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DOI: 10.1007/s00350-014-3697-0 EuGH-Vorlage: Verstoßen die Weiterentwicklungen der AMG-Haftung seit dem 30. Juli 1985 gegen die EU-Produkthaftungsrichtlinie? AMG §§ 84 Abs. 2, 84a; Richtlinie 85/374/EWG Art. 13; ProdHaftG § 15 Zur europarechtlichen Zulässigkeit der Weiterent- wicklungen des nationalen arzneimittelrechtlichen Haftungssystems im Lichte der EU-Produkthaftungs- richtlinie. (Leitsatz des Bearbeiters) BGH, Beschl. v. 6. 5. 2013 – VI ZR 328/11 (KG) Problemstellung: Der BGH hat sich in den letz- ten Jahren wiederholt mit der Haftung aus dem Arz- neimittelgesetz befassen müssen. Die zentrale Norm der AMG-Haftung ist § 84 AMG. Die AMG-Haftung trat als Reaktion auf den Contergan-Fall im Jahre 1978 in Kraft – und damit weit vor der EU-Produkthaftungs- richtlinie aus dem Jahre 1985. In Kenntnis der deutschen Sonderbestimmungen zur Arzneimittelhaftung stellt Art. 13 der EU-Produkthaf- tungsrichtlinie klar, dass Ansprüche von Geschädigten aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung durch diese Richtlinie nicht berührt werden. Mit dieser „besonderen Haftungsregelung“ war seinerzeit die deut- sche AMG-Haftung gemeint. Die AMG-Haftung wurde vom deutschen Gesetzge- ber anschließend – als Reaktion auf den Blutprodukte- skandal der 1980er Jahre – weiterentwickelt und ver- schärft. Dies geschah im Wesentlichen durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschrif- ten (G. v. 19. 7. 2002, BGBl. I S. 2674). Dadurch wurde die AMG-Haftung u. a. um eine Kausalitätsvermutung und einen Auskunftsanspruch ergänzt. Diese Weiterentwick- lungen bilden den Kern dieser EuGH-Vorlage des BGH. Mit dem Vorlagebeschluss fragt der BGH den EuGH, ob die Weiterentwicklungen der AMG-Haftung seit Be- kanntgabe der Produkthaftungsrichtlinie mit EU-Recht vereinbar sind. In der Literatur wurde diese Frage schon früh kontrovers diskutiert (s. Koyuncu, Haftung aus dem Arzneimittelgesetz, in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler [Hrsg.], Produzentenhaftung, Kza. 3800/3825, S. 4 ff., m. Literaturübersicht und Folgefragen zum Verhältnis der Haftung aus AMG und ProdHaftG). Die Konformität der Weiterentwicklungen der AMG-Haftung mit EU-Recht wurde in der Rechtspre- chung bisher nicht in Frage gestellt. Dabei haben der BGH und die Instanzgerichte seit Inkrafttreten dieser Weiterentwicklungen eine Reihe von Fällen zur AMG- Haftung entschieden, in denen es auch um die Kausa- litätsvermutung und den Auskunftsanspruch ging. Die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit der Weiter- entwicklungen und damit der aktuell geltenden AMG- Haftung ist ersichtlich von erheblicher Bedeutung für die Praxis der Arzneimittelhaftung in Deutschland. Zum Sachverhalt: Die Kl. nimmt die Bekl., ein pharmazeuti- sches Unternehmen, wegen einer Nebenwirkung des von der Bekl. vertriebenen Arzneimittels Levemir (ein Insulinpräparat) gemäß § 84 AMG auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ver- pflichtung der Bekl. zum Schadensersatz in Anspruch. In der Folge der 2004 – bis zur Umstellung auf ein anderes Insulinpräparat im Juni 2006 – ärztlich verordneten Anwendung von Levemir kam es bei der Kl., die als Diabetikerin bereits zuvor langjährig mit einem an- deren Insulinpräparat behandelt worden war, zu einer Lipoatrophie (Schwund des subkutanen Fettgewebes im Bereich der Einstichstel- len). Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist der von der Kl. im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemachte Auskunftsanspruch gemäß § 84 a AMG betreffend Nebenwirkungen und weitere Wirkungen des Arzneimittels Levemir, soweit sie eine Lipoatrophie betreffen. Das LG Berlin hat der Auskunftsklage durch Teilurteil v. 25. 8. 2010 – 23 O 176/08 – stattgegeben. Das KG – Berufungsgericht – hat die dagegen gerichtete Berufung der Bekl. mit Urt. v. 30. 8. 2011 – 13 U 44/10 – zurückgewiesen. Dagegen wendet sich diese mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Vorlagebeschluss: I. Das Verfahren wird ausgesetzt. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haf- tung für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr. L 210 vom 07/08/1985 S. 0029–0033, folgende Fragen zur Vorabent- scheidung vorgelegt: Ist Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG dahin auszule- gen, dass die deutsche Arzneimittelhaftung als „besondere Haftungsregelung“ durch diese Richtlinie allgemein nicht berührt wird, mit der Folge, dass das nationale arznei- mittelrechtliche Haftungssystem weiterentwickelt werden kann oder ist die Regelung dahin zu verstehen, dass die zum Zeit- punkt der Bekanntgabe der Richtlinie (30. Juli 1985) beste- henden arzneimittelrechtlichen Haftungstatbestände nicht ausgedehnt werden dürfen? Aus den Gründen: [3] II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates v. 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr. L 210 v. 07/08/1985 S. 0029–0033, ab (vgl. unten 3). Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfah- ren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. [4] 1. Nach Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG werden die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vor- schriften über die vertragliche und außervertragliche Haf- tung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsrege- lung geltend machen kann, durch diese Richtlinie nicht berührt. § 15 ProdHaftG bestimmt: „(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbe- reich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, je- mand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt, so sind die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden. (2) Eine Haftung aufgrund anderer Vorschriften bleibt unbe- rührt.“ Bearbeitet von Rechtsanwalt und Arzt Dr. iur. Dr. med. Adem Koyuncu, Partner der Kanzlei COVINGTON & BURLING LLP, Kunstlaan 44, B-1040 Brüssel, Belgien RECHTSPRECHUNG MedR (2014) 32: 299–302 299

