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Thema 20/4/2011 4 PD Dr. Annette Kuhn Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Bern Ethische Aspekte in Gynäkologie und Geburtshilfe Wir unterscheiden generell zwischen Ethik und Moral: Unter Moral verstehen wir die in einer Gemeinschaft anerkannten sittlichen Regeln wie Normen, Wertmassstäbe und Überzeugungen, Ethik ist eine Reflexion über das Moralische. Ethische Fragen begegnen uns in der Gynäkologie und Geburtshilfe täglich: Im gleichen Zimmer liegt eine Patientin, die zum dritten Mal innerhalb von 12 Monaten zu einem Schwanger- schaftsabbruch kommt neben einer anderen, die eine IVF bekommt – ist das richtig? Dürfen, sollen oder müssen wir in medizinisch prekären Situationen Erythrozyten- konzentrate geben, obwohl die Religion der Patientin dies verbietet? Was machen wir, wenn eine teurere Operation bei einer Patientin mehr Erfolg verspricht, dies aber vom kostenträger nicht gezahlt wird und die Alternativen risikoreich sind? Eine Patientin, deren ungeborenes vitales Kind eine schwere angeborene Fehlbildung hat, entschliesst sich in der 29. Schwangerschaftswoche, diese Schwangerschaft nicht fortsetzen zu wollen – was nun? Wir sind im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe täg- lich mit ethischen Aspekten konfrontiert, für diejenigen, die forschen, nicht zuletzt auch in Form der Ethischen Kommission, die Forschungsprojekte begutachtet – ein Grund, einige dieser Aspekte etwas genauer zu beleuch- ten und in den Vordergrund zu rücken. Die philosophische Ethik beschäftigt sich als akademi- sche Disziplin mit der Frage: wie soll ich handeln? Sie fragt nicht nach dem, was ist, sondern nach dem was sein sollte. Ethik versucht zu klären, was moralisch richtig oder falsch, gut oder schlecht, geboten oder verboten bzw. ge- recht und ungerecht ist. Darüberhinaus versucht die Ethik diese Urteile zu begründen und insbesondere dort Orien- tierung zu geben, wo unsere moralischen Alltagsüberzeu- gungen unsicher oder widersprüchlich sind (1). Unsere Wertvorstellungen sind individuell verschieden, sie können durch erzieherische Wertvorstellungen, Reli- gion, Sozialisation, Beruf und Zugehörigkeit zu verschie- denen Meinungsgruppen (politische, sportliche, regionale etc.) geprägt sein. Wir sehen an dieser Aufzählung, wie zahlreich die Einflüsse sind, die unsere Vorstellungen prägen – die Diskussionen innerhalb der Ethikkommissi- on können je nach Zusammensetzung der Mitglieder und in Abhängigkeit davon geprägt sein. Diese Pluralität ist notwendig und ist im Vergleich zur Antike in der Neuzeit angestiegen, zugleich verblasst die Autorität traditionel- ler, insbesondere christlich-religiös begründeter Norm- systeme zusehends. Durch das Fehlen einer generellen, all umfassenden, allgemein verbindlichen Moralinstanz bekommt die Ausdifferenzierung zwischen evaluativen Fragen des „guten“ Lebens und normativen Fragen des moralisch Richtigen in der Ethik eine zunehmende Bedeutung. Evaluative Aussagen beziehen sich zumeist auf konkrete Vorstellungen des „guten und gelungenen“ Lebens und haben als solche den Status von Ratschlägen. Ethikkommissionen sind nicht gleich Ethikkommissionen – an dieser Stelle möchte ich gerne als Mitglied der kantonalen Ethikkommission Bern mit einigen Missver- ständnissen aufräumen. Es gibt nicht „DIE“ Ethikkommission, die für alles in der Gesamtheit – klinische Fragestellungen, wissenschaft- liche Gesuche, andere Fragen, die sich im Zusammen- hang mit Patientenbetreuung stellen, zuständig ist. Die kantonalen Ethikkommissionen (KEK) beispielsweise sind Institutionen, die über wissenschaftliche Gesuche befindet. Entgegen der landläufigen Meinung, dass diese Kommission lediglich über „Ethik“, sicher aber nicht (!)

