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1 1 Einleitung Mit der Beherrschung der Energie, zunächst des Feuers, schaffte sich die Menschheit die Basis zur technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Energie in ihren verschiedenen Erschei- nungsformen ist zur Nahrungszubereitung, zum Wohnen, zum Transport, zur Kommunikation, in der Technik, Industrie und in der Freizeit unverzichtbar. Energie gehört zu den Grundbe- dürfnissen. Die natürlich vorkommenden Energieträger und der Energiebedarf sind global ungleich ver- teilt. Industrialisierte Länder haben einen ungleich höheren personenspezifischen Bedarf als Dritte-Welt-Länder. Der Energiebedarf korreliert mit der Wirtschaftskraft bzw. dem Bruttoso- zialprodukt. Bild 1.1 veranschaulicht für einige Länder den Pro-Kopf-Energiebedarf über dem realen Bruttosozialprodukt [1.1], wobei das reale Bruttosozialprodukt auf der internationalen Kaufkraftparität der Landeswährung basiert. Die Kaufkraftparität gibt an, wie viel im jeweili- gen Land in Landeswährung ein repräsentativer Warenkorb wert ist, der in den USA ein US-$ kostet. 10000 8000 6000 4000 2000 0 0 10000 20000 30000 40000 Reales BSP in US $ Energieverbrauch in ÖE Bild 1.1: Energiebedarf pro Kopf über dem realen Bruttosozialprodukt BSP Ebenso zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Energiebedarf bzw. Bruttosozialprodukt und Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Analphabetentum und Kinderanzahl [1.2]. Als Maß für den Energieverbrauch ist international durchaus noch die Öleinheit ÖE oder Rohöleinheit gebräuchlich, die auf dem Heizwert von einem Kilogramm Erdöl beruht: 1 ÖE = 42000 kJ. Analog gilt für die Steinkohleneinheit SKE: 1 SKE = 29307,6 kJ 0,7 ÖE. Gegenüber dem Energiestrom der Sonne auf die Erde von etwa 5,6 · 10 24 J/Jahr [1.3] ist der anthropogene Energiebedarf mit etwa 350 000 · 10 15 J/Jahr gering. Allerdings schöpft die Menschheit diesen Energiebedarf zum allergrößten Teil aus den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl und Erdgas, die sich aus Biomasse über Millionen von Jahren gebildet haben. Weltweit wird die elektrische Energie zu knapp 62 % aus fossilen Energieträgern gewonnen und 33 % aus Wasserkraft und Kernenergie [1.7]. Der dadurch gebundene Kohlenstoff entzog über Pho- tosynthese der Atmosphäre CO 2 . Aus zwei Gründen ist die Ausbeutung und Nutzung fossiler Energieträger problematisch, weil sie zukünftige Generationen beeinträchtigt: H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Energietechnik || Einleitung

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Page 1: Energietechnik || Einleitung

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1 Einleitung

Mit der Beherrschung der Energie, zunächst des Feuers, schaffte sich die Menschheit die Basis zur technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Energie in ihren verschiedenen Erschei-nungsformen ist zur Nahrungszubereitung, zum Wohnen, zum Transport, zur Kommunikation, in der Technik, Industrie und in der Freizeit unverzichtbar. Energie gehört zu den Grundbe-dürfnissen. Die natürlich vorkommenden Energieträger und der Energiebedarf sind global ungleich ver-teilt. Industrialisierte Länder haben einen ungleich höheren personenspezifischen Bedarf als Dritte-Welt-Länder. Der Energiebedarf korreliert mit der Wirtschaftskraft bzw. dem Bruttoso-zialprodukt. Bild 1.1 veranschaulicht für einige Länder den Pro-Kopf-Energiebedarf über dem realen Bruttosozialprodukt [1.1], wobei das reale Bruttosozialprodukt auf der internationalen Kaufkraftparität der Landeswährung basiert. Die Kaufkraftparität gibt an, wie viel im jeweili-gen Land in Landeswährung ein repräsentativer Warenkorb wert ist, der in den USA ein US-$ kostet.

10000

8000

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Bild 1.1: Energiebedarf pro Kopf über dem realen Bruttosozialprodukt BSP