EuGH-Vorlage: Verstoßen die Weiterentwicklungen der AMG-Haftung seit dem 30. Juli 1985 gegen die EU-Produkthaftungsrichtlinie?

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DOI: 10.1007/s00350-014-3697-0

EuGH-Vorlage: Verstoßen die Weiterentwicklungen der AMG-Haftung seit dem 30. Juli 1985 gegen die EU-Produkthaftungsrichtlinie?

AMG §§ 84 Abs. 2, 84a; Richtlinie 85/374/EWG Art. 13; ProdHaftG § 15

Zur europarechtlichen Zulässigkeit der Weiterent-wicklungen des nationalen arzneimittelrechtlichen Haftungssystems im Lichte der EU-Produkthaftungs-richtlinie. (Leitsatz des Bearbeiters)BGH, Beschl. v. 6. 5. 2013 – VI ZR 328/11 (KG)

Problemstellung: Der BGH hat sich in den letz-ten Jahren wiederholt mit der Haftung aus dem Arz-neimittelgesetz befassen müssen. Die zentrale Norm der AMG-Haftung ist § 84 AMG. Die AMG-Haftung trat als Reaktion auf den Contergan-Fall im Jahre 1978 in Kraft – und damit weit vor der EU-Produkthaftungs-richtlinie aus dem Jahre 1985.

In Kenntnis der deutschen Sonderbestimmungen zur Arzneimittelhaftung stellt Art. 13 der EU-Produkthaf-tungsrichtlinie klar, dass Ansprüche von Geschädigten aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung durch diese Richtlinie nicht berührt werden. Mit dieser „besonderen Haftungsregelung“ war seinerzeit die deut-sche AMG-Haftung gemeint.

Die AMG-Haftung wurde vom deutschen Gesetzge-ber anschließend – als Reaktion auf den Blutpro dukte-skan dal der 1980er Jahre – weiterentwickelt und ver-schärft. Dies geschah im Wesentlichen durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschrif-ten (G. v. 19. 7. 2002, BGBl. I S. 2674). Dadurch wurde die AMG-Haftung u. a. um eine Kausalitätsvermutung und einen Auskunftsanspruch ergänzt. Diese Weiterentwick-lungen bilden den Kern dieser EuGH-Vorlage des BGH.

Mit dem Vorlagebeschluss fragt der BGH den EuGH, ob die Weiterentwicklungen der AMG-Haftung seit Be-kanntgabe der Produkthaftungsrichtlinie mit EU-Recht vereinbar sind. In der Literatur wurde diese Frage schon früh kontrovers diskutiert (s. Koyuncu, Haftung aus dem Arzneimittelgesetz, in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler [Hrsg.], Produzentenhaftung, Kza. 3800/3825, S.  4 ff., m. Literaturübersicht und Folgefragen zum Verhältnis der Haftung aus AMG und ProdHaftG).

