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SPIRO, EINLEITUNGSVORTRAG 219 Wenn es so die elektrostatische Anziehung zwischen den Ionen der Elektrolyte und den Dipolen des Wassers ist, welche beim einfachen L6sungsvorgang jene elektrischen Kr~fte (Gitterenergie) tiberwindet, die | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Fig. 6. Polarisation des Wassers durch ein Ion. den Kristall zusammen- halten, so mag uns diese Auffassung eines der allerelementarsten Pro- zesse ein Hinweis darauf sein, dab gerade den elektrostatischen KrS,ften, im anorgani- Fig. 7. Dipolcharakter der Wasser- molekeln (Schema). schen wie im organischen Geschehen eine bisher noch kaum fiberseh- bare, universeUe Bedeutung zukommen muB. Elektrostatik als eigenes Arbeitsgebiet in der Biochemie. Von Rudolf Keller (Prag). (Mit 2 Figuren und 1 Tafel.) Zun~chst babe ich Ihnen, dem Erziehungsdepartement des Kan- tons Basel und der Universit/~t im eigenen Namen und in dem meiner Mitarbeiter meinen Dank daffir auszusprechen, dab Sie unserer bio- physikMischen Arbeitsgemeinschaft Gelegenheit gegeben haben, hier unsere neuen Untersuchungsmethoden vorzuffihren. Wir ffihlen sehr wohl, dab dies eine Auszeichnung ist, die dem gegenwSxtigen Stande unserer Resultate vorauseilt, und wir sind in Sorge, ob es sich ftir die Forscher, die die Reise naeh Basel nicht gescheut haben, verlohnen wird,

Elektrostatik als eigenes Arbeitsgebiet in der Biochemie

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SPIRO, EINLEITUNGSVORTRAG 219

Wenn es so die elektrostatische Anziehung zwischen den Ionen der Elektrolyte und den Dipolen des Wassers ist, welche beim einfachen L6sungsvorgang jene elektrischen Kr~fte (Gitterenergie) tiberwindet, die

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| | | Fig. 6.

Polarisation des Wassers durch ein Ion.

den Kristall zusammen- halten, so mag uns diese Auffassung eines der allerelementarsten Pro- zesse ein Hinweis darauf sein, dab gerade den e l e k t r o s t a t i s c h e n KrS, ften, im anorgani-

Fig. 7. Dipolcharakter der Wasser-

molekeln (Schema).

schen wie im organischen Geschehen eine bisher noch kaum fiberseh- bare, universeUe Bedeutung zukommen muB.

Elektrostatik als eigenes Arbeitsgebiet in der Biochemie.

Von R u d o l f K e l l e r (Prag).

(Mit 2 Figuren und 1 Tafel.)

Zun~chst babe ich Ihnen, dem Erziehungsdepartement des Kan- tons Basel und der Universit/~t im eigenen Namen und in dem meiner Mitarbeiter meinen Dank daffir auszusprechen, dab Sie unserer bio- physikMischen Arbeitsgemeinschaft Gelegenheit gegeben haben, hier unsere neuen Untersuchungsmethoden vorzuffihren. Wir ffihlen sehr wohl, dab dies eine Auszeichnung ist, die dem gegenwSxtigen Stande unserer Resultate vorauseilt, und wir sind in Sorge, ob es sich ftir die Forscher, die die Reise naeh Basel nicht gescheut haben, verlohnen wird,

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soviel Zeit und Aufmerksamkeit einem Gegenstande zu widmen, der trotz jahrzehntelang daran gesetzter Experimentalarbeit nur langsam F0rtschritte gemacht hat.

Im wesentlichen fuflen wir in der biologischen Methodik auf der vitalf~irberischen Vorarbeit yon E h r l i c h , G o l d m a n n , A r n o l d und haben nur auf die ~ilteren empirischen Methoden die Ergebnisse der m o d e r n e n K o l l o i d i k angewendet, insbesondere den yon ihr erarbei- teten Begriff der Elektrizitiitsladung und der TeilchengrSBe in mSglichst quanti tat iver Weise f/Jr Zwecke der praktischen Lebendf~rbung be- ntitzt. Was den Dispersit~tsgrad betrifft, so haben wir die Vorarbeit yon v. M o e l l e n d o r f f an Tieren und R u h l a n d an Pflanzen bentitzen k6nnen. Auch U n n a s Reduktions- und Oxydationsmethoden haben uns dabei grot3e Dienste geleistet, ebenso neuerdings das Nadi-Gemisch von G r a e f f . In bezug auf den Faktor der Elektrizitiitsladung hat S c h u l e m a n n (1917) mit sauren Farbstoffen die ersten tierischen Anoden erkannt, w~ihrend B e t h e schon frtiher (1915) die Umladbarkeit der gebr~uchlichen Farbstoffe entdeckt hat. Unabsehbar ist die Zahl der Vitalf~irber, die in den ~tlteren Arbeiten.Material ftir die neue Deu- tung herbeigeschafft haben.

Ftir unsere Richtung haben wir den Namen Elektrostatik in der Biochemie gewiihlt, obzwar dieser nicht genau unser Arbeitsgebiet umgrenzt, wei! wir eine neue Terminologie vermeiden wollten. Mit der elektrostatischen Richtung in der Biochemie verh~tlt es sich so, dab sie, namentlich bei Untersuchungen yon mikroskopischen Zellen besonders scharf zwischen statischen Ladungen und Str6men unter- scheiden will. Die Bioelektrostatik geht keineswegs yon der Absicht aus, die physiologisch-chemischen Vorg~inge ausschlietllich oder auch nut gr6fltenteils elektrostatisch zu deuten, sie glaubt nur, dab sie, wenn sie in der Zelle mit einem Met3instrument oder sonstwie einen gegentiber seiner Umgebung elektronegativen Punkt ermittelt hat, sie noch nicht berechtigt ist, Stromlinien einzuzeichnen, sondern z u n ~ c h s t nur aus- sagt, dab sie diesen Punkt oder diese Fl~tche oder Linie elektronegativ gegen einen bestimmten Bezugspunkt (Erde als Nullpunkt oder destil- liertes Wasser als Normall6sung) gefunden hat.

