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(Aus dcr Seuchenabtcilung dcs Instituts ,,Robert Koch", Berlin. Leiter: Prof. B. Lanffe.) Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Immunit~tt gegen tuberkulSse Superinfektion. I. Mitteilung. Die experimentellen Grundlagen der Behring-Riimerschen Lehre yon der immunisierenden Wirkung der Kindheitsinfektion gegeniiber Superinfektionen im sp~iteren Alter. Von Bruno Lange. Der Grundversuch Robert Kochs, der den Schutz des tuberkul(isen Meerschweinchens gegen erneute Infektion erwies, ist der Ausgangs- punkt geworden fiir eine groBe Reihe yon Untersuchungen fiber Immuni- t~t und kiinstliche Immunisierung yon Tieren und Menschen. Bekannt- lich wurde die Beobachtung Kochs zun~chst nicht best~tigt. Erst Detre.Deutsch* konnte 1904 die yon Koch beschriebenen Erscheinungen der Immunit~t tuberkulCiser Meerschweinchen gegen Superinfektion wieder demonstrieren, er land im besonderen sofortige lebhafte Reak- Lion an der Superinfektionsstelle, aber Ausbleiben eincs 1Enger bestehen. den chronischen Infektionsherdes derart, wie er ihn bei den erstinfizier- ten Tieren sah. Nach ihm teilten della Cella undFeistmantel** analoge B~eobachtungen mit. Kraus und Volk zeigten, dab auch tuberkulSs infizierte Affen einen Schutz gegen erneute Infektion besitzen. Sie bedienten sich dabei einer Methode, die zum Studium solcher Fragen reeh~ geeigne~ erschein~, n~mlieh der ]nfek~ion der scarifizierten Ge- sichtshaut oberhalb der Augenbrauen. R6mer und Hamburger haben dann in umfangreichen Versuchen, die zum ersten Male die quantitativen VerMiltnisse bei der Superinfektion genau beriicksichtigten, eine Reihe yon wichtigen Beobaehtungen machen kSnnen. Beide Forscher fanden unabhi~ngig voneinander, dab ffir den Erfolg der Zweitinfektion die GriiBe der Reinfektionsdosis yon aussehlaggebender Bedeutung ist. Der Erfolg war ferner um so offensiehtlicher, je l~ingere Zeit die Erst- infektion zurficklag. R6mer wies aueh die Immunit~t tuberkuliiscr Meerschweinchen gegen Spontaninfektion nach und ebenso die Immuni- t~t spontan infizierter Meerschweinchen gegen kiinstliche Infektion. * u. ** Siehc R6mer.

Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Immunität gegen tuberkulöse Superinfektion

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Page 1: Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Immunität gegen tuberkulöse Superinfektion

(Aus dcr Seuchenabtcilung dcs Instituts ,,Robert Koch", Berlin. Leiter: Prof. B. Lanffe.)

Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Immunit~tt gegen tuberkulSse Superinfektion.

I. Mitteilung.

Die experimentellen Grundlagen der Behring-Riimerschen Lehre yon der immunisierenden Wirkung der Kindheitsinfektion gegeniiber

Superinfektionen im sp~iteren Alter.

Von B r u n o L a n g e .

Der Grundversuch Robert Kochs, der den Schutz des tuberkul(isen Meerschweinchens gegen erneute Infektion erwies, ist der Ausgangs- punkt geworden fiir eine groBe Reihe yon Untersuchungen fiber Immuni- t~t und kiinstliche Immunisierung yon Tieren und Menschen. Bekannt- lich wurde die Beobachtung Kochs zun~chst nicht best~tigt. Erst Detre.Deutsch* konnte 1904 die yon Koch beschriebenen Erscheinungen der Immunit~t tuberkulCiser Meerschweinchen gegen Superinfektion wieder demonstrieren, er land im besonderen sofortige lebhafte Reak- Lion an der Superinfektionsstelle, aber Ausbleiben eincs 1Enger bestehen. den chronischen Infektionsherdes derart, wie er ihn bei den erstinfizier- ten Tieren sah. Nach ihm teilten della Cella undFeistmantel** analoge B~eobachtungen mit. Kraus und Volk zeigten, dab auch tuberkulSs infizierte Affen einen Schutz gegen erneute Infektion besitzen. Sie bedienten sich dabei einer Methode, die zum Studium solcher Fragen reeh~ geeigne~ erschein~, n~mlieh der ]nfek~ion der scarifizierten Ge- sichtshaut oberhalb der Augenbrauen. R6mer und Hamburger haben dann in umfangreichen Versuchen, die zum ersten Male die quantitativen VerMiltnisse bei der Superinfektion genau beriicksichtigten, eine Reihe yon wichtigen Beobaehtungen machen kSnnen. Beide Forscher fanden unabhi~ngig voneinander, dab ffir den Erfolg der Zweitinfektion die GriiBe der Reinfektionsdosis yon aussehlaggebender Bedeutung ist. Der Erfolg war ferner um so offensiehtlicher, je l~ingere Zeit die Erst- infektion zurficklag. R6mer wies aueh die Immunit~t tuberkuliiscr Meerschweinchen gegen Spontaninfektion nach und ebenso die Immuni- t~t spontan infizierter Meerschweinchen gegen kiinstliche Infektion.

