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Elektroanalytische Untersuclaungen. Von Rudoll Keller. Mit 3 Textabbildungen. Zum Eindringen in die elektrische Konfiguration der Zelle ist in erster Reihe notwendig die Bekanntschaft mit der Elektro- chemic und der physikalischen Chemie der nichtorganischen Welt, die zurzeit in den Kreisen der Biologen schon ziemlich allgemein r ist, in zweiter Reihe ist unerlasslich eine genaue Kenntnis der heutigen K o 11o i d c h e m i e, deren Tatsachen vielen Mikroskopikern nicht geniigend vertraut sind. Es sei mir des- halb gestattet, zur Klarstellung des ~'ol~nden einiges aus den neueren Erfahrungen der Kolloidchemiker hier wiederzugeben, well namentlich die Kapillaranalyse es jedem Histologen ermSg- licht, in ein paar Minuten mit den einfaehsten Mitteln die elek- trische Charakteristik einer FarblSsung festzustellen und die Fundamentalversuehe naehzupriifen. Die gel~tufige physikalische Chemic fusst auf den grossen Entdeckungen der Jahre 1885--1890 fiber die Chemic der L0sungert und fiber die Dissoziation der Salze, die Kolloidchemie hingegen behandelt die Eigenschaften der nachst gr6sseren Mole- kiilarten, der kolloiden Dispersionen. W,~hrend die Salzl0sungen molekulardispers oder im dissoziierten Zustand ionendispers sind, ~) werden die kolloiden Dispersionen in gr0bere Verteilungen, in Sole und Gele, eingeteilt. Was die Sole und Gele haupts~ichlich yon den Molekulardispersoiden unterscheidet, ist der Umstand, dassder innerechemischeCharakter derAtomgruppen, aus denen sie sich aufbauen, zurtiektritt vor ihren Ober- fl,'t c h e n k r ~t f t e n. Wahrend beispielsweise in einem elektrischen Stromfeld oder einer elektrostatischen Potentialflache Molekular- dispersoide zerlegt werden, die basischen reduzierenden Atom- gruppen dem negativen Pol zuwandern (kathodisch), die sauren und oxydierenden dem positiven (anodisch), wandert alas grSssere Eiweiss-, Zucker- oder Gelatinemolekiil fast ganz unzersetzt in ~) Diese Einteilung stammt yon Wolfg. Ostwald. Arch. f. mikr. Ana~. Bd. 95. Abt. I. 9

Elektroanalytische Untersuchungen

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Elektroanalytische Untersuclaungen. V o n

Rudoll Keller.

Mit 3 Textabbildungen.

Zum Eindringen in die elektrische Konfiguration der Zelle ist in erster Reihe notwendig die Bekanntschaft mit der Elektro- chemic und der physikalischen Chemie der nichtorganischen Welt, die zurzeit in den Kreisen der Biologen schon ziemlich allgemein �9 r ist, in zweiter Reihe ist unerlasslich eine genaue Kenntnis der heutigen K o 11 o i d c h e m i e, deren Tatsachen vielen Mikroskopikern nicht geniigend vertraut sind. Es sei mir des- halb gestattet, zur Klarstellung des ~'ol~nden einiges aus den neueren Erfahrungen der Kolloidchemiker hier wiederzugeben, well namentlich die Kapillaranalyse es jedem Histologen ermSg- licht, in ein paar Minuten mit den einfaehsten Mitteln die elek- trische Charakteristik einer FarblSsung festzustellen und die Fundamentalversuehe naehzupriifen.

Die gel~tufige physikalische Chemic fusst auf den grossen Entdeckungen der Jahre 1885--1890 fiber die Chemic der L0sungert und fiber die Dissoziation der Salze, die Kolloidchemie hingegen behandelt die Eigenschaften der nachst gr6sseren Mole- kiilarten, der kolloiden Dispersionen. W,~hrend die Salzl0sungen molekulardispers oder im dissoziierten Zustand ionendispers sind, ~) werden die kolloiden Dispersionen in gr0bere Verteilungen, in Sole und Gele, eingeteilt. Was die Sole und Gele haupts~ichlich yon den Molekulardispersoiden unterscheidet, ist der Umstand, dassder i n n e r e c h e m i s c h e C h a r a k t e r d e r A t o m g r u p p e n , aus denen sie sich aufbauen, z u r t i e k t r i t t vor ihren O b e r - fl,'t c h e n k r ~t f t e n. Wahrend beispielsweise in einem elektrischen Stromfeld oder einer elektrostatischen Potentialflache Molekular- dispersoide zerlegt werden, die basischen reduzierenden Atom- gruppen dem negativen Pol zuwandern (kathodisch), die sauren und oxydierenden dem positiven (anodisch), wandert alas grSssere Eiweiss-, Zucker- oder Gelatinemolekiil fast ganz unzersetzt in

~) Diese Einteilung stammt yon Wolfg. Ostwald. Arch. f. mikr . Ana~. Bd. 95. Abt . I. 9

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atkalischer L0sung zur Anode, in saurer LSsung zur Kathode, wird also a l l e i n yon O b e r f l a c h e n k r a f t e n b e w e g t , l)er Histologe muss sich mit diesen Diagen vollkommea vertraut machen, nicht nur well sein Untersuchungsobjekt, das proto- plasmatische Gewebe, aus lauter Kolloiden" besteht, sondern well er mittels Stoffen analysiert, die wie die Farbstoffe typische Kolloide sind, oder die wie Alkohol, Glycerin, Formol, Gelatine kolloidchemisch starker wirken als chemisch im alten Sinne. Wenn ich sage, dass die Farbstoffe typische Kolloide sind, so ist dies theoretisch nicht ganz richtig, sie bestehen in wassriger L0sung gew6hnlich aus einer molekulardispersen, bei Methylen- blau, den Saurefarbstoffen und bei Neutralrot, die erheblich dissoziieren, sogar aus einer i o n e n d i s p e r s e n P h a s e und aus der k o l l o i d g e l 0 s t e n P h a s e . Praktisch jed0ch daft der Histologe die Farbstoffe als typische Kolloide ansehen, well sie in der Zelle sich wie reine Kolloide verhaltell und yon ihrem inneren chemischen Charakter wenig erkennen lassen. Weshalb dies so ist, lasst sich im Augenblick nicht feststellen. Wahr- scheinlich werden sie yon den ill den Zellen stets gegenwartigen unsichtbaren Kolloiden auch itl dissoziierter Form adsorbiert und gehorchen dann auf diesen nicht sichtbaren Kolloidvehikeln den

r " f i e allgemeinen I, olloldreoeln ftir Eiweiss u. dgl., das heisst, sie wandern ia A l k a l i e n zum p o s i t i v e n , in S a u r e n zum n e g a t i v e n Pol .

