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Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann Einführung in Luhmanns Systemtheorie Bezug: Teamentwicklung Theorien werden durch die Person und die Biografie ihrer Autoren beeinflusst, sie haben wie Ernst Engelke es formuliert: „ihren Sitz im Leben“. (Engelke, E., 2003, 2). Es lohnt sich daher einen kurzen Blick auf Luhmanns Biographie zu werfen, um zu verstehen, welcher Gegenstand im Blickpunkt seines Interesses stand und zu welchen zentralen Aussagen er kommt. Niklas Luhmann studierte Jura in Lüneburg. Er arbeitete sechs Jahre in der öffentlichen Verwaltung als Jurist und studierte in Harvard bei Talcott Parson Soziologie, mit dem Schwerpunkt Systemtheorie. Er lehrte dann an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer, und erhielt 1968 eine Professur für Soziologie an der neu gegründeten Bielefelder Universität. Luhmann hatte aufgrund seiner Biografie immer ein großes Interesse an organisationssoziologischen Fragen. „Wie ist soziale Ordnung möglich überhaupt möglich?“ steht im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. In Abgrenzung zu Parsons, der einen strukur-funktionalen Systembegriff vertrat, dessen Focus auf der Bedeutung von Strukturen für den Erhalt eines Systems liegt, verfolgt Luhmann die Perspektive der Funktionalität in Systemen. Nicht die Frage was hält ein System zusammen, sondern wie funktioniert eine System, dass es ein System ist steht bei ihm im Vordergrund. Gerade die Frage wie sich Systeme bilden, was sie kennzeichnet, wie sie sich von anderen Systemen unterscheiden, welche Funktion sie übernehmen und wie sie mit anderen Systemen in Kontakt treten enthält für unsere Kontext Teamentwicklung in Organisationen überaus interessante Hinweise. Zum einen was die Analyse von Teams betrifft, wie auch die Wahl möglicher Interventionen. Es verwundert daher nicht, dass die Theorie von Luhmann in der Organisations-, Management- und Beratungsliteratur große Resonanz findetn. Wir standen vor der Frage, wie wir dieses komplexe Theoriegebäude so kurz und prägnant wie möglich, und so verständlich wie auch 1

Einführung in Luhmanns Systemtheorie Bezug: Teamentwicklung · Talcott Parson Soziologie, mit dem Schwerpunkt Systemtheorie. Er lehrte dann an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft

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Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann

Einführung in Luhmanns Systemtheorie Bezug: Teamentwicklung Theorien werden durch die Person und die Biografie ihrer Autoren

beeinflusst, sie haben wie Ernst Engelke es formuliert: „ihren Sitz im

Leben“. (Engelke, E., 2003, 2). Es lohnt sich daher einen kurzen

Blick auf Luhmanns Biographie zu werfen, um zu verstehen, welcher

Gegenstand im Blickpunkt seines Interesses stand und zu welchen

zentralen Aussagen er kommt.

Niklas Luhmann studierte Jura in Lüneburg. Er arbeitete sechs Jahre

in der öffentlichen Verwaltung als Jurist und studierte in Harvard bei

Talcott Parson Soziologie, mit dem Schwerpunkt Systemtheorie. Er

lehrte dann an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in

Speyer, und erhielt 1968 eine Professur für Soziologie an der neu

gegründeten Bielefelder Universität. Luhmann hatte aufgrund seiner

Biografie immer ein großes Interesse an organisationssoziologischen

Fragen. „Wie ist soziale Ordnung möglich überhaupt möglich?“ steht

im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. In Abgrenzung zu

Parsons, der einen strukur-funktionalen Systembegriff vertrat,

dessen Focus auf der Bedeutung von Strukturen für den Erhalt eines

Systems liegt, verfolgt Luhmann die Perspektive der Funktionalität in

Systemen. Nicht die Frage was hält ein System zusammen, sondern

wie funktioniert eine System, dass es ein System ist steht bei ihm im

Vordergrund. Gerade die Frage wie sich Systeme bilden, was sie

kennzeichnet, wie sie sich von anderen Systemen unterscheiden,

welche Funktion sie übernehmen und wie sie mit anderen Systemen

in Kontakt treten enthält für unsere Kontext Teamentwicklung in

Organisationen überaus interessante Hinweise. Zum einen was die

Analyse von Teams betrifft, wie auch die Wahl möglicher

Interventionen. Es verwundert daher nicht, dass die Theorie von

Luhmann in der Organisations-, Management- und Beratungsliteratur

große Resonanz findetn.

Wir standen vor der Frage, wie wir dieses komplexe Theoriegebäude

so kurz und prägnant wie möglich, und so verständlich wie auch

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praxisbezogen darstellen können und drohten dabei immer wieder

uns im Labyrinth der Begriffen, die alle miteinander zusammen-

hängen und sich gegenseitig bedingen, zu verirren. Die Theorie

gleicht eher einem spinnenförmigen Netz (wie auch Luhmanns

berühmter Zettelkasten) das keiner Linearität folgt. So Luhmann

beschreibt wie viel Zeit und Überlegungen es ihn gekostet hat, die

Begriffsauffassungen und Aussagen seiner Theorie der Sozialen

Systeme inhaltlich zu arrangieren ( Luhmann, 1984, 14). Es beruht

zu wissen, dass nicht wir allein vor diesem Problem standen. Die

Auswahl und Reihenfolge der begrifflichen Grundlagen (ein Versuch

der Reduktion von Komplexität) hätten wir auch anders wählen

können, doch gleich durch welche Tür man dieses Gedanken-

gebäude betritt, es eröffnet sich sogleich die gesamte Komplexität,

ohne Anfang und ohne Ende. Denn eine Theorie, die den Anspruch

erhebt, „den gesamten Bereich der Wirklichkeit abzudecken“

(Luhmann, 1987b, 163) muss ebenso komplexer sein, sie muss, da

sie selbst ein System ist (Teil des Wissenschaftssystems) auf sich

selbst anwendbar sein. Die Beschäftigung mit diesem Theoriesystem

hebelt alle bisherigen Selbstverständlichkeiten des Alltagsdenken

aus, nicht Gegenstände werde beschrieben sondern Funktionen. In

ihrem hohen Abstraktionsgrad gleicht die Theorie einem „Flug über

den Wolken, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen

Wolkendecke zu rechen.“ der nur gelegentliche Durchblick erlaubt.

Man sollte nicht der Illusion zum Opfer fallen, dass die wenigen

Anhaltspunkte, die Theorie, genügt, um den Flug zu steuern.

(Luhmann, 1984, 13)

Wir wollen trotzdem fliegen und die Komplexität auf handlungs-

praktische Fragen im Anwendungsbereich Teamentwicklung in

Organisationen reduzieren, obgleich Luhmann keineswegs einen

Anwendungsbezug mit seiner Theorie verfolgt hat. Vielmehr ist seine

Arbeit durch den Versuch gekennzeichnet: „ Distanz zu halten

gegenüber solchen Phänomenen, bei denen andere sich aufregen

oder gewöhnlich normatives oder emotionales Engagement gefragt

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ist. Mein Hauptziel als Wissenschaftler ist die Verbesserung der

soziologischen Beschreibung der Gesellschaft und nicht die

Verbesserung der Gesellschaft.“ (Luhmann, 1992, 169)

Doch Systeme sind in Bewegung, sie differenzieren sich aus, und

wie viele andere sind auch wir Nachkömmlinge, die „nun auf den

Schultern eines Riesen stehen“ (Willke, 2001, 165) und sich andere

Dinge leisten können.

Grundlagen der Systemtheorie

Luhmann versteht seine Theorie der Gesellschaft als einen Beitrag

zur Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Da Gesellschaft unmöglich

von außen zu beobachten und zu beschreiben ist, denn jeder ist Teil

der Gesellschaft muss eine Theorie über die Gesellschaft ein Beitrag

zur Selbstbeschreibung der Gesellschaft sein: „eine Beschreibung

über die Gesellschaft in der Gesellschaft“ (Berghaus, M. 2003, 16).

In der Theorie findet sich der gesamte Bereich des Sozialen wieder,

von Personen, über Gruppen, Organisationen, Unternehmen, großen

Funktionssystemen wie Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft etc,

und schließlich die Weltgesellschaft als die Gesamtheit der sozialen

Beziehungen, Prozesse, Kommunikation in der Welt, die real

vorhanden sind, und die möglich wären. So unterschiedlich diese

Systemarten sind, so vergleichbar sind sie doch hinsichtlich ihrer

Strukturen und Eigenschaften.

Jede Theorie lässt sich auf ein Paradigma, eine spezifische

Sichtweise des Erkennens und der Weltsicht zurückführen. Luhmann

steht in der Tradition der Systemtheoretiker, wie wir es schon in

Kapt. XX kurz erläutert haben. Für ihn steht fest, dass es Systeme

gibt, die in einer wirklichen Welt existieren. (vgl. Luhmann, 1984, 30).

Das soziale System Gesellschaft existiert ebenso wie das soziale

System Wirtschaft mit seinen Organisationsformen, wie Personen mit

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ihren Bewusstseinssystemen. Und die Systemtheorie ist eine

Realität, weil in der Realität Systeme wirklich vorhanden sind. D.h.:

=> Es gibt eine Realität

=> In der Realität gibt es Systeme.

Luhmanns Systemtheorie korrespondiert mit konstruktivistischen

Ansätzen, die davon ausgehen, dass Realität nichts objektives ist,

was außerhalb von uns existiert, sondern immer eine kognitive

Konstruktion beruhend auf unserer Wahrnehmung ist. Wie lässt sich

das mit den Realiätsaussagen vereinbaren? Für Luhmann besteht

kein Zweifel an der Existenz einer Außenwelt, doch die

Realitätsbilder, die System produzieren beziehen sich immer auf ihre

eigene Systemlogik und das führt zu unterschiedlichen Bildern über

die Wirklichkeit. Denn Erkenntnisse sich lediglich Beobachtung der

Realität und von daher Konstruktionen. Ein simples Beispiel dazu:

ein interdisziplinär zusammengesetztes Team steht vor einer neuen

Aufgabe. Vermutliche werden die Teammitglieder entsprechend ihrer

professionellen Herkunft und ihrer Fähigkeiten unterschiedliche

Erwartungen und Vorstellungen darüber entwickeln, wie die

Anforderungen zu bewältigen sind.

Eine weitere zentrale Annahme ist, dass alle Beschreibungen der

Realität auf Unterscheidungen durch Beobachtungen beruhen. Es

geht also um die Frage, die eine wesentliche Bedeutung für

Interventionen in Teams haben wird, nach welchen Kriterien – also

wie – Unterscheidungen getroffen werden und in Bilder über die

Wirklichkeit gerinnen. Wie beobachtet das Team A die Führungskraft

und wie beobachtet die Führungskraft das Team und zu welchen

Annahmen und Urteilen kommen sie? Sind diese Bilder übereinander

deckungsgleich, oder unterscheiden sie sich? Zu welchen

Konsequenzen können solche Differenzen im Unternehmen führen?

All das sind Fragen mit denen der Berater vor allem in der Phase der

Auftragsklärung konfrontiert sieht. Und natürlich schließt es die Frage

ein, nach welchen Kriterien beobachtet und unterscheidet der

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Berater, welche Wirklichkeitsbilder entwirft er und was empfiehlt er

für Interventionen?

„Realität lässt sich nur durch Unterscheidungen erkennen und

beschreiben, die nicht in der Realität liegen, sondern vom

Beobachter kommen“. (Berghaus, M. 2003,29).

Mit dieser Aussage nähern wir uns der Frage wie kann ein Berater

ein möglichst angemessenes Bild über ein Team in einer

Organisation entwerfen, wenn alles Erkennen nur auf seinen eigenen

kognitiven Konstruktionen beruht.

Doch bevor wir auf die Möglichkeit der Steuerung von sozialen

Systemen (Teamentwicklung) eingehen möchten wir in aller Kürze

die zentralen Grundbegriffe dieser Systemtheorie für das weitere

Verständnis erläutern. Ein Versuch kleine Hinweisschilder im

Labyrinth aufzustellen. An dieser Stelle möchten wir interessierten

Lesern und Leserinnen zur vertiefenden Lektüren eine kleine

Auswahl an Einführungen in das Werk von Luhmann empfehlen

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UNTERNEHMEN

Am Beispiel des Teams B im Unternehmen XL möchten wir die

Schlüsselbegriffe und zentralen Aussagen der Theorie

selbstreferenzieller Systeme veranschaulichen und Konsequenzen

für eine systemisch orientierte Teamberatung aufzeigen. Wir

möchten noch einmal betonen, wir könnten auch einen anderen

Zugang wählen, denn die Theorie ist zirkulär angelegt, es bleibt sich

System

Beobachtung

Kontingenz

Autopoiesis Selbstreferenzialität

Strukturelle Kopplung

Sinn

System Umwelt Differenz

Funktion, Zweck, Struktur Berater Team B

Funktionssysteme: Wirtschaft Politik, Recht,

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folglich gleich, womit wir beginnen. Unser Anliegen ist es, neben

einem möglichst hohen Grad an Verständlichkeit, die Bedeutung

dieses Ansatzes für die Systemanalyse und Interventionen des

Beraters plausibel zu machen. Also wagen wir uns in das

Luhmannsche Labyrinth.

