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111 1.3.1 PFLEGERELEVANTE GRUNDLAGEN Einführung in die Anatomie und Physiologie Zytoplasma. Im Zellinneren (Zytoplasma) befindet sich neben den Zellorganellen die Zellflüssigkeit (Zytosol). Sie besteht zum überwiegenden Teil aus Wasser, in dem zahlreiche Moleküle wie Elektrolyte, Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate gelöst sind. Das Zytoplasma dient dem Stoff- und Informationsaus- tausch innerhalb der Zelle. Durch die unterschied- liche Durchlässigkeit der Zellmembran und aktive Transportprozesse (z. B. „Elektrolyt-Pumpen“) kön- nen für viele Stoffe Konzentrationsunterschiede zwischen dem Zellinneren und der Zellumgebung aufrechterhalten werden. Zellorganellen Im Zellinneren befinden sich die Zellorganellen, das sind kleinste Zellorgane, die jeweils ganz bestimm- te Aufgaben haben und je nach der Zellfunktion un- terschiedlich verteilt sind. Mitochondrien. Sie sind die Kraftwerke der Zelle, sie stellen die für das Überleben jeder Zelle not- wendige Energie bereit. Ihre äußere Form ist oval mit einer doppelten Hülle (Membran), deren in- nerer Anteil zahlreiche Auffaltungen aufweist. Die Energiegewinnung erfolgt hauptsächlich durch Sauerstoff verbrauchende Zuckerverbrennung (ae- robe Glykolyse). Der von den Mitochondrien er- zeugte Energieträger ist das ATP (Adenosintriphos- phat), das für verschiedene Prozesse in der Zelle verwendet werden kann. Zellen mit einem sehr hohen Energiebedarf (z. B. Muskelzellen) besitzen sehr viele Mitochondrien, träge Zellen (z. B. Knor- pel- oder Bindegewebszellen) dagegen nur wenige. Zelle als Grundbaustein Der Körper eines erwachsenen Menschen besteht aus bis zu 10 Billionen (= 10.000.000.000.000) Zel- len Abb. 1.56. Um ihre speziellen Funktionen zu er- füllen, haben die Zellen ein sehr unterschiedliches Aussehen und schließen sich jeweils zu Zellverbän- den, dem Gewebe (s. u.), zusammen. Trotz ihrer un- terschiedlichen Formen findet man bei allen Zellen aber gemeinsame Bestandteile. Zellmembran und Zytoplasma Zellmembran. Die Zellmembran bildet die Hülle um den Zellleib. Sie ist die Grundvoraussetzung für ein eigenes Zellleben, sie trennt das Zellinnere vom „Außen“. Für die Funktion und das Überleben der Zelle ist es unerlässlich, dass diese Schutzhülle nicht starr und undurchlässig, sondern flexibel und für bestimmte Stoffe durchlässig ist. Sie besteht aus 2 Schichten mit Fettmolekülen (Phospholipiden) und enthält spezielle Kanäle (Carrier-Proteine), die je nach Bedarf Stoffe in die Zelle bzw. wieder he- raustransportieren. In der Zellmembran findet man auch Rezeptoren, an die sich nach dem Schlüssel- Schloss-Prinzip jeweils passende Botenstoffe (z. B. Hormone) binden können. Die Zelle kann so Infor- mationen aus dem gesamten Körper erhalten und sich als Antwort darauf verändern. Das Hormon Insulin z. B. bindet an Rezeptoren in der Zellmem- bran und bewirkt eine Aufnahme von Zucker in die Zellen. Die Funktion der Zellmembran besteht also gleichzeitig im Schutz vor der äußeren Umgebung und der Verbindung der Zelle nach außen. D Die Zelle ist der Grund- baustein des Organis- mus, die kleinste lebensfähige Einheit aller Lebewesen. M Wird die Zellmembran beschädigt, so dringt unkontrolliert Flüssigkeit ein und gefährdet das Überleben der Zelle. Diese Tatsache macht man sich bei der Anwendung von Antibiotika zunutze, die die Bildung der Zellmembran von Bakterien stören und sie da- durch zerstören. Abb. 1.56 Die Zelle. $ raues endoplasmatisches Retikulum Zytoskelett Zellkern Zellmembran Mitochondrium Lysosom Kernkörperchen (Nukleolus) Golgi-Apparat Ribosomen aus: Thiemes Altenpflege in Lernfeldern (ISBN 9783131455321) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

Einführung in die Anatomie und PhysiologieZytoplasma. Im Zellinneren (Zytoplasma) befindet

sich neben den Zellorganellen die Zellflüssigkeit

(Zytosol). Sie besteht zum überwiegenden Teil aus

Wasser, in dem zahlreiche Moleküle wie Elektrolyte,

Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate gelöst sind. Das

Zytoplasma dient dem Stoff- und Informationsaus-

tausch innerhalb der Zelle. Durch die unterschied-

liche Durchlässigkeit der Zellmembran und aktive

Transportprozesse (z. B. „Elektrolyt-Pumpen“) kön-

nen für viele Stoffe Konzentrationsunterschiede

zwischen dem Zellinneren und der Zellumgebung

aufrechterhalten werden.

ZellorganellenIm Zellinneren befinden sich die Zellorganellen, das

sind kleinste Zellorgane, die jeweils ganz bestimm-

te Aufgaben haben und je nach der Zellfunktion un-

terschiedlich verteilt sind.

Mitochondrien. Sie sind die Kraftwerke der Zelle,

sie stellen die für das Überleben jeder Zelle not-

wendige Energie bereit. Ihre äußere Form ist oval

mit einer doppelten Hülle (Membran), deren in-

nerer Anteil zahlreiche Auffaltungen aufweist. Die

Energiegewinnung erfolgt hauptsächlich durch

Sauerstoff verbrauchende Zuckerverbrennung (ae-

robe Glykolyse). Der von den Mitochondrien er-

zeugte Energieträger ist das ATP (Adenosintriphos-

phat), das für verschiedene Prozesse in der Zelle

verwendet werden kann. Zellen mit einem sehr

hohen Energiebedarf (z. B. Muskelzellen) besitzen

sehr viele Mitochondrien, träge Zellen (z. B. Knor-

pel- oder Bindegewebszellen) dagegen nur wenige.

Zelle als GrundbausteinDer Körper eines erwachsenen Menschen besteht

aus bis zu 10 Billionen (= 10.000.000.000.000) Zel-

len Abb. 1.56. Um ihre speziellen Funktionen zu er-

füllen, haben die Zellen ein sehr unterschiedliches

Aussehen und schließen sich jeweils zu Zellverbän-

den, dem Gewebe (s. u.), zusammen. Trotz ihrer un-

terschiedlichen Formen findet man bei allen Zellen

aber gemeinsame Bestandteile.

Zellmembran und ZytoplasmaZellmembran. Die Zellmembran bildet die Hülle

um den Zellleib. Sie ist die Grundvoraussetzung

für ein eigenes Zellleben, sie trennt das Zellinnere

vom „Außen“. Für die Funktion und das Überleben

der Zelle ist es unerlässlich, dass diese Schutzhülle

nicht starr und undurchlässig, sondern flexibel und

für bestimmte Stoffe durchlässig ist. Sie besteht aus

2 Schichten mit Fettmolekülen (Phospholipiden)

und enthält spezielle Kanäle (Carrier-Proteine), die

je nach Bedarf Stoffe in die Zelle bzw. wieder he-

raustransportieren. In der Zellmembran findet man

auch Rezeptoren, an die sich nach dem Schlüssel-

Schloss-Prinzip jeweils passende Botenstoffe (z. B.

Hormone) binden können. Die Zelle kann so Infor-

mationen aus dem gesamten Körper erhalten und

sich als Antwort darauf verändern. Das Hormon

Insulin z. B. bindet an Rezeptoren in der Zellmem-

bran und bewirkt eine Aufnahme von Zucker in die

Zellen. Die Funktion der Zellmembran besteht also

gleichzeitig im Schutz vor der äußeren Umgebung

und der Verbindung der Zelle nach außen.

D Die Zelle ist der Grund-

baustein des Organis-

mus, die kleinste lebensfähige

Einheit aller Lebewesen.

M Wird die Zellmembran

beschädigt, so dringt

unkontrolliert Flüssigkeit ein

und gefährdet das Überleben

der Zelle. Diese Tatsache macht

man sich bei der Anwendung

von Antibiotika zunutze, die die

Bildung der Zellmembran von

Bakterien stören und sie da-

durch zerstören.