D a s S C h u l e m a n n - P h ~ n o m e n . Die Priorit~t der Beobachtung, dass alle Farbstoffe , s~ture

und basische, ebel,so T uschesuspensionen uad Metallkolloide im Blut an die K0rperanoden wandern, geb0hrt nicht mir, sondern S c h u I e m a n n (1), dem diese Tatsache, gelegentlich ausgedehnter Injektionsversuche aufgefallen war. Die wichtigen Beobachtu~gen des genannten Autors, dem es keineswegs darauf ankam, irgend eine vorgefasste Hypothese damit zu sttitzen, sondern der nur eine Tatsache registrierte, ftir die ihm als kolloidchemisch.Unter- richteten der Zusammenhang klar geworden war, sind in der Fachhistologie keineswegs nach Gebiihr gewtirdigt worden. Man hat nicht erkannt, dass hier eine Fundamentalschwierigkeit des elektrochemischen Zellbetriebes eiae neue und aussichtsvolle Beleuchtung erfahren hat. Bestande nltmlich der K0rper nur aus

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ionendispersen, also dissoziierten chemischen Verbindungen, so mtissten immer wieder die reduzierenden Atomgruppen an den Reduktionspol, die Kathode wandern und dort weiter reduziert werden, wahrend der Energieumsatz fordert, dass die verbrenn- lichsten Stoffe zur Anode gelangen, wo sie oxydiert werden k0nnen und die notwendige Energie liefern mfissen.

Obzwar ich S c h u l e m a n n s Aufsatz gleich nach seinem Erscheinen las und ihn in meinen Schriften zustimmend besprach, und obwohl ich zu jener Zeit bereits einen grossen Teil der kolloidchemischen Literatur aufgenommen hatte, war ich doch noch nicht tier genug in die Materie eingedrungea, .urn das Fundamentale dieser Regel roll zu eriassen. Ich war noch immer mit der Brille des einseitig chemisch Denkenden behaftet, tier sich nicht ganz yon dem Vorurteil losmachen konnte, dass Sauren zu Basen tendieren und umgekehrt.

Das S c h u l e m a n n - P h a n o m e n , die Anodizitat der meisten Farbstoffe, der chinesischen Tusche, der Edelmetallkolloide ist aber naturgem~Lss auch praktisch wichtig als einer der Ausgangs- punkte der elektroanalytischen Untersuchung. In diesem Punkt bin ich unabh~mgig yon S c h u l e m a n n , yon ganz anderen Pramissen ausgehend, schliesslich auf Umwegen zur vollsten Be- st;ttigung seiner Beobachtungen gelangt. An ganz verschiedenem Material, zumeist an Pflanzen, aber auch an Tieren, habe ich durch Tausende systematische Versuche die Richtigkeit seiner allgemeinen Regel.bestiitigen kSnnen. Zur leichteren Kontrolle dieser Erscheinungen bedarf es noch einer einfachen Methode zur Feststellung der Wanderungsrichtung yon FarblOsungem

Kapillaranalyse mittels Fliesspapier. Die Feststellung der elektrischen Wanderungsrichtungen

yon FarblSsungen ist keine ganz einfache Sache, Beweis dessen, dass die angesehensten und erfahrensten Kolloidforscher fiber diesen Gegenstand in ausgedehnte Diskussionen-gerieten, die zurzeit noch nicht beendigt sind. Ich sage absichtllch F a r b l ( i s u n g e n , nicht F a r b s t o f f e , weil die Kontroversen offenbar auch dadurch mitverursacht worden sind, dass man gewShnlich nur yore Farb- s t of f ausging, wahrend das LSsungsmittel oder Dispersionsmittel ebenso wichtjg ist. Der einzige unter den Kolloidct~emikern, der immer wieder mit Nachdruck gepredigt hat, dass man mit dem

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Kolloid allein den Oberflachen-Ladungszustand nicht eindeutig bestimmen k6nne, sondern dass die elektrische Kolloidladung eine variable Grtisse sei, wie z.B. der Dispersitatszustand, war Wolf- gang O s t w a l d , der Herausgeber der ,KoUoid-Zeitschrift". Er hatte jedoch bis vor kurzem mehr Gegner als Anhanger dieser sehr wichtigen Erkenntnis. Zu der Verwirrung trug bei, dass man gew(ihnlich die Farbl0sung direkt in das Stromfeld brachte, wie ich es anfangs auch getan habe. Dann wird die Anoden- g e g e n d durch die Elektrolyse angesauert, der Farbstoff erhalt Kathodenrichtung und hellt sich an der Anode auf, auch ~,enn er in ne.utralem Wasser anodisch zu wandern pfiegt. F i c h t e r - und S a h l b o m (2) habea eine Filtrierpapier-Kapillar-Regel aus- gearbeitet, deren Fehlerhaftigkeit jtingst yon amerikanischen I(olloidchemikern (3) hervorgehoben wurde, die abet auf dem Kontinent noch heute dominiert. F i c h t e r und S a h l b o m gaben an, dass die anodisch wandernden Farben beim Eintauchen in die L(isung mit dem Wasser aufsteigen, die kathodischen an der Eiatauchstelle gefallt werden. Dieses Verfahren, Kapillar-Analyse genannt, ware sehr bequem. In 30 Sekunden kSnnte man damit jede Farbl6sung bestimmen. Dadurch jedoch, dass gewisse Farb- stoffe bei Siturezusatz eine Dispersitatsanderung erfahren und ausfallen, z. B. Kongorubin, Kongorot, andere bei Basenzusatz, z. B. Methylenblau, Neutralrot, so ist diese komplele Erscheinung an und ftir sich auch bei richtiger Anwendung mit einigen Uzl- stimmigkeiten behaftet, die sich, unter anderem z. B. bei Licht- grfin noch nicht haben aufklaren lassen.