* u. ** Siehc R6mer.

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186 B. Lange: Experimentelle Untersuehungen

Seine B e o b a e h t u n g e n an Meerschwehmhen s ind durch Schafversuche e rg~nz t worden. Diese Versuche, fe rner die E x p e r i m e n t e von Loewen- stein, Schieck und Krusius an Kan inchen , die g e n a n n t e n E x p e r i m e n t e y o n Kraus und Volk a n Affen u n d d ie noch zu e rwghnenden V e r s u e h e a n l~indern m a e h e n es in h o h e m G r a d e wahrschein l ich , d a b ffir a l le t ube r - ku loseempfgngl iehen Tiere und aueh ffir den Mensehen das gleiehe Gesetz gil t .

Von gr6Bter F r u c h t b a r k e i t ffir die wei tere I m m u n i t ~ t s f o r s e h u n g w a r e n ferner die yon Behring, andere r se i t s yon Koch m i t seinen Mit- a r b e i t e r n ausgeff ihr ten Schutzimp[ungsversuche an Rindern, die ih ren Ausgang n a h m e n yon der E n t d e c k u n g der Typenve r seh i edenhe i t de r h u m a n e n und Pe r l sueh tbac i l l en n n d der Apathogeif i t~t t der h u m a n e n Baei l len ffir das l~ix~d (Th. Smith, R. Koch).

Erst vor wenigen Jahr~n hat Neu#ld wieder die Frage aufgeworfen, ob wit bereehtigt sind, die dtu-ch ktinstliehe Immunisierung mit humanen Baeillen beim Rinde erzeugte Ilnmunitt~t mit dem Durehseuehungswiderstand des ehronisch infizierten Individuums gleiehzusetzen, wie dies z. B. yon Bettring und yon R6"mer geschieht. Neu]eld weist darauf bin, dalt bei den schutzgeimpften l~indern die Vorbehandlung mehrfach keine Spur einer Erkrankung hinterlassen habe, anderer- seits maeht er abet aueh aufmerksam auf das Vorkommen atler ~berg~nge zwisehen Vaechmtionswirkung und ehronisCher latenter Infektion. Auf Grund meiner

�9 eigenen tierexperimentellen Erfahrungen glaube ich annehmen zu sollen, dab aueh die Vorbehandlung des Rindes mit hnmanen Bacfllen, wie iibrigens auch die Verimpfung ,con humanen Baeillen auf Kaninchen als eine tuberkul6se In#ktion anzusehen ist. Es scheint mir dies eigentlieh sehon aus dem Bericht der englischen Tnberkulosekommission (Cobbett) und den yon Weber, Titze und Jfrn mitgeteflten Beobaehtungen bei Bovovaecination hervorzugehen (Augen- und Gelenkerkran- kungen geimpfter Rinder). Deshalb sind wit naeh mciner Ansicht auch berechtigt, die bei Rindern naeh der Schutzimpfnng mit humanen Bacillen auftretende Immunit/~t unmi~telbar zu vergleiehen mit der Immuni t~ ehroniseh tuberkul6ser Tiere und Menschen. Die Untersehiede sind offenbar rein quantitative.

Die oben ku rz besp roehenen expe r imen te l l en E r f a h r u n g e n f iber d ie Immuni t~ t t tube rku lose in f i z i e r t e r Tiere u n d fe rne r die A nsc ha uung yon v..Behring fiber die E n t s t e h u n g der menschl ichen Tuberku lose im Shug- l ingsa l te r f f ihr ten v. Behring u n d ]~6mer zu der ~)berzeugung, daft /iir Entstehung und Verlau] der Lungenschwindsucht des Menschen die dutch die Kindheitsinfektion erworbene Immunitiit yon ausschlaggebender Be- deutung sei. Auch Weleminsky hut auf G r u n d seiner T ie rversuche an- genommen , d a b der Mensch v ie l le icht nu r e inmal whhrend seines Lebens inf iz ie r t wfirde, sp~tere I n f e k t i o n e n abe r an Jhm abpra l l t cn . Rgmer sag t h ier f iber w6r t l ich fo lgendes :

,,1. I n den v o n d e r Lungensehwindsuch t besonders he imgesuch ten Kre i s en i ibe rsehre i t e t fas t j ede r Mensch bere i t s tuberkulose inf iz ieI~ die Schwelle des K indesa l t e r s . D e m n a e h e n t s t e h t die tube rku l6se Lungen- s chwindsuch t des E r w a e h s e n e n in der fibergrol~en Mehrzahl de r F~ille in e inem sei t de r K i n d h e i t he r inf iz ier ten Organismus.

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zur Frage der Immunit~t gegen tuberkulSse Superinfektion. I. 18~

2. Mit Wahr sche in l i ehke i t g i l t fi ir solehe in der K i n d h e i t t ube rku lose - infizieI~e Mensehen das ~ierexper imente l l begr i inde te Gesetz, daft eine Tube rku lose in fek t ion I m m u n i t ~ t gegen wei te re Tube rku lose in fek t ionen ver le ih t , u n d zwar so, daft k le ine Mengen des re inf iz ie renden Virus ohne W i r k u n g an bere i t s t ube rku l6sen Menschen a b p r a l l e n ; gegeni iber grol~en Dosen des re inf iz ie renden Virus bew~hr t sieh der Sehutz dadurch , daft es n i ch t zum Ausb ruch ga lopp ie r ende r Tuberku lose k o m m e n kann , wie be im n ich t in f i z ie r t en Menschen, sondern zum Bride der chronischen Lungenschwindsuch t .

