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Europäisches Medienrecht WS 2017/18 Europa Universität Viadrina Dr Matthias Traimer [email protected]

Europa Universität Viadrina · Ziele des Medienrechts Medienrecht als Querschnittsmaterie – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Regulierung der Medien als vornehmlich

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Europäisches Medienrecht WS 2017/18 Europa Universität Viadrina

Dr Matthias Traimer [email protected]

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Einführung; Zielsetzungen des europäischen Medienrechts

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Ziele des Medienrechts

Medienrecht als Querschnittsmaterie – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene

Regulierung der Medien als vornehmlich nationale Angelegenheit angelegt.

Aufgrund der Internationalisierung der Verbreitungswege (insb Satellit, Internet) und des Handels mit Kultur- und Medien (als Waren und Dienstleitungen) – medienrelevante Rechtsvorschriften in einer Vielzahl von europäischen und internationalen Übereinkommen.

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Ziele des Medienrechts

• Menschenrechtsschutz: insb Kommunikations – freiheit; Menschenwürde; Privatsphäre; Eigentum

• Demokratiepolitische Dimension: Schutz der Medienfreiheit als zentrale Grundlage der Demokratie und einer freien pluralistischen Gesellschaft

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Ziele des Medienrechts

• Wirtschaftsrechtliche Dimension: Medien als bedeutender internationaler und europäischer Wirtschaftsfaktor (zB Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit im EU- Binnenmarkt und weltweit; Sicherung fairen Wettbewerbs)

• Kulturpolitische Dimension: Pluralismus der Anbieter, Inhalte und Quellen; nationale und regionale Identität durch Medien

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Europäisches Medienrecht

Europäische Union:

Kein durchgängig harmonisierter Bereich – vielmehr ein Bündel von Maßnahmen

– Primärrecht: insbesondere Grundfreiheiten (zB Fernsehen =

Dienstleistung); Wettbewerbsrecht (zB öffentl. Rundfunkgebühren = Beihilfe); Grundrechtecharta (insb Meinungs- und Medienfreiheit; Datenschutz – Art 11 und Art 8 GRC)

– Sekundärrecht: insb Richtlinien zB für audiovisuelle Medien, Urheberrecht, Datenschutz, Telekommunikation…; Entscheidungen der Kommission in Wettbewerbsangelegenheiten (zB Strafen bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung)…

Dr. Matthias TRAIMER

Ziele des Medienrechts

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Ziele des Medienrechts

Im Vordergrund freiheitlich-demokratischer Systeme:

Freiheit der Medien als Wesensbaustein einer Demokratie.

„Freie Medien sind Voraussetzung für öffentliche Kommunikation und die Herausbildung der öffentlichen Meinung, somit unerlässlich dafür, dass der Einzelne von seinen individuellen Rechten auf Information und zur Information Gebrauch machen kann.“

„Freie Medien erfüllen eine wichtige, für die Demokratie unverzichtbare Aufgabe, wenn sie über gemeinschaftswichtige Angelegenheiten informieren und den gesellschaftlichen Meinungen Raum geben oder als „public watchdog“ demokratische Kontrollaufgaben erfüllen.“

©Walter Berka

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Ziele des Medienrechts

• Freie Medien als Multiplikatorfunktion der öffentlichen Meinungsbildung

• Medienvielfalt als Grundbedingung der individuellen Meinungsbildung

Grundvoraussetzung: Freiheit der Meinungsbildung, der Äußerung, des Informationsempfangs und der Informationssuche

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Kommunikationsfreiheiten insb. Meinungsfreiheit

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Menschenrechtliche Schutzdimensionen der Kommunikation – Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 19 Abs. 2 IPbürgR, Art. 10 Abs. 1

EMRK, Art. 13 AMRK, Art. 9 Abs. 2 AfrMRK) – Meinungsfreiheit, (Art. 19 Abs. 1 IPbürgR, Art. 10 Abs. 1 EMRK) – Informationsfreiheit (Beschaffung: Art. 19 Abs. 1 IPbürgR, Art. 13

AMRK; Empfang und Weitergabe: Art. 19 Abs. 1 IPbürgR, Art. 10 EMRK, Art. 13 AMRK, Art. 9 Abs. 1 AfrMRK)

– Gedankenfreiheit (Art. 18 IPbürgR, Art. 9 EMRK, Art. 13 AMRK) – Recht auf Achtung der Privatsphäre (Art. 17 IPbürgR, Art. 10 EMRK,

Art. 11 Abs. 2 AMRK) und der Korrespondenz (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 11 Abs. 2 AMRK)

– Versammlungsfreiheit (Art. 22 IPbürgR) – erwerbsbezogenen Rechte der Internet Service Provider (Art. 6 und 7

IPWSKR)

Kommunikationsfreiheiten

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Kommunikationsfreiheiten

„free flow of information“ und Informationsfreiheit

Anspruch der Staaten gegenüber dritten Staaten auf grenzüberschreitenden Informationsfluss (free flow of information) als VR-Prinzip? - umstritten

Anspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat auf Zugang zu allgemein zugänglichen Informationen (Äußerungs-/Informations-freiheit): Internationale Instrumente mit unterschiedlicher rechtlicher Qualität und Durchsetzungsmechanismen

• Art 19 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

• Art 19 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

• Art 13 Amerikanische Menschenrechtskonvention

• Art 9 Afrikanische Menschenrechtskonvention

• Art 10 Europäische Menschenrechtskonvention

• Art 11 Grundrechtecharta der EU

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Kommunikationsfreiheiten

Global: Art. 19 Intern. Pakt über bürgerliche und politische Rechte

(1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. (2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. (3) Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind

a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. Nach Art 20 IPbpR verboten: Eintreten für Kriegspropaganda, nationalen, rassischen oder religiösen Hass, wodurch tz Diskriminierung und Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird Durchsetzung: Staatenbeschwerde; Individualbeschwerde (nur fakultativ) Opinions des UN-Menschenrechtsausschusses

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Art. 10 EMRK

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.

(2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.

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„Das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit ist ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft, eine der Grundvoraussetzungen für deren Fortschritt und für die Entfaltung eines jeden Einzelnen“

EGMR 7.12.1976, Handyside / UK

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Kommunikationsfreiheiten

Freiheit „der Medien“ auf verfassungsrechtlicher Ebene (DE) zum Teil angesprochen im Zusammenhang mit dem Grundrecht

auf Meinungsfreiheit:

Art 5 GG (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht

statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen

Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

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Medienfreiheit wird in Art 10 EMRK nicht wörtlich angesprochen.

Art 10 EMRK schützt die individuelle Freiheit (so auch der Medienunternehmer, Journalisten etc)

Art 10 EMRK enthält aber (im Unterschied zu Art 5 GG) keine institutionelle Garantie für die Medien.

Aber: Die besondere Funktion der Medien für die demokratische Gesellschaft wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Eingriffen (im Rahmen des Art 10 EMRK) berücksichtigt (insbesondere „public watchdog“-Funktion).

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Kommunikationsfreiheiten

EGMR:

Der Presse kommt eine unverzichtbare Funktion für eine liberale und pluralistische Gesellschaft zu. Ihre Aufgabe ist es nicht nur, Nachrichten und Ideen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu verbreiten, sondern auch Missstände für die Öffentlichkeit im Sinne eines „public watchdog“ aufzudecken.

= stRsp seit EGMR 7.12.1976, Handyside/UK; EGMR 26.11.1991, (Sunday Times/UK, Nr. 2)

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Kommunikationsfreiheiten

In Deutschland steht die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (vgl Art 59 Abs 2 GG), ist jedoch bei der Auslegung des Grundgesetzes heranzuziehen.

– BVerfGE 74, 358 [370]: ".... Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt, eine Wirkung, die die Konvention indes selbst ausgeschlossen wissen will (Art. 60 EMRK). Deshalb dient insoweit auch die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes.„

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Kommunikationsfreiheiten

Unzulässigkeit auf EMRK gestützter Verfassungsbeschwerden:

BVerfGE 64, 135 [157] „…Auf eine behauptete Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention kann die Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nicht am Maßstab der in der Menschenrechtskonvention enthaltenen Garantien [eines fairen Verfahrens Art 6 MRK].“

Anrufung des EGMR durch Individualbeschwerde nach Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges

BVerfG: Urteile des EGMR feststellend, nicht kassatorisch!

Aber: § 359 Nr 6 StPO und § 580 Nr 8 ZPO = Wiederaufnahme wenn Urteil auf Konventionswidrigkeit beruht!

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Kommunikationsfreiheiten

Strafprozeßordnung (StPO) § 359 Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten

Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig,

1.wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war;

2.wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat;

3.wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlaßt ist;

4.wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist;

5.wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind,

6.wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

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EU: Art. 11 Grundrechtecharta (spricht in Abs 2 die „Medien“ an)

Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.

Beachte:

Nur „Achtung“, nicht „Gewährleistung“ – keine Kompetenz der EU für Medienpluralismus (fällt in Kompetenz der MSI

GRC verpflichtet Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union sowie Mitgliedstaaten bei der „Durchführung des Rechts der Union.“ (Unterschied zu Art 10 EMRK!)

Kommunikationsfreiheiten

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Kommunikationsfreiheiten

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte und Art 10 EMRK Judikatur auf Grund individueller Beschwerden nach

Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs

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Kommunikationsfreiheiten

Nicht zu verwechseln mit European Court of Justice

(European Union), vornehmlich Vorabentscheidungsverfahren (ua Auslegung 11 GRC)

Gerichtshof der Europäischen Union

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Grundsätze und Judikatur-Beispiele zu Art 10 EMRK

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Art 10 EMRK

System des Art 10 EMRK

• Schutzbereich

• Schranken

• Schranken Schranken

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Art 10 EMRK

Schutzbereich/Schutzgegenstand

• Meinungs(bildungs)freiheit

• Meinungsäußerungsfreiheit

• Informationsfreiheit

• Presse- und Medienfreiheit

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Art 10 EMRK

Schutzbereich:

„Freiheit der Mitteilung (und des Empfangs) von Nachrichten und Ideen“

umschreibt einen weitest gezogenen Schutzumfang von Kommunikationsinhalten, gleichgültig ob es sich um subjektiv wertende Aussagen handelt oder um die Wiedergabe von Tatsachen und Informationen jeder Art.

Auch die Kommunikationsmittel sind vom Schutzbereich erfasst.

Schutzbereich ist inhaltlich neutral: keine Wertung auf dieser Ebene; inhaltliche Abwägung erfolgt erst auf Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung!

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Art 10 EMRK

Fallen zB auch rassistische Inhalte oder Hassrede unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit?

Rechtsmissbrauch gemäß Art 17 EMRK - Inhalte außerhalb des Schutzbereichs?

Art. 17 Verbot des Missbrauchs der Rechte

Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.

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Art 10 EMRK

EGMR: In einzelnen Fällen Heranziehung des Art 17 EMRK:

zB nationalsozialistische Wiederbetätigung, rassistische Inhalte, wurden vom Schutzbereich des Art 10 EMRK in einzelnen Fällen von vornherein ausgeschlossen (also keine Prüfung auf Eingriffsebene): zB 13.12.2005, WITZSCH/DE 10.11.2015, Dieudonné M’BALA/FR Aber Regelfall: Prüfung von Hassrede etc. erst auf Ebene des Art 10 Abs 2 EMRK:

zB 20.4.2010, Le PEN/FR (Zurückweisung wegen offensichtliche Unbegründetheit der Beschwerde)

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Beispiel Art 17 EMRK und Art 10 EMRK: EGMR 13.12.2005, WITZSCH/DE

• Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der deutschen Gerichte eine festgestellte geschichtliche Tatsache bezüglich der Verantwortung Hitlers und der NSDAP für den Holocaust geleugnet und damit das Andenken der Verstorbenen verunglimpft hat. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Gerichtshof Artikel 17 der Konvention, wonach Folgendes gilt:

• "[Die] Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist."