Ethische Aspekte in Gynäkologie und Geburtshilfe · per Laparoskopie, Single Incision Verfahren oder Lapa-rotomie nach ihrem Belieben zu bekommen, das ist Sache und Verantwortung

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  • Thema 20/4/2011

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    PD Dr. Annette KuhnUniversitätsklinik für Frauenheilkunde

    Inselspital Bern

    Ethische Aspekte in Gynäkologie und Geburtshilfe

    Wir unterscheiden generell zwischen Ethik und Moral:

    Unter Moral verstehen wir die in einer Gemeinschaft anerkannten sittlichen Regeln wie Normen, Wertmassstäbe und Überzeugungen, Ethik ist eine Reflexion über das Moralische.Ethische Fragen begegnen uns in der Gynäkologie und Geburtshilfe täglich:

    Im gleichen Zimmer liegt eine Patientin, die zum dritten Mal innerhalb von 12 Monaten zu einem Schwanger-schaftsabbruch kommt neben einer anderen, die eine IVF bekommt – ist das richtig? Dürfen, sollen oder müssen wir in medizinisch prekären Situationen Erythrozyten-konzentrate geben, obwohl die Religion der Patientin dies verbietet? Was machen wir, wenn eine teurere Operation bei einer Patientin mehr Erfolg verspricht, dies aber vom kostenträger nicht gezahlt wird und die Alternativen risikoreich sind?

    Eine Patientin, deren ungeborenes vitales Kind eine schwere angeborene Fehlbildung hat, entschliesst sich in der 29. Schwangerschaftswoche, diese Schwangerschaft nicht fortsetzen zu wollen – was nun?

    Wir sind im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe täg-lich mit ethischen Aspekten konfrontiert, für diejenigen, die forschen, nicht zuletzt auch in Form der Ethischen Kommission, die Forschungsprojekte begutachtet – ein Grund, einige dieser Aspekte etwas genauer zu beleuch-ten und in den Vordergrund zu rücken.

    Die philosophische Ethik beschäftigt sich als akademi-sche Disziplin mit der Frage: wie soll ich handeln? Sie fragt nicht nach dem, was ist, sondern nach dem was sein sollte.

    Ethik versucht zu klären, was moralisch richtig oder falsch, gut oder schlecht, geboten oder verboten bzw. ge-

    recht und ungerecht ist. Darüberhinaus versucht die Ethik diese Urteile zu begründen und insbesondere dort Orien-tierung zu geben, wo unsere moralischen Alltagsüberzeu-gungen unsicher oder widersprüchlich sind (1).

    Unsere Wertvorstellungen sind individuell verschieden, sie können durch erzieherische Wertvorstellungen, Reli-gion, Sozialisation, Beruf und Zugehörigkeit zu verschie-denen Meinungsgruppen (politische, sportliche, regionale etc.) geprägt sein. Wir sehen an dieser Aufzählung, wie zahlreich die Einflüsse sind, die unsere Vorstellungen prägen – die Diskussionen innerhalb der Ethikkommissi-on können je nach Zusammensetzung der Mitglieder und in Abhängigkeit davon geprägt sein. Diese Pluralität ist notwendig und ist im Vergleich zur Antike in der Neuzeit angestiegen, zugleich verblasst die Autorität traditionel-ler, insbesondere christlich-religiös begründeter Norm-systeme zusehends. Durch das Fehlen einer generellen, all umfassenden, allgemein verbindlichen Moralinstanz bekommt die Ausdifferenzierung zwischen evaluativen Fragen des „guten“ Lebens und normativen Fragen des moralisch Richtigen in der Ethik eine zunehmende Bedeutung. Evaluative Aussagen beziehen sich zumeist auf konkrete Vorstellungen des „guten und gelungenen“ Lebens und haben als solche den Status von Ratschlägen.

    Ethikkommissionen sind nicht gleich Ethikkommissionen – an dieser Stelle möchte ich gerne als Mitglied der kantonalen Ethikkommission Bern mit einigen Missver-ständnissen aufräumen.

    Es gibt nicht „DIE“ Ethikkommission, die für alles in der Gesamtheit – klinische Fragestellungen, wissenschaft-liche Gesuche, andere Fragen, die sich im Zusammen-hang mit Patientenbetreuung stellen, zuständig ist.

    Die kantonalen Ethikkommissionen (KEK) beispielsweise sind Institutionen, die über wissenschaftliche Gesuche befindet. Entgegen der landläufigen Meinung, dass diese Kommission lediglich über „Ethik“, sicher aber nicht (!)

