne einschließlich Paradont und Gingiva

Diesen drei genannten Organen bzw. Organsys-temen sind in diesem Band jeweils einzelne Bei-träge gewidmet. Andere lymphatische Organe des Waldeyer-Rachenrings und das Mittelohr werden nur ausnahmsweise mit Herderkrankungen in Verbindung gebracht.

Die marginale Parodontitis rückte in jünge-rer Vergangenheit als potenzieller Auslöser kar-

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dio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen in den Mittelpunkt des Interesses (Henning 1977; Sey-mour u. Steele 1998; Müller 2002). Hier handelt es sich also um eine potenzielle Herderkrankung moderner Prägung, die auch die Laienpresse er-reicht hat.

1.4 Potenzielle Herd-erkrankungen

Nachdem potenzielle Herde identifiziert sind, drängt sich die Frage auf, welche Fernwirkung diese Herde haben sollen, d. h. welche Erkran-kungen mit einem Fokalgeschehen in Verbindung gebracht werden. Durch zunehmende Erkennt-nisse auf immunologisch-infektiologischem Fachgebiet ist die Liste möglicher Herderkran-kungen kleiner geworden, da Ätiologie und Patho-genese vieler Erkrankungen näher aufgeklärt wer-den konnten.

Die Übersicht enthält – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine Aufzählung von Erkran-kungen, die heute mit einem Fokalgeschehen kau-sal in Verbindung gebracht werden.

Potenzielle Herderkrankungen(Auswertung der zitierten Literatur, v. a. nach

Luckhaupt u. Karbe 1985; Noda 1989; Akiyama

et al. 1995; England et al. 1997; Younessi et al.

1998; Kawano et al. 2003; Xie et al. 2003)

Dermatosen

4 Pustulosis palmaris et plantaris

4 Chronische Urtikaria

4 Erythema exsudativum multiforme

4 Erythema nodosum

4 Erythema annulatum

4 Psoriasis vulgaris, Parapsoriasis guttata

4 Pityriasis

4 Behçet-Krankheit

4 Cheilitis granulomatosa, Melkersson-

Rosenthal-Syndrom

4 Pruritus sine materia

4 Alopecia areata

4 Sweet-Syndrom, neutrophile Dermatosen

4 Dermatitis herpetiformis

4 Atopisches Ekzem

4 Andere Dermatosen mit Autoimmun-

pathogenese

Augenerkrankungen

4 Uveitis

4 Chorioretinitis

4 Neuritis nervi optici

Nierenerkrankungen

4 IgA-Nephritis

Rheumatologie

4 Praktisch alle rheumatologischen Erkran-

kungen

4 Sternokostoklavikuläre Hyperostose

Weitere Erkrankungen

4 Infektiöse Endokarditis und andere ent-

zündliche Herzerkrankungen

4 Fieber unbekannten Ursprungs (FUO)

Nach kritischer Durchsicht der Literatur ver-bleiben letztlich zwei Erkrankungen, bei denen durch eine Herdsanierung, in beiden Fällen durch eine Tonsillektomie, ein Benefit erzielt werden konnte.

Bei der Pustulosis palmaris et plantaris han-delt es sich um eine Dermatose, die häufig in den Formenkreis der Psoriasis eingeordnet wird. Patho genetisch wurde vom Erstbeschreiber An-drews bereits 1934 eine Fokaltoxikose vermutet. Auch neuere Arbeiten legen einen Benefit einer Tonsillektomie bei dieser Erkrankung nahe ( Hayashi u. Tabata 1988; Noda 1989; Kuki et al. 1992; Akiyama et al. 1995; Shiraishi et al. 1996).

6

1.4 · Potenzielle Herd erkrankungen

Kapitel 1 · Einführung und Übersicht6

1 Auch bei der IgA-Nephritis (Berger-Nephri-tis) gibt es aktuelle Daten, die den Benefit einer Tonsillektomie v. a. bei betroffenen Kindern na he-legen (Masuda et al. 1988; Masuda et al. 1992; Hotta et al. 1996; Sanai u. Kudoh 1996; Tomioka et al. 1996; Sato et al. 1996; Xie et al. 2003).

Beispielsweise unterzogen Xie et al. eine Grup-pe von 118 Patienten mit IgA-Nephritis einer pros-pektiven Studie. 48 Patienten wurden tonsillek-tomiert, 70 Patienten behielten ihre Tonsillen. Während 10,4% der tonsillektomierten Patienten im Beobachtungszeitraum von 193±75 Monaten dialysepflichtig wurden, wurde dieses Schicksal 25,7% der Patienten der Kontrollgruppe zuteil (p<0,05).

IgA-Immunkomplexe spielen bei dieser Nie-renerkrankung eine entscheidende Rolle. Die ver-mehrte IgA-Produktion wird hierbei mit den Tonsillen in Verbindung gebracht (Shiraishi et al. 1996). Bei Patienten mit IgA-Nephritis soll das Verhältnis von IgG- zu IgA-produzierenden Plas-mazellen zugunsten des IgA verschoben sein. In diesem Zusammenhang wird die pathogenetische Bedeutung des Keims Haemophilus parainfluen-zae diskutiert.

Bei allen anderen in der Übersicht aufgeführ-ten Erkrankungen ist die Datenlage weniger ein-deutig; auf die jeweiligen Referate in diesem Band ist hinsichtlich Details zu verweisen.

Neben den aufgeführten Krankheiten müssen im Zusammenhang mit dem Fokusbegriff auch andere Erkrankungen Erwähnung finden, die eine Indikation zur Fokussuche darstellen. In diese Gruppe fallen alle Erkrankungen, deren ge-plante Therapie zu einer Immunsuppression und/oder Knochenmarkdepression führt, so dass eine Beeinträchtigung der humoralen und zellulären Abwehr zu erwarten ist. Ein Entzündungsherd, der bei intaktem Immunsystem gut unter Kont-rolle war, kann unter veränderten Bedingungen zu einer lebensbedrohenden Infektion werden.

Speziell bei folgenden Erkrankungen bzw. un-ter folgenden Voraussetzungen ist prätherapeu-tisch eine Fokussuche indiziert:

4 akute Leukämien und Lymphome vor myelo-ablativer Chemotherapie und/oder Knochen-mark- oder Stammzelltransplantation,

4 vor Nieren-, Leber- oder Herztransplantation,4 vor Herzklappenersatz,4 vor immunsuppressiver Th erapie.

1.5 Resümee

Auch im 21. Jahrhundert verbleiben bei den so genannten Herderkrankungen mehr offene als ge-klärte Fragen. Auch der erhebliche Erkenntnis-zuwachs auf den Gebieten der Immunologie und Infektiologie konnte es nicht verhindern, dass nach wie vor die Fragestellung »Fokus im HNO-Bereich« eine alltägliche Fragestellung ist. Nur bei wenigen Erkrankungen wie der IgA-Nephri-tis und der Pustulosis palmaris et plantaris ist die therapeutische Konsequenz relativ eindeutig, bei vielen anderen Erkrankungen ist die Daten-lage weitaus weniger klar. Die nachfolgenden Beiträge sollen eine Entscheidungshilfe bei Klä-rung der Frage nach einem Fokalgeschehen dar-stellen.