• Der Gerichtshof stellt fest, dass der allgemeine Zweck des Artikels 17 darin besteht, die Möglichkeit auszuschließen, dass Einzelpersonen ein Recht mit dem Ziel in Anspruch nehmen, Ideen zu fördern, die dem Wortlaut und dem Geist der Konvention zuwiderlaufen. Der Gerichtshof - und zuvor die Europäische Kommission für Menschenrechte - haben festgestellt, dass die in Artikel 10 der Konvention garantierte Meinungsfreiheit nicht entgegen Artikel 17 geltend gemacht werden darf, insbesondere in Fällen, in denen es um die Leugnung des Holocausts und damit zusammenhängende Fragen geht

Art 10 EMRK

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Beispiel Rassismus und Art 10 EMRK

EGMR 20.4.2010, Le Pen/F

• „[…]die Worte des Bf. [waren] mit Sicherheit dazu geeignet, ein negatives und sogar beunruhigendes Bild der »muslimischen Gemeinde« in ihrer Gesamtheit zu zeichnen. Mit seinen Aussagen hat er das französische Volk einer Gemeinschaft gegenübergestellt, deren religiöse Zugehörigkeit ausdrücklich genannt und deren starkes Wachstum als eine bereits präsente Gefahr für die Würde und Sicherheit der Franzosen dargestellt wurde. Der GH ist auch der Ansicht, dass die Worte des Bf. geeignet waren, ein Gefühl der Abweisung und Feindseligkeit gegenüber der betroffenen Gemeinschaft zu erzeugen. Die vom Bf. vorgebrachten Begründungen, mit denen er seine Worte stützen wollte, genügen nicht, um eine ausreichende Tatsachenbasis für das Werturteil darzustellen, das der Bf. mit seinen Aussagen abgab.

• In Anbetracht dessen waren die von den innerstaatlichen Gerichten herangezogenen Motive für die Verurteilung des Bf. stichhaltig und ausreichend. Auch die verhängte Strafe erscheint unter den gegebenen Umständen nicht unverhältnismäßig.“

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Art 10 EMRK

„Revisionistische“ Aussagen? EGMR 15.10.2015, Perincek/CH (Große Kammer)

Bestrafung eines türkischen Politikers in der Schweiz wegen Leugnung des Genozids an der armenischen Bevölkerung verstößt gegen Art 10 EMRK, da es nicht das Ziel des türkischen Politikers gewesen sei, Hass gegen die Armenier zu säen. Es sei nicht belegt worden, dass die Würde der in der Schweiz lebenden Armenier durch die Aussagen dadurch verletzt worden seien oder die Aussagen eine Gefahr für diese dargestellt hätten.

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Bedeutung des Urteils Perincek/CH für nationale Verbote der Holocaust-Leugnung (zB § 130 StGB)?

Nach dem EGMR besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Fällen der Leugnung des Holocaust, die der Gerichtshof regelmäßig als Ausdruck einer antidemokratischen Ideologie und von Antisemitismus beurteilte; vor allem Abstellen auf den historischen und geografischen Kontext:

“Holocaust denial is thus doubly dangerous, especially in States which have experienced the Nazi horrors, and which may be regarded as having a special moral responsibility to distance themselves from the mass atrocities that they have perpetrated or abetted by, among other things, outlawing their denial.“

Leugung des Holocaust, Wiederbetätigung etc wird vom EGMR der Schutz der Meinungsfreiheit stets versagt, entweder nach Art 10 (2) oder auf Grund Art 17 EMRK

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Art 10 EMRK

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Art 10 EMRK

• Das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit ist ein „Grundpfeiler“ einer demokratischen Gesellschaft, eine der Grundvoraussetzungen für deren Fortschritt und für die Entfaltung eines jeden Einzelnen (EGMR 7.12.1976, 5493/72, Handyside/UK, § 49).

• Weitestgezogener Schutz von Kommunikationsinhalten – umfasst Meinungen, Informationen, Nachrichten jeder Art, jeden Inhalts

• Gilt nicht nur für „Informationen“ oder „Ideen“, die Zustimmung finden oder als harmlos oder unerheblich betrachtet werden, sondern auch für solche, die verletzend, schockierend oder beunruhigend wirken. Dies gebieten nämlich der Pluralismus, die Toleranz und die Aufgeschlossenheit, ohne die es eine „demokratische Gesellschaft“ nicht geben kann (EGMR, ibid.)

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Eingriffe und Rechtfertigung in die Meinungsfreiheit

Voraussetzungen:

– Gesetz – muss allgemein zugänglich und bestimmt

sein, Eingriff vorhersehbar

– Legitimer Zweck

– Verhältnismäßig – „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ (Schranken Schranke)

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„Bestimmtheit“ eines Gesetzes, zB EGMR 29.3.2011, RTBF/Belgien Eine Norm stellt nur dann ein »Gesetz« iSv. Art 10 Abs. 2 EMRK dar,

wenn sie ausreichend bestimmt ist, sodass sie dem Bürger erlaubt, sein Verhalten danach zu richten: Es muss nach den Umständen des Einzelfalls in einem vernünftigen Grad möglich sein, die Konsequenzen eines konkreten Verhaltens vorherzusehen. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass die betroffene Person unter Umständen angehalten ist, sich angemessen darüber zu informieren, welche Folgen eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann. Dies gilt insbesondere für Fachleute, die es gewohnt sind, bei der Ausübung ihres Berufs mit besonderer Vorsicht vorgehen zu müssen. Von diesen kann auch erwartet werden, dass sie die bestehenden Risiken mit spezieller Sorgfalt abwägen.

(erhebliche Diskrepanz in Rechtsprechung der nationalen Gerichte führte zu Unvorhersehbarkeit des Eingriffs).

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EGMR CENGIZ ua gegen Türkei, 1.12.2015

• türkisches Gericht hatte von Mai 2008 bis Oktober

2010 die Zugangssperre zu Youtube angeordnet, da etwa ein Dutzend Videos als Beleidigung des Gründervaters der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, gewertet worden waren. Nach Auffassung des EGMR stellte diese Anordnung nicht nur einen Eingriff in die Informationsfreiheit des Einzelnen dar, sondern überschritt auch die türkischen Gesetze. Eine generelle Sperrung von Webseiten oder gar ganzen Portalen sei auch nach türkischem Recht nicht zulässig.

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EGMR, Cengiz u.a. v. TK, 1.12.2015 (Forts) Blockade der Youtube-Zugänge ohne rechtliche Grundlage verletzt das Recht zum Empfang und zur Verbreitung von Informationen Rn 52: Youtube ist [..] „ohne jeden Zweifel ein wichtiges Mittel zur Ausübung der Freiheit ist, Informationen und Ideen zu empfangen und weiterzugeben. Insbesondere wurden - wie die Bf. zurecht bemerkt haben - die von den traditionellen Medien ignorierten politischen Informationen oft über YouTube verbreitet, was das Aufkommen eines bürgerlichen Journalismus erlaubte. Unter diesem Gesichtspunkt gesteht der GH zu, dass die Plattform angesichts ihrer Merkmale, ihrer Zugänglichkeit und vor allem ihres potenziellen Einflusses einzigartig war und für die Bf. kein Äquivalent dazu existierte.“

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„legitimes Ziel“ des Eingriffs

Art 10 Abs 2 EMRK zählt die Gründe für Eingriffe abschließend (taxativ) auf:

„im Interesse der … territorialen Unversehrtheit, öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verbrechensverhütung, Schutzes der Gesundheit, Moral, Schutzes des guten Rufes, Rechte anderer, Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten, Unparteilichkeit der Rechtssprechung“

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Verhältnismäßigkeit

• Um dem Kriterium der Notwendigkeit zu genügen, bedarf es für jeden Eingriff eines „dringenden sozialen Bedürfnisses“ (EGMR, Handyside, § 48) das – insbesondere im Zusammenhang bei Einschränkungen innerhalb politischer Diskussionen und bei Eingriffen in die Pressefreiheit - „überzeugend“ nachgewiesen werden muss (EGMR Sunday Times No 2 / UK, § 50). Die Gründe für den Eingriff müssen daher nicht nur „relevant“, sondern auch „ausreichend“ sein, somit durch eine ausreichenden Faktenbasis belegt sein (zB EGMR Albert-Engelmann GmbH / Österreich, § 29)

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EGMR Ahmet Yildirim vs TR, 18. Dezember 2012:

Beschränkung des Internetzugangs als Verletzung des Art 10 EMRK

Internet ist heute eines der wichtigsten Mittel des Einzelnen für die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit

Komplette Sperrung des Zugang zu Google Sites unverhältnismäßig

Keine Prüfung ob weniger schwerer Eingriff hätte gesetzt werden können, durch den der Zugang nur zur gesetzwidrigen Website hätte gesperrt werden können.

Keine Interessenabwägung

Totalblockade widerspricht der Garantie des Art 10 EMRK "ohne Rücksicht auf Landesgrenzen"

Maßnahme willkürlich, weil auf Gesamtblockade von Google Sites

Nationales Recht enthält keine Garantie, dass nicht auch generelle Sperre zum Internet bewirkt werden kann

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Verhältnismäßigkeit

• Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit – insbesondere bei Abwägung Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz (zB Beleidigung) ist nach EGMR relevant:

– Stellung des Adressaten (insbes. ob „public figure“)

– Stellung des Äußernden

– Zusammenhang, in dem Äußerung getätigt wurde

– Öffentliches Informationsinteresse

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EGMR, 8.7.1986, Lingens / Österreich

„Die Grenzen der zulässigen Kritik sind

bei Politikern daher weiter gezogen als bei Privatpersonen. Anders als diese setzen sich die Politiker unvermeidlich und wissentlich der eingehenden Kontrolle aller ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aus und müssen daher ein größeres Maß an Toleranz zeigen. Zwar erlaubt Art. 10 Abs. 2 den Schutz des guten Rufs anderer, d.h. aller Personen, und dieser Schutz erstreckt sich auch auf Politiker, sogar wenn sie nicht in privater Eigenschaft auftreten. Jedoch muss in solchen Fällen der Schutzzweck gegen das Interesse an einer freien Diskussion politischer Fragen abgewogen werden.“

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Meinungsäußerungsfreiheit:

Umfasst Werturteile und Tatsachenaussagen.

„Wert oder Unwert“ einer Äußerung sind unmaßgeblich für den Schutz.

Schutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch ihre Form.

Geschützt sind auch die Mittel der Kommunikation.

Vgl auch „Im Zweifel für die freie Rede“ – BVerfGE 93, 266

Keinen Schutz genießen unwahre Tatsachenbehauptungen, wenn dadurch das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt wird (dann keine Güter- und Interessensabwägung. (vgl BVerfGE 61,1,8 ; BGH, 23. 6. 2009 - VI ZR 196/08)

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EGMR, 8.7.1986, Lingens / Österreich Unterscheidung „Werturteil/Tatsachenaussage“

Nur Tatsachen können auf Wahrheit – oder den guten Glauben daran – überprüft werden. Nur für Tatsachen-Aussagen kann vom Äußernden (Beklagten) die Führung eines Beweises hierüber verlangt werden (Siehe §§186, 187 StGB – üble Nachrede).

