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Roman Signer, ein Schweizer Künstler, geboren am 19. Mai 1938 in Appenzell, lebt und arbeitet in St. Gallen. Die im Hamburger Bahnhof ausgestellten Werke Signers stammen aus etwa 30 Jahren künstlerischer Tätigkeit, beginnend cirka Mitte der 1970er bis in die Gegenwart.
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Humboldt-Universität Berlin | Kunstgeschichtliches Seminar | UE Aktuelle Kunst in Berliner Galerien und Museen |
WS 2007/08 | Dozentin: Prof. Dr. Falkenhausen | Teilnehmerin: Franziska Roeder, Kunstgeschichte Magister-
Nebenfach, Matrikel-Nr.: 135972
Essay zur Ausstellung von Werken Roman Signers
im Hamburger Bahnhof (Flick Collection und persönliche Leihgaben)
Roman Signer, ein Schweizer Künstler, geboren am 19. Mai 1938 in Appenzell, lebt
und arbeitet in St. Gallen. Die im Hamburger Bahnhof ausgestellten Werke Signers
stammen aus etwa 30 Jahren künstlerischer Tätigkeit, beginnend cirka Mitte der 1970er
bis in die Gegenwart. Zu sehen sind Objekte, Konstruktionen aus einfachen
Gegenständen wie Tisch und Fahrrad, Fotografien, Videofilme und -projektionen.
Häufig dienen Explosionen als Auslöser für einen Versuchsablauf. Manche
Konstruktion lässt ein bereits geschehenes Ereignis erahnen, eine andere lädt ein, sich
das noch zu Ereignende vorzustellen. Die Fotografien geben momenthafte Einblicke in
die Prozesshaftigkeit der Ereignisse, während die Filmdokumente sie nahezu nahtlos
verfolgen. Die meisten seiner Versuche finden im Freien statt, in natürlicher Umgebung
und ohne Zuschauer. In der Filmdokumentation „Signers Koffer“ von Peter Liechti
(2006) sagt Signer: „Ich liebe den Versuch über alles und der Versuch selber ist für
mich schon Skulptur. Auch wenn niemand zuschaut. Der Versuch ist für mich enorm
wichtig und bereichernd und macht mich glücklich. […] Das ist auch Arbeit!“ Zwei
Dinge werden hier deutlich: zum einen erweitert Signer den Skulptur-Begriff. Paul
Good spricht in diesem Zusammenhang auch von „Zeitskulpturen“1, wobei er zwei
Momente hervorhebt: Bewegung und Zufall. Signers Arbeiten seien nicht einfach nur
Ereignisse, die in einer Zeit t ablaufen, und damit vielleicht schon einem
konventionellen Aktionsbegriff entsprächen, sondern vielmehr zeitliche Verdichtungen,
Intensitäten und Veränderungen – angeschobene Bewegungen, in denen die
Gegenstände in einen Seins-Zustand ständigen Fließens zurückversetzt werden. Signer
hat eine Idee und baut eine Konstruktion – der Rest ist dem Zufall bzw. der Natur
überlassen: die „Natur“ macht dann das Werk, auch wenn das Ergebnis nicht wie
erwartet ausfällt. „Empirie des Freien Spiels“ nennt Tobias Timm (DIE ZEIT) Signers
1 Vgl.: Good, Paul: Zeit Skulptur. Roman Signers Werk philosophisch betrachtet. Köln 2002.
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Vorgehen. Spielerisch sind seine Versuche wohl, sie zeugen von Neugier, Humor und
Leichtigkeit. Zum anderen zeigt sich in Signers Arbeiten auch sein Verständnis von
Arbeit: wie er ganz stoisch und scheinbar unberührt seinen Körper in die Versuche
einbezieht, mit solcher Ernsthaftigkeit und Schweigsamkeit. „Auch wenn es für
Außenstehende wie Blödsinn aussieht, ich habe gearbeitet und gehe zufrieden ins Bett
und habe nicht das Gefühl, ich hätte dem Herrgott den Tag abgestohlen.“ (Zitat Signer
in „Signers Koffer“). Signers Hilfsmittel sind meist einfacher Natur: Stuhl, Tisch,
Eimer, Luftballons oder Elemente wie Wasser, Feuer, Luft, Erde. So elementar wie
seine Arbeitsmittel sind seine Versuche: etwas ereignet sich und transformiert ohne
Zweck und vorweg genommenes Ziel, ganz einfach und schlicht. Zu Auslösung einer
Bewegung bedient er sich meist explosiver Stoffe, wobei es Signer weniger um den
zerstörenden Aspekt in der Explosion geht, als um das Auslösen einer Veränderung,
deren Ausgang und Verlauf jedoch nicht mehr in seiner Macht steht. Meist wirken seine
Werke still und poetisch, doch manchmal bringt er seinen Körper auch in Gefahr, wenn
er zum Beispiel eine zugefrorenen See soweit betritt, bis er einbricht – ein Ereignis, bei
dem er sich filmen ließ. Charakteristischer für Signers Einsatz des eigenen Körpers ist
der Film „Punkt“ (2006), der folgenden Versuch dokumentiert: auf einer Wiese ist eine
Staffelei mit Leinwand platziert, weiter rechts ein kleiner Karton. Signer, mit Farbtopf
und langem Pinsel gewappnet, setzt sich auf einen Schemel vor die Staffelei, tunkt den
Pinsel in den Topf und positioniert den Pinsel mit der Spitze ganz nah vor der
Leinwand, so als würde er im Begriff stehen, gleich ein Bildnis zu beginnen. Na einer
kurzen Wartezeit entzündet sich der Karton hinter Signer und explodiert mit einem
lauten Knall. Der Krach der Explosion lässt Signer aufschrecken, sodass er mit dem
Pinsel an die Leinwand stößt und darauf einen Farbfleck hinterlässt. Besonders
hervorzuheben ist an diesem Versuch die Rolle des Akteurs, oder besser: des Aktanten2.