System: Differenz von System und Umwelt Luhmann verwendet den Systembegriff für komplexe, lebendige

Systeme und unerscheidet sie von technischen Systemen wie

Machinen, Uhren, optische Instrumente. Diese folgen logischen,

rationalen Kausalitäten – dem klassichen Ursache Wirkungspronzip.

Dem gegenüber weisen lebendige Systeme einen hohen Grad an

Komplexität auf, sie grenzen sich gegenüber der Umwelt relativ

autonom ab und ihre Dynamik, ihre Regeln und Strukturen sind von

außen nicht zu erkennen. Der Erläuterung der Besonderheiten von

sozialen Systemen werden wir im folgenden unsere Aufmerksamkeit

widmen, denn Teams in Organisationen sind im Verständis dieser

Systemkonzeption soziale Systeme. Auf eine ausführliche

Darstellung psychsicher Systeme möchten wir verzichten, da

Teammitglieder als Personen betrachtet werden, die eine bestimmte

Rolle und Funktion im Team und in der Organisation wahrnehmen.

Im weiteren verstehen wir unter „System“ soziale und phychische

Systeme, als lebendige, komplexe Einheiten, die entsprechend ihrer

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eigenen Sinnlogik operieren.

Systeme

biologische soziale psychische

Luhmann betrachtet Systeme als real existierend in einer realen

Welt. Systeme sind mehr als die Gesamtheit ihrer Teile. Alle Teile

sind miteinander verknüpft und voneinander abhängig, und das

Zusammenwirken aller Teile beeinflusst das Verhalten, die

Eigenschaften und Merkmale des Ganzen.

Für das Team B heißt das: das Team B existiert, die Teammitglieder

existieren, ebenso die Aufgaben und Ziele des Teams, die

Kompetenzen der Mitglieder, ihre räumliche Verortung im

Unternehmen und die bereitgestellten Ressourcen. All diese

Komponenten bilden in ihrem Zusammenwirken das Team B, das

sich von anderen Teams, Projektgruppen und Abteilungen im

Unternehmen unterscheidet. Systeme – wir verwenden den Begriff

bis auf weiteres für psychische und soziale Systeme gemeinsam und

werden ihn erst weiter unten differenzieren - konstituieren sich durch

Autopoietische Organismen

Personen, Individuen

Interaktionssysteme (Teams), Organisationen, Funktionssysteme (Wirtschaft, Politik, Recht..), Weltgesellschaft als Gesamt aller sozialen Systeme in einer Gesellschaft

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Abgrenzung zur Umwelt. Ein System ist Differenz zur Umwelt. Nur so

ist ein System zu identifizieren, denn Systeme gibt es nur, weil es

eine Umwelt gibt, von der sich das System unterscheidet. Die

Leitdifferenz von System und Umwelt beschreibt Luhmann in

Abgrenzung zum traditionellen Systemverständnis, in dem der Blick

auf das Systeminnere konzentriert ist, über die Systemgrenze:

„Danach besteht ein differenziertes System nicht mehr einfach

aus einer gewissen Zahl von Teilen und Beziehungen zwischen

den Teilen; es besteht vielmehr aus einer mehr oder weniger

großen Zahl von operativ verwendbaren System/Umwelt-

Differenzen, die jeweils an verschiedenen Schnittstellen das

Gesamtsystem als Einheit von Teilsystemen und Umwelt

rekonstruieren“. (Luhmann, 1984,22).

Folglich kann ein System sich selbst nur erkennen und von der

Umwelt als solches erkannt werden in der Einheit der Differenz von

System und Umwelt. Umwelt gibt es nur durch das System und „Die

Umwelt ist einfach `alles andere´“. (Luhmann, 1984, 249) Das Team

B empfindet ein Zusammengehörigkeitsgefühl (WIR-Gefühl) über die

Spezifik der Aufgabenstellung, der Arbeitsweise der Teammitglieder,

der Art und Weise wie miteinander kommuniziert wird, über Rituale,

Normen und Werte, über die zeitliche Dauer, seine Geschichte usw.

Diese Eigenschaften können aber nur als die zu diesem Team

gehörigen identifiziert werden, weil es andere Teams im

Unternehmen gibt, in denen es anderes läuft. Heißt, die Analyse geht

nicht vom System aus, sondern vom Verhältnis zur Umwelt. „Alles

was vorkommt, ist immer zugleich zugehörig zu einem System (oder

zu mehreren Systemen) und zugehörig zur Umwelt anderer

Systeme“. (Luhmann, 1984, 243). Um unterscheidbar zu sein braucht

ein System Grenzen zur Umwelt. So grenzt sich unser Team

gegenüber dem Führungsteam, der Personalbteilung, dem

Küchenpersonal der Kantine durch seine spezifische Art des

Zusammenwirkens ab. Wenn die Bestimmung eines Systems nur im

Differenzverhältnis zur Umwelt möglich ist, stellt sich die Frage

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welche Systeme der Umwelt relevant für die Unterscheidung sind

und welche nicht. Jedes System hat seine eigene relevante Umwelt,

auf das es sich operational im kommunikativen Austausch bezieht

und worüber es seine Systemgrenzen definiert. Es sind die

Umweltausschnitte, die systemfunktional Sinn machen, sprich der

Eigenkonstruktion des Systems entsprechen. Das zuständige

Führungsteam, bestimmte Projektgruppen und Abteilungen mit

denen das Team B zusammenarbeitet, die Geschäftsleitung,

Kundenverhalten und der Markt könnten als wichtige Systeme

beschrieben werden, während eine politische Partei oder ein

Fußballverein keine relevanten Ausschnitte darstellt. Es sei denn das

Unternehmen sponsert einen bestimmten Fußballverein.

Wir können festhalten: Umwelt ist für Systeme konstitutiv zur

Ausbildung und Erhaltung der eigenen Systemstabilität und Identität.

Ohne Umwelt gäbe es keine Systeme und keine Unterscheidung,

alles in der Welt wäre gleich. Jedes System zieht Grenzen zu seiner

Umwelt.

Konsequenzen für den Berater als Beobachter von Systemen ist

und seinen relevanten Umwelten:

eine deutliche Unterscheidung zwischen Team, Führung,

anderen Schnittstellen im Unternehmen zu treffen und diese

zu beschreiben. Ein kurzes Beispiel mag das erläutern: Ein

Team hat einen neunen Chef bekommen, den die

Teammitglieder nicht akzeptieren, sie stehen nach wie vor in

großer Loyalität zu ihrem alten Chef, der in eine andere

Abteilung gewechselt hat. Bei Fragen und Entscheidungen

wendet sich das Team nach wie vor an den alten Chef mit

dem Ergebnis, dass der neue Führungskraft sich isoliert fühlt

und keinen Kontakt zum Team findet. Der Berater erhält vom

neuen Chef den Auftrag eine Teamentwicklung

durchzuführen, in der Hoffnung danach vom Team in seiner

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Führungsrolle anerkannt zu werden. Die Systemgrenzen

verlaufen zum einem innerhalb des Teams, neuer Chef und

Team und alter Chef und Team.

Der Berater ist aufgefordert die grundsätzliche Differenz

zwischen sich und dem Klientensystem zu akzeptieren, denn

externe Beratung ist Teil der Umwelt des Teams (und

umgekehrt) und damit die konstitutive Voraussetzung für

jeden professionellen Interventionsprozess. Denn würden die

Systemgrenzen zwischen Berater und Teamsystem

überschritten, würde der Berater Teil des Systems und „Die

Beratung wäre zu Ende“. (Kühl, S., 2001, 224).

Differenzsensibilität (Kleve, 2003, 36 ff): das meint die

Beobachtung von Unterschieden im Team, wie es tatsächlich

ist und wie es sein sollte. Um solche Differenzen zu

beobachten orientiert sich der Berater an den

unterschiedlichen Sinnkriterien (wir werden diese weiter unten

ausführlich behandeln) des Teams, im Team und in der

relevanten Umwelt zum Team, bspw. der Führung. Und er

orientiert sich an seinen eigenen Sinnkriterien, an den

Vorstellungen von einem „gut funktionierenden Team“, an

aktuell diskutierten und präferierten Managementmodellen, an

seinen Werten und seinem professionellen Erfahrungswissen.

Der Berater greift die Themen auf, die als problematisch

bewertet werden, oder die er als problematisch betrachtet und

wählt Interventionsmöglichkeiten zur Lösung aus.

Differenzminimierung: die Beraterauswahl von

Lösungsvorschlägen stellen in Aussicht die Differenz zwischen

Ist und Sollzustand zu verringern. Indem der Berater dem

Team, der Führungskraft einen Vorschlag macht, wie mit der

Behebung des Problems begonnen werden kann minimiert er

die Kontingenzen (Fülle an Möglichkeiten) auf ein

überschaubares Maß und erzeugt Vertrauen beim

Auftraggeber.

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Differenzakzeptanz: meint, dass der Berater die Unterschiede

zwischen den einzelnen Vorstellungen wie etwas ist, bzw. sein

sollte akzeptiert, sie nicht auf ein egales Niveau niveliert und

diese Unterschiede fruchtbar macht für den

Veränderungsprozess.

Differenzmaximierung: Wenn beraterische Kommunikation

erfolgreich sein soll, dann schafft sie ein Mehr an Differenz

hinsichtlich kognitiver Einsichten (Kleve, H. 2003, 50) und

potentiellen Verhaltensalternativen. Durch die

Fremdbeobachtung und Beschreibung des Beraters, werden

dem Team neue Informationen angeboten, die Unterschiede

zu den bisherigen Erfahrungen im Team darstellen und in der

Konsequenz zu Unterschieden im Denken- und Handeln

führen können. Ziel ist es eingefahrene, eher

problemstabilisierende Sichtweisen zu reflektieren und durch

alternative Perspektiven zu ergänzen, Situationen

umzudeuten und neu zu bewerten. Systemische

Verfahrensweisen, diesen Prozess anzuregen und zu

unterstützen sind: zirkuläres Fragen, Runden und Refraiming.

(siehe Praxisteil).

Funktion von Systemen „Die Umwelt enthält eine Vielzahl von mehr oder weniger komplexen

Systemen, die sich mit dem System, für das sie Umwelt sind, in

Verbindung setzen können. Denn für die Systeme in der Umwelt des

Systems ist das System selbst Teil ihrer Umwelt....“. Und es ist

anzunehmen, „dass die Umwelt immer sehr viel komplexer ist als das

System selbst“. (Luhmann, 1984, 249). Das Team B als ein

organisiertes Interaktionssystem (Systemebenen) weist einen

deutlich geringeren Komplexitätsgrad auf als z.B. die Abteilung

Vertrieb, als das ganze Unternehmen, als das System Wirtschaft, als

die Börse in Tokio oder der Welthandel.

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Luhmann beschreibt die Funktion von Systemen als Komplexitäts-

reduktion. Komplexität ist ein Merkmal moderner Gesellschaften, in

denen „viele soziale Verhältnisse nicht mehr einfach und

überschaubar sind, sondern vielschichtig und verwickelt geworden

sind“. (Willke, 2000, 18). Komplexität bezeichnet Vernetzung und

Unüberschaubarkeit mit ihrer Überfülle an Möglichem. Bspw. die

Vielzahl der Anbieter auf dem Automobilmarkt, die

Ausdifferenzierung des Bildungsniveaus, die Mobilität, die

Verfechtungen in Wirtschaft und Politik etc. Um Handeln zu können,

Orientierung und Sinn zu finden muss die Komplexität auf ein

überschaubares und handhabbares Maß beschränkt werden.