3. Es is t also der Ausb ruch de r Lungenschwindsuch t anzusehen als (tie Fo lge e iner mass iven Re in fek t i on bei e inem bere i t s in de r K i n d h e i t t ube rku lose in f i z i e r t en Organ i smus . "

R6mer war n u n fe rner de r Ans ich t , dab In f ek t i onen yon auBen, so- g e n a n n t e add i t ione l le In fek t ionen , nu r d a n n fi ir den Menschen ver- hi ingnisvol l wi i rden, wenn sie sehr mass iv seien oder sich h i u f i g wieder- hol ten, gegen die in de r P rax i s du rchaus vo rhe r r schenden schwachen I n f e k t i o n e n is t nach l?Smer de r tuberku lose in f i z ie r t e Organismus i m m u n ; wenn es zur Schwindsuch t k o m m t , so s ind in der Regel n ich t add i t ione l l e I n f e k t i o n e n yon augen, sondern sogenann te me ta - s t a t i sche A u t o i n f e k t i o n e n dMfir ve ran twor t l i ch zu machen .

Die B e h r i n g - R S m e r s e h e L e h r e , in ihrer ex t r emen F a s s u n g heu te noeh besonders yon Much und v. Hayek ver foch ten , schien in k l in isch-epide- mio logisehen B e o b a c h t u n g e n eine Best~it igung zu f inden.

In Frankreich hatte sehon Mar/an im Jahre 1885 darauf hingewiesen, dab geheilte euberkulSse ])riisenerkrankungen in der Kindheit und spittere Lungen- schwindsuch$ selten zusammentreffen. I)ieser Satz, wit .woUen clahingestellt sein lassen, wie welt er riehtig ist, hat in der Folgczeit hauptsiichlich in Frankreich grol~e Beaehtung gefunden (Gesetz yon 3lar[an). Ganz besonders gaben aber Beobachtungen fiber Tuberkuloseerkrankungen bei NaturvSlkern, bei denen die Tuberkulose nieht heimiseh ist wie in den zivilisierten VSlkern, eine Stiitze for die Annahme eines erworbenen spezifisehen Sehutzes gegen die Tuberkulose infolge einer Kindheitsinfektion ab. Es sei nur erinnert an die Beobaehtungen yon Calmette an Polynesiern, an die yon RSmer in Argentinien, yon WestenhO/er in Chile, endlich an die neuesten im Weltkriege mit den farbigen }IilfsvSlkern gemaehten Erfahrungen. I)iese Beobachtungen ergeben iibereinstimmend, dab die Tuberkulose bei V61kerschaften oder bei bestimmten Bev01kerungsgruppen, in denen sie nieht heimiseh ist, in Form einer akuten Seuche verl/tuft. Wir wollen an dieser Stelle auf eine genauere Er0rterung dieser wiehtigen Erfahrungen nicht eingehen, es mull aber doeh kurz auf folgendes hingewiesen werden:

Erstens entspricht der b6sartige Verlauf der Tuberkulose bei tuberkulose- unberiihrten V01kerschaften usw. keineswegs dem Infektionsverlauf erstmalig infi- zierter Menschen in tuberkuloseverseuchten Gegenden, nicht cinmal ganz der Situg- hngsinfektion, vielmehr zeigen sich in der Regel, wie vor kurzem erst Neu/eld betont hat, aueh die Erstinfizierten tuberkuloseverseuehter BevNkerung erheblich resi- stenter aN die Erstinfizierten aus tuberkulosefreien L/~ndern. Mindestens kann also fiir die obengekennzeiehneten Untersehiede im Verlauf der Infektion die vor- handene oder fehlende immunisierende Friihinfektion nieht, der ausschlieflliche

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Grund sein. Zweitens k6nnen wit uns aber die erw~hnten Verschiedenheiten des Tuberkuloseverlaufs nach der Infektion durehaus befriedigend auch au[ andere Weise erkl~ren. Wie bei den Masern und anderen Infektionskrankheiten hat h6chstwahrscheinlich auch bei der Tuberkulose die seit Jahrhunderten sich immer yon neuem ausbreitende Krankhei~ in den davon befallenen L/indern allm/~hlich zu einer Auslese der wlderstands]dihigen Individue~ gefiihrt. Aber noch andere Faktoren kommen in Betracht, z.B. Unterschiede in der Empfangliehkeit ver- schiedener Menschcnrassen, wcsentlich auch wohl die mit der Verpflanzung yon Menschen der NaturvSlker in zlvilisierte Erdteile oft verkniipfte Verschlechterung der ~uBeren Lebensbedingungen und die hierdurch hervorgerdfene Herabsetzung der allgemeinen WiderstandsfhhigkeR. Wir sehen ja andererseits unter dem Ein- flull starker /s Resistenzseh~digungen auch bei Mensehcn durchseuchter BevSlkerungsgebiete sehwere ~kute Tuberkuloseformen auftreten, wie wir sie sonst nicht erleben. Es geniig~ der Hinweis auf die Beobachtungen w~hrend des Weltkrieges und die yon Planner-Wildingho]~ mitgeteilten interessanten Massen- erkrankungen an akuter TuberkuIose bei den Deutschen und 0sterreichern, die rich in Sibirien in Gefangenschaf~ befanden. Die Sektion ergab bei diesen Mensehen neben den Zeichen der akuten disseminierten Tuberkulose vielfaeh alte verka]kte Lungenherde verschiedener Grsl3e.

