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Seit der letzten Schoggi-Kampagne der Erklä- rung von Bern im Jahr 2009 hat sich in der Schweizer Schokoladeindustrie einiges getan bezüglich sozialer Nachhaltigkeit. Viele Projekte sind jedoch erst Papiertiger: Die meis- ten Ansätze zur Verbesserung der Lebens- bedingungen der Kakaobauernfamilien ste- cken immer noch in den Kinderschuhen. TEXT UND BILD_ANDREA HüSSER Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts? Mit dieser faulen Ausrede dürfen sich Schokoladeun- ternehmen nicht länger aus der Verantwortung stehlen. Die EvB hat bei den Schweizer Kakao- verarbeitern und Schokoladeherstellern nach- gehakt und in einer Studie ihr Engagement zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte un- ter die Lupe genommen. Die Schweiz gibt viel auf eines ihrer erfolg- und ertragreichsten Ex- portprodukte. Doch Kakao als wichtigster Be- standteil unserer Schoggi wird nach wie vor häufig unter menschenrechtswidrigen Bedingun- gen produziert. An der Diskrepanz zwischen geäusserten sozialen Absichten und deren Um- setzung hat sich seit dem letzten Ranking 2010 aber ebenso wenig geändert wie an der Branchen- FORTSETZUNG>> DAS MAGAZIN DER ERKLÄRUNG VON BERN # 02 APRIL_13 KEIN SCHOGGI-JOB: Die ivorische Kakaopflanzerin Kouadio Akissi nach getaner Ar- beit mit getrockne- ten Kakaobohnen. Die Wahrheit über Schweizer Schoggi KAMPAGNE erklärung!_02_2013

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EvB-Magazin «erklärung!» April 2013

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Seit der letzten Schoggi-Kampagne der Erklä-rung von Bern im Jahr 2009 hat sich in der Schweizer Schokoladeindustrie einiges getan bezüglich sozialer Nachhaltigkeit. Viele Projekte sind jedoch erst Papiertiger: Die meis-ten Ansätze zur Verbesserung der Lebens-bedingungen der Kakaobauernfamilien ste-cken immer noch in den Kinderschuhen.

TexT und bild_AndreA Hüsser

Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts? Mit dieser faulen Ausrede dürfen sich Schokoladeun-ternehmen nicht länger aus der Verantwortung

stehlen. Die EvB hat bei den Schweizer Kakao-verarbeitern und Schokoladeherstellern nach- gehakt und in einer Studie ihr Engagement zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte un-ter die Lupe genommen. Die Schweiz gibt viel auf eines ihrer erfolg- und ertragreichsten Ex-portprodukte. Doch Kakao als wichtigster Be-standteil unserer Schoggi wird nach wie vor häufig unter menschenrechtswidrigen Bedingun-gen produziert. An der Diskrepanz zwischen geäus serten sozialen Absichten und deren Um-setzung hat sich seit dem letzten Ranking 2010 aber ebenso wenig geändert wie an der Branchen-

ForTseTzung>>

das Magazin der erklärung von bern

# 02aPril_13

KEIN SCHOGGI-JOB: Die ivorische Kakaopflanzerin Kouadio Akissi nach getaner Ar-beit mit getrockne-ten Kakaobohnen.

Die Wahrheit über Schweizer SchoggikaMPagne

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>>ForTseTzung von seiTe 1

zahlen sagen Mehr als Worte...

In der Schweiz wird mit

12 Kilogramm pro Kopf und Jahr weltweit am meisten Schokolade konsumiert.

58 % des weltweit gehandel-ten Kakaos werden allein in der Elfenbeinküste und in Ghana produziert.