Schon M. C r e m e r , F. H a b e r , J. L o e b , R. B e u t n e r u. A. haben in ihren bekannten Untersuchungen die Entstehung yon Po- tentialen in nichtmetallischen diphasischen Systemen festgestel l t und zur Erklitrung der elektromotorischen Eigenschaften der Gewebe be- ntitzt; bisher aber war es meist so, dab nur mit S t r o m m e s s e r n ge- messen worden ist und fast niemals m i k r o s k o p i s c h , sondern n u t

K E L L E R , E L E K T R O S T A T I K ALS EIGENES ARBEITSOEBIET IN DER BIOCHEMIE ~ 7 [

yon grot3en, mit menschtichen H~nden greifbaren Durchschnittsfliichen, die bei mikroelektrischer Untersuchung sich als eine ungemein komplexe

Vielheit yon negativen und positiven Punkten ergeben haben. Dabei handelt es sich nicht blot3 um eine qualitative Vielheit, sondern ebenso um eine quantitative, indem be- sonders die negativen Zellteile gegeneinander eine charakte-

ristische Skala yon hohen und niedrigen Millivolt Spannungen aufweisen, also, obzwar gegen

Wasser alle negativ, doch in un- mittelbarer Bertihrung miteinan- der relativ positiv sein k6nnen. Statt einer Erkl~rungverweise ich auf das Beispiel des Q u e r s c h n i t -

tes von E f e u (siehe Fig. A), der eine der einfachsten und elektrisch

.stabilsten Strukturen hat und in- folgedessen ziemlich genau unter- sucht werden konnte. Hier sind alle qualitativen Aussagen mit

den verschiedensten Methoden tibereinstimmend festgestellt, fiir- berisch, dann mit den statischen

und galvanischen MeBinstrumen- ten. Die eingezeichneten Millivolt sind Minimalziffern, da es nicht

m6glich ist, Elektroden isoliert einzuffihren, die so feine Struk- turen gesondert ableiten kSnnen.

Man erh~ilt also nur kleinere Nebenschlut3-Pot entiale.

Die ~iltere Methodik hat ge-

wShnlich von zwei Stellen mit

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Fig. A. Verteilung der elektrischen Ladungen an einem in H i O liegenden Schnitt yon Efeu. M Mark, X Xylem, P Phloem, B Bast- btindel, R Rindenparenchym, K Kollen- chym, E Epidermis. Die eingetragenen Ziffern bezeichnen den elektrometrisch gemessenen Wert in Millivolt. Das Vor- zeichen ist aus der Figur ersichtlich.

einem Strommesser abgeleitet, dann yon den zwei Ableitungsstellen eine

schematische Stromlinie eingezeichnet, die den St rom des Meflinstrumentes zu einem hypothetischen Kreisstrom erg~inzten, eine Methodik, gegen die schon seit du B o i s - R e y m o n d yon kritischen Elektrophysiologen

Einw~nde erhoben worden sind: Wenn man mit unserer Methodik die Gewebe mikroelektroanalytisch durchforseht, so sieht man, dab diese

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Einw~nde berechtigt gewesen sind. Selbst wenn man ein halbes Leben an die Erforschung der Mikroelektrik gesetzt hat - und dann erst recht - - ,

ist man nicht in der Lage, eine solche innere Stromlinie lebenden Ge- webes auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entwerfen. Die Kom- pliziertheit der StromIeitung wird dadurch erh6ht, daft die Perme-

abilit~it und damit die LeitfS~higkeit in Reizmomenten sich erfahrungs- gemSA3 stark gndert. Ferner gibt es bei geschlossenen Str6men keinc sicheren anodischen und kathodischen Punkte, Linien oder Fl~chen. Was auf der einen seite Kathode ist, mut3 der anderen Seite gegenfiber Anode sein. Im Stadium der ersten notwendigerweise rohen Orientie- rung fiber die elektrischen Zellkr~ifte ist es also zweckm~fliger und rich-

tiger, mit der voraussetzungslosen E lek t ros t a t i k zu beginnen. Es w~ire fiir Sic heute ganz uninteressant, wenn ich Ihnen die Ar-

beitshypothesen aufzghlen wollte, von denen ich ursprfinglich aus- gegangen bin. Es sei nur erw~ihnt, daft es durehwegs St romhypothesen und Ionenhypothesen gewesen sind, auf Grund deren die ersten mikro-

elektrischen Versuche gemacht wurden und an denen ich nahezu 10 Jahre festgehalten habe. Die Ergebnisse der Mikroanalyse haben aber diese Hypothesen immer mehr eingeschr~inkt; heute m6chte ich Ihnen nur kurz skizzieren, daft wir noch immer an Str6me in den lebenden Zellen glauben (daft wir ferner der Meinung sind, Str6me lassen sich nur durch die ' e l ek t ro s t a t i s che Methodik verl~tfllich identifizieren, da man sic

erst ganz sicher nachweisen kann, wenn man sie s t a t i s e h u n d galva- nisch untersucht hat). Wir sind ferner der Ansicht, daft die Ionenreak- tionen in der lebenden Zelle eine grot3e und entscheidende Rolle spielen.

Obzwar es uns (und gleichzeitig und unabh~ngig von uns auch den Amerikanern der Gruppen O s t e r h o u t und Lil l ie) selten oder niemals gelingt, nachweisbare Mengen von Ionen in das yon uns untersuehte lebende Plasma eindringen zu sehen, haben wit neue Grtinde far die

Wichtigkeit der Ionen im Zellchemismus herbeigeschafft, da die hohe Dielektrizit~itskonstante der Nervenaxone und des Serums, auf die sp~iter noch zurtickgekommen wird, die biochemischen Stoffe besonders

stark ionisieren mtissen. Wenn Sie nun fragen: Was ist Ihre Grundannahme ? - - so antworte

ich darauf: Unsere Arbeitshypothese ist zun~tchst die E i n s c h r ~ t n k u n g e i n i g e r b i s h e r i g e r H y p o t h e s e n . Wir glauben an Str0me in den

