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MAGAZIN | DNA ALS SENSOR | Elektronentransport in der DNA Die DNA-Doppelhelix ist seit einem halben Jahrhundert als Speicher der genetischen Information eine molekulare Berühmtheit. Weniger be- kannt ist, dass sie seit gut einem Jahrzehnt auch als molekulares Kabel für den Transport elektrischer Ladungen dient. Ein wichtiger Grund für die Erforschung der Leitfähigkeit der Erbsubstanz besteht darin, dass der Stromfluss von der korrekten Basenpaarung abhängt und somit als hochsensibler Sensor für eine bestimmte Gensequenz dienen kann. Dennoch gibt es in diesem Gebiet noch zahlreiche offene Fragen und Widersprüche. Insbesondere der Transport negativer Ladungen (injizierte Elektronen) ist weniger umfassend verstanden als die Leitung der positiv geladenen „Löcher“. Diese Art des Ladungstransports ist unter anderem deshalb wichtig, weil Elek- tronen die Reparatur bestimmter DNA-Schäden anregen. Die Arbeits- gruppe von T. Carell, der seine Lauf- bahn im Gebiet der DNA-Reparatur begann, präsentiert nun ein neues Modellsystem zur Untersuchung der DNA-Ströme, wobei der Reparaturef- fekt als Detektor des Ladungsflusses dient. Eine relativ häufige Art von (repa- rierbaren) DNA-Schäden ist die Dime- risierung benachbarter DNA-Basen. In zahlreichen Organismen gibt es Enzy- me, welche diese Dimere aufspalten und die ursprüngliche Basensequenz wieder herstellen. Carells Arbeits- gruppe an der Universität Marburg untersuchte die Richtungsabhängig- keit der Elektronenleitung in DNA mit Hilfe eines künstlich erzeugten Thymidin-Dimers als Sensor. Die For- scher „injizierten“ durch Lichtanre- gung eines in den Basenstapel einge- lagerten reduzierten Flavinmoleküls freie Elektronen in den Kern der Doppelhelix.Wenn ein Elektron den Weg zum Dimer findet, regt es des- sen Spaltungsreaktion an. Zwecks Vereinfachung des Nachweises wur- de vorab das Rückgrat der DNA zwi- schen den beiden verschmolzenen Thymidin-Resten unterbrochen, so dass die Reparatur gleichzeitig ein Zerschneiden des DNA-Strangs bewirkte. Mit diesem Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass zum Elektronentransport (ebenso wie zum Transport positiver Ladungen) eine korrekt gepaarte Doppelhelix vorliegen muss.Allerdings müssen nicht beide Hälften aus DNA beste- hen - im Fall der Marburger Arbeit war ein Strang aus PNA -- Peptid- Nucleinsäure -- aufgebaut. Darüber hinaus fanden sie her- aus, dass die Wirksamkeit des La- dungstransports nicht von der Rich- tung (bezogen auf die 5’-3’-Polarität der DNA) abhängt. Sie erhielten Spal- tungsausbeuten im Bereich von 25 %, bei zurückgelegten Entfernungen von 3 bis 23 Ångstrom [1]. In einer weiteren, gleichzeitig erschienenen Arbeit, untersuchten die Marburger zusammen mit den Arbeitsgruppen von B. Giese (Basel) und O. Schiemann (Frankfurt) diesel- be Spaltungsreaktion in Kombination mit einem neuartigen Injektionssys- tem, das pro Doppelhelix nur genau ein Elektron freisetzt. Bei Experimen- ten mit DNA-Strängen, die mehrere Thymidindimere enthielten, fanden die Forscher zu ihrer Überraschung, dass ein einzelnes Elektron mehr als ein solches Dimer aufbrechen kann. Paradoxerweise scheint sogar die Ausbeute an dem weiter entfernten Dimer höher zu sein als am näher- gelegenen [2]. Die komplizierten und bisweilen widersprüchlichen Befunde aus der Erforschung von „DNA-Kabeln“ lassen vermuten, dass die Elektronen- wanderung in der Doppelhelix von einer ganzen Reihe von Faktoren ab- hängt, die noch nicht alle bekannt sind. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass DNA benutzt werden kann, um subtile chemische oder ge- netische Unterschied in messbare elektronische Signale umzuwandeln. Die DNA als einfache Stromleitung zu benutzen, wäre Verschwendung. Doch als Sensor und als molekular- elektronischer Signalwandler hat die- ses klassische Biomolekül sicherlich eine große Zukunft. Michael Groß www.michaelgross.co.uk Literatur [1] C. Haas et al.: Excess Electron Transfer Driven DNA Repair Does Not Depend on the Transfer Direction, Angew. Chem. 2004, 116, 1878- 1880. [2] B. Giese et al.: Excess Electron Transport Through DNA: A Single Electron Repairs More than One UV-Induced Lesion, Angew. Chem. 2004, 116, 1884-1887 160 | © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2004, 38, 160 CYANID-SENSOR | Ein neuer Biosensor weist Cyanid weit unterhalb der Giftigkeitsschwelle schnell und präzise nach. Er könnte kostengüns- tig in der Umwelt- und Lebensmittelkon- trolle eingesetzt werden. Das „Arbeitstier“ des Sensors ist das Enzym Cyanidase, das Cyanid in Ameisensäure und Ammoniak zerlegt. Dadurch ändert sich der pH-Wert der Lösung, was von einem Halbleiterchip, der in direktem Kontakt mit der Lösung steht, als elektrische Kapazitätsände- rung registriert wird. Bei dem Projekt sind die Jülicher Forscher um Prof. M. Schöning für die Fertigung der Halbleiterchips mit einer speziellen EIS-Schichtstruktur zuständig (EIS steht für Elektrolyt, Isolator und Silicium). Die Marburger Wissenschaftler um Prof. M. Keusgen kümmern sich um die Cyanida- se. Als Wirtsorganismus für ihre Produk- tion diente das Darmbakterium Escheri- chia coli, das zur Herstellung ganz unter- schiedlicher Proteine verwendet wird. Die genetische Information zur Herstel- lung der Cyanidase stammt von Pseudo- monas-Bakterien, die typischerweise im Boden vorkommen. Für einen erwachsenen Menschen ist die Aufnahme von etwa 50 Milligramm Cyanid tödlich. Der entwickelte Sensor spricht bereits auf den Millionstel Teil dieser Menge an und verlangt zudem keine aufwändige Vorbereitung der zu untersuchenden Proben. Über die mög- lichen Mechanis- men der Ladungs- übertragung in der DNA sowie die zugrunde lie- genden experi- mentellen und theoretischen An- sätze informiert der Aufsatz von H.-A-. Wagen- knecht: „Vom Mechanismus zur Anwendung – Ladungstransfer durch die DNA“ in der Chemie in un- serer Zeit 5/2002, S. 318. ABB. | DNA