Das Filtrierpapier-Prinzip, yon dem F i c h t e r und S a h l - b o m ausgehen, wird neben dem Ladungszustand des Dispersions- mittels (in chemischer Sprache: Aziditat oder Alkaleszenz) be- herrscht vom Coehnschen Gese tz der S t r 6 m u n g s s t r 0 m e (4): Ein Stoff v0n hi)herer Diele, ktrizitatskonstante (Wasser) ladet sich positiv bei der Bertihrung mit Stoffen niederer Dielektrizitats- konstante (Farbstoff, Papierfaser). In meiner ersten Ver()ffent- l ichung in der ,Kolloid-Zeitschrift" hob ich hervor (5), dass meine Versuche mit Methylenblau, dessert variable Wanderungs- fahigkeit in Saure und Alkali ich bei 80 Volt Laboratoriums- strom sichergestellt hatte, mit dem F i c h t e r - S a h l b o m - P r i n z i p nicht stimmtea. Ich hatte damals noch nicht die Sicherheit, meine eigenen Erfahrungen ftir richtiger halten zu kSnn~n, als

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die zu dieser Zeit auf dem Kontinent unwidersprochene Regel. Die Aufklarung gab mir eine Arbeit yon H. S c h m i d t (Dtissel- doff) ia der ,Kolloid-Zeitschrift" (6). Dieser Experimentator liess verdtinnte Salzs~ture auf Fliesspapier yon starker Saugkraft tropfen und analysierte den Fleck nachher mit einem Saure- indikator, z.B. Kongorot. Es ergab sich, dass der kapillare Aufstieg so erfolgt, dass die Saure, die Anodenfliissigkeit, zurtick- bleibL und reines, s a u r e f r e i e s W a s s e r im P a p i e r v o r - a u s e i l t . Nach der Entdeckung S c h m i d t s zerlegt als0 gutes Fliesspapier die L~Jsungen etwa nach folgendem Schema:

1. Zone 2. Zone 3. Zone 4. Zone eingetaucht Anodenfliissigkeit Kathodenfliissigkeit Wasser

8~ure Base oder (nut bei anodisch s~urefrei wandernden Stoffen)

Naturgemiiss habe ich dieses Verfahren in einigen hundert Versuchen mit meinen histologischen FarblOsungen ausprobiert u n d e s bei 35 yon 40 Farbstoffen glatt bestatigt gefunden. Der Rest sind kompliziertere Farben, die sich vielleicht noch auf- klaren lassen werden. Es hat sich herausgestellt, dass vereinzelt die Histologie empirisch schon aus diesem Zusammenhang Nutzen gezogen hat. In der Vorschrift der B i o n d i - E h r l i c h - R. H e i d e n h a i n - M i s c h u n g yon 1885 finder sich bereits die Beobachtung, die richtige Mischung dtirfe im Filtrierpapier nur zweifarbige Kreise bilden; wenn auch das Rot des S~lurefuchsins im mittleren Ring erscheine, enthalte sie zuviel 8aurefuchsin. Der "~erstorbene Prager Histologe S. M a y e r hat ebenfalls vor dem F'hrben seine LOsungen mit Filtrierpapier ausprobiert. Die Hauptfarben, auch die meisten Mischungen der Histologen zeigen durch das Vorauseilen des reiaen ungefarbten Wassers den anodischen Wanderungssinn der betreffenden F~rbl0sung (die kathodischen sind bis zur 4. Zone gleichfarbig), einzelne nehmen sogar einen saueren Farbumschlag in der Anodenzone an. Gleich die beiden den Mikroskopikern wohlbekannten Farbstoffe Neutral- rot und Safranin sind in der 2. Zone anodenfarbig, himbeerrot bei Neutralrot, kirschrot bei Safranin. Wie in meinen alteren Arbeiten wiederholt betont, sind dies die Anodennuancen dieser Farben. Neutralrot leistet noch ein Besonderes. Man kann es mit Leitungswasser oder durch einen Tropfen Alkali entfarben. Trotzdem erscheint aus der farblosen LOsung schon in zwei oder

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drei Sekunden in der A n o d e n z o n e d i e h i m b e e r r o t e Si~ure- f a r b e . Diesen einfachen Versuch sollte niemand unterlassen, um sich yon der prompten Elektro-Reagierfahigkeit dieser Farb- 16sung im Bruchteil einer Minute zu ttberzeugen. Andere Indi~ katoren, z.B. Saurefuchsin, andern ihre Farbe in den mir zur Verffigung stehenden Fliesspapieren nicht, Methylgr~in zeigt diese Erscheinung nur sehr schwach, Kongorubin ebenfalls schwach.

Der Fliesspapierversuch ist nicht nur bequemer, el" ist auch ia mancher Hinsicht zuverlassiger als der Stromversuch mit 80 Volt, mit dem man die Zellspannungen schwer nachahmen kanu. Das lhsst sich leicht bereehnen. Wenn in dell mikro- skopischen Zellen auch keine h6here Spannung herrschen wtirde als in den angeschnittenen, ihrer Isolierung beraubten grossen Querschnitteu der makroskopischen Elektro-Physiologie, atso fund 1/io Volt auf ein Tausendstel, Millimeter, so k6nnte bei einem Elektroden-Abstand yon nut 5 Zentimeter (die Kolloidchemiker nahmen gew6hnlich 100 Zentimeter Elektroden-Abstand) ein Strom yon 5000 Volt nicht ausreichen, um dieselben galvanischen Wanderungs-Schnelligkeiten oder eine Ladung yon 25 Millionen statischen Volts (Quadratgesetz), urn dieselben statischen An- ziehm~gen und Abstossungen zu erzeugen, wie die Zellelektrizitltt sie hervorbringt. Andererseits ist die Stromstarke des Labo- ratoriumsstroms unvergleichlieh grOsser als die der Zellelektrizit;tt, was unliebsame W,~rmestiirungen mit sich bringt. Ich babe des- halb anfangs zwischen sehr nahen Stanniol-Elektroden auf Objekt- tritgern wandern lassen, erhielt abet undeutliche, dutch Metall- zersetzung getrtibte Resultate. Schliesslich hat es sich am besten bewi'thrt, UhrschMchen mit nahen Platindraht-Elektroden anzu- wenden, zwischen denen der feste oder sehr konzentrierte Farb- stoff vorsichtig in die Mitte gegeben wird. An der Bewegung der entstehenden Schliere kann man die Wanderungsrichtung sofort nach der Stromeinschaltung bequem erkennen, und zwar die V/anderung der k o l l o i d e n P h a s e allein, yon der wir schon seit S c h u l e m a n n wissen, dass sie als das farbende Prinzip zumindest bei Vitalf,~trbung erscheint und die yon der molokulardispersen Phase zu trennen fiir die histologische Elektro- analyse unerlasslich ist. Es sei aber hinzugeftigt, dass diese Trennung dureh den Mangel an dem entsprechenden reichsdeutschen Apparate,(von M i c h a e l i s ) herbeigefiihrt wurde, well mir diese