Zellen, aber wir setzen sie nicht voraus, wir glauben an Ionenreaktionen innerhalb der Zelle, aber wir basieren unsere Aussagen nicht darauf. Ohne eine siehere Anatomie ist eine Physiologie nicht m6glich, ohne eine

verlS~ftliche mikroskopisehe Elektromorphologie ruht eine Elektro-

t4,ELLER, ELEKTROSTATlt~ ALS EIOENES ARBEITSGEBIET IN DER BIOCHEMIE ~ , ~

physiologie auf sehr unsicherem Grunde. Wit wollen also im gegen- w~irtigen Stadium der Untersuchung nur annehmen, dab in den Zellen ~charakteristische elektrostatisehe Ladungen sich beobachten lassen {manchmal wahrscheinlich auch Str6me), und wir wollen diese Beob- achtungen erweitern, sammeln und ordnen. Dem Nichtelektrohistologen wird es vielleicht scheinen, dab auch die Aufsuchung elektrischer Poten- tiale in lebenden Zellen auf Grund yon Hypothesen gesehieht und nicht einwandfrei beweisbar ist. In einigen F~illen mag dies zutreffen, im gan- zen aber besitzen wir heute so viele verschiedenartige voneinander um abhgngige ehemische, elektrochemische, physikalische Untersuchungs- methoden, dab wir glauben, bei der Untersuchung auf sicherem Boden zu stehen. Nur ist die Arbeit, wenn man Wert darauf legt, jedes Resul- ta t auf mehrfache Weise zu verifizieren, ein wenig mtihsam - - eine ein- zelne Gruppe kann nicht eine Mehrzahl von Organen bearbeiten - - , so dab die Untersuchungsarbeit ungemein langsam fortschreitet.

Kein einzelner und keine Einzelgruppe ist in der Lage, eine mikro- skopische Elektromorphologie allein zu schaffen. Ohne eine solche Grundlage abet scheint es uns voreilig, Hypothesen fiber elektrische Vorgange in Zellen und Geweben aufzustellen. Wir haben Sie hierher gebeten, damit Sie sich ein Urteil tiber die j etzt vorhandenen M e t h o d e n und ihre Fehlerquellen, auf die wir mit Nachdruck hinweisen, bilden und sie in derVerbesserung, die sich dureh neue praktische Experimentier- arbeit ergeben wird, ftir die Probleme anwenden, mit denen Sie sich speziell befassen. Wir kSnnen die yon uns gewtinschte Elektrozytologie nicht nur deshalb nicht ausarbeiten, weil unser Laboratorium zu klein und Zeit und Mittel zu besehr~tnkt sind, um an grSflere Versuchstiere heran- zugehen, sondern vor allem auch deshalb, weil wir geistig nicht ein so weites Gebiet gentigend beherrschen k6nnen und uns ffir viele komplizierte Organe des h6heren Tieres auch die speziellen Kenntnisse und die spe- ziellen Handwerksgriffe fehlen.

Ftir den heute begonnenen Kursus ist uns die Methodik viel wich- tiger als die gelegentlichen Einzelresultate, die nur als Beispiele dienen k6nnen. Wir bitten" Sie deshalb, die Einzelvortrgge hauptsS~chlich als methodische Probeexperimente zu werten; wir bitten die Tierphysio- logen und Tiermorphologen, die botanische Untersuchung yon P e k a r e k an Nektarien m6glichst genau zu beachten; wir bitten die Botaniker, die Untersuchung am Auge yon F. P. F i s c h e r , ferner diejenigen yon H a l i k und D e j d a r wegen ihrer allgemeinen biologischen Methodik aufmerksam zu studieren.

Eine Elektrozytologie des Gesamtorganismus wgre, selbst wenn

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sie im Augenblick ausftihrbar wgre, unzureichend, weil die Morpho- logie eines Tieres, einer Pfianze, eines bestimmten Organs, Gewebes oder Gewebsteiles nur yon demjenigen Experimentator zweckentspre- chend bearbeitet werden kann, der das betreffende Spezialgebiet grfind- lich beherrseht. Wir suehen deshalb Mitarbeiter im Geiste auf allen Gebieten der tierischen, pflanzlichen Morphologie, Histologie, Physio- logie und physiologischen Chemie. Sie sollen in die neue Arbeitsweise vollen Einblick erhalten, Sie sollen die Methoden ausgestalten, verbessern, Sie sollen sie auf Grund eigener Versuche bestittigen oder widerlegen, Sie sollen die Methoden, die nebenbei neue Strukturen aufdeeken, eventuell benfitzen, ohne zu ilinen Stellung zu nehmen; die Aus- deutung der tatsgchlichen Resultate mag ruhig der Entscheidung einer zukfinftigen Forschung fiberlassen bleiben. Es befinden sieh unter den neuen Arbeitsweisen neben feinen Met3methoden, die nur in der Hand des Physikers verwendbar sind, aucl{ rein biologische neue F~irbungs- methoden ffir lebende Zellkerne und -plasma, die auch die an der Bio- physik nicht interessiertea Experimentatoren mit Vorteil ffir rein mor- pholegische Zwecke verwenden k6nnen.

Qualitative MeBmethoden. Eine erste Anniiherungsmethode der Feststellung yon Elektrizit~its-

potentialen in leberrden Zellen ist die rein qualitative, welehe Punkte elektro-negativ und welche Punkte elektro-positiv - - gegen neutrales Wasser als Bezugspunkt - - sind. Dies gelingt leicht mit verschiedenen voneinander unabh~tngigen Fgrbungsmethoden am lebenden Gewebe. Die Vermutung,-dab die elektive Fgrbung lebenden Gewebes haupt- siichlich yon elektrischen Potentialen verursacht sein k6nne, wurde schon im vorigen Jahrhundert er6rtert; wenn die systematische Elektro- mikroanalyse mit Farbstoffen so lange nicht durehgeftihrt wurde, so lag dies daran, dab fiber die Wanderung im elektrischen Felde zum Teil unklare Vorstellungen herrschten: basische Farbstoffe k6nnen in der grollen Verdfinnung, in der sie wegen ihrer Giftigkeit angewendet wer- den mfissen, yon dea entgegengesetzt geladenen negativen Kolloiden der Zelle adsorbiert und nunmehr an den entgegengesetzten Pol bef6rdert werden, also an den positiven Pol, obgleich sie nach ihrer chemischen Konstitution selbst positiv sind. Bei den sauren Farbstoffen haben wir zwel Fglle, die starken, wie Pikrinsgure, Aurantia, Martiusgelb, und die schwaehen, z .B. die Sulfosguren. Erstere erscheinen am positiven Pol, letztere, die je nach Dielektrizit~ttskonstante bzw. vergnderter Dissoziation eine /mderung ihrer Ladung erfahren k6nnen, even-

KELLER, ELEKTROSTATIK ALS EIGENES ARBEITSGEBIET tN DER BIOCHEMIE 39,5

tuell auch am negativen Pol. Die beifolgenden Schemata mSgen das erl~iutern.