Schließlich kann nicht alles ausgewählt und gleichzeitig getan

werden, daher sind Systeme gezwungen Teile der Außenwelt nicht

wahrzunehmen, um sich als System zu erhalten. Institutionen,

moralische und religiöse Deutungsmuster, Normen und Rollen

übernehmen diese Funktion der Komplexitätsreduktion, indem sie

aus der Fülle potentieller Möglichkeiten auswählen und auf dieses

Weise soziale Ordnung ermöglichen. So wird ein Wohlfahrtsverband

die Entwicklungen der Mode- und Filmbranche wenig interessieren,

hingegen die aktuellen sozialpolitischen Tendenzen schon. Nach

Luhmann sind Organisationen „organisierte Komplexität“, oder wie

Willke es nennt: „geordnete Komplexiät“, denn „Nur Komplexität kann

Komplexität reduzieren“. (Luhmann, 1984, 49). Organisationen

beziehen sich auf ihre Umwelt indem sie eine immer höheres

Emergenzniveau ausbilden. SIEMENS, zu Zeiten seiner Gründung

auf den deutschen Markt beschränkt ist heute ein Weltkonzern mit

Niederlassungen in der ganzen Welt, mit hoher arbeitsteiliger

Spezialisierung, mit einer Produktpalette, die von Aktien über Handys

bis hin zu Magnetbahnen reicht. Oder stellen wir uns den PC

Hersteller Apple vor, alles begann in einer kleinen Garage und

entwicklete in recht kurzer Zeit zu einem weltweit anerkannten

Computer- und Software Unternehmen. Dieser Expansionsprozess

stellt eine Anpassung an komplexe und relevante Umwelten dar, den

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Markt, mit dem Ziel der Gewinnerwirtschaftung. Unternehmen

versuchen auf die zunehmende Komplexität der Umwelt

(Konkurrenten am Markt, verändertes Kundenverhalten,

Finanzmarkt) durch permanente, strukturelle Binnendifferenzierung

zu reagieren, also die Erhöhung der Unternehmenskomplexität. Die

Ausbildung von Hierarchien, Entscheidungswegen, in Form von

Abteilungen, Projektgruppen, Teams als Teilsysteme des

Unternehmen übernehmen die Funktion die der

Komplexitätsreduktion der Umwelt. Auf diese Weise entsteht durch

die Komplexitätsreduktion der Umwelt eine immer größere

Komplexität an arbeitsteiliger Spezialisierung und

Entscheidungsabläufen. Je größer ein Unternehmen, eine

Organisation oder eine Verwaltung ist, je höher ist der Grad interner

Komplexität, der Kommunikationswege und Handlungsmöglichkeiten.

Die Begriffe Komplexität und Kontingenz sind zentral in der

Luhmannschen Systemtheorie. Sie verweisen auf Wahrnehmung

und Handeln, mithin auf die Existenz eines Systems. Komplexität

meint sowohl die tatsächlichen Handlungen und Entscheidungen als

auch die, die möglich wären. Heißt: Komplexität erzeugt Kontingenz,

die Unmöglichkeit alles zu erfassen und wahrzunehmen was möglich

ist und möglich gewesen wäre.

„ Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich

ist; was also so , wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber

auch anderes möglich ist.“ (Luhmann, 1984,152).

Jede Entscheidung im Sinne einer Auswahl von Alternativen ist

immer verbunden mit Ungewissheiten und Unwägbarkeiten, denn

Systeme und ihre Akteure können nur den Teil wahrnehmen, der

systemfunktional relevant erscheint. Systeme finden ihre innere

Struktur, indem sie nur bestimmte Informationen aufnehmen, sich auf

ausgewählte Handlungsmöglichkeiten konzentrieren (Arbeitsauftrag

des Teams) und andere ausschließen (z. B. Fußballspielen).

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Nehmen wir an das Team B braucht einen neuen MitarbeiterIn. Es

stehen drei Fachkräfte zur Auswahl. Auch eine noch so sorgfältige

Abklärung im Vorfeld bedeutet ein Sicheinlassen auf Risiken und die

Gefahr der Enttäuschung. Nebenwirkungen sind nicht in der

Packungsbeilage nachzulesen, vielmehr verhält es sich wie mit dem

Zauberlehrling, der die Besen nicht mehr anhalten kann, die er einst

gerufen hat.

Doppelt kontingent wird die Lage zudem, weil das Team andere

Wahrnehmungen und Deutungen hat als die Bewerber, und keiner

sicher sein kann, ob das was beabsichtigt ist, vom anderen auch so

vom anderen interpretiert wird. Im Wissen um diese möglichen

„Missverständnisse“ wählen sowohl das Team als auch die Bewerber

bestimmte Fragen und Antworten aus, von denen sie annehmen,

dass sie auch von der anderen Seite ausgewählt werden. Die

Beobachtung der eigenen Beobachtung führt dazu, dass jeder (das

Team und die Bewerber) in seinem Handeln das vermutete Handeln

des anderen berücksichtigen muss und seine Handlungen darauf

ausrichtet. Beide System stehen einander als „Black box“ gegenüber,

keiner ist für den anderen durchschaubar und kalkulierbar, und

dennoch gibt es die Unterstellung gegenseitiger Beeinflussung. Das

Beispiel lässt sich ebenso für den Berater formulieren.

Komplexität und Kontingenz sind von eminenter Bedeutung

für jede Beratungstätigkeit, die auf Veränderungen hinwirken

soll. Die Chance Systeme und ihre Akteure durch

Außeneinwirkung zu beeinflussen relativiert sich Angesicht

kontingenter Folgewirkungen die mitzudenken, aber nicht

vorhersehbar sind. Das Wissen um Kontingenzen reduziert

die Idee der Machbarkeit und Steuerbarkeit von Menschen in

Organisationen und von Teams. Je mehr ein Berater sein

Denken in Richtung Relationen und Wechselwirkungen lenkt,

desto eher besteht die Chance zu verstehen, wie das „System

tickt“ (Willke) bzw. funktioniert, wie regelabhängig und

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Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann

strukturgebunden das Denken und Handeln der

Teammitglieder und der Führungskräfte im Unternehmen ist.

(Sagebiel, 2003, 12). Erst vor diesem Hintergrund lassen sich

einige der möglichen Folgewirkungen antizipieren und

Lösungsvorschläge formulieren.

Die Steuerung von komplexen Organisationen und ihren

Teilsystemen, als sich selbst organisierende Einheiten kann

nur gelingen wenn Anschlussfähigkeit hergestellt wird

zwischen den unterschiedlichen Denkweisen, Problemsichten

und Interessenlagen. Von daher kommt dem Berater Aufgabe

zu die autonomen Systeme Führung und Team darin zu

unterstützen ihre Anliegen und Problem so zu beschreiben,

dass sie vom anderen System wahrgenommen werden

können.

Beratung ist eine Kompensationsform zur

komplexitätsreduktion und Kontingenzkontrolle in

Organisationen und Teams. Das Team wird entlastet sich für

eine Möglichkeit zu entscheiden, indem die Auswahl der

Selktion nach außen auf den Expertenstatus des Berateres

verlegt wird. Un die Paradoxie ist, eine wirkungsvolle

Komplexitätsreduktion durch professionelle Beratung erzeugt

gleichzeitig wirkungsvoll eine Komplexitätssteigerung im

System. (Geißler, K.A., Orthey, F-M., 1998, 68).

Sinn als Operationsmodus zur Komplexitätsreduktion „Sinn ist ein Operationsmodus spezifischer Systeme, nämlich des

Bewusstseins und des Gesellschaftssystems, und kommt außerhalb

dieser Systeme..... nicht vor“. (Luhmann WG, 1990, 306). Luhmann

grenzt Sinn als zentrale Kategorie zur Erfassung und Reproduktion

von Komplexität auf die sinnkonstruierenden psychischen (Personen)

und sozialen Systeme (z.B. Organisationen) ein. Beide

kommunizieren und beobachten sich selbst und die Umwelt bezogen

auf ihren jeweils spezifischen Sinn. Das meint Systeme

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Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann

unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Sinnkonstruktion – das System

Wirtschaft hat den Sinn materieller Reproduktion und Unternehmen

haben den Sinn Geld zu verdienen und wettbewerbsfähig zu bleiben,

das System Politik hat den Sinn kollektiv bindende Entscheidungen

herbeizuführen und eine Partei möglichst viele Wähler zu binden.

Aber in der Art, dass alle psychischen und soziale Systeme Sinn

erzeugen und daran ihre Handlungen und Entscheidungen

ausrichten darin gleichen sie sich. Eine der typischen Paradoxien mit

denen Luhmann gern arbeitet. Systeme unterscheiden sich und sie

unterscheiden sich nicht. Denn über die Kategorie Sinn (späterhin

werden wir sehen auch über Autopoiesis und Kommunikation) kann

Verschiedenartiges als vergleichbar erfasst werden.

Sinn ist in diesem Kontext nicht zu verstehen als moralische oder

ästhetische Kategorie, oder als ein gesellschaftsübergreifendes,

verbindliches Wertesystem wie es die christlichen Kirchen gern

sehen würde. Vielmehr ist Sinn im soziologischen Verständnis als

funktionale Kategorie zu sehen, als die Ziele und den Zweck, die

Funktion ein System verfolgt. Sinn in dieser funktionalen Bedeutung

für Systeme heißt, dass alle Handlungen eines Systems nur der

eigenen Sinnlogik entsprechen können, keiner anderen, sonst würde

das System nicht existieren. „Ohne Sinn würde die Gesellschaft ,

würde jedes Sozialsystem schlicht aufhören zu existieren“.

(Luhmann, 1984,587). Ein kleines Beispiel aus dem Alltagsleben

mag das verdeutlichen: Der Sinnkontext eines sonntäglichen

Familientreffens ist die Begegnung der Familienmitglieder und

Bestätigung bekannter Gewissheiten übereinander. Spricht jemand

ein Thema an, dass in der Familie tabuisiert ist, oder verletzt durch

sein Verhalten bestimmte Regeln, besteht die Gefahr, dass sich das

System auflöst. Eine solche Situation wurde sehr anschaulich in dem

Film „Das Fest“ gezeigt. Ein System reproduziert sich über eine

bestimmte Auswahl an Themen, über einen gewissen Zeithorizont

und über die Zugehörigkeit der Mitglieder.

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Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann

Sinn hat auch nichts mit falsch oder richtig zu tun, ist doch der Sinn

einer Handlung auf das System und dessen Funktion bezogen. Da

ein System nur die anteile der Umwelt wahrnehmen und auf sie

reagieren kann, die der eigenen Sinnlogik entsprechen, verursacht

das System durch sein Handeln Nebenfolgen, die andere Systeme

nach ihrer Sinnlogik bearbeiten müssen. Wenn es für das

Unternehmen XL sinnvoll wird aufgrund fallender Aktienkurse

Mitarbeiter zu entlassen, folgt diese Entscheidung dem Sinn und

Zweck des Systems. Für die Konsequenzen, steigende

Arbeitslosigkeit in de betroffenen Region sind dann andere Systeme

wie: Arbeitsverwaltung, Soziale Arbeit, Krankenkassen und

Rentenversicherungen zuständig. Wenn im Amazonas Regenwald

abgeholzt wird, sind diese Handlungen dem System Wirtschaft

zuzuschreiben und die Folgen dem System Umweltschutz und

Politik. Es geht bei jeder Entscheidung und Handlung immer nur um

Systemlogik nicht um Moral!

Über Sinndimensionen markieren Systeme ihre Grenzen nach

außen, differenzieren zwischen bedeutsamen und nicht

bedeutsamen Umweltereignissen, operieren mit spezifischen

Kommunikationsmedien und Entscheidungsprogramme und

unterscheiden sich in der:

• Zeitlichen Dimension: Zuordnung nach früher/später,

Vergangenheit/Zukunft

• Sachlichen Dimension: Unterscheidung nach innen/außen,

was dazugehört, was nicht, welche Themen aktuell sind,

welche nicht.

• Sozialen Dimension: Unterscheidung zwischen Eigen- und

Fremdperspektive (Alter, Ego), Mitgliedschaft, Nicht

Mitgliedschaft, Zugehörigkeit/Ausschluss

• Sozial- und Bewusstseinsysteme konstruieren sich auf der Basis von Sinn. Der Sinn von

psychischen und sozialen Systemen ist die Komplexitätsreduktion der Umwelt, um die Vielfalt

auf ein überschaubares Maß zu verringern, denn wie schon oben erwähnt, kann ein System

nicht alle Umweltinformationen verarbeiten. Wohin im Text ?

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Schließen wir wieder an das Problem der Komplexität an: „Die

Besonderheit sozialer Systeme besteht darin, dass diese sich in der

Form von Sinn an Komplexität orientieren (...). Das bedeutet, dass

die Differenz von Umwelt und System ausschließlich durch

Sinngrenzen vermittelt wird.“ (Luhmann, 1984, 265). Die Welt ist

endlos offen für immer wieder neue Sinnkonstruktionen, die von

Systemen abgelehnt oder angenommen werden können. Unser

Erleben ist durch eine Überfülle an Möglichem gekennzeichnet, doch

wir müssen uns entscheiden, was wir auswählen, was wir uns als

Option für später offenlassen, oder was wir ablehnen. Um das zu

bewerkstelligen rekurrieren wir bei der Wahl des Passenden auf das,

was Sinn macht. Sinn ist quasi ein Steuerungsprogramm für unser

Erleben und Handeln. Gleiches gilt auch für soziale Systeme: ein

Team wird nur die Inhalte bearbeiteten, die für das Team in der

jeweiligen Situation sinnvoll erscheinen, nicht die, die von einer

anderen Gruppe im Unternehmen bearbeitet werden. Das heißt

nicht, dass das für immer so sein wird. Wenn Veränderungen greifen

und das Team sich neu organisieren muss, können möglicherweise

veränderte Sinnkriterien dazu führen vormals nicht sinnvolle

Tätigkeiten später als sinnvolle zu bewerten. Sinn enthält immer zwei

Seiten, einen aktuellen Sinn und einen potentiellen Sinn, die

Differenz von Aktualität und Möglichkeit. Was für ein Team heute

nicht vorstellbar ist, z.B. eine Feedbackkultur einzuführen, „man kann

doch nicht Frau Meier sagen, dass sie .....“ kann nach einer

Teamentwicklung sinnvoll erscheinen und in die Kultur des Teams

als dessen Bestandteil integriert werden. Aktuell kann es für ein

Unternehmen Sinn machen ältere Mitarbeiterinnen zu entlassen,

potentiell könnte es Sinn machen ältere und erfahrene

Mitarbeiterinnen einzustellen, wenn sich herausstellt, dass zu wenig

jüngere, qualifizierte Fachkräfte verfügbar sind.