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wichtige Unterscheidung bei den ersten Experimenten dieser Art nicht gegenw~rtig gewesen ist.

Kontroll-Praparate. Als Testobjekte ftir elektro-analytische Mikroskopie dienen

mir seit zwei Jahren die abgebildeten Schnitte yon Wurzeln una Blattern, das sind Objekte mit ziemlicl~ stetiger Elektrizitats- verteilung, deren Konfiguration dutch Versuchsmethoden ver- schiedenster Art, einsehliessiich tier .Nachprtifung dutch Kapiilar- Elektrometer und Galvanometer, an analogen Schnitten gr0sserer PflaJ~zen vollkommen sichergestellt ist. Die Zeichnungen sind meinen ,;Neuen Versuchen" (9) entnommen. Fig. 1 ist das Anoden- bild derWurzel der Schwertlilie (Iris florentina), auch im Winter ben~~tzbar, Fig. 2 das kathodische Gegenbild dazu, Fig. 3 Quer- sehnitt yon der Blattbasis des Flieders (Syringa vulgaris) in den Monaten Jnni his August. Nur grosse ausgewachsene Lichtblattel' sind zweckm~issig. Start der Schwertlilie kann man auch andere Wurzeln verwandter Pflanzen ben~ttzen, die gewShnliche Ktichen- zwiebel hat eine sehr 5hnlich gebaute Wurzel. die aber nur mit starkeren Vergr0sserungen etwas unbequemer bearbeitet werden kann. Statt des Fliederblattes k0nuen Blatter der Rosskastanie und die meisten anderen Bl;ttter, auch Stengel yon Grasern, Bltitenschafte yon Liliaceeu, Primeln usw. bentitzt werden, bei denen man sich am raschesten nach dem auff~tllig anodischen Sklerenchym (Sttitzgewebe) orientiert. In der Wurzel der Iris und der Zwiebel ist die st~trkste Anode der Ring der Endodermis, aus U fOrmig verdickten Zellwanden be- stehend.

Im Querschnitt der Iris sind die aussersten drei Rindenzellen schwach an- odisch, sie ~sind. auf dem Schwarz -Weiss- Bild nicht mitgezeichnet, da sie sich wegen ihres Gerbstoffgehaltes mit EisenlOsungen tintenartig

Fig. 1. Iris Wurzel Anodenbild Methylviolett 2 B.

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tingieren, wahrend sie auf farbigen Bildern in der Anodenfarbe hervortreten.. Dann folgen die gewOhnlichen Rindenzellen, in der Figur teilweise mitgezeichnet, mit kathod~schen Zellwlmden und (nur frisch) anodischem Plasma, hierauf die schon erw~hnte auf- fallend anodische Endodermis. Diese schliesst zusammen mit dem nachst inneren Zellring - - dem Pericykel mit kathodischen Wanden

Fig. 2. Iris, Kathodenbild Ferrocyan.

Fig. 3.. Fiieder, Anodenbild.

- - die Radspeichen der Gef~sse ein und zwar der grossen anodischen Wassergefasse uild zwischen ihnen - - gleichsam zwischen den Radspeichen - - den Siebteil mit katho- dischen Wanden (das

Eiweissleitungssystem der h0heren Pfianzen).

Bei Fig. 3 Halfte des Querschnittes eines Fliederblattes (yon rechts nach links) Parenchymzellen mit kathodischen Wanden, dann die auit~llend an- odischen Sklerench'ym- pfeiler, auf dem Quer- schnitt insel~thnlich her- vortretend, diese Pfeiler stfitzen den zarten Sieb- teil mit seinen katho- dischen Wl~nden, auf die das Bildungsge- webe, Kambium - - noch starker kathodisch - -

folgt, dies*es Kambiumwird zur Zeit lebhafter Teilungen im Juni ganz schwarz bezw. blau mit Kathoden-Tinktionen. Unmittelbar anschlie- Send an das kathodische, im Bild farblose Kambium, erscheint das dunkle Horn des Gefassteils. Es ist in Wirklichkeit nicht so stark anodisch, wie es nach der Zeichnung erscheint, weil es ebenso

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wie die verdickten Gefassw~tnde der Wurzel yon Natur dunkel gefarbt ist, aber es fftrbt sich ausserdem anodisch.

An der Hand dieser Pr~parate oder fthnlicher Schnitte kann nun jeder-Histologe eine beliebige FarbliSsung ausseinem Schrank nehmen, sie erst mit Filtrierpapier ausprobieren und sich davon t~berzeugen, dass die a n o d i s c h w a n d e r n d e n , gleichgiltig, ob sie sauer oder basisch oder neutral sind, eine a n o d i s c h e F a r b u n g e r z e u g e n , die kathodisch wandernden, gew~Shnlich stark dissoziierteH diffus oder kathodisch farben. Ausnahmen sind jene Farbstoffe, die sich schliesslich durch Redtlktion an den Kathoden entf~trben, z. B. Methylenblau oder die sonstwie dutch S~iuren oder Alkali Farbi~nderungen oder Dispersit~'ttshnderungen erzeugen, oder unl6sliche chemische Verbindungen mit Zellele- menten ei~lgehen, was abet ziemlich selten geschieht.