Ebenso zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Energiebedarf bzw. Bruttosozialprodukt und Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Analphabetentum und Kinderanzahl [1.2]. Als Maß für den Energieverbrauch ist international durchaus noch die Öleinheit ÖE oder Rohöleinheit gebräuchlich, die auf dem Heizwert von einem Kilogramm Erdöl beruht: 1 ÖE = 42000 kJ. Analog gilt für die Steinkohleneinheit SKE: 1 SKE = 29307,6 kJ 0,7 ÖE. Gegenüber dem Energiestrom der Sonne auf die Erde von etwa 5,6 · 1024 J/Jahr [1.3] ist der anthropogene Energiebedarf mit etwa 350 000 · 1015 J/Jahr gering. Allerdings schöpft die Menschheit diesen Energiebedarf zum allergrößten Teil aus den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl und Erdgas, die sich aus Biomasse über Millionen von Jahren gebildet haben. Weltweit wird die elektrische Energie zu knapp 62 % aus fossilen Energieträgern gewonnen und 33 % aus Wasserkraft und Kernenergie [1.7]. Der dadurch gebundene Kohlenstoff entzog über Pho-tosynthese der Atmosphäre CO2. Aus zwei Gründen ist die Ausbeutung und Nutzung fossiler Energieträger problematisch, weil sie zukünftige Generationen beeinträchtigt:

H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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2 1 Einleitung

Die Energiewandlung geschieht durch Verbrennung mit der unvermeidbaren Kohlendi-oxidproduktion und Freisetzung anderer Schadstoffe. Kohlendioxid gilt als Verursacher ei-ner globalen Erwärmung.

Der Abbau fossiler Energieträger übersteigt deren Neubildung, das bedeutet, dass die fossi-len Rohstoffe irgendwann erschöpft sind.

Die auf Kernspaltung basierende Energiewandlung ist umstritten. In vielen Ländern wird sie abgelehnt, in anderen wird zugebaut. Es herrscht jedoch weltweit Konsens und ist langfristiges Ziel, bei den Energiewandlungsprozessen von fossilen Brennstoffen auf andere Primärenergie-träger umzusteigen, die sich natürlich erneuern, möglichst in dem gleichen Maße,wie sie ver-braucht werden. Darunter zählen die Solar-, Wind-, Wasser-, Biomasse- und geothermische Energie. Die sich in der Entwicklung befindliche Fusionstechnologie wäre ebenfalls für menschliche Vorstellungen unerschöpflich. In industrialisierten Ländern ist von gewissen Sparpotenzialen auszugehen, insbesondere wenn sich Verbrauchsgewohnheiten ändern lassen. Demgegenüber haben Schwellen- und Entwick-lungsländer für die wirtschaftliche Entwicklung einen steigenden Energiebedarf. Der Zubau von Kraftwerken ist in jenen Ländern am höchsten, wobei nicht immer der ökologische Stan-dard industrialisierter Länder erfüllt werden kann. Kraftwerke zur zentralen Stromerzeugung sind teure Investitionsgüter, die sich erst über Jahr-zehnte rentieren. Bei der wirtschaftlichen Planung und technischen Auslegung sind weitge-hende Annahmen über zu erwartenden Bedarf, Verbrauchsverhalten und Preisentwicklungen des auszuwählenden Brennstoffes zu treffen. Nach Inbetriebnahme ist es aus technischen Gründen kaum mehr möglich, auf andere Brennstoffe umzurüsten. Unwägbar sind die politisch bedingten Änderungen. So waren die deutschen Energieversorger bis Mitte der neunziger Jahre gezwungen, Kohlekraftwerke zu bauen, um das auferlegte Kohlekontingent zu verbrau-chen (Kohleverstromung). Nach der politisch durchgesetzten Liberalisierung des Energiemark-tes erweisen sich einige dieser Kohlekraftwerke als wenig konkurrenzfähig. Zunehmend setzt sich die kombinierte Erzeugung von Strom und Wärme durch. Dezentrale Blockheizkraftwerke geringerer Leistung werden nahe den Wärmeverbrauchern installiert. Das individuelle Investitionsvolumen ist wesentlich geringer, damit auch das finanzielle Risiko. Große Kraftwerke sind teilweise ebenfalls zur Wärmeauskopplung eingesetzt, meist zur Ver-sorgung von Fernwärmenetzen. Die elektrische Energie lässt sich großtechnisch nicht direkt speichern. Sie muss zeitgleich zum Verbrauch erzeugt werden. Neben der immer benötigten Grundlast ist die Mittellast ta-geszeitlichen Schwankungen unterworfen. Zu gewissen Zeiten verbrauchen die Abnehmer besonders viel elektrische Energie, die Spitzenlast, die jedoch nur kurze Zeit benötigt wird. Die Spitzenlast muss schnell bereitgestellt werden. Für die Grund-, Mittel- und Spitzenlast kommen unterschiedliche Kraftwerkstypen zum Einsatz. Die deutsche Gesetzgebung fördert erneuerbare Energien [1.4]. Dies führte zu vielen Kleinan-lagen, z. B. Windanlagen, die ihre erzeugte Energie unkontrollierbar ins elektrische Netz ein-speisen dürfen.1 Entsprechend müssen die regelbaren Kraftwerke die Differenz zwischen Ver-brauch und Erzeugung ausgleichen. Der Strommarkt in industrialisierten Ländern wurde erst vor einigen Jahren liberalisiert und dem Wettbewerb ausgesetzt. Zuvor gab es in den meisten Ländern Gebietsmonopole für die 1 In Zukunft werden sich hier Änderungen ergeben (siehe Abschnitt 17.1.4).

