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Präambel Trotz des eindeutigen Vorrangs der Transplantation postmortal gespendeter Organe nimmt die Lebendorganspende in Deutschland aus verschiedenen Grün- den zu: Mangel an postmortal entnom- menen Organen, individuell bessere Er- folgsaussicht einer Transplantation nach einer Lebendorganspende, wachsende Bereitschaft zur Organspende unter Ver- wandten und Menschen, die sich persön- lich nahe stehen. Für Organspenden von Lebenden eig- nen sich in erster Linie die Niere, aber auch Teile der Leber, der Lunge, eventu- ell des Dünndarms. Der Arzt muss sich seiner besonderen Verantwortung gegenüber dem Spender bewusst sein: Einem Gesunden werden ausschließlich zum Wohl eines anderen die Entnahme eines unersetzlichen Or- gans oder eines Organteils, die dazu not- wendige Operation und damit verbunde- ne Belastungen und Risiken zugemutet. Bedingungen für die Lebendorganspende Die Lebendorganspende kann und soll bei den Bemühungen der Medizin um das Leben und die Lebensqualität von Emp- fängern (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 TPG) das Ver- fahren der postmortalen Organspende nur individuell ergänzen, nicht generell ersetzen. Das Transplantationsgesetz schränkt in § 8 Abs. 1 Satz 2 die Lebendorganspen- de ein auf „Verwandte ersten oder zwei- ten Grades, Ehegatten, Verlobte oder an- dere Personen, die dem Spender in be- sonderer persönlicher Verbundenheit of- fenkundig nahe stehen“. Lebendorganspender können nur voll- jährige und einwilligungsfähige, über un- mittelbare und mittelbare Folgen sowie Spätfolgen aufgeklärte Personen sein, die der Organentnahme freiwillig zuge- stimmt haben. Die Lebendorganspende ist gemäß Transplantationsgesetz auch nur dann zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Organ- entnahme kein geeignetes Organ eines Verstorbenen zur Verfügung steht. Des- halb muss der Empfänger rechtzeitig auf die Warteliste im Transplantationszen- trum aufgenommen und bei der Vermitt- lungsstelle als transplantabel gemeldet werden. Der Arzt hat sich über die besondere persönliche Verbundenheit von Spender und Empfänger zu informieren und sich der Freiwilligkeit der Organspende zu vergewissern. Bei nicht Deutsch spre- chenden Ausländern ist immer ein hierfür geeigneter Dolmetscher hinzuzuziehen. Spender und Empfänger müssen sich vor der Transplantation bereit erklären, an den ärztlich begründeten Nachsor- gemaßnahmen teilzunehmen (§ 8 Abs. 3 TPG). Aufklärung des Spenders Eine rechtswirksame Aufklärung des Spenders zur Organentnahme muss durch den verantwortlichen Arzt gemein- sam mit einem weiteren approbierten Arzt erfolgen, der nicht mit der Trans- plantation befasst und von dem trans- plantierenden Arzt unabhängig ist. Sie muss folgendes umfassen: Möglichkeit der Transplantation ei- nes postmortal entnommenen Organs ohne Belastung und Gefährdung des Le- bendorganspenders Art und Umfang des Eingriffs sowie mögliche Komplikationen – Folgen und Spätfolgen, Hinweis auf mögliche Minderung der Erwerbsfähigkeit Erfolgsaussicht der Transplantation – versicherungsrechtliche Absiche- rung – Erläuterung der ärztlich begründe- ten Nachsorgemaßnahmen – Einbeziehung der Gutachterkom- mission Hinweis auf die Möglichkeit, auch in einem vertraulichen Gespräch die BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER Deutsches Ärzteblatt Jg. 97 Heft 48 1. Dezember 2000 A 3287 BUNDESÄRZTEKAMMER Bekanntmachungen Empfehlungen zur Lebendorganspende Vorwort In Deutschland werden zunehmend mehr Lebendor- ganspenden durchgeführt. Das Transplantationsgesetz lässt sie subsidiär zu, wenn ein geeignetes Organ eines verstorbenen Spenders zum Zeitpunkt der Organentnah- me nicht zur Verfügung steht. Darüber hinaus sind mit einer Lebendorganspende praktische Fragen verbun- den, die allgemeiner Regelungen bedürfen, um die Praxis der Lebendorganspende so weit wie nötig zu vereinheit- lichen und Unklarheiten so weit wie möglich zu vermei- den. Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe Prof. Dr. jur. Dr. med. h. c. H.-L. Schreiber Präsident der Bundesärztekammer Vorsitzender der Ständigen Kommission und des Deutschen Ärztetages Organtransplantation der Bundesärztekammer