Die Konformität der Weiterentwicklungen der AMG-Haftung mit EU-Recht wurde in der Rechtspre-chung bisher nicht in Frage gestellt. Dabei haben der BGH und die Instanzgerichte seit Inkrafttreten dieser Weiterentwicklungen eine Reihe von Fällen zur AMG-Haftung entschieden, in denen es auch um die Kausa-litätsvermutung und den Auskunftsanspruch ging. Die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit der Weiter-entwicklungen und damit der aktuell geltenden AMG-Haftung ist ersichtlich von erheblicher Bedeutung für die Praxis der Arzneimittelhaftung in Deutschland.

Zum Sachverhalt: Die Kl. nimmt die Bekl., ein pharmazeuti-sches Unternehmen, wegen einer Nebenwirkung des von der Bekl. vertriebenen Arzneimittels Levemir (ein Insulinpräparat) gemäß § 84

AMG auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ver-pflichtung der Bekl. zum Schadensersatz in Anspruch. In der Folge der 2004 – bis zur Umstellung auf ein anderes Insulinpräparat im Juni 2006 – ärztlich verordneten Anwendung von Levemir kam es bei der Kl., die als Diabetikerin bereits zuvor langjährig mit einem an-deren Insulinpräparat behandelt worden war, zu einer Lipoatrophie (Schwund des subkutanen Fettgewebes im Bereich der Einstichstel-len). Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist der von der Kl. im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemachte Auskunftsanspruch gemäß § 84 a AMG betreffend Nebenwirkungen und weitere Wirkungen des Arzneimittels Levemir, soweit sie eine Lipoatrophie betreffen.

Das LG Berlin hat der Auskunftsklage durch Teilurteil v. 25. 8. 2010 – 23 O 176/08 – stattgegeben. Das KG – Berufungsgericht – hat die dagegen gerichtete Berufung der Bekl. mit Urt. v. 30. 8. 2011 – 13 U 44/10 – zurückgewiesen. Dagegen wendet sich diese mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Vorlagebeschluss: I. Das Verfahren wird ausgesetzt.II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur

Auslegung von Art.  13 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haf-tung für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr.  L 210 vom 07/08/1985 S. 0029–0033, folgende Fragen zur Vorabent-scheidung vorgelegt:

Ist Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG dahin auszule-gen, dass die deutsche Arzneimittelhaftung als „besondere Haftungsregelung“ durch diese Richtlinie allgemein nicht berührt wird, mit der Folge, dass das nationale arznei-mittelrechtliche Haftungssystem weiterentwickelt werden kann

oderist die Regelung dahin zu verstehen, dass die zum Zeit-

punkt der Bekanntgabe der Richtlinie (30. Juli 1985) beste-henden arzneimittelrechtlichen Haftungstatbestände nicht ausgedehnt werden dürfen?

Aus den Gründen: [3] II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates v. 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr.  L 210 v. 07/08/1985 S. 0029–0033, ab (vgl. unten 3). Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfah-ren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

[4] 1. Nach Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG werden die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vor-schriften über die vertragliche und außervertragliche Haf-tung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsrege-lung geltend machen kann, durch diese Richtlinie nicht berührt.

§ 15 ProdHaftG bestimmt:

„(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbe-reich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, je-mand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt, so sind die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden.

(2) Eine Haftung aufgrund anderer Vorschriften bleibt unbe-rührt.“

Bearbeitet von Rechtsanwalt und Arzt Dr. iur. Dr. med. Adem Koyuncu, Partner der Kanzlei COVINGTON & BURLING LLP, Kunstlaan 44, B-1040 Brüssel, Belgien

R E C H T S P R E C H U N G

MedR (2014) 32: 299–302 299

§ 84 AMG (in der hier maßgeblichen Fassung) lautet:

„(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht uner-heblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn

1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkennt-nissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hi-nausgehen oder

2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeich-nung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation einge-treten ist.

(2) Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenhei-ten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist. Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich nach der Zusammensetzung und der Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungs-gemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung spre-chen. Die Vermutung gilt nicht, wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Ein anderer Umstand liegt nicht in der Anwendung weiterer Arzneimittel, die nach den Ge-gebenheiten des Einzelfalls geeignet sind, den Schaden zu verursachen, es sei denn, dass wegen der Anwendung dieser Arzneimittel Ansprüche nach dieser Vorschrift aus anderen Gründen als der fehlenden Ursächlichkeit für den Schaden nicht gegeben sind.

(3) Die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 ist ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels ihre Ursache nicht im Bereich der Entwicklung und Herstellung haben.