    Einfach 1x täglich 10 mmol

    Gekürzte Fachinformation Magnesiocard® (Magnesiumpräparat). Indikationen: Magnesiummangel, Herzrhythmus stö rungen, erhöhter Bedarf im Hochleistungs-sport und während Schwangerschaft, bei Eklampsie und Präeklampsie, teta nischem Syndrom und Wadenkrämpfen. Dosierung: 10-20 mmol täglich, entsprechendder Darreichungsform (Granulat, Brausetabletten, Tabletten) aufgeteilt in 1-3 orale Einzeldosen. Anwendungseinschränkungen: Eingeschränkte Nierenfunktion.Die gleichzeitige Verabreichung mit Tetrazyklinen ist zu vermeiden. Unerwünschte Wirkungen: Als Folge hochdosierter oraler Magnesiumtherapie können wei-che Stühle auftreten. Packungen: Tabletten (2.5 mmol) 50, 100; Granulat (5 mmol) Citron und Granulat (5 mmol) Orange 20*, 50, 500; Brausetabletten (7.5 mmol) 20*, 60; Granulat (10 mmol) Grapefruit und Granulat (10 mmol) Orange 20*, 50*, Ampullen i.v. (10 ml) 10; Verkaufskategorie B. AusführlicheAngaben siehe Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. *kassenpflichtig

    ergo

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    In der Schwangerschaft und Stillzeit

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    detailliert den Fall einer 40jährigen Gravida III mit Plazenta praevia, die aus religiösen Gründen die Blutgabe bereits präpartal verweigerte, dies auch nach der Informa-tion, dass sie daran sterben könne. Die Möglichkeit, gegen den Willen der Patientin zu handeln, wird angedacht, jedoch aus Gründen des Respektes der Patientinnen-autonimität verworfen. N. B. – Respekt der Autonomie ist nicht das gleiche wie Autonomie. Patientinnen können eine bestimmte Therapie oder Intervention klar verwei-gern, ohne dass sie den Behandelnden allerdings vor-schreiben können, was diese zu tun oder lassen haben. Wenn der Wunsch der Patientin von den Vorstellungen der Behandelnden derart abweicht, dass die Therapeuten die Patientinnenentscheidung nicht unterstützen können, so kann die Patientin weitergewiesen werden; es wird aber in diesem Artikel als Pflicht des erstkontaktierten Arztes angesehen, die Patientin nicht im Stich zu lassen, bis ein anderer Arzt/Ärztin gefunden wurde, der die Behandlung übernimmt.

    Es ist ebenfalls unsere Pflicht, sicher zu stellen, dass die Patientin versteht, um welch ernsthafte Komplikationen und Folgen es sich handelt. Eine sorgfältige Dokumenta-tion ist nur ein rechtlicher, sondern auch ein moralischer Aspekt. Im beschriebenen Fall wurde unter invasiven Methoden wie intravasaler präpartaler Kathetereinlage in die Ae iliacae internae, Cell Saver, Lungenreifung und primärer Sektio in der 37.SSW, präoperativer Ureter-kathetereinlage, Längslaparotomie und – nach Entwick-lung des Kindes – Hysterektomie mit der Plazenta in situ en bloc. Dieser Fall ist nicht nur medizinisch facetten-reich, sondern auch ethisch: Kann der Partner der Patien-tin für diese entscheiden, wenn es zu vielleicht unerwar-teten intraoperativen Komplikationen kommt, auch gegen ihren präoperativ geäusserten Willen? Falls sie alleinste-hend ist – müsste sie im Falle ihres Todes nicht die Versorgung ihrer Kinder geregelt haben? Ist es fair, die Mehrkosten für diese aufwendigen Verfahren auf die Allgemeinheit abzuwälzen? Diese Fragen sind sicherlich nicht medizinischer Natur, sondern eine Vermischung

    über Wissenschaftlichkeit eines Projektes zu urteilen hat, ist dies die – gesetzlich vorgeschriebene!! – Aufgabe, weil eine „unwissenschaftliche“ Arbeit PatienInnen un-nötig gefährdet und Risiken aussetzt. Ich kenne kein einziges Mitglied der KEK, das sich einen Sport daraus machen möchte, den Gesuchstellern das Leben schwer zu machen, kleinlich zu sein oder eine überspannte Büro-kratie auszuleben – Bemerkungen, die ich zwar häufig zu hören bekomme, die mir aber in Anbetracht unseres Arbeitsaufwandes, unserer Motivation bei der Mitarbeit in der Kommission und unserer „vielperspektivistischen“ Arbeitsweise völlig grotesk vorkommen.