Die Aufsuchung yon mikroskopischen Elektrizitiitspolen durch ihre Speicherung yon positiven und negativen F a r b s t o f f e n oder durch die Speicherung farbloser Molekfile, die sp~iter mit den entsprechenden

I. Farbbase.

.

II. Starke Farbs/iure.

[III. Schwache Farbsiiure.

I

chemischen Reagenzien sichtbar gemacht werden, ist eine Methode, die ftir sich allein n u r mi t g ro t ] e r V o r s i c h t gebraucht werden kann, well viele Farbstoffe und Reagenzien auch in ganz schwacher Konzen- tration das Bild der lebenden Zelle ver/indern, well die groi]e Mehrzahl anderer Farbstoffe teils wegen ihrer erheblichen Teilchengr6f3e, teils an- scheinend aus nicht mecharfischen Grtinden nicht in das Innere des Plasmas eindringen. Untersucht man jedoch Schnitte lebenden Gewebes , so werden die elektrischen Potentiale der Zelle durch das Verletzen be- einflul3t.

Die F~irbung lebender Zellen h~ngt nicht nur yon den Farbstoffen an sich ab, sondern yon ihrem L6sungsmittel, von dem Azidit~itsgrad der L6sung, yon eventuellen kolloiden Beimischungen des Plasmas;

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der organischen S~fte usw., die die Farbstoffe adsorbieren, welche dann durch den Wanderungssinn des farblosen Adsorbens nach dem ent- gegengesetzten Pol dirigiert werden, kurz: die F e h l e r q u e l l e n s i n d so z a h l r e i c h , daft eine F~rbung allein noch keine entscheidende Bestim- mung ergibt, so dab m6glichst vielartige, voneinander unabh~.ngige F~rbungen durchgeft~hrt werden mtissen, soweit dies mSglich ist, also beispielsweise molekular-disperse und kolloide F~rbungen, Indikatoren auf S~ure (+) - - (Indikatoren auf Basen gehen im al]gemeinen schwer in lebende Zellen) - - , Oxydationsreagenzien (+) , Reduktionsreagenzien (--), starke und schwache Konzentrationen und dergleichen Kontrollen. In allen F~llen ist zu berticksichtigen, wie der betreffende Farbstoff unter den speziellen Verh~ltnissen des einzelnen Vorgangs geladen ist.

Mit der F t i r thschen Hochspannungsmethode l~t3t sich in einigen Minuten demonstrieren, wie der Wanderungssinn der gef~rbten Kolloide yon ihrem M a s s e n g l e i e h g e w i c h t in einer definierten Dispersion ab- hS.ngig ist. Bei Methylenblau (basisch) und bei Fuchsin S (sauer) sind die Verh~ltnisse vollkommen aufgeklS~rt; Methylenblau wandert in reinem Wasser zur Kathode, in physiotogischer Kochsalzl6sung nach beiden Elektroden gleichmAfiig (Be th e 1915), bei Zusatz von viel Serum und wenig Farbstoff rein zur Anode, bei viel Farbstoff und wenig Serum zur Kathode. Ganz genau so verhSJt sich das physiologische Testobjekt. Weniger tibersichtlich liegen die VerhAltnisse bei den Farbstoffen der Eosinreihe. Es ist nicht leieht, Fluoreszein oder Eosin im Hochspannungs- apparat mit Serumzusatz rein zur Kathode zu bringen, w~hrend es in der lebenden Zelle seharf und elektiv nur die negativen Orte f~Lrbt. Die Tatsache, dab der elektrisehe Faktor bei der Lebendf~rbung dominiert, dab also die Resultate qualitativ als verlS~Bliehe Daten betrachtet wet- den k6nnen, l~t3t sich auf tiberzeugende Weise demonstrieren.

Wenn es riehtig ist, was wir nicht mehr als eine Hypothese betrach- ten, sondern ats eine dureh Zehntausende yon planm~tt3igen FS.rbungs- experimenten und Hunderte yon Naehmessungen mit dem Mikro- manipulator bewiesene Erfahrung, dab bei der Vitalf~rbung der elek- trisehe F~rbungsfaktor, wie aueh K a r c z a g hervorhebt, dominiert, so mt~t3te man glauben, dab die Mikroeiektroanalyse sehon ein seit einem halben Jahrhundert gesammeltes Material an u fast aller tierisehen und pflanzlicherl Organe besitzt, dab man also dieses btot3 auf Grund obiger Erfahrungen zu deuten braucht, um die Grundlagen einer Elektrohistologie der Pflanze und des Tieres zu erhalten.

Dies ist jedoeh nicht der Fall, und zwar wegen einer t-Iauptfehler- quelle bei der Verwendung der Vitalf~rbung als elektroanalytischer