Die epidemiologischen Beobaeh tungen fiber das grunds~tzl ich ver- schiedene Verhalten durchseuchter und n ich tdurchseuchter V61ker der Tuberkulose gegcniiber kSnnen also auch ohne Zuhilfenahme der H y p o - these v o n d e r immunisierenden ~ri ihinfekt ion erkl~rt werden, worauf neuerdings im besonderen Neu/eld und auch Lydtin hingewiesen haben. Dami t verlieren die Beobach tungen als Stfitze ftir die ROmersehe An- schauung wesentlich an Wert . Auf die anatomische Begri indung der Behring-ROmerschen Lehre dureh Ranke soll hier nieht ngher einge- gangen werden. Es sei nur darauf hingewiesen, dal~ aueh gegen die Argumente Rankes neuerdings yon verschiedenen Seiten ernste Be- denken geltend gemacht worden sind (vgl. im besonderen die Aus- f t ihrungen yon Lydtin, Z. Tbk. 51).

Angesichts dieses Sachverhal ts scheint es mir heute mehr denn je gerechtfert igt , eine LSsung des Problems wieder aus tierexperimentellen Beobachtunge~ heraus anzustreben.

Eine genaue Durchs icht der einsehl~gigenMitteilungen, im bcsonderen der Beobach tungen yon Rgmer und Hamburger an Meerschweinehen zeigt, dab fast ausschlieftlich tuberkulOse Tiere auf Immunit~tt geprtift ~,~urden, bei denen die Ers t infekt ion zu einem mehr oder weniger pro- gredienten Xrankheitsprozel~ gefiihrt hat te . W~thrend eines solchen Prozesses bes teht offenbar aueh beim Menschen eine gewisse Immuni t~ t . Es ist ja kaum anders zu erkl~tren, warum es so h~ufig zur Ausbi ldung nur eines einzigen typ ischen Prim'Xrkomplexes in den Lungen kommt . WeIm auch die E i n a t m u n g yon Tuberkelbacil len selbst bei langdauern- der und gefghrl icher Exposi t ion lange n ich t so hiiufig sein diirfte, w ie noch heute vielfaeh angenommen wird, so k a n n m a n sich doch k a u m vorstellen, dab bei einer so aul3erordentlieh grol3en Zahl yon Menschen

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zur l~rage der Immunitii$ gegen tuberkulOse Superinfektion. I. 189

diese Eina tmung von Tuberkelbacfllen nur ein einziges Mal erfolgt. Vielmehr miissen wir annehmen, daft sie zwar mehrmals erfolgt, dab aber nach Etablierung der Erstinfektion, mindestens solange der hier- durch hervorgerufene tuberkul6se ProzeB noch nicht zur Ruhe ge- kommen ist, gegen sp~tere Ansteckungen, sei es yon weleher Eingangs- pfor te aus sie erfolgen mOgen, ein gewisser Schutz vorhanden ist.

Die vorliegenden Tierexperimente geben aber, wie vor kurzem wieder Uhlenhuth mit l~echt betont hat, keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie die Allergieverhhltnisse beim Menschen liegen, wenn ein tubcrkul6ser Prozefl zum Stillstand und zur Abheilung komm~. Dieses kann vielmehr nur yon Exper imenten erwartet werden, die der zur Abheilung gelangenden Kindheitsinfektion des Menschen entsprechen.

Mit Versuchen an Meerschweinchen, sofern sie in der iiblichen Weise mit virulenten Tuberkelba~illen infiziert werden, kommt man hier nicht weiter. Sehon eher ftir die Verhaltnisse am Menschen verwertbar sind Versuche an groBen Tieren, wie z .B . die Behring-R5merschen Versuche mit dem Bovovaccin, die yon Koch und seinen Mitarbeitern mit dem Tauruman, yon Vallde mit abgeschw~eht virulenten Tuberkel- ba~illen an Rindern, die Versuche yon Krau8 und Grofl und Krau8 und Voll~ an Allen. Die mit humanen Bacillen an Rindern ausgefiihrten Infektionen sind nun allerdings insofern der menschlichen Infektion nieht gleichzusetzen, als es sich bei den in dieser Weise geimpften Rindern be~ kanntl ieh um eine Infekt ion mit dem fiir sie wenig virulenten Tuberkel- bacillentypus handelt, die regelm~Big, und zwar in relativ kurzer Zeit, vollkommen ausheilt. Ers t recht gilt dies fiir die Versuche yon Kraus und seinen Mitarbeitern an Affen mit dera fast avirulenten S tamm Cour- mont und GefliigeltuberkelbaciUen.