2020 wird ein Kakao-Ver-sorgungsengpass von

1 Million Tonnen befürchtet.

transparenz. Dies belegt die auf einem Fragebo-gen basierende Analyse der EvB von 19 Schwei-zer Schoko ladeherstellern und Kakaohändlern. In der neuen Befragung wurde auch auf den wichtigen Uno-Referenzrahmen für Wirtschaft und Menschenrechte Bezug genommen. 12 von 19 angefragten Unternehmen waren bereit, im detaillierten Fragebogen der EvB Auskunft zu ge-ben. Über ein Drittel der Firmen, darunter Ca-mille Bloch, Confiseur Läderach und Gysi Cho-colatier, waren aber auch diesmal nicht gewillt, den EvB-Fragebogen auszufüllen und sich an der Studie zu beteiligen. Eine offene Kommunikati-on ist jedoch die Grundvoraussetzung für eine sozial nachhaltige Kakaoproduktion.

Die Herkunft des Kakaos muss bekannt seinAngeführt wird die Rangliste der verantwor-tungsvollsten Firmen vom Kakaohändler Prona-tec, gefolgt von Chocolats Halba, wo vor allem für Coop produziert wird. Unter den Schlusslich-tern sind unter anderem die Giganten Mondelez (ehemals Kraft Foods), Barry Callebaut, Nestlé und Lindt. Kleinere Unternehmen schneiden also tendenziell besser ab als Grosskonzerne. De-ren Hauptproblem ist zumeist die fehlende Rück-verfolgbarkeit der Kakaorohstoffe. Denn wer die Herkunft der Ursprungsstoffe seiner Produkte nicht kennt, kann auch nicht gegen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen bei deren Anbau und Weiterverarbeitung vorgehen. Mangels Fort-schritten in Sachen gerechter Preispolitik sind auch bei der Reduktion missbräuchlicher Kin-derarbeit noch kaum Verbesserungen erkennbar. Denn schliesslich wurzelt Kinderarbeit in der Verarmung der Kleinbauernfamilien.

Zu wenige und nur punktuelle TatenVor allem die Grosskonzerne haben in den ver-gangenen Jahren umfangreiche Programme ent-wickelt, die zum Teil interessante Ansätze

aufweisen. Leider decken die Initiativen und Programme erst einen kleinen Teil der riesigen Kakaomengen ab, die Konzerne mit Milliarden-umsätzen für ihre Produktion benötigen. Und ob-wohl die meisten Firmen mit Zertifizierungsstel-len zusammenarbeiten, sind oft erst Bruchteile der bezogenen Kakaomengen zertifiziert. Auch stecken die Grossprojekte, die in den Erhebun-gen von 2009 und 2010 propagiert wurden, noch immer in den Kinderschuhen. Von einer gerech-teren Preispolitik (existenzsichernde Einkom-men, Mindestpreise, produktionskostendecken-de Preise, Sozial- und Qualitätsprämien) ist die Schweizer Schokoladeindustrie noch meilen-weit entfernt. Klar ist, dass grundlegende Verän-derungen im Markt nur langsam erzielt werden können. Schade, dass die Firmen erst jetzt rea-gieren – möglicherweise zu spät für die Anbau-regionen der Elfenbeinküste.

Die Folgen der Armut sind katastrophalArmut, schlechte Infrastruktur, Kinderarbeit – davon sind besonders die Kakaoanbauenden in Westafrika betroffen, wo etwa zwei Drittel des weltweit produzierten Kakaos herkommen. So müsste in der Elfenbeinküste eine Familie durch-schnittlich zehnmal mehr verdienen, um die Ar-mutsgrenze von zwei Dollar pro Tag und Person überhaupt zu erreichen.

Die Folgen der Armut sind katastrophal. Kin-

Etwa 530 000 Kinder arbeiten missbräuchlich auf den Kakaoplantagen der Elfen-beinküste und Ghanas.

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Die Schoggi-Kampagne zeigt, dass NOCH VIEL ZU TUN BLEIBT.