Denn Signer als Person erscheint weniger agierend sondern vielmehr indifferent. Signer
setzt seinen Körper den Kräften und dem Zufall aus, die das Werk vollenden.
Degradiert sich Signer zu einem einfachen Arbeitsmittel? Ja und nein. Er macht sich zu
einem Arbeitsmittel, jedoch bedeutet es für ihn keines Falls eine Degradierung. Der
Versuch bewegt sich vielleicht noch am Rande einer Perfomance, viel bemerkenswerter
ist jedoch das Verschmelzen von Objekt und Subjekt zu einer Art Allianz. Dabei sind
2 Bruno Latour prägte den Begriff des „Aktanten“, als Faktoren, die in Handlungsabläufen eine Rolle spielen. Latour löst sich damit von dem anthropozentrischen Verständnis von Handlung und stellt eine viel größere Verwebung von Subjekt und Objekt in Handlungen fest.
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die Objekte keineswegs tot. Ähnlich Bruno Latour, der in der durch die Moderne
geprägte Subjekt/Objekt Dichotomie keineswegs die Menschlichkeit definiert sah,
wachsen bei Signer Subjekt und Objekt zusammen, werden Objekte lebendig. Es findet
ein stiller Austausch statt: der Akteur verdinglicht sich und den Dingen wird gleichsam
Leben eingehaucht. Als gleichwertige Aktanten vereinigt sie Signers Versuchsaufbau zu
einem Ensemble, das mit der zündenden Explosion die Ereignisse transformiert, wie
eine angestoßene Domino-Kette: die Kräfte der Natur tun ihr Übriges. In „Signers
Koffer“ beschreibt Signer beispielsweise, warum er seinen Piaggio, eine Vespacar, als
belebt ansieht: „Es scheint primitiv, die Vorstellung, dass alle Gegenstände belebt sind.
Obwohl das nur Technik ist und Metall, der Piaggio lebt, er jauchzt und stöhnt. Es ist
ein Lebewesen, ja.“ (Signer lacht.) Auch animistische Kulturen sahen Natur als belebt
und Dinge nicht als Instrumente sondern als selbständige Akteure an. In der Moderen
ging man dazu über, strikt zwischen Subjekt und Objekt zu trennen: etwas war gehörte
entweder der Natur oder der Gesellschaft an, entweder den Dingen oder dem Geist –
jegliche Vermischungen wurden von der vermeintlich aufgeklärten Moderne als
vormodern, exotisch oder primitiv abgestraft. Hartmut Böhme kommentiert den Zustand
der Kollektivbildung von Ding und Subjekt Bezug nehmend auf Bruno Latour dagegen
folgendermaßen: „Wir leben längst oder längst wieder in einem crossover mit Nicht-
Menschlichem, das auf vielfältige Weise in unsere Handlungen eingemischt ist. Auch
die toten Dinge sind, wenn schon nicht Akteure, so doch wenigstens Aktanten. Jede
unserer Handlungen ist insofern eine komplexe Assoziation oder ein Hybrid aus
menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten.“3 Signer hat sich vielleicht nicht in
dieser Weise Gedanken gemacht, als er seine Konstruktionen erdachte. Er ist kein
Intellektueller und hat auch keine Theorie – Träume und Intuition spielen bei ihm eine
viel größere Rolle. Er macht Unerklärliches – man kann versuchen, Erklärungen zu
finden, aber der Sinn seiner Werke findet sich eher im Erleben selbst als in tief
schürfenden Abhandlungen. Und doch drückt Signer mit seinen Versuchen etwas aus,
das wie eine tiefer liegende und gleichsam so offensichtliche Wahrheit oder eine
Sehnsucht danach erscheint. Wenn Signer uns zum Lachen oder Schmunzeln bringt,
erleben wir mit ihm den Moment der Erkenntnis, sofern das Lachen Ausdruck einer
Differenz des Gesehenen und unserer durch Konventionen geprägten Erwartungen ist.
Dann sind wir ihm am nächsten.
3 Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Hamburg 2006. S. 73
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Signer steht für einen erweiterten Begriff der Kunst. Über sein eigenes Kunstverständ-
nis sagt er in einem Interview mit David Signer: „Man muss nicht immer von Kunst
reden. Mich beeindrucken Leute, die etwas gut können. Das kann ein Konditor, ein
Weinbauer oder ein Detektiv sein. Das sind auch Künstler.“ Es selber versuche die
Kunst zu vergessen, wenn er etwas mache. Und über seine eigenen Werke sagt er: „Für
mich waren es Experimente, Versuche. Es waren die Leute, die sagten: Das ist ja Kunst.
Da dachte ich: die Oberfläche ist Physik oder Natur, aber unter dem Kleid könnte es
Kunst sein, getarnte Kunst.“ Eigentlich spiele er immer noch wie früher als Kind, nur
mit einem anderen Bewusstsein. In unserer Gesellschaft ist das problematisch, es gehört
Mut und Frechheit dazu, sich als Erwachsener spielerisch den Dingen zu nähern und
seiner Neugier zu folgen. Die Kunst bietet Signer ein Terrain, auf dem er sich auspro-
bieren, in einem gewissen Rahmen provozieren und doch Anerkennung erhalten kann.
Museen und Galerien, die seine Werke präsentieren, sind dabei die Knotenpunkte, an
denen Interessierte die Möglichkeit zum Einblick in Signers Schaffen erhalten.