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Kapitel 1 · Einführung und Übersicht8

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2

Die Tonsille als Fokus

Michael Reiß, Gilfe Reiß

2.1 Einleitung – 10

2.2 Tonsille und Fokus – Literaturübersicht – 102.2.1 Anatomie und Histologie – 102.2.2 Funktion der Tonsille – Physiologie – 112.2.3 Mechanismus der Fokusbildung – 122.2.4 Häufigkeitsangaben zum Fokusgeschehen – 132.2.5 Krankheitsbilder des tonsillogenen Fokusgeschehen – 142.2.6 Diagnostik des tonsillogenen Fokusgeschehens – 162.2.7 Therapie des Fokus – 172.2.8 Prognose – 18

2.3 Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen – 182.3.1 Untersuchung zum Fokusgeschehen und zur Fokussanierung – 182.3.2 Erhebung zur aktuellen Fokusverteilung bzw. Indikation

zur Tonsillektomie – 20

2.4 Schlussfolgerungen und Diskussion – 212.4.1 Diskussion der eigenen Ergebnisse – 212.4.2 Schlussfolgerungen – 21

Literatur – 22

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus10

2

2.1 Einleitung

Unter einem Fokus versteht man jede lokale Ge-websveränderung, die über ihre nächste Um-gebung hinaus eine krankhafte Entwicklung aus-löst. Das klinische Interesse richtet sich in der HNO-Heilkunde insbesondere auf bakterielle Herde, nach denen bei Patienten beispielsweise vor größeren herz- und lungenchirurgischen Ein-griffen sowie vor Knochenmarktransplantationen gefahndet wird. Im Mittelpunkt des Interesses stehen schon immer die Gaumenmandeln [22–24, 28, 31, 35].

Der Standpunkt der HNO-Heilkunde und an-derer Fachgebiete zum so genannten Fokusge-schehen ist umstritten. Sowohl für den Patienten als auch den Arzt bereitet die Thematik der Herd-krankheiten Schwierigkeiten. Einerseits benötigt das Auffinden, die Bewertung und Behandlung eines möglichen Fokus eine Menge Erfahrung und ein diagnostisches Geschick. Wird ein Fokus dagegen nicht entdeckt, können bewährte Be-handlungsmethoden oft nicht greifen und der Patient kann im weiteren Verlauf durch den Streu-herd unnötig gefährdet werden [1, 2, 13, 21, 23, 26, 28, 29, 35, 39, 46].

Prinzipiell kann man zwischen einem Herd bzw. Fokus (weitere Synonyme sind Streuherd oder -feld) und einer Herderkrankung oder den Folgekrankheiten, die durch die Streuwirkung ausgelöst werden können, unterscheiden [2, 28, 35, 46].

Die Tonsillen werden immer wieder als so ge-nannter Fokus oder Herd im Rahmen von ande-ren chronischen Erkrankungen diskutiert. Ob diese Entität tatsächlich existiert, ist bis heute umstritten. Auch heute zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den unbefriedigenden experimentellen Ergebnissen und den ärztlichen Erfahrungen bei der Behandlung durch Eliminierung des Her-des.

2.2 Tonsille und Fokus – Literaturübersicht

2.2.1 Anatomie und Histologie

Die Tonsilla palatina ist Bestandteil des Waldeyer-Rachenrings, einer Ansammlung von lymphoepi-thelialem Gewebe. Dieses Gewebe zeigt bis auf fehlende Lymphgefäße einen ähnlichen Aufbau wie Lymphknoten [9–12]. Die menschlichen Gaumenmandeln sind von geschichtetem Plat-tenepithel bedeckt. Sie bestehen aus einem kryp-tenunterbrochenen lymphatischen Grundgewebe mit Solitärfollikeln [1, 4, 6, 7, 9, 11].

Die Oberflächenvergrößerung von bis zu 300 m2 kommt durch zehn bis 25 Primärkrypten zustande. Von diesen gehen sekundäre Krypten zweiter bis fünfter Ordnung ab. Dadurch wird der Oberflächenkontakt zwischen Umwelt und Lymphgewebe vergrößert [9–12].

Man kann eine Kryptenöffnung, einen engen Halsteil, die Lichtung und den Boden der Krypte unterscheiden. Die Form der Krypten kann mit einem Vogelnest oder mit einer Keule verglichen werden. Der Kryptengrund kann bis zur Tonsil-lenkapsel reichen. Die Entfernung zwischen Kryptenoberfläche und Tonsillenkapsel kann bis zu 25 mm betragen. Die Krypten im Bereich des oberen Pols sind größer und verzweigter als in den übrigen Regionen der Tonsille, so dass Abs-zesse vor allem an den oberen Polbereichen auf-treten [36, 40, 43, 45, 46, 48].

Durch tierexperimentelle Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass verschiedene Sub-stanzen über die Krypten zu den Lymphfollikeln transportiert werden können, wo germinale Zel-len künstlich erzeugt wurden, die als Zeichen im-munologischer Aktivität dienen [50]. Der Kryp-tenaufbau scheint auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der chronischen Tonsillitis zu spielen. Solange die Entleerung zur Mundhöhle hin gewährleistet ist, ist auch die Funktion der Tonsillen nicht gefährdet. Wenn jedoch der phy-siologische Inhalt der Krypten z. B. durch ent-

211

zündliche Strukturen stagniert, bildet sich ein idealer Nährboden für Mikroorganismen.

Die Gaumenmandeln sind zwischen dem ach-ten und dem zehnten Lebensjahr am stärksten entwickelt. Im Verlauf der Alterung kommt es all-mählich zu einer zunehmenden Rückbildung und Verkleinerung der Tonsillen, insbesondere beim männlichen Geschlecht [21, 22, 24, 26].

2.2.2 Funktion der Tonsille – Physiologie

Die Tonsille hat die Funktion und damit die phy-siologische Aufgabe, durch Infektkontakt Anti-körper zu bilden und diese nach einem Lernpro-zess kurzfristig als immunologisches Gedächtnis für die Antikörperbildung bereitzustellen. Sie hat also prinzipiell zwei Hauptaufgaben:1. Antigenaufnahme und -präsentation2. Lokale Immunglobulinproduktion

Fremdantigene treten mit Zellen des unspezifi-schen Immunsystems (Makrophagen), Langer-hans-Zellen und Zellen des spezifischen Immun-systems (T- und B-Lymphozyten) in Kontakt, worauf die immunologische Kaskade der Sensibi-lisierung abläuft.

Die Tonsillen sind besonders gut für den direk-ten Transport von Fremdstoffen von den äußeren Zellen über die Krypten zu den Lymphzellen prädisponiert. Der Aufbau ist dafür geeignet, den örtlichen Immunschutz zu vermitteln [6, 7, 9–12].

Fremdmaterial fließt v. a. durch die netzarti-gen Teile des Kryptenepithels ein. Dieses ruht auf einer unterbrochenen Basalzellschicht und ent-hält ein kanalartiges System. In den tieferen Schichten des Epithels sind die Kanäle sehr aus-gedehnt und mit Lymphozyten und Makropha-gen durchsetzt. Einige Kanäle führen auch zum Kryptenlumen, v. a. um oberflächlich gelagerte Epithelzellen nach einer Entzündung abzustoßen [29, 30].