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IMPrESSUM erklärung! 2/2013 AUFLAGE 26 500 Exemplare HErAUS GEBErIN Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12,

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gemeinsam für mehr faire schoggi

Transparenz über die Herkunft und Produktionsbe-dingungen der Produkte ist die Grundvorausset-zung dafür, dass wir als Konsumierende eine echte Wahl haben. Zudem erhöht sich mit der Offenle-gung auch der Druck auf die Unternehmen, sich für mehr soziale Nachhaltigkeit zu engagieren. Aus diesem Grund bildete der Schoggi-Guide den Ausgangspunkt der EvB-Schokoladekampa-gne vor Ostern. Er bietet eine fundierte Informa-tionsgrundlage und klärt darüber auf, welche Fir-men ihre Nachhaltigkeitsversprechen glaubwürdig in die Tat umsetzen. Auf unserer Website stehen zudem ausführliche Firmenporträts zur Verfügung, in denen das Engagement der einzelnen Unterneh-men im Detail nachvollzogen werden kann.

Doch ohne Wissensverbreitung, Sensibilisierung und Handeln keine Wirkung. Deshalb nutzten wir auch in der Schoggi-Kampagne mehrere Kanäle, um die Fakten über die Unternehmen bekannt-zumachen. Kurze TV- und Online-Spots mit un-serem lebensmüden Kampagnenhasen brachten den Menschen die Problematik näher. Gleichzeitig regte das EvB-Schulbesuchsteam Kinder und Ju-gendliche dazu an, die Herkunft ihrer Lieblings-schokolade zu hinterfragen. Auch Strassenaktio-nen der regionalgruppen boten Gelegenheit, sich über die Missstände auf den Kakaoplantagen zu informieren. Zudem hakten besorgte Konsumie-rende direkt bei den Unternehmen nach und bau-ten auf unserer Kampagnen-Website virtuell an der grössten fairen Schokoladentafel mit. Sie wird Mitte April an eine führende Schweizer Schoko-ladefirma übergeben – als symbolische Aufforde-rung, für mehr soziale Nachhaltigkeit zu sorgen.

So können wir durch viele kleine Handlungen ge-meinsam etwas bewegen und laut gegen Men-schenrechtsverletzungen im Kakaobusiness pro-testieren. Die ersten reaktionen der Schokolade-firmen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

susanne rudolf

der müssen auf den Kakaoplantagen schuften, weil sich die Kleinbauernfamilien keine Arbei-terInnen leisten können. Ausserdem werfen die Kakaoplantagen immer weniger Ertrag ab. Denn die Bäume sind überaltert oder krank, weil nicht in die Plantageninfrastruktur investiert werden kann und das nötige Fachwissen fehlt. Hinzu kommt, dass sich aufgrund der Waldrodungen, der ausgelaugten Böden und des Klimawandels langsam die Anbaugebiete verschieben. Als Fol-ge davon droht der Schokoladeindustrie eine Ka-kao-Versorgungslücke.

Mit lebensmüdem Hasen für mehr faire SchoggiMithilfe ihres lebensmüden Kampagnenhasen sensibilisierte die EvB mit der neuen Schoggi-Kampagne vom 1. März bis zu Ostern die Konsu-mentInnen für die Probleme im Kakaosektor. Im handlichen Schoggi-Guide können sich Schoko-ladeliebhaberInnen darüber informieren, welche Schweizer Firmen wirklich um soziale Nachhal-tigkeit bemüht sind. Detailinformationen zu den Firmen finden Sie online in der ausführlichen Studie.

KONSUM-TIPP: CLArODie Schokoladen von Claro gehören übrigens, wie jene von Pronatec, zu den fairsten. Weil Claro und Pronatec keine eigenen Schokola-defabriken haben, lassen sie seit vielen Jahren bei Bernrain produzie-ren. Bernrain verarbeitet aber auch Kakaobohnen von anderen Kun-den. Deshalb rangiert die Firma in der Kategorie der Durchschnittli-chen. Claro und die EvB sind beide Gründungsmitglieder von Swiss Fair Trade und haben gemeinsam die strengen richtlinien erarbeitet. Das bedeutet, dass sich Claro ohnehin an diese Vereinsstandards halten muss, genauso wie die EvB. Dies und die nicht unabhängige Beziehung zwischen der EvB und Claro sind Gründe, warum Claro nicht im rating aufgeführt ist.