Wird bei Werturteil Wahrheits-/Gutglaubens-Beweis verlangt, widerspricht das Art. 10 EMRK.

Aber: Auch Werturteile müssen auf wahrem „Tatsachensubstrat“ beruhen.

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§ 186 StGB Üble Nachrede

• Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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Medienfreiheit in der Rspr EGMR

• Aufgabe der Presse ist es einerseits, die Öffentlichkeit über Fragen von politischem und sonstigem allgemeinem Interesse zu informieren, zum anderen aber auch als „public watchdog“ zur offenen geistigen Auseinandersetzung in der Bevölkerung beizutragen, das politische und gesellschaftliche Geschehen zu beobachten und zu kommentieren, Missstände aufzudecken und Kritik zu üben.

• Für die politische und öffentliche Debatte ist in einer demokratischen Gesellschaft kaum Spielraum für Beschränkungen.

• Eingriffen in die Äußerungsfreiheit von Politikern und Journalisten sind daher besonders restriktive Grenzen gezogen.

Kommunikationsfreiheiten

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Medienfreiheit nach Art 10 EMRK

Medienfreiheit nicht ausdrücklich erwähnt

Unbestritten: Medienfreiheit ist Teil der Meinungsfreiheit nach Art 10 EMRK. Im Unterschied zu Art 5 GG ist die Presse- und Medienfreiheit nach Art 10 EMRK individualrechtliche, nicht institutionell, ausgerichtet. Berücksichtigung der Medienfreiheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (strenger Maßstab bei Eingriffen)

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„Public Watch Dog“ Funktion der Presse

Diese Grundsätze (gemeint: aus Handyside) sind von besonderer Bedeutung für die Presse. (EGMR, 26.11.1991, Sunday Times/UK Nr. 2)

Aufgabe der Presse ist es einerseits, die Öffentlichkeit über Fragen von politischem und sonstigem allgemeinem Interesse zu informieren, zum anderen aber auch als „public watchdog“ (zur offenen geistigen Auseinandersetzung in der Bevölkerung beizutragen, das politische und gesellschaftliche Geschehen zu beobachten und zu kommentieren, Missstände aufzudecken und Kritik zu üben

(EGMR, 8.7.1986, Lingens/AT) .

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Freiheit der Kunst als besondere Form der Meinungsäußerung durch Art. 10 MRK geschützt

EGMR 24.5.1988, Müller / Schweiz „Wer Kunstwerke schafft, interpretiert, verbreitet oder ausstellt, trägt zum Austausch von Ideen und Meinungen bei, der für eine demokratische Gesellschaft wesentlich ist. Deshalb ist es eine Verpflichtung des Staates, deren Meinungsäußerungsfreiheit nicht unangemessen zu beeinträchtigen.

Künstler und diejenigen, die ihr Werk fördern, sind von den Beschränkungen, wie sie in Art. 10 Abs. 2 vorgesehen sind, gewiss nicht ausgenommen. Wer immer diese Freiheit wahrnimmt, hat in Übereinstimmung mit der ausdrücklichen Formulierung dieses Absatzes „Pflichten und Verantwortung; deren Reichweite hängt von seiner Lage und von den von ihm eingesetzten Mitteln ab.“

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EGMR, 22.2.2007, Nikowitz / Österreich GmbH“ (Forts)

„Der gegenständliche Artikel setzte sich mit dem Verkehrsunfall des allseits bekannten österreichischen Skichampions Hermann Maier auseinander, der die Aufmerksamkeit der Medien erregt hatte. Er war in einem ironischen Stil geschrieben und als humorvoller Kommentar gedacht, was bereits aus der Aufmachung des Artikels erkennbar war. Nichtsdestoweniger bezweckte der Artikel einen kritischen Beitrag zu einem Thema von allgemeinem Interesse abzuliefern, nämlich wie sich die Gesellschaft gegenüber einem Sportstar verhielt.

Satire/Ironische Beiträge zum aktuellen Zeitgeschehen genießen weitreichenden Schutz im Hinblick auf Art 10 EMRK.

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EGMR, 22.2.2007, Nikowitz / Österreich GmbH“ (Forts)

„Der GH ist nicht überzeugt vom Argument der Gerichte, wonach ein Durchschnittsleser den satirischen Charakter des Texts und insbesondere den humorvollen Gehalt der umstrittenen Passage, in der gemutmaßt wurde, was Stefan Eberharter gesagt haben könnte, in Wahrheit aber nicht sagte, nicht hätte erfassen können. Diese Aussage kann bestenfalls als Werturteil des Autors über Herrn Eberharters Charakter verstanden werden, das er in Form eines Witzes zum Ausdruck brachte…

... Er kommt daher zu dem Ergebnis, dass sich die strittige Passage über Herrn Eberharter innerhalb der Grenzen eines in einer demokratischen Gesellschaft akzeptablen ironischen Kommentars bewegte.“ = VERLETZUNG DES ART 10 EMRK durch Bestrafung des Journalisten bzw Mediums

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Legitime Eingriffsziele: „Schutz des

guten Rufs und der Rechte anderer“

• Bezeichnung eines Politikers als „Trottel“ (EGMR 1.7.1991, Oberschlick/Österreich: Äußerung als Teil eines öffentlichen Diskurses)

• Schutz der Meinungsfreiheit ist aber kein Freibrief für Wertungen, die in persönlichen Beleidigungen oder Verunglimpfungen ausarten, verleumderische und böswillige Angriffe beinhalten (EGMR 23.4.1992, Castells / Spanien)

• Journalistischer Freiheit ist andererseits ein gewisses Maß an Übertreibung oder sogar Provokation immanent (EGMR 26.4.1995, Prager und Oberschlick / Österreich)

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Schutz der Privatsphäre

Art 8 EMRK steht Art 10 MRK gleichwertig gegenüber, enthält ebenso den Eingriffsvorbehalt „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“.

Als Kernbereich zählt der höchstpersönlicher Lebensbereich (zB Gesundheit, Sexualleben, Wohnbereich, ärztliche Behandlungszimmer, öffentliche Umkleideräume): EGMR 10.5.2011, Mosley/UK.

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Privatsphäre, Medienfreiheit

EGMR 24.6.2004, von Hannover/DE EGMR, Große Kammer, 7. 2.2012, von Hannover /DE II

• Veröffentlichung von Fotos Prominenter:

Leistet Veröffentlichung von Foto-Aufnahmen einen Beitrag zu einer „Debatte von allgemeinem Interesse“?

Wird dies verneint: kein legitimes Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wie sich prominente Person in ihrem Privatleben verhält bzw wo sie sich aufhält. „Sphärentheorie“ (Unterscheidung Intimsphäre, Privat- und Geheimnissphäre) nicht zielführend – Abwägung jeweils im Einzelfall geboten!

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Privatsphäre, Medienfreiheit, Recht am eigenen Bild,

(Art 8 und Art 10 EMRK, § 23 KUG; )

• EGMR 24.6.2004, von Hannover/Deutschland • EGMR GK 7.2.2012, von Hannover Nr 2 / Deutschland

Veröffentlichung von Fotos Prominenter („public figures“): Keine Trennung zwischen Bildern, die in der Öffentlichkeit

aufgenommen worden sind und von Bildern aus der Privatsphäre. Vielmehr zu fragen: Leistet Veröffentlichung von Aufnahmen/Artikeln einen Beitrag zu einer „Debatte von allgemeinem Interesse“?

• Wird dies verneint: kein legitimes Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wie sich prominente Person in ihrem Privatleben verhält bzw wo sie sich aufhält.

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EGMR, 7.2.2012, Axel Springer / Deutschland

• „Zunächst ist nach dem Beitrag zu fragen, den die Fotos oder Artikel zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten.

• Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Rolle oder Funktion der betroffenen Person und die Art der Aktivitäten, über die berichtet wird. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Privatpersonen und Personen, die wie Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens in einem öffentlichen Kontext handeln.

• Das Verhalten der Person vor der Veröffentlichung des Berichts ist ein weiterer Faktor. Dabei kann jedoch die bloße Tatsache einer Zusammenarbeit mit der Presse bei früheren Gelegenheiten nicht als Argument dafür verwendet werden, die betroffene Person jeglichen Schutzes vor der Veröffentlichung des umstrittenen Artikels oder Fotos zu berauben.

• Weitere zu berücksichtigende Faktoren sind die Art und Weise, wie die Informationen erlangt wurden, sowie ihr Wahrheitsgehalt. Die Art und Weise, wie der Bericht veröffentlicht und wie die Person darin dargestellt wird, kann ebenfalls ein relevanter Faktor sein.

• Schließlich ist auch die Art und Schwere der verhängten Sanktionen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen.“

• TV-Kommissar „Balko“ mit Kokain auf Oktoberfest erwischt

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Neben der abwehrrechtlichen Dimension ist aus Art 10 EMRK auch eine Schutzpflicht des Staates vor Angriffen Dritter abzuleiten.

EGMR, 14.10.2010 „Dink“ (2010):

Die positiven Verpflichtungen nach Art. 10 EMRK erfordern unter anderem die Schaffung eines günstigen Umfelds zur furchtfreien Teilnahme am politischen Diskurs. Dies kann auch erfordern, das Leben einer sich äußernden Person vor Angriffen Dritter zu schützen.

Zu positiven Verpflichtungen (Schutzpflicht des Staates vor Eingriffen in Meinungsfreiheit durch Private) in Deutschland: BVerfGE 7, 198 „Lüth“

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Verhältnismäßigkeit

Bestimmten Personen/Gruppen kann auch Rolle eines „social watchdog“ zukommen – besondere Berücksichtigung bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung – (Beitrag zur öffentlichen Debatte?)

zB „Whistleblower“ (EGMR 12.9.2011, Heinisch/DE).

EGMR 12.9.2011, Heinisch/DE

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ART 10 EMRK – „positive obligations“

Schutzpflicht des Staates vor ungerechtfertigten Beschränkungen Dritter (mittelbare Drittwirkung).

EGMR 21.7.2011, Heinisch / Deutschland:

Der Staat unterliegt der Pflicht, die Wahrnehmbarkeit der Meinungsfreiheit auch im privaten Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schützen. Die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ist jedoch auch hier zu beachten. In Fragen öffentlichen Interesses sind jedoch nur geringe Einschränkungen der Meinungsfreiheit hinzunehmen. Der gutgläubig agierende Arbeitnehmer hat prinzipiell ein Recht, strafbare Handlungen auch seines Arbeitgebers zur Anzeige zu bringen.

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EGMR 17.9.2009, Manole ua gegen Republik Moldau

= Sicherung der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als

“positive Verpflichtung” des Staates

„A positive obligation arises under Article 10. The State, as the ultimate guarantor of pluralism, must ensure, through its law and practice, that the public has access through television and radio to impartial and accurate information and a range of opinion and comment, reflecting inter alia the diversity of political outlook within the country and that journalists and other professionals working in the audiovisual media are not prevented from imparting this information and comment.

Where the State decides to create a public broadcasting system, the domestic law and practice must guarantee that the system provides a pluralistic audiovisual service.”

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Haftung von Internet-Providern für Inhalte Dritter?

EGMR: Haftung eines Online News-Portals für beleidigende Nutzerkommentare?