Wie aber entsteht Sinn? Entsprechend der Verknüpfung von

Systemtheorie und Konstruktivismus, die Luhmann vornimmt, sind

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System real in einer wirklich existierenden Welt, aber die Bilder, die

Systeme durch ihre Beobachtungen produzieren beziehen sich

immer auf ihre eigenes Sinnsystem. Sinn ist nicht in der Welt,

sondern meint die Bedeutung, die etwas für einen Beobachter hat. In

der Anfangsphase von Teamentwicklungsprozessen kann der

Berater die Mitglieder darin unterstützen ihr Selbstverständnis

anhand von Kriterien zu beschreiben, die im Team als sinnvoll

erachtet werden. Diese können sich auf Arbeitsformen, Regeln,

Werte, Deutungsmuster, Routinen, Auschlußfaktoren etc. beziehen

(siehe Praxisteil: Interviewfragen bei der Auftragsklärung und

Eingangsfragen bei der Teamentwicklung). All diese Sinnfaktoren

und Präferenzordnungen (was ist uns am meisten wichtig, was nicht

so sehr, was gar nicht) bilden im Gesamt die Identität des Teams.

Das Sinnlose wird vom Sinnvollen unterschieden, das was

Dazugehört von dem und was Nicht-Dazugehört. Die wechselseitige

Bedingtheit von Sinn und System dürfen wir in Anlehnung an Willke

wie folgt beschreiben: Systeme konstruieren sich über Sinn, sie

erzeugen kontinuierlich Sinn, indem sie sinnhaft operieren, und

werden erst durch nach außen abgrenzbare Sinnstrukturen als

System existent. (Willke, 2000, 48). Ein Team kann über einen

längeren Zeitraum gut funktionieren, heißt die Teammitglieder

erleben, handeln und entscheiden in einer Weise, analog den

Sinnkriterien des Teams. Zur Identitätsfrage, zum Konflikt kommt es

dann, wenn z. B. die vom Management einführten neuer Strukturen

von den MitarbieternInnen nicht nachvollzogen werden können, weil

sie für sie keinen Sinn ergeben, denn die Veränderungen sind

verbunden mit großen Unsicherheiten (Kontingenzen), die für sie

nicht einschätzbar sind. Die Konsequenz für das Team ist, das alte,

vertraute Selbstverständnis umdefinieren und sich den neuen

Strukturen anzupassen. Gelingt dieser Prozess, nehmen wir an mit

Hilfe des Beraters, findet das Team eine neue Basis und existiert

weiter, gelingt er nicht, droht die Auflösung (Praxisteil Beispiel X).

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Das Theorem Sinn auf die Beraterpraxis transferiert: Beratung

von Teams in Organisationen kann nur gelingen, wenn es

dem Berater gelingt die Sinnkategorien eines Systems zu

beobachten und zu beschreiben, so wie es für das System

Sinn macht. Wenn es ihm gelingt Alternativen aufzuzeigen die

anschlussfähig sind an den Sinn des Systems.

Der Berater reduziert die Fülle möglicher Kontingenzen für

das Team, indem er zur Bearbeitung der als problematisch

betrachteten Sachverhalte eine Struktur, verbindliche Regeln

und die Reihenfolge der Themenbearbeitung vorgibt. Er

übernimmt für den Ausschnitt seines Auftrages die Führung.

Die Kriterien zur Komplexitäts- und Kontingenzreduktion

orientieren sich zum einen an den Sinnkriterien des Beraters.

Er entscheidet auf der Folie seines Wissens, seiner

Erfahrungen, Intuition, und seines Interventionsrepertoires

welche Lösungsschritte er auswählt, wie er diese begründet

und welche er dem Team vorschlagen kann. Seine Wahl

muss zur Sinnkonstruktion des Teams in der Organisation

passen, denn sonst kann das Team seinen Vorschlag nicht

annehmen. Der Berater reflektiert seine

Interventionsentscheidung entlang der Differenz der

Sinndimensionen seines kognitiven Systems und des

Teamsystems.

Autopoiesis und Selbstreferenzialität: das System als Selbstversorger Systeme entstehen im Prozess der Ausdifferenzierung von anderen

Systemen indem sie sich auf sich selbst beziehen, sich selbst

organisieren. Soziale und pysichische Systeme werden von

Luhmann, der das Konzept der Autopoiese von den Biologen

Maturana und Varela auf soziale Systeme transferiert hat, als

selbstreferenziell Systeme beschrieben. Alle Zustände, die ein

System annimmt, alle Operationen (Beobachtungen,

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Unterscheidungen, Beschreibungen, Kommunikationen,

Handlungen) die ein System durchführt sind nur durch es selbst

bestimmt, denn sie beziehen sich nur auf das eigene System. Wenn

eine Behörde neue Abteilungen und Sturkuren aufbaut, wie aktuell

bei der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu

beobachten, dann referiert dieser Prozess immer auf die eigene

Systemlogik. Und das Ergebnis der ersten Umstrukturierung wird zur

Grundlage der zweiten Operation – Ausbildung neuer Abteilungen,

und die dritte Operation zieht die vierte nach sich u.s.w. Systeme

organisieren sich selbst, indem sie sich selbst beobachten

generieren sie sich aus sich selbst heraus, sie reorganisieren und

reproduzieren sich selbst. So werden durch interne Prozesse

diejenigen Eigenschaften und Strukturen erzeugt, die dem Zweck,

und damit für die Erhaltung des Systems notwendig sind. (Miller.T.,

1999, 53).

„Die Theorie selbstreferenzieller Systeme behauptet, dass eine

Ausdifferenzierung von Systemen nur durch Selbstreferenz zustande

kommen kann, das heißt dadurch, da´ß die Systeme in der

Konstitution ihrer Elemente und ihrer elementaren Operationen auf

sich selbst (...) Bezug nehmen. (Luhmann, 1984, 25). Wir dürfen

festhalten: alle Aktivitäten eines Systems finden in den Grenzen und

der Sinnlogik des Systems statt und sie ziehen damit ihre jeweils

spezifischen Grenzen zur Umwelt. Diese Eigenschaft von System hat

den operativer Geschlossenheit. Doch alle selbstreferenziellen

Systeme müssen sich auch gegenüber der Umwelt öffnen, um

existieren zu können. Sie besitzen gleichzeitig eine Umweltoffenheit

über die sie den Kontakt zur Umwelt, quasi als Energieaustausch

steuern, denn Systeme existieren nur, wie wir es schon oben

beschrieben haben, weil es eine Umwelt gibt, von der sich die

Systeme unterscheiden. Sie sind also nicht autark, sondern Systeme

operieren, indem sie sich auf die Umwelt beziehen, und damit auf

sich selbst. Nehmen wir noch mal das Beispiel der Sozialverwaltung.

Sie steht von den Umweltanforderungen den politischen Willen

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umzusetzen, ihre Dienstleistungsangebote mit denen der

Arbeitsverwaltung zu koordinieren. Ihre Autonomie besteht darin sich

von anderen Verwaltungen wie der Finanzverwaltung zu

unterscheiden und die Umstrukturierung nach ihrer eigener

Systemlogik und ihren strukturellen Möglichkeiten und Strategien zu

gestalten, und ihre Abhängigkeit besteht in der Notwendigkeit auf

diese relevanten Umwelteinflüsse zu reagieren.

Die operative Geschlossenheit eines autopoietischen Systems

bezieht sich nur auf die basale Zirkularität der Selbststeuerung der

eigenen Reproduktion, jedoch bezüglich der Aufnahme von Energie

und Informationen (Verarbeitung von bedeutsamen Differenzen) ist

es durchaus und notwendigerweise offen. (Willke, 2000, 59). Jedes

System „spielt nur seine eigene Melodie und kann nur seine eigene

Musik hören“ (Willke 1992a, 305 in Zirkuläre Positionen), wenn es

Jazz spielt kann es nicht Klassik hören. Wie treten nun Systeme in

Kontakt mit der Umwelt, denn ein gleichzeitiges Verstehen von

verschiedenen Systemen kann erst einmal ausgeschlossen werden.

Die verschiedenen Melodien müssen codiert werden, damit

Kommunikation entsteht. So kann der Berater dem Team Lösungen

anbieten, die er aufgrund seiner Selbstreferenzialität für geeignet

hält, aber das Team reagiert mit Widerständen, es kann nicht hören

was der Berater meint, denn dessen Informationen sind nicht

anschlussfähig für das System Team. Jedoch wenn der Berater sich

in die Beobachterrolle begibt und dem Team seine Beobachtungen

über das Teamverhalten spiegelt, und seine Lösungsvorschläge

zurückhält, besteht die Chance, dass das Team seine Informationen

verarbeiten kann, die die weitere Selbstreproduktion des Systems

ermöglichen. „Die Wirklichkeit wird also nicht durch eine allgemeine

Logik, sondern durch ... systemimmanente Logiken bestimmt. (Miller,

T. 1999, 54). Oder um mit Luhmann zu sprechen: „Man kann sie als

Systeme nur beobachten und beschreiben, wenn man dem

Umstande Rechnung trägt, dass sie mit jeder Operation sich auch

auf sich selbst beziehen“. (Luhmann, 1984, 593).

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Jedes System, unabhängig seines Komplexitätsniveaus, bildet

eigenspezifische Semantiken heraus, die die eigenen Operationen

bezeichnen, wie auch eine Unterscheidung zu anderen

Systemsemantiken. Jeder spricht seine eigene Sprache, in dem

Sinn, man spricht dieselbe Sprache und versteht sich. Deutlich

wurde das beispielsweise nach dem Fall der Mauer als die Auflösung

der DDR bevorstand. Es wurden Westberater zu Rate gezogen

Institute, Betriebe, Kollektive darin zu unterstützen sich für den

westlichen Markt fit zu machen. Ein mühsamer Beratungsprozess,

nicht nur dass die Auflösung der meisten Betriebe bevorstand

(feindliche Übernahme des Westens), auch die Kommunikation

gestaltete sich höchst schwierig, denn die westdeutschen

Wortbedeutungen unterschieden sich krass vom ostdeutschen

Verständnis. Die Systeme tickten völlig unterschiedlich. Die

semantische Codierung und die Kontextsignale waren für die Berater

(die sicher mit den besten Absichten ihre Arbeit taten) schwer

zugänglich. Ein Berater, der in ein Unternehmen kommt, muss diese

semantischen Codes und die Kontextsignale verstehen lernen, will er

vom System verstanden werden.

An dieser Stelle dürfen wir einen Blick auf Kommunikation werfen

und uns fragen, wie ist Kommunikation und Verstehen von

unterschiedlichen selbstreferenziellen Systemen (psychischen und

sozialen) überhaupt möglich ist. Eigentlich ist sie gar nicht möglich.

Dem Grunde nach, so Luhmann ( Luhmann, 2001, 78 f) ist:

• Kommunikation unwahrscheinlich,

• es ist unwahrscheinlich, dass einer überhaupt versteht, was

der andere meint,

• es ist unwahrscheinlich, dass eine Kommunikation mehr

Personen erreicht, als in einer konkreten Situation anwesend

sind,

• und selbst wenn die Kommunikation verstanden wird, ist noch

nicht gesichert, dass sie angenommen wird, sprich dass sie

erfolgreich ist.