Abb. 1.56 Die Zelle.

$

raues endoplasmatisches Retikulum

Zytoskelett

Zellkern

ZellmembranMitochondrium

Lysosom

Kernkörperchen (Nukleolus)

Golgi-Apparat

Ribosomen

aus: Thiemes Altenpflege in Lernfeldern (ISBN 9783131455321) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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1.3 alte Menschen Personen- und situationsbezogen Pflegen

1Ribosomen. Dies sind kugelförmige Eiweißkörper,

die in großer Zahl im gesamten Zytoplasma vor-

kommen und für die Eiweißherstellung (Protein-

biosynthese) zuständig sind. Sie sind die „Arbeiter“,

die – vom Zellkern gesteuert – aus einfachen Ami-

nosäuren komplizierte Proteine zusammenbauen.

Endoplasmatisches Retikulum. Dabei handelt es

sich um ein kanalartiges Netzwerk von Röhren in-

nerhalb der Zelle, also um das „Straßennetz“ der

Zelle. Hier findet der Stoff- und Flüssigkeitstrans-

port innerhalb der Zelle statt. Sind die Außenwände

des Hohlraumsystems mit Ribosomen bedeckt, so

spricht man vom rauen endoplasmatischen Retiku-

lum. Es enthält von den aufsitzenden Ribosomen

gebildete „Exportproteine“, die für den Transport

aus der Zelle bereitstehen.

Zytoskelett. Es ist das Gerüst der Zelle, es besteht

aus zahlreichen fadenförmigen Eiweißstoffen und

trägt zur Stabilisierung des Zellkörpers bei. Auch

die für manche Zellen charakteristischen Ausstül-

pungen der Zellmembran (z. B. beim Flimmerepi-

thel, s. u.) werden vom Zytoskelett gebildet und

dann Mikrovilli genannt. Bei manchen Zellen kön-

nen sich die Eiweißfasern des Zytoskeletts aktiv

bewegen (z. B. Muskelzellen), sie werden dann als

Mikrofilamente bezeichnet.

Golgi-Apparat. Dabei handelt es sich um Stapel

aus flachen, scheibenförmigen Membransyste-

men, die sich meist in der Nähe des endoplasma-

tischen Retikulums und des Zellkerns befinden.

Hier werden die von den Ribosomen produzierten

Exportprote ine verändert und in Transportbläschen

eingeschlossen, die aus der Zelle wandern können.

Es handelt sich also um die „Vertriebsabteilung“

der Zelle, in der die Proteine „verpackt“ und „ver-

schickt“ werden.

Zellkern. Der Zellkern ist die größte Struktur der

Zelle, er ist von einer durchlässigen Doppelmemb-

ran umgeben und enthält neben der Zellkernflüs-

sigkeit die Chromosomen und ein oder mehrere

Kernkörperchen (Nukleolus). Auf den Chromoso-

men ist die gesamte Erbsubstanz des Organismus

gespeichert. Der Zellkern ist das „Gehirn der Zelle“,

er enthält die vollständige genetische Information

über den Organismus und dient der Steuerung der

meisten Zellvorgänge.

ChromosomenAufbau

Menschliche Zellkerne enthalten 46 Chromoso-

men in Form von 23 Chromosomenpaaren. Je ein

Chromosom jedes Paares stammt von der Mutter

und eines vom Vater. Jedes Chromosom liegt also

doppelt vor (diploider Chromosomensatz). In be-

stimmten Phasen der Zellteilung (Metaphase) sind

die Chromosomen auch im Lichtmikroskop sicht-

bar, sie zeigen dann eine typische X-Form. An der

Kreuzungsstelle des „X“ findet man eine Einschnü-

rung, das Zentromer, von dem jeweils zwei lange

und zwei kurze Chromosomenarme abzweigen

(Abb. 1.58a). Ansonsten verteilen sich die Chromo-

somen als lose Fäden mit einem Durchmesser von

ca. 2/1.000.000 mm im gesamten Zellkern und sind

nicht einzeln erkennbar.

Abb. 1.57 Mitochondrium.

innere Mitochondrien-membran

äußere Mitochondrien-membran

kurzer Chromo-somen-arm

Chromatiden

Zentromer

a

langer Chromo-somen-arm

b c

Z G ZC

A T

T AP

Z

P

P

P

P

ZP

ZZ

Z

C G

Z

2/1 000 000 mm

Abb. 1.58 Aufbau des Chromosoms. a Kurze und lange Chro mo somenarme mit der zentralen Einschnürung am Zentromer, b Detailver-größerung der aufgewickelten DNA-Stränge, c Aufbau eines DNA-Stranges: „Strickleiterform“ aus Zucker- und Phophatmolekülen (Z und P) mit den 4 stickstoffhaltigen Basen Adenin (A), Thymin (T), Cytosin (C) und Guanin (G) als Sprossen (Faller 2008).

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1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

DNA. Diese Fäden bestehen aus der Substanz DNA

(Desoxyribonukleinsäure), die einen komplizierten

Aufbau ähnlich einer Strickleiter hat. Die „Leiter-

sprossen“ werden aus vier stickstoffhaltigen Basen

(Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin) gebildet, die

schraubenförmig ineinander verwundenen „Leiter-

stränge“ aus Zucker- und Phosphatmolekülen (Abb.

1.58c). Durch die unterschiedliche Reihenfolge der

Basen wird wie bei einem Morsecode die Informa-

tion über die genetische Erbsubstanz verschlüsselt.

Geschlechtschromosomen. Zwei der 46 Chromo-

somen sind Geschlechtschromosomen (Gonoso-

men), die darüber entscheiden, ob der Organismus

eine weibliche oder männliche Geschlechtsausprä-

gung hat. Es gibt 2 Varianten von Geschlechtschro-

mosomen: das X-Chromosom und das kleinere Y-

Chromosom.

Autosomen. Die übrigen 44 Chromosomen (22

Chromosomenpaare) werden Autosomen genannt,

sie enthalten zusammen mit den Geschlechtschro-

mosomen die gesamte Erbsubstanz des menschli-

chen Organismus.

Proteinsynthese

Die meisten der komplizierten Zellvorgänge be-

stehen in der Herstellung von Eiweißen (Protein-

synthese) und werden durch die „genetische Ge-

brauchsanweisung“ in den Chromosomen gesteu-

ert. Dieser Prozess besteht aus zwei Teilen:

Transkription. Als Erstes wird der Nukleinsäuren-

Code vom Chromosom abgelesen und eine Kopie

der jeweiligen Nukleinsäuresequenz (mRNA) er-

stellt. Man nennt dieses Abschreiben einer be-

stimmten genetischen Information Transkription.

Translation. Diese „Abschrift aus der genetischen

Gebrauchsanweisung“ (mRNA) wird aus dem Zell-

M Durch die Kombination

XX wird eine weibliche,

durch die Kombination XY eine

männliche Geschlechtsausprä-

gung kodiert.

kern geschleust und von den Ribosomen als Bau-

plan für das jeweilige Eiweiß benutzt. Sie arbeiten

die „Blaupause“ ab, indem sie entsprechend der Ko-

dierung verschiedene Aminosäuren zusammenfü-

gen, sodass ein Eiweiß entsteht. Man nennt diesen

Vorgang Translation. Dabei kann es sich dann z. B.

um einen Baustein für die Zelle, einen außerhalb

der Zelle wirkenden Botenstoff (z. B. Hormon) oder

ein auszuscheidendes Sekret (bei einer Drüsenzel-

le) handeln.

Gene. Als Gen bezeichnet man eine solche Nukle-

insäurensequenz, die für die Kodierung (Beschrei-

bung des Bauplans) eines bestimmten Einweißes

nötig ist. Meist erstreckt sie sich über eine Länge

von 300–400 Nukleinsäuren. Insgesamt befinden

sich auf den 23 Chromosomenpaaren nach dem

derzeitigen Wissen zwischen 20.000 und 30.000

Gene.

ZellteilungDie Fähigkeit der Körperzellen, sich zu teilen, ist

nicht nur für die Fortpflanzung und das Wachstum

eines Organismus notwendig, sondern auch, um im

ausgewachsenen Organismus beschädigte oder zu-

grunde gegangene Zellen zu ersetzen. Zellteilung ist

also ein lebensnotwendiger Prozess, der andauernd

und in den meisten Teilen des Körpers stattfindet.

Die Zellteilungsaktivität ist allerdings bei den ein-

zelnen Geweben sehr unterschiedlich und nimmt

im Alter immer mehr ab.