Siehe in diesem Zusammenhang: EGMR (GK) 16.06.2015, Delfi v. Estland EGMR 24.02.2016, MTE v. Ungarn EGMR 09.03.2017, Pihl v Schweden

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EGMR: Delfi v Estland (GK) Artikel über Fährschiffbetreiber auf Newsportal „Delfi“. In einzelnen Postings wurden heftige Drohungen und Beleidigungen gegen Fährschiffbetreiber ausgesprochen („I burn your ship you sick Jew“). Die Kommentare wurden von dem Seitenbetreiber nach entsprechenden Hinweisen entfernt, dies geschah jedoch erst 6 Wochen nach der Veröffentlichung. Fährschiffbetreiber klagt Delfi. Delfi wurde zu einer Entschädigung verurteilt. Beschwerde von Delfi beim EGMR wegen Verletzung des Art 10 EMRK.

EGMR:

Auf Grund

(1)der Natur der Kommentare (beleidigend und drohend),

(2)des Umstandes, dass die Kommentare in Reaktion auf einen von der Bf. auf ihrem professionell gemanagten und auf kommerzieller Basis betriebenen Newsportal veröffentlichten Artikel gepostet wurden,

(3)der Unzulänglichkeit der von der Bf. gesetzten Maßnahmen, um Schaden für den guten Ruf Dritter zu vermeiden und eine realistische Möglichkeit sicherzustellen, dass die Verfasser der Kommentare zur Verantwortung gezogen werden und

(4)der gegen die Bf. verhängte – milde – Sanktion:

Keine Verletzung des Art 10 EMRK.

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EGMR: MTE v Ungarn Beleidigende Userkommentare zu Artikel über Geschäftspraktiken von Immobilienmakler. Immobilienmakler klagt Websitebetreiber (MTE und Index.hu) Ungarische Gerichte verurteilen MTE und Index.hu als objektiv haftbar für die Userkommentare. MTE und Index.hu legen Beschwerde beim EGMR ein wegen Verletzung Art 10 EMRK.

EGMR: Verletzung des Art 10 EMRK.

Die strittigen Kommentare sind zwar verletzend und vulgär, jedoch keine eindeutig rechtswidrigen Äußerungen, keine Hassreden oder Aufstachelung zu Gewalt wie bei Delfi AS.

Kommentare stehen im Zusammenhang mit einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse, da sie im Kontext einer Kontroverse über das Geschäftsgebaren des Immobilienunternehmens, das für eine Reihe von Kunden als schädlich gesehen wurde, gepostet wurden. Die in den Kommentaren verwendeten Ausdrücke zeugen zwar von niedrigem Niveau, sind in der Kommunikation auf vielen Internetportalen jedoch geläufig.

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EGMR:PIHL v Schweden

NGO-Blog auf Website bezeichnet Herrn Pihl als in Neonazi-Kreisen involviert. Am nächsten Tag anonymes Userposting: “that guy Pihl is also a real hash-junkie according to several people I have spoken to.” Neun Tage später postet Pihl auf der Website, dass die Informationen falsch und zu entfernen sind. NGO entfernt Informationen (nach Entschuldigung auf website) und auch Posting. Phil klagt NGO (Streitwert 1 Krone!), dass Informationen und Posting zu lange online waren. Wird abgewiesen. Pihl bringt Beschwerde beim EGMR wegen positiver Verletzung aus Art 8 ein.

Umstände des Falles: NGO im gegeben Fall ist kleine nicht-kommerzielle Einrichtung, relativ wenig Postings.

“expecting the association to assume that some unfiltered comments might be in breach of the law would amount to requiring excessive and impractical forethought capable of undermining the right to impart information via internet.” Posting steht in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit von Pihl – kann nicht

der NGO zugerechnet werden. „liability for third-party comments may have negative consequences on the comment-related environment of an internet portal and thus a chilling effect on freedom of expression via internet. This effect could be particularly detrimental for a non-commercial website”.

Posting keine Hassrede oder Aufruf zu Gewalt. NGO hat Informationen nach Ansuchen des

Betroffenen entfernt.

KEINE VERLETZUNG DES ART 8 EMRK.

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Medien im Recht der Europäischen Union

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Medien im Recht der EU

Querschnittsmaterie: Sicherung der Medienfreiheit, Schutz des Medien-Binnenmarktes (vor allem Waren- und Dienstleistungsfreiheit), Schutz des Eigentums (Inhalte, Urheber- und Verwertungsrechte), NutzerInnen- und KonsumentInnenschutz, Kinder- und Jugendschutz, Sicherung des Zugangs zur Infrastruktur und Nichtdiskriminierung, Sicherung des Pluralismus ….

Page 70: Europa Universität Viadrina · Ziele des Medienrechts Medienrecht als Querschnittsmaterie – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Regulierung der Medien als vornehmlich

• Warenverkehrsfreiheit: – „physische Contentprodukte“ (zB Bücher, DVD´s…)

• Dienstleistungsfreiheit: – Rundfunksendungen Internetdienste….

• Kartellverbot: – zB Buchpreisbindung; Exklusivvereinbarungen bei

Sportfernsehübertragungen… • Missbrauch bei einer marktbeherrschenden Stellung:

– zB Zugang zu Vertriebssystemen • Zusammenschlusskontrolle:

– Bewahrung von Vielfaltsaspekten? • Beihilfenverbot:

– zB Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, Filmförderung….

• Grundrechtsschutz: - Insb. Art 11 und Art 7, 8 GRC (Meinungsfreiheit,

Privatsphäre, Datenschutz)

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Sekundärrecht „Audiovisuelle Mediendienste-RL“ E-Commerce RL Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation UrheberrechtsRL DatenschutzRL Entscheidungen der EK (Wettbewerbsrecht) „Soft law“: Entschließungen, Empfehlungen

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Grundfreiheiten

Warenverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit

EuGH: Rs 155/73 - Sacchi, 30.4.1974, – In Ermangelung ausdrücklicher entgegenstehender

Vertragsbestimmungen sind Fernsehsendungen ihrer Natur nach als Dienstleistungen anzusehen …

– … dagegen unterliegt der Handel mit sämtlichen Materialien, Tonträgern, Filmen und sonstigen Erzeugnissen, die für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen benutzt werden, den Bestimmungen über den freien Warenverkehr …

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Warenverkehrsfreiheit – Beispiel

EuGH Rs C-405/98, Gourmet, 8.3.2001: • Ist ein generelles Verbot kommerzieller Werbung für

alkoholische Getränke vereinbar mit Art 34 AEUV? – Art 34 AEUV verbietet mengenmäßige

Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung.

– Verboten sind Beschränkungen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern – EuGH, Rs 8/74, Dassonville, 11.7.1974

– Auch unterschiedslos auf einheimische und eingeführte Waren anwendbare Regelungen können Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen – EuGH Rs 120/78, REWE, 20.2.1979 („Cassis de Dijon“)

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Warenverkehrsfreiheit – Beispiel

EuGH, Rs C-267 u 268/91, Keck, 24.11.1993 Maßnahmen, die „vertriebsbezogen“, nicht aber

„produktbezogen“ sind, fallen nicht unter den Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“. Voraussetzung ist aber, dass die Regelungen – a) allgemein für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die

ihre Tätigkeit im Inland ausüben und – b) auf den Absatz inländischer und eingeführter

Erzeugnisse die gleiche Wirkung haben, das heißt sich nicht überwiegend zu Lasten eingeführter Erzeugnisse auswirken.

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Warenverkehrsfreiheit – Beispiel

EuGH Gourmet EuGH Rs C-405/98, Gourmet, 8.3.2001 • „ … kann festgestellt werden, dass bei Erzeugnissen wie

den alkoholischen Getränken, deren Genuss mit herkömmlichen gesellschaftlichen Übungen sowie örtlichen Sitten und Gebräuchen verbunden ist, ein Verbot jeder an die Verbraucher gerichteten Werbung … geeignet ist, den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern, als es dies für inländische Erzeugnisse tut, mit denen der Verbraucher unwillkürlich besser vertraut ist.“

(Werbeverbot aber aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt)

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Dienstleistungsfreiheit

• Rundfunksendungen (Fernsehen+Hörfunk), Dienste der

Informationsgesellschaft (e-Commerce) und sonstige über Internet und digitale Medien angebotene Dienste sind Dienstleistungen iS des Art. 56 AEUV -> Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot.

zB EuGH Rs155/73 Sacci und Rs 52/79 Debauve, 18.3.1980

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Dienstleistungsfreiheit

Beschränkungen der DL-Freiheit - geschriebene Rechtfertigungsgründe Art 62 iVm Art 52

AEUV (öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit) + verhältnismäßig

- ungeschriebene Rechtfertigungsgründe (EuGH) = „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses“, wenn nicht-diskriminierend + verhältnismäßig

für Fernsehtätigkeit zB geistiges Eigentum, Lauterkeit der Handelsverkehrs, Erhaltung eines pluralistischen und nicht kommerziellen Rundfunkwesens, Schutz der Zuschauer vor übermäßiger Werbung

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Dienstleistungsfreiheit Beispiel EuGH 4.10.2011, Karen Murphy/Media Protection Services, Rs C-403/08

Art Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen,

– dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach im Inland die Einfuhr, der Verkauf und die Verwendung ausländischer Decodiervorrichtungen, die den Zugang zu einem kodierten Satellitenrundfunkdienst aus einem anderen Mitgliedstaat ermöglichen, der nach der Regelung des erstgenannten Staates geschützte Gegenstände umfasst, rechtswidrig sind …

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Grundrecht der Medienfreiheit

Art 11 GRC:

•Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

– (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

– (2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.

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Generelle Pflicht zum Filtern und Sperren von Inhalten der Nutzer durch

Internetprovider?

EuGH 24.11.2011, Rs C-70/10, Scarlet Extended/SABAM, Das Unionsrecht steht einer Anordnung entgegen, die einem Anbieter von Internetzugangsdiensten auferlegt, auf dessen Kosten ein System der Filterung aller seine Dienste einzurichten, das präventiv und unterschiedslos auf alle seine Kunden zeitlich unbegrenzt anwendbar ist.

– Begründung (u.a.): Das Filtersystem könnte auch nach der

GRC geschützte Grundrechte der Kunden beeinträchtigen. Zum einen den Schutz personenbezogener Daten, zum anderen die Informationsfreiheit (Art 11 GRC), weil das System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann.

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Ähnlich:

EuGH Rs C 360/10, SABAM/NETLOG, 16.2.2012

Eine Anordnung, mit der der Hosting-Anbieter (zB Soziales Netzwerk)zur Einrichtung eines Filtersystems verpflichtet wird, mit dem sich Dateien ermitteln lassen, die musikalische, filmische oder audiovisuelle Werke enthalten, um zu verhindern, dass die genannten Werke unter Verstoß gegen das Urheberrecht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, widerspricht ua Art 8 und Art 11 GRC und Art 15 E-CRL

Kommunikationsrecht, SoSe 2014

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Demgegenüber: Sperren von urheberrechtswidrig verbreiteten Inhalten durch Internetprovider im Einzelfall?