In den Lymphfollikeln, die aus follikulären, dendritischen Zellen bestehen, sind auch Makro-phagen vorhanden. Die follikulären, dendriti-schen Zellen halten auf ihrer Oberfläche Anti-gene zurück, die über Komplementrezeptoren gebunden werden. Die Germinalzentren rufen also eine anhaltende immunologische Stimula-tion und die Bildung von Gedächtnis-B-Zellen hervor [9, 11].

Lymphzellen finden sich in verschiedenen Bereichen des Tonsillengewebes. Lymphozyten aus dem Blut dringen in das extrafollikuläre Man-delgewebe ein, wobei sich die meisten T-Zellen entlang der Lymphfollikel sammeln. Vor dem 30. Lebensjahr nehmen die B-Zell-Follikel etwa ein Drittel des gesamten Mandellymphgewebes ein. Bei den Germinalzentren handelt es sich um ein antigenabhängiges B-Zell-Kompartiment. Dieses ist für die proliferative Ausdehnung von Gedächtnisklonen und auch für die Differen-zierung von Immunglobulin-produzierenden Im-munozyten verantwortlich, die sich besonders in dem extrafollikulären Gebiet zwischen den Fol-likeln und den Krypten sowie in den tieferen Schichten des retikulären Epithels ansammeln [10, 12, 26, 28, 30].

Makrophagen sind in den extrafollikulären Bereichen und Lymphfollikeln vorhanden, wo-bei sie auf ihrer Zelloberfläche über lange Zeiträu-me Antigene in Form von Antigen-Antikörper-Komplexen zurückhalten. Germinalzentren stel-len besondere Bereiche dar, die eine anhaltende immunologische Stimulation und Gedächtnis-B-Zellen bilden [10].

Die Tonsillen wirken ständig mittels spezifi-scher Immunreaktionen auf Mikroorganismen der oberen Luftwege ein. Die ständige Antigenex-position führt zu starken tonsillären Immunreak-tionen. Die meisten Immunozyten der Mandeln produzieren IgG und IgA sowie relativ wenig IgM und IgD [8]. Die Mechanismen, die den krank-heitsbedingten Veränderungen der Mandeln un-terliegen, werden durch immunregulative Vor-gänge bewirkt [8–12].

2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus12

2

2.2.3 Mechanismus der Fokusbildung

Im Kopf-Hals-Bereich sind die Gaumenmandeln insbesondere wegen ihrer anatomischen Struktur u. a. zur Entwicklung eines abgekammerten Ent-zündungsherdes prädisponiert. Die Tonsillen-oberfläche entfaltet außerdem eine ausgedehnte Kontaktzone zwischen der Umwelt und dem Im-munparenchym [29, 30].

Erst mit besseren Erkenntnissen auf dem Ge-biet der Tonsillenimmunologie scheint man dem Fokus-Herd-Mechanismus etwas näher gekom-men zu sein. Dementsprechend liegt ein im-munologisch begründeter Mechanismus für eine fokal-pathologische Rolle der Gaumenmandel nahe [16, 21, 22, 28, 30–32, 43].

Für die Einleitung eines Immungeschehens ist es weitestgehend unerheblich, ob die Tonsille nur Bakterienantigene oder die aggregierten Immun-komplexe aufnimmt. Der ungehemmte transton-silläre Weg der Antigene führt zu einer perma-nenten Immunstimulation der Tonsille. Offenbar hat die fokusverdächtige Tonsille eine deutliche Vermehrung IgE-haltiger Plasmazellen aufzuwei-sen, was bei der hyperergischen Reaktion eine Bedeutung hat [28, 30, 43].

Die Tonsille hat aufgrund der intensiven Kon-taktmöglichkeit mit Fremdantigenen und durch ihre besondere Bedeutung im Immunsystem bei akuten Entzündungen eine Sonderstellung. Die Gaumenmandel weist eine auf Umweltkontakt angelegte Histoarchitektur auf. Die ausgeprägte Retikulierung, d. h. Auflockerung des Oberflä-chenepithels begünstigt den Kontakt zwischen Antigenen und lymphatischem Gewebe. Lücken in der epithelialen Basalmembran öffnen zusätz-lich die Wege zwischen Organoberfläche und -innerem [28, 50].

Angenommen wird auch, dass mit der ständi-gen Anflutung von bakteriellen Antigenen Im-munreaktionen ausgelöst werden, die sich durch autoaggressive Vorgänge gegen körpereigenes Gewebe richten. Stoffwechselaktive Substanzen

wie Histamin oder Serotonin, die vermehrt in der Tonsille nachgewiesen wurden und die bei einer örtlichen Antigen-Antikörper-Reaktion ausge-schüttet werden können, können durch Aus-schwemmung in den Organismus in Beziehung zu einer Herderkrankung stehen [22, 24, 26, 29, 34, 48].

Auch wird die Persistenz von pathogenen Keimen begünstigt. Die tiefen Krypten bieten für Bakterien einen idealen Lebensraum. Durch oberflächliche Verklebungen und Verwachsun-gen dieser Epitheltaschen entstehen infizierte Hohlräume, wobei aufgrund des lockeren Wand-aufbaus ein Übertritt von Entzündungen in das lymphatische System möglich ist [22, 24, 26].

Langwierige Störungen können lokale Verän-derungen und auch pathologische Fernwirkun-gen zur Folge haben. Gehäufte Infekte führen zur Veränderung der Tonsille. Schwere und Häufig-keit sowie Umweltaspekte spielen hierbei eine besondere Rolle. Es wird angenommen, dass vor allem Entzündungsmediatoren (CRP, Tumor-Nekrose-Faktor) durch die chronisch veränderte Tonsille inapparent abgegeben werden. Diese Ent-zündungsparameter weisen eine stattgefundene Entzündung nach und sind damit jedoch nicht herdspezifisch [10, 14, 19–22, 24, 26].

Es kommt zu einem Übergreifen der Entzün-dungen auf das peritonsilläre Gewebe und zu einer narbigen Umwandlung der Tonsille. Die Struktur wird folgenschwer verändert und es re-sultiert eine chronische Tonsillitis [36, 40, 43, 45, 46, 48]. Die Tonsille wird derb, schwer luxierbar, weist auch außerhalb akuter Infekte ein eitriges (flüssiges) Exprimat auf (nicht zu verwechseln mit dem bröckligen Detritus). Die Gaumenbögen sind gerötet und die Lymphknoten sind ver größert [40].

Weiterhin spielt die narbige Abkapselung mit intra- und peritonsillärer Ansammlung insbeson-dere von Streptokokken eine Rolle. Das Keim-spektrum der chronisch-rezidivierenden Tonsilli-tis stellt eine aerob-anaerobe, polymikrobielle Mischflora dar, die nur schwer von der Normal-

213

flora abgrenzbar ist [34]. Routinemäßig wird in der Praxis jedoch nur selten ein Abstrich zur Keimbestimmung entnommen.