    Normative Aussagen über das moralisch Richtige oder Falsche beanspruchen im Gegensatz dazu allgemeine Geltung unabhängig von individuellen Konzeptionen des Guten.

    Diese Differenzierung zwischen evaluativen und norma-tiven Aussagen ist auch im Bereich der medizinischen Ethik relevant. Beim Respekt der Selbstbestimmung der Patientinnen handelt es sich um ein normatives Prinzip mit allgemeiner Gültigkeit, während die Frage, ob eine schwerkranke von einer lebensverlängernden Massnahme noch einen Nutzen hat, nur mit Bezug auf evaluative Vor-stellungen eines lebenswerten Lebens zu beantworten ist, dies unter Einbezug individueller Gegebenheiten: Mass-geblich sollten hierfür die Vorstellungen des betroffenen Individuums sein. Bei medizinisch-ethischen Entschei-dungsprozessen können sowohl evaluative als auch nor-mative Aspekte in die Urteilsfindung einfliessen.

    Konflikte entstehen, wenn die Vorstellungen des Einzel-nen von normativen Aspekten abweichen, beispielsweise wenn es bei geburtshilflich bedingten hämorrhagischen Komplikationen zu einer Verweigerung von Blutkonser-ven kommt.

    Ein kürzlich im New England Journal of Medicine publi-zierter Case Report aus Boston, USA, (2) beschreibt

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    te gelöst und die voraussichtlichen Folgen von Entschei-dungen abgeschätzt werden (Abbildung 1).

    Das bedeutendste Beispiel einer deontologische Ethik (= Ethik der moralischen Pflichten) stammt von Immanu-el Kant (Abbildung 2). Er setzte voraus, dass der Mensch als Vernunftswesen zur freien Willensentscheidung fähig ist. Hier liegt nach Kant der Ursprung aller Moral, in der die Autonomie des Willens, in der Fähigkeit nach selbst-auferlegten Gesetzen unabhängig von sinnlichen Antrie-

    von rechtlichen, ethischen und sozialen Aspekten – wie dies auch in vielen anderen Bereichen der Fall ist. Ge-richtsentscheide entsprechen auch dem öffentlich mora-lischen Empfinden ihrer Zeit und sind davon abhängig.

    Die Ethik ist häufig nur in der Lage, Aussagen zu den ersten beiden Ebenen zu machen. Die Übertragung von praktischen Grundsätzen auf eine konkrete Situation, erfordert das Vermögen der praktischen Urteilskraft. Nur mit seiner Hilfe können eventuell auftretende Zielkonflik-

    Abb 1. Entscheidungsfindung und Handlung

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    Medizin auf facettenreiche Weise diskutiert; wieder taucht die Meinung auf, dass die Patientin kein Recht hat, eine bestimmte medizinische Leistung – in diesem Fall eine IVF Behandlung – einzufordern, eine Tatsache, der wir uns als Fachpersonen auch im anderen Kontext be-wusst sein sollten. „Informed Consent“ ist notwendig und eine Grundvoraussetzung für Therapieentscheide, die Patientin kann aber nicht fordern, ein operative Verfahren per Laparoskopie, Single Incision Verfahren oder Lapa-rotomie nach ihrem Belieben zu bekommen, das ist Sache und Verantwortung des Operateurs. Oft hilft uns die Frage an die Patientin, warum sie einem bestimmten Ver-

    ben zu handeln, kurz gesagt: die Freiheit des Menschen. Diese Grundgedanken – und auch die Betonung indivi-dueller Entscheide –werden noch heute beispielsweise von der chinesischen Regierung, die die Deklaration von Helsinki nicht unterschrieben hat, nicht anerkannt.

    Was passiert, wenn wir als Fachpersonal diese Vernunft nicht nachvollziehen können?In einem Journal, das dem British Medical Journal zuge-hörig ist, wurde vor kurzem von einer britischen Autorin eine ethisch sehr interessante Situation durchdiskutiert (3).

    Überlegt wird, ob wir mit medizinischen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin eine Schwangerschaft bei einem Teenager, die die Kriterien der Sterilität ursächlich wahrscheinlich auf einer Chlamydieninfektion beruhend erfüllt und in stabiler Partnerschaft lebt, ausnützen dürfen. In England wird das IVF vom National Health Service (NHS) gezahlt.