Trotzdem ist es mSglieh, aus diesen Versuehen, im besonderen den zahlreichen Sehutzimpfungsversuehen an Rindern, mi t einer gewissen Vorsicht Schliisse auf d ie Immunit~tsverhii l tnlsse bei der menschlichen Tuberkulose zu ziehen. Vor allem lassen die Erfahrungen mit der Rinder- immunisierung iibereinstimmend die kurze Dauer der Immuni t~ t erkennen (etwa 1 Jahr) , sie zeigen ferner, dab die Vorbehandlung mit mensehlichen Tuberkelbaeillen Rindern wohl gegen eine wenige Monate naeh der Vor- behandlung vorgenommene ]ci~nstliche Ansteckung auf intraven(isem Wege betr~ehtlichen Sehutz verleiht, da~ sie aber gegenfiber der protrahier ten nati~rlichen Ansteckung in verseuchten Stallungen ohne Erfolg is t .

Diese Wahrnehmung fief seinerzeit allgemein starke Entt~uschung hervor. Man hatte sich allzu grol3em Optimismus hingegeben und vergessen, wie vorsichtig Robert Koch und seine Mitarbeiter sieh in bezug auf die Wirkung ihres Impfver- fahrens in der Praxis ausgedr/ick~ haben. In der Mi~teflung yon //obert Koch, �9 qehiitz, 2Veu/dd und Mieflner aus dem Jahre 1905 heiBt es in bezug auf die beob- achtete Immunit~t wSrtlich*: ,,Wir mtissen uns jedoch vor Augen halten, dab �9 * Z. Hyg. 51, 327.

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des zun~ehst nur fiir den Laboratoriumsversuch gilt. Die ~alfektiQn ist zwar in unseren Fallen eine sehr schwere gewesen, eine vielmals schwerere, so soIl~e man meinen, als bei der natfirllehen ~bertragung der Krankheit; allein die letT, tere ist eben andersartig und es kann nut in der Praxis studiert werden, wie sich ihr gegeniiber die kfinstlich immunisierten Tiere verhalten." Sehr zurfickhaltend sind in dieser ttinsicht auch die Beriehte yon l~ossignol und Vall6e fiber die Nachpriifung des Behringsohen Sehutzimpfungsverfahrens aus dem gleiehen Jahre abgefaBt. Sie unterseheiden seharf zwisehen den yon ihnen festgestellten Erfo]gen gegeniiber der kfinstliehen experimentellen Lr~fektion und der nat , ' l ichen Ansteekung mad betonen nachdriicklieh, dab ihre Schlu6folgerungen nieht auf Versuche in infizierter Umgebung ausgedehnt werden dfirfen, dab hierfiber vielmehr erst mehrfache Er- fahrungen in der Praxis Klarheit schaffen kOnnten.

Worauf sind die beobachteten erheblichen Unterschiede zwisehen dem Ver- halten der Tiere gegenfiber der ktinstlichen Laboratoriumsinfektion und der 2~n- steekung in der Praxis zuriickzuf/ihren ? Diese Frage scheint mir aueh fiir die Beurteilung der Immunit~tsverh~ltnisse beim Menschen, im besonderen auch hinsiehtlieh ktinstlicher Immunisierungsbestrebungen yon grunds~tzlicher Be- deutung. Verschiedenheiten in der Menge der infizierenden Bacillen kOnnen naeh meiner Ansieht nicht sehuld daran sein. Man kann sich doch kaum vor- stellen, dab z. B. die Einatmung einzelner weniger Bacillen in die Lungen ffir die Tiere verh~ngnisvoller ist als die pl6tzliehe I3bersehwemmung des Blutes unr damit auch der Lungen mit vielen MiUionen yon Bacillen. Ebensowenig k6nnen Unterschiede der Virulenz maBgeblich sein, mindestens existieren his heute keine Beobachtungen, welehe zugunsten der Annahme spreehen, da~ die direkt aus den erkrankten Organen auf den gesunden Organismus fibertragenen Tuberkelbaeillen eine h6here Virulenz besitzen als maximalvirulente KulturbaciUen. Eher ist schon des Moment der Wiederholung der Infektion unter natiirliehen Bedingungen heranzuziehen, aber ganz abgesehen davon, dab wir eine siehere experimenteIle Grundlage ftir die Annahme des verh~ngnisvollen Einflusses oft wiederholter natfirllcher Infektionen bis heute nieht besitzen, scheint mir doch dieses Moment verglichen mit den im folgenden nhher zu erl~uternden beiden anderen l~aktoren nieht yon so groBer Bedeutung zu sein.

Zun~chst spielt offenbar das Zeitintervall zwischen Vorbehandlung und Infektion eine sehr wichtige Rolle. In den u in denen gegeniiber der kiinstllehen Infektion ein guter Schutz beobachtet wurde, fend die Priifung in der Regel wenige Monate nach der Vorbehandlung start. Wurde l~nger gewartet, z. B. fiber ehl Jahr, so fielen auch die Experimente mit kiinstlieher Infektion vor- wiegend nega~iv aus (Versuche der betgischen Kommisslon, mitgeteilt yon Rosslgno~ und Vall6e, die Beoba~htungen yon Hutyra, Dammann u.a.). Andererseits haben die Versuche mit natfirlieher Infektion vorwiegend dann zu elne m negativen Er- gebnis gefiihrt, wenn der Kontakt der geimpften mit den tuberkul6sen l~indern jahrelang ausgedehnt wurde, bzw. wenn die schutzgeimpften Tiere lgnger als ein Jahr naeh der Vorbehandlung der Ansteekung ausgesetzt wurden, wghrend zum Weft ein Sehutz aueh gegenfiber der natfirlichen Infektion beobaehtet werden konnte, wenn die Exposition der Tiere nur innerhalb des ersten auf die Sehutz- impfung folgenden Jahres gesehah (Versuehe der belgisehen Kommission, yon Eber, Weber und Titze, Weber, Titze und J6rn).