Empfehlungen zur Lebendorganspende - · PDF fileEinwilligung bis zum Eingriff zu wider-rufen. Die Aufklärung muss vollständig do-kumentiert, das Protokoll von allen Ge-sprächsteilnehmern,

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Page 1: Empfehlungen zur Lebendorganspende - · PDF fileEinwilligung bis zum Eingriff zu wider-rufen. Die Aufklärung muss vollständig do-kumentiert, das Protokoll von allen Ge-sprächsteilnehmern,

Präambel

Trotz des eindeutigen Vorrangs derTransplantation postmortal gespendeterOrgane nimmt die Lebendorganspendein Deutschland aus verschiedenen Grün-den zu: Mangel an postmortal entnom-menen Organen, individuell bessere Er-folgsaussicht einer Transplantation nacheiner Lebendorganspende, wachsendeBereitschaft zur Organspende unter Ver-wandten und Menschen, die sich persön-lich nahe stehen.

Für Organspenden von Lebenden eig-nen sich in erster Linie die Niere, aberauch Teile der Leber, der Lunge, eventu-ell des Dünndarms.

Der Arzt muss sich seiner besonderenVerantwortung gegenüber dem Spenderbewusst sein: Einem Gesunden werdenausschließlich zum Wohl eines anderendie Entnahme eines unersetzlichen Or-gans oder eines Organteils, die dazu not-wendige Operation und damit verbunde-ne Belastungen und Risiken zugemutet.

Bedingungen für dieLebendorganspende

Die Lebendorganspende kann und sollbei den Bemühungen der Medizin um dasLeben und die Lebensqualität von Emp-

fängern (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 TPG) das Ver-fahren der postmortalen Organspendenur individuell ergänzen, nicht generellersetzen.

Das Transplantationsgesetz schränktin § 8 Abs. 1 Satz 2 die Lebendorganspen-de ein auf „Verwandte ersten oder zwei-ten Grades, Ehegatten, Verlobte oder an-dere Personen, die dem Spender in be-sonderer persönlicher Verbundenheit of-fenkundig nahe stehen“.

Lebendorganspender können nur voll-jährige und einwilligungsfähige, über un-mittelbare und mittelbare Folgen sowieSpätfolgen aufgeklärte Personen sein, dieder Organentnahme freiwillig zuge-stimmt haben.

Die Lebendorganspende ist gemäßTransplantationsgesetz auch nur dannzulässig, wenn zum Zeitpunkt der Organ-entnahme kein geeignetes Organ einesVerstorbenen zur Verfügung steht. Des-halb muss der Empfänger rechtzeitig aufdie Warteliste im Transplantationszen-trum aufgenommen und bei der Vermitt-lungsstelle als transplantabel gemeldetwerden.

Der Arzt hat sich über die besonderepersönliche Verbundenheit von Spenderund Empfänger zu informieren und sichder Freiwilligkeit der Organspende zuvergewissern. Bei nicht Deutsch spre-chenden Ausländern ist immer ein hierfürgeeigneter Dolmetscher hinzuzuziehen.

Spender und Empfänger müssen sichvor der Transplantation bereit erklären,an den ärztlich begründeten Nachsor-gemaßnahmen teilzunehmen (§ 8 Abs. 3TPG).

Aufklärung des Spenders

Eine rechtswirksame Aufklärung desSpenders zur Organentnahme mussdurch den verantwortlichen Arzt gemein-sam mit einem weiteren approbiertenArzt erfolgen, der nicht mit der Trans-plantation befasst und von dem trans-plantierenden Arzt unabhängig ist. Siemuss folgendes umfassen:

– Möglichkeit der Transplantation ei-nes postmortal entnommenen Organsohne Belastung und Gefährdung des Le-bendorganspenders

– Art und Umfang des Eingriffs sowiemögliche Komplikationen

– Folgen und Spätfolgen, Hinweis aufmögliche Minderung der Erwerbsfähigkeit

– Erfolgsaussicht der Transplantation– versicherungsrechtliche Absiche-

rung– Erläuterung der ärztlich begründe-

ten Nachsorgemaßnahmen– Einbeziehung der Gutachterkom-

mission– Hinweis auf die Möglichkeit, auch

in einem vertraulichen Gespräch die

B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E R

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 48½½½½1. Dezember 2000 AA 3287