§ 84 a AMG (in der hier maßgeblichen Fassung) trifft fol-gende Regelung:

„(1) Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen, es sei denn, dies ist zur Feststellung, ob ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 besteht, nicht erforderlich. Der Anspruch richtet sich auf dem pharmazeu-tischen Unternehmer bekannte Wirkungen, Nebenwirkun-gen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können. Die §§ 259 bis 261 des Bürgerlichen Gesetz-buchs sind entsprechend anzuwenden. Ein Auskunftsan-spruch besteht insoweit nicht, als die Angaben auf Grund gesetzlicher Vorschriften geheim zu halten sind oder die Ge-heimhaltung einem überwiegenden Interesse des pharmazeu-tischen Unternehmers oder eines Dritten entspricht.

(2) Ein Auskunftsanspruch besteht unter den Voraussetzun-gen des Absatzes 1 auch gegenüber den Behörden, die für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln zuständig sind. Die Behörde ist zur Erteilung der Auskunft nicht ver-pflichtet, soweit Angaben auf Grund gesetzlicher Vorschriften geheim zu halten sind oder die Geheimhaltung einem über-wiegenden Interesse des pharmazeutischen Unternehmers oder eines Dritten entspricht.“

[5] Die Verschuldensvermutung [gemeint ist die „Kausali-tätsvermutung“, Anm. d. Bearb.] in § 84 Abs. 2 AMG und der Auskunftsanspruch gemäß § 84 a AMG sind durch das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz v. 19. 7. 2002 (BGBl. I S. 2674) eingeführt worden und am 1. 8. 2002 in Kraft getreten.

[6] 2. Der Gerichtshof hat noch nicht entschieden, ob § 84 Abs. 2 AMG und § 84 a AMG gegen die Richtlinie 85/374/EWG verstoßen. Die richtige Auslegung der Richtlinie ist insoweit auch nicht offenkundig. Bereits die Frage, ob der Regelungsbereich der Richtlinie sich auf die Haftungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes erstreckt, ist umstritten.

[7] a) Im Erwägungsgrund 13 S. 3 der Richtlinie 85/374/EWG heißt es: „Soweit in einem Mitgliedstaat ein wirksa-mer Verbraucherschutz im Arzneimittelbereich auch bereits durch eine besondere Haftungsregelung gewährleistet ist, müssen Klagen aufgrund dieser Regelung ebenfalls weiter-hin möglich sein.“ Die Haftung nach dem Arzneimittelge-setz war die einzige besondere Haftungsregelung, die bei der Bekanntgabe der Richtlinie am 30. 7. 1985 bestand (vgl. Wandt, VersR 1998, 1059, 1063; Kullmann, ProdHaftG, 6. Aufl., § 15, Rdnr. 2).

[8] b) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Eu-ropäischen Union besteht das Ziel der Richtlinie 85/374/EWG, wie aus dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, in einer Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Haftung des Herstellers für Schäden, die durch die Fehlerhaftigkeit seiner Produkte verursacht worden sind (vgl. EuGH, Urt. v. 21. 12. 2011 – C-495/10  –, VersRAI 2012, 34, Rdnr.  19 – Dutrueux). Die von der Richtlinie 85/374/EWG errichtete harmo-nisierte Regelung der Haftung von Herstellern für durch fehlerhafte Produkte verursachte Schäden trägt dem Ziel Rechnung, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsbeteiligten zu gewährleisten, den freien Warenverkehr zu erleichtern und einen unterschiedlichen Verbraucherschutz zu vermeiden. Die vom Unionsgesetz-geber vorgenommenen Abgrenzungen des Geltungsbe-reichs dieser Richtlinie sind das Ergebnis einer komplexen Abwägung unter anderem dieser verschiedenen Interessen (vgl. EuGH, Urt. v. 21. 12. 2011 – C-495/10  –, a. a. O., Rdnr. 22 m. w. N.).

[9] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Rege-lung der Haftung für fehlerhafte Produkte zur Gänze von der Richtlinie 85/374/EWG selbst festgelegt und ist aus deren Wortlaut, Zweck und Systematik abzuleiten (vgl. EuGH, Urtt. v. 25. 4. 2002 – C-183/00 –, EWS 2002, 275, Rdnrn. 23 ff. – González Sánchez – inhaltsgleich mit den beiden weiteren Urteilen von dem Tag C-52/00 [EWS 2002, 277] und C-154/00 [EWS 2002, 280]; v. 10. 1. 2006 – C-402/03 –, NJW 2006, 1409, Rdnr. 22 m. w. N. – Skov und Bilka; v. 4. 6. 2009 – C-285/08 –, EuZW 2009, 501, Rdnr. 20 – Moteurs Leroy Somer). Danach bezweckt die Richtlinie für die darin geregelten Punkte eine vollstän-dige Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvor-schriften der Mitgliedstaaten. Jedoch soll die Richtlinie, wie aus ihrem 18. Erwägungsgrund hervorgeht, nicht den Bereich der Haftung für fehlerhafte Produkte über die be-treffenden Punkte hinaus abschließend harmonisieren (vgl. EuGH, Urtt. v. 10. 1. 2006 – C-402/03 –, a. a. O., Rdnrn.