Elektronentransport in der DNA

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D N A A L S S E N S O R|Elektronentransport in der DNADie DNA-Doppelhelix ist seit einem halben Jahrhundert als Speicher dergenetischen Information eine molekulare Berühmtheit. Weniger be-kannt ist, dass sie seit gut einem Jahrzehnt auch als molekulares Kabelfür den Transport elektrischer Ladungen dient. Ein wichtiger Grund fürdie Erforschung der Leitfähigkeit der Erbsubstanz besteht darin, dassder Stromfluss von der korrekten Basenpaarung abhängt und somit alshochsensibler Sensor für eine bestimmte Gensequenz dienen kann.

Dennoch gibt es in diesem Gebietnoch zahlreiche offene Fragen undWidersprüche. Insbesondere derTransport negativer Ladungen (injizierte Elektronen) ist wenigerumfassend verstanden als die Leitungder positiv geladenen „Löcher“. DieseArt des Ladungstransports ist unteranderem deshalb wichtig, weil Elek-tronen die Reparatur bestimmterDNA-Schäden anregen. Die Arbeits-gruppe von T. Carell, der seine Lauf-bahn im Gebiet der DNA-Reparaturbegann, präsentiert nun ein neuesModellsystem zur Untersuchung derDNA-Ströme, wobei der Reparaturef-fekt als Detektor des Ladungsflussesdient.

Eine relativ häufige Art von (repa-rierbaren) DNA-Schäden ist die Dime-risierung benachbarter DNA-Basen. Inzahlreichen Organismen gibt es Enzy-me, welche diese Dimere aufspaltenund die ursprüngliche Basensequenzwieder herstellen. Carells Arbeits-gruppe an der Universität Marburguntersuchte die Richtungsabhängig-keit der Elektronenleitung in DNAmit Hilfe eines künstlich erzeugtenThymidin-Dimers als Sensor. Die For-scher „injizierten“ durch Lichtanre-gung eines in den Basenstapel einge-lagerten reduzierten Flavinmolekülsfreie Elektronen in den Kern derDoppelhelix.Wenn ein Elektron denWeg zum Dimer findet, regt es des-sen Spaltungsreaktion an. ZwecksVereinfachung des Nachweises wur-de vorab das Rückgrat der DNA zwi-schen den beiden verschmolzenenThymidin-Resten unterbrochen,so dass die Reparatur gleichzeitig ein Zerschneiden des DNA-Strangsbewirkte.