Mitose

Die Mitose ist unterteilt in 4 Phasen (Abb. 1.59):

1. Prophase (Vorbereitungsphase): Die losen Chro-

mosomenfäden im Zellkern verkürzen sich und

nehmen Spiralform an. Die Kernhülle löst sich

auf, die Zentriolen wandern zu den Kernpolen.

2. Metaphase (Mittelphase): Die in der Interphase

(s. u.) verdoppelten Chromosomenhälften (Chro-

D Die Mitose ist die häu-

figste im Körper vor-

kommende Form der Zellteilung.

Vor der Teilung in zwei erbglei-

che Tochterzellen findet in der

Mutterzelle eine Verdoppelung

der Erbsubstanz (DNA) statt, da

sonst in den entstehenden Zellen

nur die Hälfte der Erbinformati-

on vorhanden wäre.

ZellpoleÄquatorialebene

sich auflösende Kernmembran

Zentriol

Zentriol

Zellkern mit entspiralisiertenChromosomen

Zellkern mit spiralisierten, verdoppeltenChromosomen

a b c

d e f

Prophase

Anaphase

Metaphase

Telophase

Zentriol

Zellkernmembran

Chromatid

Chromosomen

neueKern-

membran

Abb. 1.59 Ablauf der Mitose.

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1.3 alte Menschen Personen- und situationsbezogen Pflegen

1matiden) ordnen sich in der Mittelebene zwi-

schen den beiden Zentriolen in ihrer typischen

X-Form an.

3. Anaphase (Trennungsphase): Die Spindelfasern

(Zentriolen) trennen die Chromatiden am Zen-

tromer und ziehen sie auseinander in Richtung

der Zellpole.

4. Telophase (Schlussphase): An beiden Polen

befinden sich jeweils die identischen Chromoso-

mensätze, sie werden von einer neuen Kernhül-

le umgeben. Die Zellmembran schnürt sich in

der Zellmitte ein und bildet so zwei getrennte,

selbstständige Tochterzellen.

Interphase (Zwischenphase). Die Zellteilung stellt

nur einen kurzen Zeitraum im Leben einer Zel-

le (zwischen 30 Min. und 1 Std.) dar, dazwischen

befindet sich die Zelle in der Ruhe- oder Zwischen-

phase, die zwischen einigen Stunden und vielen

Jahren anhalten kann. In dieser Phase findet die

Verdoppelung der Chromosomen statt.

Meiose

Damit bei der Befruchtung durch das Verschmel-

zen von männlicher und weiblicher Keimzelle nicht

92 Chromosomen in der Zelle entstehen, muss der

Chromosomensatz der väterlichen und mütter-

lichen Zellen jeweils vorher bei der Bildung der

Keimzellen halbiert werden (haploider Satz).

Der Ablauf der Meiose unterscheidet sich von der

Mitose dadurch, dass die DNA auf den Chromoso-

men vor der Teilung nicht verdoppelt wird, sodass

die entstehenden Keimzellen nur einen einfachen

Chromosomensatz (23) besitzen. Außerdem wird

die väterliche und mütterliche Erbsubstanz in der

Keimzelle durch Austausch von Chromosomenstü-

cken verändert („Crossing over“), sodass sich un-

terschiedliches Erbmaterial bilden kann.

Chemische Zusammensetzung des KörpersDer menschliche Körper ist aus organischen und

anorganischen Bestandteilen zusammengesetzt.

Anorganische StoffeWasser

Alle Stoffwechselvorgänge sind auf Wasser als Re-

aktionspartner angewiesen, es ist ein wichtiger

Baustein für viele Eiweiß- und Zuckermoleküle so-

wie viele Zellorganellen. Es dient als Lösungsmit-

tel für die meisten organischen und anorganischen

Substanzen oder Stoffwechselprodukte. Durch das

Verdunsten von Wasser auf der Haut und den da-

durch erzielten Kühlungseffekt wirkt Wasser als

Wärmeregulator.

Flüssigkeitsbilanz. Aufgrund dieser lebensnot-

wendigen Funktionen ist der Organismus auf eine

ausgeglichene Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe

D Die Meiose (Reduk-

tions- oder Reifeteilung)

ist eine Sonderform der Zelltei-

lung bei männlichen und weib-

lichen Keimzellen, bei der der

Chromosomensatz halbiert

wird.

angewiesen, wobei der Wasserbedarf unterschied-

lich sein kann (z. B. erhöhter Flüssigkeitsbedarf bei

Fieber). Unter normalen Bedingungen versucht der

Organismus, den täglichen Wasserverlust durch die

entsprechende Aufnahme von Flüssigkeit zu erset-

zen, man spricht von einer ausgeglichenen Flüssig-

keitsbilanz. Die Steuerung des Flüssigkeitshaushal-

tes erfolgt hauptsächlich über die Niere (S. 401).

Flüssigkeitsräume. Der Körper des Menschen be-

steht zu ca. ²ße aus Wasser, wobei der Anteil mit dem

Lebensalter abnimmt – von 75 % beim Neugebore-

nen auf unter 60 % beim älteren Menschen. Diese

Flüssigkeit besteht wiederum zu Ùße aus Zellwasser

(intrazelluläre Flüssigkeit) und zu 1ße aus extrazel-

lulärer Flüssigkeit, die sich aus dem Blutplasma

(flüssiger Blutbestandteil), der Zwischenzellflüssig-

keit und den transzellulären Flüssigkeiten (z. B. Ge-

hirn- oder Gelenkflüssigkeit) zusammensetzt. Vor

allem über den Zwischenzellraum (Interstitium)

findet ein reger Flüssigkeits- und Stoffaustausch

zwischen den Zellen und dem Blutkreislauf statt.

Mineralstoffe und Elektrolyte

Aufgaben. Mineralstoffe machen ca. 4 % des gesam-

ten Körpergewichts aus, sie werden über die Nah-

rung aufgenommen und die Nieren und den Darm

ausgeschieden. Aufgrund ihres chemischen Aufbaus

können sie im Wasser gelöst als geladene Teilchen

(Elektrolyte) vorliegen und stellen die Grundlage

für lebenswichtige Vorgänge wie Nervenreizlei-

tung und Muskelerregung dar.

Die wichtigsten Elektrolyte sind:

– Natrium (Na+): häufigstes Elektrolyt des Extra-

zellulärraums, dient zur Regelung der Flüssig-

keitsbilanz; wichtiger Bestandteil der Nerven-

reizleitung,

– Kalium (K+): häufigstes Elektrolyt innerhalb der

Zellen, wichtig für die Erregung von Nerven und

Herzmuskel,

– Chlorid (Cl2–): wichtig für die Bildung von Salz-

säure im Magen und den Säure-/Basenhaushalt,

– Kalzium (Ca2+): wichtig für die Erregung von

Nerven und Muskeln, Knochenbaustein.

Organische StoffeKohlenhydrate

Aufbau. Kohlenhydrate können als Einfachzucker

(Monosaccharide) wie Traubenzucker (Glukose)

oder Fruchtzucker (Fruktose) vorkommen, die im

Verdauungstrakt sehr schnell aufgenommen wer-

den und in den Zellen rasch zur Energiegewinnung

verbrannt werden können. Neben den Zweifachzu-

ckern wie Milchzucker (Laktose) existieren Mehr-

fachzucker wie die Stärke (Amylose), eine in Pflan-

zen vorkommende Speicherform der Glukose, die

im Verdauungstrakt erst zerlegt werden muss und

langsamer von den Zellen aufgenommen werden

kann.

D Mineralstoffe sind le-

benswichtige, anorga-

nische Elemente, die dem Körper

von außen zugeführt werden

müssen. Häufig liegen sie als im

Körperwasser gelöste Teilchen

mit elektrischer Ladung vor,

man nennt sie dann Elektrolyte

(umgangssprachlich Blutsalze).

D OrganischeStoffe sind

chemische Verbindun-

gen, die hauptsächlich aus Koh-

lenstoff- und Wasserstoffato-

men bestehen. Sie bilden die

wichtigste Voraussetzung für

menschliches, tierisches oder

pflanzliches Leben. Alle wich-

tigen Zell- und Körperbestand-

teile wie Fette, Eiweiße, Kohlen-

hydrate enthalten organische

Verbindungen. Anorganische

Stoffe enthalten keine oder ein-

zelne Kohlenstoffatome. Ty-

pische Vertreter sind Salze, Was-

ser oder Gase wie CO2.

