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5/01 Die Geschichte der SAARBRÜCKER ZEITUNG KAPITEL 5

EL T I P 5A SAARBRÜCKERZEITUNG DieGeschichteder K · 5/07 2.DIEGESCHICHTEDER 5 DieSAARBRÜCKERZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG DieGeschichtederSaarbrückerZeitung DieZeitungsgründung1761

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Die Geschichte derSAARBRÜCKER ZEITUNG

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1. Die Saarbrücker Zeitung ist 250 Jahre alt . . . . . . . . . . Seite 5/04

2. Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung . . . . . . . . . . . . Seite 5/06

3. Die Geschichte des Landes im Spiegel der SZ . . . . . . Seite 5/13

4. Die Weltgeschichte im Spiegel der SZ . . . . . . . . . . . . . . Seite 5/20

Die Geschichte derSAARBRÜCKER ZEITUNG5KA

PITE

L

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250Jahre

MONTAG, 30. M A I 2011 JUBIL ÄUMSBEIL AGE 1

1761 – 2011 Die ungewöhnlicheGeschichte der SZ

Entwicklung Vom kleinen „Wochen-Blat“ zur großen Regionalzeitung

Modernisierung Wie die SZ zum modernen Medienhaus wurde

Zukunft Ein breit aufgestelltesKommunikations-Unternehmen

1. DIE SAARBRÜCKER ZEITUNGIST 250 JAHRE ALTDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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DieSZ-Chronik

1. DIE SAARBRÜCKER ZEITUNGIST 250 JAHRE ALTDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Die Zeitungsgründung 1761

Die SAARBRÜCKER ZEITUNG ist eine der ältesten Zeitungen in Deutschland.Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken, der von 1718 bis 1768 in Saarbrücken lebte, gründet1761 „Des Nassau-Saarbrückischen Wochen-Blats“. Das Blatt ist keine Zeitung im heutigen Stil.Nachrichten und Neuigkeiten über das regionale, nationale oder weltweite Geschehen sucht der Leservergebens. Das „Wochen-Blat“ ist ein Anzeigenheftchen, ein so genanntes Frag- und Anzeigenblatt.„Blättert man in den frühesten noch erhaltenen Exemplaren des Nassau-Saarbrückischen Wochen-Blats,wird eine gewisse Enttäuschung nicht ausbleiben: Während Preußen und Rußland einen Beistandspaktschließen, bietet auf Seite 1 Herr Knobloch, Gastwirth zum Schwanen in Forbach, „büchene“ Holzkohlean, mit präziser Ortsangabe: „Einen Büchsenschuß vom Zollstock gegen Forbach zu.“ Ja, selbst lokaleAktualitäten wie der Tod des Fürsten Wilhelm Heinrich (der doch das Blatt gegründet hat) finden in denAusgaben von 1768 keine Beachtung. Statt dessen fordert das Fürstliche Oberamt alle Schuldner einesBürgers auf, sich zu melden, da ein „Concursus“ drohe.“ (Dieses Zitat und die weiteren Informationenstammen aus dem Buch „Saarbrücker Zeitung, Begleiter der saarländischen Geschichte“).

Die Intention zur Zeitungsgründung diktiert der Fürst dem Kanzleischreiber Vogt am 24. Januar 1761:„Alle Vortheile und Bequemlichkeiten, welche man anderswo von den Frag- und Anzeigblättern hat“,will der Fürst seinen Untertanen zugute kommen lassen. „Wer Geld und andere Sachen zu lehnenoder zu verlehnen begehrt, wer etwas kaufen oder verkaufen, miethen oder vermiethen will“, derkönne dies in das neue Blättchen setzen lassen, aber auch, „wer etwas verloren hat, und es gernewieder hätte, wem etwas gestohlen worden ist, und so weiter“, der könne sich nun „viel mühsamesHerumfragen von Hauß zu Hauß, ja oft von Ort zu Ort, erspahren.“ Auch „Personen, die gerne mitihrer Arbeit in der Stille auf ehrliche Art sich etwas verdienen wollen, können durch dieses Mittel,ohne öffentlich genannt zu werden, auf die bequemste Art sich anbieten.

Der Fürst will die Menschen nicht aufklären, sondern das Wirtschaftsleben in seinem Fürstentumunterstützen. Verleger wird der Hofbuchdrucker Bernhard Gottfried Hofer. Die einzelne Zeitung kostetein Kreuzer, das Abonnement 20 Kreuzer im Jahr. Ab Ostern 1761 erscheint das Blatt wöchentlich unterdem Titel „Nassau-Saarbrückisches Wochen-Blat“. Die Auflage wird einige hundert Exemplare betragenhaben. Von den ersten drei Jahrgängen gibt es allerdings keine mehr, das älteste bekannte Blatt stammtvom 25. September 1764. Gedruckt wird das Wochenblatt auf einer hölzernen Handpresse. Pro Stundeentstehen so etwa 100 Exemplare.

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Die Zeitungsgründung 1761

Der karge Inhalt des Wochenblattes mit Kauf- und Verkaufsangeboten, Verlustmeldungen, Wochenmarkt-preisen und Bekanntmachungen der fürstlichen Regierung ändert sich in den folgenden drei Jahrzehntenkaum. Trotzdem spiegelt sich in den Veröffentlichungen auch ein wenig das Leben in Saarbrücken wieder.

Einige Beispiele:Da wird ein „halbes Hauß in der Vorstadt dahier angeboten, solches besteht in einer Stub, Stubenkammer,helle Küche, ein Kammer im dritten Stock, einem halben Speicher, verschlossenem Keller, ein Stall, undüber dem Stall der Heustock, Platz für Dung zu legen.“„Bei des Weinhändlers Herrmann seiner Frau ist rechter guter frischer pfälzer rother Kleesamen zu holen.“Da wird eine Magd gesucht, „von guter Aufführung und Sitte, die auch etwas kochen und spinnen kann.“Da musste jeder, der zum ersten Mal „Heurathen“ wollte, zum beweise, dass er „sich ehrlich ernähren“könne, eine Probe im Schreiben ablegen, oder drei Gulden ans Hospital bezahlen.

Die ersten richtigen Nachrichten: Saarbrücker Wochenblatt

1792 marschieren die französischen Revolutionstruppen in Saarbrücken ein. Ungerührt vermeldet dasNassau-Saarbrückische Wochen-Blat, dass „ein fast noch neuer blecherner schöner Luneviller Stuben-Ofen mit Zierrathen“ zu haben sei. Dies war vermutlich die letzte Ausgabe. Zwei Jahre später, 1794, sollHofer erneut das Blatt herausgegeben haben. Bis heute wurde aber kein Exemplar gefunden. Der Titellautete damals „Saarbrücker Wochenblatt“. Erste Ausgaben des Saarbrücker Wochenblattes sind seitApril 1802 erhalten. In diesem gibt es auch erste politische Nachrichten. So erfährt der Leser, dass einFrieden zwischen England und Frankreich bevorstehe. Dieser Friede von Amiens war schon vier Wochenvor der Veröffentlichung geschlossen worden. Ein Beispiel für die Langsamkeit der Nachrichtenüber-tragung in jener Zeit. In den folgenden Jahren werden die Leser Woche für Woche mit knappenpolitischen Nachrichten aus Europa versorgt. Allgemeine Themen kommen nun auch hinzu:„Krankheiten des Rindviehs“ oder „Vom Beschneiden der Fruchtbäume“.

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Das Saarbrücker Intelligenz-Blatt

Seit 1809 nennt sich die Zeitung „Saarbrücker Intelligenz-Blatt“. Ende 1815 kommtSaarbrücken zu Preußen. Damit ändern sich auch Stil und Inhalt des Intelligenz-Blattes.Viele amtliche Nachrichten der preußischen Regierung werden veröffentlicht. Das Blatterscheint immer noch einmal in der Woche mit vier Seiten. Die Zeitung hat auch einenhohen Nutzwert. Denn sie veröffentlicht Umrechnungstabellen. Maße, Gewichte undMünzen aus der Franzosenzeit werden durch preußische ersetzt. Die Umrechnungs-tabellen im Intelligenz-Blatt sind unentbehrlich. Ein Beispiel: Wer Steinkohle nachFudern zu kaufen gewohnt war, erfährt aus der Zeitung, dass das Königlich PreußischeBergamt nun Berliner Centner einführt, nach folgender Umrechnungsregel:ein altes Fuder = 29 Centner, elf Pfund kostet nun ein Reichstaler, zwei Groschenund sechs Pfennig.

Um 1816 gibt es erste Anfänge eines Feuilletons. Das Blatt beginnt eine Folge vonFortsetzungsberichten über landesgeschichtliche Themen, den Anfang macht dieGeschichte der Alten Brücke.

1820 stirbt Christian Hofer nach dreißigjähriger Tätigkeit als Verleger und Drucker.Noch unter Fürst Ludwig hatte er das Blatt übernommen. In den folgenden 20 Jahrenführt nun„Wittwe Hofer“ das Blatt. Lange Zeit muss die Witwe Hofer den staatlichenZensoren Woche für Woche ein Exemplar ihres unpolitischen Blättchens vorlegenund mit ihrer Unterschrift für den Inhalt bürgen.

Saarbrücker Anzeiger

Am 23. September 1836 erfährt der Leser, dass Witwe Hofer, „um dem Wunschevieler Abonennten zu entsprechen“, Format und Inhalt erweitern und das Blattunter dem Titel „Saarbrücker Anzeiger“ nun zwei Mal wöchentlich herausgebenwill. Mit der Meldung, dass in Quierschied sechs Feldarbeiter vom Blitz erschlagenwurden, findet zum ersten Mal eine regionale Nachricht Aufnahme. Dennocherschöpft sich die neue Initiative noch längere Zeit in landwirtschaftlichenAufsätzen, Anekdoten, Gedichten und einem Kalenderspruch. 1838, nachdemdie Zensurbehörden die Aufnahme politischer Artikel erlaubten, druckt dasBlatt Auszüge aus anderen Zeitungen ab. Eine „Kronik des Tages“ kommthinzu, Fortsetzungsromane, Beschauliches und Rätsel. Der Lesestoff wächst.

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Anzeiger

Am 20. November 1839 übernimmt Anton Traugott Hofer Verlag und Druckerei von seiner Mutter.Erscheinungsbild und Aktualität des Blattes verbessern sich, die Informationen werden reichhaltiger.Vor allem: Zum ersten Mal wird eine eigene redaktionelle Meinung erkennbar. Äußeres Anzeichenhierfür ist, dass vom 21. Mai 1846 an zur deutlichen Abgrenzung der Nachrichten vom Inseratenteilder Name eines Redakteurs genannt wird. Es ist Johann Wilhelm Elsermann, Mathematik- undNaturwissenschaftslehrer am Saarbrücker Gymnasium. In den folgenden Jahren bietet der Anzeigerschon das Bild einer „richtigen“ Zeitung: großes Format, ausführliche Berichte über drei Spalten,viele Nachrichten aus aller Welt. Allerdings fehlen noch die Schlagzeilen. Auch ist die Informations-beschaffung nicht einfach. Bei manchen Meldungen heißt es noch: Soeben durch Estafette(reitender Eilbote) eingetroffen. 1848 gibt es die erste telegraphische Depesche. Aber manchesMal auch noch den einfachen Postweg. Ein Beispiel: „Ein Privatbrief aus Metz von heute meldet:Gestern abend um sieben Uhr wurde in Paris die Republik proklamiert.“

Die Saar-Zeitung

Vom 22. September 1848 an heißt das Blatt “Saar-Zeitung” und erscheint vier Mal in der Woche.Und zwar nachmittags, „um den verehrlichen Lesern die Berliner und die französischenBegebenheiten noch am Tage ihres Eintreffens mitteilen zu können.“

Saarbrücker Zeitung

1861, hundert Jahre nach der Gründung, ändert die Zeitung erneut ihren Namen. Sie heißtnun bis heute Saarbrücker Zeitung. „Vernunft, Bildung und Humanität“ nennt die Zeitungbei dieser Gelegenheit als ihre Leitbegriffe. Die Belagerung von Paris 1870 beschert derSaarbrücker Zeitung einen außergewöhnlichen Rekord, sie veröffentlicht die erste Luft-postmeldung der Zeitungsgeschichte. Eine Information, die mit Hilfe eines Ballonsübermittellt wurde.

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Zeitung

1894 hat die SZ eine Auflage von 1900 Exemplaren, 1900 schon 12 000, 1910 sind es 26 500 Exemplaretäglich. Der Umfang wächst auf 16 bis 24 Seiten, zehn bis 15 davon sind Anzeigenseiten. 1912 werdenzwei Rotationsmaschinen in Betrieb genommen, die Mitarbeiterzahl ist bei 200 angelangt. Bis zumAusbruch des Ersten Weltkrieges steigt die Auflage auf 40 000 an, der Umfang beträgt häufig 30 Seiten.

Während des Krieges ist die SZ die führende Informationsquelle im Land. Dies belegt auch die Auflagen-steigerung auf 58 000 Exemplare. Neben dem damals üblichen Hurra-Patriotismus („Der König ruft“,„Ein ewig Volk“) zitiert die SZ auch immer wieder Reden und Publikationen der Gegner und veröffent-licht auch fremde Heeresberichte. Oft genug zeigen weiße Flecke, dass bestimmte Passagen derZensur nicht gefielen. 1917 erreicht die Auflage 70 000 Exemplare, eine Zeit lang sogar 130 000.

Nach Ende des Krieges 1918 erlebt auch die SZ schwere Zeiten: Papiermangel, Ausfall der Energiever-sorgung, Abonnentenschwund durch die Isolation des Saargebietes, Beschlagnahmungen. Ein großesProblem ist die Absicht der Franzosen, die Zeitung für ihre Propaganda einzuspannen. Harte Strafendrohen für Meldungen, die der Zensurstelle missfallen. Im Februar 1920 wird die SZ für acht Tageverboten. Auslöser waren ein Artikel über die katastrophale wirtschaftliche Lage weiter Bevölkerungs-kreise und auch das Eintreffen der Völkerbundskommission in jenen Tagen.

Das unbequeme Blatt wird für eine Zeitlang mundtot gemacht. Schon im August 1920 wird die SZfür vier Wochen verboten, weil sie Kundgebungen der streikenden Beamtenschaft veröffentlicht hatte.Verleger und Redakteure fliehen vor der Verhaftung, als gefährliche Elemente wird ihnen die Ausweisungnachgeschickt. Ein Vierteljahr lang wird die Zeitung von einer Rumpf-Redaktion in Saarbrücken mitHilfe von Kollegen in Mannheim hergestellt.

Verleger Richard Hofer resigniert in dieser Situation. Er verkauft seinen 60-prozentigen Anteil an dieKonkordia GmbH, eine Treuhandgesellschaft mit Rückendeckung durch deutsche Regierungsstellen.Im Dezember darf die Redaktion wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. 1921 werden Druckerei undVerlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Anteile von der Konkordia und einer Gruppesaarländischer Industrieller gehalten werden.

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2. DIE GESCHICHTE DERSAARBRÜCKER-ZEITUNGDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Zeitung

1935 votieren 90 Prozent der Saarländer für den Anschluss an Deutschland, das damals schon fest inNazi-Hand war. Nach der Machtübernahme durch die Nazis werden auch SZ-Redakteure entlassen.Der Wirtschaftsredakteur Ludwig Kreutz wird sogar vier Wochen eingesperrt. Sein „Vergehen“:Er hat sachlich über den Prozess gegen einen jüdischen Brauereibesitzer berichtet. Die SZ wirdvon den Nazis gleichgeschaltet.

Am 27. August 1945 erscheint die erste Ausgabe der „Neue Saarbrücker Zeitung“. Die Leitung habenzunächst Journalisten der zugelassenen Parteien, dann, unter der Verwaltung der französischenBesatzungsmacht, ein neu gegründeter Presseverlag. 1946 wird stillschweigend wieder der alteTitel “Saarbrücker Zeitung” eingeführt.

Als Folge des Referendums vom 23. Oktober 1955 schließen Frankreich und Deutschland einenVertrag zur Regelung der Saarfrage. Hierzu gehört auch die Rückführung der Saarbrücker Zeitungin deutsche Hände.

1956 übernimmt die saarländische Regierung die französischen Anteile an der „PresseverlagSaarbrücker Zeitung GmbH“ und übergibt diese zur treuhänderischen Verwaltung einemBankenkonsortium.

1961, im Jahre ihres 200-jährigen Bestehens, ist die Mitarbeiterzahl der SZ auf mehr als 600angewachsen, liegt die Auflage bei 150 000 Exemplaren, liefert eine neue Rotationsmaschine50 000 Exemplare pro Stunde. 1970 wird die SZ reprivatisiert. Der Verleger Georg von Holtzbrinckübernimmt 49 Prozent der Gesellschaft, 26 Prozent gehen an Stiftungen der Parteien CDU, SPDund FDP, 15 Prozent an die Belegschaft, der Rest an drei Banken. Zum 1. August 2012 hat dieGesellschaft für staatsbürgerliche Bildung Saar (GSB) von der Verlagsgruppe Holtzbrinck einengroßen Anteil übernommen und ihre Beteiligung an der SZ-Zeitungsgruppe von 26 auf 46,9 % erhöht.Geplant war, dass die GSB in einem zweiten Schritt den gesamten Anteil des Holtzbrinck-Konzernesvon insgesamt 52,3 % übernimmt. Gesellschafter der GSB sind drei saarländische Stiftungen.

Verhandlungen der GSB über einen Verkauf der SZ-Gruppe an einen Zeitungsverlag führen schon imSeptember 2012 zu einem Ergebnis. Die Rheinisch-Bergische Verlagsgruppe erwirbt die Mehrheit ander SZ und wird zum Januar 2013 neuer Mehrheitsgesellschafter. Ab Januar 2013 hält die RheinischePost Mediengruppe 56 Prozent an der SZ, die Gesellschaft für staatsbürgerliche Bildung 28 Prozentund die SZ-Beteiligungsgesellschaft 16 Prozent.

Quelle:“Saarbrücker Zeitung: Begleiter der saarländischen Geschichte”.Konzeption und Text der Chronik, aus der hier zitiert wurde, stammen von Hans Bünte.

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250Jahre

DIENSTAG, 31. M A I 2011 JUBIL ÄUMSBEIL AGE 2

Märchenprinz Ein Fürst gründete den Vorläufer der Saarbrücker Zeitung

Schwarzes Gold Wie die Saar-KohleArbeitsplätze schuf und vernichtete

4:0 gegen Real Madrid Als der FCS zureuropäischen Spitzenmannschaft wurde

Die Geschichtedes Saarlandes

im Spiegel der SZ

3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Er hat etwas Märchen-haftes an sich, dieserAugenblick, als FürstWilhelm Heinrichseine Regierung ander Saar antritt. Ja,

fast wagt man, die Bibel zu zitieren:„Und im Anfang war die Erde wüstund leer. . .“ Das ist durchaus rea-listisch. Denn in jenem Jahr 1741hat die Saarregion ein Jahrhundertder Kriege, Truppendurchzüge,Plünderungen und Misshandlun-gen hinter sich. Immer wieder ha-ben die Bürger Einquartierungenerlebt, die ihre letzten Vorräte ver-zehrten, das Vieh schlachteten undsogar das Saatgetreide beschlag-nahmten. Dächer wurden abge-deckt, um den Truppen Feuerholzzu bieten. Und sind die einen abge-zogen, kommen die nächsten undfordern dasselbe.

Kein Wunder, dass innerhalb derStadtmauern noch überall rußge-schwärzte Ruinen und leere Flä-chen vom großen Stadtbrand zu se-hen sind, obwohl der doch bereits70 Jahre zurückliegt. Das Renais-sanceschloss ist verfallen; an man-chen Stellen werden tiefe Risse miteisernen Ankern notdürftig zusam-mengehalten. Und niemand da, deretwas ändert. Mit dem Tode desFriedrich Ludwig von Ottweiler imJahre 1728 sind die Idsteiner, Ott-weiler und Saarbrücker Linien desHauses Nassau ausgestorben. Er-bin ist Fürstin Charlotte Amalievon Nassau-Usingen (1680-1738),doch sie lebt im fernen Usingen(Taunus) – die Beschwerden der

Bürger verhallen ungehört. Und esgibt viele Beschwerden: Alles kos-tet Gebühren: Salz, Tabak, Brannt-wein, ja sogar der Gang über die Al-te Brücke. Eine „Fräuleinsteuer“zur Ausstattung heiratslustigerGrafentöchter wird erhoben, ob-wohl es gar keine adligen Fräuleinsauszustatten gibt. Wenn der Ober-forstmeister wöchentlich mehr-mals nicht nur Wölfe, sondern auchFüchse und Hasen zu jagenwünscht, werden die Bürger nachPlaisir als Helfer einbefohlen undbei Nichterscheinen bestraft.

Beim Stadtgericht geht es „lau-licht“ zu, es wird „das Gerichts-ambts mehr vor ein schümpflichesalß Ehrenambte angesehen“. KeinWunder, dass niemand die Maßeund Gewichte der Bäcker undMetzger kontrolliert und bei denZünften vieles im Argen liegt. Jederbuddelt ohne Plan und AufsichtKohle aus dem Boden, und statt dieÄcker flurweise zu bebauen, tutdies jedermann „separatim undkonfus“. Weitere deutliche Zeichenfür den erschreckenden Verfall derSitten: Die Torwächter hocken nurnoch in der warmen Wachstube,und im herrschaftlichen Garten hatder Pächter eine Kegelbahn einge-richtet.