Mit diesem Verfahren konntenachgewiesen werden, dass zumElektronentransport (ebenso wiezum Transport positiver Ladungen)eine korrekt gepaarte Doppelhelixvorliegen muss.Allerdings müssennicht beide Hälften aus DNA beste-hen - im Fall der Marburger Arbeitwar ein Strang aus PNA -- Peptid-Nucleinsäure -- aufgebaut.

Darüber hinaus fanden sie her-aus, dass die Wirksamkeit des La-dungstransports nicht von der Rich-tung (bezogen auf die 5’-3’-Polaritätder DNA) abhängt. Sie erhielten Spal-tungsausbeuten im Bereich von 25 %,bei zurückgelegten Entfernungen von3 bis 23 Ångstrom [1].

In einer weiteren, gleichzeitig erschienenen Arbeit, untersuchtendie Marburger zusammen mit den Arbeitsgruppen von B. Giese (Basel)und O. Schiemann (Frankfurt) diesel-be Spaltungsreaktion in Kombinationmit einem neuartigen Injektionssys-tem, das pro Doppelhelix nur genauein Elektron freisetzt. Bei Experimen-ten mit DNA-Strängen, die mehrereThymidindimere enthielten, fandendie Forscher zu ihrer Überraschung,dass ein einzelnes Elektron mehr alsein solches Dimer aufbrechen kann.Paradoxerweise scheint sogar dieAusbeute an dem weiter entferntenDimer höher zu sein als am näher-gelegenen [2].

Die komplizierten und bisweilenwidersprüchlichen Befunde aus derErforschung von „DNA-Kabeln“ lassen vermuten, dass die Elektronen-wanderung in der Doppelhelix voneiner ganzen Reihe von Faktoren ab-hängt, die noch nicht alle bekanntsind. Umgekehrt bedeutet dies aber

auch, dass DNA benutzt werdenkann, um subtile chemische oder ge-netische Unterschied in messbareelektronische Signale umzuwandeln.Die DNA als einfache Stromleitungzu benutzen, wäre Verschwendung.Doch als Sensor und als molekular-elektronischer Signalwandler hat die-ses klassische Biomolekül sicherlicheine große Zukunft.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

Literatur[1] C. Haas et al.: Excess Electron Transfer Driven

DNA Repair Does Not Depend on the TransferDirection, Angew. Chem. 22000044, 116, 1878-1880.

[2] B. Giese et al.: Excess Electron TransportThrough DNA: A Single Electron Repairs Morethan One UV-Induced Lesion, Angew. Chem.22000044, 116, 1884-1887

160 | © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2004, 38, 160

C YA N I D - S E N S O R |Ein neuer Biosensor weist Cyanid weitunterhalb der Giftigkeitsschwelle schnellund präzise nach. Er könnte kostengüns-tig in der Umwelt- und Lebensmittelkon-trolle eingesetzt werden.

Das „Arbeitstier“ des Sensors ist das Enzym Cyanidase, das Cyanid in Ameisensäure und Ammoniak zerlegt.Dadurch ändert sich der pH-Wert der Lösung, was von einem Halbleiterchip,der in direktem Kontakt mit der Lösungsteht, als elektrische Kapazitätsände-rung registriert wird.

Bei dem Projekt sind die Jülicher Forscherum Prof. M. Schöning für die Fertigungder Halbleiterchips mit einer speziellenEIS-Schichtstruktur zuständig (EIS stehtfür Elektrolyt, Isolator und Silicium). DieMarburger Wissenschaftler um Prof. M.Keusgen kümmern sich um die Cyanida-se. Als Wirtsorganismus für ihre Produk-tion diente das Darmbakterium Escheri-chia coli, das zur Herstellung ganz unter-schiedlicher Proteine verwendet wird.Die genetische Information zur Herstel-lung der Cyanidase stammt von Pseudo-monas-Bakterien, die typischerweise imBoden vorkommen.

Für einen erwachsenen Menschen ist die Aufnahme von etwa 50 MilligrammCyanid tödlich. Der entwickelte Sensorspricht bereits auf den Millionstel Teildieser Menge an und verlangt zudem keine aufwändige Vorbereitung der zuuntersuchenden Proben.

Über die mög-lichen Mechanis-men der Ladungs-übertragung inder DNA sowiedie zugrunde lie-genden experi-mentellen undtheoretischen An-sätze informiertder Aufsatz vonH.-A-. Wagen-knecht: „Vom Mechanismus zurAnwendung – Ladungstransferdurch die DNA“ inder Chemie in un-serer Zeit 5/2002,S. 318.

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