KELLER, ELEKTROSTATIK ALS E1GENES ARBE1TSGEBIET IN DER BIOCHEMIE 29,7

Hilfsmethode. Die Erfahrung hat gezeig~, dai~ es ziemlich leicht ist, elektro-n e g a t i v geladene Korpuskeln yon bestimmter kleiner Teilchen- gr6fle in lebende Zellen einzufiihren, aber ungemein schwer, elektro- p o s i t i v geladene Korpuskeln eindringen zu lassen. Die bisherige Vital- fiirbung ist zu 99 Proz. das, was wir Anodenfiirbung nennen (Anfiirbung des positiven Pols). Negative Pole (Kathoden) sind yon den friiheren Vitalfiirbern, ausgenommen K t i s t e r , R u h l a n d , K a r c z a g , nur sehr selten beobachtet worden. Nun sind aber die meisten lebenswichtigen Organe der Zelle, vor allem Kern und Plasma, aber auch viele Membra- nen, negativ geladen gegentiber dem Zellsaft oder dem Blute, man erh~lt also durch die gewShnliche Lebendf~trbung manchmal Bilder der Gra- nula, die zum Tell die Folge sind einer dutch den Farbstoff hervorgeru- fenen Entmischung des Plasmas und reversibel wieder zum Versehwin- den gebraeht werden kSnnen, ferner der Oberfl~chen (Exkretpartikelchen) aufgenommener toter Nahrungspartikelchen (die Vorratsstoffe der Zelle), nut selten aber der wirklieh lebenden plasmatisehen Teile der Zelle. Dazu kommt noch etwas anderes. W~ihrend die positiv geladenen Elemente anscheinend ohne Nachteil ftir die Zelle negative Korpuskeln adsorbieren kSnnen und dies mSglicherweise zu den normalen Lebens- vorg~ingen gehSrt, da Tiere and Pflanzen solehe wiederholten F~irbungen ganz ohne sichtbaren Nachteil vertragen, sind sie gegen die Entladung dureh positive (kathodiseh wandernde)Farbstoffe oder farblose Partikel- chen ungemein empfindlich. Infolgedessen sind auch unsere eigenen ersten mikroelektrisehen Lebendf~irbungen alle weniger oder mehr nach der positiven Seite Verschoben. Erst vom Jahre 1926 an ist es Giek l - h o r n gelungen, zuerst Pflanzenzellen, ohne sie zu sehr zu sch~idigen, an negativen Zellteilen anzufiirben. Ein morphologisches Nebenprodukt dieses Verfahrens ist, dag man jetzt Kerne unter giinstigen Umst~nden lebend f~irben kann. Es gelingt damit, sich teilende Kerne mit Erythrosin und Essigs~iure so zu f~rben, dal3 die Teilung eine Zeitlang fortschreitet, auell wenn die Chromosomen deutlich rot sind, und zwar an Trades- cantia-Bl~ittern.

Lassen Sie reich, um Ihre Aufmerksamkeit nicht mit Theorien und Methodik zu sehr zu ermtiden, Ihnen ein praktisches Beispiel vorfiihren, wie eine solche Ffirbung hergestellt wird, und wie sie aussieht. Wit haben aus W e r t h e i m e r s PermeabilitS.tsversuchen an der Froscbhaut und Lunge die Vermutung geschSpft, daft die Kohlens~ure im Organismus zur Anode wandert, was ja nicht iiberrasehend ist, der Sauerstoff unter gewissen Bedingungen jedoch an der Kathode gespeichert wird. Ver- suche an der Hochspannung haben ftir 14ohlens~ure in allen Fg.tlen, f~r

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Sauerstoff in gewissen F~llen Anhaltspunkte ffir eine elektropolare Wan- derung erkennen lassen. Es gibt nun ein Organ der h6her orgardsierten Pflanze, die Spalt6ffnungen, das im Lichte Sauerstoff nach aut]en abgibt, Kohlensliure nach innen, im Dunkeln umgekehrt. Es war wahrscheinlich, dat3 sich in der verdunkelten Schliet]zelle eine zur belichteten gegensiitz- liche Yolarit/it f/irberisch werde zeigen lassen. Icb babe einen Mitarbei- ter Dr. Josef M a y e r im Jahre 1925 ersucht, solche Versuche durch- zuftihren. Sie verliefen in der Hauptsache negativ und blieben un- verbffentlicht. Als G i c k l h o r n sein Verfahren, Kathoden lebend anzu- f~rben, ausgearbeitet hatte, nahm er die Versuche aufs neue in Angriff. Eine direkt entgegengesetzte Fiirbung der Scbliet3zellen konnte aueh G i c k l h o r n nicht herausbringen, dagegen entdeckte er eine Kontrast- f/irbung des Systems Sehlieflzellen - - Epidermiszellen bei Licht u n d bei Verdunkelung. Sie sehen bier die Bilder: vergl. Fig. Tafel I.

Ein anderer Versuch, flirberisch den Gegensatz belichteter und verdunkelter Spalt6ffnungen darzustellen, bezieht sieh auf vi t a l e K e r nf/irbungen an Fuchsia sp. mit Hilfe des Infiltrationsverfahrens. In zahlreichen Beobachtungen konnte gezeigt werden, dab eingedrungenes S~urefuehsin am Kern der belichteten Schliel3zelle keine sichtbare F/ir- bung hervorruft, dagegen in der verdunkelten Epidermis vermutlich auf Grund einer durch den geXnderten Stoffwechsel bedingten S~uerung der Zellkern einer Schliet3zelle distinkt rot erscheint. Bei Belichtung effolgt vor den Augen des Beobachters ein Abbleichen und nach erneutem Verdunkeln kehrt die rote Farbe innerhalb 3--8 Minuten wieder. Diese Beobachtungen sind zwar bis heute nicht weiter systematisch fortgeffihrt worden, doch ist die Tatsache selbst sicher- gestellt.

Man erh~ilt beim Vitalf~rben aus diesen Grfinden ein nach der positiven Seite verschobenes Bild der Zelle. Bei diesem Anlasse sei gleich hinzugeffigt, daft wir keine Indikatoren mit stark negativen Umschlagspunkten besitzen, die in lebende Zellen eindringen, was eben- falls eine Hauptschwierigkeit ist, um die negativsten Yunkte aufzufinden.

K a r c z a g hat ein Verfahren ausgearbeitet, tim mittels der Ent- I'/irbung yon Sulfosliurefarbstoffen (Fuehsin S, Wasserblau, Lichtgrtin) elektronegative Punkte aufzufinden, das er E l e k t r o p i e nennt. Hierbei hat er die Glomerulusmembran der Niere negativ gefunden. In $Iteren Versuchen yon mir, die an Gefrierschnitten angestellt wurden, waren die Glomerali relativ positiv. Ich hatte keine lebenden S/~ugetiere zur Verffigung. K a r c z a g s Resultate sind offenbar in diesen Punkten den meinen fib erlegen, well am 1 e ben den Objekt gewonnen. Seine Methode,

KELLER, Elektrostatik als eigenes Arbeitsgebiet TAFEL I in der Bioehemie

Fig. 1. Spalt6ftnungen von Tradescantia zebrina (dunkel). Vitalf~rbung mit Neutral. Epiderm. rot, SchliefSzellen n i c h t gefiirbt (dunkle Farbe riihrt von der Einstellung her und dem Chlorophyll.) oder erst viel sp~.ter, Nebenzellen

ganz f re i von Farbe. Alle Zellen lebend. Spalten geschlossen.