Rechtsprechung300 MedR (2014) 32: 299–302

23, 33; v. 4. 6. 2009 – C-285/08 –, a. a. O., Rdnrn. 21, 25; v. 21. 12. 2011 – C-495/10 –, VersRAI 2012, 34, Rdnrn. 20 f. – Dutrueux).

[10] Der Gerichtshof hat nach einer Untersuchung des Wortlauts, des Zwecks und der Systematik der Richtlinie 85/374/EWG entschieden, dass deren Art. 13 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er den Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, eine allgemeine Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte beizubehalten, die von der in der Richtlinie vorgesehenen Regelung abweicht (vgl. EuGH, Urtt. v. 10. 1. 2006 – C-402/03 –, NJW 2006, 1409, Rdnr. 39 m. w. N. – Skov und Bilka; v. 4. 6. 2009 – C-285/08  –, EuZW 2009, 501, Rdnr. 22 – Moteurs Leroy Somer). Er hat weiter entschieden, dass Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG dahin auszulegen ist, dass die durch diese einge-führte Regelung die Anwendung anderer Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung nicht aus-schließt, sofern diese – wie die Haftung für verdeckte Män-gel oder für Verschulden – auf anderen Grundlagen beruht (vgl. EuGH, Urtt. v. 10. 1. 2006 – C-402/03 –, NJW 2006, 1409, Rdnr. 47 m. w. N.;. 4. 6. 2009 – C-285/08 –, a. a. O., Rdnr. 3).

[11] Die Bezugnahme in Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG auf die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie be-stehenden besonderen Haftungsregelung geltend machen kann, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß dem Erwägungsgrund 13 S. 3 dieser Richtlinie dahin zu verstehen, dass damit auf eine besondere Regelung abge-stellt wird, die auf einen bestimmten Produktionssektor begrenzt ist. Dagegen ist davon auszugehen, dass eine Re-gelung der Herstellerhaftung, die auf derselben Grundlage beruht wie die durch die Richtlinie 85/374/EWG einge-führte Regelung und nicht auf einen bestimmten Produk-tionssektor begrenzt ist, unter keine der Haftungsregelun-gen fällt, auf die Art. 13 Bezug nimmt (vgl. EuGH, Urt. v. 25. 4. 2002 – C-183/00 –, EWS 2002, 275, Rdnrn. 32 f. m. w. N. – González Sánchez).

[12] c) Ob Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG danach als Bereichsausnahme für die deutsche Arzneimittelhaf-tung zu verstehen ist, ist umstritten. Die Auslegung die-ser Vorschrift ist unstreitig, soweit es darum geht, dass Deutschland die produkthaftungsrechtlichen Regelungen im Arzneimittelgesetz beibehalten durfte (vgl. Riedel/Karpenstein, MedR 1996, 193, 194; Wandt/Geiger, PHi 2004, 234, 236). Zum Teil wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, von der Richtlinie 85/374/EWG bleibe nicht die deutsche Arzneimittelhaftung schlechthin ausgenom-men, sondern lediglich ihr zum Stichtag des 30. 7. 1985 geltender Haftungsbestand (vgl. Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann [Hrsg.], AMG, 2012, Vorb. §§ 84–94a, Rdnr.  11; Riedel/Karpenstein, MedR 1996, 193, 195; s. auch Kullmann, in: FS f. Steffen, 1995, S. 247, 252). Der Gerichtshof habe deutlich gemacht, dass Ausnahmetatbe-stände in der Richtlinie mit Rücksicht auf die angestrebte vollständige Harmonisierung und die volle Wirksamkeit der europarechtlichen Regelung eng auszulegen seien (vgl. Brock/Stoll, a. a. O.). In diesem Zusammenhang ist auch die Vereinbarkeit des § 15 ProdHaftG mit Art.  13 der Richtlinie 85/374/EWG streitig. Die Kommission hat § 15 ProdHaftG allerdings nicht beanstandet (vgl. Wagner, in: MüKo/BGB, 5. Aufl., § 15 ProdHaftG, Rdnr. 6; Voit, in: Dieners/Reese [Hrsg.], Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 13, Rdnr. 6).