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generalversaMMlung 2013

Das Orchester spielt weiter kräftig aufDie letztjährige Generalversamm-lung hat der EvB eine neue gesamt-schweizerische Struktur gegeben. Der Jahresbericht 2012 informiert, wie es dem Orchester EvB gelungen ist, in verschiedenen registern kräftig und erfolgreich aufzuspielen.

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Seit der letzten GV wurden viele inter-ne Veränderungen der Struktur, der

personellen Besetzungen und der Ar-beitsweise vollzogen. Gleichzeitig führten die Geschäftsstellen in Zürich und Lausanne die entwicklungspoli-tische Arbeit intensiv fort.

An der diesjährigen Generalver-sammlung am 25. Mai 2013 in Biel stehen neben der ordentlichen Be-richterstattung Einblicke in die inhalt-lich-politische Arbeit im Zentrum. Der anschliessende gemeinsame Besuch

im industriegeschichtlichen Museum Centre Muller bietet spannende Ein-sichten in den Schweizer Arbeitsalltag der letzten zwei Jahrhunderte. Dabei kann auch ein Bogen gespannt werden zum Engagement der EvB für die Men-schenrechte der Arbeitenden in Ent-wicklungsländern. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme an der GV!

Den Anmeldetalon finden Mitglieder in der Beilage.

PubliC eYe

Schmähpreis für Investmentbank und ÖlkonzernGoldman Sachs und Shell sind die Gewinner der Public Eye Awards: Ihre sozialen und ökologischen Vergehen zeigen die Kehrseite einer rein profitorientierten Globali-sierung.

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Ungefähr in der Mitte der Pressekonfe-renz zur Verleihung der Public Eye Awards 2013 war es totenstill im Kirchgemeindehaus Davos. Eben hatte die Athener Journalistin Eurydice Bersi (siehe Porträt S. 8) in bewegen-den Worten ein Bild davon gezeichnet, wie die aktuelle Krise die griechische Bevölkerung in Elend und Verzweif-lung stürzt.

Die griechische Tragödie ist auch ein Lehrstück darüber, wie unverant-wortliches Handeln von Unternehmen Jahre später und auf einem anderen Kontinent die Lebenspläne von Men-schen zerstören kann, die noch nicht einmal vom Unternehmen gehört ha-ben. Der Jury-Preisträger der Public Eye Awards, Goldman Sachs, half zur Jahrtausendwende dem griechischen Finanzministerium mit intransparen-ten Derivatgeschäften, das Ausmass

des griechischen Defizits zu verschlei-ern. Das war und ist bis heute immer noch extrem lukrativ für Goldman Sachs. Griechenland konnte so der Eu-rozone beitreten, wo es definitiv nicht hingehört hätte. Dafür wurde die Zu-kunft der Griechinnen und Griechen verpfändet.

Der People’s Award ging gemäss Internet-Abstimmung an Shell. Es ist

bereits das zweite Mal, dass Shell den Preis erhält: 2005 für Menschenrechts-verletzungen und Umweltverschmut-zung im Nigerdelta, jetzt für Shells Sturm auf die Arktis. Einen Monat später gab Shell bekannt, 2013 in der Arktis nicht weiter nach Öl zu bohren – eine Atempause und ein Zwischen-erfolg für die vom Public Eye unter-stützte Greenpeace-Arktis-Kampagne.

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An der Pressekonferenz zu den Public Eye Awards wird AUF DIE ÜBELTäTEr GEZEIGT.

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geistiges eigentuM & entWiCklung

Die ärmsten Entwicklungsländer beantragen bei der WTO eine Ver-längerung der TrIPS-freien Über-gangsfrist, die für ihre Entwicklung unerläs s lich ist. Die EvB fordert die Schweiz auf, diesen Antrag zu unterstützen.