Fig. 2. Tradescantia. SchlieBzellen trei Yon Farbstoff, Nebenzellen nicht einmal spurenweise gef/irbt (auch nicht bei Zusatz yon H C1 oder N Ha) Epiderm. rot. Spalte geschlossen. Dunkelversuch (st~irkere Vergr6Berung)

von O des friiheren Bildes.

Fig. 3. Tradescantia. SchlieBzellen elektiv gef~.rbt im L i c h t e ; Spalte weit often. E p i d e r m i s (]) frei yon Farbstoflen, die im Dunkelversuch sehr fief speichert.

VERLAG VON THEODOR S T E I N K O P F F KOLLOIDCHEMISCHE BEIHEFTE DRESDEN UND LEIPZIG BAND XXVIII, HEFT 7- -10

KELLER, ELEI<,TROSTATIK ALS EIGENES ARBEITSGEBIET IN DER BIOCHEMIE 9,29

die mit einer einzigen Farbstoffgruppe auskommen zu k6nnen glaubt, ist ungemein einfaeh und, wie sieh zeigt, ftir viele F~lle brauehbar.

Quantitative MeSversuche. Sehon mit Salzen (z. B. Silbersalzen) bestimmter Zersetzungs-

spannung lassen sich dureh Ruduktion an Chloroplasten einige robe quantitative Mei3versuche machen, die auch lfickenlos mit dern, dutch geladene Kolloide als elektrisehe Versuehsk6rper festgestellten, positiven oder negativen Ladungssinn fibereinstimmen.

Die theoretisch einfacbste Elektrizitlttsmessung ist das Abtasten mit den Elektrizit~tsmeflapparaten, Solche Versuche sind sehr zahl- reich an makroskopisch gleichsinnig geladenen Gewebsteilen, z. B. Holz ,bei NadelhOlzern, yon mir gemacht worden und haben mit den Ergeb- nissen der F~rbung immer qualitativ gestimmt. Naeh der Konstruktion ~des Mikromanipulators durch P6 te r f i (1917) hat dieser auf meine An- regung zusammen mit E t t i s c h (1924) ausgedehnte Meflreihen erst mit einem Strommesser, dann mit dem statischen Binanten-Elektrometer gemaeht, die mit den Farbstoffresultaten qualitativ ausnahmslos ge- ~timmt haben.

In den letzten Jahren hat F t i r t h Apparaturen konstruiert, die die Elektronenr6hre tells als empfindlicnstes Meflinstrument, tells Ms Ver- starker beniitzen, und dadarch eine bisher unerreichte Empfindlichkeit, 'verbunden mit besonders kleiner Kapazit~t, erzielt. Mit dieser Appara- tur haben 199.8 U m r a t h und G i c k l h o r n unter Bentitzung modifizierter Mikroelektroden yon P 6 t e r f i und E t t i s c h mehr als 100 Messungen an Pflanzen unternommen. Alle diese Messungen baben qualitativ gestimmt. Gelegentlich einer Diskussion vach einem Vortrage yon U m r a t b und G i c k l h orn in Graz wurden yon den Grazer Physikern einige EinwEnde gegen die Messungen mit der komplizierten Ff i r thsehen Apparatur erhoben. Darauf hat Dr. U m r a t h im Grazer physikalischen Universit~tsinstitut mit Hilfe der dort vorbandenen statischen Qua- dranten-Elektrometer die Messungen an den selben Obj ekten reproduziert. Diese Grazer statischen Bestimmungen ergaben etwas h/Shere Werte.

Wahrscbeinlich sind in den lebenden Zellen an mikroskopischen und amikroskopischen Grenztl~.chen noeh hShere Potentiale vorhanden, die Mikroelektroden jedoch sind einerseits noch zu groB (rund 10--50/z), anderseits nicht fein genug zu isolieren, da ihr Eindringen in lebende Zellen leitende Sfitte in Zellteile mitfiihrt, die mL ~ormalen Leben iso- liert sind, so daft es nicht gelingt, die volle Potentialdifferenz des nor- malen Zellebens in das MeBinstrument abzuleiten.

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Bei den Mikroelektroden haben wir mit der entgegengesetzter~ Fehlerquelle zu rechnen wie bei der elektroanaJytischen Vltalf~irbung. Da die iiberwS.ltlgende Met)their der lebenden Plasmateile negativ ist, die positiven Zellorte dagegen in der Regel nur dtinne Oberfl~ichen- schichten sind, ferner Granula und Mikr0somen 0der Fasern yon be- sonderer Feinheit, so zeigt ein Blick auf die anodischen F~rbungen, dag die feinsten und interessantesten positiven Zellteile zur Messung mit Mikroelektroden zu rein sind.

Mikroelektrische Messungen mit und ohne Mikroelektroden sind vielfach auch yon anderen Autoren gemacht worden, yon J. Ch. B o s e an Pflanzen, yon O s t e r h o u t , von T a y l o r and W h i t a k e r (die letz- teren arbei te ten mit Mikro-Wasserstoff-Elektroden); soweit Resul ta te an demselben oder gleichartigen Material gewonnen wurden, stimmen sie- mit unseren Resultaten iiberein. Es lassen sich aueh an den Apparaten, die unabhfingig yon uns konstruiert wurden, Ahnlichkeiten mit jenen von F t i r t h entdecken. Allen gemeinsam ist das Bestreben, bei Strom- messungen die Kapazit~t des Mei3instruments herabzusetzen, auch S c h e m i n z k y verwendet in seinem Apparat zur Messung kleiner- Organpotentiale unabhangig yon F f i r t h die Elektronenr6bre als Ver- starker.