W e n d e n wir die Er fahmmgen fiber die re la t iv geringe Ze i tdauer des Impfschutzes auf den Menschen an, so scheinen sie mi r wie die oben- z i t ier ten Beobach tungen von Kraus u n d Volk an Affen daffir zu sprechen, da~ aueh beim Mensehen eine mflde Infek t ion , die sehne]l heilt , n u r so

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zur Frage der Immunit/tt gegen taberkul6se Stlperinfektion. I. 191

lange e inen Schutz gegen Super in fek t ion bed ing t , als de r tube rku l6se Prozel l noch a k t i v ist , m i t de r He i lung er l i scht augenscheinl ich auch die I m m u n i t g t .

Ein zweiter Punkt erseheint mir noch wichtiger. Bei den Versuchen mit kiinstlieher Infektion handelt es sieh durchweg xlm Tiere, die unter g(tnstigen i~u/3eren Verhaltnissen gehalten werden, bei den Versuehen mit natiirlicher In- fektion in verseuchten Stallungen' dagegen wirken gewfhnlich eine Reihe von /~u6eren Momentcn in hd'cltst scMidlicher Weise au[ die allffemeine Resistenz der Tiere ein. Die Tiere stehen lange Zeit in engem Stall ohne Luft und Licht, dazu kommt evtl. noch unzureichende Fiitterung und starke gewerbliche Ausnutzung. Weber und Titze infizierten vorbehandelte Rinder teils kfinstlich durch Inhalation und durch Fiitterung, teils setzten sie die Tiere der natiirlichen Stallinfektion aus. W/~hrend nun die Experimente, in denen die Rinder ,,in kleinem Stall" den Baeillen- streuern gegeniiberstanden, ~hnliehe ungiinstige Ergebnisse zeitigten wie die Ver- suche yon Eber, Hutyra u. a. in Seuchenstallungen, waren die kfinstlich, abet auf den nat/irliehen Wegen infizierten Tiere, die in luftigen und ger~umigen Stal- !ungen untergebracht waren, bei der Sehlaehtung erheblieh besser Ms die Kon- trolleo. Schon in diesen Versuehen zeigt sieh nach meiner Ansicht der ungfinstige Einflul~ eines aueh in der Praxis, mal~gebliehen Faktors, n~mlich des li~ngeren Aufenthaltes in schleehtem Stall.

Die E r f a h r u n g e n an schu tzge impf ten R i n d e r n m i t de r Labo ra to r iums - in fek t ion einersei ts , de r Ans t eekung in de r P r a x i s andere r se i t s zeigen aufs deut l ichs te , dab die zur Pr i i fung auf vo rhandene I m m u n i t ~ t im L a b o r a t o r i u m angewand te Methodik , se lbs t wenn es sich u m die so- genann te na t i i r l i che I n f e k t i o n hande l t , den in de r P rax i s gegebenen Be- d ingungen n i ch t en t sp r i ch t . U n t e r na t i i r l i chen Verh~l tn issen wird eben E n t s t e h u n g u n d Ver lauf de r I n f e k t i o n oft noch durch resistenzsch~idi- gende Momente wesent l ich m i t b e s t i m m t . Auf diesen wicht igen P u n k t k o m m e ich noch zuri ick. Zuvor sell we l t e r gepr t i f t werden; wie die Erstin/ektion im E x p e r i m e n t zu ges t a l t en ist , d a m i t sie sich den Ver- h~l tn issen b e i m Mensehen m6gl ichs t n~her t .

Der de r I n j e k t i o n von l~indern m i t h u m a n e n Baci l len fo lgende Krankhe i t sp rozeB ist , wie wir gesehen habeD, wegen seiner schnellen Aus- he i lung der la tenben Tuberku lose des Menschen s t reng genommen n i c h t g le ichzusetzen. W i r s ind nun aber aueh in de r Lage, bei Tieren k/2nst- lich eine In/ektion herbeizu/iihren, die der natiirlichen Erstin/ektlon des Menschen weitqehend entspricht.