In vielen Fallen kann man a n o d i s c h e F a r b s t o f f e durch Aufltisen in Saure, hlkoholoder Glyzerin k a t h o d i s c h e r machen , die beiden letzteren haben eine niedrigere Dielektrizit~tskonstante als Wasser und die Farbstoffe - - und, z w a r sowohl im F i l t r i e r - p a p i e r a ls im O b j e k t und im S t r o m f e l d . Dies gelingt jedoch nicht immer, zumal bei den wasserlOslichen, die sich im ()bjekt vom Alkohol trennen kOnnen. Auch halten die Zellen wgthrend des Absterbens mit grosser Zi~higkeit ihre Anodenladungen lest, bleiben also um diese herum sauer. Ferner kann man un- entschiedene diffuse oder kathodische Farben mittels Alkali anodisch waadern lassen, was aber nut bei grosser Vertrautheit mit Material und l:arbstoff zu gelingen pflegt, z. B. mit Siiurefuchsin.

$~urefuchsin ist im Wasser tiberwiegend kathodisch, f'arbt aber doch das Objekt zun'achst scheinbar anodisch, da es durch die schw~tchsten Spuren Alkali farblos wird und unsichtbar bleibt. Setzt man starkes S~ture-Glyzerin zu, so erhi~lt man alsbald ein nicht sehr scharfes K a t h o d e n bild. Man kann abet Saurefuchsin auf folgende Weise scharf a n o d i s c h farben lassen,, indem man es in schwachem Ammoniak auflSst und die Schnitte in die farb- lose L(isung bringt. Nun wartet man eine Zeitlang, je nach tier Konzentration, bis die Farbe durch das Verdunsten des Ammoniaks gerade wieder zuriickzukehren scheint. Dann nimmt man die Schnitte heraus und erl~Mt, wenn man den rechten Zeitpunkt getroffen hat: aus der noch stark ammoniakalisch riechenden L5sung ein schtin saurefarbenes hnodenbild und zwar ein elektives.

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Im Filterstreifen habe ich Saurefuchsin in Ammoniak nicht zu einer deutlichen anodischen Wanderung veranlassen kSnnen, zumal es.unsichtbar ist, und nach dem Troeknen, vielleicht wieder kathodisch werdend, sich nahezu gleichmassig verteilt. Sonst aber sind die Spannungs- und StromstarkeverhMtnisse der Papier- Kapillar-Elektrizitat offenbar den Zellenverh~ltnissen ahnlicher als die eines Laboratoriumsstroms yon nur 80 Volt; auch dieser zeigt jetzt eine gute Ubereinstimmung, selbst bei Mischungen wie Pikrokarmin, yon dem ich in meiner letzten VerOffentlichung.(9) hervorgehoben habe, dass es im Stromfeld entgegengesetzt wand4rt wie im Pr'~pa~'at. Im Uhrgl~schen mit einem Tropfen S~ure (Pikrokarmin [Gr~ibler] ist stark alkalisch) wandert es jetzt, ebenso auch im Filtrierpapier, gelb zur Anode, rot zur Kathode, wie es meine Praparate seit einem Jahre gezeigt haben.

Man kann verstehen, dass sp~tere l)bereinstimmungen all- f~inglich scheinbar widersprechender Ausnahmen wie beim Pikro- karmin, oder die Rektifikation der Kapitlar-Regel yon F i c h t e r - S a h I b o m mein Vertrauen in die Zuverlassigkeit meiner Kontroll- schnitte sehr erhOht haben. Ich habe in der Zwischenzeit noch viele andere Best~tigungen meines Systems erzielt, die aber kaum jene tlberzeugen d~ifften, die der neuen Sache noch skeptisch gegenfiberstehen. Es gehOrt nur ein bisschezl Arbeit dazu, und zwar mehr geistige als manuelle, um sich mit einem Tatsaehen- gebiet vertraut zu machen, das tiberholte einseitig chemische Aufl'assungen beseitigt und ungemein viel Positives enthMt, trotz der grossen Unklarheiten, die ihm zurzeit noch anhaften.

W i d e r s p r f i c h e .

Eine der gr6ssten Schwierigkeiten meiner Elektro-Mikroskopie bildet die Lieblingsmethode der heutigen Histologie, die Eisen- Hamatoxylin-Methode yon Martin H ei d e n h a in , wie tLberhaupt das Verhalten stark fixierter und geh~trteter 0bjekte. Nach der Vorschrift yon. H e i d e n ha i n kommen die Schnitte nach sauerer Fixierung (die nach dem Vorgesagten eine kathodische Wanderungs- tendenz der Kolloidfarben verstarken m(isste) in eine Eisenl6sung, hierauf in eine ausgereifte HamatoxylinlOsung. Elektroehemisch ist dieser Vorgang meinen Kathodenverfahren parallel und fallt nur das Eisen im zweiten Bad statt durch Ferrocyankalium oder Schwefelammonium dutch Hamatein aus. Ferner farbt t t e id e n-

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h a in stundenlang, ich sekundenlang, H ei d e n h a in regressiv, ich progressiv. Das Eisenh~matoxylin farbt einfach alles schwarz und wird erst nach und nach mit Leitungswasser kunstvoll diffe- renziert. Der Widerspruch bleibt jedoch trotzdem bestehen, well H e i d e n h a i n unter anderem typische Kathodenelemente rein elektiv ausfarbt, z. B. die anisotropen Q-Scheiben der Muskeln in einem gewissen Zeitpunkt der Differenzierung. Ferner ergaben meine Testobjekte, wenn man sie stundenlang nach H e i d e n h a i n z u e r s t im Eisen impr~gniert, Kathodenbilder.