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1 Einleitung 3

Stromerzeuger, was Planungssicherheit für den Bau von Kraftwerken und des Stromvertei-lungsnetzes gab. Die Auflösung der Gebietsmonopole lässt dem Verbraucher die Freiheit, die elektrische Energie bei einem beliebigen Anbieter zu beziehen. Diese Liberalisierung brachte weitreichende Vereinbarungen der Energiewirtschaft mit sich, die Durchleitungsrechte und Kosten über fremde Stromnetze, die Messwerterfassung sowie gewisse Voraussetzungen über Verbrauchsgewohnheiten regeln. Die Energieversorgungsunternehmen mussten umstrukturiert werden, um der gesetzlichen Trennung in Stromerzeugungsunternehmen und Netzbetreibergesellschaften Genüge zu tun (Unbundling). Neue Unternehmen entstanden, Unternehmen der Energiebranche schlossen sich über nationale Grenzen hinweg zusammen, kauften andere oder wurden gekauft. Die Liberalisierung begann in Nordamerika und setzte sich in der Europäischen Union fort – die gesetzlichen Bedingungen sind sehr ähnlich.

Braunkohle

Stein-

kohle

Erdgas

Erneuerbare

Energien

ErdölSonstige

Kernkraft18 % Kernenergie 25 % Braunkohle 19 % Steinkohle 14 % Erdgas 1 % Mineralöl 20 % Erneuerbare

Energiequellen mit 8 % Windkraft 3 % Wasserkraft 5 % Biomasse, inkl. biogener

Anteil in Müllkraftwerken 3 % Photovoltaik 4 % Sonstige

Bild 1.2: Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland 2011 [1.5]2

Bild 1.2 veranschaulicht die an der deutschen Bruttostromerzeugung aktuell beteiligten Ener-gieträger [1.5]. Andere prozentuale Werte ergeben sich, wenn die Erzeugungskapazitäten (von den installierten Anlagen maximal erzeugbare Leistung) herangezogen werden. So ist die in-stallierte Windkraftkapazität prozentual etwa um das Dreifache höher als die von Windkraftan-lagen produzierte elektrische Energie. In Deutschland nimmt der Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung stetig ab, was dem Ausstiegsgesetz zuzuschreiben ist. Demgegenüber steigt der Anteil der erneuerbaren Energien an, wobei die Windkraft, die Biomasse-Verstromung und die Photovoltaik die größten Steigerungsraten aufweisen. Dies ist der erwünschte Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG. Die schon früh ausgebaute Wasserkraft – die klassische regenerative Energienutzung – hat nur noch marginal Zuwachsraten. Die Summe der erneuer-baren Energiequellen haben 2010 die 16 % Marke [1.5] an der Bruttostromerzeugung über-schritten, während 2011 schon 20 % erreicht wurden. [1.8].

2 Die einzelnen Rundungen der Originalquelle auf ganze Prozentzahlen ergeben einen Wert von 101 %

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4 1 Einleitung

Dieses Buch ist eine Einführung in die Technik der Energiewandlung und stellt keine erschöp-fende Behandlung des Themas dar. Die Kapitellänge muss nicht der Bedeutung der darin be-handelten Technik für die Energieversorgung entsprechen. Nicht behandelt werden Fragen der Energiepolitik, Ethik oder zukünftige Energieszenarien. Einen Überblick der anzunehmenden globalen Energieentwicklungen gibt [1.6].

Literatur zu Kapitel 1 [1.1] Fischer Weltalmanach 2013, Herausgeb. Redaktion Weltalmanach, Fischer Taschen-

buch Verlag GmbH, Frankfurt a.M., 2012 [1.2] J. Goldemberg, Energy, Environment and Development, Earthscan Publications Ltd.,

London, 1996, Reprint, 1999 [1.3] H. Schaefer, Herausgeber, Nutzung regenerativer Energiequellen, Zusammenstellung

von Daten und Fakten für die Bundesrepublik Deutschland, VDI Verlag, Düsseldorf, 1987

[1.4] EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz, Bundesgesetzblatt, Novelle 2011 [1.5] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Energie Daten 2010,

www.bmwi.de, Stand 04/2012 [1.6] K. Heinloth, Die Energiefrage: Bedarf und Potenziale, Nutzung, Risiken und Kosten,

2. Auflage, Vieweg Verlag, 2003 [1.7] International Energy Association Website, http://www.iea.org, 2012 [1.8] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. BDEW, AG Energiebilanzen,

www.bdew.de, Stand 04/2012