Sehr haufig kommt es, wie wir ans zahlreichen einsehla~gen Versuehen des Reiehsgesundheitsamts, der englischen Tuberkulosekommission, yon Calmette und Gu~rin n. a. wissen, bei Rindern, auch bei Schweinen, Schafen, Ziegen nach Ver- Iiltterung gr6Berer Mengen boviner Tuberkelbaeillen, wenn nichb sehr grebe Dosen oft hintereinander verfiittert werden, zu:tuberkul6sen Prozessen, die ledig- lieh auf die region~ren Lymphknoten besehr~nkt sind und lange Zeir latent bleiben. DaB eine derartige, lange lokal bleibende Tuberkulose aber auch dutch parenterale, z .B. subcutane Verimpfung erzeugt werden kann, geht besonders deuflich ans den Untersuehungen fiber die Typendifferenzierung der englischen Tuberkulose- kommission und den Arbeiten des Reiehsgesundheitsamts hervor. Wenn die

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192 B. Lange: F, xperimentelle Untersuchungen

Autoren aueh fiir den vorliegenden Zweek den Tieren subcutan bzw. intravenOs sGhr hohe Dosen injiziert haben (bei Rindern 1--10 mg intravenSs, 50 mg sub- cntan), so sind doch gGlegentlieh aueh kleinere, wenn aueh immer noch Grhebliche Bacillenmengen gepriift worden, z. ]~. yon der englisehen Kommission x/50 und x/i00 mg yon der Subeutis aus. Bereits solehe Mengen, d.h. etwa 1--2 Millionen lebende Tuberkelbacillen ffihrten zu einer lokal bleibenden und zur Ausheilung neigenden Tuberkulose (Second. int. rep. I [1907]). R6mer erzeugte eine lokale Tuberkulose bei Schafen, indem er ihnen 1/10 bis 1/4 mg virulenter boviner Kultur subentan einimpfte. Man mul3 hiGraus seh]ieBen, dab kleine TuberkelbaciUen- mengen auf Rinder und Sehafe verimpft, einigermal3en regetm~t3ig eine lokale und zur tteilung neigende Tuberkulose setzen.

Es w~re also m6glich, en twede r durch F i i t t e r u n g oder dureh in t ra - venSse, besser noeh subeu t ane Ver impfung kleiner Mengen virulenter Kultur eine lange Zei t l a t e n t b le ibende Tuberku lose be i grSl]eren Ver- suchs t ie ren zu erzeugen und die Tiere d a n n naeh b e s t i m m t e n I n t e r v a l l e n a u f I m m u n i t ~ t zu pri i fen. E i n e r solchen P r i i fungsme thode h a t m a n b isher k a u m B e a e h t u n g gesehenkt , haupts~iehlich wohl deshalb , weil d ie E rzeugung e iner l a t e n t e n Tuberku lose dureh v i ru len te Tub6rkel - baci l len fiir eine I m m u n i s i e r u n g in de r P rax i s sich augenscheinl ich n ieh t e ignet . R6mer konn te an seinen m i t v i r u l e n t e r bov ine r K u l t u r infi- z i e r t en Sehafen eine be t r~eh t l i ehe I m m u n i t ~ t gegeni iber i n t r avenSse r Super in fek t ion , a l le rd ings be i e iner Pr i i fung nach wenigen Mona ten naehweisen. Aul3er dieser B e o b a e h t u n g l iegen nu r ganz vere inze l te Versuche an R i n d e r n m i t v i ru len te r , a b e t lokal b le ibender E r s t i n f ek t i on vor, z. B. v. Behring und R6mer, Lignidres (Lit . vgl. aueh Koch, Schlitz, Neu[eld, Mie[3ner). Neuerd ings h a b e n Seller, Knauer u n d Blumenberg K a l b e r auf I m m u n i t ~ t gepri i f t , d ie m i t Selters abgesehw~eht v i ru l en t en K u l t u r e n v o r b e h a n d e l t waren.

Die vorbehandel~en Rinder zeigten sieh in den ]etztgenannten Versuehen zum Teil gesehiitzt gegen die natiirliche Infektion in einem Seuehenst~ll, die Beobach- tungszeit betrug aUerdings nut 2 Monate yore Beginn der Infektionsgelegenheit an. Ob die Tiere, die keinen Sehutz aufwiesen, deswegen nieht immun waren, weft die Vorinfektion zu keinen naehweislieh pathologisch-anatomisehGn Vet/in= derungen gefiihrt ha~e, wig digs Selter annimmt, oder well sie iiberhaup~ kelne lebenden Tuberkelbaeillen bei der Impfung erhalten haben, kann nieh~ entsehle- den werden, da Selter ~iber die Anzahl lebender Baeillen, welehe er mi~ sGiner Kul~ur injiziert, nicht orientiert is~ (vgl. die Ausfiihrungen in der II . Mitteilung).

Sehr wieht ig w~re es, n~heren Aufsehlul~ zu b e k o m m e n fiber die I m m u n i t ~ yon Tieren mi~ nati~rlichen Spontanin]elaionen. Die b isher f iber die Immuni t~ tsverh t~l tn isse bei s p o n t a n inf iz ie r ten Tieren vor- l iegenden expe r imen te l l en E r f a h r u n g e n s ind abe r noeh df i r f t iger s is die v o r e r w a h n t e n Beobaeh tungen . So f anden v. Behring, Hutyra, Vall~e*, Calmelte und Gudri~ wie Finzi s p o n t a n inf iz ier te R i n d e r gegen ki ins t - l iehe I n f e k t i o n geschfi tzt . Abgesehen davon , dal3 es sich b i e r u m Eiiazelversuehe hande l t , die v ie l faeh wie die y o n Finzi noeh ohne die

* Zitiert naeh .~ewenste~n.