[13] Nach einer anderen Auffassung im Schrifttum ist Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG als Bereichsausnah-me für die Arzneimittelhaftung gemäß §§ 84 ff. AMG zu verstehen (vgl. Handorn, in: Fuhrmann/Klein/Fleisch-fresser [Hrsg.], Arzneimittelrecht, 2010, § 27, Rdnr. 85; Hart: in FS f. Reich, 1997, S. 701, 711 ff.; Krause, in: So-ergel, BGB, 13. Aufl., § 15 ProdHaftG, Rdnr. 1; Wandt,

VersR 1998, 1059, 1063; s.  auch Wagner, MüKo/BGB, 5.  Aufl., § 15 ProdHaftG, Rdnrn. 6, 8 f.; kritisch ge-genüber § 15 ProdHaftG, aber für eine Konkurrenz der §§ 84 ff. AMG zum ProdHaftG Oechsler, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 15 ProdHaftG, Rdnr.  3). Da-für wird die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG angeführt. Danach sei die Bezugnahme in Art.  13 der Richtlinie 85/374/EWG auf die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie beste-henden besonderen Haftungsregelung geltend machen könne, dahin zu verstehen, dass damit auf eine besonde-re Regelung abgestellt werde, die auf einen bestimmten Produktionssektor begrenzt sei (vgl. Urt. v. 25. 4. 2002 – C-183/00 –, EWS 2002, 275, Rdnr. 32 m. w. N. – Gon-zález Sánchez). Demnach beziehe sich der Regelungsan-spruch der Richtlinie nicht auf diesen Produktionssektor (vgl. Wagner, in: MüKo/BGB, 5. Aufl., § 15 ProdHaftG, Rdnr. 9).

[14] 3. Umstritten ist auch, ob § 84 Abs.  2 AMG und § 84 a AMG mit der Richtlinie 85/374/EWG, insbesonde-re mit der Beweislastregelung des Art.  4 der Richtlinie, vereinbar sind (s. zu Art. 4: EuGH, Urtt. v. 25. 4. 2002 – C-183/00 –, EWS 2002, 275, Rdnr. 31 – González Sánchez; v. 4. 6. 2009 – C-285/08 –, EuZW 2009, 501, Rdnr. 19 – Moteurs Leroy Somer).

[15] a) Für § 84 Abs.  2 AMG nehmen einige Stimmen im Schrifttum einen Richtlinienverstoß an. § 84 Abs.  2 AMG sei nicht als Reduzierung des Beweismaßes zu ver-stehen und stelle auch keine Form des Anscheinsbeweises dar. Denn die Vorschrift spalte den Kausalitätsnachweis in unterschiedliche Teilbereiche auf und ordne in § 84 Abs. 2 S. 1 AMG eine Kausalitätsvermutung an (vgl. Brock/Stoll, a. a. O., Rdnrn. 12 f. m. w. N.; s. auch Wagner, in MüKo/BGB, 5. Aufl., § 15 ProdHaftG, Rdnr. 8). Die Gegenansicht stellt darauf ab, dass es sich bei § 84 Abs. 2 AMG nicht um eine Beweislastumkehr im technischen Sinne handele (Hie-ke, a. a. O., S.  253). Die strukturelle Nähe der Vorschrift zum Anscheinsbeweis spreche vielmehr dafür, § 84 Abs. 2 AMG dem Bereich der Beweiserleichterungen zuzuord-nen, deren Regelung dem nationalen Recht der Mitglied-staaten überlassen sei (vgl. Geiger, a. a. O., S. 381 f.; Hieke, a. a. O.; s. auch Kullmann, in: FS f. Steffen, 1995, S. 247, 252 ff.; Wandt/Geiger, PHi 2004, 234, 238; s. zu früheren Reformansätzen bei der Richtlinie den Bericht der Kom-mission über ihre Anwendung v. 31. 1. 2001, KOM(2000) 893 endg., S. 14 ff.).