Beachtet werden sollte, dass es bereits durch eine Tonsillektomie (TE) zu einer Bakteriämie kommen kann. Müller [34] legte bei 52 Kindern unmittelbar nach einer TE eine Blutkultur an. Es konnte bei 21,1% der Kinder eine transiente Bak-teriämie nachgewiesen werden, wobei eine klini-sche Symptomatik nicht auftrat. In der Regel ver-läuft eine solche Bakteriämie harmlos und asymp-tomatisch. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko ist jedoch eine Komplikation in Form von Endokar-ditis, rheumatischem Fieber oder Glomerulone-phritis zu beachten. In diesen Fällen ist eine Anti-biotikaprophylaxe erforderlich. Die Gefahr einer transienten Bakteriämie hängt von der Art der Bakterien ab. Eine durch Staphylococcus aureus bedingte Bakteriämie, wie z. B. infolge einer Abs-zessinzision wie beim Paratonsillarabszess, kann zur Absiedlung metastatischer Abszesse im Kno-chen, der Leber oder Niere führen. Klinisch kann sich eine Bakteriämie auch nur durch Schüttel-frost oder Hypertonie bemerkbar machen. Bei Patienten mit Herzklappenerkrankungen oder angeborenen Herzmissbildungen kann dagegen z. B. durch Einschwemmung von Streptococcus viridans, wie es nach einer zahnärztlichen Mani-pulation möglich ist, als Komplikation eine bakte-rielle Endarteriitis oder Endokarditis auftreten [15–17, 23–26].

2.2.4 Häufigkeitsangaben zum Fokusgeschehen

Statistiken bzw. Häufigkeitsangaben zum Fokus-geschehen sind äußerst rar. Oftmals handelt es sich nur um Einzelbeobachtungen. Daher haben wir die Verteilung des Fokusgeschehens anhand der Datenbank PubMed untersucht. PubMed, eine Datenbank des National Center for Biotechnology Information (CBI) und der National Library of Medicine (NLM) umfasst die Daten von Medline

und OldMedline. Beachtet werden muss, dass bei einer solchen Analyse nicht alle Zeitschriften berücksichtigt werden und dass die Qualität der Aussagen von der Genauigkeit der Indexierung der Zeitschrifteninhalte abhängt [41].

Berücksichtigt werden die Daten der Jahre von 1966 bis 2000. In diesen Jahren sind ins-gesamt 2229 Artikel erschienen, bei denen der Begriff »focal infection«, der Oberbegriff für Fokus, im MESH bzw. in den Keywords enthalten ist. Bezugnehmend auf diese Aufsätze erfassten wir die Verteilung der Schlüsselwörter »tonsil-litis«, »sinusitis«, »otitis«, »head/neck« und »den-tal« sowie den Begriff »tonsillectomy« in der Volltextsuche. Insgesamt wurde der Begriff »ton-sillitis« in 135, »sinusitis« in 134, »otitis« in 35, »head/neck« in 10 und »dental« in 1611 sowie der Begriff »tonsillectomy« in 135 Aufsätzen erfasst.

Man kann daraus schlussfolgern, dass die odontogenen Probleme die größte Bedeutung beim Fokusgeschehen im Kopf-Hals-Bereich besitzen. Der tonsillogene und der sinugene Fo-kus besitzen eine gleich häufige, jedoch viel ge-ringere Wertigkeit als der odontogene Fokus. Die Be deutung der Otitis und des allgemeinen Kopf-Hals-Bereichs ist dagegen als minimal einzustu-fen. Interessant ist auch die Entwicklung der Fokus problematik im Laufe der Zeit. Die Ver-teilung der einzelnen Keywords in Abhängigkeit der einzelnen Jahresabschnitte ist in . Abb. 2.1 zusammengefasst.

Während das Interesse an der Fokusproble-matik in den 1960er Jahren noch als hoch einzu-schätzen ist, ist es heute nur noch halb so hoch. Das betrifft ganz besonders auch die Tonsille bzw. die operative Sanierung in Form der TE. An bei-den Aspekten hat das Interesse sehr stark nach-gelassen. Während zwischen 1966 und 1970 48 Aufsätze die Problematik Tonsille und Fokus be-rücksichtigen, sind es zwischen 1996 und 2000 nur noch vier.

Etwas anders sieht es bei der Sinusitis aus. Zwar hat die Zahl der Arbeiten auch mit den Jahr-zehnten abgenommen, jedoch nur etwa um die

2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus14

2

Hälfte. Trotz Einführung der Nasenendoskopie und der Computertomographie hat die Anzahl der Artikel nicht zugenommen. Vielleicht ist es aber durch die Einführung dieser neuen Untersu-chungsmethoden dagegen nicht zu einer drasti-schen Abnahme gekommen.

Bei der Otitis ist ein leichter Gipfel zwischen 1976 und 1985 zu verzeichnen. Es stehen insbe-sondere intrakranielle Komplikationen als Folge eines Streuherds im Mittelpunkt der Untersu-chungen bzw. Mitteilungen.

Bei den odontogenen Problemen zeigt sich dagegen im Laufe der Jahre nur eine geringe Ab-nahme, die aber eventuell auf die allgemeine Abnahme der Arbeiten über »focal infection« zurückzuführen ist. Sie stehen damit anhaltend im Mittelpunkt des Fokusgeschehens bzw. haben auf Grundlage dieser Daten eine unveränderte Aktualität.

Betrachten wir nun die Verteilung einzelner Herderkrankungen bzw. Folgekrankheiten. Be-

rücksichtigt wurden die folgenden MESH: »pus-tulosis« (10 Aufsätze), »psoriasis« (18 Aufsätze), »glomerulonephritis« (25 Aufsätze), »rheumat*« (116 Aufsätze) und »eye« (59 Aufsätze). Im Ver-lauf von 1966 bis 2000 zeigt sich bei allen Schlüs-selwörtern hinsichtlich des Fokusgeschehens eine Abnahme. Ganz besonders ist diese Tendenz bei den rheumatischen Erkrankungen erkennbar (. Abb. 2.2).

2.2.5 Krankheitsbilder des tonsillogenen Fokusgeschehen

Nach Saito u. Terrahe standen und stehen drei Krankheitsbilder bezüglich der Tonsilla palatina besonders im Mittelpunkt der Herdforschung [43]:1. Rheumatisches Fieber2. Glomerulonephritis3. Pustulosis palmaris et plantaris

. Abb. 2.1. Anzahl der Zeitschriftenartikel mit Fokusge-schehen (focal infection, tonsillectomy und focal infec-tion, tonsillitis usw.) in der Medline-Datenbank PubMed

zwischen 1966 und 2000 im Vergleich zur Anzahl aller erschienenen Artikel (n×104)

450

400

350

300

250

200

150

100

50

01966 – 1970 1971 – 1975 1976 – 1980 1981 – 1985 1986 – 1990 1991 – 1995 1996 – 2000

Anz

ahl

1

1 Artikel2 focal infection3 tonsillectomy4 tonsillitis5 sinusitis6 otitis

2

45

36

215

Alle drei Krankheitsbilder sind Immunkomplex-erkrankungen. Es bestehen also immunologisch begründete Argumente für eine fokal-pathologi-sche Rolle der Gaumenmandeln. Dabei ist es für die Einleitung des pathogenen Immungeschehens weitestgehend unerheblich, ob die Gaumenman-del nur Bakterienantigene resorbiert oder die aggregierten Immunkomplexe aufnimmt. Der ungehemmte transtonsilläre Weg der Antigene scheint aber unbestritten. Zwischen Antigenen und Antikörpern besteht hierbei ein annähernder Balancezustand. Diese Situation könnte durch eine fortlaufende Boosterung des Organismus mit geringen Mengen Antigenen entstehen, so wie es bei permanenter Immunstimulation seitens der Kryptenflora angenommen werden kann [1, 2, 13, 21–24].