Und dann . . . Und dann kommtplötzlich wie im Märchen derPrinz, und alles wird anders. Jeden-falls fast. Es beginnt damit, dass1735, als die Fürstin ihre Lande un-ter ihren beiden Söhnen Karl undWilhelm Heinrich aufteilt, dieSaarregion das große Los zieht: Ihr

Landesfürst wird der kaum 23-jäh-rige Wilhelm Heinrich (er selbstschrieb sich Henrich). Was er amHofe Ludwigs XV. in Versailles anhöfischer Pracht und architektoni-scher Schönheit kennengelernthat, überträgt er nun ab 1741 aufseine Residenz – „in einem kleinen,aber dem Ganzen entsprechendenMaßstab“, wie Goethe bald konsta-tieren wird. Und das ist nicht mehrnur die frühere Grafschaft Saarbrü-cken, sondern durch Vereinigungmit der Grafschaft Ottweiler dasFürstentum Nassau-Saarbrücken.Als erstes führt Wilhelm Heinricheine Bauordnung ein und errichtetein Polizeiamt. Er holt den 24 Jahreälteren Baumeister Friedrich Joa-chim Stengel aus Usingen nachSaarbrücken, der alles besichtigtund über das Schloss berichtet, erhabe den Nordflügel „in gäntzlnverfall des Daches und gantzen ein-gebäudes angetroffen“. Stengel er-richtet ein neues Schloss, ein Rat-haus, das Erbprinzenpalais, dieheutige Friedenskirche für die re-formierte und die Basilika St. Jo-hann für die katholische Minder-heit; er baut eine Schule, das heutenoch bestehende Ludwigsgymnasi-um; Lustschlösser entstehen aufdem Ludwigs- und dem Halberg.Krönung wird die heutige Ludwigs-kirche samt Platz und umliegendenPalais. Private Bauwillige werdendurch Vergünstigungen gewonnen:„Zehen Jahre lang Freyheit von al-len Abgaben – den Platz zum Bauohnentgeltlich – und das Bau-Holtz ebenfalls frey“. Insgesamtentsteht „ein lichter Punkt in ei-nem so felsig-waldigen Lande. . .“(auch dies ein Goethe-Zitat).

Wilhelm Heinrich verstaatlichtdie Steinkohlengruben und lässt siebergmännisch ausbeuten; Rußhüt-ten, Alaunsiedereien (Rohstoff zurFarbherstellung, Gerbemittel undKonservierungsstoff ) und anderechemische Fabriken entstehen,neue Glashütten, Eisenschmelzenund Hammerwerke beginnen ihreProduktion. Der Holzhandel flo-riert. Ein „Krahnen“, von der ein-flussreichen Kaufmannschaft bei-

der Städte erbaut und durch die ex-klusive Krahnengesellschaft mo-nopolartig betrieben, fördert dieWirtschaft. 1741 haben in beidenStädten etwa 2300 Einwohner ge-lebt. 1766 ist diese Zahl auf 4150 ge-wachsen, also um 80 Prozent.Handwerker werden benötigt, fürdie bisher kein Bedarf war: Gold-und Silberschmiede, Büchsen- undUhrmacher, aber auch Zuckerbä-cker, Weinhändler und Perücken-macher. Ja, nun braucht man sogarSeifensieder. . . „Ich geh’ zweihun-dert Jahr und länger durch die Bo-gen / Es war noch nie so hell aufmeinen Wasserwogen!“, lässt einbegeisterter Untertan damals dieSaar sprechen. Und das ist mehr alsLobhudelei.

Doch wenn der Fürst eine neueVerordnung bekanntmachen willoder loyale Bürger 1742 dem Lan-desherrn zur Vermählung mit dernoch nicht 17-jährigen Gräfin So-phie von Erbach ein Huldigungsge-dicht überreichen wollen, aberauch wenn der neue Wirt vom„Goldenen Stiefel“ auf seinenfrisch eingetroffenen NiersteinerWein aufmerksam machen will –dann fehlt eine Druckerei. Bis nachZweibrücken müssen die Saarbrü-cker reisen, um dort beim Hof-buchdrucker ihr Gedicht in Auftragzu geben. Das kann so nicht weiter-gehen, mag der Fürst gedacht ha-ben. Sollte man nicht jenen Zwei-brücker Drucker namens JohannMengert für Saarbrücken gewin-nen? Um es vorwegzunehmen:Mengert wird sich tatsächlich inSaarbrücken niederlassen und zumMitbegründer der Saarbrücker Zei-tung werden.

DerMärchenprinz

von der Saar

Wilhelm Heinrich

Von SZ-Mitarbeiter Hans Bünte

Saarbrückenzur Zeit desFürstenWilhelmHeinrichmit dem im18. JahrhunderterrichtetenSaar-Kran. FOTO: SZ-ARCHIV

Der Gründervaterder SZ: Fürst

Wilhelm Heinrichsetzte in seinem

Fürstentumlandwirtschaftliche

und industrielleReformen durch. EinGroßteil der dadurch

gewonnenenMehreinnahmen der

Staatskasseverwendete er fürprunkvolle Bauten.

FOTO: SAARLANDMUSEUM

Im Jahr 1741 übernahm FürstWilhelm Heinrich die Regent-schaft in Nassau-Saarbrü-cken, 20 Jahre später gründe-te er ein „Wochen-Blat“, des-sen „Vortheile und Bequem-lichkeiten“ er sich anderswoabgeschaut hatte. Nebenste-hender Artikel beschreibt diedamalige Zeit, die Saarbrü-cken zu wirklich fürstlichemGlanze verhalf – der im Zugeder französischen Revolutionleider unter Schutt und Aschebegraben wurde.

Gleichwohl, dem Fürstenund seinem Baumeister Sten-gel haben wir noch heutesichtbare barocke Pracht zuverdanken – und die Saarbrü-cker Zeitung. Diese war imGründungsjahr 1761 nur einkleines Anzeigenblatt, mehrnicht. Doch es wurde einegroße Erfolgsgeschichte, auchwenn es noch nahezu 100Jahre dauern sollte, bis darauseine „richtige“ Tageszeitungwurde, die inzwischen zu ei-nem der modernsten Medien-häuser Deutschlands gedie-hen ist.

Der Fürst und dieSZ-Geschichte

sie damals wie heute nah an ihren Lesern undnah am Leben in unsererRegion ist.“Peter Müller, Ministerpräsidentdes Saarlandes

„Mir gefällt die Saarbrücker Zeitung, weil

Das Saarbrücker Schloss im 18. Jahrhundert. FOTO: SZ-ARCHIV

3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

5/15

In jenem Sommer, als derDeutsch-FranzösischeKrieg von 1870/71 in derPfalz und an der Saar losge-hen sollte, waren hierzu-lande die Wunderheiler

noch groß im Geschäft. So erfuhrendie Leser der Saarbrücker Zeitungam 14. Juli 1870, als die Franzosenin den Häfen von Brest, Cherbourgund L’Orient ihre 14 schweren Pan-zerschiffe für den Krieg schon flottmachten, dass Dr. O. Killisch ausBerlin – so seine entsprechendeAnzeige – bereits über 100 Men-schen von der Fallsucht oder derEpilepsie geheilt habe. Nunmehrheile der gute Arzt diese heimtücki-sche Krankheit bereits brieflich.Man brauche ihn nur in Berlin,Louisenstraße 45, anzuschreiben.Und wie zum Beweis, dass solcheWunderheilungen auch tatsächlichfunktionierten, erschien an jenemTag auch eine Danksagungs-Anzei-ge von drei Männern aus Gerswei-ler mit folgendem Inhalt: „Die Un-terzeichneten fühlen sich ver-pflichtet, dem Herrn TheodorKrier ihren innigsten Dank für diemenschenfreundliche, uneigen-nützige Behandlung und Befreiungvon der so fürchterlichen Krank-heit der Epilepsie (Fallsucht), wo-ran wir seit Jahren litten, auszu-sprechen.“

Doch bereits zwei Tage später,am 16. Juli, wurde den Saarbrü-ckern klar, dass es nun mit dem be-schaulichen Leben in der Provinzvorerst vorbei sei. Denn da standauf der ersten Seite ihrer Zeitung indicken Buchstaben zu lesen, dass inden deutschen Landen die Mobil-machung befohlen sei, und dassFrankreich in zwei Depeschen vom15. Juli dem Königreich Preußenden Krieg erklärt habe. Das er-weckte den Eindruck, dass diePreußen mit ihrer Mobilmachungerst auf die Kriegserklärung derFranzosen reagiert hätten. EinenTag später korrigierte unsere Zei-tung die Meldung dahingehend,dass ihr jetzt erst die offizielle Er-klärung der französischen Regie-rung vorliege, und schrieb: „Es istdaraus nicht ersichtlich, dass derKrieg schon erklärt ist, wie der Te-legraph voreilig berichtet hat.“Doch da war der Kriegsbrand schonam Lodern. Am 17. Juli machte dieSaarbrücker Zeitung ihre Leser da-rauf aufmerksam, dass das Blatt„wegen der nach allen Seite hin un-terbrochenen Verbindungen“ nichtmehr in der bisherigen Weise er-scheinen könne.

Erste Gefechte am Stadtrand

Am 22. Juli wird bereits von erstenKriegshandlungen in der Regionberichtet: „Soeben wird von einemVorpostengefecht bei Perl gemel-det. 1500 Franzosen seien in denOrt eingefallen.“ Doch auch dieseMeldung entpuppte sich gerademal einen Tag später als Ente, wo-bei nunmehr darauf verwiesenwurde, dass einzelne Schusswech-sel entlang der Grenze am Stadt-rand von Saarbrücken bereits ersteOpfer gefordert hätten. Mit derSchilderung der Scharmützel, diesich vom St. Arnualer Stiftswald biszur Bellevue und zum großen Exer-zierplatz fast täglich ereignetenund deren Schüsse bis nach St. Jo-hann zu vernehmen waren, bliebdie Zeitung in den nächsten Tagenauf der sicheren Seite. Dabei wurdefür den 28. Juli der erste Tote aufdeutscher Seite vermeldet: „Gegensieben Uhr gerieten unsere Vorpos-ten wieder mit dem Feinde ins Ge-plänkel, wobei ein Mann vom 7.Ulanen-Regiment (Ulanen sind be-rittene Lanzenträger) tödlich ge-troffen ward.“ Am selben Tag ließBürgermeister Rumschöttel eine„Allerhöchste Cabinets-Ordre“ alsAnzeige veröffentlichen, mit derder Kriegszustand für die gesamteRegion erklärt wurde. Das hatteauch strafrechtliche Konsequen-zen; so wurde die Verbreitung fal-scher Behauptungen über militäri-sche Operationen der Franzosenunter strenge Strafe gestellt. Mit ei-ner Gefängnisstrafe bis zu einemJahr habe zu rechnen, so hieß es da,„wer in Beziehung auf die Zahl, dieMarschrichtung oder auf angebli-che Siege der Feinde wissentlichfalsche Gerüchte ausstreut, welchegeeignet sind, die Zivil- oder Mili-tärbehörden hinsichtlich ihrerMaßregeln irre zu führen“.

An den nächsten Tagen sind dieFrontberichte der Saarbrücker Zei-

tung, die sich angesichts der erwar-teten Schlachten über die Errich-tung von Not-Lazaretten für ver-wundete Soldaten Gedankenmacht, eher dürftig. Hier eine Pas-sage vom 1. August: „Auf der Vor-posten-Linie ist im Laufe des gest-rigen Tages, abgesehen von Plänke-leien, wobei unserer 40er Füsiliere(mit Gewehren bewaffnete Infan-terie) hin und wieder einen feindli-chen Chasseur (mit Gewehren be-waffnete Kavallerie) vom Pferdschießen, nichts Erhebliches vor-gefallen.“

Doch dann bricht über Saarbrü-cken und St. Johann am 2. Augustohne weitere Vorwarnung ein In-ferno herein. Ab zehn Uhr werdender Bahnhof von St. Johann unddas zweite Bataillon des 40. Füsi-lier-Regiments von den Franzosenfür sechs Stunden unter heftigesArtilleriefeuer genommen. Da eineReihe von Granaten ihr Ziel, denam Ende schwer beschädigtenBahnhof, verfehlen, werden auch

viele Privathäuser getroffen, Brän-de entstehen, in Saarbrücken undSt. Johann herrschen Angst undChaos. Französische Infanteriefällt plündernd in St. Arnual ein,überall dringt der Feind unter demanhaltenden Beschuss aus Geweh-ren in Städte und Dörfer an derSaar vor. Die preußische Kavallerie,so steht es in der Zeitung, habe sichunverzüglich aus dem Staub ge-macht. Und gegen 16 Uhr sei auchdie Infanterie zum Rückzug aufge-fordert worden. Kurz danach rücktder französische General Frossardin die beiden Städte ein, um sich dieSchäden anzusehen.

Heldin der Spicherer Höhen

Dieser kriegerische Dienstag warder erste große Tag der KatharinaWeißgerber, einer aus Schwarzen-holz stammenden Dienstmagd, diespäter als Schultze Kathrin in dieAnnalen einging und als Heldin derSpicherer Höhen verehrt wurde.Denn sie hatte am 6. August 1870

im Kugelhagel der aufder Höhe verschanz-ten Franzosen undder von unten vorrü-ckenden Preußenverwundeten Solda-ten geholfen, ihnenWasser gebrachtund für die Linde-rung der Schmerzengesorgt. Doch zu-rück zum 2. August.Da wurde am Nach-mittag am Saarbrü-cker Schlossberg inder Nähe desSchultzschenHauses, in demKathrin alsMagd beschäf-tigt war, einpreußischer Sol-dat schwer ver-wundet. Dazuhieß es in einerSerie unsererZeitung, mit der

das Wirken der Schultze Kathringewürdigt wurde: „Katharina eilteherbei und half, den Soldaten in einNachbarhaus zu tragen. Als derSterbende nach einem Priester ver-langte, machte sie sich auf, um inSt. Johann auf der anderen Seiteder Saar den geistlichen Beistandzu holen. Trotz des Beschusses derBrücke und der umliegenden Stra-ßen durch die Franzosen gelangtesie unversehrt mit dem Priesterwieder nach Saarbrücken zurück.“

Allerdings sollte es noch vier Ta-ge dauern, bis die Schlacht auf denHöhen über Saarbrücken tobte unddie Dienstmagd zu ihrem helden-haften Einsatz kam. Sie war – wieviele andere – dem Aufruf an dieBewohner der Stadt gefolgt, mitFuhrwerken zum Kampfplatz zufahren, um die Verwundeten zuversorgen und zu bergen. Uner-müdlich eilte sie mit einem Was-serbottich auf dem Kopf über dasSchlachtfeld, auf dem die zerfetz-ten Leiber der Getöteten und dievon Granaten und Kugeln Verwun-deten in großer Zahl herumlagen.Legendär jener Wortwechsel miteinem preußischen Offizier, der dasVordringen der Dienstmagd bis zurFeuerlinie verhindern wollte:„Weib, machen Sie, dass Sie fort-kommen. Sehen Sie denn nicht,dass hier geschossen wird?“ DazuKathrin: „Oh jo, Herr Leitnant, dieschieße jo nit uff mich.“

Ein Jahr später, als der Krieg be-reits lange zu Gunsten der Preußenentschieden war, wurde SchultzeKathrin zusammen mit weiteren50 Mädchen und Frauen aus Mal-statt, St. Johann und Saarbrückenfür ihren selbstlosen Einsatz beider Versorgung der verwundetenSoldaten mit einem Orden geehrt.Von Kaiser-Gattin Augusta waranalog zum Eisernen Kreuz eigensein „Verdienstkreuz für Frauen undJungfrauen“ geschaffen worden,„die sich bei der Pflege der im Krieggegen Frankreich Verwundetenund Erkrankten (. . .) ausgezeich-net haben“.

Genau 16 Jahre nach der Schlachtvon Spichern, am 6. August 1886,starb Katharina Weißgerber völligmittellos in Saarbrücken. In einerZeitungsnotiz zu ihrem Ablebenheißt es: „Sie verschied gestern, ineinem Ruhesessel sitzend. Ich legemich in kein Bett, sprach sie, dieKathrin will sitzend sterben.“

Eine Dienstmagd imKugelhagel von Spichern Schultze Kathrin und die Kriegsberichte der SZ von 1870

Von SZ-Redakteur Gerhard Franz

PreußischeInfanteristenstürmen die

von französi-schen Trup-

pen gehalte-nen Spicherer

Höhen beiSaarbrücken.

FOTO: NP

Ehrenmal für die heldenhafteDienstmagd Katharina Weißgerberin Schwarzenholz. FOTO: RUPPENTHAL

Titelseite der SZ aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges. „An Frankreich kommt kein Zollbreit deutscher Erde!“, fordert König Wilhelm. FOTO: SZ-ARCHIV

„Oh jo, HerrLeitnant, dieschieße jo nit

uff mich.“Schultze Kathrin,nachdem sie von

einem Offizier aufdas Gewehrfeuer

der Franzosenaufmerksam

gemacht wurde.

S

3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

5/16

Will man sich imNachhineinüber den All-tag im ErstenWeltkrieg inder Region in-

formieren, lohnt grundsätzlich einBlick in die Rubrik „Aus Stadt undLand Saarbrücken – Rheinprovinz,Pfalz, Reichsland“. Meist standensolche Nachrichten auf Seite 2 oder3 der Saarbrücker Zeitung, die Seite1 war damals in der Regel der gro-ßen Weltpolitik vorbehalten.

Wie viele andere Blätter stimmtedie SZ in den allgemeinen Freuden-taumel ein, glaubte man doch, manhabe es mit einem zeitlich wieräumlich begrenzten Krieg zu tunwie in der Vergangenheit. Die Sie-gesgewissheit war groß.

„Mobil!“ hieß es am Montag, dem3. August, zwei Tage nach Kriegsbe-ginn. „Dieser Kriegsruf wirkte amSamstag in der hiesigen Bevölke-rung in der unerträglichen Span-nung der letzten Tage wie eine Be-freiung von dumpfem Druck, dersich beängstigend über alle Kreisegelegt hatte. Mobil! Der Aufruf zuden Waffen flog in Windeseile vonMund zu Mund und löste überalleine tiefe, patriotische Begeiste-rung aus. (. . .) Tausende von Men-schen standen am Samstag (Tag desKriegsbeginns) vor unserem Ge-schäftslokal. Aufregende Gerüchteschwirrten durch die Menge. Datraf um halb sechs die Meldung vonder Mobilmachung ein. Als wirkurz vor viertel vor sechs den An-schlag vollzogen, wurde die Nach-richt zunächst mit ernstemSchweigen aufgenommen. Dannbrauste aber ein erlösendes drei-fach Hoch auf Deutschland durchdie Luft, eine Begeisterung auslö-send, die ordentlich befreiendwirkte. (. . .) Mag kommen, was dakommen mag, der König ruft, undalle, alle kamen.“

Aller Begeisterung zum Trotzblieb die Mobilmachung nicht ohneunmittelbare Folgen für die Bevöl-kerung an der Saar. So ließ derOberbürgermeister in der Saarbrü-cker Zeitung mitteilen: „Durch dieMobilmachung und die Militär-transporte der Eisenbahn ist dieEinfuhr von Milch zeitweise einge-schränkt. Alle Milch, welche in die

Stadt kommt, muss deshalb für die-jenigen ausschließlich verwendetwerden, für die sie unentbehrlichist: für unsere jungen Mitbürger inden beiden ersten Lebensjahren.“

Das Land wurde zum Aufmarsch-gebiet, und so wurde der neueFahrplan, der gerade mal ab 1. Maigalt, außer Kraft gesetzt und am 4.August durch einen neuen Fahr-plan ersetzt. Ab diesem Zeitpunktfand die Beförderung von Privat-personen „nur noch nach Maßgabedes vorhandenen Raumes statt“ –Militärtransporte hatten Vorrang.

Durch die Grenzlage – und damitdie Nähe zum Feind – schlug diepatriotische Begeisterung auchschon mal in Hysterie um, so dasssich der Königliche Polizeidirektorper Bekanntmachung zum Ein-schreiten genötigt sah: „Es sindgestern mehrere harmlose Passan-ten als angebliche Spione von grö-ßeren Menschenmengen erheblichverletzt worden. (. . .) Wenn ichauch nicht verkenne, dass patrioti-sche Gefühle neben neugierigerSchaulust die Triebfeder dieserHandlungen sind, so können diesenicht länger geduldet werden.“

Der Krieg nahm seinen Lauf underreichte mit der Schlacht um Ver-dun 1916 einen weiteren blutigenHöhepunkt. Die Zeitung berichtetevon dem monatelangen Feldzugmit einer fast täglich erscheinen-den Rubrik „Kämpfe vor Verdun“.Ausführliche Details der Erstür-mung des Forts Douaumont erfuhrder Leser am 26. Februar 1916 aufSeite 2 in einer Mitteilung derObersten Heeresleitung. Dort be-schrieb das Oberkommando, wiedas Brandenburgische Infanterie-Regiment Nr. 24 in einem Hand-streich die Festung eroberte. Diefederführenden Offiziere wurdennamentlich erwähnt und belobigt.

Die Front erstarrte jedoch, dieErfolge wurden weniger. Dafürnahmen die Fliegerangriffe aufSaarbrücken und Umgebung zu –ein Umstand, dem man mit Ver-dunkelung begegnete. Die „abend-liche und nächtliche Straßenbe-leuchtung“ wurde „auf das notwen-digste eingeschränkt“.