D Kohlenhydrate sind or-

ganische Verbindungen,

die vom Körper zur schnellen

Energiegewinnung benutzt wer-

den.

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1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

Aufgaben. Kohlenhydrate werden in den Mito-

chondrien aller Zellen des Körpers zur Energie-

bereitstellung (s. o.) unter Verbrauch von Sauer-

stoff verbrannt. Die vom Körper nicht benötigten

Kohlenhydrate werden zum einen in der Form des

Speicherzuckers Glykogen in Leber und Muskeln

gespeichert, zum anderen von der Leber in Fette

umgewandelt und im Fettgewebe gespeichert. Au-

ßerdem stellen Mehrfachzucker wichtige Zellbau-

steine dar und tragen zum Teilchendruck im Kör-

perwasser bei.

Fette

Aufbau. Die Fette sind eine umfangreiche Gruppe

von organischen Verbindungen, die sowohl mit der

Nahrung aufgenommen als auch vom Körper selber

(z. B. Cholesterin) gebildet werden können. Ein typi-

sches in der Nahrung vorkommendes Beispiel sind

die Neutralfette (Triglyzeride), die aus Glyzerin und

drei Fettsäuremolekülen zusammengesetzt sind.

Aufgaben. Fette haben folgende Aufgaben:

– Energiequelle: Nach ihrer Zerlegung im Verdau-

ungstrakt werden viele Fette in der Leber umge-

baut, damit sie von den Zellen verbrannt werden

können;

– Energiespeicherung: Nimmt der Körper mehr

Energieträger (Kohlenhydrate, Fette oder Eiwei-

ße) als benötigt auf, so werden diese in Form von

Fettgewebe gespeichert;

– Baustein: Lipide sind wichtige Bausteine für al-

le Zellmembranen und das Nervengewebe, Cho-

lesterin z. B. ist eine Vorstufe für die Gallensäure

und viele Hormone;

– Trägersubstanz: Viele für den Körper wichtige,

fettlösliche Vitamine können nur in Anwesenheit

von Fetten aufgenommen und transportiert wer-

den;

– Schutzfunktion: Fettgewebe dient als mechani-

scher Schutz und zur Wärmeisolation.

Eiweiße (Proteine)

Aufbau. Die meisten Bestandteile der Zellen bzw.

des menschlichen Organismus sind aus Proteinen

aufgebaut. Sie werden in den Zellen von Ribosomen

aus einzelnen Aminosäuren „zusammengebaut“ –

gesteuert durch den Zellkern. Proteine können gro-

ße und kompliziert aufgebaute Moleküle sein und

sehr unterschiedliche, spezifische Aufgaben erfül-

len.

Aufgaben. Proteine haben folgende Aufgaben:

– Enzyme: „Arbeiter“ der Zelle (s. u.);

– Transport: Viele lebenswichtige Substanzen kön-

nen nur mithilfe von Proteinen im Blut bzw. in

der Zelle transportiert werden (z. B. Eisen, Vita-

mine);

– Baustein: Proteine sind Bausteine für alle wichti-

gen Zellstrukturen; die aktive Beweglichkeit des

D Fette (Lipide) sind lang-

kettige organische Ver-

bindungen, die eine schlechte

Löslichkeit in Wasser und eine

gute Löslichkeit in organischen

Verbindungen besitzen. Sie wer-

den vom Körper sowohl zur

Energiegewinnung als auch zur

Energiespeicherung verwendet.

D Proteine sind große or-

ganische Verbindungen,

die aus mindestens 100 Amino-

säuren gebildet werden. Sie sind

wichtige Grundbausteine des

menschlichen Körpers. Amino-

säuren sind verhältnismäßig

kleine organische Verbindungen

mit einer gleichartigen Grund-

struktur (Abb.1.61). Im

menschlichen Körper kommen

20 verschiedene Aminosäuren

vor, von denen er 12 selbst pro-

duzieren kann. Die übrigen 8 so-

genannten essenziellenAmi-

nosäuren müssen mit der Nah-

rung aufgenommen werden.

Muskelgewebes beruht auf der besonderen An-

ordnung speziell geformter Proteine;

– Teilchendruck: Proteine bilden einen wichtigen

Bestandteil des Teilchendrucks im Blutplasma;

– Immunabwehr: Die vom Körper zur Immun-

abwehr produzierten Antikörper bestehen aus

komplizierten Proteinen;

– Energiequelle: Sowohl das mit der Nahrung

aufgenommene Eiweiß als auch die körperei-

genen Proteine können zur Energiegewinnung

verbraucht werden, allerdings ist dieser Stoff-

wechsel sehr kompliziert und liefert nur wenig

Energie.

Enzyme

Aufbau. Enzyme sind sehr große Eiweißmoleküle,

in deren Anwesenheit chemische Reaktionen be-

schleunigt werden. Ohne sie würden die meisten

Stoffwechselvorgänge im Körper so langsam ablau-

fen, dass der Organismus nicht mehr lebensfähig

wäre.

Aufgaben. Jedes Organ und jedes Gewebe be-

sitzt entsprechend seinen spezifischen Aufgaben

bestimmte „eigene“ Enzyme, von denen sich die

meisten im Blut laborchemisch bestimmen lassen.

Damit lassen sich z. B. Organschäden oder Fehlfunk-

tionen feststellen. Typische Beispiele für organspe-

zifische Enzyme im Blut:

– Creatinkinase (CK-MB) im Herzmuskelgewebe,

– Transaminasen (Gamma-GT, GOT und GPT) in

der Leber,

– Lipase in der Bauchspeicheldrüse.

M Proteine sind an allen

wichtigen Vorgängen

des Organismus beteiligt.

D Enzyme sind lebens-

wichtige Proteine, die im

gesamten Körper chemische Re-

aktionen beschleunigen, ohne

dabei selber verändert zu wer-

den.

M Der Name vieler Enzyme

hat die Endung „-ase“,

der davor liegende Wortteil be-

zeichnet die Funktion des En-

zyms (z. B. Lipase = Fett spalten-

des Enzym)

Abb. 1.60 Triglyzeride. Sie setzen sich aus Glyzerin und drei Fettsäuren zusam-men.

Abb. 1.61 Proteinaufbau. a Proteine sind Knäuel aus Hunderten von Aminosäuren. b Die einzelnen Aminosäuren sind über Brücken (rot) miteinander verbunden. c Aminosäuren haben eine gleichar-tige Grundstruktur (blau) und einen variablen Rest (grün), der sie unterscheidet.

Fettsäuren

Gly

zerin

b

c

COOH

H2N C

R

H

a

GlyAspGln

Ala

AspAsp

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1.3 alte Menschen Personen- und situationsbezogen Pflegen

1Gewebslehre (Histologie)

Gewebetypen. Man unterscheidet Epithelgewebe,

Binde- und Stützgewebe, Muskelgewebe und Ner-

vengewebe. Alle Organe des Körpers setzen sich

jeweils in unterschiedlichem Maße aus diesen 4

Gewebetypen zusammen. Es ist vergleichbar mit ei-

nem Legobaukasten, der 4 grundsätzlich verschie-

dene Typen von Bausteinen enthält, aus denen man

alle Organe „bauen“ kann.

Epithelgewebe

Aufbau und Funktion. Epithelgewebe können ein

sehr unterschiedliches Aussehen haben, die Ge-

meinsamkeit besteht in ihrer Eigenschaft als Deck-

gewebe an einer Oberfläche. Auf der Oberfläche ab-

gewandten Seite werden sie durch die Basalmem-

bran von anderen Gewebetypen abgegrenzt. Die

unterschiedliche Form des Epitheltyps entspricht

seiner jeweiligen Funktion, so muss die äußere

Haut Schutz gegen mechanische, chemische und

thermische Beanspruchung geben und ist deshalb

mehrschichtig mit einer robusten Hornschicht an

der Oberfläche. Demgegenüber besteht das Endo-

thel z. B. in einem Lungenbläschen (Alveole) aus ei-

nem feinen, einschichtigen Epithel, das durchlässig

für Sauerstoff ist.

Drüsengewebe. Eine Sonderform von Epithelge-

webe sind Drüsengewebe aus Drüsenzellen, die

flüssige Stoffe (Sekrete) absondern. Drüsenzellen

kommen im gesamten Körper vor, sowohl an der

Körperoberfläche (z. B. Tränen- und Schweißdrü-

sen) als auch im Verdauungstrakt (z. B. Salzsäure

produzierende Belegzellen im Magen, Bauchspei-

chel produzierende Drüsenzellen in der Bauch-

speicheldrüse). Drüsen, die ihr Sekret nach außen

abgeben, werden exokrine Drüsen (lat. ex = heraus)

genannt. Endokrine Drüsen (lat. endo = innen) geben

ihr Sekret nach innen, ins Blut, ab – sie werden auch

Hormondrüsen genannt.