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Das TRIPS-Abkommen der Welthan-delsorganisation (WTO) umfasst inter-nationale Bestimmungen zum Schutz von geistigem Eigentum und regelt de-ren Durchsetzung. Es anerkennt die besonderen Bedürfnisse der am we-nigsten entwickelten Staaten (least-de-veloped countries, LDCs). Diese von der Uno definierte Ländergruppe, die zurzeit 48 Staaten umfasst, braucht laut Abkommen «Flexibilität bei der

Ein Recht auf Entwicklung für die ÄrmstenSchaffung einer tragfähigen techno-logischen Grundlage». Deshalb wurde diesen ärmsten Ländern bei Inkrafttre-ten des Abkommens 1995 eine verlän-gerbare Übergangsfrist zugesprochen, die am 1. Juli 2013 abläuft.

Nun haben diese Staaten beim TRIPS-Rat beantragt, dass die Frist unbeschränkt verlängert wird, solange ein Land den Status als LDC innehat. Denn in den ärmsten Ländern hindern geistige Eigentumsrechte die Entwick-lung. Der uneingeschränkte Zugang zu Medikamenten, Saatgut, Bildung und anderen öffentlichen Gütern ist dort nur gewährleistet, wenn das TRIPS-Abkom-men nicht eingehalten werden muss.

Doch die Schweiz und fast alle In-dustrieländer sehen das anders. Wäh-rend ersten Verhandlungen im März

versuchten sie, den politischen Spiel-raum dieser wirtschaftlich benachtei-ligten Staaten einzuschränken. Diver-se offizielle Berichte zeigen, dass die Industrieländer das TRIPS-Abkommen gerade mit den ärmsten Staaten bisher nur sehr lückenhaft eingehalten haben. Dennoch möchten sie weitere Bedin-gungen an die Verlängerung knüpfen.

recht auf Entwicklung hat VorrangDie EvB fordert, dass die Schweiz den Antrag der 48 am wenigsten entwickel-ten Länder vorbehaltlos unterstützt. Die Industrieländer haben keine Be-rechtigung, einen «ordnungsgemäss begründeten Antrag» abzulehnen. Vor allem aber muss das Recht der Ärm s-ten auf Entwicklung höher gewichtet werden als nationale Interessen.

handelsabkoMMen Mit China

Über 23 000 Menschen verlangen mit ihrer Unterschrift vom Bundesrat, dass im Freihandelsabkommen mit China griffige Bestimmungen zum Schutz von Arbeits- und Menschen-rechten verankert werden.

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Trotz aller Bemühungen konnte Bun-desrat Johann Schneider-Ammann am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) nicht dazu bewegt werden, die von der Menschenrechtsorganisation ACAT und der China-Plattform lan-cierte und von 23 232 besorgten Bürge-rinnen und Bürgern unterzeichnete Petition in Empfang zu nehmen. Die Erklärung von Bern und ihre Part-nerorganisationen haben daher flugs ein Schneider-Ammann-Double orga-nisiert, das die Unterschriften symbo-lisch entgegennahm.

Die Petitionsübergabe wurde von einer Kunstaktion des Graffiti-Duos «One Truth» begleitet. Unter dem Motto «Don’t trade away human rights» produzierten die zuletzt an der Olympiade in London für Aufsehen sorgenden Spraykünstler ein Kunst-werk auf Dutzenden von Karton-schachteln. In diesen Schachteln wur-den anschliessend die Unterschriften übergeben. Sie sollen den Wirtschafts-minister an seine menschenrechtli-chen Verpflichtungen bei den Ver-handlungen mit China erinnern.