Die Lage des Deutschen Reicheswurde aussichtsloser. Eine Wendeversprach man sich vom uneinge-schränkten U-Boot-Krieg. „DerZeitpunkt ist gekommen, wo alleRücksichten zu schweigen haben.Wir wollen siegen, denn wir wollenam Leben bleiben“, kommentiertedie Zeitung am 1. Februar 1917. DieÜbermacht der Entente-Mächteund besonders der USA, die im sel-ben Jahr in den Krieg eintraten,war jedoch zu groß.

Das Reich fiel auseinander, unddie Novemberrevolution erfassteauch das Land an der Saar. Wie vie-lerorts wurden auch in Saarbrü-cken Räte gegründet. Am 10. No-vember 1918, einen Tag vor der Un-terzeichnung des Waffenstillstandsin einem Eisenbahnwaggon imfranzösischen Compiègne, veröf-fentlichte die Saarbrücker Zeitungauf Seite 1 die Bedingungen derWaffenruhe. Direkt daneben stan-den im „Amtlichen Teil“ die sozial-

politischen Forderungen des Ar-beiter- und Soldatenrates in Saar-brücken, der die SZ gezwungenhatte, „die Funktion eines amtli-chen Veröffentlichungsblattes zu

übernehmen“. Und die sahen zumBeispiel so aus: „Entlassung vonArbeitskräften hat nur mit Zustim-mung der Lohnkommission zu ge-schehen.“ Oder: „Die bisherigen

Löhne sind in jedem Falle weiter zuzahlen.“ Und: „Mit Beginn der De-mobilisation tritt die achtstündigeArbeitszeit in Kraft.“

An „die gesamte Bevölkerung derLandkreise“ wandte sich der Ratmit folgenden Worten: „Landwirte!Bauern! In erster Linie steht dieVersorgung der gesamten Bevölke-rung. Im Interesse der Aufrechter-haltung der Ruhe und Ordnungordnen wir an, dass alle notwendi-gen Nahrungsmittel restlos abge-liefert werden. Verstöße werdenstreng bestraft.“

Es half jedoch nicht viel: DerKrieg war zu Ende, doch die Men-schen hungerten weiter.

MitBegeisterung

in den

TodVon Spionen, Soldaten und

Arbeiterräten: Wie die SZ über denErsten Weltkrieg berichtete

Von SZ-RedakteurJörg Wingertszahn

Die Schlacht von Verdun forderte 320 000 Opfer. Die Grab-felder erinnern an die schrecklichen Kämpfe. FOTO: VISUM

Französische Soldaten kämpfen sich bei Verdun durch das bombardierte Gelände. Von Februar bis Dezember 1916 tobte diese Schlacht. FOTO: AFP

Die Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom 11. August 1914 meldeteerste Kriegserfolge im Elsass. FOTO: SZ-ARCHIV

„Der Königruft,

und alle, allekamen.“SaarbrückerZeitung vom

3. August 1914

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3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

5/17

Zu Beginn des Jahres1920 begann eine Epo-che der Einschrän-kung von Grundrech-ten für die Saar-Regi-on. Denn an diesem

Tag trat das Statut des Völkerbun-des in Kraft. Der Vorläufer der Ver-einten Nationen mit Sitz in Genfübernahm die Regierungsverant-wortung für das Saargebiet, woman weiterhin deutsch dachte unddeutsch empfand. Tatsächlich aberwaren die „Kohlengruben im Saar-becken“ im Versailler Vertrag von1919 den Franzosen als „Wieder-gutmachung von Kriegsschäden“zur Ausbeutung überlassen wor-den. Die Inkraftsetzung des Ver-sailler Vertrages zum 10. Januar1920 wurde in der SZ mit einemLeitartikel unter der Überschrift„Friede!“ gewürdigt. Darin zeigtedie Redaktion, dass sie sich denneuen Herausforderungen aufge-schlossen und zuversichtlich stel-len wollte: „So ist das Saargebiet

heute ein Kind des Völkerbundesgeworden. Und wir geben der Hoff-nung Ausdruck, dass es durch seineIntelligenz und Arbeitskraft untereiner einsichtsvollen Regierungbald die Leiden des Krieges über-winden möge. Diese Hoffnung aufeine wohlwollende Regierungschöpfen wir aus dem Friedensver-trag, in dem in Aussicht gestelltwird, die Rechte und das Wohl derBevölkerung zu sichern.“ Doch dieHoffnung erfüllte sich nicht. Dafürverantwortlich waren sowohl dierigorose Politik der Franzosen alsauch die von der Bevölkerung nichtakzeptierte Kommission des Völ-kerbunds unter ihrem PräsidentenViktor Rault, einem Franzosen.

Den ersten Eklat erlebte dasSaargebiet schon 1920. Es kam zuheftigen Auseinandersetzungenüber die Pressefreiheit, in derenVerlauf auch die Saarbrücker Zei-tung zeitweise verboten wurde.Kurz danach riefen die Beamten ei-nen Streik über acht Tage aus.

Turbulent wurde es 1923, nach-dem die Bergleute in einen 100-Ta-ge-Streik getreten waren. Zum Auf-

takt dieser härtesten Tarifausei-nandersetzung, die die Saar-Regionje erlebt hat, lieferte die SZ am 8.Januar die Erklärung für die hohenLohnforderungen der Bergleutemit einem Hinweis auf die extremeInflationsrate. Während die Preisean der Saar 1922 um das 41-fache

gestiegen seien, habe der Kurs desFranken nicht in gleichem Maßezugelegt: „Der Franken ist entwer-tet, und zwar so sehr, dass die Berg-arbeiter, die bisher im Saargebietein recht gutes Auskommen hatten,mit ihren Valutalöhnen nicht mehrzufrieden sind.“

Am 13. März, mitten im Streik derBergleute, überraschte die SZ mitder Veröffentlichung einer „Not-verordnung zu Aufrechterhaltungder Ordnung und Sicherheit imSaargebiet“. Darin wurden harteStrafen (bis zu fünf Jahre Gefäng-nis) für jeden festgelegt, der sich„verächtlich“ über den Friedens-vertrag von Versailles äußert oderden Völkerbund „beschimpft oderverleumdet“. Zugleich wurde Zei-tungen und Zeitschriften ein Er-scheinungsverbot von bis zu sechsMonaten angedroht. Im Sommer1923, nachdem sich unter anderemder Landesrat und der Verein derSaarpresse wegen der Zustände ander Saar direkt an den Völkerbundin Genf gewandt hatten, wollten dieBriten eine Untersuchungskom-mission zur Klärung der Unruhe imSaar-Revier einrichten. Allerdingsscheiterte „Der englische Schritt inder Saarfrage“, den die SZ am 1. Ju-ni als Aufmacher brachte, am Vetoder Franzosen.

In der zweiten Hälfte der 1920erJahre verlor Frankreich die Hoff-nung, die Saar-Bevölkerung imHinblick auf die Volksabstimmung1935 für einen pro-französischenKurs zu gewinnen. Paris sah dennegativen Ausgang des Referen-dums als sicher voraus und erspar-te sich weitere Anstrengungen.

Und so kam es: Der deutsch-na-tionale Triumph war überwälti-gend. Kein Wunder, dass die SZnach der Abstimmung vom 13. Ja-nuar 1935 unter der Überschrift„Deutschland über alles!“ das ko-lossale Ergebnis von über 90 Pro-zent auf der Titelseite würdigte.Von 528 005 abgegebenen Stim-men waren 477 119 auf die Rück-kehr „heim ins Reich“ – so das Mot-to der ganzen Abstimmungskam-pagne – entfallen. In der Unterzeilejenes Artikels kam die Revanchefür Versailles und den als Schmachempfundenen Friedensvertrag vollzum Ausdruck: „Das Saarvolk zer-schlägt eine Weltlüge“. Darunterwar die Dankesrede von Hitler ab-gedruckt: „Um so größer ist unserStolz, dass nach fünfzehnjährigerVergewaltigung die Stimme desBlutes am 13. Januar ihr machtvol-les Bekenntnis aussprach.“

Der Ausgang der Abstimmungwar im Grunde seit Jahren pro-grammiert. Zu groß war die Enttäu-schung über die Kommission desVölkerbundes, die unter anderemdie Pressefreiheit eingeschränkt

hatte. Weshalb in diesen Jahren dieFunktion des „Sitzredakteurs“ er-funden wurde: Ein Kollege aus derRedaktion verbüßte die gelegent-lich gegenüber seiner Zeitung aus-gesprochenen Gefängnisstrafen.

Dass der Urnengang vom 13. Ja-nuar frei und unabhängig gewesensein könnte, glaubt kein Mensch,der die SZ vom Vortag der Abstim-mung je in Augenschein genom-men hat. Auf der Titelseite des in-zwischen faktisch gleichgeschalte-ten Blattes ist nur das Bild eines

rechts-gescheitel-ten Mannes zu se-hen, dessenSchnauzbart in Hö-he der Nasenflügelgestutzt ist: Hitlerblickt mit ernsterMiene nach rechtsaus dem Bild. Da-runter steht in gro-ßen Buchstaben:„Weder kann dasReich Verzicht leis-

ten auf Euch, noch könnt Ihr Ver-zicht leisten auf Deutschland.“Wen diese Breitseite des Appells andie nationale Verantwortung nochnicht erreicht haben sollte, derkonnte sich kaum der überborden-den Deutschtümelei in der gesam-ten Ausgabe entziehen. Auf Seite 2wurde unter der Überschrift „DasErbe der Väter mahnt“ aus den„Reden an die deutsche Nation“von Johann Gottlieb Fichte zitiert.Daneben stand eine ganzseitigeAnzeige der Reichsbank, in der ihrPräsident Hjalmar Schacht sichhandschriftlich an die Saar-Bevöl-kerung wandte: „Deutsch ist dieSaar, und ich kann mir keinenDeutschen in der Saar vorstellen,der sein Deutschtum am 13. Januar

verleugnet.“ Danach folgte eineSeite mit der Überschrift „Wir wol-len keine fremde Regierung mehr“.

Das deutliche Abstimmungser-gebnis war in erster Linie ein Erfolgder Deutschen Front, die sich imJuli 1933 unter Auflösung der bis-herigen Parteien wie NSDAP undZentrum, Wirtschaftspartei oderDeutsch-Nationale Volkspartei ge-bildet hatte. Zur Erinnerung an den70. Jahrestag der Volksabstim-mung lieferte das Landesarchiv inder SZ vom 11. Januar 2005 die Er-klärung für die politischen Realitä-ten im früheren Saargebiet: „DerDeutschen Front traten neben deneinstigen Parteien auch Gewerk-schaften, Vereine und Presseorga-ne bei. Sie mobilisierte Menschen-massen in bisher unvorstellbaremAusmaß und erzeugte ein nationa-les Abstimmungsfieber, das von ih-ren Gegnern nicht zu Unrecht alsEinschüchterung und Bedrohungempfunden wurde, ihre Anhängerjedoch zu einer Art politischemKreuzzug zusammenschweißte.Für die Mehrheit an der Saar wares, als ob ein lang gehegter Traumin Erfüllung ging: der Traum vonder wahren Volksgemeinschaft.“

Allerdings gab es auch Gegner. Sohatte in den letzten Monaten vorder Abstimmung eine Einheits-front aus Sozialdemokraten undKommunisten für die Beibehaltungdes Status quo bis zum Ende derNazi-Herrschaft in Deutschlandgekämpft. Nach der Machtergrei-fung Hitlers 1933 war das Saarge-biet zum Sammelbecken all jenergeworden, die sich mit den Nazisnicht abfinden wollten oder bereitsverfolgt wurden. Aus ihrer Sichtsollte an der Saar, wo es viele In-dustriearbeiter gab, ein demokrati-sches Bollwerk gegen Hitler aufge-baut werden. Doch der Versuch warzum Scheitern verurteilt. Die Anti-faschisten hatten gegen die Mei-nungsmache und die Einschüchte-rungsversuche der DeutschenFront keine Chance. Nach Darstel-lung der Stiftung Demokratie Saar-land wurde das Bündnis der rechts-konservativen Parteien und derNSDAP schon damals vom Propa-gandaministerium von JosephGoebbels unterstützt.

Mit gestrecktemArm „heim

ins Reich“Nach der enttäuschenden Völkerbund-Zeit

stimmen die Saarländer 1935 für den Anschluss an Hitler-Deutschland

Von SZ-RedakteurGerhard Franz

Mit dem Hit-lergruß ma-chen Völklin-ger Bergleutedeutlich, wiesie am 13. Ja-nuar 1935 ab-stimmen wol-len. FOTO: DPA

So berichtete diefaktisch gleichge-schaltete SZ am 16. Januar 1935über die Saarab-stimmung. FOTO: SZ-ARCHIV

Mit Plakaten wiediesem warb dieAnti-Hitler-Frontfür den Status quo.

FOTO: EBERT-STIFTUNG

„DasSaarvolk

zerschlägteine

Weltlüge.“ SZ-Überschrift

nach derVolksabstimmung

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3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Es ist gespenstisch. Esist, als lege sich beimLesen eine kalteHand ums Herz. DieZeitungsseiten sindvergilbt, an einigen

Stellen schon brüchig, aber es stehtda: „Fest auch im Feuersturm“. DieSaarbrücker Zeitung druckt am 7.Oktober 1944 eine Durchhaltepa-role, nationalsozialistische Propa-ganda – und das nach derschlimmsten Nacht der Saarbrü-cker Stadtgeschichte. In jenerNacht, am 5. Oktober 1944, griffen325 englische Bomber in zwei Wel-len Saarbrücken an und warfen350 000 Brandbomben ab. 361Menschen starben – nach offiziel-len Angaben – im Bombenhagel, sieerstickten in den Luftschutzkel-lern, verbrannten in ihren Häusernoder wurden von Bomben zerfetzt.Die Zahl der Verletzten ist bis heu-te unbekannt. Fast drei Viertel desStadtgebiets sind zerstört.

In der Saarbrücker Zeitung wirddas Ausmaß des Schadens nicht be-schrieben. Auch die Zahl der Totenwird nicht genannt. Aber die er-wähnt auch der Saarbrücker Poli-zeipräsident in seiner ,,abschlie-ßenden Schadensmeldung“ vom 9.Oktober 1944 nicht. Es geht in die-ser Phase des Krieges nicht um In-formation – auch nicht in der Saar-brücker Zeitung. „Einen Großan-griff haben wir in der vergangenenNacht erlebt, ohne dass die Frontvon der Mosel her uns näher ge-rückt wäre“, schreibt die Saarbrü-cker Zeitung. Der Feind sei heimtü-ckisch, anstatt an der Front zukämpfen, greife er die Zivilbevölke-rung an. „Es war brutaler Terror, eswar ein Anschlag auf die Einwoh-ner Saarbrückens“, steht auf Seite 1

der saarländischen Tageszeitung.Und dann wird erklärt: „Der Rück-halt der Front ist nicht schwächergeworden, weil feindliche Bomberdas Verderben auf uns losließen.Wer kein Gepäck mehr trägt,schreitet schneller voran, und werum Menschen trauert, kennt keineGnade. So bleibt unsere grenznaheStadt auch dann in der Festung eineuneinnehmbare Position, wenn dieMauern rauchgeschwärzt und dieStraßen schuttverengt sind.“

Nach der Saarabstimmung am 13.Januar 1935 hatte die SZ seitenwei-se Fotos mit feiernden Menschenund Hakenkreuzfahnen gedruckt.„Das Hakenkreuz auf saarländi-schen Staatsgebäuden“ wird inÜberschriften gefeiert und mit Fo-tos dokumentiert. Von „Saarbrü-cken im Siegesjubel“ wird berich-tet. „Der Saarbrücker freut sich“,heißt es. Und „nachdem eine großeSchlacht mit friedlichen Waffen ge-schlagen“ worden sei (gemeint istdie Saarabstimmung), ehren dieSaarbrücker auf dem Nussbergerstmal die Helden des ErstenWeltkriegs. Neuneinhalb Jahrespäter verzichtet die SZ zwar nichtauf Pathos, aber auf Fotos. Das Aus-maß der Zerstörung wird nicht ge-zeigt. Dass ausgerechnet dieser Tagmit Tod und Verwüstung endenwürde, konnte niemand wissen.Aber bereits am Morgen des 5. Ok-tober 1944 werden die Saarbrückerbei der Lektüre ihrer Zeitung da-rauf vorbereitet, dass die Zeit desJubels vorbei ist.

Die Saarbrücker Zeitung berich-tet an diesem Tag über die Beiset-zung der Nazi-Größe Josef Bür-ckel. Der Gauleiter war „Reichs-kommissar für die Rückgliederungdes Saarlands“ und bis zu seinemTod von Neustadt an der Weinstra-ße aus für die so genannte West-mark und die Zivilverwaltung in

Lothringen zuständig. „Wir müs-sen stark sein“, lautet die Botschaft,die die Nazi-Propaganda von derBeerdigung aussendet.

Eine weitere Nachricht diesesTages lässt nichts Gutes ahnen. DieSZ berichtet von einem Auftritt des

Reichspropagandaministers Jo-seph Goebbels im Rheinland. „Je-des Haus wird eine Festung sein“,lautet die Schlagzeile der Saarbrü-cker Zeitung dazu.

Die Durchhalteparolen der Na-tionalsozialisten finden sich in den

Überschriften der Saarbrücker Zei-tung aber schon früher. Am 7. Juni1944 wird zum Beispiel von einer„Kundgebung der Zuversicht“ undvon Adolf Hitler als einem „Mann,der nie kapituliert“ und dem man„Treue ohne Einschränkung“schulde, berichtet. Und über dieHinrichtung der Offiziere, derenAttentat auf Adolf Hitler am 20. Ju-li scheiterte, schreibt die SZ am 9.August 1944: „Schimpflichster Todfür schimpflichste Tat – Die Schan-de ist gelöscht“.

Die Saarbrücker Bombennachtist nicht zu löschen. Aber schon amTag danach versucht die SZ es mitNormalität: Sie berichtet unter derRubrik Saarbrücken über „Pilzken-ner“. Es ist gespenstisch.

Propaganda statt InformationWie die SZ nach dem Bombenangriff auf Saarbrücken am 5. Oktober 1944 Durchhalteparolen ausgab

Von SZ-RedakteurMartin Rolshausen

Schwere Bomben-angriffe hinterlie-ßen 1944 in Saar-brücken großeSchäden. Teile derBahnhofstraßewurden unterSchutt und Aschebegraben (Foto).Die Titelseite derSZ vom 7. Oktober1944 berichtetüber den Kriegs-verlauf. FOTO:

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3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Nach der Stunde Nullbegann auch imSaarland eine neueZeit. Vor allem dieHauptstadt Saar-brücken war zu gro-

ßen Teilen zerstört, nach demKrieg lebten noch 60 000 Men-schen in der Stadt. Diese hattenHunger und Durst, und sie brauch-ten ein Dach über dem Kopf. KeinWunder, dass die „Neue Saarbrü-cker Zeitung“, die am 27. August1945 erstmals (wieder) auf denMarkt kam, in ihrer dritten Ausga-be am 4. September 1945 einen lan-gen Artikel auf Seite 1 „Zur Ernäh-rungsfrage“ veröffentlichte.

Die Rechnung, die ChefredakteurPeter Zimmer dabei aufmachte,verdeutlichte das Problem: „Bei ei-ner Fleischration von 50 Grammwöchentlich (pro Person) benötigtdie Stadt wöchentlich 3000 Kilo-gramm Fleisch, also 15 bis 20 StückSchlachtvieh.“ Und für Brot, Sinn-bild des Überlebens, brauchte manjede Woche „60 Tonnen Mehl“, al-lein für die Saarbrücker. Doch wo-her nehmen in Zeiten ärgster Not?

Wie schlimm es damals um dasSaarland stand, beschrieb der Jour-nalist Johannes Hoffmann, dernach zehn Jahren aus dem brasilia-nischen Asyl zurückgekehrt war:„Wohin das Auge schweift, Tod undVernichtung!“, schrieb er am 29.

September 1945 in einem langenArtikel auf Seite 1. Der Mann, derspäter erster Ministerpräsident desSaarlandes werden sollte, ließ sei-nen Emotionen freien Lauf: „OHeimat, was ist aus dir geworden!“

Aber trotz enormer Sorgen undProbleme, es ging aufwärts an derSaar. Am 3. Oktober 1945 kam derfranzösische Präsident zu Besuch,um sich über die Lage zu informie-ren, was die SZ mit einer großenSchlagzeile würdigte: „General deGaulle besucht Saarbrücken“. Am5. Februar 1946 klagte die SZ zwarüber „Die Wohnungsnot in Saar-brücken“ (für nunmehr 80 000Menschen standen nur 8000 Woh-nungen zur Verfügung), doch wur-den zugleich „Fortschritte im Fern-sprechverkehr“ festgestellt. Und –Ausdruck der Normalisierung desLebens – es wurde wieder gefeiert:Am 22. Juli 1946 fand am Saarbrü-cker Staden ein „Großes Strand-fest“ mit 20 000 Besuchern statt.Und bald stand auch in der SZ: „DerKarneval lebt wieder auf!“ DasSchlimmste, so schien es, war über-standen.

Der Aufschwung wurde auch anden Wirtschaftsdaten deutlich. Am14. April 1951 schrieb die SZ: „DieAuftrags- und Absatzlage bessertsich in nahezu allen Wirtschafts-zweigen von Woche zu Woche.“ DieSchornsteine rauchten wieder, unddass sich die Saarländer auch wie-der unbeschwert entspannenkonnten, zeigte sich am Besuch desSchwimmbads in Dudweiler amhochsommerlichen 8. Juli 1952, indem die Leute dicht gedrängt „Wiedie Heringe. . .“ (so die SZ-Über-schrift) lagen und planschten. Undman sah es am Kinoprogramm: Am11. Juli 1952 inserierten die Kinosim Saarland eine ganze Seite in derSZ mit den neuesten Filmen. Apro-pos Inserate: Am rasant steigendenAufkommen der Werbe-Anzeigenin der SZ ließ sich besonders gutablesen, wie es mit der Wirtschaftim Saarland bergauf ging.