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Doch soziale Systeme bestehen aus Kommunikation, sie ist die

notwendige Voraussetzung für ihre Existenz. „Ohne Kommunikation

gibt es keine menschlichen Beziehungen, ja kein menschliches

Leben.“(Luhmann, 2001, 76). Und so beobachten wir es immerfort im

Alltag, die Kommunikation läuft, auf Kommunikation folgt

Kommunikation. Kommunikation zwischen Menschen, Teams,

Unternehmen, Parteien, Nationen setzt ein wechselseitiges

Verstehen voraus. Eine Information ist erst dann für ein System

relevant, wenn es auf der Basis seiner Selbstreferenzialität (Willke

nennt es die Tiefenstruktur der Selbststeuerung) entscheidet, ob eine

Information relevant ist, oder nicht. Ist sie bedeutsam, wird sie als

Mitteilung gedeutet und verstanden. Erst durch das Erfassen der

Differenz von Information und Mitteilung entsteht Verstehen. Und nur

wenn das System die Mitteilung verstanden hat kann die

Kommunikation fortgesetzt werden. Ein Team, gebunden an seine

innere Operationsweise, entwickelt eigenen Präfenz- und

Selektionskriterien nach denen es kommuniziert. Ob es dabei von

anderen verstanden wird, stellt ein permanentes Risiko dar. Folglich

müssen Systeme ihre Kommunikationsangebote so gestalten, dass

ein möglichst großes Verstehen erfolgt, denn vom Erfolg der

Kommunikation hängt die Fortsetzung der Kommunikation ab und

davon wiederum die Existenz des Systems. Wenn Ehepartner sich

nicht mehr verstehen, also nicht mehr erfolgreich miteinander

kommunizieren, dann ist das soziale System Ehe bedroht. Da soziale

Systeme sich über Kommunikation reproduzieren nach innen und

außen bedeutet ein Wegfall derselben das Ende des Systems, im

obrigen Beispiel die Trennung oder Scheidung. Wenn ein

Unternehmen Informationen nach der Präferenz Traditionserhalt

unterscheidet, besteht die Gefahr, dass es an Wettbewerbsfähigkeit

verliert und vom Markt verschwindet, oder von anderen

Unternehmen der Branche aufgekauft wird. Miller (1999, 54f) zeigt

dies anschaulich an einem Beispiel eines Teams: Ein Team besteht

aus unterschiedlichen Rollenträgern, z. b. Leistungsrollen, soziale

Rollen und kreative Rollen. Nehmen wir an unser Team B hat seine

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Arbeit primär auf Leistung ausgerichtet, dann ist anzunehmen, dass

der Präferenzcode des Teams im Sinne der Selbsterzeugung

„Leistung“ ist. Die Bewertung eines neuen Bewerbers wird sich aller

Wahrscheinlichkeit nach an diesem Wert orientieren, denn darüber

reproduziert sich das System Team. Doch es könnte auch anders

sein, denn Wirklichkeit ist kontingent. So bleibt es offen, ob das

Team sich gezielt für einen sozialen oder kreativen Rollenträger

entscheiden.

Das Beispiel zeigt, das Selbstreferenzialität autopoietischer Systeme

ist nicht ausschließlich an dem Erhalt des Status quo orientiert,

sondern es birgt auch die Annahme, dass Reproduktion und

Systemstabilisierung durch Veränderung möglich sind. (Miller, T.

1999, 55). Im Bereich der Wirtschaft und der Politik sind solche

Veränderungen tagtäglich zu beobachten: Unternehmen verflachen

ihre Hierarchien, fusionieren mit anderen Unternehmen,

Verwaltungen reorganisieren sich, bilden neue Teileinheiten aus,

Parteien formulieren ihre Grundsätze neu in Anpassung an aktuelle

politische Herausforderungen und Regierungen wechseln

Bündnispartner je nach politischer Wetterlage. Sie alle begründen die

veränderten Positionen und Entscheidungen so, dass sie der

Systemlogik entsprechen und die Reproduktion des Systems

sicherstellen. Die Veränderbarkeit von Systemen kann jedoch nicht

von außen gesteuert werden, sie steuern sich selbst.

Weiterentwicklung im Sinne von Veränderung geschieht nur nach

den systemeigenen Gesetzen. Sie sind nach dem Prinzip der

Autopoiesis nicht in der Lage zielgerichtete Lernprozesse zu

vollziehen, weil sie nur fähig sind auf Differenzen zwischen ihnen und

der Umwelt zu reagieren, in notorischer Kontingenz mit zeitlicher

Verzögerung. Erst wenn die Bundesregierung den deutschen

Unternehmen mit einer Ausbildungsabgabe droht, reagieren diese

mit der Bereitstellung von mehr Ausbildungsplätzen. Erst wenn das

Team Druck von der Führung, oder von der Geschäftsführung

bekommt, wird es sich einem Veränderungsprozess aussetzen. An

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dieser Stelle rückt die Frage ins Blickfeld: Wie aber lassen sich

Systeme nun steuern und wie kann ein Berater ein Team steuern,

wenn doch Steuerung von außen nicht möglich ist? Das System

verändert sich, nicht der Berater das System. Er kann dem Team nur

die Anregung zur Selbststeuerung und Selbstreflexivität, so dass es

sich auf einem höheren emergenten Niveau stabilisieren kann, ohne

seine Identität zu verlieren. Diese Qualitäten erreicht ein Berater

durch „Kunst der genauen Beobachtung“. (Willke, 1999,12f).

Aber im wissen um die Bedingungen der Selbstrefereferentialität Teams als organisierte Interaktionssysteme bilden Subsysteme in formalen Organisationen (Unternehmen, Verwaltungen, denen sie angehören). Die Kommunikationsmedien sind Sprache, Schrift und elektronische Medien. Die Funktionssysteme in der Gesellschaft wie Wirtschaft, Recht und Politik u.a. benutzen symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, über die sie die Verbindung zu anderen Systemen herstellen. Das System Wirtschaft kommuniziert über Geld, das System Recht über Gesetze, Politik über Macht etc. Diese Medien sind deutlich erfolgreicher, was die kommunikative Anschlussfähigkeit betrifft als z.B. Sprache, denn sie ist von der Anwesenheit von Personen abhängig, also zeitlich und räumlich begrenzt. Generalisierte Kommunikationsmedien sind Zeichen, die unabhängig von Situationen, von Betroffenen und deren Anwesenheit

gelten. Wenn Ja? Und wo?

Die Konzepte Selbstreferenz und operationale

Geschlossenheit bieten sich einer professionellen Beratung

als Verstehenshilfen und ein angemessenes Verständnis für

die vielschichtige Dynamik und eigensinnigen

Gesetzmäßigkeiten von Organisationen, deren Strukturen und

Teilsysteme an. Angemessen meint, die Analyse nicht auf

gesellschaftliche vorgegebene Strukturen, Gruppendynamik

oder Persönlichkeitsphänomene zu reduzieren. (Willke, 1999,

141).

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Teammitglieder sind Mitglieder der Organisation, des

Unternehmens, die in dieser Perspektive primär als

Rollenträger betrachtet werden, die nach den Regeln des

Systems, ihres Teams und der Organisation, arbeitsteilig

Erwartungen erfüllen. Der Blick des Beraters verdichtet sich

auf den Zweck, die Strukturen und die geltenden

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Systemregeln, die in den Rollen der Akteure sichtbar werden,

nicht auf die einzelnen Personen.

Wenn der exterene Berater die selbstbezogene Operations-

weise des Systems versteht, und in der Sprache des Systems

spricht, werden seine Informationen als Mitteilung verstanden

und er kann seine Interventionen entsprechend abstimmen,

ohne das Team in seiner Existenz zu gefährden. Doch er

muss wissen, dass für ihn als externen Beobachter die

Tiefenstruktur letztlich verborgen bleibt und er niemals

vorhersehen kann, wie das System auf seine Impulse

reagiert.

Auch der Berater als psychisches System operiert

selbstreferenziell und seine Tiefenstruktur ist für das soziale

System Team ebenso verborgen. Seine Beobachtungen

folgen seinem Referenzcode, der durchaus anders sein kann

als der des Teams. Professionell ist ein Berater dann, wenn

ihm seine Unterscheidungskriterien bewusst sind und er sie

dem Auftrag angemessen reflektieren kann.

Interventionsstrategien können nur dann Erfolge zeitigen,

wenn sie nicht dem Sinnsystem des Beraters folgen was in

dieser Situation richtig oder falsch wäre, sondern dem

Operationsmodus des Teams (bzw. der Organisation, denn

das Team spielt das Regelsystem der Organisation).

Beobachtung und Kommunikation – zwei Möglichkeiten des Umgangs mit grundlegenden Ungewissheiten. Professionelle Beratung bezieht sich vor allem auf die Kunst des

Beobachtens, die latenten Strukturen, Kommunikationsmuster und

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Regeln in Teams, die dem ersten Blick verborgen bleiben zu

erkennen. „Beobachtung ist die Feststellung eines bedeutsamen

Unterschiedes“ (Willke, 1999, 12), der im Hinblick auf

Veränderungen in Systemen bedeutsame Unterschiede bewirkt.

Professionelles Beobachten verlangt vom Berater zwei

Fähigkeiten:

• Überhaupt Unterschiede feststellen zu können

• Und aus diesen Unterschieden Bedeutungen abzuleiten,

die einen Unterschied machen „a difference, that makes a

difference“ (Willke, 1999, Baetson, 1983).

Ein Team lässt sich z.B. beobachten durch Fragetechniken. Die

gewonnenen Antworten bieten Informationen, die kombiniert zur

Hypothesenbildung führen wie die sichtbaren Handlungen und

Entscheidungen vor dem Hintergrund der spezifischen

Operationslogik des Teams zu verstehen sind, und was sie für die

Identität des Systems bedeuten.

Was ist Beobachtung in der Theorie selbstreferenzieller System?

Beobachten läßt nach Luhmann definieren als unterscheidendes

Bezeichnen, über das sich ein System steuert und reproduziert.

Die Operation des Beobachtens ist immer selbstreferenziell

fundiert, sie bezieht sich immer auf das System das beobachtet

nicht auf den Gegenstand, der beobachtet wird. „Man kann sie als

Systeme nur beobachten und beschreiben, wenn man dem

Umstand Rechnung trägt, daß sie mit jeder Operation sich auch

auf sich selbst beziehen“. (Luhmann, 1984, 593). Jede Selbst-

beobachtung und Selbstbeschreibung eines Systems folgt der

Leitdifferenz System/Umwelt (innen außen). „Die Umwelt ist für

das System der Gesamthorizont seiner fremdreferenziellen

Informationsverarbeitung.“ (Luhmann, 1990, 51). Jemand, der sich

für Sport interessiert, wird vielleicht die Beobachtung des

Fernsehprogramms an der Differenz Sportsendung/ Nicht-

Sprotsendung ausrichten. Vermutlich fallen damit andere zur

Auswahl stehenden Sendungen Krimi, Talkshow oder Musikstadl

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nicht in seine relevante Umweltbeobachtung. Aber genau ist das

nicht vorauszusagen, denn es könnte ja auch anders sein. Oder,

um auf unseren Realitätsauschnitt zu referieren: Das Team B

beobachtet sich in Abgrenzung zum Team K im Unternehmen

indem es sich selbst in Bezug auf das andere Team selbst

beobachtet: „Wir sind das Team B, wir sich hoch motiviert,

engagiert und arbeiten selbstverantwortlicher als die anderen“.

Und das Unternehmen XL beobachtet sich im Unterschied zur

Konkurrenz über seine Bilanzen und Geschäftsberichte. Es

beobachtet sich nicht Differenz zum Tabellenführer der Ersten

Bundesliga.

Ein System kann nur das sehen und beobachten, was es sehen

und beobachten kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen

kann, und es kann nicht sehen das es nicht sehen kann, was es

nicht sehen kann. (Luhmann, 1990, 52). Und es kann nur das

unterscheiden, was sich ihm als Umwelt präsentiert, alles andere

bleibt hinter dem Horizont verborgen. Zum einen verschließt sich

das System gegenüber der Umwelt (operative Geschlossenheit

selbstreferenzieller Systeme) zum anderen öffnet es sich über

Beobachtung gegenüber der Umwelt. Wir dürfen sagen, Systeme

beobachten sich selbst im Spiegel ihrer Umwelt, denn die Umwelt

ist konstitutiv für Systeme. Sie sind fähig sich selbst zu

beobachten, andere zu beobachten, wie diese sie beobachten und

sie sind in der Lage zu erkennen, dass ihre Beobachtung

strukturell beschränkt ist. Diese Begrenzungen kann das System

reflektieren, im Sinne von Lernprozessen, die Veränderungen im

System ermöglichen. Doch es bleiben immer Bereiche

ausgespart, für die das System blind ist: der blinde Fleck. Je

komplexer Systeme sind, je mehr ist ihre Fähigkeit entwickelt

diese Wahrnehmungsbeschränkungen aufzuspüren, und mit der

Entlarvung eines blinden Fleck entsteht sogleich ein neuer. Die

Jagd nach dem blinden Fleck gleicht dem Wettlauf von Hase und

Igel, der Igel (blinder Fleck) ist immer schon da. Organisationen

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wie Verwaltungen, Verbände, Unternehmen etc. verfügen über

Instanzen, die die Funktion haben, das System auf blinde Flecken

seiner Umweltbeobachtung aufmerksam zu machen: Supervision,

Klausurtagungen, Workshops, Teamentwicklungen etc. Auch

komplexe Funktionssysteme in der Gesellschaft verfügen über

blinde Flecken wie es aktuell im Politiksystems zu beobachten ist:

Die UNO, das „alte Europa“ und weltweite Proteste forderten nach

dem 11. September 2001 die Bushregierung immer wieder auf von

ihren kriegerischen Absichten gegen den Irak einzustellen und die

Krise auf diplomatischen Weg und völkerrechtlich abgesichert zu

regeln. Zum damaligen Zeitpunkt hatten diese Informationen, die

von der Regierung zwar beobachtet wurden, keinen bedeutsamen

Realitätswert, der die Entscheidungen des Systems beeinflusst

hätte. Heute hingegen, zwei Jahre nach dem Krieg und mit Blick

auf die bevorstehenden Wahlen in den USA, findt die Information

Völkerrecht (und Berichte über nicht vorhandene Vernichtungs-

waffen im Irak) Resonanz im System. Sie machen einen

bedeutsamen Unterschied und bewirken auf der Basis kritischer

Selbstreflexion andere Handlungen und Entscheidung, referiert

das System Regierung doch auf seine Wiederwahl, mithin auf

seine Existenz. (Bush hofiert die Uno, sucht Kooperationspartner

in Europa).