[16] b) § 84 a AMG verstößt nach der Ansicht des überwiegenden Schrifttums nicht gegen die Richtlinie 85/374/EWG (vgl. Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hof-mann [Hrsg.], Arzneimittelgesetz, 2012, Vorb. §§ 84–94a, Rdnr.  12; Geiger, Deutsche Arzneimittelhaftung und EG-Produkthaftung, 2006, S. 382; Hieke, Die Informa-tionsrechte geschädigter Arzneimittelverbraucher, 2003, S.  254; Wandt/Geiger, PHi 2004, 234, 239). Die Pro-dukthaftungsrichtlinie kenne einen solchen Auskunfts-anspruch nicht und treffe darüber auch keine Aussage. Der Auskunftsanspruch schaffe oder modifiziere kei-ne Anspruchsvoraussetzungen. Er ändere nichts an der grundsätzlichen Risikoverteilung im Haftungsprozess. Vielmehr diene er der prozessualen Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs. Hinsichtlich prozessrechtlicher Fragen seien die Mitgliedstaaten – mit Ausnahme der Be-weislastverteilung (Art.  4 der Richtlinie 85/374/EWG) sowie im Hinblick auf das Beweismaß für den Fehlerbe-reichsnachweis (Art.  7 Buchst. b der Richtlinie 85/374/EWG) – in ihrer Gesetzgebung frei (Geiger, a. a. O.; Hie-ke, a. a. O.). Dagegen wird der Standpunkt vertreten, der Auskunftsanspruch störe den mit der Richtlinie beabsich-tigten Interessenausgleich und sei deshalb mit dieser nicht zu vereinbaren (vgl. Wagner, in: MüKo/BGB, 5.  Aufl.,

Rechtsprechung MedR (2014) 32: 299–302 301

§ 15 ProdHaftG, Rdnr. 8; s. auch Erwägungsgrund 7 der Richtlinie; EuGH, Urt. v. 21. 12. 2011 – C-495/10  –, VersRAI 2012, 34, Rdnr.  22 m. w. N. – Dutrueux; Be-richt der Kommission v. 14. 9. 2006 über die Anwendung der Richtlinie, KOM(2006) 496 endg., S. 6 ff., 9 f.; Bericht v. 8. 9. 2011, KOM(2011) 547 endg. S. 8, 12 f.).

[17] c) Da die vorgenannten Auslegungsfragen streitig sind, ist eine Vorlage an den Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV im Fall der Entscheidungs-erheblichkeit zulässig (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Art. 267, Rdnrn. 57 f.). Denn im Fall des Richtlinienver-stoßes wäre eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zu prüfen (vgl. Voit, in: Dieners/Reese [Hrsg.], Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 13, Rdnr. 6; zur richtlinienkonfor-men Rechtsfortbildung s. BGH, Urtt. v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05 –, BGHZ 179, 27, Rdnrn. 19 ff.; v. 24. 8. 2010 – EnVR 17/09 –, NVwZ-RR 2011, 55; v. 21. 12. 2011 – VIII ZR 70/08 –, BGHZ 192, 148, Rdnr. 30; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das Recht der Europä-ischen Union, Art. 288, Rdnrn. 133 ff. [Stand: 2012]; zur Zulässigkeit einer Vorlage s. EuGH, Urt. v. 17. 4. 2008  – C-404/06  –, NJW 2008, 1433, Rdnrn. 18 ff. – Quelle; BGH, Beschl. v. 16. 8. 2006 – VIII ZR 200/05  –, NJW 2006, 3200, Rdnrn. 12, 16, 26; kritisch Lorenz, NJW 2006, 3202, 3203; nach Auffassung von Brock/Stoll, a. a. O., Rdnr. 13 a. E., hätte ein Richtlinienverstoß zur Folge, dass § 84 Abs. 2 AMG nicht anwendbar wäre).

[18] 4. Der Senat hält die Revision bei Anwendung des § 84 a AMG für unbegründet. Das Urteil des Berufungsge-richts ist, sofern § 84 a AMG angewendet werden darf, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Liegt ein Richtlini-enverstoß vor, kann § 84 a AMG hingegen nicht angewendet werden, so dass der Auskunftsklage nicht – wie bisher ge-schehen – stattgegeben werden kann, das angefochtene Ur-teil auf Revision also aufgehoben werden muss. Der Erfolg der Revision hängt daher von der Auslegung des Art. 13 der Richtlinie 85/374/EWG durch den Gerichtshof ab.

Selbständiges Beweisverfahren in Arzthaftungssachen

ZPO § 485 Abs. 2

Ein rechtliches Interesse an einer vorprozessualen Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für einen Gesundheitsschaden durch einen Sachver-ständigen kann im selbständigen Beweisverfahren auch dann gegeben sein, wenn zwar die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, jedoch für eine abschließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen.BGH, Beschl. v. 24. 9. 2013 – VI ZB 12/13 (OLG Dresden)