Chance auf europäischen Glanz

Auch politisch blieb es heiß. Bei-spielhaft dafür steht die Schlagzeilein der SZ am 25. Juli 1952: „Saar-brücken endgültiger Sitz“ – es gingum nichts Geringeres als denStandort für die „Schumanplan-Behörden“ (die geplanten Montan-Behörden, benannt nach dem fran-zösischen Außenminister RobertSchuman), also die Vorläufer derheutigen europäischen Institutio-nen. „Wenn Bonn und Paris sichüber die Saar-Frage einigen“, so derdamalige italienische Ministerprä-sident Alcide de Gasperi, sollte diesaarländische Hauptstadt Sitz derBehörden werden. Das muss mansich mal vor Augen halten: Saar-brücken hatte tatsächlich dieChance, das zu werden, was heuteBrüssel und Straßburg sind! Einepulsierende Stadt mit internatio-nalem Flair, und ebenso hochquali-fizierten wie gut bezahlten Arbeits-plätzen. Doch dazu kam es nicht,auch weil die Saarländer – die seit1947 mit eigener Verfassung „auto-nom“ waren – sich nun mal alsDeutsche fühlten und kein Interes-se an einer neutralen Lösung hat-ten. Die Menschen aus Saarlouisund Homburg, Wadern und St.Wendel wollten (zum zweiten Malnach 1935) „heim ins Reich“. Am23. Oktober 1955 stimmten sieschließlich mit klarer Zweidrittel-Mehrheit für den Beitritt zur Bun-desrepublik, und die SZ titelte tagsdarauf (merkwürdig sachlich):„Saarstatut wurde abgelehnt“.

Ab dem 1. Januar 1957 war dasSaarland damit Teil Deutschlands,18 Monate später, am „Tag X“ (6.Juli 1959), wurde auch die Wäh-rung von Francs auf Mark umge-stellt. Das Abenteuer Sonderwegwar zu Ende – und das AbenteuerBundesrepublik begann. Und wie:Deutschland erlebte gerade sein„Wirtschaftswunder“, die Kon-junktur brummte. Daran wolltendie Saarländer natürlich teilhaben,doch am Anfang knirschte es ge-waltig: Die saarländische Wirt-schaft war der potenten Konkur-renz aus dem „Reich“ mit deren rie-sigem Warensortiment nicht ge-wachsen. Manche kleine Firmamusste kapitulieren und der freienMarktwirtschaft Tribut zollen. Ineinigen Städten kam es gar zu De-monstrationen über den neuen„Preiswucher“. Und immer öfterwar schon im Sommer 1959 in derSZ ein Wort zu lesen, das die Saar-länder noch 50 Jahre lang beschäf-tigen sollte: „Kohlekrise“.

Heimat, was ist aus dir geworden!Von der Stunde Null bis zur kleinen Wiedervereinigung: die Nachkriegszeit im Spiegel der SZ

Von SZ-RedakteurBernard Bernarding

Schon Ende der 40er Jahre gab es wieder Kino in Saarbrücken: Die Bran-che warb in der SZ ganzseitig um Kunden – die Saarländer konnten sichnach schwerer Zeit wieder vergnügen. FOTO: SZ-ARCHIV; KARIKATUR: STIGULINSZKY

Am 6. Juli 1959 wurden die Zollmarkierungen an der Grenze zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik entfernt (linkes Foto) – in einer Zeit, in deres in Deutschland aufwärts ging und die Kinder wieder unbeschwerter spielen konnten. FOTOS: AP, OETTINGER

Ein Blick auf die Völklinger Hütte Ende der 1950er Jahre. Die qualmenden Schornsteine und das Auto im Vordergrund veranschaulichen die boomendeWirtschaft. Heute ist die Hütte Weltkulturerbe. FOTO: OETTINGER/LANDESARCHIV

„Wohin das Augeschweift, Tod und

Vernichtung!“Diesen Satz schrieb

Johannes Hoffmann in der SZvom 29. September 1945 nach

seiner Rückkehr aus dembrasilianischen Exil;

1947 wurde Hoffmann erster Ministerpräsident

im Saarland

„Die Auftrags-und

Absatzlagebessert sich innahezu allenWirtschafts-

zweigen von Woche zu Woche.“

SZ vom 14. April 1951

S

sie mit der Vielfaltihrer Themen undihren Kommentarendie Herzen der Menschen, die hierleben, trifft. Dasmacht den Erfolgdieser Zeitung aus,die weit über die Grenzen des Saarlandes Anerkennung findet.“Luitwin Gisbert von Boch,Ehrenmitglied des V&B-Aufsichtsrates

„Mir gefällt die SaarbrückerZeitung, weil

3. DIE GESCHICHTE DESLANDES IM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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250Jahre

MITTWOCH/DONNERSTAG, 1./2. JUNI 2011 JUBIL ÄUMSBEIL AGE 3

Blutiger Weg ins Kaiserreich Wie die SZ überden Deutsch-Französischen Krieg berichtete

Das Wunder von Bern 1954 gelingt Deutschlanddie „Fußball-Sensation des Jahrhunderts“

Sternstunde der Menschheit Als alle Welt überdie ersten Menschen auf dem Mond staunte

Die Weltgeschichteim Spiegel der SZ

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Quacksalber konnte noch vielmehr: „Auch ist er ein künstlicherZahnarzt“, der folgende Technikenbeherrsche: „Zähneausnehmen,Zähnbutzen, Zähnplumbieren,Zähne festmachen, die locker sind“,zudem könne er „falsche Zähneeinsetzen, die so gut dienen wie na-türliche Zähne“. Der gute Mann lo-giere im „Weißen Roß“.

Ein Blatt dieses Inhalts, das sichdurch „gänzlichen Mangel an poli-tischen Nachrichten“ (so die SZ da-zu im Jahre 1910) auszeichnete,konnte die intellektuellen Ansprü-che der gebildeten Kreise von Saar-brücken natürlich nicht befriedi-gen. Und so abonnierten sie, man

glaubt es kaum, schonvor 230 Jahren eineZeitung von weither,um in Erfahrung zubringen, warum „hin-ten weit in der Türkeidie Völker aufeinan-derschlagen“. Schon1780, so heißt es in ei-ner Quittung des Post-meisters Kieso inSaarbrücken, hättenBürger die „Hambur-ger Zeitung“ bezogen,wo solche Nachrichtenveröffentlicht wurden!

Die Zeitung sei gemeinschaftlichvon den Herren Hofrat Röchling,Forstrat Stichling, RegierungsratDern, Hofgerichtsadvokat Lautz,Rentmeister Rebenack und ande-ren gehalten worden, die sich dieKosten teilten. Wie lange der Ver-trieb des Blattes vom fernen Ham-burg nach Saarbrücken dauerte, istnicht überliefert.

Die politische Dürre änderte sichAnfang des 19. Jahrhunderts, alssich das Anzeigblatt aus Saar-brücken langsam in ein Mit-teilungsblatt verwandelteund Verleger Hofer seineZeitung nun „SaarbrückerIntelligenzblatt“ nannte.Auch die „Franzosenzeit“(1792 bis 1815) trug dazu bei,denn als am 31. Oktober 1792eine französische Heeres-truppe von 10 000 Mann inSaarbrücken einmar-schierte, war es mit derFürstenherrlichkeit plötz-lich vorbei, und die Franzosen„predigten das Evangelium vonFreiheit, Gleichheit und Brü-derlichkeit“ – ohne sichselbst daran zu halten, wieein Chronist bissig vermerk-te. In der Folgezeit wurden dieSchlösser und barocken Bauten ander Saar jedenfalls von Franzosen,Jakobinern und auch frustriertenBauern in Schutt und Asche gelegt,und das „Intelligenzblatt“ mussteplötzlich Napoleon feiern, etwa„zum Jahrgedächtnis der KrönungSr. Maj. Des Kaisers“, das mit ei-ner „Salve aus grobem Geschützund durch Läutung aller Glo-cken“ sowie einem „großen Ball,der bis spät in die Nacht dauer-te“, begangen wurde.

Schon vor Napoleons Endebei Waterloo zogen Ende 1814Vortruppen der preußischenArmee in Saarbrücken ein –und ab dem 22. Mai 1818schwebte dann der preußi-sche Adler über dem Titel

Man schrieb da-selbst den 24.Juli anno 1768,als WilhelmHeinrich vonNassau-Saar-

brücken, Gründer des „Allgemei-nen Wochen-Blats“, für immer diefürstlichen Augen schloss. Indes,der Tod des „Landes-Vatters“ wardem Anzeigenblatt keine Zeilewert. Auch was sonst so geschah aufGottes weiter Erde, fand in derSaarbrücker Presse (noch) nichtstatt – kein Wunder: Damals warenKommunikations-möglichkeiten vonheute unvorstellbar,kam allenfalls mal einReisender vorbei wieim Jahre 1770 der 21-jährige Johann Wolf-gang Goethe, der Saar-brücken als „lichtenPunkt in einem felsig-waldigen Lande“ ent-deckte. Ansonstenkonnte man sich im„Wochen-Blat“ ledig-lich informieren über„Sachen, die man ver-kaufen / verlehnen will“ oder den„Wochen-Preiß der Lebens-Mittel“in Erfahrung bringen.

Bei Gründung der SZ 1761 warFriedrich Schiller zwei Jahre alt.Mozart war süße fünf und begannschon, die Welt mit seinen Melo-dien zu entzücken. In Berlin, bezie-hungsweise Potsdam, regierte der„Alte Fritz“, Friedrich II., der sichmit seinem Brieffreund, dem fran-zösischen Philosophen Voltaire,zerstritten hatte. Und Deutschlandwar noch ein zerfasertes Gebildeaus Königreichen, Fürsten- undHerzogtümern sowie Grafschaften.Man reiste mit der Postkutsche, einebenso langwieriges wie anstren-gendes Vergnügen, über Stock undStein. Und so dauerte es seine na-türliche Zeit, bis sich Neuigkeitenherumgesprochen hatten.

Quacksalber statt Weltpolitik

Dabei war die Welt schon damalsähnlich spannend wie heute. Anvielen Orten führten die royalenHerrschaften wie üblich ihreSchlachten und Scharmützel, am„Siebenjährigen Krieg“ von 1756bis 1763 etwa war gleich halb Euro-pa (Preußen, England, Österreich,Frankreich, Russland, Portugal)und sogar Nordamerika und Indienbeteiligt. Es ging, wie immer, umGebiets- und Machtansprüche.

Wichtig für die „Province de laSaare“, wie unser kleines Land biszur Fürstenzeit Mitte des 18. Jahr-hunderts hieß, war aber vor allemdie Französische Revolution von1789 mit all ihren Folgewirkungen.Im fürstlichen Wochenblatt standaber nichts davon geschrieben. Diegroße Weltpolitik ging damals anden einfachen Menschen vorbei.Dafür gab es Köstlichkeiten ausdem ganz normalen Leben, wie sichin einer Anzeige vom 11. März 1788ablesen lässt: „Es ist angekommenJud Bunzel aus Prag, welcher dieHühneraugen ausnimmt ohneSchmerzen“. Aber der reisende

„Intelligenzblatt von Saarbrü-cken“. Die Zeitung wurde zuneh-mend politischer, am 17. Mai 1816stand (nach)geschrieben, verfasstvon der Verwaltung der preußi-schen Staaten in Berlin: „Ein jederBürger ist schuldig, öffentlicheStadtämter zu übernehmen, undsolche womit kein Diensteinkom-men verbunden ist, unentgeldlichzu entrichten“. Fürwahr eine sehrmoderne Form der Aufforderungdes Staates an die (männlichen)Bürger, sich ehrenamtlich zu betä-tigen. Und, gewiss erstaunlich,schon zu dieser Zeit gab es selbst-verständlich Spesen, denn „der Be-trag der dabei vorfallenden Kosten(wird) von der Gemeinde vergütetwerden“.

Der Fortschritt hält Einzug

Auf jeden Fall wurde die SZ, die imRevolutionsjahr 1848 dann „Saar-brücker Anzeiger“ hieß, immer po-litischer und brachte regelmäßig„Tages-Neuigkeiten“ aus Deutsch-land (meist Berlin), der Schweiz,Frankreich, Italien oder England.Damals keimte der Traum von ei-nem Nationalstaat, und der Anzei-ger schrieb am 28. März 1848 imseinerzeit üblichen Pathos, dasVolk müsse „zusammenhalten, umdie Einheit Deutschlands zu befes-tigen, die Macht, Größe und denRuhm unseres theutschen Vater-landes zu vermehren“. Aus Frank-reich wurde berichtet, dass dieSchwester des Königs „an den Fol-gen der Grippe“ gestorben sei, ausItalien kam die Nachricht, dass inNeapel Unruhen ausgebrochen sei-en. Die Leute hätten gerufen: „Eslebe die Unabhängigkeit Italiens!Es lebe Pius IX!“, und nach einemblutigen Gefecht zwischen Trup-pen und dem Volk seien „viele Tod-te und Verwundete geblieben“.

Was die Menschen an der Saardamals aber mehr bewegte, ist ausheutiger Sicht eher lustig. Der Saar-brücker Anzeiger veröffentlichteAnfang 1848 folgende Meldung, inder „die Männer von St. Johann,welche stets dem Fortschritt, mager auch noch so unbedeutendscheinen, huldigen“, das Publikumhöflichst einluden, „sich künftigenDonnerstag den 6. Januar 1848 imGasthof zum Bären einzufinden,um der feierlichen Enthüllung desunserer Stadt bewilligten Briefkas-tens beizuwohnen“. Offenbar wardies ein Anlass wie Weihnachtenund Karneval zusammen, denndies sei „ein so wichtiges Fest, wiegewiß in der ganzen Welt noch keinähnliches begangen worden ist, –und auch sicher für uns nie wieder-kehren wird“. Und deshalb, mein-ten die Männer von St. Johann,werde „Herr Briefkastenhalter Pil-gram aus reinem Patriotismus zurVerherrlichung dieses für unsereStadt unvergesslichen Tages einBriefkastenessen veranstalten. . .“

Ein Fest an der Saar wie nirgends auf der WeltAls die SZ gegründet wurde, herrschte

in Preußen der „Alte Fritz“, fing Mozart an zu komponieren – und 1848 feierte man in

Saarbrücken die Einweihung eines Briefkastens

Von SZ-Redakteur Bernard Bernarding

Mit dem Sturm auf dieBastille begann 1789die Französische Revo-lution: Das Ereignisfand in der SZ nichtstatt, Weltpolitikspielte zunächst keineRolle. Das änderte sichMitte des 19. Jahrhun-derts. Aus dieser Zeitstammt auch das Fotoeines der ersten Fir-menfahrzeuge. Falschist jedoch die Auf-schrift „gegr. 1760“.FOTOS: HOFER, KEYSTONE

Der „Alte Fritz“ regierte in Preußen,als in Saarbrücken das „Wochen-Blat“ geboren wurde. FOTO: IMAGO

Fünf Jahre älter als dieSZ: Wolfgang AmadeusMozart. FOTO: INTERFOTO

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Jeder Krieg schreibt sei-ne Geschichten. Am 3.August des Jahres 1870erhielt der Bürgermeis-ter von Saarbrücken ei-ne Depesche vom Batail-

lons-Kommandeur der Franzosen.Die gut gemeinte Einladung zumFrühstück hat indes einen Haken –oder vielmehr zwei. Der erste: Derfranzösische Offizier bittet denSaarländer, alles fürs Frühstückselber mitzubringen. Der zweiteHaken: Seit drei Wochen herrschtKrieg zwischen Frankreich undDeutschland. Die salomonischeLösung des Saarbrücker Bürger-meisters: Er schickt einen Koch mitden feinsten Delikatessen insfeindliche Lager – und lässt sichselbst wegen „dringender Amtsge-schäfte“ entschuldigen.

Dieser Krieg hat weniger höflichbegonnen. Auf der Suche nach ei-nem geeigneten Kandidaten alsneuem König von Spanien ist 1868ein Hohenzollern-Prinz ins Ge-spräch gekommen. Als Frankreichprotestiert, ziehen der preußischeKönig und der Thronkandidat dieBewerbung zurück. Frankreich for-dert darüber hinaus kategorisch ei-ne Entschuldigung und weitere Ga-rantien. Der preußische Minister-präsident Bismarck veröffentlichtdiese Forderung, mit der der fran-zösische Botschafter auf der Kur-promenade von Bad Ems KönigWilhelm förmlich bedrängt hat, inso verkürzter Form („Emser Depe-sche“), dass beide Staaten dies alsProvokation und Kriegsgrund auf-fassen müssen. Tatsächlich erklärtFrankreich Preußen am 19. Juli1870 den Krieg und steht damit, wievon Bismarck beabsichtigt, vor derWelt als Aggressor da.

Statt wie ursprünglich geplantüber Trier ins Rheinland vorzusto-ßen, besetzen die Franzosen Saar-brücken, das strategisch eher iso-liert und nur von wenigen preußi-schen Truppen geschützt ist. Am28. Juli beschießen die Batterienauf dem Spicherer Berg den Klei-nen Exerzierplatz und die Bellevue.Am 2. August gehen die Franzosengegen das 40. Regiment vor. „Wäh-rend des Kampfes pfeifen die Chas-sepotkugeln von den Trillergärtenum die Hofersche Druckerei undprasseln auf das höher gelegeneDach des benachbarten Gymnasi-ums“, liest man in unserem Blatt.„Bald wimmelt es in den Saarbrü-cker Straßen von roten Hosen“, al-so französischen Uniformen. Kai-ser Napoleon III. beobachtet denKampf mit seinem 15-jährigenSohn Louis Bonaparte („Lulu“)vom späteren Lulustein aus undberichtet seiner Gattin von der „be-wundernswürdigen Kaltblütigkeit“des Prinzen angesichts des kra-chenden Schusswechsels.

„Bitte! Bitte! Bitte!“

Nachschubmängel der Franzosen –daher die Frühstückseinladung anden Bürgermeister – und derenenttäuschte Hoffnung, die süd-deutschen Staaten würden wenigeJahre nach der eigenen Niederlagegegen Preußen zumindest neutralbleiben, sorgen dafür, dass dieFranzosen über Saarbrücken nichthinausgehen und sich am 5. Augustwieder nach Spichern zurückzie-hen. Die inzwischen eingetroffenepreußische Verstärkung rücktnach, das Gefecht beginnt. Am 7.August bringt unser Blatt Genaue-res: „Als wir gestern gegen 5 Uhrunsere Zeitung zur Presse gaben,waren die Spicherer Höhen durchdie braven preußischen Truppengenommen (. . .) Der Kampf ent-spann sich etwa gegen zwölf Uhrmittags und dauerte ununterbro-chen, bis es Nacht geworden war.(. . .) Die Franzosen schlugen sichnicht minder brav als die Unsrigen,ihre Schusswaffen sind den preußi-schen wenigstens gleich, und dabeibefanden sie sich in verschanzter,schwer zu nehmender Stellung.“Mehrmals müssen die Deutschenden ersten eroberten Hügel wiederräumen, dann bei glühender Au-gust-Hitze mühsam Kanonen hi-naufschaffen.

Krieg herrscht auch im Insera-tenteil unseres Blattes. „Special-karten vom Kriegsschauplatz“ wer-den angeboten, „Helme, Tornisterund Portepées“. „Wer angesichtsder gegenwärtigen Verhältnisse“Wertsachen verstecken will, kann„Schatz-Kessel aus verzinktem Ei-sen“ erwerben, und für Realisten

gibt es „Lazareth-Gegenstände“.Das Schmunzeln vergeht einem je-doch, wenn man die Suchanzeigenliest, von denen die Zeitung nachder Schlacht überquillt: „Bitte! Bit-te! Bitte! Wer irgendeine Auskunftüber den Schwerverwundeten Ru-dolf Cäsar aus Idar geben kann . . .Witwe Christian Cäsar“. Womitwieder einmal die doppelte Funkti-on einer Zeitung deutlich wird:heute als aktuelle Informations-quelle, morgen als Dokument vonhistorischer Qualität.

Der Saar-Chronist Ruppersberg,dessen Berichte vom damals übli-chen Hurra-Patriotismus infiziertsind, wagt hier unverblümte Kritik:„Wer nur als Fußgänger diesen stei-len Berg erstiegen hat und, atemlosoben angekommen, das Blachfeldvor sich sieht, dass die Preußen

durchschreiten mussten, wird dieErstürmung dieser noch dazukunstvoll befestigten Stellung fürein Ding der Unmöglichkeit hal-ten.“ Und: „Warum müssen sieauch geraden Weges auf den Berglosstürmen und den Stier bei denHörnern fassen? Wie gut könntensie den kleinen Umweg über St. Ar-nual machen, dort in aller Ruhe denStiftswald ersteigen und die Fran-zosen auf gleichem Boden in derFlanke fassen!“

Hinterher ist gut reden. DiePreußen siegen, aber unter schwe-ren Verlusten auf beiden Seiten:320 Tote und 1660 Verwundete beiden Franzosen, 850 Tote und 4000Verwundete bei den Preußen. „Denganzen gestrigen Abend und dieganze Nacht hindurch bis elf Uhrvormittags reiht Wagen sich an Wa-

gen, welche die Verwundeten vondem Schlachtfeld in unsere beidenStädte befördern.“ Mindestens3000 Verwundete muss die Dop-pelstadt unterbringen. Lazarettund Hospital sind rasch überfüllt;Kasernen und Schulen, Barackenund die Schlafhäuser der Grubenwerden eiligst hergerichtet. Immerneue Truppen rücken nach; vierArmeekorps passieren die Stadt,500 französische Gefangene müs-sen untergebracht werden. Schonam 6. September schlägt unserBlatt vor, das Mockental, die Be-gräbnisstätte der Gefallenen, in„Ehrental“ umzubenennen. Hierwird später auch Katharina Weiß-gerber beigesetzt, als „SchultzeKathrin“ bis heute bekannt.