RL zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG)

Artikel 8

(1) Die Mitgliedstaaten sehen bei Verletzungen der in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten angemessene Sanktionen und Rechtsbehelfe vor und treffen alle notwendigen Maßnahmen, um deren Anwendung sicherzustellen. Die betreffenden Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(…)

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

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EuGH, 27.3.2014, Rs C-314/12, UPC / Constantin Film Verleih

Auf Antrag von Constantin Film: Österreichische Gerichte untersagten UPC, ihren Kunden Zugang zur Website von kino.to zu gewähren, wo Filme ohne Zustimmung der Rechteinhaber verbreitet und zum Download bereitgestellt worden waren. EuGH: •„die durch das Unionsrecht anerkannten Grundrechte [stehen] einer gerichtlichen Anordnung nicht [entgegen]… •….mit der einem Anbieter von Internetzugangsdiensten verboten wird, seinen Kunden den Zugang zu einer Website zu ermöglichen, auf der ohne Zustimmung der Rechtsinhaber Schutzgegenstände online zugänglich gemacht werden.“

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EuGH, UPC/Constantin

Dies gilt auch … „… wenn die Anordnung keine Angaben dazu enthält, welche Maßnahmen dieser Anbieter ergreifen muss, und wenn er Beugestrafen wegen eines Verstoßes gegen die Anordnung durch den Nachweis abwenden kann, dass er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat…“ Es bedarf keiner Spezifizierung der Anordnung, welche Maßnahme ein Provider zu treffen hat – es genügt ein generelles „Erfolgsverbot“. Es genügt, dass Provider nachweist, er habe „alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen“ (selbst wenn nicht erfolgreich).

Kommunikationsrecht, SoSe 2014

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EuGH UPC /Constantin

„Die Maßnahmen müssen

„bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen…

Auch wenn technische Umgehungen möglich sind, ist die Sperranordnung nicht ungültig- allerdings muss „hinreichend“und „zuverlässig“ versucht worden sein, dass Internetnutzer keinen unerlaubten Zugriff haben.

Kommunikationsrecht, SoSe 2014

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Sekundärrecht: Rechtsharmonisierung für „Audiovisuelle Mediendienste“/Fernsehen

„Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie“

• Rl zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Rl 2010/13/EU)

zur Harmonisierung nationaler Vorschriften über allgemeine

Programmanforderungen, Werbung, Jugendschutz, Europäische Inhalte, Gegendarstellung, Kurzberichterstattung…

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Zur Hintanhaltung von Beschränkungen: Harmonisierung durch die Audiovisuelle MediendiensteRL (früher „FernsehRL“)

Erfordernisse, denen durch abschließende Regelung auf Unionsebene Rechnung getragen wurde (Harmonisierung), können von den Mitgliedstaaten nicht mehr geltend gemacht werden:

Art 3 AVMD-RL:

(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Bereich betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind.

Kommunikationsrecht, SoSe 2014

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„Sendestaatprinzip“ (Ursprungslandprinzip)

• Jeder MS sorgt dafür, dass alle AVM-Dienste, die von seiner Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern übertragen werden, den Vorschriften seines Rechtssystems entsprechen.

• Der MS ist verpflichtet, in seinem Rechtssystem die Anforderungen der AVMD-Rl umzusetzen.

• MS behindern den Empfang von AVM-Diensten aus anderen MS, die der AVMD-Rl entsprechen, nicht.

• MS können den ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern auch strengere/ausführlichere Vorschriften als in der Richtlinie auferlegen.

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Anwendungsbereich – Definition „Audiovisueller Mediendienst“

• Dienstleistung • Hauptzweck • Bereitstellung von Sendungen (Sendeplan/Katalog) • Angebot bewegter Bilder mit oder ohne Ton • zur Information, Unterhaltung oder Bildung • Redaktionelle Verantwortung • an die allgemeine Öffentlichkeit • über elektronische Kommunikationsnetze

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„Grundvorschriften“ für alle Dienste

Lineare Dienste: Diensteanbieter bestimmt über Zeitpunkt der Sendung und Programmablauf (sog. Push-Dienste)

= Inhalte mit fester Programmabfolge

Nicht-linearen Dienste: Zuseher (Nutzer) entscheidet, zu welcher Zeit welcher Inhalt abgerufen wird (sog. Pull-Dienste)

= Inhalte, die auf individuellen Abruf aus einem Programmkatalog zur Auswahl gestellt werden.

-> Konsequenz: Abgestufte Regulierung

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„Abgestufte Regulierung“ in der AVMDRl

• Mindestvorschriften für alle Dienste, zB – Zugang Minderjähriger zu Inhalten – Verbot der Aufstachelung zu Hass, Diskriminierung… – Grundanforderungen an kommerzielle

Kommunikation (Erkennbarkeit, keine Schleichwerbung oder subliminale Techniken)

– Sponsoring und Product-Placement – Diskriminierungsverbot (Rasse, Geschlecht;

Religion..), Menschenwürde – Förderung europäischer Werke (linear:

„Quotenregelungen“) • Zusätzlich nur für lineare Dienste, zB

– Unterbrecherwerbung, Werbezeiten, Einzelspots… – Kurzberichterstattung – Schutz Minderjähriger – Förderung europäischer Inhalte für nicht-lineare

Dienste

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Anwendungsbereich – Definition „Audiovisueller Mediendienst“

EuGH 21. Oktober 2015, C-347/14 Urteil „New Media Online gg Bundeskommunikationssenat“ Vorlagefragen: 1. Begriff der „Sendung“ (Art 1 Abs 1b AVMD-RL): fällt darunter auch die Bereitstellung kurzer Videos (Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport oder Unterhaltung) in einer Suddomain der Website einer Zeitung? 2. Definitionselement „Hauptweck“ eines AV-Dienstes: Kann bei elektronischen Ausgaben von Zeitungen im Zusammenhang mit der Prüfung des Hauptzwecks eines angebotenen Dienstes auf einen Teilbereich abgestellt werden, in dem überwiegend kurze Videos gesammelt bereitgestellt werden, die in anderen bereichen des Webauftritts dieses elektronischen Mediums nur zur Ergänzung von Textbeiträgen der Online-Tageszeitung verwendet werden?

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EuGH 21. Oktober 2015, C-347/14 Urteil „New Media Online gg Bundeskommunikationssenat“

1. Begriff der „Sendung“ (Art 1 Abs 1b AVMD-RL): fällt darunter auch die Bereitstellung kurzer Videos (Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport oder Unterhaltung) in einer Suddomain der Website einer Zeitung?

• Vergleichbarkeit der Videosequenzen mit Form und Inhalt von

Fernsehprogrammen Nicht aber Vergleichbarkeit der kompletten Kurzvideosammlung mit einem von einem Fernsehveranstalter erstellten kompletten Sendeplan oder Katalog erforderlich! • Sendungsbegriff schließt Videos kurzer Dauer nicht aus. • Auch Kurzvideos richten sich an Massenpublikum und können bei

diesem deutliche Wirkung entfalten. • AVMD-Rl will fairen Wettbewerb zwischen herkömmlichen

Fernsehen und Mediendiensten auf Abruf. Videos treten in Konkurrenz zu Informationsdiensten regionaler Fernsehsender.

Antwort: „Sendung“ umfasst auch die Bereitstellung kurzer Videos in einer Subdomain der Website einer Zeitung.

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EuGH 21. Oktober 2015, C-347/14 Urteil „New Media Online gg Bundeskommunikationssenat“

2. Definitionselement „Hauptweck“ eines AV-Dienstes: ErwG 22 AVMD-Rl: Kein AV-Dienst wenn „audiovisuelle Inhalte lediglich eine Nebenerscheinung darstellen und nicht Hauptzweck des Dienstes sind“.

• AV-Dienst nicht bereits deswegen vom Anwendungsbereich der

AVMD-Rl ausgeschlossen, wenn Dienstebetreiber eine Online-Zeitung verlegt oder im Rahmen der Website einer Zeitung zugänglich ist oder in deren Rahmen angeboten wird (Gefahr der Umgehung der Richtlinie!)

• Irrelevant, ob AV-Dienst im Hauptbereich oder in einer Subdomaine der Zeitung präsentiert wird.

Antwort: „Bei Auslegung des „Hauptzwecks“ ist darauf abzustellen, ob der Video-Dienst in Inhalt und Funktion gegenüber der journalistischen Tätigkeit des Betreibers der Website eine eigenständige und nicht nur eine mit dem Textangebot untrennbar verbundene ergänzende Tätigkeit ist.

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Europäische „Quotenregelung“ der AVMD-RL

Art. 16 AVMD-RL • (1) Die Mitgliedstaaten tragen im Rahmen des praktisch Durchführbaren

und mit angemessenen Mitteln dafür Sorge, dass die Fernsehveranstalter den Hauptanteil ihrer Sendezeit, die nicht auf Nachrichten, Sportberichten, Spielshows, Werbeleistungen, Videotextleistungen und Teleshopping entfallen, der Sendung von europäischen Werken vorbehalten. (…)

Art. 17 AVMD-RL • Die Mitgliedstaaten tragen im Rahmen des praktisch Durchführbaren und

mit angemessenen Mitteln dafür Sorge, dass Fernsehveranstalter mindestens 10 % ihrer Sendezeit, die nicht auf Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder Werbeleistungen, Videotextleistungen und Teleshopping entfallen, oder alternativ nach Wahl des Mitgliedstaats mindestens 10 % ihrer Haushaltsmittel für die Programmgestaltung der Sendung europäischer Werke von Herstellern vorbehalten, die von den Fernsehveranstaltern unabhängig sind (…).

Art. 13 Abs. 1 AVMD-RL • (1) Die Mitgliedstaaten sorgen im Rahmen des praktisch Durchführbaren

und mit angemessenen Mitteln dafür, dass audiovisuelle Mediendienste auf Abruf, die von ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern bereitgestellt werden, die Produktion europäischer Werke und den Zugang hierzu fördern ….

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Vorschlag EK vom 25.5.2016: Revision der AVMD-RL (zur Zeit Trilog Verhandlungen zwischen Rat/EP und EK)

• Beibehaltung des „Sendestaat-Prinzips“ und gleichzeitige Vereinfachung der Regelungen hinsichtlich der Frage der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit

• Grundsätzliche Beibehaltung der Mindestharmonisierung

• Stärkung der Erfordernisse der Unabhängigkeit der Regulatoren sowie der „European Regulators Group for Audiovisual Media Services“, welcher mehr Aufgabenbereiche übertragen werden soll.

• Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Plattformen, die nutzergenerierte Videos anbieten

• Mehr Flexibilität hinsichtlich der Regelung der Produktplatzierung, des Sponsorings und bei der Werbezeitenbeschränkung.

• Verstärkung des Schutzes von Minderjährigen

• Förderung europäischer Werke durch Einführung einer Quote für TV-On Demand

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Vorschlag der EK zur Änderung der

Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie vom 25.05.2016

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Vorschlag § 28a Abs 2 AVMD-Rl Maßnahmen entsprechend Art 28a Abs 1 sind insbesondere

• Begriffsbestimmungen in Geschäftsbedingungen von

Aufstachelung zu Gewalt oder Hass und jugendgefährdenden Inhalten

• Melde- bzw Anzeigemechanismus durch die Nutzer an den Videoplattformbetreiber

• Altersüberprüfungssysteme für die Nutzer in Bezug auf Minderjährigenschutz

• Inhaltsbewertungssysteme durch Nutzer • Einrichtung von Systemen, die Nutzern über Wirkung ihre

Meldung hatten

Strittig: Vollharmonisierung (so EK) oder nur Mindestharmonisierung (so Rat in Allgemeiner Ausrichtung 23.5.2017)

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Vorschlag EK – Vollharmonisierung für Videoplattformen

EK Vorschlag: Art 28a (5): Member States shall not impose on video-sharing platform providers measures that are stricter than the measures referred to in [Art 28a paragraph 2].