An diesem Beispiel und an vielen anderen, die täglich zu

beobachten sind, wird deutlich wie schwer es Systemen fällt, trotz

„besserer Erkenntnis“ (Luhmann, 1990, 59) auf Gefahren zu

reagieren. Eine Erklärung findet sich in den Eigenschaften

komplexer Systeme.

1. Sie sind in ihrer Beobachtung selbstreferenziell begrenzt,

2. sie verhalten sich aus Sicht des Beobachters träge

3. sie reagieren zeitverzögert

4. und können nur solche Entscheidungen treffen, die ihrer

Funktionslogik entsprechen.

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Die Umwelt der Systeme kann sehen, was die Systeme nicht

sehen können und feststellen welche Entscheidungen die

besseren, nachhaltigeren, umweltverträglicherern, effektiveren,

sozialaverträglicheren etc. wären. Aber all das sind Diagnosen

eines anderen Systems, die keineswegs mit dem Selbstver-

ständnis des beobachteten Systems komparitbel sein müssen.

Für die systemische Beobachtung als Instrument zur Erschließung

von „Wirklichkeit“ (Willke, 1999, 22f) dürfen wir festhalten :

1. Die Logik der Beobachtung folgt der Logik des

beobachtenden Systems. Das Team beobachtet den

Berater auf der Basis seiner selbstreferenziellen

Möglichkeiten und der Berater wiederum beobachtet das

Team vor dem Hintergrund seiner kognitiven Struktur. Es ist

jeweils der Beobachter, der über die Art und Weise wie er

beobachtet festlegt, was er beobacht, was für ihn einen

bedeutsamen Unterschiedmacht. So kann es für das Team

keinen Unterschied machen, ob Differenzen offen gelegt

werden, aus der Perspektive des Beraters jedoch macht es

eine ganz wesentlichen Unterschied.

2. Der „Gegenstand“ der Beobachtung ist für den

Beobachter nur dann eine beobachtbare Einheit, wenn er

ihn auf den Begriff bringen kann. Wenn etwas in der Logik

des Systems nicht vorkommt, kann es nicht beobachtet und

beschrieben werden. Ein systemisch arbeitender Berater

wird das Team B nach anderen Differenzkriterien

beschreiben als ein psychoanalytisch orientierter Berater.

So entstehen je nach Perspektive unterschiedliche

Realiäten eines Systems und die Frage ist nicht, ob sie

richtig noch falsch sind, sondern ob sie im Sinne

professioneller Teamentwicklung brauchbar sind und auf

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das Team anregend und irritierend wirken.

3. Die Referenz der Beobachtung ist das selbstreferenzielle

System des Beobachters, nicht der beobachtbare

Gegenstand. Denn die Kriterien, die der Berater zur

Beschreibung von Unterschieden wählt, als zentral

bewertet und kombiniert, sind abhängig vom

Operationsmodus seines Systems. Er kann dem dem Team

seine Beobachtungen zur Verfügung stellen und darüber

Reflexions- und Selbststeuerungsprozesse anregen.

4. Die Beobachtung der Beobachtung (Beobachtung zweiter Ordnung) bezeichnet den komplizierten Prozess,

dass der Berater beobachtet, wie ihn die Führungskraft und

die Teammitglieder beobachten, während er die

Beobachtung beobachtet, um Informationen für die

Beschreibung des Teams zu gewinnen. „Und wie kann ein

Beobachter wissen, was er beobachtet? Indem er

beobachtet, wie er beobachtet“. (Willke, 1999, 33).

Welche Schlussfolgerungen lassen sich für eine professionelle

Beratung ableiten:

Beobachtung als die Grundbedingung professioneller Beratung verlangt fortwährende,

sorgfältige Selbstbeobachtung, das Aufspüren

blinder Flecken, im Bewusstsein es entstehen

immer wieder neue. Man könnte sagen er ist

Experte in eigener Sache. (Sagebiel, 1994,

Nachrichten).

Eine Grundhaltung des Respekts vor der

Eigenlogik von Systemen (Personen, Teams,

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Abteilungen, Organisationen), dass es auch andere

mögliche Identitäten gibt.

- sich auf das System einlassen, seine Bewegungen

aufgreifen, “ Tanzen mit dem System“, wie es Graf

und Fischer formulierten, bzw. die „Autorität der

Koningenz“ anzuerkennen, sich immer vorzustellen,

es ginge auch anderes. (Willke, 2001, 153).

- sich nicht als Experte mit der besseren Erkenntnis

zu verstehen, „der glaubt zu sehen, wo es

langgehen soll“ (Luhmann, 1999, 61), der die

Lösungen bereits in der Tatsache hat. Sondern der

eher die Haltung eines neugierigen Entdeckers

einnimmt, der dem Nicht-verstehen als eine Form

des Verstehens auf die Spur kommen will, der

Fragen stellt um Zugang zum System zu

bekommen, und auf Antworten von Fragen

verzichtet, die nicht gestellt worden sind.

- der sich auf die Unwägbarkeiten und Risiken

komplexer Systeme einlässt, der auf

Überraschungen gefasst ist und staunen kann, weil

er auf die Selbststeuerungs- und

Problemlösungsfähigkeiten des System vertraut im

wissen, dass Veränderungen in lebenden Systemen

nur über das System selbst geleistet werden

können.

- der sich selbst nicht so wichtig nimmt und über

sich lachen kann. Humor im Sinne von

Beraterkompetenz erleichtert es Widersprüche und

den Verlust von Gewissheiten zu ertragen, er

verflüssigt festgefahrene und problematische

Situationen und wo Lachen ist hat Angst keinen

Raum. (Reifarth, W. 1988, 302).

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Bei allem Respekt vor den Teammitgliedern und

Führungskräften, weiß der Berater, dass ein

Einwirken auf Personen nicht ausreicht, um

Veränderungen zu bewirken.(Willke, 1999, 52). Um

die systemspezifischen Operationsweisen zu

verstehen, betrachtet der Berater die Menschen primär als Rollenträger, die nach den Regeln des

Systems, ihres Teams und der Organisation,

arbeitsteilig Erwartungen erfüllen. Der Blick des

Beraters verdichtet sich auf den Zweck, die

Strukturen und die geltenden Systemregeln, die in

den Rollen der Akteure sichtbar werden.

Die Aufmerksamkeit des Beraters focusiert sich

nicht auf die handelnden Personen und ihre

psychische Befindlichkeit, sondern auf die

Beobachtung der strukturierenden Merkmale im System, die sich im Handeln der Teammitglieder

ausdrücken. Denn diese Tiefenstrukturen

bestimmen das Handeln, Erleben und Bewerten der

agierenden Personen, und sie sind diesen in der

Regel nicht bewusst. (Willke, 2001,1. Willke, 1999,

19).

Der Berater beobachtet und beschreibt die

Differenzkriterien, über die sich das Team

identifiziert und entscheidet, ob diese in der

aktuellen Situation noch angemessen sind oder ob

sie im Konflikt zu den Erwartungen internen sowie

zu anderen Bereich im Unternehmen stehen. Ist

dies der Fall, zielt Beratung auf die Reflexion und

Erweiterung von Unterscheidungskriterien, die es

dem Team ermöglichen sich auf einem qualitativ

höheren Emergenzniveau zu stabilisieren. Die

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Beobachtung der Beobachtung (Selbstreflexivität)

wird im System implementiert.

Beratung verstanden als System beobachtet die

Organisation und das Team auf die Ausschnitte, die

vom System nicht, bzw. noch nicht gesehen werden

können. Diese Beschränkungen werden dem Team

als Differenzbeobachtung zur Verfügung gestellt, in

der Absicht, dass sie Resonanz im System finden

und Veränderungen ermöglichen. Der Berater kann

seine Beobachtungskriterien an den Fragen

ausrichten: (vlg. Praxisteil: Interviewleitfäden in der

Auftragsklärung, Fragen in der Anfangsphase in

Teamentwicklung )

- Welche Einschränkungen das Team in seinen

Beobachtungen hat,

- welche Informationen es als wichtig und welche als

unwichtig beurteilt werden,

- welche Regeln in der Organisation gelten und wie

sie im Team umgesetzt werden

- nach welchen Regeln, Werten, Standards

Entscheidungen getroffen

- welche „offiziellen“ und welche „inoffizellen“ Regeln

gelten

- auf wen oder was in welchen Situation Rücksicht

genommen werden muss.

Blinde Flecken aufzudecken (neue werden

unweigerlich produziert) ist das Kerngeschäft einer

systemisch konzipierten Teamentwicklung: Das

Team zu bewegen in Distanz zur eigenen

Selbstbeschreibung zu gehen, diese zu reflektieren,

darüber Muster zu erkennen und angemessenere

Differenzkriterien im Team zu etablieren, es für

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Veränderungsmöglichkeiten zu öffnen.

„um welche Sachverhalte und Fragen es eigentlich

geht, die qua Reflexion in das Unternehmen

hineingespiegelt werden sollen und können. ... Klar

ist nur, daß, worauf auch immer eine

Unternehmensorganisation reflektiert, sie im

Moment, in dem sie reflektiert, gleichsam den Boden

unter den Füßen verliert und sich am Leitfaden der

Reflexion als Substitut ihrer selbst zu behandeln

beginnt.“ (Baeker, 1993, 18f)

Was ist Steuerung? Und wie ist Steuerung von und Intervention in komplexen System überhaupt möglich? Willke benutzt die Metapher des Odysseus, der nach Jahren

mißglückter Versuche Troja zu besiegen sich mit einer List in die

Stadt hineinbegibt, er schenkt den Trojanern ein Pferd in dessen

inneren sich Soldaten befinden, die nächtens die Stadt erobern.

Von außen war keine Veränderung zu erreich, jedoch als er sich in

das System begibt ist er in der Lage eine Veränderung zu

bewirken.

Eine andere, weniger bekannte Geschichte von Sheldon Kopp, beschreibt zwei Interventionsformen in Systemen: Ein Mann begab sich eines Tag in das Land der Narren, die voller Angst vor einem Feld flohen auf dem große Wassermelonen wuchsen. Er versuchte den Leuten zu helfen und erklärte ihnen, dass ihre Angst völlig unbegründet sei, indem er die Wassermelonen abschnitt und sie aß. Als die Menschen das sahen bekamen sie noch größere Angst als vorher, denn sie fürchteten als nächstes werde er sie umbringen, und verjagten ihn. Irgendwann fand ein anderer Mann den Weg zu den Narren und sie berichteten ihm wie sehr sie sich vor dem Ungeheuer auf dem Feld fürchteten. Er stimmte ihnen zu, dass es wohl sehr gefährlich sei, lebte eine Weile mit ihnen und gewann ihr Vertrauen. Mit der Zeit lehrte er sie jene einfachen Tatsachen, die sie befähigten nicht nur ihre Angst vor den Wassermelonen zu verlieren, sondern sie sogar selbst anzubauen.

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Die Geschichten zeigen, externe Steuerung eines Systems ist

nicht möglich. Was jedoch möglich ist, „dem System in seiner

Sprache, an seine Logik anschließend, Anreize, Signale und

Kriterien vorzugeben, so dass es Gründe hat, sich selbst auf neue

Umstände einzustellen, also sich selbst zu verändern“.

Systemische Beratung als Steuerung von Systemen intendiert

dahin, das System zu bewegen sich in eine bestimmte Richtung

selbst zu verändern, indem klar unterschieden wird, zwischen von

System und Umwelt. Zur gezielten Einfußnahme ist es wichtig die

„Druckpunkte“ und „Tiefenstrukturen“ (Willke, 2001, 152) des

Systems zu erkennen, denn sie sind der Hebel über den

Bewegung im System erzeugt werden kann. Dem externen

Beraters erschießen sich diese über die Beobachtung der

Kommunikationsprozesse im Team, sie produzieren die Regeln

und Muster nach denen die Teammitglieder das System „spielen“.