Binde- und Stützgewebe

Man unterscheidet:

– lockeres Bindegewebe (umhüllt Nerven und

Blutgefäße, Abb. 1.62),

– straffes Bindegewebe (z. B. Hirnhaut, Organkap-

seln, Muskelsehnen),

– retikuläres (netzartiges) Bindegewebe (z. B. Ge-

websgerüst in Milz oder Leber),

– Fettgewebe,

– Knorpelgewebe,

– Knochengewebe.

Fettgewebe. Spezialisierte Form des retikulären

Bindegewebes aus kugelförmigen Fettzellen (Li-

pozyten, Abb. 1.63). In diesen Zellen kann bei

Überschuss von Kohlenhydraten oder Fetten im

Blut Energie in Form von Speicherfett gespeichert

D Gewebe sind Zellver-

bände, die eine gemein-

same spezielle Bauart und eine

ähnliche Funktion haben.

D Epithelgewebe sind

flächenhafte Zellverbän-

de, die die Körperoberfläche

nach außen, aber auch viele

Hohlräume des Körpers nach in-

nen bedecken.

D Zum Binde-undStütz-

gewebe gehören unter-

schiedliche Gewebetypen, deren

Gemeinsamkeit die Funktion als

mechanischer Schutz ist und de-

ren charakteristischer Bestand-

teil langgestreckte Eiweißfasern

(z. B. Kollagenfasern) sind.

werden. Daneben dient Fettgewebe in bestimmten

Regionen als Baufett zur Polsterung und Wärme-

isolation (z. B. am Gesäß, im Nierenlager oder im

Gesicht).

Knorpelgewebe. Knorpelgewebe hat folgende Ei-

genschaften: Es ist flexibel und sehr widerstands-

fähig gegenüber Scherkräften und ist deshalb zur

Abdämpfung von mechanischen Belastungen geeig-

net. Es ist schlecht durchblutet, wenig stoffwechsel-

aktiv und daher bei Abnutzung und Verletzungen

nur schlecht regenerationsfähig. Kennzeichnend

für das Knorpelgewebe sind die abgerundeten

Knorpelzellen (Chondrozyten), die in der Knorpel-

grundsubstanz verteilt liegen (Abb. 1.64). Vorkom-

men im Körper:

– Skelettsystem: Gelenkknorpel über den Gelenk-

flächen, Zwischenwirbelscheiben (Bandschei-

ben), Gelenkzwischenscheiben (z. B. Meniskus);

– Kopf: Ohrmuschel, Nasenscheidewand;

– Atemwege: Kehlkopf, Luftröhre (Trachealspan-

gen);

– Knochengewebe: Knorpel ist Vorstufe bei der

Knochenentwicklung.

Knochengewebe. Es ist sehr widerstandsfähig und

besitzt hohe Druck- und Zugfestigkeit. Es ist das

Baumaterial des Skelettsystems.

Muskelgewebe

Glatte Muskulatur. Sie bildet einen großen Teil

der Wände von Hohlorganen z. B. im Magen-Darm-

Trakt, Blutgefäßsystem oder harnableitenden Sys-

tem. Sie besteht aus spindelförmigen Muskelzellen

in wenig geordneten Schichten mit einer Länge von

bis zu 0,05 mm. Die Steuerung der Muskelkontrak-

tionen erfolgt unwillkürlich (d. h. nicht bewusst)

durch das vegetative Nervensystem. Die Muskeln

ziehen sich meist wellenförmig (peristaltisch), lang-

sam und sehr ausdauernd zusammen (Abb. 1.65a).

Quergestreifte Muskulatur. Muskulatur des Bewe-

gungsapparates, der Gesichts- und Schlundmusku-

latur. Sie besteht aus gleichmäßig angeordneten,

faserförmigen Muskelzellen mit zahlreichen Zell-

kernen pro Zelle und einer Länge von bis zu meh-

reren Zentimetern. Unter dem Mikroskop erkennt

man durch die regelmäßige Anordnung der Eiweiß-

fasern die charakteristische Querstreifung. Querge-

streifte Muskulatur kontrahiert rasch und kräftig

und ist schnell ermüdbar (Abb. 1.65b).

Herzmuskulatur. Sonderform des quergestreif-

ten Muskelgewebes mit Eigenschaften sowohl der

quergestreiften als auch der glatten Muskulatur:

rasche und kräftige Kontraktion und sehr ausdau-

ernd. Mikroskopisch erkennt man eine regelmäßi-

ge Querstreifung, mit zentral liegenden Zellkernen

(Abb. 1.65c).

Abb. 1.62 Lockeres Bindegewebe. Mikroskopisches Schnittbild (Schwegler 2011).

Abb. 1.63 Fettgewebe. Das Gewebe besteht aus kugeligen Fettzellen (Li-pozyten), die jeweils einen Fetttropfen enthalten.

Abb. 1.64 Knorpelgewebe. Mikrosko-pischer Schnitt aus dem Rippenknorpel: gruppenförmige Anordnung (Chondron) der abgerundeten, ovalen Knorpelzellen (Chondrozyten) in der glasigen Knorpel-grundsubstanz (Schwegler 2011).

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117

1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

Organe und OrgansystemeDer Körper besteht aus den verschiedenen Orga-

nen. Jedes Organ hat eine bestimmte Funktion und

ist dementsprechend aus einer speziellen, passen-

den Kombination von unterschiedlichen Geweben

aufgebaut. Die Hauptaufgabe des Organs Herz z. B.

ist das „Pumpen“, dementsprechend besteht es

hauptsächlich aus Muskelgewebe und „Ventilen“

(Herzklappen aus Bindegewebe) (S. 331).

Als Organsystem bezeichnet man mehrere Or-

gane, die zusammenwirken und eine bestimmte

gemeinsame Funktion erfüllen. Damit der Körper

mit Blut versorgt werden kann, braucht er zusätz-

lich zum Herzen ein Transportsystem, die Gefäße.

Dieses Organsystem bezeichnet man dann als das

Herz-Kreislauf-System. Weitere Beispiele für Or-

gansysteme mit ihren Funktionen:

– Verdauungstrakt: Verdauung von Nährstoffen

und Ausscheidung von Stoffwechselendproduk-

ten,

– Hormonsystem: Regulation wichtiger Körper-

funktionen,

– Haut: mechanischer Schutz, Körpertemperatur-

regulation,

– Atmungssystem: Aufnahme von Sauerstoff, Ab-

gabe von Kohlendioxid,

– Immunsystem: Abwehr von körperfremden

Stoffen,

D Nervenzellen können

über elektrische Erre-

gungsleitung Sinneseindrücke

weiterleiten, Informationen ver-

arbeiten und Muskeln erregen.

Da sich die spezialisierten Ner-

venzellen nicht selbstständig er-

nähren oder stützen können,

gibt es eigene Nervenstützzel-

len, die Gliazellen.

– Bewegungsapparat: ermöglicht sowohl Halt als

auch Beweglichkeit des Körpers,

– Harntrakt: Flüssigkeits- und Mineralstoffaus-

scheidung,

– Geschlechtsorgane: Sexualität und Fortpflan-

zung,

– Nervensystem: Bewusstsein, Sinneswahrneh-

mung, Steuerung der Bewegung.

Muskelhülle

Nerv mitmotorischenEndplatten

Sehne

Knochen

a

Muskelfaser Muskelzelle

=

b Blutkapillare

Endomysium

Muskel-hülle

Zellkern

Myofibrillen

Abb. 1.66 Muskelaufbau. a Querschnitt durch den Skelettmuskel, b Detailvergrö-ßerung der Muskelfasern (Faller 2008).

MyofibrillenZellkern

Zytoplasma

MyofibrillenZellmembran

Mitochondriena b Kapillare

Querstreifung Bindegewebszellkern

czentral

gelegener KernGlanzstreifen

Abb. 1.65 Muskelgewebe. a Glatte Muskulatur, b Skelettmuskulatur, c Herzmuskel.

D Muskelzellen können

durch elektrische Reize

erregt werden und sich als Reak-

tion darauf verkürzen (kontra-

hieren). Mit dem Muskelgewebe

wird der Körper aktiv bewegt

(Abb.1.66).