Frtiher habe ich nie daran gezweifelt, dass Eisenh',~matoxylin kathodisch differenziert, so entstand eine lange festgehaltene, wahrscheinlich' irrttimliehe Anscllauung yon der Kathodennatur des Spermakerns gegenttber der Anodennatur des chromatinarmen Eikerns. Die genauere Untersuchung aller dieser Objekte fiihrte reich jedoch auf eine Reihe his heute unaufgekl':trter Widersprtiche. Es zeigte sich, dass das Basichromatin genannte Element der KernschIeifen, das gew~)hnIich mit Eisenh'amatoxylin dargestellt wird, yon t y p i s c h e n A n o d e n f a r b s t o f f e n ausgef~trbt wird , yon basischen, sowohl wie G entianaviolett, Kresylechtviolett, Methyl- violett, Methylgrfin, Safranin (anodische kirschrote Komponente), Neutralrot, als auch yon saueren anodischen Farbstoffen, wie Nigrosin, Karmin, H~tmate~n und zwar gew~hnlich in ihrer ano- dischen (S',ture-)Farbe, besonders deutlich bei Safranin, Methyi- grtin und Neutralrot. Nicht nut in allen diesen anodiscl~en Farb- 16sungen wird das Kern-Chromatin der Chromosomen sichtbar, sondern ebenso in zuverlttssig anodischen Oxydationsreagentien, wie U n n a- G o 1 o d e t z, l~eutralviolett, Unnas Rongalitweiss. Aus Mischungen entnimmt es gew6hnlich die im Filtrierpapier und im Stromfeld anodischere Komponente, aus G i e m s a das Blau.

Wie erkl','trt es sich nun, dass es sich mit Htimatoxylin kathodisch farben sollte? Bestehen die Chromosomen aus katho- dischen un d anodischen Bestandteilen, die beide genau identische Zeichnungen geben? 0der gelten ftir den Kern andere Regeln als ffir das Plasma und gr~ssere Zellkomplexe, ~eil vielleieht ein vorhandener elektrochemischer Ladungssinn sich nach der Ent- ladung dureh eine bestimmte langdauernde Fixation und F,~rbung wie ein sich entladender Akkumulator umkehrt? Keiner dieser Auswege ist befriedigend. Zu diesem Widerspruch kommt noch die Tatsache, dass ein anderes Kerne|ement, der N u k l e o l u s ,

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sich in beiden Methoden, sowohl kathodisch als anodisch tingiert nnd zwar mitmehreren anodischen und kathodischen Ft~rbemitteln. Sicher ist, dass der Kern besondere Einrichtungen besitzt, die dem Eindringen yon Anionen ebenso wie yon Kationen im normalen Leben starke Widerstltnde entgegenstellen, da er sich lebend absolut nicht tingiert, auch nicht mit unschi~dlichen Farben. Der tote Kern macht es umgekehrt, nimmt anodisch und kathodisch Farben an. Ich glaube, dass, ebenso wie die Zellelektrohistologie auf gewisse Fehler und Fliichtigkeiten der Kolloidchemie gefiihrt hat, auch die feinere Kern-Elektro-Analyse uns Einrichtungen erklaren wird, die wir heute ausserhalb der Zelle im Laboratorium noch nicht kennen oder nicht verstehen.

Eine andere Schwierigkeit, die aber vorauszuseben war, ist die widersprechende Farbung tierischer Drfisen. Ist es schon aus der Elektro-Physiologie bekannt, dass Nerven und Muskeln sehr wechselnde elektrische Ladungen aufweisen, so ist dies auch ftir die meisten Drfisen des Tieres feststehend, einsclfliesslich der Haut, die sich ja in gewissen Schicbten yon einer Drtise wenig unterscheidet. Alle diese Gewebe besitzen Einrichtungen, die auf chemische Reize, also Eindringen yon LOsungen, mit elektrischen Impulsen oder Str6men antworten. Es war also klar, dass ihre mikroskopische Untersuchung keine einfache Sache ist. Trotzdem haben alle untersuchten Organe im wesentlichen keine tJber- raschungen gebracht, Niere, Pankreas, Haut, Knorpel, Magen fiirbten sich nach der Erwartung. In allen diesen Organen haben die Mikrochemiker in ihrer Art die umfassendsten-Vorarbeiten geleistet. Die Befunde yon M a c a l l u m (7), der in Toronto (Canada), ohne es zu bemerken, Kathoden darstellte, sind das genaue Gegenbild yon jenen U n n a s (8), der in Hamburg durch seine Methode der Sauerstofforte hauptsttchlich Anoden in seither nicht tibertroffener elektiver Scharfe herausarbeitete. Abgesehen yon der obersten toten Hornhautschicht, deren differente Zustande, vielleicht durch. Schweigsekretion hervorgerufen, schon in den Unna-Zeichnungen zum Ausdruck gelangen, k6nnte man die Haut ebenso wie die Pflanzenschnitte als Kontrollprliparat be- ntitzen.

Zu den frtiher bereits ver6ffentlichten Feststellungen ist nur hinzuzuftigen, dass die Drfisengranula in Pankreas und in ser6se~a Drfisen, ferner A rn o lds Neutrah'ot-Granula anodisch sind, wie

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alle Elemente, die sich lebend mit diesem Farbstoff in der Himbeer- farbe tingieren.

Fettfarbstoffe .

Dieser Ausdruck ist nicht genau richtig. Auf Grund der neugewonnenen Erkenntnis iiber Wanderungsrichtungen miissten wit eigentlich sagen: Fe t t f a rbungs -LSsungen . Was wir ge- wShnlich Fettfarbstoffe nennen, sind wasserunl5sliche, alkohol- 15sliche Farben, die eine iNeigung zu Fetten und Lipoiden haben. Ktirzlich sah ich in einem Vortrag des Pflanzenphysiologen C z a p e k ein neues Lipoidreagens, den altbekannten Fettfarbstoff Sudan I[I in einer besonders praktischen Mischung yon Pyridin und Amylenhydrat und erkannte in den vorgeftihrten Projek- tionen die mir vertrauten Kathoden. Ich priifte also Sudan III, in Alkohol unter dem Laboratoriumsstrom. Er g i n g , - wie sich herausstellte: ebenso wie alle anderen in Alkohol untersuchten Farbstoffe, -- zur Kathode. Auch ein so typischer Anodenfarb- stoff wie Gentianaviolett ging im Alkohol zur Kathode. Ebenso wandern alle alkoholgelSsten Farbstoffe im Filtrierpapier katho- disch, auch Dahlia, Kongorot und beliebige andere. In den Test- objekten versagen sie manchmal, weil diese wenig Fette enthalten. Der chemische Faktor ist eben auch ein Faktor der mikroskopischen Bilderzeugung, aber nur ein einziger Faktor. Durch Sudan lII wurde ich auf die allgemeine Regel der kathodischen Alkohol- farben geftihrt, die in der Kolloidchemie noch unbekannt ist, obzwar sie aus der niedrigen Dielektrizitatskonstante yon Alkohol theoretisch hatte vorausgesehen werden kSnnen. Ebenso haben Anilin, Pyridin eine niedrigere Dielektrizitatskonstante als Wasser. Wenn man also mit Grtiblerschem Gentianaviolett in Anilin farbt, so blaut sich vorerst alles, die Anoden in der wassrigen, die Kathoden in der Anilinphase. Erst durch Differenzieren mit Wasser treten dann die Anoden elektiv hervor. Wenn Gentiana nicht w.asserlSslich ware, so k~nnte man es ebenso wie Schs R als Fettreagens verwenden. Das Verstandnis dieser Zusammen- hange ist ftir die Histologie deshalb wichtig, weil mit Wasser, Alkohol u. dgl. differenziert wird. Auch wasserfreies Glyzerin ist kolloidchemisch nicht so ganz einflusslos, wie es aussieht, man kann manchmal durch Aufl~Jsen der Farbstoffe in reinem Glyzerin eine Farbung umkehren oder nahezu umkehren.