B U N D E S Ä R Z T E K A M M E R

Bekanntmachungen

Empfehlungen zur Lebendorganspende

VorwortIn Deutschland werden zunehmend mehr Lebendor-ganspenden durchgeführt. Das Transplantationsgesetzlässt sie subsidiär zu, wenn ein geeignetes Organ eines verstorbenen Spenders zum Zeitpunkt der Organentnah-

me nicht zur Verfügung steht. Darüber hinaus sind mit einer Lebendorganspende praktische Fragen verbun-den, die allgemeiner Regelungen bedürfen, um die Praxisder Lebendorganspende so weit wie nötig zu vereinheit-lichen und Unklarheiten so weit wie möglich zu vermei-den.

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe Prof. Dr. jur. Dr. med. h. c. H.-L. SchreiberPräsident der Bundesärztekammer Vorsitzender der Ständigen Kommissionund des Deutschen Ärztetages Organtransplantation der Bundesärztekammer

Page 2: Empfehlungen zur Lebendorganspende - · PDF fileEinwilligung bis zum Eingriff zu wider-rufen. Die Aufklärung muss vollständig do-kumentiert, das Protokoll von allen Ge-sprächsteilnehmern,

Einwilligung bis zum Eingriff zu wider-rufen.

Die Aufklärung muss vollständig do-kumentiert, das Protokoll von allen Ge-sprächsteilnehmern, die Einverständnis-erklärung vom Spender unterschriebenwerden (§ 8 Abs. 2 TPG).

VersicherungsrechtlicheAbsicherung des Spenders

Die versicherungsrechtliche Absiche-rung des Spenders kann die anstehendenEntscheidungen beeinflussen. Deshalbmuss der verantwortliche Arzt für ver-ständliche und verbindliche versiche-rungsrechtliche Auskünfte sorgen, gege-benenfalls eine in Versicherungsfragensachverständige Person hinzuziehen. Indieser Empfehlung sind nur Hinweisemöglich.

Die Kosten der Lebendorganspende,ihrer Vorbereitung und der erforderli-chen Nachbehandlung gelten als Be-handlungskosten des Empfängers undwerden deshalb von seiner Krankenver-sicherung getragen.

Einzelheiten der Zahlungsverpflich-tung können von einzelnen gesetzlichenKrankenkassen unterschiedlich beur-teilt und von einzelnen privaten Kran-kenversicherungen je nach Versiche-rungstarif verschieden weit abgedecktwerden. Daher erfordert es die Auf-klärungspflicht, von der gesetzlichenoder der privaten Krankenkasse des potenziellen Empfängers eine schrift-liche Zusage für die Übernahme derKosten einzuholen. Sie muss dem Spen-der die Kostendeckung gewährleistenfür:

❃ die erforderlichen Voruntersu-chungen

❃ die Beurteilung durch die Kommis-sion nach § 8 Abs. 3 TPG

❃ die erforderlichen Fahrten❃ den stationären Aufenthalt❃ die Organentnahme❃ die unmittelbare Nachbehandlung

und die ärztlich empfohlene Nach-betreuung

❃ den nachgewiesenen Ausfall desNettoverdienstes.

Der Spender ist kraft Gesetzes auchin der gesetzlichen Unfallversicherungversichert. Zuständig ist der Unfallver-sicherungsträger des Transplantations-zentrums. Von hier wird auch eine Kom-plikation gemeldet. Wann, wofür undwieweit die gesetzliche Unfallversiche-rung anstelle der Krankenversicherungdes Empfängers Kosten übernimmt,müssen gegebenenfalls die beiden Ver-sicherungsträger untereinander klären.

Falls der Spender entsprechende Aus-künfte wünscht, sollten sie von den Ver-sicherungsträgern schriftlich eingeholtwerden.

Die Kosten für mittelbare und Spät-folgen der Lebendorganspende werdenaußer der ärztlich empfohlenen Nach-betreuung von der Krankenversiche-rung des Empfängers nach derzeitigemKenntnisstand nicht getragen. Darübersind Spender und Empfänger ausdrück-lich aufzuklären.

Eine Berufs- oder Erwerbsunfähig-keit in Folge einer Lebendorganspendeist von der jeweiligen Rentenversiche-rung, eine Pflegebedürftigkeit von dersozialen oder der privaten Pflegeversi-cherung abgedeckt. Nicht abgesichertist das Risiko finanzieller Einbußendurch Arbeitsunfähigkeit und vorzeiti-ge Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit.