Wenige Wochen später stehendie vereinigten deutschen Truppenvor Paris, wo sich eine Revolte ab-spielt: Die Regierung von KaiserNapoleon III. wird abgesetzt (erselber ist in deutscher Gefangen-schaft) und die Dritte Republikausgerufen, die den Krieg weiter-führt, während das übrige Frank-reich am 2. September 1870 kapitu-liert. Erst jetzt versiegen die Nach-richten unseres Partners, der Pari-ser Havas-Agentur.

Luftpostmeldung aus Paris

Der findige Korrespondent in Parisnutzt einen der 55 nicht lenkbarenBallons, die damals 2,5 MillionenBriefe, aber auch Brieftauben (fürdie Rückantwort), Hunde und so-gar Menschen hinausbeförderten.Sein erster Bericht mit Auszügender Pariser Presse geht am 14. Ok-tober 1870 um 17 Uhr ab, trifft nachUmwegen am 19. nachmittags inSaarbrücken ein und wird erst am22. in unserem Blatt veröffentlicht– die Zensur braucht schließlichauch ihre Zeit. . .

Am 18. Januar 1871 lässt sich Wil-helm I. auf Betreiben Bismarcks imSpiegelsaal von Versailles zumKaiser proklamieren, und dieKönigreiche Bayern undWürttemberg sowie die Groß-herzogtümer Hessen undBaden werden gemeinsammit den Staaten des Nord-deutschen Bundes unterder Führung Preußenszum neu gegründetenDeutschen Reich ver-einigt, zu dem auchElsass und Lothrin-gen als „Reichslan-de“ gehören. Frank-reich muss eine ho-he Kriegsentschädigungzahlen, die im DeutschenReich zunächst eine Wirt-schaftsblüte auslöst. DasDeutsche Reich wächst bis zum

Ersten Weltkrieg zur größten Bin-nenvolkswirtschaft der Welt. Fürdie Saarstädte bringen der Wegfallder Grenze und die ErschließungLothringens neue Märkte. AuchSaarbrücken profitiert; die Ein-wohnerzahl wächst zwischen 1860und 1910 von rund 15 700 auf105 000. Am 15. März 1871 wird derfrisch gebackene Kaiser in Saarbrü-cken auch von einem schwungvol-len Poem unseres Redakteurs be-grüßt: „Hell strahlt ein jedes Aug’ inGlück und Freude / Und Jubel töntdurch’s stille Thal der Saar . . .“ DieSaarbrücker Zeitung feiert dieReichsgründung auf ihre Weise:Nach 30 Jahren „Am Löwen“ wirddas neu erbaute eigene Verlagsge-bäude in der Eisenbahnstraße be-zogen.

Derblutige Weg

ins DeutscheKaiserreich

Der Krieg zwischen

Deutschen und

Franzosen 1870/71

spielte in

Saarbrücken eine

besondere Rolle –

Am Ende des

Konflikts wird der

Preuße Wilhelm I.

ausgerechnet in

Versailles zum

Deutschen Kaiser

ausgerufen

Von SZ-Mitarbeiter Hans Bünte

Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Kuriosumam Rande: Das Gemälde von Anton von Werner zeigt auch einen Saarländer: Links vorne mit Säbel ist nach Recherchen des HistorischenVereins Gresaubach Johann Schedler („Meddelschd Schaken“) zu sehen, einer der berühmtesten Söhne des Ortes. FOTO: INTERFOTO

Der Saarlouiser Traditionsverein „Die Dreissiger“ erin-nert in historischen Uniformen regelmäßig an die Ereig-nisse der Kriegsjahre 1870/71. FOTO: JENAL

ReichskanzlerBismarck mitdem gefange-nen französi-schen KaiserNapoleon III.

FOTO: DPA

Am 15. August 1870 berichtet eine„Extra-Beilage“ der SZ von ein Ge-fecht zwischen Preußen und Franzo-sen nahe Metz. FOTO: SZ-ARCHIV

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Die Ereignisse umden Kriegseintrittdes Deutschen Kai-serreichs am 1. Au-gust 1914 erfuhrendie Leser der Saar-

brücker Zeitung erst am 3. August –der 2. August war nämlich einSonntag, und da erschien damalswie heute keine Zeitung. Die Bot-schaft der Zeit war klar und die SZmachte sie zum Titel auf Seite 1:„Der König ruft!“, war da zu lesen.Dann folgte in der Unterzeile „Rus-sischer Verrat“ – eine solche Wer-tung in einer Nachricht wäre ausheutiger Sicht eine Ungeheuerlich-keit. Die SZ gab unverhohlen demvaterländischen Gefühl nach, an-ders als heute, wo zum Beispiel derKrieg in Afghanistan Befürworterund Gegner hat und die Distanzzum Geschehen viel größer ist. Die eigentliche Hauptnachrichtdes Tages findet man an diesem 3.August am Ende der Unterzeile„Beginn des Krieges“. So lapidarleitete die SZ den Krieg ein, der bisdahin zum blutigsten aller Zeitenwerden sollte. Schätzungen zufolgestarben zehn Millionen Soldatenund sieben Millionen Zivilisten. 20Millionen Soldaten wurden teilsschwerst verwundet. Die Schuld sah man ausschließlichbei den anderen: „RussischeMachtgelüste haben einen Welten-brand entfacht, der in Neid undHatz vernichten möchte, was deut-sche Tüchtigkeit in den letztenJahrzehnten geschaffen hat. DerZar hätte den Krieg verhindernkönnen, er wollte es nicht. (. . .) Ingleicher Weise sind die Franzosendafür verantwortlich, die seit Jahr-zehnten stets bereit waren, Russ-land mit Geldmitteln zu unterstüt-zen, einzig zu dem Zwecke, den Re-vanchegedanken durchführen zuhelfen. Es gilt für unsere Feinde,das Germanentum zu vernichten,ein frevelhafter Wunsche, der unsdas Schwert in die Hand drückt.“Und so machte die Saarbrücker Zei-tung ihrerseits mobil: „Vorwärtsmit Gott!“, forderte der Leitartik-ler. „Das Volk steht auf, der Sturmbricht los! Vorwärts mit Gut undBlut für Kaiser und Reich!“

Nach der Reifeprüfung in den Krieg

Am 4. August titelte die Zeitung„Deutschlands Kampf an zweiFronten. Wie die Russen, so habenauch die Franzosen unter Bruchdes Völkerrechts ohne Kriegserklä-rung den Kampf begonnen“. EinenTag später lautete die Schlagzeile„Das perfide Albion“ (England,Anm. d. Red.). Und nicht selten warin diesen ersten Kriegstagen zu le-sen von der „russischen Treulosig-keit“ und der englischen „Hinter-hältigkeit“. Die Titelseite war ge-spickt von Propaganda, die interna-tionalen Kriegsnachrichten lasman auf Seite 2, die regional bezo-genen auf Seite 3 – Nachrichten,die aus heutiger Sicht befremden.Einige Beispiele: Am 8. August ver-meldete die Saarbrücker Zeitung inder Nachrichtenspalte unter derÜberschrift „Verhaftete Spione“ dieFestnahme ausländischer Spione.

„Gestern vormittag versuchtenachtzig französische Offiziere inpreußischer Uniform in Lastkraft-wagen die preußische Grenze west-lich von Geldern zu überschreiten.Der Versuch misslang.“ Noch wardie Begeisterung groß, von Kampf-handlungen gab es noch relativ we-nig zu berichten. „Deutsche Begeis-terung“ hieß es am 8. August ausKoblenz: „Die 30 Oberprimanerdes Friedrich-Wilhelm-Realgym-nasiums, die sämtlich ihre Reife-prüfung bestanden, erklärten sichmit Begeisterung bereit, sofort indas Heer einzutreten“ – wobei dieWorte „sofort in das Heer“ im Ver-gleich zum anderen Text auffallendgroß gedruckt waren.

Kriegserfolge wurden zunächstüberschwänglich gefeiert, an derÜberlegenheit der deutschen Sa-che ließ man keinen Zweifel. Anlasszur Freude hätte eigentlich dieüberraschende Einnahme desForts Douaumont bei Verdun am26. Februar 1916 sein müssen. Dochdie SZ blieb in ihrem Ton viel nüch-terner und nachrichtlicher als inden ersten Kriegsjahren. So titelteman auf Seite 1: „Die PanzerfesteDouaumont bei Verdun erstürmt“,begleitet von einer „Kartenskizzevon der Front im Westen“, verse-hen mit dem Zusatz „Zum Aufbe-wahren“. Zum Ereignis an sichdruckte die Zeitung auf Seite 2nach der Ortsmarke „Großes

Hauptquartier“: „Die PanzerfesteDouaumont, der nordöstliche Eck-pfeiler der permanenten Hauptbe-festigungslinie der Festung Ver-dun, wurde gestern nachmittagdurch das Brandenburgische In-fanterie-Regiment Nr. 24 erstürmtund ist in unserer Hand.“ Absen-der: Oberste Heeresleitung.

Douaumont galt damals als eineder modernsten Befestigungsana-lagen. Meterdicke Wände und De-cken sollten feindlichem Beschussstandhalten – und taten es auch.Mit brachialer Gewalt war die Festenicht einzunehmen. Da entdeckteder Unteroffizier Kunze einenSchacht, der ins Innere des Fortsführte. Im Handstreich überwan-den er und rund 20 andere deut-sche Soldaten die 67 französischenVerteidiger, ohne dass ein Schussfiel. Zehn Monate später war Dou-aumont wieder in französischerHand, ohne dass sich der Grenzver-lauf wesentlich geändert hatte. DieVerluste indes waren enorm:Schätzungen zufolge starben aufbeiden Seiten 100 000 Mann.

Es gab aber auch noch andere Ge-schichten aus dem Krieg zu berich-ten, wie diese „von einem Mitarbei-ter aus dem Felde“ vom Februar1916, der einen „Sonntagnachmit-tag in Lille“ beschreibt: „Ein herr-licher Frühlingssonntag verlocktmich zu einem Spaziergang durchLille. Wie ich durch die Rue natio-nale gehe, höre ich von weitemKonzertmusik. Die Hauptstraßen,die auf den Platz einmünden, wieauch der Platz selbst, sind belebtvon zahlreichen Zuhörern, diemeist allerdings in Feldgrau geklei-det sind. Man sieht Sonntagsuni-

formen, aber auch den Lehm desSchützengrabens. Das französischePublikum hält sich etwas zurück.Es fühlte sich nicht recht behaglichin dem Waffengrau. Aber die Da-men, namentlich diejenigen mitder dicken Schicht Schminke, kön-nen es sich doch nicht versagen,dem Konzert zuzuhören. (. . .) Hierund da begrüßen sich Bekannte, diesich sonst selten sehen, weil sie inverschiedenen Schützengräben lie-gen. Die Engländer, die in den letz-ten Tagen besonders eifrig am Fun-ken sind, ballern mit einer Energie,als ob sie wieder eine frische Muni-tionssendung aus Amerika bekom-men haben. Aber das Platzen derSchrapnells, der unheimlich knat-ternde Ton, regt längst keinen son-derlich mehr auf. Man ist derleilängst gewohnt.“

Spätestens nach dem Kriegsein-tritt der USA 1917 auf Seiten der Al-liierten wendete sich das Blatt.Schlagzeilen zu schlechten Nach-richten sind aber selten, sie werdeneher im Kleingedrucktem ver-steckt. Das Deutsche Reich war derAllianz nicht mehr gewachsen. ImSeptember 1918 forderte die Obers-te Heeresleitung angesichts der de-saströsen Lage von der politischenFührung Verhandlungen über ei-nen Waffenstillstand.

„Der Kaiser hat abgedankt!“

Am 9. November veröffentlichtedie SZ die entsprechenden Bedin-gungen auf Seite 1. Insgesamt 18Punkte umfasste der Auszug ausden Waffenstillstandsbedingun-gen. Eine Auswahl: „2. SofortigeRäumung Belgiens, Frankreichsund Elsaß-Lothringens binnen 14Tagen. Was von Truppen nach die-ser Zeit übrig bleibt, interniert oderkriegsgefangen. 3. Abzugeben 5000Kanonen, zunächst schwere,30 000 Maschinengewehre, 3000Minenwerfer, 2000 Flugzeuge. 4.Räumung des linken Rheinufers.Mainz, Koblenz und Köln besetztvom Feinde auf Radius von 30 Kilo-meter Tiefe. 7. 5000 Lokomotiven,150 000 Waggons, 10 000 Fracht-wagen abzugeben.“ Am 10. Novem-ber meldet die Zeitung: „Der Kaiserhat abgedankt!“. Einen Tag späterwird der Waffenstillstand unter-zeichnet. Mit dem Versailler Ver-trag von 1919 wird der Erste Welt-krieg offiziell beendet. In Kraft tritter am 10. Januar 1920.

Vorwärts mit Gott für Kaiser und VaterlandVoller Euphorie feierte die SZ den Beginn des Ersten Weltkrieges

Von SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn

„Auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze“: Siegessicher ziehen deutsche Soldaten 1914 in den Krieg. Viele sollten ihre Heimat nie wieder sehen. FOTO: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Unverhohlen patriotischzog die SZ am 3. August 1914 mitin den Krieg undberichtete über dieMobilmachung(oben). Am 10. No-vember 1918 war al-les vorbei: Der Kai-ser hatte abgedankt,in Saarbrücken bil-dete sich ein Arbei-ter- und Soldatenrat.

FOTOS: SZ-ARCHIV, RUP

„Das Volksteht auf, derSturm brichtlos! Vorwärtsmit Gut und

Blut fürKaiser und

Reich!“Zitat aus einemSZ-Kommentar

zum Kriegsbeginn

„Hurra, es geht in den Krieg“ – der Ausbruch des ErstenWeltkriegs wurde im Deutschen Reich bejubelt. FOTO: DPA

ich mich über gute Recherche in unserer Region freue, widersprüchliche Kommentare für eine Bereicherung halte und mich manchmal herzerfrischend ärgernkann, wenn mir eine Berichterstattung gegen den Strich geht.“Hajo Hoffmann, ehemaliger Oberbürgermeister von Saarbrücken und früherer Wirtschaftsminister im Saarland

„Mir gefällt die Saarbrücker Zeitung, weil

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Es wird wohl ein Re-kord für die Ewigkeitbleiben: Innerhalbvon einer halbenStunde läuft einMensch die 100 Me-

ter zwei Mal in blanken zehn Se-kunden. Armin Hary, geboren am22. März 1937 in Quierschied, hatdas am 21. Juni 1960 beim Leicht-athletiksportfest im Letzigrundvon Zürich geschafft. Ein Saarlän-der ist der „schnellste Mann derWelt“. Die Saarbrücker Zeitungreagiert am Morgen danach mit ei-ner Meldung über den „phantasti-schen Weltrekord“ auf der Titelsei-te. Für sie kommt Hary jedoch ausFrankfurt, weil er für den FSV star-tet. Am 23. Juni prangt dann seinKonterfei auf der SZ-Titelseite.

Auch bei der Darstellung von Ha-rys Werdegang im Sportteil desgleichen Tages taucht Quierschiednur in Klammern auf – wieder istder damals 23 Jahre alte„Quierschder Bub“ ein Frankfurter.Doch den Weltrekord nimmt ihmniemand mehr. Obwohl es ein har-tes Stück Arbeit war, bis er die alteBestmarke geknackt hatte. Die Ju-ry erkannte beim ersten Lauf nach-träglich auf Fehlstart, obwohl derStarter das Feld nicht zurückge-schossen hatte. Harry trat zusam-men mit drei weiteren Läufern zurWiederholung an, und wieder bliebdie Stoppuhr für ihn bei der Welt-rekordzeit von exakt 10,0 Sekun-den stehen. Nach dieser Maßarbeitzählte Hary auch für die Saarbrü-cker Zeitung zu den „größten deut-schen Hoffnungen bei den Olympi-schen Spielen in Rom“. Dort bestä-tigt Hary die Vorschusslorbeereneindrucksvoll, und lässt von Beginnan keinen Zweifel daran, ein ganzheißer Kandidat auf die Goldme-daille über die 100 Meter zu sein.

Schon als Zwischenlaufsiegerhatte er in 10,2 Sekunden einenneuen Olympischen Rekord aufge-stellt. „Damit löschte er die seit1932 gültige und danach einige Ma-le eingestellte Bestzeit von 10,3 Se-

kunden aus den Büchern“ und„brach die seit 1932 andauerndeVorherrschaft der Amerikaner“ aufder kurzen Sprintstrecke, berichtetdie SZ am 1. September 1960. Umeinen Tag später in weißer Schriftim roten Balken den „schnellstenSprinter der Welt“ als ersten saar-ländischen Olympiasieger über-haupt zu feiern. Doch leicht wurdees Hary nicht gemacht. Denn erstder dritte Start des Endlaufs klapp-te. „Die ganze Kaltblütigkeit ArminHarys zeigt sich nach dem zweiten

Fehlstart, als er das pfeifende Pub-likum mit dem Finger auf denMund legend mahnte“, schilderteder namenlose Autor in der SZ dieletzten Sekunden vor dem Start.„Dann fliegt Hary aus den Blöckenund liegt deutlich wahrnehmbarvor dem geschlossenen übrigenFeld“. Der Sieg – doch: Keiner dergeschlagenen Amerikaner hält esfür nötig, „den Deutschen zu sei-nem Erfolg zu beglückwünschen“.

Noch einmal stiehlt Armin Haryden erfolgsverwöhnten Amerika-

nern bei den Spielen von Rom dieShow. Zusammen mit Bernd Cull-mann, Walter Mahlendorf undMartin Lauer gewinnt der Sprin-terkönig auch die 4x100-Meter-Staffel in der neuen Weltrekordzeitvon 39,5 Sekunden. Der Schluss-läufer der Amerikaner stürmt zwarals Erster durchs Ziel, doch wirddas US-Quartett später wegen ei-nes Wechselfehlers disqualifiziert.Armin Hary gewinnt sein zweitesGold „und die Wogen der Begeiste-rung schlugen über DeutschlandsWeltklasseläufern zusammen“,schreibt die SZ. Auch weil „der 100-Meter-Olympiasieger im Riesen-tempo über die Bahn jagte und sei-ne Füße kaum noch den Boden zuberühren schienen“. Das nach Romentsandte SZ-RedaktionsmitgliedHansgünther Adam war offensicht-lich komplett begeistert vom Auf-tritt des Landsmannes.

Großes Kapital kann Hary aller-dings nicht aus dem Doppel-Erfolgvon Rom ziehen. Denn schon einJahr später beendet er, gerade mal24 Jahre alt, nach Differenzen mitdem Deutschen Leichtathletik-Verband wegen einer unkorrektenSpesenabrechnung (es ging um 70Mark) frustriert seine Karriere.Und bestätigt damit, was schon einJahr vorher in der SZ stand: Dassnämlich „der Umgang mit ihm we-gen seiner Eigenwilligkeit nichtimmer einfach ist“.

Derschnellste

Mannder Welt

„Gold für Armin Hary“ –Ein junger Mann aus Quierschied

rennt 1960 in Rom zum Olympiasieg

Von SZ-Mitarbeiter Klaus Kalsch

Der Saarländer Armin Hary lief als erster Mensch die 100 Meter in 10,0 Sekunden. 1960 gewann er bei den Olympischen Spielen in Rom zwei Mal Gold. FOTOS: DPA

Roter Balken und Titelbild: So berichtete die SZ am 2. Sep-tember 1960 über Harys Olympiasieg. FOTO: SZ-ARCHIV

Nein, Deutschlandwar kurz vor demMauerbau ab dem13. August 1961nicht zum Scherzenzumute. Die Saar-

brücker Zeitung veröffentlichte am12. August einen Bericht über dieDreharbeiten zu Billy Wilders Film„Eins, zwei, drei“ in Berlin. „CocaCola contra Chruschtschow, dassoll in Verkennung der Wirklich-keit nicht als Bloßstellung einerempfindlichen Schwäche des Wes-tens gezeichnet werden, sondernals Ideal der freien Welt. Ob unsDeutschen dabei nicht das Lachenim Halse stecken bleibt?“, fragtesich der Autor Vitus B. Dröscher.Und er sollte Recht behalten: Erst20 Jahre später wurde der Wilder-Streifen zur Legende, die Deut-schen konnten die bitterböse Iro-nie verstehen und auch über sichselber lachen.