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Die Kernteilung. Die Mitose~ die elektrisch sehr interessant ist und schon

fr~iher zu allerlei elektrischen Hypothesen gefiihrt hat, fhllt vor allem auf durch die starke Kathodenladung frischer Mitosen, die in Zwiebelkeimen als viereckige schwarze Zellpakete mit Eisen, Silber oder Kobaltsulfid dargestellt, werden k/}nnen, oder b]au mit Berlinerblau. Die Bilder wiirden yon Histologen eher als ~Niederschl~ge denn als histologische Differenzierungen bezeichnet werden, ich glaube jedoch, dass auch soIche Erscheinungen in den histologischen Beschreibungen und Tafeln nicht fehlen sollten, wenn sie sich regelmassig als Gesetzmassigkeit offenbaren, auch wenn sie dem Sch0nheitssinn widersprechen. SeIbst nach acht- tagiger Formolfixation, die die Kathoden einigermassea zu schwachen scheint, bleiben sie als undurchsichtige Vierecke auf- f~llig; auf ihre Mitosennatur kann nur indirekt aus Indizien geschlossen werden, da sich innerhalb der Zelle bisher nichts Deutliches mehr hat herausdifferenzieren lassen. Es lasst sich mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit voraussagen, dass Experi- mentatoren mit mehr Spezialerfahrung und Geschick auf diesem Gebiete neue und wesentliche Tatsachen finden werden, wean sie sich mit der elektrischen Seite dieser Vorg~nge eingehend befassen werdea. Allerdiags bildet auch ein Meister wie Mac- C a l l u m die Kopulation von Algen mit dicken INiederschlags- flecken ab, ebenso finden sich in M. H e i d e n h a i n s prachtvollen Vanadium-Hamatoxylin-Bildern des Herzmuskels ganz undurch- sichtige Vierecke, denea H e i d e n h a i n (10), wenn ich ihn recht v~rstehe, eizle regenerierende Funktion zuschreibt.

~bersicht der FarblSsungen.

K a t h o d e n

Erst Eisenehlorid, dann Ferroeyankalium oder Schwefelammon

Silbernitrat im Dunkeln, dann Sehwefel- ammonium

Kobalt-Chlortir, dann Schwefelammonium Erst Eisenl0sung, dann H~matoxylin

0smiums~ure, Permanganat

A n o d e n

Methylgrtin (grtine Nuance)

Unna R. W. (Rongalitweiss) GiemsalSsung (blaue F~rbung) Unna polyehr. ~ethylenblau

(rote F~rbung) Alle Kernfarbstoffe, z. B. Gen-

tianaviolett in Wasser

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Elektroanalytisehe Untersuchungen.

Alle Plasmafarbstoffe in sauerer L~isung, die meisten Farbstoffe, aueh Kernfarb- stoffe, in Alkohol oder in starker Saute, wenn nicht dutch Reduktion oder Al- kali f~rblos werdend.

Safranin in Wasser (orangerote 51uance, verblasst bald und wird farblos)

�9 Neutralrot in Wasser (orangegelb, bald farblos)

Unna-Golodetz N V (Neutralviolettextra, blauer Anteil)

:Pikrokarmin (nicht zu sehr alkalisch) rote Komponente)

klle Farbstoffe in Alkohol, besonders Fett- farbstoffe

Pappenheims )Iethylgriin-Pyronin (in dieser LSsung zweier _&nodenfarbstoffe f~rbt Methylgrfin 5fret katbodisch)

Die saueren Farbstoffe in den Dreifarbeu- gemischen (die Trennung im Filtrier- papier gelingt mir bei Biondi und Tria- eid nicht)

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~[ethylviolett in Wasser Kresylviolett , , Dahlia Wollschwarz, Brillantkresyl-

blau in Wasser Safranin in Wasser (kirseh-

rote Nuance) Neutralrot in Wasser (him-

beerrot) Unna-Golodetz 1~ V roter An-

tell)

Pikrvkarmin (gelbe Kompo- nente)

Auch sauere Farbstoffe wie Fuchsin S in alkalischer Liisung

Pappenheims Methylgriin-Pyro. nin (Pyronin anodisch)

~Iethylgriin in den Dreifarben- gemischen.

Z u s a m m e n f a s s u n g . I)urch die Untersuchung der FarblSsungen mittels kapillar-

elektrischer Experimente an eingetauchten Fliesspapierstreifen lassen sich einerseits die kataphoretische Wanderungsrichtung der Farbkolloi(te oder ihrer Komponenten in dem betrefienden Dispersionsmittel sicherstellen, andererseits an frischen 1 e b e n d e n Schnitten mit den verschiedet~stea FarblSsungen immer wieder fibereinstimmead positiv und negativ die positiven und negativen Punkte der Praparate analysieren.