Rat (AA) – (Nur) Mindestharmonisierung in Art 28a, auch strengere Maßnahmen durch MS möglich Beispiel – Netzwerkdurchsetzungsgesetz DE?

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Deutschland: „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“

(BGBl Jg 2017 Teil I, Nr 61)

• Gesetzliche Standards für ein wirksames Beschwerdemanagement die gewährleisten, dass soziale Netzwerke offensichtlich strafrechtlich relevante Inhalte (Volksverhetzung, Bedrohung, Verleumdung, Aufforderung zu Straftaten, die Verbreitung von Propaganda verfassungswidriger Organisationen, Verunglimpfung des Bundespräsidenten und des Staates und seiner Symbole) in der Regel 24 Stunden nach Eingang der Nutzerbeschwerde löschen.

• Gefordert werden wirksame und transparente Verfahren zur unverzüglichen Löschung rechtswidriger Inhalte einschließlich nutzerfreundlicher Mechanismen zur Übermittlung von Beschwerden.

• Geldbußen von 500.000 bis 5 Mio Euro.

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AVMD-RL regelt auch Fragen der Nutzungsmöglichkeiten von exklusiven Fernsehübertragungsrechten:

Ausschließliche Rechte (Art 14 AVMD-Rl)

„Listenregelung“ auf nationaler Ebene mit Ereignissen von „erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ (Art 14)

Rechte an und Kurzberichterstattung in Fernsehsendungen (Art 15)

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Ausschließliche Rechte an und Kurzberichterstattung in Fernsehsendungen

Ausschließliche Rechte (Art 14 AVMD-Rl)

„Listenregelung“ auf nationaler Ebene mit Ereignissen von „erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“

Gegenseitige Anerkennung der MS bzgl Listen

Verpflichtung: bedeutender Teil der Öffentlichkeit muss Ereignis im Wege direkter oder zeitversetzter Berichterstattung in einer frei zugänglichen Fernsehen verfolgen können

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Deutschland: § 4 RStV

„Liste“ Deutschland

1. Olympische Sommer- oder Winterspiele;

2. bei Fußball-Europa- und -Weltmeisterschaften alle Spiele mit deutscher Beteiligung sowie unabhängig von

einer deutschen Beteiligung das Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel;

3. die Halbfinalspiele und das Endspiel um den Vereinspokal des Deutschen Fußballbundes;

4. Heim- und Auswärtsspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft;

5. Endspiele der europäischen Vereinsmeisterschaften im Fußball (Champions League, UEFA-Cup) bei deutscher Beteiligung.

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EuGH, 18.7.2013, Rs C-201/11 P ua UEFA, FIFA/Kommission (Rechtsmittel gegen Entscheidung d. Gerichts)

• „Zwar werden der freie Dienstleistungsverkehr, die

Niederlassungsfreiheit, der freie Wettbewerb und das Eigentumsrecht beeinträchtigt, wenn ein Mitgliedstaat bestimmte Ereignisse als Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung bezeichnet und ihre Exklusivübertragung verboten wird.

• Solche Beeinträchtigungen sind jedoch durch das Ziel gerechtfertigt,

das Recht auf Informationen zu schützen und der Öffentlichkeit breiten Zugang zur Fernsehberichterstattung über derartige Ereignisse zu verschaffen.

• Wenn ein Mitgliedstaat ein Ereignis regelkonform als Ereignis von erheblicher Bedeutung bezeichnet hat, hat EK nur deren Auswirkungen auf die unionsrechtlich anerkannten Freiheiten und Rechte zu prüfen, die über die Auswirkungen hinausgehen, die an sich mit dieser Einstufung verbunden sind.

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EuGH UEFA, FIFA/Kommission:

• Nicht alle Spiele der Endrunden der Weltmeisterschaft und der EURO haben die gleiche Bedeutung für die Öffentlichkeit, da deren besondere Aufmerksamkeit den entscheidenden Spielen der besten Mannschaften – wie dem Endspiel oder den Halbfinalspielen – und den Spielen mit Beteiligung der eigenen Nationalmannschaft gilt. Daher sind diese Turniere als Ereignisse anzusehen, die grundsätzlich in verschiedene Spiele oder Phasen aufgeteilt werden können…

• Aber im konkreten Fall (in Belgien und UK): alle Spiele der Endrunden der beiden betroffenen Wettbewerbe haben Interesse hervorrufen, das groß genug ist, um zu einem Ereignis von erheblicher Bedeutung gehören zu können. Insoweit ergab sich aus den Akten zum einen, dass diese Turniere in ihrer Gesamtheit bei der breiten Öffentlichkeit und nicht nur bei denjenigen, die ohnehin Fußballspiele im Fernsehen verfolgten, immer sehr populär waren. Zum anderen waren sie in den betreffenden Mitgliedstaaten bis dahin im frei zugänglichen Fernsehen übertragen worden.

-> Daher von UEFA und FIFA eingelegte Rechtsmittel zurückgewiesen.

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Kurzberichterstattungsrecht (Art 15 AVMD-RL)

• Ereignisse von allgemeinem Informationsinteresse (Fußball, Konzerte etc) – jedem TV-Veranstalter ist vom Exklusivrechteinhaber Zugang zum Sendesignal gewähren

• Zur Herstellung kurzer Ausschnitte für allgemeine Nachrichtenzwecke (höchstens 90 Sekunden)

• Kostenerstattung nur für die Kosten des Zugangs

siehe § 5 RStV (umfasst auch Zugang zum Veranstaltungsort!)

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Kurzberichterstattung/Kosten

EuGH 22.1.2013, C-283/11 (Sky Österreich / ORF)

Fallen für den Zugang zu einem Sendesignal keine Kosten an, ist ein Kurzbericht über ein Ereignis mit großem öffentlichen Interesse unentgeltlich. Eine auf die technisch bedingten Aufwendungen beschränkte Kostenerstattung an den Inhaber von exklusiven Übertragungs-rechten ist mit der Grundrechtecharta vereinbar.

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Kurzberichterstattung/Kosten

EuGH Sky Österreich / ORF (Forts)

Die Regelung ….. • „dient dem Gemeinwohl, da sie bezweckt, das Grundrecht auf

Informationsfreiheit zu wahren und den Pluralismus zu fördern

• ist geeignet und erforderlich. Der Unionsgesetzgeber war zu der Annahme berechtigt, dass mit einer Regelung, die eine Kostenerstattung vorsieht, die die unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs zum Signal verbundenen zusätzlichen Kosten übersteigt, dieses Ziel nicht genauso wirksam erreicht werden könnte.

• ist verhältnismäßig. Dem Unionsgesetzgeber stand es frei, Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit vorzusehen und zugleich im Hinblick auf die erforderliche Gewichtung der betroffenen Rechte und Interessen den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen gegenüber der Vertragsfreiheit privilegieren.“

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Europäisches Wettbewerbsrecht

Kartellverbot

Missbrauchsverbot

Fusionskontrolle

Beihilfenkontrolle

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Kartellverbot (Art 101 AEUV)

• Ein Kartell ist – eine Vereinbarung oder eine abgestimmte

Verhaltensweise zwischen selbständigen Unternehmen oder einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung,

– die/der geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen und eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt

• Kartelle sind verboten, da sie den freien Wettbewerb im Binnenmarkt der EU

beeinträchtigen (schädigen Konkurrenten, Konsumenten, Kartell-„Aussteiger“ )

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Ausnahmen vom Kartellverbot

• Voraussetzungen (Art 101 Abs 3 AEUV): – Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung, Beitrag

zum wirtschaftlichen oder technischen Fortschritt

– Angemessene Beteiligung der Verbraucher an den daraus resultierenden Vorteilen

– Keine Wettbewerbsbeschränkungen, die über das hinausgehen, was zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist

– Funktionierender Wettbewerb auf dem von der Vereinbarung betroffenen Markt

= müssen kumulativ (dh gleichzeitig) erfüllt sein!

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Beispiele Kartellrecht (1) • Gemeinsame Vermarktung von Sportrechten: zB EUROVISON/EBU/UEFA

– von der EK mit Entscheidung vom 10. Mai 2000 (2000/400/EC) genehmigt: – Vereinbarung fällt unter Art 101 AEUV, da sie den Wettbewerb zwischen

den EBU-Sendeanstalten beschränkt, ABER EK erteilte Freistellung da • 1.Reduktion von Transferkosten zugunsten kleinerer Sendeanstalten aus

kleineren Staaten • 2.ermöglicht mehr Sportprogramme besserer Qualität • 3. grenzüberschreitender Austausch von Fernsehprogrammen fördert

den Binnenmarkt

• EuG, Rs. 8.10.2002 T-185/00 ua – Gemeinsame Vermarktung mit dem Wettbewerbsrecht unvereinbar, da

durch Erwerb und Austausch von Fernsehrechten über die EBU • der Wettbewerb unter deren Mitgliedern und • der Wettbewerb gegenüber den Nichtmitgliedern auf Grund der

Vergabe der Sendelizenzen als Exklusivlizenzen innerhalb der EBU unzulässig beschränkt ist.

EuGH bestätigte Urteil, EuGH 27.9.2004 Rs C-470/02 P)

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Beispiel Kartellrecht (2) EuGH 4.10.2011, Rs C 403/08, Murphy/Media Protection Services (siehe bereits oben bei Dienstleistungsfreiheit)

Die Klauseln eines Vertrags über eine ausschließliche Lizenz zwischen einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums und einem Sendeunternehmen stellen eine nach Art. 101 AEUV verbotene Wettbewerbsbeschränkung dar, sofern sie dem Sendeunternehmen die Pflicht auferlegen, keine den Zugang zu den Schutzgegenständen dieses Rechtsinhabers ermöglichenden Decodiervorrichtungen zum Zweck ihrer Verwendung außerhalb des vom Lizenzvertrag erfassten Gebiets zur Verfügung zu stellen.

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Verbot des Missbrauchs einer

marktbeherrschenden Stellung

• Art 102 AEUV verbietet:

– missbräuchliche Ausnutzung

– einer beherrschenden Stellung • auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem

wesentlichen Teil davon

• durch Unternehmen,

– soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

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Wann liegt eine marktbeherrschende Stellung vor?

• Marktbeherrschendes Unternehmen ist in der Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern, – indem es sich seinen Wettbewerbern, seinen Kunden und

Konsumenten gegenüber weitgehend unabhängig verhalten kann.

• Marktanteil ist wichtiges Indiz – z.B. 80 % Marktanteil, Monopol/Oligopol > Marktbeherrschung

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Wann liegt ein Missbrauch vor?

• Unternehmen diktiert Bedingungen, die es unter Wettbewerbsbedingungen nicht durchsetzen könnte:

– Behinderungsmissbrauch: richtet sich gegen Mitbewerber

– Ausbeutungsmissbrauch: richtet sich gegen Marktgegenseite (Abhängigkeit der Marktpartner)

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Missbrauchsverbot

• Beispiel: Microsoft/Europäische Kommission; E vom 24.3.2004, KOM (2004)900 endf (ABl. EU 2007, Nr. L 32, 23) – Missbräuchliches Verhalten von Microsoft durch unzulässige

Kopplung des marktbeherrschenden Betriebssystems mit dem Windows Media Player; Verweigerung der Offenlegung des Quellcodes führt zur Einschränkung der Entwicklung anderer Marktteilnehmer.