Das rheumatische Fieber ist heute selten, wo-bei der kontinuierliche Rückgang auf die Einfüh-rung des Penicillins zur Behandlung von Anginen zurückzuführen ist. Zwei bis drei Wochen nach

einer Infektion mit β-hämolysierenden Strepto-kokken der Gruppe A kommt es zur Kreuzreak-tion von Streptokokken-Antikörpern mit verschie-denen Geweben, d. h. Herz, Gelenke oder ZNS. Diagnostisch lassen sich die Erreger im Rachen-abstrich nachweisen, es kommt zu einem Anstieg des Antistreptolysintiters sowie unspezifischer Entzündungsparameter. Die Therapie erfolgt mit Penicillin und nichtsteroidalen Antiphlogistika. Die Prognose hängt entscheidend von einer kar-dialen Beteiligung ab. Selten treten destruierende Gelenkveränderungen auf [18, 42, 47].

Bei der Glomerulonephritis handelt es sich um eine abakterielle, beide Nieren symmetrisch befallende Entzündung der Nierenrinde mit Be-fall der Glomeruli. Ätiologisch wird angenom-men, dass es sich um eine Immunpathogenese handelt. Drei Varianten werden pathogenetisch unterschieden: die Immunkomplex-Glomerulo-nephritis, die Antibasalmembran-Antikörper-Glomerulonephritis und die Begleitglomerulone-

. Abb. 2.2. Anzahl der Zeitschriftenartikel mit Fokaler-krankungen in der Medline-Datenbank PubMed zwischen

1966 und 2000 im Vergleich zur Anzahl aller erschienenen Artikel (n×104)

1966 – 1970 1971 – 1975 1976 – 1980 1981 – 1985 1986 – 1990 1991 – 1995 1996 – 2000

250

200

150

100

50

0

Anz

ahl

1

1 pustulosis2 psoriasis3 glomerulonephritis4 rheumat* 5 eye6 Artikel

2

4

53

6

2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus16

2

phritis bei Vaskulitis. Das klinische Bild umfasst die Volhard-Trias: Makrohämaturie, Ödeme, Hypertonie mit und ohne Erhöhung der Serum-kreatininkonzentration. Man unterscheidet eine primäre Glomerulonephritis von einer Glomeru-lonephritis im Rahmen von Systemkrankheiten. Eine Form der primären Glomerulonephritis ist die präinfektiöse bzw. postinfektiöse Glomerulo-nephritis, wobei die Streptokokken-Glomerulo-nephritis u. a. durch eine Angina tonsillaris oder auch eine Scharlachangina ausgelöst werden kann [16, 37].

Die Pustulosis palmaris et plantaris entspricht dem klinischen Bild einer pustulösen Psoriasis der Handteller und Fußsohlen, wobei es sich um eine schubweise verlaufende Hauterkrankung handelt [3]. Sie erinnert an eine Mykose oder eine bakterielle Streureaktion und wurde daher auch pustulöses Bakteriid oder Pseudomykose genannt. Lange Zeit wurde sie auch mit der Psoriasis iden-tifiziert. Die HLA-Antigene und das Fehlen eines gehäuften Vorkommens von Psoriasis in der Ver-wandschaft sprechen gegen die Annahme, dass die Pustulosis palmaris et plantaris nur eine monosymptomatische Form der Psoriasis ist. Manche Autoren nehmen an, dass diese Erkran-kung durch einen Fokus, besonders im Bereich der Tonsille, unterhalten wird [27].

2.2.6 Diagnostik des tonsillogenen Fokusgeschehens

Es ist schwer, einen Fokus nachzuweisen. Das ist auch dann der Fall, wenn eine chronische Entzün-dung beispielsweise im Bereich der Gaumenman-deln vorliegt [1, 38]. Eine mögliche Streuung von Bakterien oder Toxinen kann in der Regel nur aus klinischen Beobachtungen akuter Entzündungen am betreffenden Organ oder aus Fieberschüben vermutet werden. Labormäßige Anhaltspunkte gibt es dagegen nicht. Es gibt keinen Test, mit dem man eine Herdwirkung zuverlässig nachweisen könnte [1, 46, 48]. Seit Pässler [52] wurden zu die-

sem Problem eine Vielzahl von Testmethoden entwickelt, die jedoch auch dadurch erfolglos waren, weil die theoretische Erklärung des Herd-begriffes nicht mit den praktischen Erfahrungen des Klinikers standhalten konnte.

Klinisch ist eine Bakteriämie, z. B. nach einer TE, kaum nachweisbar. Es ist schon schwierig, eine chronische Entzündung überhaupt zu er-kennen. Im Bereich der Gaumentonsillen spielt hierbei die Größe, die Farbe, die Oberfläche, die Konsistenz und Luxierbarkeit, Exprimat und der Nachweis von tributären Lymphknoten eine Rolle. Die symptomorientierte Untersuchung steht im Vordergrund. Anamnestische Angaben sind wichtig [21, 24]. So konnten wir Patienten be obachten, die eine makroskopisch sichere chronische Tonsillitis aufwiesen, aber nie über entsprechende Halsbeschwerden klagten, viel-leicht höchstens im Kindesalter. Andere Patien-ten berichten über rezidivierende Halsschmerzen im Sinne einer Angina lacunaris, weisen aber makroskopisch einen nicht so überzeugenden Befund auf.

Nicht der Tastbefund oder der histologische Nachweis einer chronischen Gewebsentzündung begründen die Verdachtsdiagnose eines Fokusge-schehens, sondern eventuell die Berücksichtigung der Anamnese neben anderen unzuverlässigen Indizien, wie der Antistreptolysintiter zum Nach-weis einer stattgefundenen Infektion mit β-hämo-lysierenden Streptokokken, eine beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit und eine Leukozy-tose. Ein erhöhter Antistreptolysintiter und ein pathologischer Inspektionsbefund rechtfertigen bei leerer Anamnese nur schwer die Indikation zur TE [24]. Außerdem können erhöhte Anti-streptolysintiter Ausdruck jeder Streptokokken-infektion im Organismus sein. Hinsichtlich der Diagnostik des tonsillogenen Fokus hat sich für die Klinik in den letzten Jahrzehnten praktisch nichts geändert [1, 21, 26, 28, 29, 46].