Abb. 1.67 Nervenzelle. Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Nervenzelle.

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1.3 alte Menschen Personen- und situationsbezogen Pflegen

1Einführung in die GeriatrieGeriatrie darf nicht mit Gerontologie verwechselt

werden. Letzteres ist der Fachbegriff für die „Al-

tersforschung“. Gerontologie ist die Wissenschaft,

welche sich mit den körperlichen, seelischen und

sozialen Veränderungen im Alter auseinandersetzt.

Beide Begriffe leiten sich vom griechischen Wort

„Geron“ ab, dem Greis.

Aufgrund des demografischen Wandels nimmt

die Betreuung und medizinische Versorgung alter

Menschen stetig zu. Denn die Anzahl der älteren

Menschen in der BRD nimmt zu. Lag die durch-

schnittliche Lebenserwartung 1900 noch bei 47 Jah-

ren für Frauen und 44 Jahren bei Männern, so ist sie

für Frauen auf ca. 82 und für Männer auf ca. 77 Jah-

re angestiegen. Und sie wird weiter klettern, schon

heute vermutet man, dass jedes zweite Neugebore-

ne älter als 100 Jahre werden kann.

Dementsprechend wächst die Zahl der hochbe-

tagten Menschen. Heute sind ca. 4 Mio. Menschen in

Deutschland älter als 80 Jahre, diese Zahl wird auf

rund 10 Mio. im Jahre 2050 anwachsen! (Abb. 1.68)

AltersveränderungenDas Leben ist ein ständiger Prozess der Veränderun-

gen. Man will es zwar oft nicht so recht wahrhaben,

D Geriatrie ist die Lehre

von den Erkrankungen

des alten Menschen.

D Gerontologie: Wissen-

schaft, welche sich mit

den körperlichen, seelischen und

sozialen Veränderungen im Alter

auseinandersetzt.

Demografischer Wandel s. a.

S. 637.

Abb. 1.68 Die Anzahl der älteren Men-schen nimmt zu.

aber auch Alterungsprozesse gehören zum Leben.

Alter ist ein Lebensabschnitt, in den jeder allmäh-

lich hineinwächst.

Altersveränderungen sind somit nicht zu verhin-

dern. Doch im Ausmaß der Veränderungen besteht

eine große individuelle Spanne! Auch können die

Altersprozesse durch regelmäßiges körperliches

Training, die richtige Ernährung (z. B. ist die Lebens-

erwartung bei Normalgewichtigen deutlich länger

als bei Adipösen) und Interesse am öffentlichen

Leben (Zeitung lesen, Hobbys usw.) oft verzögert

werden.

Alter geht mit Veränderungen der Organfunkti-

onen einher (Tab. 1.7). Diese Funktionseinbußen

machen sich im normalen Alltag meist erst spät be-

merkbar. Doch infolgedessen sind ältere Menschen

anfälliger für bestimmte Krankheiten, die deshalb

im Alter häufiger auftreten

Der geriatrische Patient ist durch verschiedene

Merkmale charakterisiert:

– hohes Alter,

– Multimorbidität (er leidet an mehreren behand-

lungsbedürftigen Erkrankungen),

– veränderte, oft untypische Symptome,

D Multimorbidität:

gleichzeitiges Bestehen

von verschiedenen behandlungs-

bedürftigen Erkrankungen

Physiologische Alterungspro-

zesse s. a. S. 4.

Tab. 1.7 Die wichtigsten Organveränderungen im Alter und daraus resultierende Folgen/Erkrankungen

Organ Altersbedingte Veränderung Folgen

Allgemein – Zu-/Abnahme des Körperfettes – Abnahme der Körperflüssigkeit – Abnahme der Muskelmasse

– Abnahme der Temperaturregulation

– erhöhte Infektanfälligkeit – „Altershaut“, Schwindel – geringere körperliche Belastbarkeit, erhöhte

Sturzneigung – erhöhte Kälteempfindlichkeit

Sinnesorgane – Linsentrübung – Hochtonschwerhörigkeit

– „grauer“ Star

Lunge – Verminderung der Lungenleistung – Gefahr der Pneumonie (Lungenentzündung) infolge flacherer Atmung

Herz-Kreislauf-System

– Rückgang der Herzleistung – verminderte Elastizität der Arterien – Verengung der Arterien

– Herzinsuffizienz (Herzschwäche) – Bluthochdruck – Arteriosklerose (Arterienverkalkung)

Bewegungs-apparat

– verminderter Kalziumeinbau in den Knochen

– Gelenkknorpelabbau

– Osteoporose („Knochenschwund“)

– erhöhte Frakturneigung (Knochenbrüche) – Arthrose (Gelenkverschleiß)

Verdauungs-trakt

– verminderte Durchblutung der Magen-schleimhaut

– Abnahme der Geschmacksknospen auf der Zunge

– nachlassende Funktion der Bauchspei-cheldrüse

– Gastritis (Magenschleimhautentzündung)

– verändertes Geschmacksempfinden

– Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)

Harntrakt – Beckenbodenschwäche, geringes Fas-sungsvermögen der Blase

– Prostatavergrößerung

– Inkontinenz (Blasenschwäche)

– Harnverhalt

Nervensystem – Verringerung der Nervenfasern – verzögerte Schutzreflexe – fehlende Überträgerstoffe

– Vergesslichkeit, Demenz – erhöhte Sturzneigung – Morbus Parkinson

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1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

– längere Krankheitsverläufe, verzögerte Gene-

sung,

– veränderte Reaktion auf Medikamente,

– erschwerte Beweglichkeit,

– psychosoziale Symptome.

Zusammenfassend spricht man von den geriatri-

schen „Is“:

– Intelligenter Abbau (Demenz),

– Immobilität (Arthrose, Morbus Parkinson),

– Instabilität (Schwindel, Gangstörung),

– Inkontinenz,

– Iatrogene Störungen (Einwirkung und Folgen

med. Maßnahmen),

– Isolation (viele alte Menschen leben alleine).

MultimorbiditätDa viele der beschriebenen Organveränderungen

gleichzeitig ablaufen ist es verständlich, dass sich

mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit

erhöht, an mehreren behandlungsbedürftigen Er-

krankungen gleichzeitig zu leiden. Diese Multimor-

bidität betrifft fast alle Menschen in hohem Lebens-

alter.

In der Regel kann ein Arzt mithilfe einer aus-

führlichen Anamnese (Krankengeschichte), einer

gründlichen körperlichen Untersuchung und spe-

zieller Untersuchungen wie Blutuntersuchungen,

Röntgen oder Ultraschall eine Diagnose stellen. Das

ist beim alten Menschen oft nicht so einfach.

Geriatrische Assessments

In der Geriatrie gibt es deshalb Assessments, wel-

che dem ärztlichen und pflegerischen Personal die

Diagnosestellung erleichtern sollen. Man versteht

darunter das Zusammentragen von Informationen

anhand standardisierter Schemata um das Aus-

maß einer Organschädigung oder eine potenzielle

Gefährdung, z. B. Sturz-, Thrombose-, Pneumonie-

oder Dekubitusgefahr abschätzen zu können.

Ziel ist es festzustellen, was der Betroffene „noch

kann“ und was er „nicht mehr kann“:

– Krankheiten können so diagnostiziert und Beein-

trächtigungen festgestellt werden,

– Assessments helfen, Entscheidungen über mögli-

che Rehabilitationsmaßnahmen zu treffen,

– Hilfsbedarf des Betroffenen wird bestimmt,

– durch Wiederholung der Tests nach Therapiebe-

ginn wird der Erfolg der Maßnahmen beurteilt.

Das geriatrische Assessment umfasst verschiedene

Tests. So dienen einfache psychomotorische Test-

verfahren (z. B. Uhrentest, Minimental State Test)

einer Beurteilung der psychischen Verfassung, zur

Einschätzung des Depressionsgrades dienen spezi-

elle Fragebögen. Der körperliche Bereich wird mit

M Die geriatrischen „Is“:

–– Intelligenter Abbau

–– Immobilität

–– Instabilität

–– Inkontinenz

–– Iatrogene Störungen

–– Isolation

D Assessment („Abschät-

zung“) : Zusammentra-

gen von Informationen anhand

standardisierter Schemata, um

das Ausmaß einer Organschädi-

gung abschätzen zu können.

Assessment s. a. S. 81.