    Sicherlich würde die Mehrheit der Leser den Kopf schüt-teln und diese Frage auf den ersten Blick klar verneinen – Aspekte wie eine schlechtere Ausbildung bei schwange-ren Teenagern, Abhängigkeit von Sozialdiensten, fehlende finanzielle Möglichkeiten und möglicherweise eine psy-chische Unreife lassen uns rasch zu diesem Schluss kommen. Die Behörde, die in England Sterilitätstherapien beaufsichtig (The Human Fertilisation and Embryology Authority) schreibt vor, dass das Personal, welches Steri-litätspatientinnen betreut, ihre persönlichen Ansichten nicht mit Patientinneneigenschaften wie beispielsweise Alter der Patientin (!) interferieren lassen darf. Dieser Aspekt ist auch von Wichtigkeit, wenn wir das Alter in die andere Richtung betrachten – wann ist jemand zu alt, um sich noch einer Sterilitätstherapie zu unterziehen? Das sind vermutlich Aspekte, die uns im Alltag häufiger begegnen als Teenager, die um eine Therapie ersuchen.

    In dem genannten Artikel werden Aspekte des öffent-lichen Interesses, des Kindes und der „sozialen Rolle“ der

    Abb. 2. Immanuel Kant (22.04.1724–12.02.1804), geboren und gestorben in Königsberg; aus: Wikipedia

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    Abb. 2. Immanuel Kant (22.04.1724–12.02.1804), geboren und gestorben in Königsberg; aus: Wikipedia

    Wir sehen – ethische Aspekte sind in Gynäkologie und Geburtshilfe sehr präsent. Sie können komplex und schwierig sein, und deren Beurteilung hängt von vielen Einflüssen und Faktoren ab, für die in unserer Sozialisati-on, Religionszugehörigkeit und viele andere Einflüsse, die uns prägen, verantwortlich sind. Nicht immer gibt es Antworten auf Fragen. Treten Kontroversen auf, so hilft es oft, diesen mit einem indianischen Sprichwort zu begegnen:

    „Beurteile eine Situation erst, wenn Du eine Weile in den Mokassins des anderen gewandert bist.“

    Referenzen

    1. Ethik in der Medizin, Reclam, 3. Aktualisierte Ausgabe 2008, Rec-lams Universalbibliothek Nr. 18341.

    2. Barth WH, Kwollek CJ, Abrams JL, Ecker JL, Robersts DJ. Case 23–2011: A 40-year-old pregnant woman with placenta accreta who declined blood products N. Engl. J. Med. 2011; 365:4.

    3. Habiba M. Should medicine assist a teenager to achieve pregnancy? J. Med. Ethics 2011; 37:201–204.

    4. Benagiano G, Mori M, Ford N, Grudzinskas G. Early pregnancy wastage: ethical considerations Reprod Med Biomedicine Online 2011; 22:692–700.

    Weitere Literatur bei der Autorin erhältlich

    fahren den Vorzug gibt; Vorurteile, Missverständnisse oder fehlendes Hintergrundwissen kann so behoben wer-den, und so in den meisten Fällen ein gemeinsamer Weg gefunden werden.

    Die Frage, wann ein Mensch zum Menschen wird, be-schäftigt Ethiker, Mediziner, Religionswissenschaftler und sicherlich alle Personen, die mit Schwangerschafts-abbrüchen und Sterilitätstherapien zu tun haben. Ein sehr spannender kürzlich publizierter Artikel beschäftigt sich aus verschiedenen Perspektiven mit diesem Thema und zeigt, dass es hier kein „schwarz-weiss“ gibt, sondern dass weltanschauliche Meinungen in der Diskussion des Menschwerdens eine grosse Rolle spielen (4). In den meisten westlichen Ländern ist der Schwangerschafts-abbruch im ersten Trimester erlaubt und gibt damit de facto dem Embryo einen niedrigeren Status als dem Fetus oder dem Neugeborenen.

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    Kernaussagen

    • ethische Aspekte sind in Gynäkologie und Geburts-hilfe wie bei Fertilitätstherapien, Pränataldiagnostik, bei Schwangerschaftsabbrüchen, aber auch chirur-gischen Interventionen sehr präsent.

    • die ethische Beurteilung von Situationen hängt von unserer Sozialisation, Religionszugehörigkeit, dem Zeitgeist und anderen Faktoren ab, dies muss in Diskussionen mit Patientinnen berücksichtigt werden.

    • Oft gibt es nicht „Die richtige Entscheidung“, sondern einen Kompromiss, in den die unterschied-lichen Standpunkte der Parteien einfliessen

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