Da als Fokus im HNO-Gebiet insbesondere der lymphatische Rachenring (Tonsilla palatina) und die Nasennebenhöhle in Frage kommen, sind

217

die folgenden Schritte bei der Fokusdiagnostik zu empfehlen:4 Anamnese4 HNO-Spiegeluntersuchung4 Palpation4 Nasenendoskopie4 Röntgenübersichtsaufnahme der Nasenne-

benhöhlen4 Laborparameter (Antistreptolysintiter, CRP,

BSG, Diff erentialblutbild)4 Ggf. CT, MRT, Sonographie (Halsweichteile,

Speicheldrüsen)

Dem zu konsultierenden Arzt sollten selbstver-ständlich auch umfassende Kenntnisse über die Grundkrankheit bzw. Fokusleiden und den Stand der Diagnostik, der Therapie und der Prognose mitgeteilt werden.

Ist ein möglicher Fokus diagnostiziert wor-den, so muss der Arzt die Frage klären, ob der pathologische Herd und das aktuelle Krankheits-bild zusammenhängen bzw. miteinander in Be-ziehung stehen. Diese Frage sollte mit dem Arzt, der die Herderkrankung behandelt, gemeinsam diskutiert bzw. geklärt werden [1, 21, 26, 46].

2.2.7 Therapie des Fokus

Abzugrenzen ist neben der chronischen Tonsillitis als eigentlichem Fokus auch die akute Tonsillitis. Die Therapie der Wahl einer chronischen Tonsil-litis und auch eines Paratonsillarabszesses stellt die TE dar. Eine akute Exazerbation der chroni-schen Tonsillitis sollte mit einem Schmalspek-trumpenicillin behandelt werden. Nach wie vor ist in der Behandlung der Angina lacunaris und bei akuten Schüben Penicillin V für zehn Tage das Mittel der Wahl. Bei Penicillinversagern oder einer Allergie stellt z. B. Clindamycin eine gute Alternative dar [15, 39].

Im Vordergrund der Sanierung der chroni-schen Tonsillitis steht dagegen die TE. In der Lite-ratur wird immer wieder von der Behandlung von

chronisch rezidivierenden Tonsillitiden mit Anti-biotika berichtet, wobei aber v. a. Kinder berück-sichtigt werden [14, 20, 33]. Dagegen wird bei Erwachsenen mit einer rezidivierenden Tonsillitis meist über einen signifikanten Unterschied zwi-schen den Resultaten einer medikamentösen und chirurgischen Therapie zugunsten der TE berich-tet [34, 45].

Die lokale antibiotische Behandlung im Ra-chenraum ist dagegen abzulehnen, da bisher jeder Nachweis einer ausreichenden Penetration in die Krypten oder tieferen Gewebsschichten von ent-zündlich veränderten Tonsillen fehlt [44, 49]. Eine konservative nicht-operative Behandlung kann einen Fokus nicht beseitigen bzw. eine chronische Tonsillitis nicht heilen, sondern höchstens die Progredienz verlangsamen und die klinischen Symptome lindern.

Beim Fokus Tonsille kommt nur die Opera tion bzw. die TE in Frage. Eine medikamentöse Thera-pie oder eine (Laser-)Tonsillotomie sind nicht sinnvoll. Eine TE ist in folgenden Fällen indiziert:4 Rezidivierende Tonsillitiden (bei Kindern ab

dem 4. Lebensjahr)4 Chronische Tonsillitis mit lokalen Beschwer-

den, mit Foetor ex ore, Lymphknotenschwel-lung

4 Verlegung der Atemwege durch Tonsillen-hyperplasie

4 Para- und Retrotonsillarabszess4 Tonsillogene Sepsis4 Monozytenangina (Verlegung der Atem wege)4 Tonsillentumoren

Bei Verdacht auf ein tonsillogenes Herdgeschehen ist ebenfalls eine TE indiziert bzw. sollte in Be-tracht gezogen werden. Es müssen jedoch immer die Folgen und die Risiken abgewogen werden [40]. Entsprechend den Angaben der Literatur ist eine TE in folgenden Fällen indiziert bzw. zu er-wägen:4 Verdacht auf tonsillogenes bzw. postanginöses

Herdgeschehen:4 Streptokokkeninfektionen

2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus18

2

4 Glomerulonephritis4 Rheumatisches Fieber4 Persistierende Lymphadenitis colli4 Pustulosis palmaris et plantaris (Andrews-

Bakterid mit serösen und leukozytenreichen sterilen Pusteln)

4 Endokarditis4 Rezidivierende absteigende Bronchitiden bei

chronischer Tonsillitis

Kontraindiziert ist die TE bei extremem Hyperto-nus, Herz-Kreislauf-Insuffizienz, schwerer Leber-zirrhose, schweren Allgemeinerkrankungen, Ge-rinnungsstörungen, offenen, operierten oder sub-mukösen Gaumenspalten, bei Sängern, Bläsern sowie akut nach Poliomyelitisschutzimpfung [40].

2.2.8 Prognose

Über den Zusammenhang zwischen saniertem Fokus und Krankheitsverlauf gibt es in der Litera-tur unterschiedliche Meinungen [1, 4, 24]. Berich-tet wird insbesondere über die Bronchitis und die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises [5, 51].

Bei Kindern hat die Adeno(tonsill)ektomie einen günstigen Effekt auf die rezidivierende Bronchitis. Neben der Abnahme der Infektnei-gung ist auch eine positive Wirkung auf die Aus-heilung von Sinusitiden festzustellen [21].

Bei der Prophylaxe und Therapie rheumati-scher Erkrankungen hat die TE laut Literaturan-gaben einen gewissen Stellenwert. Das gilt aber weniger für Erwachsene, bei denen Frühfälle et-was günstiger ansprechen als fortgeschrittene Fäl-le mit einem sekundären Gelenkrheumatismus [32, 36]. Für Kinder konnte auch ein deutlich günstiger Einfluss auf die Rezidivneigung fest-gestellt werden [36], andere Autoren bezweifeln die Indikationsstellung sehr [32]. Bei primär chro-nischer Arthritis stellt die TE nur gelegentliche Behandlungsvorteile dar [24, 46].

Ähnliche Erfolgsquoten wie beim sekundär chronischen Rheumatismus wurden für die kind-liche Nephritis nachgewiesen [21, 48]. Kontrol-lierte Verlaufsstudien an Patienten mit entspre-chenden urologischen, ophthalmologischen oder dermatologischen Krankheiten mit Fokuscharak-ter und mit durchgeführter Herdsanierung feh-len, so dass darüber keine Angaben gemacht wer-den können.

Zu berücksichtigen ist auch, dass es nach der Operation zu Problemverlagerungen kommen kann. Selten kommt es infolge bakteriologischer oder viraler Infektionen zur Verstärkung einer vor-bestehenden Pharyn gitis. Auch Sinusitiden oder Otitiden können häufiger auftreten [26, 40, 43].

2.3 Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen

2.3.1 Untersuchung zum Fokusgeschehen und zur Fokussanierung

Patientengut und MethodeIm Rahmen unserer Arbeit in der HNO-Klinik an der Medizinischen Fakultät der Technischen Uni-versität Dresden haben wir die Problematik des Fokusgeschehens eingehender untersucht.