Wie schon in der Geschichte beschrieben, das Herzstück

systemischer Steuerung ist dem System von außen eine andere

Perspektive , eine andere Betrachtungsweise, ein anderes

Verständnis von Wirklichkeit anzubieten, die im System Resonanz

erzeugen. In dem Sinne: eine andere sicht der Dinge ist möglich,

und darüber bricht das System nicht zusammen.

Wenn die Angebote des Beraters von Team als nichtannehmbare

Zumutung erlebt werden und sich das Team in seine operative

Geschlossenheit zurückzieht, um im Bild zu bleiben, der Berater

davongejagt wird, dann ist die Intervention nicht anschlussfähig

und erzeugt Widerstand. Warum, weil der Berater eine Realität in

die Sichtweise des Systems gerückt hat, die noch nicht die

Realität des Systems ist, sie aber sein könnte. (Willke 1987, 356

in, Geißler u. Orthey, 1998, 60). Das Problem der Steuerung liegt

in der Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, es

geschieht etwas, aber es ist nicht über ein lineare Logik

prognostizierbar, was genau passieren wird. Mit Überraschungen

ist zu rechnen. Systemische Interventionen folgen einer gewissen

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Paradoxie: es muss etwas getan werden, damit etwas geschieht,

und es ist damit zu rechnen, dass etwas anderes geschieht als

beabsichtigt, und damit etwas geschieht muss etwas getan

werden. Genau darin zeigt sich die Kunst professioneller

Beratung: Kontingenzen zu erwarten und sie als Material für

weitere Interventionen zu nutzen, die vom System als Lernanlass

verstanden werden können. Denn es geht immer irgendwie weiter,

nur anders!

„Steuerung ist damit nur ein Umweltereignis, auf das ein System

als Irritation reagiert – und das es für seine Veränderungen

brauchbar machen kann. Die Richtung der Veränderung hängt

dabei vom inneren Zustand des Systems, also von seiner

Autonomie und Autopoiesis und der Rezeption des

Steuerungsimpulses ab, nicht von der Steuerungsabsicht.“

(Geißler u. Orthey, 1998, 59).

Ebenso verhält es sich mit dem Verstehen, Nichtverstehen kann

als Verstehensform gedeutet werden, die neue

Verstehensmöglichkeiten eröffnen. Ein Berater, der nicht versteht,

warum die Teammitglieder seine Deutungsangebote ablehnen,

kann verstehen, dass seine Intervention nicht in die Systemlogik

gepasst hat und über andere Intervention versuchen zu verstehen

Dazu eine kurze Geschichte von Martin Buber:

„Der Gelbe Kaiser reiste nordwärts vom Roten See, bestieg den Berg Kun-lun und schaute gegen Süden. Auf der Heimfahrt verlor er seine Zauberperle. Er sandte Wissen aus, sie zu suchen, aber es fand sie nicht. Er sandte Klarsicht aus, sie zu suchen, aber sie fand sie nicht. Er sandte Redegewalt aus, sie zu suchen, aber sie fand sie nicht. Endlich sandte er Absichtslos aus, und es fand sie. Seltsam fürwahr, sprach der Kaiser, dass Absichtslos sie zu finden vermocht hat“. (Buber, 1979, 48).

Auch wenn mit Kontingenzen zu rechen ist, Beratersystem und

Teamsystem sich als Black-box gegenüberstehen und füreinander

nicht transparent sind (operative Geschlossenheit), Systeme von

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außen nicht steuerbar sind (Selbstreferenzialität) und von der

Unwahrscheinlichkeit gelingender Intervention auszugehen ist, so

ist doch Beratung nicht überflüssig und Interventionen nicht

beliebig. Zum ersten: externe Beobachtung ermöglicht über

Komplexitätsreduktion eine Reflexivität im System sich

veränderten Umwelterwartungen anpassen, was das System von

sich allein heraus nicht leisten kann, da es in seinen

Beobachtungsmöglichkeiten beschränkt ist (blinde Flecken). Zum

zweiten gelingende, systemische Interventionen sind solche, die

als Irritationen im System Anschlussfähigkeit und Resonanz

erzeugen, Differenzen verfügbar machen ohne das System in

seiner Identität zu zerstören. Also nicht die Wassermelone essen!

Noch ein kurzer Blick zum Abschluss – wir könnten in unserer

Argumentation weiter zirkulieren – auf die Interventionsebene.

Teamentwicklung findet in Organisationen mit den Mitgliedern der

Organisation statt. Im Wissen um die klare Trennung von System

und Umwelt Differenz unterscheiden sich die Interventionen auf

den verschiedenen Systemebene: einmal die Ebene der

Teammitglieder, die Ebene der Rollen und Strukturen, die Ebene

der Prozesse und die Ebene des gesamten Systems. Willke

(1999) stellt eine Interventionsmatrix vor, die Systemebenen und

Interventionsebenen in Beziehung setzt :

Abbildung: S. 221 + 212 einfügen Willke II

Mit Hilfe dieses Rasters kann der Berater die Ebenen durchspielen

und lokalisieren, auf welcher/n Systemebene/n sich das Problem

zeigt, in der Regel präsentiert sich der Interventionsbereich als

eine Mischung und wo seine Maßnahmen zuerst greifen sollen.

Eine kleine Bemerkung zum Schluss: unser Anliegen war, das

hohe Abstraktionsniveau der Systemtheorie von Niklas Luhmann

auf das konkrete Handlungsfeld Beratung von Teams in

Organisationen zu übertragen und für professionelle

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Teamentwicklung nutzbar zu machen. Nach unserer Systemlogik

scheint das gelungen. Ob es gelungen ist, wissen wir nicht. Was

wir ausgelassen haben – wir hätten noch viel mehr und anderes

schreiben können, denn auch das System der Luhmannschen

Systemtheorie unterliegt Kontingenzen, ist unseren

Beobachtungsbeschränkungen zuzurechnen. Beim nächsten mal

würden wir es sicher anders machen. Unsere Leser und

Leserinnen, die uns bis hierher gefolgt sind, möchten wir bitten

uns gehörig zu irritieren, damit wir unseren blinden Flecken auf die

Spur kommen.

Systemtheorie als theoretisch begründetes Handlungswissen für eine professionelle Beratungs- und Teamentwicklungsarbeit

Wie läßt sich die funktional-strukturelle Systemtheorie von

Luhmann und die weiterführenden Interpretationen seiner

Nachfolger handlungstheoretisch reduzieren? Und welche Lücken

weist diese Systemtheorie auf, die durch die ontologische

Perspektive ergänzt werden können?

1. Beschreibungswissen

Der zu bescheibende Gegenstand: das System Team im System

Organisation erscheint dem Berater zu Beginn seines Auftrages

als hochkomplexe undurchsichtige Situation. Die Systemtheorie

bietet ihm eine theoriebasierte Selektionsmöglichkeit an, die

Kompelxität auf die Eigenschaften, Funktionsweisen und

Mechanismen hin zu reduzieren, die die Kriterien bilden, nach

denen sich das Team in der Organisation reproduziert und erhält.

So kann sich ein struktureller Blick auf die Organisation und ihre

Subsysteme entwickeln, denn die Regeln, Kommunikationsmuster

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und Entscheidungsprogramme der Organisation spiegeln sich im

Verhalten und Erleben der Teammitglieder wieder „sie spielen das

System Organisation im Kleinen“. In Systemen und Relationen

denken heißt für den Berater den Auftrag nicht auf das konkrete

Handeln und die Interessen einzelner Personen zu beziehen,

sondern auf die Kommunikation (soziale Systeme bestehen aus

Kommunikation), als eine Selektionsleistung im Umgang mit

Komplexität und Kontingenz. (Weigand, 1998, 80). Die Frage für

das Beschreibungswissen: Was ist los? lässt sich demnach nicht

so einfach beantworten. Was los ist im System kann der Berater

nur durch sorgsame Beobachtung erkunden, im Wissen, dass er

immer nur einen Ausschnitt der Systemwirklichkeit sehen kann

und, dass es unmöglich ist alles zu erfassen (doppelte

Kontingenz). Und, dass er selbst auch nur das sehen kann, was

ihm sein selbstreferenzieller Operationsmodus erlaubt.

2. Erklärungswissen

Um zu einer ersten Problembeschreibungen zu kommen folgt der

beschreibenden Beobachtung eine Einschätzung warum die

Situation im Team so ist, wie sie ist. Warum das Team sich so

verhält und nicht anders. Welche Erfahrungen im Team vorhanden

sind (Gedächtnis und Geschichte eines Teams), die

identitätsprägend wirken. Wie die Eigenlogik des Teams wirkt, wie

die Kommunikationsprozesse zu verstehen sind, was Sinn für das

System macht, was nicht und warum es bestimmte Miteilungen

nicht versteht. Wo die blinden Flecken liegen, welche

Folgeprobleme für das Team und aus der Perspektive anderer

Unternehmensbereiche entstehen. Diese Wissensbestände bilden

die Grundlage für eine Bewertung der Situation was verändert

werden sollte und auf welcher/n Ebene/n die Interventionen

anzusetzen sind.

Wie kann systemtheoretisch das Phänomen Probleme erklärt

werden?. Die von den Akteuren im Team und von Rollenträgern

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relevanter Schnittstellten zum Teams geschilderten Probleme und

solche, die der Berater in den Kommuniationsprozessen

beobachten kann, sind nicht als Dysfunktionalität zu deuten oder

dem Handlen bestimmter Personen zuzurechnen, sondern als

Folge einer Verkettung von Umständen, die ein System produziert

und als unerwünschten Zustand wertet. Also eine

Kommunikationform im System, die bei den betieligten Akteuren

Leidensdruck verursacht und den Wunsch nach Veränderung des

Zustandes entstehen läßt. Folglich muß sich nicht das System

verändern, „sondern nur die Kommunikation rund ums Problem“.

(Schlippe, Schweitzer, 1998, 102).

3. Begründungs- Wertewissen

Da Luhmann von seiner Theorie behauptet, sie sei wertfrei nur

beschreibend konzipiert im Sinne einer soziologisch

angemesseneren Weltbeschreibung (im Verlgeich zu klassichen

soziologischen Theorien) – ihr wird von kritischen Beobachtern

Machtblindheit (Staub-Bernasconi) und Bestandserhaltung im

Sinne von Herrschaftsinteresse (Habermas, Frankfurter Schule)

vorgeworfen – gerinnen Wertvorstellungen wie Gerechtigkeit,

Solidarität, Freiheit, Toleranz, Emanzipation, etc. (mithin ethische

Grundfragen) zu Präferenzkriterien in der Kommunikation von

sozialen Systemen. Sie werden in ihrer Bedeutung

sozialtechnologisch auf die Funktionalität von Systemlogik

reduziert. (Sagebiel, 2003, 11). Werte kann ein System nur dann

verarbeiten, wenn sie Systemfunktionalität aufweisen im Rahmen

der System/Umwelt Differenz. Wertanforderungen im Sinne von

Sozialethiken, die von außen an das System herangetragen

werden, werden vom System eher negiert, vernachlässigt oder

modifiziert, wenn sie sich nicht als systemangemessen erweisen.

(Miller, 1999, 110).

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Im Bewusstsein um die Nichtsteuerbarkeit komplexer Systeme

durch die Umwelt kann nach Lesart dieser Theorie auch keine

Richtung oder ein Zustand angezeigt werden woraufhin sich ein

System verändern sollte. Die Frage der Bewertung, als Grundlage

für die Wahl anschließender Interventionen, was warum von wem

als Problem betrachtet wird, erschließt sich über die Was ist

(nicht) gut? Frage. (Geiser, 2000, 213). Weitere Fragen zur

Begründung von Maßnahmen sind: Was will das Team erreichen?

Worin unterscheidet sich der gewünschte Zustand vom aktuellen?

Was erwarten die Teammitglieder vom Berater, was sollte er

leisten? Wir haben im Praxisteil weitere Fragen aufgelistet.

4. Handlungswissen

Welche Maßnahmen und Verfahren auf welcher Ebene angezeigt

sind um Veränderungen im team anzuregen, entwickeln sich vor

dem Hintergrund des Beschreibungs-, Erklärungs- und

Begründungswissens. Systemische Arbeitsweisen und Methoden

beziehen die systemtheoretischen Kenntnisse auf Interventionen

und Handlungspläne in konkreten Praxissituationen. Im

therapeutschen Bereich insb. in der Familientherapie haben sich

systemische Verfahren als außerordentlich erfolgreich erwiesen.

Sie richten sich auf die Vergößerung des Möglichkeitsspielraumes

durch die Eröffnung neuer Perspektiven und alternativer

Handlungsmöglichkeiten. Der Biokybernetiker v. Foerster hat die

Zielrichtung systemischer Interventionen auf den Punkt gebracht.