Dispersit~.tsgrad, Teilchengr~Be. Die praktische Mikro-Elektroanalyse mit Farbstoffen deckt einen

Umstand auf, der schon seit langem bekannt ist, aber bisher noch wenig quant i ta t iv untersucht worden ist, den starken Einflut3 des D i s p e r s i - t a t s g r a d e s der betreffenden Kolloidl6sung oder vielleicht genauer- der Teilehengr6t3e auf das Ergebnis. Uber den Dispersit~itsgrad der- Kolloidl6sung und seinen Zusammenhang mit dem Ladungssinn geben neuere Beobaehtungen yon Wo. O s t w a l d und yon F. A u e r b a c h Auf- sehlut3. Eine grot3e Anzahl grobkolloider Farbstoffe sind trotz des durch ihre Ladung hervorgerufenen Wanderungssinnes nicht in bestimmte- Zellen oder Plasmateile einzuftihren, well ihre Einzelpartikel zu grob sind ( R u h l a n d , v. M o e l l e n d o r i f ) . Zum genauen Ermitteln des. Faktors der feinen Verteilung bei der LebeI~dfarbung ben6tigt man Untersuchungen der Teilchengr6t3e der Farbstoffe nicht bloI3 in Wasser, sondern auch in physiologischen Fltissigkeiten wie Serum u. dgl. bei nor- maler K6rpertemperatur , weil die Temperatur die -Viskosltiit entschei- dend beeinflui3t.

Bei der Messung der Teilchengr6fle ist zu beachten, dab man nicht die wirkliche mechanisehe Gr6i3e der Teilchen ermitteln kann, sondern nur ihre Wi r k u n g s sphare. Das Teilch en selbst dtirft e etwas kleiner sein

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Die Erfahrung zeigt, dab auch ein Zusammenhang zwischen Ladung und TeilchengrSBe besteht, und zwar naeh der Richtung, dab Teilchen besonderer Kleinheit schwer oder gar nicht in die Zellen eindringen.

Dielektrizit&tskonstante. Ffir elektrostatische Arbeiten ist die Bestimmung der Dielektrizi-

t~itskonstanten eine der wichtigsten Grundlagen. Die Dielektrizit~its- konstante ist das Marl jener Eigenschaft eines Mediums, die die St~rke der elektrostatischen Anziehung und Abstot3ung in ibm vorhandener Teilchen bestimrnt, in Wasser (D. E. K. 80) ist die Anziehung zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen 80real sehw~tcher als in Luft oder im Vakuum (D. E. K. 1). Die Dissoziation der Molektile in Ionen findet deshalb ( N e r n s t 1893) nur in Wasser und in Medien yon hoher Dielek- trizit~itskonstante statt, ein Gedanke, den W a l d e n (1900--1905) in ausgedehnten Versuchen quantitativ bewiesen hat, wobei es sich er- gab, dab die Dissoziation mit der dritten Potenz der D. E. K. steigt.

Es l~it3t sieh zeigen, daft die D. E. K. irn biologischen Geschehen ebenfMls starke Wirkungen ausfibt, auch der Wanderungssinn der Kolloide im Gewebe l~it3t sich durch eine Herabsetzung der D. E. K. stark beeinflussen, ja sogar umkehren. Die Untersuchung begegnet bier jedoeh starken Sehwierigkeiten, da Messungen dieser Konstante zu den scnwierigsten Problemen der Physik geh6ren, zumal dann, wenn eine betr~Lchtliche Leitftihigkeit vorhanden ist, wie in allen tierischen S~iftem F f i r t h hat wohl das zweite Drudesche Verfahren zur Bestimmung der D. E. K. so ausgearbeitet, dab mittels dieses Verfahrens die Leitf~ihig- keit yon frischem und denaturiertem Serum bestimmt werden konnte

- - sie ist in frischem Serum rund ffinf Einheiten h6ber als die des Was- sers, in Anbetracht ihres hohen Proteingehaltes unerkllirlich hoeh --~ aber dieses Verfahren l~.t3t sich auf unser Objekt, die lebende, mikro- skopisehe Zelle, bisher nieht anwenden. Anderseits ist es gelungen, diese paradoxen Bestimmungen auf indirektem Wege durch parallele .~nderungen der Leitf~higkeit und des BreehungsvermSgens - - wenig- stens ffir S e r u m - - z u verifizieren. F f i r t h hat eine weitere unabhiingige Methode, die Ellipsoid-Methode, ausgearbeitet, die sehr seharfe Resul- tare gibt, die abet nicht for mikroskopische Objekte geeignet ist.

Kolloidphysik, Molekularphysik, Ionenphysik. Unsere Beobachtungen und Bestimmungen beziehen sich in erster

Reihe auf die Kolloide und auf die undissoziierten Molektile der Zelle, nicht auf die Ionen. Die U~tersuchung yon Ionen oder Ionenkonzen-

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tration in der lebenden Zelle unter dem Mikroskop begegnet, wie be- reits erw~hnt, besonderen Schwierigkeiten, da ionisierte Stoffe sehr schwer, in vielen FAllen tiberhaupt nicht zum Eindringen oder An- f~irben der Grundmasse des lebenden Plasmas oder gar des Kernes zu bringen sind. Die gebr~iuchlichen Indikatorfarbstoffe zumal lassen sicb, wie bereits erw~ihnt, nicbt in den Kern der lebenden Zelle ein- bringen: Dies ist der Grund, weshalb die Angaben der Autoren, die mit Indikatoren histologisch arbeiten, untereinander Differenzen yon pH 4 bis pH 10 aufweisen, also, da es sich um logarithmische Exponenten handelt, in ihren Zablenbestimmungen zwischen 1 und 1 000 0(10 dif- terieren.

Die gegenw~rtige p~-Methodik hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten unter der Ftihrung von S o e r e n s e n , Mich ae l i s , Lo eb , L i l l i e , O s t e r h o u t , C la rk , Sma l l und V16s Grundlegendes ge- leistet. Die elektrostatische Zelluntersuchung w~re ganz aussichtslos ohne die Vorarbeit dieser Bahnbrecher. Aber es l~it3t sich schon, wie L e u t h a r d t zeigen wird, gegen die makroskopische biologlsche Ionen- methodik vieles Berechtigte einwenden, das nur deshalb wenig Beach- tung findet, weil zurzeit kaum etwas Besseres fiir die biophysikalische Untersuchung der Zelle existiert, ftir die mlkroskopische Untersucbung jedoch ist die pH-Methodik theoretisch nicht einwandfrei und praktisch, wie die enorm auseinandergehenden Resultate zeigen, tiberhaupt nicht in der gegenwArtigen Form verwendbar.