In der Poliklinik der HNO-Klinik werden täg-lich bis etwa 20 Patienten zur so genanntn Fokus-suche von anderen Fachdisziplinen vorgestellt. Wir haben die entsprechenden Behandlungsfälle von einem Jahr (Januar 1995 bis Januar 1996) aus-gewertet (n=2740). Es handelte sich um 1274 männliche und 1466 weibliche Patienten im Alter von 18 bis 88 Jahren. Sie kamen aus fast allen Fachgebieten mit insgesamt über hundert ver-schiedenen Diagnosen, auf deren Aufschlüsse-lung hier verzichtet werden soll. Die überwieg-ende Mehrzahl der Patienten wurde uns von der Klinik für Hautkrankheiten und der Augenklinik überwiesen. Die Patienten kann man in zwei Hauptgruppen unterteilen. Einmal die Patienten,

219

die zum Ausschluss eines Fokusgeschehens über-wiesen wurden (76%), andererseits die Patienten, die vor einer chirurgischen Intervention vorge-stellt wurden, wobei es sich v. a. um Patienten vor einer Herzoperation handelte (24%).

Bei allen Patienten wurde ein vollständiger HNO-Status mit besonderer Beachtung der Ton-sillen und Nasennebenhöhlen erhoben.

VerteilungWir fanden insgesamt 340 (12,4%) fokusver däch-tige Patienten. Bei 2400 Patienten (87,6%) bestand dagegen kein Anhalt für ein Fokusgeschehen. Von den 340 Patienten mit Fokusverdacht wiesen 221 Patienten (8,1%) einen Fokus im Bereich der Tonsille und 91 Patienten (3,3%) pathologische Veränderungen im Bereich der Nase oder Nasen-nebenhöhlen auf. Bei den restlichen 28 Patienten bestanden v. a. Zungenveränderungen, eine ver-größerte Rachenmandel, chronische Otitis media sowie unklare Lymphknotenschwellungen.

Die Diagnose »chronische Tonsillitis« mit Indikation zur TE wurde im Untersuchungszeit-raum noch verhältnismäßig häufig gestellt und folgte aus Tonsillenanamnese und -befund. Dabei war der klinische Gesamteindruck maßgebend, der sich aus dem Zusammentreffen einzelner

Merkmale ergibt. Bei allen Patienten mit Verdacht auf ein tonsillogenes Herdgeschehen bestand kli-nisch eine chronische Tonsillitis, d. h. sie wiesen pathologische Tonsillenbefunde auf, wobei Grö-ße, Oberfläche, Farbe, Konsistenz, Luxierbarkeit, Exprimat und Lymphknotenschwellung berück-sichtigt wurden.

258 Patienten waren Patienten mit einem eigentlichen Fokus und 82 Patienten wurden vor einem chirurgischen Eingriff vorgestellt. Die pathologischen Veränderungen haben wir ent-sprechend der Tonsillenanamnese aufgeschlüsselt (. Abb. 2.3). Diese werden den verschiedenen Krankheitsbildern zugeordnet. Im Vordergrund standen dermatologische und ophthalmologische Patienten. Bei allen 221 Patienten mit einem tonsillären Fokus empfahlen wir eine operative Sanierung des Fokus.

NachuntersuchungWir haben uns aufgrund der Verteilung der Fokuspatienten ausschließlich auf die Tonsillen-patienten beschränkt, weil hier die Anzahl der Patienten hoch war. Eine Nachkontrolle nach etwa ein bis zwei Jahren bzw. eine Kontrolle der Befunde anhand der vorliegenden Unterlagen war aber erwartungsgemäß aus verschiedenen Grün-

. Abb. 2.3. Beziehung zwischen Tonsillenanamnese und den einzelnen Erkrankungsgruppen (n=221)

100%90%80%70%60%50%40%30%20%10%

0%Psoriasis sonst. Augenerkr. sonst. gesamt

Dermatosen

56

56 87

6476

1

1 keine Halsbeschwerden2 Z.n. Paratonsillarabszeß3 als Kind Angina4 rezidivierende Anginen

2

4

3

2.3 · Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus20

2

den nicht bei allen Patienten möglich. Gleichzei-tig stellten wir fest, dass fast die Hälfte von ihnen (meist durch eigenes Versäumnis) nicht HNO-ärztlich behandelt worden war.

Die Nachuntersuchung erfolgte entweder di-rekt (n=58) oder durch Aktenstudium (n=102). Insgesamt liegen damit die Ergebnisse von 160 Patienten vor. Bei 61 Patienten (27,6%) blieb der weitere Verlauf unbekannt.

Bei 106 (66,3%) der 160 Patienten erfolgte die TE. Die operative Sanierung erfolgte in Absprache mit dem behandelnden Arzt. Bei 54 Patienten (33,7%) wurde der Fokus nicht behandelt, d. h. es erfolgte keine TE.

Bei der Nachuntersuchung haben wir die Pa-tienten in vier Gruppen unterteilt: geheilt, gebes-sert, unverändert und verschlechtert (. Abb. 2.4). Die zwei Hauptgruppen, also »TE erfolgt« oder »TE nicht erfolgt«, wurden diesen Kriterien zu-geordnet. Es zeigt sich insgesamt eine leichte Verbesserung der Beschwerden, die jedoch nicht signifikant ist (χ2=0,727; FG=3). Die Verteilung in Bezug auf die einzelnen Krankheitsbilder wur-de nicht berücksichtigt. Der Fokus wurde bei etwa zwei Drittel der Patienten saniert. Wesentliche

Unterschiede bestanden bei den Ergebnissen nicht. Es wurden pathologische Befunde saniert, aber die Herderkrankung nur selten kausal beein-flusst.

2.3.2 Erhebung zur aktuellen Fokusverteilung bzw. Indikation zur Tonsillektomie

Wir haben zu der Fokusproblematik ein paar Jah-re später noch einmal eine kleinere Erhebung und an einem anderen Krankenhaus (Elbland-kliniken Meißen-Radebeul) aus einer anderen Perspektive durchgeführt. Ziel war es, einige ak-tuelle Daten zu erhalten. Berücksichtigt wurde dabei die Indikation zur TE. Das Patientengut schlüsselten wir auch hier nicht nach Geschlecht und Alter auf.

In den Jahren 2000, 2001 bzw. 2002 wurde an der HNO-Klinik in Radebeul bei 219, 231 bzw. 225 Patienten eine TE durchgeführt. Ein Fokusverdacht bestand bei 32 (14,6%), 29 (12,5%) bzw. 22 Patienten (9,8%). Für das Jahr 2003 ha-ben wir die einzelnen Indikationen näher auf-geschlüsselt (. Tab. 2.1). Es wurden insgesamt 221 Patienten tonsillektomiert. Hauptindikation war eine chronische Tonsillitis. Bei neun Patien-ten bestand ein Fokusverdacht. Im Jahr 2004 wurden bei insgesamt 205 Patienten die Gau-

. Tabelle 2.1. Indikation zur Tonsillektomie im Jahr 2003 (n = 221, HNO-Klinik Radebeul).