Neben Bestimmungen, die die Ein-haltung der Menschenrechte sicher-stellen, verlangt die Petition vom Bundesrat, im Freihandelsabkommen mit China die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als verbindliche Mindeststan-dards festzuschreiben. Weiter fordern

Petitionsübergabe im Davoser Schnee

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die Unterzeichnenden, dass eine Kom-mission die Umsetzung der Bestim-mungen überwacht und ein klar de-finiertes Verfahren im Fall von Ver - stössen festlegt.

Symbolische Übergabe der PETITIONS-

UNTErSCHrIFTEN an Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.

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rohstoff

EvB-Report: Trafigura in AngolaIn einem aktuellen report geht die EvB der Frage nach, wie der Schwei-zer rohstoffkonzern Trafigura zu sei-ner dominierenden Stellung im an-golanischen Ölmarkt gekommen ist. Dabei stiessen wir auf zwielichtige Netzwerke. Trafigura zog es vor, kei-ne Stellung zu nehmen.

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Soeben wurde die Tochter des angola-nischen Präsidenten dos Santos vom US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» zur ersten Milliardärin Afrikas gekürt. Gleichzeitig stellt die Weltbank in einer Analyse zum «Rohstoff-Fluch» fest, dass Angola zu jenen rohstoff-reichen Ländern gehört, in denen die Wirtschaft zwar enorm wächst, die ex-treme Armut aber paradoxerweise zu-nimmt. Rund 80 Prozent der Staatsein-nahmen Angolas stammen aus dem Ölgeschäft. Damit die Armut reduziert werden kann, ist es zentral, dass die

Erträge der Bevölkerung zugutekom-men und das Öl zum bestmöglichen Preis verkauft wird.

Während die meisten grossen Öl-länder die Vermarktung selbst über-nehmen, um ihre Marge zu maxi-mieren, schalten erstaunlich viele afrikanische Länder Schweizer Roh-stoffhandelsfirmen dazwischen. An-gola setzt für den Ölexport auf eine Kooperation, ein sogenanntes Joint Venture, zwischen angolanischen Ge-schäftsmännern und Trafigura. Im Gegenzug versorgt der drittgrösste Schweizer Konzern das ölreiche Land exklusiv mit Erdölprodukten. Der Wert dieses Deals wurde 2011 auf 3,3 Milliarden Dollar geschätzt. Die nationale Ölgesellschaft Sonangol in-vestiert zusätzlich sogar in eine Trafi-gura-Tochterfirma.

An besagtem Joint Venture ist Tra-figura mit 50 Prozent beteiligt. Offen bleibt aber, wem die andere Hälfte der

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Gewinne zufliesst. Geschäftspartner ist eine Firma namens Cochan, die durch den hohen staatlichen Funktio-när General Leopoldino Fragoso do Nascimento (auch «Dino» genannt) vertreten wird. Doch wo enden die In-teressen des Staates und wo beginnen die privaten Interessen von General «Dino»? Der General ist Teil eines re-gimenahen Trios, das weite Teile der Wirtschaft steuert. Gegen dieses «Tri-umvirat» und einen seiner Strohmän-ner wird in den USA und in Portugal wegen Korruption, Steuerdelikten und Geldwäscherei ermittelt. Trafigura be-unruhigt dies offenbar nicht.

Gerne hätten wir erfahren, wer der letztendliche Eigentümer (beneficial owner) von Trafiguras Geschäftspart-ner Cochan ist. Sowohl Trafigura als auch das Handelsregister auf den Ba-hamas schweigen sich darüber aus.

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Während die staatli-che Ölgesellschaft Sonangol von Deals mit Trafigura profi-tiert, müssen ango-lanische Kinder weiter DEN ABFALL

DUrCHWÜHLEN.

rOHSTOFF FÜr DIE POLITISCHE DEBATTEWie der Angola-Fall einmal mehr zeigt, braucht es dringend mehr Transparenz bei Firmenstrukturen, rohstoff- und Zahlungsflüssen. Dies konnte die EvB auch im rahmen eines Hearings in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats darlegen. Vor Ostern wurde der Grundlagenbericht der Bundesverwaltung über die rohstoff-branche veröffentlicht, den wir umge-hend analysierten.