Problemstellung: Zulässigkeit und Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungs-sachen sind seit Einführung der Regelung des § 485 ZPO umstritten. Im Ausgangspunkt sind das selbstän-dige Beweisverfahren wegen drohenden Verlustes des Beweismittels (§ 485 Abs.  1 ZPO) sowie die vorpro-zessuale Begutachtung bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses an den gesetzlich präzisierten Feststellungen (§ 485 Abs.  2 ZPO) zu unterscheiden. Der Zweck des selbständigen Beweisverfahrens liegt in der Vermeidung

und Beschleunigung von Prozessen. Die angestrebte prozessökonomische Wirkung wird nicht immer erzielt. Gleichwohl dürfen abstrakte oder konkret am Fall orien-tierte Zweckmäßigkeitserwägungen nicht an die Stelle einer Zulässigkeitsprüfung nach Maßgabe der gesetz-lichen Vorgaben treten. Für den Bereich der Arzthaf-tungssachen hat dies der VI. Zivilsenat des BGH im Jahr 2003 betont und entgegen einer zuvor verbreiteten Auf-fassung in Rechtsprechung und Schrifttum ein rechtli-ches Interesse an einer vorprozessualen Beweissicherung grundsätzlich anerkannt (BGH, MedR 2003, 405). Die weiteren Voraussetzungen des § 485 Abs.  2 ZPO wa-ren jedoch nicht Gegenstand der Entscheidung, weshalb eine Diskussion um die Reichweite der einer Begutach-tung zugänglichen Beweisthemen entbrannte. Die ak-tuelle Entscheidung des VI. Zivilsenats betrifft diesen Problemkreis und eröffnet die Frage nach hinreichend konkretisierten Behandlungsfehlern und deren etwaiger Einstufung als grob i. S. der vom BGH entwickelten De-finition des groben Behandlungsfehlers.

Zum Sachverhalt: Der Ast. begehrt im selbständigen Beweisver-fahren die Begutachtung einer am 25. 11. 2009 im Klinikum der Ag. gelegten PEG-Sonde und deren anschließender Belassung bis zum 15. 12. 2009. Der Ast. hielt sich vom 20.11. bis 15. 12. 2009 in der Ein-richtung der Ag. zur stationären Behandlung nach einer Herzoperati-on und Rehabilitation auf. Nachdem er anfänglich mittels einer durch die Nase geführten Sonde ernährt und künstlich beatmet worden war, wurde ihm am 25. 11. 2009 eine PEG-Sonde gelegt. Nach stetiger Verschlechterung seines Zustandes wurde er am 16. 12. 2009 in ei-ner Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie notoperiert. Aus dem Operationsbericht ergibt sich, dass es infolge der PEG-Sonde zu einer Magenperforation gekommen war. Nach Durchführung des Schlich-tungsverfahrens vor der zuständigen Landesärztekammer beantragte der Ast. im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Sachver-ständigengutachten zur Klärung folgender Fragen einzuholen.

(1.) ob die am 25. 11. 2009 von der Ast. durch ihre Mitarbeiter vorgenommene Verlegung einer PEG-Sonde in den Körper des Ast. medizinisch indiziert war oder nicht, insbesondere ob Kontraindika-tionen beim Ast. vorlagen,

(2.) ob die zu 1. erwähnte Verlegung der PEG-Sonde objektiv feh-lerhaft erfolgte,

bejahendenfalls:worin der oder die Fehler bestanden,(3.) ob eine zu Ziffer 2 festgestellte etwaige Fehlerhaftigkeit der

Sondenverlegung durch einen Behandlungsfehler der Ag. verursacht worden ist,

hilfsweise für den Fall fehlender Aufklärbarkeit:ob die Verlegung einer PEG-Sonde zur Ernährung dergestalt, dass

– wie dies beim Ast. geschehen ist – große Mengen Sondennahrung frei in den Bauchraum gelangen, ohne das Walten eines oder mehre-rer Behandlungsfehler überhaupt möglich oder denkbar ist,

(4.) ob das Verstreichen eines Zeitraums vom 25. 11. 2009 bis zum 25. 12. 2009, in dem die PEG-Sonde im Bauchraum des Ast. lag an-statt im Magen, ohne dass dies von der Ag. festgestellt worden wäre, die Folge von Behandlungsfehlern ist, ob also eine unzureichende Verlaufsbeobachtung erfolgt ist,

bejahendenfalls,wann der Sachverhalt hätte festgestellt werden müssen,(5.) ob zu Ziffer 2 oder 4 festgestellte etwaige Behandlungsfehler

in einer Art und Weise gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben und mit Fehlern verbunden waren, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.

Die Ag. ist der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ent-gegengetreten und hat angekündigt, unabhängig von dessen Ausgang einen Behandlungsfehlervorwurf in keinem Fall anerkennen zu wollen.

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Das OLG hat die dage-gen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

Aus den Gründen: [15] II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Bearbeitet von RiLG Dr. iur. Alexander Walter, Landgericht Koblenz, Karmeliterstraße 14, 56068 Koblenz, Deutschland

Rechtsprechung302 MedR (2014) 32: 302–304