Während Wilder das Branden-burger Tor aus Pappmaché für200 000 Mark am Set nachbauenließ, durch das „Hotte“ Buchholzauf dem Motorroller mit einerSechserkiste Coca Cola im Gepäckbrauste, spielten sich am realenBerliner Wahrzeichen erschüttern-de Szenen ab. Die DDR-Grenztrup-pen drangsalierten und schicka-nierten auf Geheiß von oben dieBerliner, die alltäglich noch zwi-schen West und Ost wechselten.Die zigtausend Ostberliner, die imWesten etwa bei Siemens & Halskearbeiten, werden als „Verräter ander Arbeiterklasse“ diffamiert. DieBerliner SZ-Korrespondentin Re-nate Marbach schreibt in der Sams-tagsausgabe vom 12. August: „DieFamilienmitglieder eingerechnettreffen die SED-Schikanen mehrals zehn Prozent aller Ostberliner.Sie treffen sogar Kinder, denen derLehrer in der Schule erzählt, ihrVater handele unmoralisch, wenner in Westberlin arbeite statt alsAktivist in einem Betrieb unsererRepublik, die Arbeit für alle hat.Knirpse kommen weinend heim:Vati, warum bist du kein Aktivist?“

Die „Aktivisten“ machen dann inder Nacht zum 13. August ernst.„Kommunistische Truppen riegelnOstberlin ab“, titelt die SZ am Mon-tag, 14. August. Die Schwarz-Weiß-Fotos auf der ersten Seite erinnernan den Krieg: Sie zeigen Soldatenund Panzer. „Ostberlin glich amSonntagmittag einem Heerlager“,heißt es im Drahtbericht der Nach-richtenagentur UPI. Und der na-menlose SZ-Kommentator nenntdie Ursache: „Eine Sperrkette vonPanzern, schwer bewaffneten Sol-daten und Vopos riegelt seit ges-tern alle Zugänge nach Westberlinab, um die Fluchtwege zu kontrol-lieren, auf denen sich in den letztenWochen Zehntausende von Ein-wohnern der Zone dem wachsen-den Terror der kommunistischenDiktatur entzogen haben.“

Der Massen-Exodus aus der „Zo-ne“, wie die DDR von den meistenwestdeutschen Presseorganen An-fang der 60er Jahre genannt wird,war der Hauptgrund für das SED-Regime unter Walter Ulbricht, dieGrenzen dicht zu machen. Obwohl

Ulbricht noch am 15. Juni 1961 aufdie Frage einer Korrespondentinder „Frankfurter Rundschau“ ge-antwortet hatte, dass niemand dieAbsicht habe, eine Mauer zu errich-ten, beginnen kurz nach der Abrie-gelung der Sektorengrenze dieMaurerbrigaden ihr Werk imSchutz von Panzern.

Der Alltag von Hunderttausen-den wird zerschnitten, auf Ver-wandtschaftsbeziehungen, Liebes-paare oder Arbeitsstellen keineRücksicht genommen. Beide Seitenrichten sich pragmatisch ein mitdem scheinbar Unabänderlichen.Im „Tränenpalast“ an der U- und S-Bahnstation Friedrichstraße inOstberlin werden sich über Jahr-zehnte ergreifende Szenen abspie-len, wenn die Besucher aus demWesten um 24 Uhr spätestens wie-der in die Freiheit gehen dürfenund ihre Verwandten und Freundehinter der Mauer zurücklassenmüssen. Erst ein Zettel, den derSED-Obere Günter Schabowski am9. November 1989 hervorzieht undvorliest, beendet das Elend Berlins.

Die Mauerzerschneidet

das Lebender Berliner

Am 13. August 1961 riegelten DDR-Truppen alle Zugänge nach West-Berlin ab – Ulbricht hatte kurz zuvor gelogen:

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“

Von SZ-RedakteurDietmar Klostermann

Neuer Berliner Alltag im Spätsommer des Jahres 1961: Die Mauer steht,drei Frauen sitzen auf der Westseite unterm Sonnenschirm, unterhaltensich und stricken. FOTOS: KEYSTONE

Sprung in die Freiheit: Der DDR-Grenzsoldat

Conrad Schumann überwindet am

15. August 1961 denStacheldraht in Berlin. Das

Foto wird weltberühmt.

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Egal, was nach dem 22.November 1963 in derZeitung stand, in derSaarbrücker Zeitungoder in einer anderenirgendwo auf der Welt

– es gibt Menschen, die werden nieglauben, dass Lee Harvey OswaldJohn F. Kennedy, den 35. Präsiden-ten der Vereinigten Staaten vonAmerika, erschossen hat. Um kaumein Ereignis der Weltgeschichteranken sich nämlich so viele Ver-schwörungstheorien wie um dasAttentat auf John F. Kennedy an je-nem 22. November 1963 in Dallas.

„Präsident J. F. Kennedy erschos-sen“, titelte die Saarbrücker Zei-tung in ihrer Wochenendausgabevom 23./24. November 1963. „Aufder Fahrt durch Dallas wurde erdurch Schüsse aus einer automati-schen Waffe niedergestreckt. Nochbei Bewusstsein wurden er und derGouverneur von Texas, John Con-nally, in das nächste Krankenhausgefahren“, schreibt die SZ. Gegen12.30 Uhr fielen drei Schüsse. ImKrankenhaus starb Kennedy kurznach seiner Einlieferung. Gegen 13Uhr wurde er für tot erklärt.

Die SZ berichtet von der unver-letzten, „äußerlich beherrschten“Präsidentengattin Jackie Kennedy,von einem weinenden Senator und

trauernden Menschen vor demKrankenhaus. Sie berichtet darü-ber, dass die Tatwaffe, „ein automa-tisches Gewehr“, gefunden wurde.Davon, dass Vizepräsident LyndonB. Johnson als 36. US-Präsidentvereidigt wurde. Der Name LeeHarvey Oswald fällt nicht.

Zu diesem Zeitpunkt wird nochüber „erste Spuren von Attentä-tern“, also über mehrere Täter, spe-kuliert. Auch über deren Motivegibt es nur Spekulationen. „Nochist das Motiv der Attentäter nichtbekannt“, schreibt die SZ. Es werdejedoch vermutet, „dass die Rassen-politik des Präsidenten, die ihm inden Südstaaten der USA viele erbit-terte Feinde brachte“, Hintergrund

des Attentats gewesen sein könnte.Obwohl die SZ bereits am Tag nachdem Attentat von einem „Schock inder ganzen Welt“ berichtet, ver-säumt sie es nicht, darauf hinzu-weisen, dass Kennedy im eigenenLand längst an Strahlkraft verlorenhatte: „Der Präsident war nach Te-xas gekommen, um seine schwin-dende Popularität in diesem für dienächsten Präsidentschaftswahlenwichtigen Staat aufzufrischen.“

Dann überschlagen sich die Er-eignisse. Als die SZ am Montag dieBerichterstattung über das Kenne-dy-Attentat fortsetzt, ist der mut-maßliche Mörder nicht nur gefun-den – er ist bereits tot. Die SZ zeigtein Foto von Lee Harvey Oswald, al-so des Mannes, der die drei Schüsseauf den Präsidenten abgegeben ha-ben soll. Sie titelt: „Der mutmaßli-che Täter erschossen“. Am 24. No-vember 1963 gegen 11.20 Uhr hatteder Nachtclubbesitzer Jack Ruby inder Garage im Tiefgeschoss des Po-lizeihauptquartiers auf Oswald ge-schossen. Oswald sollte von dortaus ins Bezirksgefängnis von Dallasüberstellt werden. Vor laufendenKameras rief Ruby „Du hast mei-nen Präsidenten getötet, du Ratte“– und schoss Oswald in den Bauch.

„Der Fall ist nicht abgeschlossen“

Dass Jack Ruby Kontakte zur Mafiagehabt haben soll, nährte die Ver-schwörungstheorien. Die Mafia ha-be Kennedy aus dem Weg räumenlassen, weil er ihre Geschäfte stör-te, lautet eine dieser Theorien.Wahlweise schieben die Verschwö-rungstheoretiker das Attentats-Komplott aber auch unter anderemdem amerikanischen Geheim-dienst, Kennedys Nachfolger John-son, der kubanischen Regierungoder auch der Rüstungsindustriezu. Alle diese Theorien haben zweiDinge gemeinsam: Die Geschichtevom 25-jährigen Marxisten Os-wald, der mehrere Jahre in derSowjetunion gelebt hat und schonfrüher durch Drohbriefe aufgefal-len war, ist ihnen zu einfach. Unddadurch, dass Oswald aus dem Weggeräumt wurde, konnten die ech-ten Spuren verwischt werden.

Bereits am Tag vier nach dem At-tentat greift die SZ das mulmigeGefühl auf, das sicher viele ihrerLeser nach dem Tod des Attentä-ters haben. Sie schreibt: „In denVereinigten Staaten herrscht einegewisse Unruhe darüber, dassdurch den tödlichen Pistolenan-schlag auf Oswald eine wesentlicheFrage für alle Zeiten ungelöst blei-ben wird, dass die Welt nie mehrmit letzter Sicherheit erfahrenwird, ob Oswald der Mörder Präsi-dent Kennedys war.“ Polizei undStaatsanwaltschaft seien sich si-cher: „Er war es“, hieß es in der SZam 25. November, obwohl Oswaldbis zuletzt versicherte: „Ich habeKennedy nicht getötet.“ Am Tag da-rauf zitiert die SZ allerdings einenSprecher der amerikanischen Bun-despolizei FBI mit dem Satz: „DerFall ist nicht abgeschlossen.“

„Ich bin ein Berliner“

Zunächst berichtet die SZ aberüber die Beerdigung Kennedys unddie weltweite Trauer. Der mit demSternenbanner bedeckte Sarg, dieStaatsgäste aus aller Welt werdengezeigt. Und ein Foto aus Berlin.Vor dem Schöneberger Rathausversammelten sich 260 000 Men-schen – also dort, wo Kennedyknapp fünf Monate vor seinem Todgesagt hatte: „ Ich bin ein Berliner“.Nicht nur dieser Satz wird denDeutschen bleiben. Auch die Spe-kulationen um den Tod des Man-nes, der ihn ausgesprochen hat, be-gleiten sie weiter. So berichtet dieSZ zum Beispiel am 21. Februar2007 über einen „bislang unveröf-fentlichten Film, der die letzten Se-kunden John F. Kennedys vor demAttentat 1963 zeigt“. Dieser Film,schreibt die SZ, „widerlegt eine derpopulärsten Verschwörungstheo-rien“. Und erklärt: „Sie beruhte da-rauf, dass die Einschusslöcher aufdem Sakko nicht mit denen auf derLeiche übereinstimmten. Die Auf-nahmen eines Hobbyfilmers zei-gen: Kennedys Anzug war hochge-rutscht.“ Und am 19. Mai 2007heißt es in der SZ: Die ErmordungKennedys sei „laut einer neuenStudie offenbar nicht das Werk ei-nes Einzeltäters gewesen“. Denn:„Neue ballistische Untersuchun-gen unter Rückgriff auf moderneMethoden der Statistik und derchemischen Analyse zeigten, dassLee Harvey Oswald damals nichtder einzige Schütze gewesen sei.“

Drei Schüsse tötenAmerikas Hoffnung

Bis heute sorgt der Mord an John F. Kennedy für wilde Spekulationen

Von SZ-RedakteurMartin Rolshausen

So berichtete die SZ am 23. November 1963 auf der Titelseite über das Attentat auf Kennedy. FOTOS: SZ-ARCHIV

22. November 1963, 12.30 Uhr: Die letzten Minuten des John F. Kennedy. Während der Fahrt durch Dallas treffenden US-Präsidenten drei Schüsse. Seine Frau Jackie kümmert sich sofort um ihn. FOTOS: KEYSTONE, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

„Dann zog der Mann einen Revol-ver und gab fünf Schüsse auf denberühmten Musiker ab“, berichtetedie SZ am 9. Dezember 1980. „InBrust, Arm und Kopf getroffen,brach John Lennon stark blutendzusammen.“ Auf dem Nachhause-weg von einem Tonstudio war „derKopf der Beatles“ von dem exzen-trischen Fan Mark David Chapmanerschossen worden. „Fans in allerWelt trauern um Ex-Beatle JohnLennon“, hieß es auf der Titelseite.Die SZ würdigte das Werk Lennons:„Seine Texte waren nicht seltenpersönliche Glaubensbekenntnissemit einem gewissen Sendungsbe-wußtsein.“ Und: „Der Mythos derBeatles erfährt durch diesen sinn-losen Mord eine weitere, diesmaltragische Dimension.“ fre/tho

Fans in aller Welt trauern um John Lennon

„Schreie, Schüsse, Panik, Men-schen stroben auseinander. DerFahrer des Jeeps raste zurück in dieschützenden Mauern des Vati-kans.“ So beschrieb die SZ die Er-eignisse des 13. Mai 1981. Der türki-sche Extremist Mehmet Ali Agcahatte auf dem Petersplatz das Feu-er auf Papst Johannes Paul II. er-öffnet, während dieser gerade zweiKinder segnete. Eine Not-Operati-on rettete das Leben des Kirchen-oberhaupts. „Was bleibt sind Ab-scheu, Entsetzen und Fassungslo-sigkeit über Tat und Täter. Und dieHoffnung, daß Karol Woityla wie-der bald und völlig genesen möge“,kommentierte die SZ. JohannesPaul II. führte die Kirche tatsäch-lich noch 24 Jahre an. fre/tho

Abscheu über das Attentatauf den Heiligen Vater

„Die Frau im weißen Kleid hatte ei-nen Blumenstrauß und ein Buchbei sich, das sie angeblich signierenlassen wollte. Lafontaine beugtesich zu ihr – und da stach die Atten-täterin mehrmals zu.“ Am 26. April1990 berichtete die SZ über das„feige Attentat“ auf Oskar Lafon-taine, damals Ministerpräsident ander Saar und Kanzlerkandidat derSPD. Bei einem Wahlkampfauftrittin Köln-Mülheim war Lafontainevon der psychisch kranken Adel-heid Streidel mit einem Messer-stich nahe der Halsschlagader le-bensgefährlich verletzt worden.Die Bundesrepublik war geschockt.„Man kann nur hoffen und auch be-ten, daß der Ministerpräsident denAnschlag überlebt“, kommentiertedie SZ auf der Titelseite. fre/tho

„Man kann nur hoffenund auch beten“

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Mit zwei einfa-chen Mittelnkönnen Journa-listen ihren Le-sern die Bedeu-tung eines Er-

eignisses vor Augen führen, ohneauch nur eine einzige Zeile ge-schrieben zu haben: Die Platzie-rung einer Nachricht und die Grö-ße ihrer Überschrift verraten alles.Das Wichtigste des Tages steht aufder Seite 1 und je wichtiger es ist,desto größer wird es dort präsen-tiert. An diesem Maßstab gemessenist das Ereignis, über das die Re-daktion der Saarbrücker Zeitung inder Ausgabe vom 21. Juli 1969 be-richtete, von wahrhaft einmaligerBedeutung. Über die gesamtenBreite der Titelseite erstreckte sichin dieser Ausgabe auf sechs SpaltenBreite in fast drei Zentimetern ho-hen Riesenlettern die Überschrift„Zum erstenmal Menschen aufdem Mond“. Es war der Tag der ers-ten Mondlandung von Apollo 11, ei-ne „Sternstunde der Menschheit“,wie die Kollegen der SZ-Redaktionvor über 40 Jahren in ihrem Leit-artikel schrieben.

Millionen Menschen weltweithatten an diesem Morgen bereitsdie Beinahe-Liveübertragung desAusstiegs von Neil Armstrong undEdwin Aldrin – Funksignale benö-tigen über eine Sekunde vom Mondzur Erde – an den Bildschirmenverfolgt. Doch zu erkennen war aufden unscharfen Schwarz-Weiß-Bil-dern so wenig, wie für deutsche Oh-ren in der verrauschten Tonüber-tragung die heute weltberühmtenWorte des ersten Menschen auf ei-nem fremden Himmelskörper zuverstehen waren: „That’s one smallstep for a man, one giant leap formankind.“ „Das ist ein kleinerSchritt für einen Menschen, aberein großer Sprung für die Mensch-heit“, hatte Neil Armstrong kurznach dem Ausstieg aus der Mond-fähre erklärt.

Schon in den Tagen zuvor hattedie SZ-Redaktion immer wieder ingroßer Aufmachung über die Apol-lo-11-Mission berichtet. Am Tagder Landung, der Ausstieg der Ast-ronauten aus der Landefähre be-gann am 21. Juli gegen drei Uhrmorgens Mitteleuropäischer Zeit,erklärte sie noch einmal detailliertunter der Überschrift „Eine sehrsanfte Landung“ alle Details desAbstiegsmanövers auf den Erdtra-

banten. Dass die US-Astronautenüberhaupt in der Lage waren, aufeinem atmosphärelosen Himmels-körper herumzuspazieren und spä-ter im typischen Känguru-Schrittherumzuhopsen, verdankten sie ei-nem Wunderwerk der Technik: ih-rem Raumanzug. Unter der Über-schrift „16 Schichten schützen ihrLeben“ erfuhren die Leser der SZ-Ausgabe vom 21. Juli 1969, es warein Montag, alles über den Aufbaudieser Weltraumpanzerung.

Das 65-Kilogramm-Monstrumwog auf dem Mond wegen der ge-ringeren Schwerkraft zwar nur einSechstel, schränkte jedoch die Be-wegungsfähigkeit der Raumfahrerarg ein. Tiefer als 55 Zentimeterkonnte sich der Astronaut nicht bü-cken, fiel er hin, durfte er keines-falls auf dem Rücken liegenbleiben.Aufstehen war nur aus der Bauch-lage möglich. Deshalb war Vorsichtbei der ersten Mondlandung obers-tes Gebot. Von der Landschaft inder fünf mal 13 Kilometer großenovalen Landezone sahen die beidenAstronauten wenig. Sie durftensich maximal 90 Meter von ihrerLandefähre Eagle entfernen. ImGegensatz zu späteren Apollo-Mis-sionen, bei denen die Astronautenmehrere Mondspaziergänge unter-nahmen, mehrere Tage auf demMond verbrachten und Ausflügevon über 20 Stunden Länge unter-nahmen, stattete Apollo 11 demErdtrabanten eher eine Stippvisiteab. Nur zweieinhalb Stunden blie-ben den Astronauten, um gut 21 Ki-lo Mondgestein einzusammeln.

„Nervöse Anspannung“

„Furcht ist uns kein unbekanntesGefühl“, hatte die SZ-Redaktionam 16. Juli Neil Armstrong, denersten Mann auf dem Mond, zitiertund weiter berichtet, er habe beidiesem Interview „eine gewissenervöse Anspannung“ gezeigt. Wasdie Kollegen der SZ-Redaktion amTag der Mondlandung nicht be-richteten – diese Details wurdenvon der amerikanischen Raum-fahrtagentur Nasa viel später ver-öffentlicht – war, mit welcher Geis-tesgegenwart Armstrong die Apol-lo-11-Mission vor einer Katastro-phe bewahrte. Beim Endanflug derRaumfähre Eagle erkannten dieAstronauten, dass der Landeplatzim Mare tranquilitatis ein mit Fel-sen übersäter Krater und fürs Auf-setzen völlig ungeeignet war. Eswar der denkbar schlechteste Mo-ment für diese Erkenntnis, denndie Eagle hatte in diesem Augen-

blick bereits fast ihren gesamtenTreibstoff verfeuert. Neil Arm-strong behielt in dieser Situationeinen kühlen Kopf, schaltete dieautomatische Steuerung der Fähreab und landete von Hand mit derletzten Treibstoffreserve einigehundert Meter entfernt. Die Analy-se der Nasa ergab später, dass dieTanks eine halbe Minute späterleer gewesen wären.

Die weltweite Begeisterung überdas Apollo-Projekt – 600 MillionenMenschen auf dem gesamten Glo-bus verfolgten die ersten Schritteder Astronauten auf dem Mond –hat bekanntlich nicht lange vorge-halten. Schon an den Startterminvon Apollo 12 (14. November 1969)können sich heute nur noch Raum-fahrt-Enthusiasten erinnern. Undmit Apollo 17 endete das Nasa-Mondprogramm schließlich imJahr 1972 vorzeitig.

Nur zum 40. Jahrestag derMondlandung im Jahr 2009 gerietApollo 11 noch einmal in die Schlag-zeilen. Auslöser war die „Enthül-lung“ einer Traueransprache desdamaligen US-Präsidenten Ri-chard Nixon für den Fall desschlimmsten anzunehmenden Un-falls auf dem Mond. Dies wäre nachAnsicht der amerikanischenRaumfahrtplaner nicht der Absturzder Landefähre auf dem Erdtra-banten gewesen, bei dem die Astro-nauten in Sekundenbruchteilenums Leben gekommen wären. Alsweit schlimmer galt eine Panne amWiederaufstiegsmotor ihrer Lan-defähre, die den Rückflug verhin-dert und die Raumfahrer zu einemlangsamen Tod auf dem Erdtraban-ten verurteilt hätte.

„Erfolg oder Katastrophe“

Solche vermeintlich „sensationel-len“ Enthüllungen aus der Welt desInternets spielen jedoch vor allemmit dem kurzen Gedächtnis derheutigen Generation Online. DieErinnerung an die Apollo-Pioniereist bei den jungen Menschen mitt-lerweile so dünn geworden, dass im21. Jahrhundert sogar jeder dritteAmerikaner bezweifelt, dass jemalsAstronauten über den Erdtraban-ten spazierten. Der potenzielleSchwachpunkt der Mondlandefäh-re und das Risiko eines technischenVersagens waren nicht nur denRaumfahrtplanern und Astronau-ten bekannt, selbst die Zeitungsle-ser des Jahres 1969 waren bereitsin allen Details informiert. Unterder Überschrift „MondlandefähreAdler hat keinen Ersatzmotor“ be-richtete die SZ am 21. Juli 1969über die „wirklich entscheidendeSekunde“, den Moment, der über„Erfolg oder Katastrophe des Pio-nierfluges zum Mond“ entscheidenwerde. Der Wiederaufstiegsmotorder Landefähre war das Bauteil desApollo-Konzepts, das nie zuvor un-ter Mondbedingungen hatte getes-tet werden können. „Dieser Motormuss funktionieren, für ihn gibt eskeinen Ersatz“, erfuhren die SZ-Leser. „Für Neil Armstrong undEdwin Aldrin würde es keine Ret-tung geben, wenn sie nicht zurück-starten können.“

Dieses Schreckensszenario istzum Glück Theorie geblieben – dieApollo-11-Pioniere schrieben Welt-geschichte. Und während die SZ-Leser noch einmal alle Details dergeglückten Mondlandung und desArbeitsprogramms der Astronau-ten auf dem Erdtrabanten studier-ten, starteten die beiden Mond-Pioniere bereits wieder zum Rück-flug zu ihrem Mutterschiff, in demder dritte Mann der Apollo-11-Mannschaft auf sie wartete. Für 21Stunden und 36 Minuten war derAstronaut Michael Collins an die-sem 21. Juli 1969 der einsamsteMensch im Weltall gewesen.