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Missbrauchsverbot

27. Juni 2017: Verhängung von 2,42 Mrd Euro Geldbuße an Google durch EK wegen Bevorzugung seines eigenen Produkts (Preisvergleichsdienst) gegenüber konkurrierenden Produkten, Verstoß gegen Art 102 AEUV.

• http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1784_de.htm

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Missbrauchsverbot

• Beispiel: Zugangsverweigerung zu Ressourcen/Infrastrukturen zu Lasten von Konkurrenten bei Vorliegen einer „essential facility“

– Essential facility: Einrichtungen/Leistungen eines Unternehmens,

• die nicht oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen aufgebaut oder angeboten werden können,

• die unabdingbar sind, um bestimmte Folgeprodukte oder –Leistungen anbieten zu können.

– Zugang ist einzuräumen, wenn,

• Vorleistung für Dritte unerlässlich ist

• Verweigerung des Zugangs den Wettbewerb auf dem separaten Markt verhindert

• keine Rechtfertigung für die Verweigerung des Zugangs

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Essential facility

• Verweigerung des Zugangs zu einem Vertriebssystem für Printmedien EuGH 26.11.1998, Rs C-7/1997, Bronner / Mediaprint

• Keine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, wenn ein Presseunternehmen, das das einzige bestehende landesweite System der Hauszustellung von Zeitungen betreibt, sich weigert, dem Verleger einer Konkurrenztageszeitung, der wegen der geringen Auflagenhöhe dieser Zeitung nicht in der Lage ist, unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen ein eigenes Hauszustellungssystem aufzubauen und zu betreiben, gegen angemessenes Entgelt Zugang zum genannten System zu gewähren.

• Begründung: Es gibt Alternativen (Post, Kioskverkauf); Wettbewerb auf Tageszeitungsmarkt wird nicht ausgeschaltet

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Fusionskontrolle

• Fusionskontrollverordnung (VO 139/2004)

• Ziel der Fusionskontrolle ist zu verhindern, dass – durch einen Zusammenschluss von Unternehmen wirksamer

Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert wird

– und zwar insbesondere infolge der Begründung oder Stärkung einer marktbeherrschenden Stellung

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Fusionskontrolle

Arten von Unternehmenszusammenschlüssen – Verschmelzung

– Kontrollerwerb

– Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens

Zusammenschluss muss von gemeinschaftsweiter Bedeutung sein. Schwellenwerte sind zu beachten: Europäische / Nationale Fusionskontrolle; gemeinschaftsweite Bedeutung wenn die beteiligten Unternehmen einen weltweiten Gesamtumsatz von mehr als 5 Mrd EUR + gemeinschaftsweit Gesamtumsatz von mehr als 250 Mrd EUR erzielen.

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Fusionskontrolle

• Keine sektorspezifische Sonderregelung für den Medienbereich (vgl. demgegenüber im nationalen Recht § 38 Abs. 3 GWB)

• § 21 Fusionskontoll-VO:

– Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts ist gesperrt, wenn es sich um Fall handelt, der in den Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle fällt (Abs.3)

– Mitgliedstaaten ist es aber möglich, geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen (zb Medienvielfalt) zu treffen (Abs. 4)

-> Zusammenschluss kann aus europäischer Sicht unbedenklich sein, aber nach nationalem Recht ist Untersagung wegen Vielfaltsicherung der Medien möglich (vgl. zB Meinungsmachtkontrolle durch KEK).

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Fusionskontrolle, Beispiele

Untersagt • Bertelsmann/Kirch/Telekom (9.11.1994)

• Bertelsmann/Kirch/Premiere/Telekom/BetaResearch (27.5.1998)

Grund: Schaffung einer marktbeherrschendenStellung im Pay- TV Bereich.

Genehmigt

• Yahoo!/Microsoft (18.2.2010)

Konkurrenz zu 90% Marktbeherrscher Google

• Bertelsmann/Pearson (8.4.2013)

Weiterhin mehrere große Unternehmen als Mitbewerber am Rechte- und Verkaufsmarkt vorhanden.

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Ist die Finanzierung des ö-r Rundfunks mit dem Beihilfenverbot vereinbar?

• Art 107 AEUV verbietet: – Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen,

gleich welcher Art,

– die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

• Staatliche Beihilfe = jede staatliche Begünstigung ohne äquivalente Gegenleistung: – Zuschüsse, günstige Haftungsübernahmen, Steuerbefreiungen,

Quersubventionierungen, etc.

– Allgemeine konjunkturpolitische Maßnahmen sind keine Beihilfen

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Ausnahmen vom Beihilfenverbot

• Beihilfen, die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind (Art. 107 Abs 2 AEUV): – Beihilfen für Katastrophenfälle

– Soz. Beihilfen an einzelne Verbraucher

• Kommission kann staatliche Beihilfen ausnahmsweise genehmigen (Art. 107 Abs 3 AEUV), z.B. – Beihilfen zur Förderung wirtschaftlich unterentwickelter Gebiete

– De-minimis-Beihilfen, etc.

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Beschwerdeverfahren Privater Veranstalter bei EK ab 1990iger Jahren gegen öffentliche Finanzierung der ö-r Rundfunkanstalten wegen angeblicher Martkverzerrung Liste der Verfahren (abgeschlossen) zum ö-r Rundfunk/DG Wettbewerb: http://ec.europa.eu/competition/sectors/media/decisions_psb.pdf Beispiele :

Kommissionsentscheidung zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland, KOM (2007) 1761 end vom 24.4.2007 Kommissionsentscheidung zur Finanzierung des Österreichischen Rundfunks. vom 29.10.2009 K(2009)8113endg.

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Amsterdamer Protokoll von 1997 über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten:

DIE HOHEN VERTRAGSPARTEIEN -

IN DER ERWÄGUNG, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Mitgliedstaaten unmittelbar mit den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft sowie mit dem Erfordernis verknüpft ist, den Pluralismus in den Medien zu wahren

SIND über folgende auslegende Bestimmung ÜBEREINGEKOMMEN, die dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist:

Die Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist.

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Handelt es sich bei der Rundfunkgebühr überhaupt um staatliche Mittel?

Argumente dagegen:

KEF und GEZ sind keine Einrichtungen des Staates und Mittel fließen nicht (zunächst) in den Staatshaushalt (aus dem sie wieder umgeschichtet würden) – daher keine staatliche Zahlung

iS EuGH 13.3.2001, Rs C-379/98, Preußen-Elektra

Aber: Letztentscheidungskompetenz bei Landesregierungen und Landesparlamenten, die Gebührenvorschlag der KEF in einen Staatsvertrag aufnehmen – doch staatlich?

Für Gebühren spricht:

EuGH, 13.12.2007, C-337/06 – Bayrischer Rundfunk ua/GEWA

-Finanzierung des Rundfunks hat Ursprung im RfStV (kein Rechtsgeschäft). Gebührenhöhe wird durch KEF festgestellt, welcher der Staat Hoheitsbefugnisse übertragen habe. Gebühren zwangsweise vollstreckbar….

-Merkmal „Finanzierung durch den Staat“ funktionell zu betrachten – öffentlich rechtliche Rundfunkanstalten sind öffentliche Auftraggeber.

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Argument: Keine Beihilfe?

EuGH, 24.7.2003 Rs C-280/00, Altmark Trans

KEINE Beihilfe liegt vor, wenn der Ausgleich an das Unternehmen nur zur Kompensation des besonderen Auftrags dient.

• 4 Kriterien müssen vorliegen: – I. Klar definierter Auftrag

– II. Ausgleichs-Finanzierung muss im Vorhinein objektiv und transparent festgelegt sein

– III. Keine Überkompensation, nur Ausgleich für die entstandenen Kosten, wobei ein angemessener Gewinn eingerechnet werden darf (Verhältnismäßigkeit)

– IV. Das zu betrauende Unternehmen muss entweder in einem Vergabeverfahren (mit Ausschreibung) ermittelt werden oder – falls nicht möglich – muss Kostenermittlung dem Bedarf eines durchschnittlich, gut geführten Unternehmen für die Erbringung einer entsprechenden Verpflichtung entspräche.

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Art. 106 AEUV

• Liegen die „Altmark“-Kriterien vor = Nichtvorliegen einer Beihilfe, kein Anmeldebedarf bei der EK.

• Wenn EK das Vorliegen eines der Kriterien verneint – Prüfung nach Art. 106 AEUV (vgl Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, ABl. EU 2005, Nr C 297,4)

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Art. 106 AEUV

• (1) Die Mitgliedstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine den Verträgen und insbesondere den Artikeln 18 und 101 bis 109 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.

• (2) Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderläuft.

• (3) Die Kommission achtet auf die Anwendung dieses Artikels und richtet erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Beschlüsse an die Mitgliedstaaten.

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Art. 106 AEUV

Art 106 AEUV... – bezieht sich auf öffentliche bzw privatisierte Unternehmen, die

mit Aufgaben betraut sind, die am Markt aufgrund mangelnder Rentabilität nicht unbedingt zu erwarten sind und im Allgemeininteresse erbracht werden

= Dienstleistungen von allgemein wirtschaftlichem Interesse.

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Art. 106 AEUV

• Unternehmen, die DL von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen – sind staatlich beauftragt (Gesetz, Vertrag...)

– für sie gelten die Wettbewerbsregeln (insb Beihilfeverbot iS Art 107 AEUV),

– sofern dadurch die „Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich“ nicht verhindert wird.

• Diese „Bevorzugung“ darf aber den Handelsverkehr innerhalb der Union nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

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Art. 106 AEUV

• Staaten haben Ermessensspielraum für Einordnung von DL im allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – gemäß Art 106 Abs 3 AEUV „achtet“ Kommission auf die

Anwendung des Art. 106 und richtet „geeignete Richtlinien oder Beschlüsse“ an die MS.

• Beispiele: – „Transparenzrichtlinie“ idF 2006/111/EG: Verbot der

Quersubventionierung, getrennte Buchführung bei Unternehmen , die neben DL im Allgemeininteresse auch kommerzielle DL erbringen.

– Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk („Rundfunk-Mitteilung“, 2001 und 2009).

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• Rundfunkmitteilung der EK (2001, 2009) – Erläuterung, wie EK Beihilfevorschriften auf öffentlich-

rechtlichen Rundfunk anwendet.

– Einzelfallprüfung, idR nach Art. 106 Abs 2 AEUV

– Prüfungsdichte der EK eingeschränkt auf „offensichtliche Fehler“ bei der Definition des öffentlich-rechtlichen Sendeauftrags durch den MS.

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Zusagen Deutschlands die zur Einstellung des Beihilfeverfahrens E 3/2005 führten:

• - Konkretisierung des ö-r Auftrags für Tätigkeiten im Bereich der digitalen Zusatzkanäle und „Telemedien“

• Prüfungs- und Beauftragungsverfahren für neue Telemedienangebote und digitale Zusatzkanäle; „3 Stufen Test“ - interne Kontrolle der Rundfunkanstalten und Billigung durch die Länder

• Getrennte Buchführung, strukturelle Trennung von kommerziellen Tätigkeiten und solchen des ö-r Auftrags

• Begrenzung des finanziellen Ausgleichs auf die Nettokosten des ö-r Auftrags

• Einhaltung marktwirtschaftlicher Grundsätze (Fremdvergleich, private investor Test)

• Transparenz bei Erwerb und Nutzung von Sportrechten

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Landesgericht Tübingen:

Ersuchen um Vorabentscheidung, Az 5 T 246/17 ua

Seit 11.8.2017 unter C-492/17 beim EuGH anhängig:

[Hintergrund – Gesetz Baden-Württemberg zur Geltung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags, Beitragspflicht für jeden Wohnungsinhaber]

Vorlagefragen (zusammenfassend)

-Vereinbarkeit des Rundfunkbeitrags (Beihilfe?)mit Art 107/Art 108 AEUV?