Fragen zur Alltagsaktivität (z. B. Barthel-Index) und

der Erfassung des Sturzrisikos (z. B. Sturztest nach

Tinetti) beurteilt. Häufig werden noch eine Mobili-

tätserfassung, eine Erfassung des Ernährungszu-

standes und eine Sozialeinschätzung (finanzielle,

persönliche Situation) durchgeführt.

Die Funktionsuntersuchungen können durch

einen Hör- und Sehtest ergänzt werden. Auch die

Messung der Gehstrecke, das Zählen eines definier-

ten Geldbetrages, die Ausführung eines Telefonates

und das Entnehmen von Tabletten aus der Verpa-

ckung gibt Aufschluss über körperliche und geistige

Fähigkeiten.

Vermeiden von Folgeerkrankungen

Besteht eine Erkrankung, so kann diese eine ande-

re begünstigen. Die Betroffenen bewegen sich bei

einer schweren Arthrose (Gelenkverschleiß) z. B.

aufgrund der starken Schmerzen immer weniger.

Dieser Bewegungsmangel begünstigt die Entwick-

lung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und kann zur

Gewichtszunahme führen. Letzteres ist ein Risiko-

faktor für die Entwicklung eines Diabetes mellitus.

Ein wesentlicher Bereich der ärztlichen und pfle-

gerischen Aufgaben ist deshalb die Vermeidung von

Folgeerkrankungen. Ältere Patienten benötigen ei-

nen ganzheitlichen Therapieansatz. Es geht häufig

nicht um die Heilung einer Krankheit, sondern um

die Verbesserung oder Erhaltung der Lebenssitua-

tion. Medizin bedeutet in der Geriatrie die Spanne

des aktiven Lebens zu verlängern und die Zeit der

Abhängigkeit von Pflegenden bis zum Tode zu ver-

kürzen.

Vermeiden von Nebenwirkungen

Bei Multimorbidität ist oft die Einnahme verschie-

dener Medikamente nötig. Eine wichtige pflegeri-

sche Aufgabe in der Geriatrie ist es, auf mögliche

Neben- oder Wechselwirkungen zu achten. Denn

durch eine verminderte Leber- und Nierenfunktion

werden die Wirkstoffe schlechter verstoffwechselt

und können sich deshalb im Körper anreichern!

Da alte Menschen durchschnittlich 7 Medika-

mente pro Tag zu sich nehmen, sind Nebenwirkun-

gen nicht selten (Abb. 1.69).

Auch die Compliance, die Mitarbeit des Patien-

ten, kann ein Problem darstellen. Oft ist es keine

Absicht, dass die Medikamente nicht oder unregel-

mäßig eingenommen werden. Aufgrund der nach-

lassenden Merkfähigkeit werden Tabletten verges-

sen. Oder es bestehen Schwierigkeiten bei der Ein-

nahme, weil das Schlucken großer Tabletten schwer

fällt oder sich die Medikamentenverpackung nur

schlecht öffnen lässt.

D Compliance: Mitarbeit

des Patienten.

I Literatur:

Höwler, E.: Gerontopsy-

chiatrische Pflege. Brigitte Kunz

Verlag, Hagen 2000

Internet:

Deutsche Gesellschaft für Geri-

atrie und Gerontologie: www.

dggg-online.de

Abb. 1.69 Wegen der unübersichtlichen Wechselwirkungen fordern manche Geri-ater, dass alten Menschen höchstens drei verschiedene Medikamente verordnet werden (Köther, 2011).

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1.3 alte Menschen Personen- und situationsbezogen Pflegen

1Einführung in die Gerontopsychiatrie

– Somnolenz: Betroffener ist schläfrig, aber weck-

bar,

– Sopor: Betroffener schläft, ist nur durch starke

(Schmerz-)Reize weckbar,

– Koma: Betroffener ist bewusstlos und nicht

weckbar.

Orientierungsstörungen. Man unterscheidet die

Orientierung zu den Qualitäten Zeit, Ort, Situation

und Person. Bei zeitlichen Orientierungsstörungen

kann der Betroffene das Datum nicht richtig benen-

nen, bei örtlichen und situativen Orientierungsstö-

rungen kann weder der Aufenthaltsort noch die Si-

tuation korrekt beschrieben werden („Sind wir hier

in einem Hotel?“), und bei Orientierungsstörungen

zur eigenen Person werden falsche Angaben zu Na-

men und Geburtsdatum des Betroffenen gemacht.

Häufig bei akuten Verwirrtheitszuständen, Demen-

zen oder Vergiftungen (Intoxikationen) vorkom-

mend, aber auch bei Schizophrenien.

Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstö-

rungen. Die Betroffenen können ihre Wahrneh-

mung nicht auf einen bestimmten Gegenstand oder

eine bestimmte Aufgabe lenken, sondern werden

leicht abgelenkt oder wenden sich ab (Abb. 1.70):

„Ich kann diesen Zeitungsartikel nicht ohne dau-

ernde Unterbrechungen lesen und muss immer

wieder am Anfang beginnen“. Häufig bei Demen-

zen, akuten Verwirrtheitszuständen oder Depressi-

onen vorkommend.

Gedächtnisstörungen (amnestische Störungen).

Man unterscheidet Alt- und Kurzzeitgedächtnis.

Das Frisch- oder Kurzzeitgedächtnis gewährleistet

die Merkfähigkeit eines Menschens und wird durch

Fragen über die unmittelbare Vergangenheit über-

prüft „Welchen Gegenstand habe ich Ihnen vor 1

Minute gezeigt?“. Zusätzlich werden zum frühzei-

tigen Erkennen von Merkfähigkeitsdefiziten häu-

fig kognitive Testverfahren (z. B. Mini Mental State

= MMS) eingesetzt. Das Altgedächtnis wird mit Fra-

gen aus der Biografie überprüft.

– Amnesie: zeitlich begrenzte Erinnerungslücke.

– Retrograde Amnesie: typischerweise nach einer

Gehirnerschütterung oder der Gabe von Narko-

semitteln auftretend, bezieht sich auf die Zeit vor

dem Ereignis (z. B. Sturz).

– Merkfähigkeitsstörungen: Störungen des Kurz-

zeitgedächtnisses, typisch für die Demenz und

den akuten Verwirrtheitszustand. Hier versuchen

die Betroffenen oft, die Defizite mit Erfindungen

oder Umschreibungen zu überspielen, häufig ist

das Altgedächtnis noch relativ gut erhalten.

Antrieb und Psychomotorik. Beurteilt wird an-

hand des körperlichen Ausdrucksverhaltens der

Bei vielen Altenpflegekräften und auch Ärzten be-

stehen Ängste und Unsicherheiten gegenüber den

Erkrankungen der Psyche. Das allgemein verbreite-

te Bild reicht vom unberechenbaren Psychopathen

bis hin zu Schreckensmeldungen über psychiatri-

sche Einrichtungen. Entgegen diesen Vorstellungen

sind psychische Erkrankungen sehr häufig, können

jeden treffen und sind vor allem der alltägliche Be-

standteil der medizinischen Versorgung.

Auch bezüglich der Psychiatrie als Wissenschaft

und Institution existieren zahlreiche Vorbehalte,

die Vorstellungen reichen von schillernden Psycho-

Theorien bis hin zur „Gehirnwäsche“. In der Realität

ist das Erkennen und Behandeln von psychischen

Erkrankungen keine Geheimwissenschaft und für

jeden nachvollziehbar, zumal man statt kompli-

zierter technischer Apparate oder Untersuchungen

„nur“ seine Sinne gebrauchen muss.

Psychiatrische Erkrankungen im Alter spielen

vor allem durch die Veränderungen des Altersauf-

baus der Bevölkerung eine immer größere Rolle. Ca.

25 % aller über 65-Jährigen leiden unter leichten bis

mittelschweren psychischen Störungen, die nur zu

einem Drittel direkt auf Abbauprozesse im Gehirn

zurückgeführt werden können. Obwohl gerade in

dieser Altersgruppe bei der Gabe von Psychophar-

maka mit mehr Nebenwirkungen und Problemen

zu rechnen ist, erhalten bis zu 35 % der über 65-

Jährigen regelmäßig solche Medikamente.

Krankheitszeichen in der PsychiatrieWichtigste Grundvoraussetzung für das Erkennen

von psychischen Erkrankungen, aber auch für die

Behandlung ist ein offenes und intensives Eingehen

auf den Patienten. Für die meisten Menschen ist es

problematischer, Hilfe wegen psychischer als wegen

„körperlicher“ Probleme in Anspruch zu nehmen.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Pflegende

nicht aufgrund eigener Unsicherheit den Proble-

men oder psychischen Auffälligkeiten des Patienten

aus dem Weg geht, sondern ihm zuhört und auf ihn

eingeht. Nur dann ist es möglich, eine psychische

Erkrankung zu erkennen.