Die EvB-Analyse und den Trafigura-report finden Sie auf www.evb.ch/rohstoff

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handelsPolitik

WTO-Spiel geht in die zweite Auflage Ein Jahr nach der Lancierung ist unser Spiel «GrosseKleineWelt» bereits vergriffen. Eine Neuauflage ist in Vorbereitung und wird ab Ende Monat bereitstehen.

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Zweifellos ein schöner Erfolg: Das von der Erklärung von Bern zusammen mit Partnerorganisationen entwickelte und vertriebene Brettspiel zum Welt-handel und der Welthandelsorganisa-tion (WTO) ist schon nach etwas mehr als einem Jahr ausverkauft. Besonders erfreulich sind die zahlreichen Bestel-

lungen von Schulen, die das unter-haltsame Spiel im Unterricht einset-zen wollen.

Das vom Verein Jugend und Wirt-schaft mit der «Goldenen Schiefer-tafel» ausgezeichnete Spiel ermöglicht jungen Erwachsenen, sich auf spieleri-sche Weise mit dem anspruchsvollen Thema Welthandel und multilateraler Handelspolitik auseinanderzusetzen. Die SpielerInnen schlüpfen dabei in die Rolle eines Landes, das Kaffee und Baumwolle produziert. Die Rohwaren, Zwischen- und Endprodukte werden anschliessend an der Börse gehandelt.

Bestellen Sie jetzt ein Exemplar der Neuauflage von «GrosseKleineWelt» vor, und lernen Sie schon bald spielend den Welthandel kennen!

Für EvB-Mitglieder kostet das Spiel 53 statt 58 Franken. Die Spiele werden in der ersten Mai-Hälfte ausgeliefert.

www.evb.ch/welthandel

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Um die weiterhin rege Nachfrage bedienen zu können, lässt die EvB eine zweite Auflage produzieren.

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«Bewusste» Mode – bewusstlose NäherInnen Die Conscious Collection von H&M weckt Frühlingsgefühle und verspricht trendige und nachhal -tigere Mode. Der Konzern hat entdeckt, dass dies bei der Kund-schaft gut ankommt.

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Während H&M in Europa die «be-wusste» Mode zelebriert, brechen in Kambodscha Hunderte von NäherIn-nen bewusstlos zusammen. Seit 2010 sind mehr als 2900 Ohnmachtsfälle bekannt geworden. Bei einem H&M-Zulieferer waren es innerhalb eines Jahres über 550 Angestellte. Die Ar-beitstage der NäherInnen sind lang und der Lohn zu knapp für eine ausge-wogene und ausreichende Ernährung.

Das H&M-Geschäftsmodell setzt auf schnelle Mode, billige Produkti-onsstandorte und lukrative Absatz-märkte. Und bringt Gewinne: In den gut 80 Schweizer Geschäften hat H&M im Jahr 2012 einen Umsatz von knapp 817 Millionen Franken erwirtschaftet, weltweit sind es fast 21 Milliarden. Der Konzern konnte seit der Wirt-

schaftskrise 2008 bei stabilem Gewinn von jährlich über 2 Milliarden Fran-ken weltweit 1038 Läden eröffnen.

Die kambodschanischen NäherIn-nen sehen aber nichts von diesem Profit. Bisher hat sich H&M geweigert, einen Existenzlohn zu bezahlen. Als Orientierung gilt der gesetzliche Min-destlohn, und der entspricht in Kam-bodscha mit 61 Dollar pro Monat weniger als einem Viertel eines Exis-tenz l ohnes. Die NäherInnen sind h&m: hungrig & mangelernährt.

Der CEO Karl-Johan Persson sagt: «Unsere KundInnen sind das Herz un-seres Geschäfts. Sie zeigen ein zuneh-mendes Interesse an Nachhaltigkeit. Und wir wollen, dass sie darauf ver-trauen können, dass alles, was sie von uns kaufen, mit Rücksicht auf Mensch und Umwelt hergestellt wird.»