Indikation % (Anzahl [n])

Chronische Tonsillitis 70,0 (155)

Tonsillenhyperplasie 10,9 (24)

Peritonsillarabszess 10,9 (24)

Fokus 4,1 (9)

Sonstiges (z. B. Tumor, Pfropftonsillitis)

4,1 (9)

. Abb. 2.4. Ergebnis der Fokussanierung. Beziehung zwischen behandeltem bzw. nicht behandeltem Fokus und Beschwerden nach Sanierung bei 160 Patienten

40

30

20

10

0

gehe

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gebe

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t

unve

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vers

chle

chte

rt

1

1 behandelter Fokus (n = 106)2 nicht behandelter Fokus (n = 54)

2

221

menmandeln operativ entfernt. Ein Fokusver-dacht bestand nur bei drei Patienten (1,5%). Ins-gesamt zeigt sich also eine deutliche Abnahme der Fo kus patienten.

2.4 Schlussfolgerungen und Diskussion

2.4.1 Diskussion der eigenen Ergebnisse

Wir haben zur Problematik des Fokusgeschehens zwei Untersuchungen durchgeführt, wobei neben der Rolle der TE auch die zeitliche Entwicklung des Fokusgeschehens innerhalb von fast zehn Jah-ren dokumentiert wird.

Bei der ersten Untersuchung handelt es sich um eine Verlaufskontrolle zur Fokussanierung. Es ist eine retrospektive Auswertung, wobei man entsprechende Patienten in zwei Gruppen eintei-len kann: in die eigentlichen Fokuspatienten und Patienten, die zu einer Operation anstanden.

Zunächst kann allgemein festgestellt werden, dass unsere Ergebnisse nicht allzu optimistisch sind, was die Rolle der Tonsille als Fokus betrifft. Praktisch wurde das Fokusgeschehen durch die TE im Vergleich zu nicht sanierten Patienten nicht wesentlich verbessert. Es erhebt sich daher die Frage, ob eine TE bei Fokusverdacht überhaupt gerechtfertigt ist. Wenn man die Ergebnisse be-trachtet, muss die Definition des Fokus beachtet werden. Die Stellung zum Fokus ist sowohl in der HNO, geschweige denn in anderen Fachgebieten unterschiedlich definiert.

Beachtet werden muss auch unser Studien-design. Es handelte sich um eine retrospektive Studie und um ein selektiertes Patientengut hin-sichtlich der Nachuntersuchung. Die Aufschlüs-selung der Krankheitsbilder war sicher nicht aus-reichend genau. Die Therapieergebnisse wurden anhand subjektiver Kriterien festgelegt.

Eine Fokussuche ist entsprechend der Litera-tur dann erforderlich, wenn chronisch entzündli-

che Prozesse von Organbereichen bestehen, ohne örtlich erkennbare Ursache [26, 40, 43].

Trotz teilweise klinischer Intuition besteht aufgrund unserer Ergebnisse nur ein geringer An-halt, dass die Tonsille als Fokus eine Bedeutung hat. Heutzutage ist hinsichtlich der Erkrankungs-häufigkeit eine gewisse Schwerpunktverlagerung v. a. zu den obstruktiven Erkrankungen der obe-ren Atemwege zu verzeichnen, wobei besonders die besseren diagnostischen Möglichkeiten wie Endoskopie und Computertomographie eine Rolle spielen. Dies geschieht aber nicht im Sinne eines eigentlichen Streuherds, sondern eher im Sinne, dass ein Krankheitsgeschehen verschlim-mert bzw. negativ beeinflusst wird.

Was die Gaumenmandel betrifft, so sollte die Indikation zur TE bei alleinigem Fokusverdacht sehr streng gestellt werden. Eine Fokalerkrankung ohne entsprechende Tonsillensymptome stellt nur eine bedingte Indikation dar.

2.4.2 Schlussfolgerungen

Bei der Fokussuche geht man von der Vermutung aus, dass jede örtliche entzündliche Gewebsver-änderung Fernwirkungen im Organismus haben könnte. Auch wenn es von einigen Autoren ange-nommen wird, gibt es bis heute keine verlässliche Untersuchungsmethode zum Nachweis, ob diese Wirkung tatsächlich erfolgt. Heute steht der Ver-dacht auf einen abgekapselten Herd, welcher kaum diagnostizierbar sein dürfte, nicht im Mit-telpunkt, sondern eher die Eigenschaft als Rezep-tionsorgan für die krankheitsauslösenden Anti-gene [28, 29, 31, 35, 46].

Unabhängig davon hat der Fokusbegriff auch heute noch in der Medizin eine gewisse Bedeu-tung. Neben der hämatogenen Streuung von Bak-terien und Toxinen oder Pilzsporen aus Entzün-dungsherden des Kopf-Hals-Bereiches spielt auch die Ausbreitung von Schleimhautentzündungen bei der Entstehung einer Fokuskrankheit eine Rolle [1, 2, 13, 21, 22].

2.4 · Schlussfolgerungen und Diskussion

Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus22

2

Bei chronisch entzündlichen Prozessen aller Organbereiche ohne örtlich erkennbare Ursache ist deshalb eine Herdsuche lohnend. Neben den Krankheiten des rheumatischen Formenkreises sollten besonders die chronische Bronchitis und das Bronchialasthma Indikation für eine HNO-ärztliche Vorstellung sein. Neben entzündlichen Veränderungen können beispielsweise auch ob-struktive Veränderungen im Sinne einer vergrö-ßerten Rachenmandel oder einer Septumdevia-tion eine Rolle spielen, deren Sanierung einen günstigen Einfluss beispielsweise auf ein Asthma bronchiale haben könnte [17].

Dem HNO-Arzt kommt hierbei die Aufgabe zu, pathologische Prozesse nachzuweisen und ihre operative Sanierung in Absprache mit dem behandelten Arzt zu übernehmen. Allerdings sollte der HNO-Arzt nicht vorschnell oder groß-zügig einen Fokus diagnostizieren und dem Pati-ent seine Sanierung empfehlen. Das führt zu un-begründeten, blinden Sanierungsversuchen, die den Patienten unnötig belasten. Somit ist die dies-bezügliche HNO-ärztliche Tätigkeit weitgehend subjektiv und intuitiv, wobei die Erfahrung eine wesentliche Rolle spielt [22–24, 28, 31, 35].

Alle akuten und chronischen Entzündungen wie Sinusitiden oder Otitiden müssen selbst-verständlich ohne Einschränkung behandelt wer-den [25, 35]. Man darf nur nicht erwarten und im Patienten die Hoffnung erwecken, dadurch eine gleichzeitig bestehende andere Erkrankung kausal beeinflussen zu können.

Während vor über 20 Jahren noch überwie-gend die Tonsille im Mittelpunkt der Herd-forschung stand, hat sich das jetzt geändert [1, 2, 13, 21, 22]. Man muss sicher zwei grundsätzliche Aspekte betrachten: einerseits ein eigentliches Fokusgeschehen und andererseits die Existenz eines pathologischen Befundes überhaupt. Die »Fokussuche« hat unter diesem Gesichtspunkt nachdrücklich ihre weitere Berechtigung, wobei pathologische Befunde im HNO-Gebiet ausge-schlossen werden müssen.

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