„EineSternstundeder Menschheit“

Fasziniert und detailliert berichtet die SZ im Juli 1969 über die Mondlandung

Von SZ-Redakteur Peter Bylda

Armstrong und Aldrin hissen die US-Flagge auf dem Mond. FOTOS: DPA, NASA

Beginn der historischen Reise: Am 16. Juli 1969 startete die Saturn-V-Rakete mit der Apollo-11-Mannschaft Richtung Mond. FOTO: IMAGO

Das historische Ereignis füllte am 21. Juli 1969 nahezu die ge-samte Titelseite unserer Zeitung. FOTO: SZ-ARCHIV

HINTERGRUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Raumfahrt-Geschichte ist nicht nur von großartigen Erfol-gen, sondern auch von schweren Rückschlägen geprägt. „Raum-flug-Katastrophe: ,Challenger’ mit siebenköpfiger Besatzung ex-plodiert“, titelte die SZ am 29. Januar 1986. Am Tag zuvor hattesich die „drei Milliarden DM teure Raumfähre“ nur 75 Sekundennach dem Start in einen „riesigen Feuerball“ verwandelt, wiedem großen Aufmacher auf der Titelseite zu entnehmen ist.Noch 45 Minuten nach der Explosion seien Trümmer in den At-lantik gefallen, hieß es. Die sieben Astronauten, unter ihnenzwei Frauen, hätten „keinerlei Überlebenschance“ gehabt, zi-tierte die SZ die Raumfahrtbehörde Nasa. Die Weltöffentlich-keit, die das Unglück live am Fernseher verfolgte, war geschockt.Als Grund für die Explosion wurde später ein fehlerhafter Dich-tungsring ermittelt. Am 1. Februar 2003 verlor die Nasa beimAbsturz der „Columbia“ erneut sieben Astronauten. fre/tho

„Nur Sand,Mondstaub,keine Farbe.

Irgendwieeine

prächtigeEinsamkeit.“Edwin Aldrin nach

seiner Rückkehrauf die Erde

„Furcht istuns kein

unbekanntesGefühl.“

Neil Armstrongwenige Tage vor dem Flug

zum Mond

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Die Bullen sindSchweine (. . .) undnatürlich kann ge-schossen werden.“Im Juni 1970 er-klärt Ulrike Mein-

hof Deutschland den Krieg. 28 Jah-re dauert der Amoklauf der „RotenArmee Fraktion“. Ihrem „bewaff-neten Kampf“ gegen das „imperia-listische System“ fallen mehr als 30Menschen zum Opfer. Kaum einThema füllte in jener Zeit so häufigdie Titelseiten der SZ.

1968 geht es los. Obwohl die RAFnoch gar nicht existiert, schafft siees bereits auf Seite 1. „Brandstifterrichten Millionenschaden an“,heißt es dort am 4. April. Berichtetwird über „unbekannte Täter“, dieFeuer in den Frankfurter Kaufhäu-sern „Schneider“ und „Kaufhof“gelegt haben. Schnell kommt diePolizei den Verbrechern auf dieSpur, unter ihnen sind GudrunEnsslin und Andreas Baader. Undebenso schnell ist klar: Es handeltsich um einen politischen Rache-akt. Die Brandstifter wollten gegenden „Völkermord in Vietnam“ pro-testieren. Jetzt müssen sie für dreiJahre „ins Zuchthaus“. Doch Baa-der und Ensslin tauchen unter,Baader aber geht der Polizei am 4.April 1970 wieder ins Netz.

Die Geburtsstunde der RAF

Meinhof und Ensslin, die sich seitdem Brandstifter-Prozess kennen,planen sofort die Befreiung Baa-ders: Es wird die Geburtsstundeder RAF. Unter dem Vorwand einesBuchprojekts sorgt die seinerzeitbundesweit bekannte JournalistinMeinhof dafür, dass sie sich mitBaader im Deutschen Zentralinsti-tut für Soziale Fragen in Berlin-Dahlem treffen kann. Mit dramati-schen Folgen. „Kaufhaus-Brand-stifter Baader von Maskierten mitWaffen befreit“, schreibt die SZ am15. Mai 1970 und spricht vom „bru-talsten Fall von Häftlingsbefreiungseit Kriegsende“. Vier Wochen spä-ter folgt die Kriegserklärung Mein-hofs mit der Ankündigung „die Ro-te Armee aufzubauen“.

Die Politik ist nach Baaders Be-freiung in höchster Alarmbereit-schaft. Berlins Regierender Bür-germeister Schütz kehrt vorzeitigmit einem Sonderflugzeug vomSPD-Parteitag in Saarbrücken zu-rück. „Man berät, wie organisierterTerror jetzt in Berlin wirksamerbekämpft werden könne“, erklärtdie SZ. Am 16. Mai erfahren die Le-ser, dass es „noch keine Spur vonBaader und Ulrike Meinhof“ gibt –trotz über 40 Hinweisen. Die SZkommentiert: „Das Verbrechenwurde von Leuten verübt, die be-wusst Terror und Gewalt gegenPersonen als Mittel zum politi-schen Zweck einsetzen. Es kommtihnen dabei auf Menschenlebennicht an.“ BundesinnenministerGenscher macht klar: „Wir werdennicht dulden, dass Polizeibeamteund andere unbeteiligte Bürgerzum Freiwild für Terrorakte wer-den.“ Er sollte sich schwer irren.

Meinhof im Saarland?

Denn der Terror geht erst los. Der39 Jahre alte US-Offizier Paul A.Bloomquist ist am 11. Mai 1972 dererste Bombentote der RAF. Tagespäter setzt sich das Grauen fort.„Drei Tote bei Attentat auf Heidel-berger Hauptquartier“, titelt die SZam 25. Mai 1972. Es war der sechsteschwere Sprengstoffanschlag in-nerhalb von zwei Wochen. Und dieRAF kündigt weitere Terroraktio-

nen „in den Metropolen der Bun-desrepublik“ an: „Der bewaffneteKampf hat begonnen, kein Ausbeu-ter darf mehr ungestraft bleiben“,zitiert die SZ am 26. Mai aus einemDrohschreiben.

Dann aber schlägt die Polizei zu,wie die SZ am 3. Juni 1972 berich-tet: „Nach der Festnahme der zumharten Kern der Baader-Meinhof-Bande gehörenden Männer And-reas Baader, Holger Meins undJan-Carl Raspe läuft die Großfahn-dung nach weiteren Anhängern derAnarchistengruppe in der gesam-ten Bundesrepublik weiter aufHochtouren“. Ganz oben auf derFahndungsliste stünden Meinhofund Ensslin. Meldungen, dassMeinhof ins Saarland geflüchtetsei, fanden keine Bestätigung, heißtes. Doch die Polizei lässt nicht lo-cker. „Gudrun Ensslin wurde inHamburg verhaftet“, schreibt un-sere Zeitung am 8. Juni 1972 undnennt die Aktion einen „neuen ent-scheidenden Schlag gegen dieAnarchistenbande“. Am 17. Junidann der „letzte entscheidendeSchlag gegen den harten Kern derBaader-Meinhof-Bande“: UlrikeMeinhof, „Chefin der RAF“ und„ideologischer Kopf der Gruppe“,wird festgenommen. „Baader-Meinhof-Bande ist jetzt führungs-los“, lautet die Schlagzeile. „DieJagd scheint zu Ende“, heißt es ineinem Kommentar, in dem die Fra-ge gestellt wird, warum es „eineHandvoll Leute fertig brachte, ei-nen der mächtigsten Industriestaa-ten der Erde, ein Land ohne großesoziale Spannungen und eine im-mer noch beneidenswert prospe-rierende Gesellschaft in Aufregung

zu versetzen“. Gleichzeitig warntder Autor: „Wir haben nach derVerhaftung der Baader-Meinhof-Bande manches zu überdenken, umzu verhindern, dass Selbstgerech-tigkeit weitere Meinhof-Nachfol-ger gebiert.“

Genau dies passiert: Die „Mein-hof-Nachfolger“ treten ins Ram-penlicht. Und die zweite Generati-on der RAF geht noch skrupelloservor. Am 24. April 1975 wird diedeutsche Botschaft in Stockholmmit dem Ziel überfallen, 26 inhaf-tierte RAF-Mitglieder freizupres-sen. Vier Menschen sterben. „Ver-brecher, Mörder“, heißt der SZ-Kommentar am 25. April. EinenTag später sagt FDP-Generalsekre-tär Martin Bangemann als SZ-Re-daktionsgast: „Dieser Terrorismusist eine Form von moderner Pest.“

Und der Terror setzt sich fort,heftiger denn je zuvor, auch nachdem Selbstmord von Ulrike Mein-hof, den die SZ am 11. Mai 1976 sokommentiert: „Die Hoffnung ist sogut wie auszuschließen, dass mitihrem Tod die Aktivitäten jenerTerrorbanden in absehbarer Zeitaufhören, die sich unter ihre ideo-logische Führung stellten.“ Einknappes Jahr dauert es danachnoch, bis der Mord an Generalbun-desanwalt Siegfried Buback „Ab-scheu und Empörung“ auslöst. DieSZ spricht an Ostern 1977 vom„schwersten Attentat der Nach-kriegszeit“ und „schlimmsten An-schlag auf unseren Rechtsstaat“.Chefredakteur Hans Peter Sommernennt den „feigen Meuchelmord“den „schrecklichen Höhepunkt ineiner langen Reihe von Terroran-schlägen“. Wenn Buback, Symbolfi-gur im Kampf gegen den Terror,nicht sicher war vor den Mörderku-geln, schreibt Sommer, „wer istdann in unserem Staat überhauptnoch sicher?“ Zugleich kritisiert erdas Vorgehen der Polizei im Saar-land. Nichts sei nach dem Buback-Mord von verschärften Kontrollenzu spüren gewesen, vielmehr hattedie SZ auf Nachfrage zur Antwortbekommen: „Glauben Sie denn,dass die Terroristen ausgerechnetins Saarland kommen?“ Sommernennt das einen „Skandal“. Und er-innert daran, dass „eine UlrikeMeinhof in Saarbrücken erholsameStunden beim Zahnarzt verbringenkonnte und die Grenze nach Frank-reich in Terroristenkreisen als guteDurchschlupfmöglichkeit galt“.

„Dies ist ein Krieg“

Die blutige Gewalt steuert jetzt aufihren Höhepunkt zu. „Attentat aufSchleyer: Vier Tote“, titelt die SZam 6. September 1977. Einen Tagspäter kommentiert SZ-Chefre-dakteur Sommer unter der Über-schrift „Die Mörder sind unteruns“: „Dies ist ein Krieg. Wir, dieBürger dieses Staates, haben jetztzu fordern, nachdrücklich und im-mer wieder: Die uneingeschränkteVerteidigung dieses Staates undseiner Menschen. (. . .) Dies ist einKrieg, die Bande von Kriminellenhat es uns mit ihrem Namen Rote-Armee-Fraktion längst angekün-digt. Wir haben uns darauf einzu-stellen, auf zehn, fünfzehn Jahreder Auseinandersetzungen blutigs-ter Art. Alles andere ist Illusion.“

Nicht Jahre, aber Wochen hältdie Schleyer-Entführung die Nati-on in Atem, kein Tag vergeht ohneeine Terror-Nachricht auf der Ti-telseite. Und am 14. Oktober wirdes ernst: „Boeing mit 91 Menschenentführt – Luftpiraten drohten mitSprengung der Lufthansa-Maschi-ne“, titelt die SZ und erklärt, dassdie Entführer die Freilassung der inDeutschland inhaftierten „Genos-

sen“ verlangen. Am Tag darauf be-richtet unsere Zeitung seitenweiseüber die „dramatische Zuspitzungim Entführungsfall Schleyer“, dernunmehr seit 40 Tagen in der Handvon Terroristen ist.

Tage des Bangens und Hoffensbeginnen. „Unverminderter Kampfum das Leben der Entführten“,heißt der Aufmacher am 17. Okto-ber. „Lufthansa-Jet gestürmt“,steht am Tag danach in übergroßenBuchstaben auf der Titelseite. DieUnterzeile klärt auf: „DeutscheSpezialeinheit befreit alle 86 Gei-seln – Drei Terroristen nach Feuer-gefecht getötet“. Von „Freude,Trauer und Sorge“ schreibt die SZam 19. Oktober, da die Geiseln wie-der zu Hause sind, der Tod desLufthansa-Piloten Jürgen Schu-mann zu beklagen ist und es weiterkein Lebenszeichen von Schleyergibt. Mit der Zeile „Der harte Kernlöste sich selbst auf“ verkündet die

SZ überdies die Selbstmorde derRAF-Mitglieder Baader, Raspe undEnsslin im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Doch der Schreckenist noch nicht vorbei. „Schleyer er-mordet“, titelt die SZ am 20. Okto-ber, „Bestien“ ist der nebenstehen-de Kommentar überschrieben. Ei-nen Tag später werden auf fünf Sei-ten alle Facetten der schrecklichenTat und der europaweiten Groß-fahndung nach den Schleyer-Mör-dern geschildert.

Der blutige „Deutsche Herbst“geht damit zu Ende, nicht aber derTerror in Deutschland. Die RAF tö-tet weiter, 1989 Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, 1991 denTreuhand-Vorsitzenden DetlevKarsten Rohwedder. Sieben Jahrespäter erklärt die RAF dann ihr En-de, nachzulesen in einer zweispal-tigen Meldung auf der Titelseiteder SZ: „Die Stadtguerilla in Formder RAF ist nun Geschichte.“

Als die RAFdem Staat

den Krieg erklärte „Die Mörder sind unter uns“: Der Terror der „Baader-Meinhof-Bande“versetzt Deutschland in den Siebziger Jahren in Angst und Schrecken

Von SZ-RedakteurThomas Schäfer

Die „Baader/Meinhof-Bande“ auf einemFahndungsplakat ausdem Jahr 1972. Ganzoben auf der Verbre-cherliste stehen Ulri-ke Meinhof, AndreasBaader und GudrunEnsslin. FOTO: DPA

Schlagzeilen aus demblutigen „DeutschenHerbst“ des Jahres1977: Die SZ-Titelsei-ten nach dem Mordan Hanns-MartinSchleyer (oben) undnach der Erstürmungder Lufthansa-Ma-schine „Landshut“ mit 86 Geiseln an Bord.

Am 17. Juni 1972 verkündete die SZ die Verhaftung der„RAF-Chefin“ Ulrike Meinhof.FOTOS: SZ-ARCHIV

Gefangener der RAF: Arbeitgeber-präsident Hanns-Martin SchleyerTage vor seinem Tod. FOTO: DPA

„Die Ermordung vonHanns-MartinSchleyer ist die

Untat von Bestien,denen man die

Qualität Mensch nurzögernd zugesteht.

Dieser Mord darf nicht

ungesühnt bleiben.“ SZ-Chefredakteur

Hans Peter Sommer am 20. Oktober 1977

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Selbst mehr als 20 Jahrenach der Wiedergewin-nung der deutschenEinheit mutet das, wasdamals in nur einemJahr geschah, unwirk-

lich an. Aber es ist tatsächlich pas-siert. In den SZ-Ausgaben von Mit-te 1989 bis Ende 1990 kann man esnachlesen. Das ist – ehrlich gesagt –heute noch eine hoch spannendeLektüre. Da wird sozusagen vonTag zu Tag dokumentiert, wie einKapitel für das Buch der Weltge-schichte in atemberaubendemTempo geschrieben wurde.

Erste Risse im einst „EisernenVorhang“ zwischen dem Ostblockund dem restlichen Europa warenbereits im Mai 1989 zu erkennen.Die Ungarn begannen, die Sperran-lagen an der Grenze zu Österreichabzubauen. Das hatte gravierendeFolgen. Immer mehr DDR-Bürgerversuchten, ihrem Staat durch die-ses potenzielle Schlupfloch zu ent-kommen. Ende August warenschon Zehntausende in Ungarn.Das Land wurde der Flüchtlings-massen nicht mehr Herr. Dann ginges Schlag auf Schlag.

Am 31. August lautet die Aufma-cher-Überschrift der SZ: „Tausendevon DDR-Flüchtlingen erwartet“.Und in einem Kommentar ist mitBlick auf die DDR-Führung von ei-ner „angeschlagenen Staatsmacht“zu lesen. Kurz darauf mahnt Bun-deskanzler Helmut Kohl (CDU),man müsse die „Übersiedler alsLandsleute aufnehmen“. Am 11.September titelt die SZ: „Ungarnläßt DDR-Bürger ausreisen“. DerSZ-Kommentator hält fest, dass fürdie DDR ein Ausweg kaum nochmöglich erscheint und fragt: „Wielange kann dies noch gutgehen?“Am nächsten Tag berichtet SZ-Kor-respondent Werner Kern aus derDDR und meint: „Die Lähmung inOst-Berlin scheint perfekt.“

Ende September kampieren aufdem Gelände der bundesdeutschenBotschaften in Prag und WarschauTausende von DDR-Flüchtlingen.Die SZ meldet am 2. Oktober: „Er-leichterung: 6300 Flüchtlinge imWesten“. Weiter heißt es, dassDDR-Staatschef Erich Honecker

offenbar selbst den Weg zur Ausrei-se frei gegeben habe. „Bankrott aufDeutsch“ nennt diese Vorgänge derSZ-Leitartikler.

In der DDR gibt es erstmals seit1953 größere Proteste gegen dieFührung und Zusammenstöße vonDemonstranten und Polizisten.„Was läuft falsch?“, fragt sich nichtnur der dortige SZ-Korrespondent.Fast prophetisch schreibt ein SZ-Kommentator in der Ausgabe vom7./8. Oktober über Honecker:„Manch einer ist politisch bereits

tot. Er weiß es nur noch nicht.“ Am9. Oktober folgt dann eine erschre-ckende Schlagzeile: „DDR: BlutigeGewalt gegen friedliche Proteste“.In Ost-Berlin, Dresden, Leipzigund anderen Städten war es anläss-lich des 40. Jahrestages der Repub-lik bei Demos zu Übergriffen derPolizei gekommen. Über die Mon-tagsdemonstration in Leipzig am 9.Oktober schreibt die SZ am nächs-ten Tag: „50 000 demonstrierten inLeipziger Innenstadt“ – diesmalohne Zwischenfälle. Am 12. Okto-ber hält ein SZ-Redakteur in einemKommentar fest: „Erich Honeckeram Ende“. Tatsächlich wird dieseram 18. Oktober gestürzt.

Wer geglaubt hatte, die Situationwürde sich beruhigen, wurde rascheines Besseren belehrt. „DDR öff-net Grenze zur Bundesrepublik –Ausreise und Besuche ab sofortmöglich“ – so lautet die SZ-Schlag-zeile am 10. November. Am Vor-abend hatte SED-Politbüromit-glied Günter Schabowski die ent-sprechende, weltberühmt gewor-dene Erklärung vor Medienvertre-tern abgegeben („Das tritt nachmeiner Kenntnis . . . ist das sofort,

unverzüglich“). Im Aufmachertextheißt es: „Die Nachricht platzte imBundestag mitten in die Debatteüber steuerlich als gemeinnütziganerkannte Vereine. AnhaltenderApplaus brandete auf.“

Am nächsten Tag begriff wohlauch der Letzte, was im (noch) ge-teilten Land ablief. Auf der SZ-Ti-telseite ist ein sehr großes Bild zusehen, dass Mauerkraxler zeigt.Auch die Überschrift auf Seite 1 istdementsprechend groß. Sie heißt:„Schlag auf Schlag: Die Mauer inDeutschland bricht auf – DDR-Führung verspricht bald freie undgeheime Wahlen“. Dem Anlass ent-sprechend gibt es weitere Artikelund Bilder auf den Seiten 2, 3, 4 und5. Chefredakteur Rudolph Bern-hard fragt in einem Leitartikel:„Vor uns die Wiedervereinigung?“Und Altkanzler Willy Brandt for-muliert seinen berühmten Satz:„Jetzt wächst zusammen, was zu-sammengehört.“ Am 13. Novembermeldet die SZ: „Deutsche feiernmillionenfach das Wiedersehen“ –und berichtet, dass der „Schießbe-fehl aufgehoben“ wurde.

Nun bemüht sich die Bundesre-gierung intensiv, die Dinge weitervoranzutreiben. Am 28. Novemberstellt Kanzler Kohl seinen Zehn-Punkte-Plan zur Vereinigung vor.Die SZ berichtet am Tag darauf:

„Der Bundestag sagt ja zur deut-schen Einheit“. Nur die Grünenseien noch für eine Politik derZweistaatlichkeit ohne jedes Wennund Aber. Das ändert am einge-schlagenen Kurs der Verantwortli-chen nichts. Am 18. März gibt es dieersten (und letzten) freien Wahlenzur DDR-Volkskammer. Die SZschreibt vom „Ende der Revoluti-on“ und hält fest: „Die Existenz desLandes neigt sich dem Ende zu.“Am 19. März vermeldet die SZ ei-nen „sensationellen Wahl-Sieg derkonservativen Allianz“.