Aus verschiedenen Grtinden glauben wir, uns auf die Untersuchung der Molekf i l e und K o l l o i d e spezialisieren zu sollen, deren Bearbei- tung in den letzten Jahren unter den groflen Erfolgen der Ionenphysik ein wenig vernachl~tssigt worden ist.

Hochspannungsversuche, AuBenladung scheinbar neutraler Molek(~le.

Das Bedtirfnis, die Modellversuche den biologischcn Verh~ltnissen mSglichst anzun~hern, hat dazu geftihrt, die Bewegung yon biochemi- schen Stoffen im Hochspannungsfeld zu untersuchen unter minimalen Stromst~irken zur Vermeidung yon S~ure- und Alkaliproduktion durch Elektrolyse und unter Verwendung yon Halbleiter-Elektroden statt der iiblichen, in der Organismenwelt jedoch nicht vorkommenden Metallelektloden (F t i r t h 1925). Dieser Apparat arbeitet sehr rasch und sauber und deckte verschiedene neue Parallelismen mlt Erschei- nungen des organischen Lebens auf.

Bei diesen Untersuchungen kam es vor allem darauf an, einige

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einsinnige Wanderungen (sogenannte irreziproke Perrneabilitlit) von Kolloiden und Neutralmolektilen, Nichtleitern, Zuckern an einem nieht- lebenden Modell zu untersuchen. Als Versuchsprogramm dienten die interessanten Resultate E. W e r t h e i m e r s (1924---1926) fiber die eln- sinnige Durcbg~ngigkeit der Froschhaut ffir Zucker, Kochsalz, Amino- s~uren, Farbstoffe, Wasser. Nahezu alle Resultate W e r t b e i m e r s konnten mit der I-Iochspannung im gleichen Sinne reprodaziert werden. Das fiberraschendste Resultat war, dab Kocbsalz ebenso wie bei W e r t - h e i m e r elektiv an der negativen Elektrode erschien.

Es steht nicht vollkommen lest, ob es sich dabei immer um einen einsinnigen Wanderungssinn zu einem bestimmten Pol dandelt, in zahl- reichen F~llen wird der betreffende Stoff einfach mit dem smh lebhaft bewegenden Wasser mitgeftihrt. Praktisch aber ist bei hohen Span- nungen kein Neutralmolektil mehr vollkommen neutral, d. h. es erscheint gew6hnlicb stS.rker an einem der beiden Pole.

Zuckerwanderung. Vielleicht darf ich zum Schlusse wieder an einem praktischen Bei-

spiel zeigen, wie die neue Methodik sich morphologiseh und physio- logisch auswirkt, und zwar an dem Beispiel des Zuckertransportes irn Organismus.

Es ist oben auseinandergesetzt, daft wir die Farbstoffe als mikro- skopische elektriSche ProbekSrper betrachten, die uns die Richtung des elektrischen Potentialgef~lles in lebenden Zellen demonstrieren. Naeh unseren Annahmen imputieren wir ein gleiches Verhalten auch den dem mensehlichen Auge nicht direkt sichtbaren Verbindungen, z. B. dem Hauptnahrungsstoff der Tiere und Pflanzen, dem Trauben- zueker. Aus den Versuchen yon W e r t h e i m e r fiber die Wanderung yon Glukose in der Froschhaut schlo,~sen wir, daft die Glukose unter ge- wShnliehen physiologischen Verh~Itnissen sich wie ein elektronegativer KSrper verh~lt, also zur Anode wandert. Qualitative Versuche von G i c k l h o r n , quantitative yon S t a r y u. a. in der Hochspannung be- st~tigten diese Annahme. Die Wanderung yon Zucker im Tierorganis- mus ist aus analytiseh-technisehen Granden ungemein schwierig zu verfolgen. Die Versuehe der L o n d o n - S c h u l e fiber Angiostomie geben wohl Resultate, die sieh ffir unsere Annahme ohne Zwang deuten lassen. Es geh6rt aber sehon eine ziemlich genaue Kenntnis der elektrisehen Eigenschaften der ZelIen dazu, um einer soIehen Beweisffihrung folgen zu k6nnen. Es war vorauszusehen, dab man die anodische Wanderung yon Kohlehydraten viel sehlagkr~ffiger an Blfitenpflanzen demon-

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strieren kSnnen wird, die in den Nektarien erhebliche Mengen konzen- trierter ZuckerlSsungen anreichern und ausscheiden. Ich babe als~ Herrn P e k a r e k ersucht, Blfitenpflanzen mit feln-dispersen anodisch wandernden und zur Kontrolle auch mit kathodischen Farbstoffen zu untersuchen. Es stellte sich bald heraus, dab die Nektarien w~hrend ihrer Funktion - - niemals vorher oder naehher - - eine starke elektive Anziehungskraft Eir Anodenfarbstoffe besat~en und mit grofler Ent- schiedenheit die Kathodenfarbstoffe ablehnten. Schliefllich lokali- sieren sich alle Anodenfarbstoffe in bestimmten kleinen Ktigelchen der ~uf3ersten Nektar-Drtisenzellen.

Es mag noch Erw~hnung finden, dab diese Versuche keineswegs nahelegen, dab es direkt Traubenzucker ist, der nach den Nektarien wandert, es k6nnen ebensogut Vorstufen des Traubenzuckers sein oder andere Kohlehydrate oder Glukoside. Wesentlieh is~, daft es elektro- negative Korpuskeln bestimmter TeilchengrSt~e sind, die wAhrend des Funktionierens und niemals vorher oder nacbher elektiv in den Nek- tarienk6pfchen erscheinen.

Bitte beachten Sie, daft eine genaue mikro-physikalische Durch- forschung, wie sie Ihnen an dem Beispiel der Nektarien vorgeffihrt wird, ffir fast s~mtliche tierische und pflanzTiche Organe, ffir Magen, Darm, Leber, Niere, Muskel, Haut, Gehirn noch aussteht. Vielleicht ist es erlaubt, die Voraussagung zu wagen, dai3 die neuen Methoden angewendet auf die Hauptprob]eme der mikr0skopischen Anatomie und Physiologie, uns noch einiges Wesentliche gutage fSrdern werden, wenn es dutch Forseher geschieht, die das bisherige experimentelle Material der betreffenden Organe gut tibersehen und die fiber die Ein- riehtungen grSBerer Laboratorien verftigen.