Auch in einige Tage lang mit Formol fixierten Schnitten bleiben die Kathodef~ ein wenig schw[tcher, die Anoden sehr scharf erhalten. Bei langerer Fixierung und bei starkeren und chemisch eingreifenderen Fixationsmitteln wird die Methode un- sicher und es ergeben sich Widersprtiche. Die Elektro-Differen- zierung des Kerns, der lebend nicht gefarbt werden kann, lasst sich nur in den gr0bsten Umrissen erkennen, auch feinere Ele- mehte des Plasmas, die nur durch sehr scharfe Fixation und H~irtung dargestelit werden, wie die Plasmosomen, lassen ihre elektrische Ladung noch nicht direkt ermitteln.

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Zur Erganzung der Teerfarbstoffe und in Itickenloser Uber- e inst immung mit ihnen dienen Schwer-Metallsalzl(isungen, die spater mit Ferrocyankal ium oder Sckwefelammonium sichtbar gemacht werden. Diese Metalliisungen dfirfen nicht mit den Metall impragnationen der Histologen verwechselt werden, die zwei grundsatzlich verschiedene Methoden zum Inhal te haben, einerseits die elektrolytischen Zerlegungen yon Schwermetall- salzen, die Kathoden sichtbar macht, andererseits die Erzeugung yon kolloiden Edelmetallsuspensionen, die infolge der anodischen Wanderungsrichtung dieser Kolloide die Kathoden, aber ,~'uch die Anoden tingieren.

Als Hauptursache der Farbung manifestiel ' t sich bei lebenden und Gefrierschnitten der e 1 e k t r i s c h e Faktor der Bilderzeugung, ausgenommen gewisse Falle rein chemischer Niederschlage, bei- spielsweise yore Typus Gerbs~ture-Eisen, Starke-Jod. Im fixierten Prapara t wirkt d e r elektrische F a k t o r immer noch an der Bild- erzeugung mit, t r i t t aber anscheinend nach langerer Fixation vor der c h e m i s c h e n Wirkung der Fixationssubstanzen oder der Gewebssubstanzen zurtick. ~)

1) A n m e r k u n g bei der Korrektur: Seit der I~iederschrift dieses ~Manuskripts im Herbst 1919 hat die Fortsetzung der Untersuchu~gen folgende neue Tatsachen ergeben: Die Chromosomen bei der Kernteilung sind wohl sicher kathodiseh. - - Es wurden etwa 70 weitere Farbstoffe und L~isungen untersucht, die bei den pflanzlichen Testobjekten ziemlich genau den Regeln der Kolloid-Kataphorese folgten. Wie wenig der chemisehe Charakter der Stoffe dabei yon Einfluss ist, lehren Versuche mit dem ehemisch ~usserst reaktionstrligen A s p h a l t l a o k . Dieser wegen seiner Verbindungsunfiihig- keit, bezw. Unangreifbarkeit yon den Histologen als Einschlussmittel benutzte Stoff ergibt in Dispersionsmitteln yon sehr niedriger Dielektr.-Konstante. z. B. Benzol, recht scharfe Kathodenbilder. - - Es ergab sich fiberhaupt ein so starker Einfluss des C o eh n schen Dielektrizit~ts-Ladungsgesetzes auf den Ausfall mikroskopischer Lebendf~rbungen, dass es notwendig wurde, die Dielektr.-Konstanten der wichtigsten biologisehen Substanzen zu bestimmen. Diese i~Iessungen ergaben ftir Blur und Serum eine iiberraschend hohe Dielektr.- Konstante: 85 (gegen 8t Wasser). Es ist also klar, dass naeh C o e h n s Gesetz, da so hohe Dielektr.-Konstanten sehr selten sind, in Serum und Blur alle Neutralstoffe sich negativ laden, 'd. h. zur Anode wandern miissen. Das Sehnlemann-Ph~nomen, das wohl auch auf die Alkalitiit des Serums zu- rtiekzufiihren ist, hitngt offenbar" mit dem Coehnsehen Gesetz zusanImen, dass Stoffe mit hiiherer Dielektr.-Konstante sich positiv laden gegen Stoffe mit niedrigerer Dielektr.-Konstante. Man erkennt, wie ohne Kenntnis dieses Gesetzes und der einze]nen Dielektr.-Konstanten die mikroskopischen Fiirbungen

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L i t e r a t u r . 1. S e h u l e m a n n : Dieses Arch. 1912 Bd. 79, Biochem. Zeitsehr. 80. Bd.

(1917). 2. F i c h t e r - S a h l b o m , zitiert nach Wo. 0 s t w a l d s Grundriss tier

Kolloidchemie. Dresden, Steinknopff. 3. Wo. O s t w a l d : Kolloidehem. Studien am Kongorubin. Kolloidchem.

Be~. Bd. X. 1919. (Die amerikanischen Untersuchungen sind bisher in Europa nut durch Referate bekannt).

4. C o e h n : Ann. der Physik 1898 zitiert nach Coehns Artikel ,Str~mungs- strSme ~ in HandwSrterbuch d. t~aturw. Jena 1913.

5. K e l l e r : Kolloid-Zeitschr. Bd. 25, 1919. Bd. 27.13. 255. 1920. 6. S c h m i d t (Diisseldorf): Kolloid-Zeitschr. Bd. 24, 1919. 7. M a c C a l l u m : Ergebnisse der Physiologie. Wiesbaden 1911. 8. U nn a: Dieses Archiv Bd. 87. Abt. I, 1915, Bd. 90, Abt. I, p. 61. 1917. 9. K e 1 t e r : Neue Versuche fiber mikr. Elektr. l~achweis. Wien, Leipzig 1919.

10. M. H e i d e n h a i n : Plasma und Zelle. I. Jena 1911.

nicht verstanden werden k~nnen. - - Eine Zusammenstellung der bisberigen Messungen der Dielektr.-Konstanten yon Eiweiss, Globulin, H~moglobin, Gela- tine, Kasein erscheint demn~chst in der ,Biochemischen Zeitsehrift ~, eine Ubersicht meiner ne.uen histologischen Ergebnisse erschien kiirzlich: ,,Elektro- histolog. Untersuchungen", Prager Verlags-GeselIschaft, Prag-Smiehow 1920.

Archiv f. mikr.&nat. Bd. 95. A.bLI. 10