Ist der Empfänger oder der Spenderoder sind beide nicht kranken- und ren-tenversichert, macht dies die große Ver-antwortung des transplantierendenArztes und der Kommission nach § 8Abs. 3 TPG besonders deutlich.

Aufklärung des Empfängers

Der Empfänger muss sowohl über alletransplantationsspezifischen Fragen auf-geklärt werden als auch über die

– Möglichkeit und gegebenenfalls so-gar Notwendigkeit der Transplantationeines postmortal entnommenen Organs

– Belastungen und Gefährdungendes Lebendorganspenders

– Zustimmung zu ärztlich begründe-ten Nachsorgemaßnahmen.

Risikoeinschätzung

Um das Risiko bei einer Lebendorgan-spende so gering wie möglich zu halten,sind auch beim Organspender Untersu-chungen der Organfunktion und der Or-ganmorphologie sowie zur Beurteilungder Narkose- und Operationsrisikendurchzuführen.

Nach § 8 Abs. 1 TPG ist die Lebend-organspende nur dann zulässig, wenn sieden Spender „voraussichtlich nicht überdas Operationsrisiko hinaus gefährdetoder über die unmittelbaren Folgen derEntnahme hinaus gesundheitlich schwerbeeinträchtigt. . . .“ Das heißt unter demAspekt der in dieser Situation besonde-ren ärztlichen Verantwortung: Die Le-bendorganspende oder ihre Folgen dür-fen Leben und Gesundheit des Spendersnicht mehr gefährden als ein vergleich-barer Heileingriff bei einem im Übrigengesunden Patienten.

Gutachterliche StellungnahmeDas TPG verlangt in § 8 Abs. 3 eine gut-achterliche Stellungnahme einer nachLandesrecht zu bildenden unabhängigenKommission. Sie hat nicht die medizi-nischen Aspekte einschließlich der In-dikation der Transplantation zu beurtei-len, sondern zu prüfen, ob begründete,tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlie-gen, dass die Entscheidungsfreiheit be-einträchtigt ist oder fehlt oder ein nach § 17 TPG verbotener Organhandel vor-liegt. Sofern das jeweilige Landesgesetznicht Gegenteiliges vorschreibt, ist diemündliche Anhörung jedes Spendewilli-gen vor der Kommission nicht zwingendnotwendig, aber empfehlenswert.

Die Stellungnahme der Kommissionmuss der für die Organentnahme verant-wortliche Arzt in die schriftliche Begrün-dung seiner Entscheidung einbeziehen.

Mitglieder des Arbeitskreises „Lebendspende"Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Ch. E. Broelsch, Essen; Prof.Dr. med. F.-W. Eigler, Essen; Prof. Dr. med. J. Hauss, Lei-pzig; Prof. Dr. med. G. Kirste, Freiburg; H. G. Kraushaar,Schwalbach; Prof. Dr. med. W. Land, München; Prof. Dr.med. P. Schollmeyer, Freiburg; Prof. Dr. jur. Dr. h. c. H.-L.Schreiber, Göttingen

Mitglieder der „Ständigen Kommission Organ-transplantation“Prof. Dr. med. H. Angstwurm, München; Prof. Dr. med. E.Beleites, Jena; Prof. Dr. phil. D. Birnbacher, Düsseldorf;U. Boltz, Essen; E. Brüschwiler, Krailling; Prof. Dr. med.K. Dreikorn, Bremen; Prof. Dr. med. F.-W. Eigler, Essen;Prof. Dr. med. U. Frei, Berlin; Dr. rer. pol. W. Gerdel-mann, Siegburg; Prof. Dr. med. J. Hauss, Leipzig; Prof.Dr. med. A. Haverich, Hannover; Prof. Dr. med. G. Kirste,Freiburg; Prof. Dr. jur. H.-L. Schreiber Göttingen; Dr. M.Walger, Düsseldorf; G. Werther, Mainz; RA U. Wollers-heim, Köln; Prof. Dr. med. H.-B. Wuermeling, Erlangen

beratend:Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. E. Nagel, Hannover; Dr. G. G.Persijn, Leiden; Prof. Dr. med. K.-F. Sewing, Hannover;Prof. Dr. med. K. Vilmar, Bremen

Geschäftsführung:Brigitte Heerklotz (bis Juni 1999)Priv.-Doz. Dr. med. Stefan WinterDezernat Wissenschaft und ForschungBundesärztekammerHerbert-Lewin-Straße 150931 Köln

B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E R

AA 3288 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 48½½½½1. Dezember 2000