-hätte Gesetz vorab der Zustimmung der EK („Notifikation“) bedurft?

-mit Gleichbehandlungsgebot vereinbar, da öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Unterschied zu privaten Wettbewerbern ohne gerichtlichen Titel zwangsvollstrecken lassen kann?

-mit Diskriminierungs- und Gleichbehandlungsgebot vereinbar, wenn Alleinerziehende (vor allem Frauen) um Vielfaches mehr belastet werden, als Beitragspflichtige, die in einem Haushalt leben?

-Ungerechtigkeit bei Personen mit mehreren Wohnsitzen – zB Student lebt bei Eltern oder auswärts; doppelte Zahlung für Zweitwohnungen…?

-keine Zahlung von Personen, die jenseits der Grenze wohnen, aber Programme empfangen können?

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Ausweitung der klassischen Medienrecht in Richtung eines „digitalen“ Kommunikationsrechts mit wettbewerbs-,

telekommunikations-, datenschutz- und urheberrechtlichen Themen

Themen der jüngeren Zeit beispielsweise

• Netzneutralität – erstmals Regelung in EU-VO • Vorratsdatenspeicherung • Datentransfers außerhalb Europas (EuGH: „Max Schrems“) • „Recht auf Vergessen“ (EuGH: „Google Spain“) • Urheberrechtliche Vergütung für Nutzung fremder Inhalte (siehe

dazu §§87f-87 h UrhG - Leistungsschutzrecht für Verleger) • Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Beihilfenrecht

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Neutralität des Netzes?

Netzneutralität bedeutet die gleichberechtigte (neutrale) Übertragung von Daten im Internet, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Einwirkung, unabhängig vom Sender, Empfänger, der Art, des Inhalts, der Geräte, Dienste oder Anwendungen.

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Typische Probleme im Zusammenhang mit Netzneutralität:

Verlangsamen („throttling“) von Video Streaming oder „peer to peer filseharing“ (Dienste, die eine große Datenübertragung mit sich bringen)

Blockieren von Voice over IP Diensten in moblilen Netzwerken oder Berechnung einer Extragebühr dafür

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VERORDNUNG 2015/2120 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet

Artikel 3

Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet

(1) Endnutzer haben das Recht, über ihren Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.

[…]

(3) Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten.

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VERORDNUNG 2015/2120 (Forts) “Spezialdienste” sind erlaubt….. Art 3 Abs 5 (5) Den Anbietern öffentlicher elektronischer Kommunikation, einschließlich der Internetzugangsanbieter und der Anbieter von Inhalten, Anwendungen und Diensten, steht es frei, andere Dienste, die keine Internetzugangsdienste sind, anzubieten, die für bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste oder eine Kombination derselben optimiert sind, wenn die Optimierung erforderlich ist, um den Anforderungen der Inhalte, Anwendungen oder Dienste an ein bestimmtes Qualitätsniveau zu genügen. Die Anbieter öffentlicher elektronischer Kommunikation einschließlich der Internetzugangsanbieter dürfen diese anderen Dienste nur dann anbieten oder ermöglichen, wenn die Netzkapazität ausreicht, um sie zusätzlich zu den bereitgestellten Internetzugangsdiensten zu erbringen. Diese anderen Dienste dürfen nicht als Ersatz für Internetzugangsdienste nutzbar sein oder angeboten werden und dürfen nicht zu Nachteilen bei der Verfügbarkeit oder der allgemeinen Qualität der Internetzugangsdienste für Endnutzer führen.

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Kritikpunkte an Netzneutralitäts-VO

Keine Definition der Netzneutralität, unklare Begriffe

Spezialdienste erlaubt aber nicht klar definiert*

“Zero rating” Angebote werden nicht untersagt

Viele Ausnahmen zugunsten von Verkehrsmanagmentmaßnahmen

*BEREC (Europäisches Gremium der Regulierungsbehörden)

Leitlinien zur Netzneutralität (30.4.2016):

Beispiele für Spezialdienste: mobile Internettelefonie (VoLTE), lineares

Internetfernsehen mit speziellen Qualitätsanforderungen oder Gesundheitsdienste in

Echtzeit wie Telechirurgie; Dienste, die im "öffentlichen Interesse" liegen oder

neuartige Maschine-zu-Maschine-Kommunikationen (zB Telematik-Anwendungen

für das autonome Fahren)

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Bsp. Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ungültig (Verstoß gegen Art 7 und 8 GRC )

EuGH 8 April 2014, Digital Rights; Seitlinger ua, C-293/12 and C-594/12 :

• VDS grundsätzlich ein Mittel, das dem Gemeinwohl dienlich sein kann, weil schwere Verbrechen damit bekämpft werden sollen (Absatz 44 und 51). Zudem taste sie nicht das Grundrecht auf Achtung der Privatlebens an, da sie nicht auf die "Inhalte elektronischer Kommunikation" zugreife (Absatz 39).

• Der EU-Gesetzgeber habe aber "die Grenzen überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste". Die Vorratsdatenspeicherung könnte bei den Betroffenen das Gefühl erzeugen, dass "ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist", heißt es in dem Urteil (Absatz 37). Demnach müsse die verdachtslose Speicherung von Verbindungsdaten von Telefon, Internet und E-Mail künftig "auf das absolut Notwendige beschränkt" werden (Absatz 52).

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Bsp. „Recht auf Vergessenwerden“

EuGH 13. Mai 2014, Google Spain, C-131/12 Der Betreiber einer Internetsuchmaschine ist bei personenbezogenen Daten, die auf von Dritten veröffentlichten Internetseiten erscheinen, für die von ihm vorgenommene Verarbeitung verantwortlich.

• Eine Person kann sich daher, wenn bei einer anhand ihres Namens durchgeführten Suche in der Ergebnisliste ein Link zu einer Internetseite mit Informationen über sie angezeigt wird, unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber wenden, um unter bestimmten Voraussetzungen die Entfernung des Links aus der Ergebnisliste zu erwirken.

• Angemessener Ausgleich ist zu finden zwischen Recht der Internetnutzer auf Information und der betroffenen Person, insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten.

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Bsp. Safe Harbour Entscheidung ungültig

EuGH 6. Oktober 2015 , Maximilian Schrems v Data Protection Commissioner; C 362/14 • Eine Regelung, welche generell die Speicherung aller personenbezogenen Daten

sämtlicher Personen, deren Daten aus der Union in die Vereinigten Staaten übermittelt werden, gestattet, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des verfolgten Ziels vorzunehmen und ohne objektive Kriterien vorzusehen, die es ermöglichen, den Zugang der Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung zu beschränken ist unionsrechtwidrig; verletzt den den Wesensgehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens.

• Die Entscheidung der Kommission vom 26.7.2000, in der festgestellt wurde,

dass die Vereinigten Staaten von Amerika ein angemessenes Schutzniveau übermittelter personen-bezogener Daten gewährleisten, ist ungültig.

• Auch wenn Kommission eine „Äquivalenzentscheidung“erlassen hat, müssen die nationalen Datenschutzbehörden, wenn sie mit einer Beschwerde befasst werden, in völliger Unabhängigkeit prüfen können, ob bei der Übermittlung der Daten einer Person in ein Drittland die in der Richtlinie aufgestellten Anforderungen gewahrt werden.

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Streitfall Leistungsschutzrecht der Presseverleger – §§ 87f-87h UrhG:

Hintergrund: Herstellern von Presseerzeugnissen steht das ausschließliche Recht zu, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen („Leistungsschutzrecht“).

Gemäß § 87g Abs. 4 UrhG haben „gewerbliche Anbietervon Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten“ für die Verwendung von Textten/Textausschnitten in ihren Diensten Genehmigung von den Presseverlagen einzuholen (Ausnahme für einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte – sog „Snippets“)

LG Berlin - Vorabentscheidungsersuchen vom 8. Mai 2017 an EuGH (C – 299/17 ):

Hätten die gesetzlichen Maßnahmen über das Leistungsschutzrecht der Presseverleger vor ihrer Erlassung bei der EK notifiziert werden müssen gemäß der Rl 98/34 EG „über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften“? (wenn ja: Vorschriften wären unanwendbar!)

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Streitfall Leistungsschutzrecht der Presseverleger Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf europäischer Ebene: siehe dazu Vorschlag der EK vom 14.9.2016 für Richtlinie des Rates und des EP über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt

Artikel 11 Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf digitale Nutzungen 1. Die Mitgliedstaaten legen Bestimmungen fest, mit denen Presseverlage die in Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29/EG genannten Rechte für die digitale Nutzung ihrer Presseveröffentlichung erhalten. 2. Von den in Absatz 1 genannten Rechten bleiben die im Unionsrecht festgelegten Rechte von Urhebern und sonstigen Rechteinhabern an den in einer Presseveröffentlichung enthaltenen Werken und sonstigen Schutzgegenständen unberührt. Diese Rechte können nicht gegen diese Urheber und sonstigen Rechteinhaber geltend gemacht werden und können ihnen insbesondere nicht das Recht nehmen, ihre Werke und sonstigen Schutzgegenstände unabhängig von der Presseveröffentlichung zu verwenden, in der sie enthalten sind. 3. Die Artikel 5 bis 8 der Richtlinie 2001/29/EG und die Richtlinie 2012/28/EU finden sinngemäß auf die in Absatz 1 genannten Rechte Anwendung. 4. Die in Absatz 1 genannten Rechte erlöschen 20 Jahre nach der Veröffentlichung der Presseveröffentlichung. Die Berechnung dieser Zeitspanne erfolgt ab dem 1. Januar des auf den Tag der Veröffentlichung folgenden Jahres.

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Streitfall Leistungsschutzrecht der Presseverleger Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf europäischer Ebene: siehe dazu ErwG 31 und 32 des EK-Vorschlags zu Art 11 Urheberrechtsrichtlinie: Für Qualitätsjournalismus und den Zugang zu Informationen für die Bürger ist eine freie und pluralistische Presse unabdingbar. Sie leistet einen grundlegenden Beitrag zur öffentlichen Debatte und das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft. Der Übergang von den Druckmedien zu den digitalen Medien stellt Presseverlage vor das Problem der Vergabe von Lizenzen für die Online-Nutzung ihrer Veröffentlichungen und der Amortisierung ihrer Investitionen. Sofern Verlage als Rechteinhaber von Presseveröffentlichungen nicht anerkannt werden, gestaltet sich die Lizenzvergabe und Durchsetzung ihrer Rechte im digitalen Umfeld häufig als komplex und ineffizient.“ „Um die Tragfähigkeit des Verlagswesens zu erhalten, gilt es, den organisatorischen und finanziellen Beitrag, den Verlage bei der Produktion von Presseveröffentlichungen leisten, anzuerkennen und die Verlage weiterhin hierzu zu ermutigen. Daher wird auf Unionsebene ein harmonisierter Rechtsschutz für Presseveröffentlichungen im Hinblick auf ihre digitalen Nutzungen benötigt. Ein solcher Rechtsschutz sollte wirksam gewährleistet werden, indem im Unionsrecht die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf deren digitale Nutzungen urheberrechtlich geschützt werden.“

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Kontakt bei Fragen zur VO

Europäisches Medienrecht:

[email protected]