PsychopathologieEine vollständige psychiatrische Untersuchung

sollte die folgenden Kriterien umfassen, um krank-

heitstypische Auffälligkeiten erkennen zu können.

Bewusstseinsstörungen. Bewusstseinsstörungen

sind typisch für akute Verwirrtheitszustände, Ver-

giftungen (Intoxikationen) und akute Erkrankungen

des Gehirns. Man unterscheidet die unterschiedli-

chen Grade der Wachheit (Vigilanz) folgenderma-

ßen:

– Benommenheit: verlangsamte Informationsauf-

nahme und eingeschränkte Informationsverar-

beitung,

D Unter der Gerontopsy-

chiatrie versteht man

die Lehre von den Erkrankungen

der Psyche im Alter (meist bei

über 65-Jährigen). Eine solche

Altersgrenze ist allerdings will-

kürlich, da die typischen geron-

topsychiatrischen Erkran-

kungen, wie die Alzheimer De-

menz, auch schon weit vor dem

60. Lebensjahr auftreten kön-

nen.

D Psychopathologie ist

die systematische Unter-

suchung von psychischen Einzel-

funktionen und Einordnung der

gefundenen Auffälligkeiten.

Abb. 1.70 Aufmerksamkeitsstörungen. Aufmerksamkeitsstörungen können u. a. im Zusammenhang mit Demenzen, aku-ten Verwirrtheitszuständen, Intoxikatio-nen oder Depressionen auftreten.

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1.3.1 Pflegerelevante grundlagen

Grad der seelischen Aktivierung, „die Drehzahl des

seelischen Motors“:

– Antriebsarmut: „Ich kann mich zu nichts aufraf-

fen. Mir fehlt die Initiative.“ (typisch für Depres-

sionen),

– Stupor: Bewegungs- und Regungslosigkeit (kann

mit einem Koma verwechselt werden; typisch für

die katatone Schizophrenie),

– Automatismen: bizarre, automatisierte Bewe-

gungen des Gesichts (Grimassieren) oder Körper-

haltungen (typisch für katatone Schizophrenie),

– Antriebsvermehrung: Die Betroffenen zeigen er-

höhte psychische Aktivität, erscheinen wie „ge-

trieben“ (bei allen akuten psychischen Erkran-

kungen möglich). Extreme Sonderform:

– motorische Unruhe: ziellose und ungerichtete

Bewegungsaktivität bis hin zur Tobsucht.

Stimmung (Affektivität). Beurteilt wird die Grund-

stimmung, die Reaktionsfähigkeit der Stimmung

und die Schwankungsbreite der Gefühle:

– Affektstarre: fehlende Schwingungsfähigkeit der

Gefühle („Ich kann mich über nichts mehr freuen

oder ärgern“; vor allem bei Depressionen),

– Affektarmut: „Gefühl der Gefühllosigkeit“ (bei

Depressionen),

– Depressivität: „Ich fühle mich niedergeschlagen,

lust- und freudlos.“; bei Depressionen (Abb. 1.71),

– Ambivalenz: nebeneinander bestehende, sich

einander ausschließende Gefühle („Ich liebe und

hasse es gleichzeitig“; typisch für schizophrene

Störungen),

– Euphorie: Übersteigertes Wohlbefinden bis hin

zu krankhaft gehobener Stimmung, häufig bei

wahnhaften Störungen wie Manie oder Schizo-

phrenie.

Formale Denkstörungen im Gedankengang.

Denkzerfahrenheit mit unzusammenhängenden,

sprunghaften Gedankengängen („In meiner Familie

lachen wir wegen ... das Zimmer ist hell ... du hast

gelogen ...“; bei Schizophrenien (Abb. 1.72);

Denkhemmung und -verlangsamung: der Ge-

dankenablauf ist eingeengt oder verlangsamt

(„Meine Gedanken schleppen sich dauernd dahin,

sind so mühsam.“); typisch für Depressionen;

Ideenflucht: übermäßig einfallsreicher Gedan-

kengang („vom Hundertsten zum Tausendsten

kommen“), typisch für die Manie.

Inhaltliche Denkstörungen. Wahnvorstellungen

sind objektiv falsche Beurteilungen der Realität:

– Verfolgungswahn: „Mein Nachbar will mich um-

bringen“; bei Schizophrenien;

– Größenwahn: „Ich bin der Hyper-Gott“; bei Schi-

zophrenie und Manie;

– Bestehlungswahn: „Die Altenpfleger wollen

mich alle bestehlen“; häufig bei Demenz, auch

bei starker Schwerhörigkeit;

– hypochondrischer Wahn: „Ich habe Krebs und

muss nächste Woche sterben“; häufig bei De-

pressionen.

Wahrnehmungsstörungen. Sinnestäuschungen

(Hal luzinationen) ohne ein reales Objekt:

– akustische Halluzinationen: Stimmen hören; ty-

pisch für schizophrene Störungen;

– optische Halluzinationen: „Insekten an der

Wand“; typisch für akute Verwirrtheitszustände,

wie Alkoholentzugsdelir, auch bei Epilepsien vor-

kommend; (Abb. 1.73)

– Geruchs- und Geschmackshalluzinationen: „Das

Wasser schmeckt nach Blut“ bei Schizophrenien.

Störungen des Ich-Erlebens. Der Betroffene kann

die eigene Person nicht mehr adäquat von seiner

Umwelt abgrenzen oder sie als seine eigene erken-

nen; typisch für Schizophrenien:

– Gedankeneingebung: „Meine Gedanken werden

vom Geheimdienst gesteuert“.

– Gedankenentzug: „Er nimmt meine Gedanken

weg.“

– Gedankenausbreitung: „Die Nachbarn können

meine Gedanken lesen.“

TestverfahrenUm bei der psychiatrischen Untersuchung gering-

gradige Störungen zu ermitteln, aber auch um die

Untersuchungsergebnisse objektivierbar, d. h. un-

abhängig vom Untersucher vergleichbar zu machen,

werden in zunehmendem Maße psychologische

Testverfahren angewendet – vor allem in der Geri-

atrie und der Gerontopsychiatrie. Es handelt sich

hauptsächlich um sog. Leistungstests oder objekti-

ve Tests, die in zahlenmäßig messbarer Weise be-

stimmte psychische Funktionen überprüfen. Ähn-

lich wie beim allgemein bekannten Intellegenztest

HAWIE („IQ“) werden Aufgaben gestellt und anhand

der Ergebnisse bestimmte psychische Leistungsfä-

higkeiten wie die Merkfähigkeit beurteilt.

Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang

der MMS (Mini Mental State nach Folstein) zur Er-

fassung von Merkfähigkeitsstörungen im Rahmen

einer Demenz angewendet. Es werden Fragen zur

Orientierung und zur Merkfähigkeit sowie ein-

fache Aufforderungen zum Schreiben und prak-

tischen Handeln gestellt. Die Antworten werden

nach einem vorgegebenen Schlüssel mit Punkten

bewertet, anhand der Gesamtpunkte lässt sich das

Ausmaß der Defizite abschätzen. Da der Test für die

Erfassung von leichteren Formen der Demenz zu

unempfindlich ist, werden bei Bedarf andere Tests,

wie der Uhrzeichentest nach Shulman, der DEMTECT

oder die GDS (Geriatric Depression Scale zur Unter-

scheidung zwischen depressiven und demenziellen

Störungen) angewendet.

Abb. 1.71 Depression. Bei Depressionen ist ein ausgeprägtes Gefühl der Nieder-geschlagenheit symptomatisch, hier dar-gestellt durch eine Schauspielerin.

Abb. 1.72 Denkzerfahrenheit. Schrift-stück einer schizophrenen Patientin: der sprunghafte Gedankengang ist im Text gut zu erkennen (Psychiatrische Klinik der LMU München, aus Haupt, Jochheim und Remschmidt 2002).

Abb. 1.73 Optische Halluzinationen. Optische Halluzinationen wie Insekten oder Spinnen an der Wand z. B. bei akuten Verwirrtheitszuständen vorkom-mend

aus: Thiemes Altenpflege in Lernfeldern (ISBN 9783131455321) © 2012 Georg Thieme Verlag KG