Herr Persson, wir möchten Ihnen gerne glauben. Doch dazu wollen wir keine blumigen Versprechen, sondern endlich Taten sehen: Zahlen Sie Ihren NäherInnen Existenzlöhne!

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Conscious Collection? Der schöne SCHEIN

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Dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, zeigt sich besonders in tiefen gesellschafts-politischen Krisen. Für Eurydice Bersi hiess das raus aus der redaktion und rein in die Zivilgesellschaft. Und zwar mit der Kernbot-schaft: «Griechenland ist kein Drittweltland.»

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Es begann mit einem Besuch deutscher Aktivis-tInnen bei der Zeitung «Kathimerini», der «NZZ» Griechenlands. Das bunte Grüppchen wollte Ur-sachen und Konsequenzen der hellenischen Fi-nanztragödie besser verstehen. Auslandsredakto-rin Eurydice Bersi erklärte sie ihnen so gut, dass sie wiederkamen, diesmal mit Regieteam. Daraus entstand das Filmprojekt «Wer rettet wen?», des-sen InitiantInnen die Investmentbank Goldman Sachs wegen ihres Profits an Griechenlands Staatsschulden für die Public Eye Awards 2013 nominierten. Die bewegende Laudatio auf den verdienten Jury-Preisträger Goldman Sachs (sie-he auch S. 4) hielt wiederum Bersi – und die zahlreich erschienenen JournalistInnen hingen an den Lippen ihrer so emotionalen wie sach-kundigen Kollegin aus Athen.

«Ich arbeite jetzt zwar mehr als doppelt so viel für deutlich weniger Lohn, fühle mich aber privilegiert, überhaupt noch einen Job zu ha-ben», sagt die 36-jährige Mutter zweier Kinder. Seit 1998 recherchiert und schreibt Bersi schon für die führende konservative Tageszeitung ihres Landes. Der Spagat zwischen den eigenen Über-zeugungen und der politischen Ausrichtung ih-res Arbeitgebers war bislang «kaum je schmerz-

haft». Ihr Chef weiss allerdings nichts von ihrem aktuellen aufklärerischen Engagement. «Inzwi-schen habe ich einen Punkt erreicht, wo es mir auch egal wäre, wenn er es erfährt.» Zu Beginn ihres Berufslebens berichtete Bersi von den gros-

sen globalisierungskritischen Protesten aus Prag und Genua. «Die Gründe für diese Protestbewe-gung haben mich damals neugierig gemacht und bis heute nicht mehr losgelassen.»

Was in den Schlagzeilen ihres Blatts als Euro- oder Schuldenkrise tituliert wird, nannte sie in Davos eine «neoliberale Umverteilungskrise». Woher dieser aufklärerische Furor einer sich selbst als linksliberal bezeichnenden Journalis-tin? «Ich möchte meinen Kindern später sagen können, dass ich zumindest versucht habe, aktiv zum Verständnis und damit zur Lösung unserer existenziellen Probleme beizutragen.» Ihr gröss-ter Krisenschock war nicht etwa der Auftrags-einbruch bei ihrem Mann, der Architekt ist, oder die entwürdigende Alltagsnot vieler ihrer Freun-dinnen und Freunde sowie Bekannten. Am er-schreckendsten ist für sie die Tatsache, dass diese «systematische Demütigung breiter Bevöl-kerungsschichten in einem zivilisierten Land wie unserem über haupt stattfinden kann – und weiterhin ungesühnt bleibt».

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Eine linksliberale Journalistin wird Polit-Aktivistin

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Kritische Analy tikerin der Krise in ihrer Heimat: Die griechi-sche Journalistin EUrYDICE BErSI.

___«ich möchte meinen kindern später sagen können, dass ich zumindest versucht habe, aktiv zur lösung unserer existenziel-len Probleme beizutragen.»

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