„Handle stets so, daß du die anzahl der Möglichkeiten

vergrößerst.“ (Foerster, 1988, in: Schlippe, Schweitzer, 1998,

116). Bevor wir einige Methoden vorstellen möchten wir auf die

Beispiele im Praxisteil und auf die uns vorliegende breite

Literaturpalette zu systemischen Intervetnionstechniken

verweisen. (Graf, Fischer 1998; Neumann-Wirsig und Kersting,

1993; Pfeffer, 2001; v. Schlippe und Schweitzer, 1998,

Shazer,......, Satir......u.v.a.m.).

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Systemische Verfahren basieren auf der Annahme, dass jedes

System über die erforderlichen Ressourcen verfügt seine

Kommunikationsprobleme zu lösen. Dementsprechend sind sie

ressourcenorientiert und zielen auf die Konstruktion von

Lösungen. Neutralität ist für den systemisch arbeitenden Berater

eine Grundvoraussetzung, nur so kann er Distanz zum System zu

wahren und Wirkungen erzielen. Ein grundlegendes Mißtrauen

gegenüber Ideen und Gewissheiten, ermöglicht dem Berater

Flexibilität in der Hypothesenbildung und Bewertung von

Zuständen im Team. In der Weise, wie es Hosemann erfrischend

formuliert: „Ich glaube keiner Theorie, sondern ich benutze sie nur.

Ich benutze von der Theorie jeweils das Teilstück, das mit

hilft,....solgange es mir hilft.“ (Hosemann et al. 1993, in: Schlippe,

Schweitzer, 1998, 123). Und was verlangt die Zunft darüberhinaus

noch an Kompetenz vom Berater? Den Mut anzuecken, das Team

zu irritieren, zu verstören, Aussagen und Glaubensätze in Zweifel

zu ziehen und seine Interventionen zum Thema der

Kommunikation zu machen, wie schon weiter oben erwähnt, sich

selbst zurückzustellen und mit Humor zu reagieren.

Und hier ein Blick in den systemischen Werkzeugkasten:

• Hypothesen entwicklen, die immer wieder

gemeinsam mit den Teammitgliedern und den

Auftraggebern revidiert werden. Verfahren zur

Hypothesenbildung: Interviews (Auftragsklärung),

Organigramme, Runden.

• Systemisches Fragen, eine Interventionsform, die

zirkuläre Kommunikationsprozesse auslößt und neue

Sichtweisen auf das Problem wirft.

- Zirkuläres Fragen ist eine Mehtode systemischen

Fragens, die mehrdimensionale Sichtweisen auf

Beziehungskontexte über Rückkopplungsschleifen

eröffnet und neue Informationen in das System

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hineinträgt. Bsp.: Was denken sie, wie ihr Chef ihr

Team einschätzt, und was denkt er über die

Beziehung zwischen ihnen und Frau M.? usw.

(ausgeführt in: Schlipe, Schweitzer, 1998,, 138 f;

Pfeifer-Schaupp, 1995, 175f) .

- Fragen nach Möglichkeitskonstruktionen entwerfen

eine Als-ob Realität. Gefragt wird nach dem Sinn

und Nutzen von Problemen für das Team. „Was ist

das Gute im Schlechten, oder was ist das Schlechte

im Guten?“ oder „Was müßte passieren, damit es

schlimmer wird, als es jetzt ist?“

- Lösungsorientierte Fragen: geben Antworten auf

die vorhandenen Ressourcen im Team und

aktivieren Kommunikationsprozesse, die den

erwünschten Zustand thematisieren. Eine der

prominentesten lösungsorientierten Fragen ist die

Wunderfrage: „Stellen sie sich vor, es geschieht ein

wunder und das Problem ist über nacht

verschwunden. Woran würden sie merken, dass das

Wunder passiert ist? (und es wird weitergefragt auf

welchen Ebenen es sich wie zeigt um den relevanten

Kontext zu erschließen).

• Refraiming, Umdeutung: das Geschen, oder

dasProblem wird in einen anderen Rahmen gestellt

(Kontextmarkierung) und erhält darüber ein positive

Bedeutung. So läßt sich bspw. ständiger Streit im

Team in dem Bezugsrahmen von Lebendigkeit und

Energiepotential deuten. Oder das Verhalten eines

Teammitglied, dass fortwährend die Arbeitsweise

und Entscheidungen im Teams kritisiert und damit

die anderen kollosal nervt kann umgedeutet werden

hilfreiche Supervision.

• Methaphorische Techniken: Geschichten, Bilder,

Witze. Loritos Filmszenen eigenen sich

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hervorragend Kommunikationsschleifen zu

skizzieren.

- Skulpturarbeit, Systemaufstellungen, ermöglichen

die Erstellung eines Gesamtbildes der Situation

verbal und nonverbal. (dazu. Varga von Kibed....).

• Metakommunikation als Kommunikation über die

Kommunikation zur Aufdeckung von

Kommunikationsmustern im Team. (dazu:

Watzlawick et al. 1969) und Feedback

Zusammenfassung der vorgestellten systemtheoretischen Denkfiguren

Kompetenzprofile des Beraters/Trainers Wir werden im Folgenden vier Varianten einer Teamentwicklung

vorstellen, zu unterschiedlichen Anlässe und in unterschiedlichen

Bereichen der Organisation g. Um einen Teamentwicklungsauftrag

professionell ausführen zu können bedarf es:

• eines fundierten theoretischen Wissens, zur Analyse und

Erklärung der Situation, wie wir es im Theorieteil vorgestellt

haben,

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• eines Erfahrungswissen i. S. von Kontextbewusstsein,

was in der spezifischen Kultur der Organisation verstanden

wird und möglich ist,

• eines Werte- und Kriterienwissen, welche Werte in der

Organisation verfolgt werden und eine Reflexion der Werte

und Grundhaltungen, die der Berater verfolgt,

• einer breiten Palette von Handlungswissen, Verfahren und

Techniken, die er situationsangemessen, flexibel einsetzten

kann

• und ein Evaluationswissen, als Kriterienkatalog nach

denen die Wirkungen von Interventionen hinsichtlich ihrer

nachhaltigen Veränderungen überprüfbar sind, die zu einer

Verbesserung der Leistungen im Team führen.

Unser Professionalitätsverständnis folgt einer auf aktuellem

wissenschaftlich Wissen basierenden und wertegeleiteten

Handlungsregeln (wider allen Luhmannschen Einreden)

begründete Praxis. Die externe Steuerung von Teamprozessen in

Organisationen, Unternehmen und Verwaltungen ist keine

Tätigkeit, die sich in ein paar Fortbildungen erlernen lässt.

Vielmehr ist es ein Geschäft für Profis, die die erforderlichen

Qualifikationen über eine Ausbildung erworben haben und, die in

vor dem Hintergrund faktischer Praxisanforderungen in

unterschiedlichen Kontexten Erfahrungen sammeln könnten, die

ihr persönlichers Repertoire an Beraterkompetenzen ausmachen.

Kurz zur Unterscheidung von Qualifikationen und Kompetenzen

(Sagebiel, 1994, 248f):

In der Ausbildung, Studium und Weiterbildungen werden

Qualifikationen erworben. Unter dem Begriff Qualifikationen verstehen wir, bezogen auf den Bereich Organisations-

entwicklung, Personalentwicklung und Teamentwicklung, die

notwendigen theoretischen Kenntnisse, die ein Berater benötigt,

um in diesem Feld agieren zu können. Es sind system-

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kontextübergreifenden Fähigkeiten, die potentiell die notwendigen

Voraussetzungen erfüllen

Kompetenzen hingegen beschreiben kontextgebundene und

personenabhängige Fähigkeiten, die den Regeln, Eigenlogiken

und Werten eines bestimmten Systems entsprechen und nur dort

als solche verstanden und gedeutet werden. So wird die Fähigkeit

eines Beraters zur Organisationsanalyse im Kontext einer

Teamentwicklung nicht als Kompetenz verstanden werden denn,

um in diesem Kontext professionell zu handeln bedarf es eher

sozialer, kommunikativer und methodischer Fähigkeiten.

Qualifikationen und Kompetenzen bedingen sich gegenseitig und

sind nur im Doppelpack zu haben. Die Aneignung von

Kompetenzen als berufsspezifisches Erfahrungs- und

Handlungswissen sind kontextabhängig und können somit

notwendigerweise nur innerhalb des jeweiligen Tätigkeits-

bereiches erfahren und erlernt werden. Sie stehen als subjektiv

verfügbare Fähigkeiten im Zusammenhang mit der jeweils

individuellen lern- und Berufsbiographie des Beraters. (Sagebiel,

1994, 251). Kompetenz meint das Gesamt von verfügbaren

Kenntnissen und Fähigkeiten, das die Person des Beraters in

einer Interaktionssituation professionell verkörpert. Die Balance

zwischen Kontext und Kompetenz verkörpert sich individuell in der

Person des Beraters/Trainers als sein spezifisches professionelles

Kompetenzprofil.

Professionalität verstehen als einen andauernden Lernprozess:

sich aktuelles Wissen anzueignen,

das Methodenrepertoire zu erweitern, oder auf auf

einige wesentliche Interventionesformen zu

reduzieren,

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die professionelle Haltung hinsichtlich der Werte und

Kriterien zu reflektieren, die Zielfindung und

Interventionen begründen

Selbst-Bewußtsein und Selbst-Reflexion bezogen

auf die subjektiven Erkentniss- und Erlebensweisen,

Wissen, Wirklichkeitsbilder und

Handlungskompetenzen.

Professionalität im Beratungs- und Trainingsbereich bezieht sich

auf die Steuerung von komplexen, der spezifischen Eigenlogik

folgenden Interaktions- und Kommunikationssysteme. Wie die

Kunst der Steuerung gelingen kann haben wir im Theorieteil

beschrieben. In Anbetracht des unsicheren Terrains auf dem sich

der Berater bewegt, gewinnt die Peron des Beraters eine nicht zu

vernachlässsigende Bedetung für die Wirkungen und den Erfolg

der Interventionen. Denn Professionalität im pädagogischen

Bereich (Teamentwicklungen sind Lernsituationen) beruht nur zu

einem Teil auf angeeignetem Wissen und erlernten Methoden und

Techniken, der andere Teil der Tätigkeit ist stark an die Person

des Beraters gebunden, wie er seine Erfahrungen und Fähigkeiten

einsetzt, sich dem Auftraggeber, dem Team präsentiert (Self-

performance), wie er Situationen beschreibt, bewertet und handelt.

Es soll hier nicht um die Frage gehen, weche Persönlichkeits-

faktoren zur Anregung von Lernprozesse und Steurerung in

Teams sich als Kompetnezne erweisen, vielmehr geht es um ein

nüchterne Selbstreflexion und Selbsteinschätzung, über welche

Ressourcen i.S. von Kompetenzen der Berater verfügt um

Teamentwicklung professionell zu gestalten. Auf den Punkt

gebracht: Professsionalität besteht also darin, dass der Berater

weiß was er kann und weiß was er nicht kann. Und dass er das

was er kann weiterentwickelt. Wir möchten diesen Aspekt von

Professionalität persönliche Beraterkomptenz nennen. Dazu

gehört z.B. (Sagebiel, 1994, 273):

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Page 51: Einführung in Luhmanns Systemtheorie Bezug: Teamentwicklung · Talcott Parson Soziologie, mit dem Schwerpunkt Systemtheorie. Er lehrte dann an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft

Juliane Sagebiel Teamentwicklung Luhmann

• Ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich auf sich

selbst, und die eigene Intuion verlassen zu können,

• Mut zum Risiko, die Aufgabe von Gewissheiten,

• zuhören und abwarten zu können, sich selbst

zurückzunehmen und dem Team zu dienen (nicht es zu

bedienen!)

• Gelassenheit, Ruhe und Geduld auch in unstrukturierten,

konflikthaften Situationen zu bewahren,

• sich während des Prozesses zu beobachten und offen zu

bleiben vieldeutige Stituationen konstutiv zu deuten und

nutzen

• Vertrauen in die Ressourcen und Lernpotentiale der

Teammitgliedern zu haben, dass sie die Veränderungen

aus eigener Kraft schaffen.

• Humor als die Fähigkeit über sich selbst zu lachen und in

bedrohlich erscheinenden Situationen die komischen

Aspekte zu beschreiben, Lachen und Freude erleichtet

Lernen.

• Spaß, Neugierde und Interesse an der Arbeit

Und wie diese persönlichen Kompetenzen vom Berater in

Teamentwicklungsprozessen gelebt werden, bleibt jedem

einzelenen nach seinen unverwechselbaren Eigenschaften

überlassen. Denn „Jedermann soll wohl achten, zu welchem Weg

ihn sein Herz zieht, und dann soll er sich diesen mit ganzer Kraft

erwählten“, denn „Jeder einzelne ist ein neues Ding in der Welt,

und er soll seine Eigenschaften in dieser Welt vollkommen

machen“ (Buber, 1986, 14,15).

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