Im Mai wird der Staatsvertragüber die geplante Währungs-,Wirtschafts- und Sozialunion derbeiden noch für kurze Zeit beste-

henden deutschen Staaten unter-zeichnet. In der SZ ist dazu am 19./20. Mai zu lesen: „Der erste Schrittzur Einheit“ – und etwas kleiner:„Ab 1. Juli DM in DDR“. Berichteüber Freudenfeste in der DDR gibtes in der SZ vom 2. Juli. Die Schlag-zeile lautet: „Die deutsche Einheitist praktisch schon vollzogen“. EinSZ-Kommentator sieht „das Endeder DDR“ gekommen. Am 24. Au-gust beschließen die Abgeordnetender DDR-Volkskammer das Aus fürihren Staat. Die SZ berichtet:„Deutsche Teilung endet in sechsWochen – Beitritt am 3. Oktober –Kohl: Tag der Freude für alle Deut-schen“. Gleichzeitig wird daraufhingewiesen, dass der SPD-Vorsit-zende Oskar Lafontaine „schwereFehler des Kanzlers“ sieht.

„Ein blühendes Land“

Doch es wird weiter Geschichte ge-macht. Am 12. September vermel-det die SZ unter der Überschrift„Heute erhält Deutschland die vol-le Souveränität von den Sieger-mächten“, dass die Außenministerder USA, der Sowjetunion, vonFrankreich und Großbritannienden Zwei-plus-Vier-Vertrag inMoskau unterzeichnen. Fast schongeschäftsmäßig erscheint die SZ-Berichterstattung darüber amnächsten Tag: „Die vier Sieger-mächte entlassen die Deutschen indie Einheit“, heißt die Schlagzeile.

Am 3. Oktober 1990 wird die Ein-heit vollzogen. Allen Skeptikernzum Trotz ist die SpaltungDeutschlands beendet. Die SZ ti-telt: „Nach Jahrzehnten der Tren-nung: Die deutsche Einheit“. Es istweiter die Rede davon, dass Bun-deskanzler Kohl einen „Aufbruchin ein blühendes Land“ sieht undden Neuanfang im Osten mit demWiederaufbau nach dem ZweitenWeltkrieg vergleicht. Am 4. Okto-ber heißt es im SZ-Leitartikel: „DasZusammenwachsen beginnt“. DerAutor meint: „Der Prozeß wirdzweifelsohne schwierig werden,und er wird auch lange dauern.“ Ersollte Recht behalten. Aus heutigerSicht bleibt allerdings festzuhalten,das die Wiedervereinigung eine Er-folgsgeschichte war. Für Millionenvon Deutschen wurde dadurch einTraum, der fast schon ausgeträumtzu sein schien, doch noch wahr.

Grenzenlose Freude, Tränen des GlücksKaum ein Ereignis hat die SZ so ausführlich dokumentiert wie den Fall der Mauer – „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“

Von SZ-MitarbeiterWulf Wein

Über Monate berichtete unsere Zeitung 1989 von den spannenden Entwicklungen in der DDR. Hier zu sehen sind die Titelseiten vom 9. Oktober sowie vom 10. und 11. November 1989. FOTOS: SZ-ARCHIV

Am 9. November 1989 wird das Unglaubliche wahr: Die DDR öffnet ihre Grenzen und lässt die Bürger ausreisen. Ein Paar in einem Trabi wird von fröhlichen Menschen mit Beifall in der Freiheit begrüßt. FOTO: IMO

Vater der Einheit:Kanzler HelmutKohl mit Frau Han-nelore sowie Au-ßenminister Gen-scher (links) undBundespräsidentvon Weizsäckeram 3. Oktober1990 vor dem Ber-liner Reichstag.Das untere Bildvom 10. November1989 zeigt feiernde Men-schen auf und vorder Mauer amBrandenburgerTor. FOTOS: DPA

„Manch einerist politischbereits tot.

Er weiß es nur noch nicht.“

Zitat aus einem SZ-Kommentar vom 7. Oktober 1989 über DDR-Staatschef

Erich Honecker

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Das Weltereigniskommt live in dieRedaktion. Ungläu-big blicken dieNachrichten-Re-dakteure der SZ auf

den kleinen Fernseher, der das Bildeines brennenden Wolkenkratzerszeigt. Ein Unglück, ein Anschlag?Was ist da wirklich passiert an die-sem strahlend blauen September-Morgen 2001 in New York, wo einFlugzeug in den Nordturm desWorld Trade Centers gerast ist. Alswenige Minuten später unter denAugen der TV-Zuschauer einezweite Maschine auftaucht und inden Südturm des höchsten Gebäu-des der Stadt stürzt, herrscht auchin der SZ-Redaktion stummes Ent-setzen und die Gewissheit: Das istkein Unfall, hier hat der schlimms-

te Terror-Anschlag der jüngerenGeschichte stattgefunden. „Selbstin den Albträumen wagte man sichdas Geschehen von gestern nichtauszudenken“, schreibt SZ-Chefre-dakteur Friedhelm Fiedler am fol-genden Tag und stellt schon dieFrage ,,Jetzt Krieg?“.

Die Details werden in den kom-menden Tagen schnell bekannt:Insgesamt 19 islamistische Terro-risten des Netzwerks Al Qaida ha-ben als reguläre Passagiere und nurmit Teppichmessern bewaffnet ander Ostküste der USA vier Linien-maschinen bestiegen und sie kurznach dem Start in ihre Gewalt ge-bracht. Zwei Flugzeuge steuern dieTerroristen in die Twin Tower desWorld Trade Centers, eines brin-gen sie über dem US-Verteidi-gungsministerium in Washingtonzum Absturz, eine vierte Maschinezerschellt auf einem Feld in Penn-sylvania, weil sich Passagiere denEntführern widersetzen, die offen-bar das Weiße Haus zum Ziel ha-ben. Fast 3000 Menschen kamennach heutiger Kenntnis bei den An-schlägen ums Leben.

Die Attentäter waren zum TeilMonate vor dem Anschlag in dieUSA eingereist, einige hatten dortin privaten Flugschulen das Steu-ern von Passagiermaschinen er-lernt. Ein Teil der Vorbereitungendes Attentats fand in Hamburg

statt, wo einer der Anführer, Mo-hammed Atta, studierte.

Die Dramatik der Ereignisse des11. September lässt sich nachvoll-ziehen, wenn man die Überschrif-ten der Ticker-Meldungen derDeutschen Presse-Agentur (dpa)betrachtet, die an diesem Nachmit-tag über die Bildschirme der Re-dakteure flimmern. Bis kurz vor 15Uhr interessiert sich die deutscheÖffentlichkeit für Themen wie denHaushalt 2002 und die Zukunftvon Verteidigungsminister RudolfScharping, der unter anderem we-gen peinlicher Privatfotos unterDruck steht. Die Bedeutung einerkleinen Meldung über ein Attentatauf den Führer der Taliban-Gegnerin Afghanistan, Ahmed Schah Mas-sud, erschließt sich am frühenNachmittag noch nicht. Um 14.56Uhr dann meldet dpa: „Eil!!!! Flug-zeug ins World Trade Center abge-stürzt“. Das läuft noch in der Rub-

rik ,,Vermischtes“, wo sonst ,,nor-male“ Naturkatastrophen und Pro-mi-Klatsch fürs ,,Panorama“ ge-sendet werden. Auch die Meldungüber den zweiten Einschlag bleibtum 15.09 Uhr bei dpa noch in dieserRubrik. Erst ab 15.36 Uhr ordnetdie Agentur die Ereignisse unter„pl“, als Politik-Thema ein: ,,Eil!!!!!Bush: Offenbar Terroranschlag aufWorld Trade Center“. Dann um15.46 Uhr: „Eil Eil !!!!!!!!!! Großfeu-er im Pentagon – Weißes Haus eva-kuiert“. Kurz darauf: ,,Alle Flughä-fen der USA geschlossen“.

Es gibt Ereignisse, auch dramati-sche, mit denen Journalisten nacheinigen Jahren im Job sehr nüch-tern umgehen, wie Ärzte mitschweren Operationen. Am 11. Sep-tember sind wohl alle tief scho-ckiert, fühlen sich persönlich be-troffen, ja bedroht. Doch für dieseprivaten Emotionen ist wenig Zeit.Als die historische Dimension derEreignisse feststeht, bleiben nochfünf Stunden, eine Ausgabe der SZzu erstellen, die ihr gerecht wird.Mehrere Redakteure, die eigentlichfrei haben, kommen nach und nachin die Nachrichten- und Politik-Re-daktion im zweiten Stock des Pres-sehauses, um zu helfen. Und wäh-rend sie die gesamte Ausgabe um-werfen, allein für den Mantel derSZ fünf Seiten über die Ereignisselayouten und bearbeiten sowie ers-

te Stimmen aus dem Land einho-len, überschlagen sich die Ereignis-se weiter: Um 15.59 europäischerZeit stürzt der Südturm des WorldTrade Centers ein, um 16.28 Uhrder Nordturm. Tausende, das istklar, werden hier begraben.

In der SZ-Ausgabe vom 12. Sep-tember nehmen die Anschläge diegesamte Seite 1 ein, mit Ausnahmeeiner kleinen Meldung über dieFortschritte bei der Saarbahn. DieSchlagzeile ist weiß auf einemschwarzen Balken – eine spontaneNeuerung, ein Versuch, der Drama-tik gerecht zu werden. ,,Angst undlähmendes Entsetzen“ – die Über-schrift setzt die Kenntnis des Er-eignisses einfach voraus, gibt nurStimmung wieder. Im Aufmacher-Text benennt eine Expertin den Al-Qaida-Chef Osama bin Laden be-reits als möglichen Drahtzieher derAnschläge, obwohl es drei Monatedauern wird, bis ein Bekenntnis desTop-Terroristen vorliegt. Von einer,,Wahnsinnstat, deren Hintergrün-de restlos aufgeklärt werden müs-sen“, spricht Ministerpräsident Pe-ter Müller. Die Bilder auf den fol-genden Seiten, die alle den schwar-zen Balken tragen, machen dasAusmaß deutlich: die rauchendenTürme, die in Staub gehüllten Stra-ßen Manhattens, die gespenstischaus den Trümmern ragenden Resteder Verkleidung der Twin-Tower,weinende New Yorker, eine Rauch-wolke, die kilomerterhoch über derUS-Metropole steht.

Für die SZ-Redakteure wird esein langer Tag und eine kurzeNacht. Am späten Abend, als die ak-tuelle Ausgabe ins Druckhaus ge-schickt ist, treffen sie sich erneutzur Konferenz: Chefredaktion undVerlag haben beschlossen, am kom-menden Vormittag die Saarländerauf den Märkten mit einem kosten-losen Extrablatt über die neuestenEntwicklungen zu informieren.Noch in der Nacht beginnen Vorbe-reitungen, viele Redakteure sinddann schon morgens um sechs Uhrwieder in der Gutenbergstraße,beugen sich über ihre Tastaturen,um in zwei Stunden die vierseitigeSonderausgabe fertig zu machen –bevor die Arbeit an der nächstenregulären Ausgabe beginnt.

„Ohnmächtiger Zorn“

,,Bush droht: Vergeltung für denTerror“, lautet die Schlagzeile desExtrablatts. „Die schlimmste Ter-rorattacke aller Zeiten hat dieWeltmacht USA unvorbereitet undmit voller Wucht ins Mark getrof-fen“, schreibt SZ-KorrespondentThomas Spang in seinem Kom-mentar. Selbst der Vergleich mit„Pearl Harbor“, wo einst Japan diePazifik-Flotte der USA dezimierte,fasse nicht, was sich an diesem 11.September ereignet habe. „Die Ter-roranschläge von New York, vonWashington und Pennsylvania ha-ben die Seele Amerikas getroffen,die Ikonen seiner Macht.“ Für US-Präsident George W. Bush kommees nun darauf an, „klaren Kopf undeine ruhige Hand zu bewahren, oh-ne den ohnmächtigen Zorn einerganzen Nation zu vernachlässi-gen“. Ein verbreiteter Wunsch istdas: Denn neben dem Mitgefühl,das etwa am Donnerstag für fünfSchweigeminuten das öffentlicheLeben auch im Saarland lahmlegt,mischt sich schnell die Sorge einerÜberreaktion des in Europa unge-liebten Cowboys aus Texas. DieFurcht, er werde durch einen über-eilten Angriff auf ein muslimischesLand oder falsche Rhetorik einenKonflikt mit dem Islam vom Zaumbrechen – ganz im Sinne der Al Qai-da. Beklemmende Indizien für ei-nen solchen ,,Kampf der Kulturen“liefern Bilder von Palästinensern,die über die Anschläge in New Yorkjubeln, und die zynischen Kom-mentare von Iraks Präsident Sad-dam Hussein. Dabei teilt das Grosder Muslime das Entsetzen überdas Leid der Opfer, wie eine SZ-Umfrage ergibt. Mehmet-Emin Si-rin vom Verband islamischer Kul-turzentren etwa spricht in der SZvon einem ,,Verbrechen gegen dieMenschlichkeit“.

Die militärische Reaktion liegtindes in der Luft. „Nato-Schlag ge-gen die Terroristen?“, fragt dieSchlagzeile der zweiten regulärenSZ-Ausgabe nach den Anschlägen.Am Tag zuvor hat die Nato erstmalsüberhaupt den Bündnisfall ausge-rufen – wohl auch, um die USA ein-zubinden, zu zügeln. Schon in derFreitag-Ausgabe titelt die SZ:„Bush erklärt Terroristen denKrieg“. Er dauert bis heute an.

Terrorgegen

die freie Welt 3000 Tote in New York:

Die Anschläge vom 11. September 2001

Von SZ-RedakteurUlrich Brenner

Ein schwarzer Balken auf der Titelseite der SZ sollte am 12. September diehistorische Dimension der Terror-Anschläge vom Vortag verdeutlichen.

Als um 9.03 Ortszeitauch in den Südturmdes World Trade Cen-ters eine Maschinestürzte, war klar: DieWelt erlebt hier denwohl größten Terror-Anschlag der Geschich-te. FOTO: DPA

Neben der regulären Ausgabe erschien am 12. September auch ein Extra-blatt, um am späten Vormittag über weitere Entwicklungen zu berichten.

Auf den Innenseiten der beiden Ausgaben vom 12. September wird das Aus-maß der Zerstörung und des Leids deutlich. FOTOS: SZ-ARCHIV

Schockierte Menschenirrten im verwüstetenManhatten durch einendichten Nebel ausSchutt. FOTO: AFP

Schon am Tag der An-schläge wurde Osamabin Laden als Drahtzie-her genannt. FOTO: DAPD

M

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5

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Eine Überraschungwar es am Ende nichtmehr, wohl aber eineSensation. „NeuerPapst ein Deutscher“titelte die Saarbrü-

cker Zeitung in großen Buchstabenam 20. April 2005, dem Tag nachder Wahl Joseph Ratzingers zumOberhaupt der Katholiken. Dane-ben stand ein Bild des neuen Paps-tes – schon mit weißen Pileolus –,wie er sich mit gefalteten Händenauf dem Balkon des Papstpalastesin Rom der Menge auf dem Peters-platz zuwendet.

Vorausgegangen war eine Eil-Eil-Meldung der Nachrichtenagenturdpa: Ratzinger wird Papst. Kurz da-nach versammelte sich die gesamteFührungsetage unserer Zeitung imNewsroom, wo dann die eben ge-nannte Schlagzeile entstand.

Die Nachricht von RatzingersWahl war so besonders, weil es biszu diesem Zeitpunkt seit 482 Jah-ren kein Deutscher mehr auf denPapstthron geschafft hatte, zuletzt1522 Hadrian VI. Darum entschiedsich die Redaktion entgegen derGewohnheit das Geschehen gleichmit mehreren Unterzeilen zu be-gleiten, und da hieß es: „Sensationin Rom – Konklave wählt JosephKardinal Ratzinger aus Bayern – Ernennt sich Benedikt XVI. – Jubelauf dem Petersplatz – Bundeskanz-ler Schröder: Eine große Ehre fürDeutschland“.

Ja, tatsächlich. Schröder warnoch Bundeskanzler, die Ära Mer-kel sollte erst fast auf den Tag ge-nau sieben Monate später im No-vember beginnen. An diesem 20.April berichtete die SZ erst einmalausführlich über die genauen Um-stände der Papstwahl: „Gegen 17.50Uhr war weißer Rauch aus demSchornstein der Sixtinischen Ka-pelle in Rom aufgestiegen, um dieerfolgreiche Papstwahl anzuzeigen.Estévez (der Kardinal-Protodia-kon, Anm. der Red.) sprach die tra-ditionelle Formel ,Annuntio vobisgaudium magnum, habemus Pa-pam’ (Ich verkünde euch eine gro-ße Freude, wir haben einen Papst).Dann verkündete er Ratzingers Na-men. Er sei ein ,einfacher und be-scheidener Arbeiter im Weinbergdes Herrn’, sagte der Deutsche, alser auf dem Mittelbalkon des Pe-tersdoms erschien.“

Die Resonanz weltweit und na-türlich in Deutschland war enorm.Würdenträger der Kirche gratu-lierten ebenso wie hochrangige Po-litiker. Der damalige Bischof vonTrier, Reinhard Marx, sagte: „Ichhabe dem Heiligen Vater im Namendes ältesten Bistums Deutschlandsund auch ganz persönlich GottesSegen gewünscht für sein Wirkenals Nachfolger des Apostels Petrus.Er darf auch vertrauen darauf, dass

die ganze Kirche ihn im Gebetstützt und begleitet.“ Die Wege vonMarx und Ratzinger sollten sichwenig später wieder kreuzen: Be-nedikt XVI. hat Marx inzwischennicht nur zum Bischof von Mün-chen und Freising gemacht, son-dern auch zum Kardinal.

Der Speyerer Bischof AntonSchlembach erklärte damals nachder Wahl: „Wir sind Benedikt XVI.dankbar, dass er bereit war, diesesschwere Amt zu übernehmen, underbitten ihm Gottes Hilfe und Se-gen.“ Niemand sei besser geeignetals der neue Papst , für „die Bewah-rung des christlichen Glaubens unddie Identität der Kirche Sorge zutragen“. Bundespräsident HorstKöhler wiederum gratulierte Rat-zinger „von Herzen“.

Das Thema dominierte die Zei-tung auch in den Tagen danach. Dievorderen Seiten widmeten sich fastausschließlich dem neuen Papst.Am 21. April erschien der ersteLeitartikel zu Benedikt XVI. Bisheute sind es 14, die sich schwer-punktmäßig mit Ratzinger alsPapst beschäftigten. Damals warunter der Überschrift „Der streit-bare Papst“ zu lesen: „Die histori-sche Dimension hat sich noch nichtallen erschlossen. (. . .) Seit MartinLuther hatte kein Landsmann ei-nen vergleichbaren Einfluss auf das

Christentum. Dies wird auch dieBundesrepublik, die nach der Wahldes neuen Papstes stärker in denFokus der Weltöffentlichkeit rückt,nachhaltig verändern.“ Erinnertwurde aber auch an die Kritik gera-de der deutschen Katholiken, derBenedikt sich würde stellen müs-sen, „so in Fragen der Empfängnis-verhütung, des Schwangerschafts-abbruchs und der Homosexuali-tät“. Dies war verbunden mit derHoffnung, dass der neue Papst fürÜberraschungen gut sei, wie nachseiner Wahl von Vertrauten verlau-tete, und schloss mit der Aussicht,dass Ratzinger vielleicht ein „Papstder Herzen“ werden könnte.

Papst blieb den Deutschen fremd

Das ist er sechs Jahre nach seinerThronbesteigung in Deutschlandimmer noch nicht geworden. Invielen Beiträgen berichtete die SZim Laufe der Zeit immer wiedervon den Spannungen zwischen Va-tikan und katholischer Basis – lan-ge bevor der Missbrauchsskandalungeahnten Ausmaßes bekannt ge-worden war. Zwar wurde BenediktXVI. auf dem Weltjugendtag inKöln 2006 begeistert empfangen,doch den Deutschen blieb derTheoretiker eher fremd. Vielleichtändert sein Besuch im Herbst die-ses Jahres etwas daran.

Sensation in Rom: Ein Deutscher wird Papst

„BescheidenerArbeiter

im Weinberg des Herrn“: Die Wahl

JosephRatzingers

zum Oberhauptder Katholikenbestimmte imApril 2005 die

Schlagzeilen

Von SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn

Dieses Bild ging 2005 um die Welt: Joseph Ratzingerals neuer PapstBenedikt XVI. FOTOS: DPA

Die SZ-Titelseite mit der historischen Nachricht. FOTOS: SZ-ARCHIV, DAPD

sie für das Saarland wesentlich zur Informations- und Meinungsbildung beiträgt.Und da das Bistum Trier sich auch über fast das ganze Saarland erstreckt, gehört die Saarbrücker Zeitung auch in Trier zur Pflichtlektüre. Den Machern wünsche ich für die Zukunft alles Gute und Gottes Segen!“Stephan Ackermann, Bischof von Trier

„Mir gefällt die Saarbrücker Zeitung, weil

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DIE ZEIT gratuliert der Saarbrücker Zeitung zu 250 Jahren Journalismus auf der Höhe der Zeit.

4. DIE WELTGESCHICHTEIM SPIEGEL DER SZDie SAARBRÜCKER ZEITUNG5