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zur l~rage der Immunit~t gegen tuberkulOse Superinfektion. I. 193

erforder l ichen Kon t ro l l en anges te l l t sind, fehl t ihnen vs l l ig die K e n n t n i s des zwischen Ers t - und Zwei t in fek t ion ve r s t r i chenen In te rva l l s . Es is t nach al lem, was wir sonst fiber die I m m u n i t K t bei R i n d e r n wissen, sehr wahrschein l ieh , dab spon t an inf iz ier te Tiere mindes t ens 1 - - 2 J a h r e naeh ih re r E r s t i n f e k t i a n gegen Super ln fek t ion wei tgehend gesehf i tz t s ind.

Wir selbst verffigen fiber einzelne Beobaehtungen, die zugleieh die Grenzen des Sehutzes naeh Spontaninfektion erkennen lassen. Von 2 tuberkulinpositiven Sehafen wurde an einem Tags sins mit 1/2 mg unserer Kultur G.A. von mittlerer Virulenz intraven6s infiziert, ein anderes etwa 2 Monate spater intraven6s mi~ 1]~o mg derselben Kultur. Das erste erlag der Infektion naeh 25 Tagen. Bei der Sektion zeigte es disseminierte Lungentuberkulose und einen alten kasigen Herd in einer Mesenterialdriise. Das zweite erwies sieh gegeniiber der fiir die Kontrollen ~6dliehen Dosis gesehiitzt. Es wies bei der einige Men,re naeh der intraven6sen Infektion vorgenommcnen Schlaehtung lediglich die Residuen der alten Prim~r- infektion auf, ngmlieh kAsig kalkige Herds in den Mediastinaldriisen*. Ein tuberkulinposi~ives Rind wurde mit 20 rag, also einer ziemlich grol]en Dosis hoeh- virulen~er Kultur intravenOs infiziert. Nach ganz geringem initialen Fieber blieb die Temperatur dauernd normal, die FreBlust blieb gut, das KSrpergewicht zeigte keine Abnahme. 2 Y[onate danach bei gutem Allgemeinbefinden get6tet, zeigte es beide Lungen v611ig durehsetzt yon miliaren Kn6tehen. Die Infektion war bei diesem Tiere also zwar angegangen, hatte aber wenigstens nicht zu einer akut t6dliehen Erkrankung gefiihrt. Bei niehtinfizierten Rindern verursaehte noch 1/2 mg derselben Kul~ur eine zum Tode ffihrende akute Miliartuberkulose.

Auch in unse ren F~l len bes t and U n k e n n t n i s fiber den Ze i t punk t der Spon tan in fek t ion , desha lb s ind sis ebenso wie die obenz i t i e r t en Einzel- b e o b a e h t u n g e n ffir die F r a g e nach der Dauer des Imp]schutzes bei la- tenter In[ektion n ich t zu verwer ten .

Es bes t eh t aIso ganz offenbar in den t i e r expe r imen te l l en Er fahrungen insofern eine Lficke, als wir ge rade iiber die immunisierende Wirkung tierischer In/ektionen, die der menschliche~ In]ektion im [riihen Kindes- alter entsprechen, noc]~ sehr wenig wissen.

Wenn nieht einmal Rgmer es fiir nOtig befunden hat, derar~ige Untersuehungen anzustellen, so finde~ dies offenbar seinen Grund darin: l~6mer sah in den bis dahin vorliegenden Experimenten eine hinreichende Begrfindung seiner Annahme von dem Sehutz des erwachsenen Menschen gegenfiber tuberkulSscr Infektion infolge /iberstandener Kindheitsinfektion. Wenn sehon das f/ir die Tuberkulose so hoeh empfangliehe Meersehweinehen eine komplette Immunit~it gegen Super- infektionen erkennen lleB und Ierner diese Immuniti~t sieh dokumentierte trotz fortschreitender Erstinfektion, um wieviel starker muBte naeh R6mers Ansicht beim Menschen eine Infektion immunisieren, die er bereits dank seiner natiirlichen Abwehrkrafte fiberwand. Aueh heutzutage wird noeh vielfach, den Gedanken- gangen R6mers folgend, z. B. yon Uhlenhuth und Selter bereits die Heilung des Erstinfekts wesentlieh auf das Konto einer erworbenen spezifisehen Immunitat gesetzt. Mir seheint es riehtiger zu betonen, da[} naeh sta~tgehabter Infektion fiir den Ablauf der auf Heilung hinzielenden spezifisehen und unspezifischen Reaktionen des K6rpers die ,ehon im Augenblick der In]ektion vorhandene an. geborene Widerstands/dhigkeit des Or.qanismus und weiterhin Gewinn oder Verlust an angeborenen natiirliehen Sehutzkr~ften dutch eine Reiho unspezifischer

* Vgl. Neu#Id und B. Lange. Zeitschr. f. Hygiene. Bd. l i0. 13

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194 B. Lange : Experimentelle Untersuehungen

Faktoren yon entsoheidender Bedeutung ist (vgl. auch die Ausffihrungen yon Neu#ld fiber den Gegenstand in Beitr. Klin. Tbk. 70).

Was nun die im Laboratorium iibliche Methode der Superi~]ektion betrifft, so ist es doch zweifelhaft, ob wir die h6chst gewaltsame Infek- tion gr6i3erer Versuchstiere, wie sie bei der Prfifung z. B. auf Immunit~t der schutzgeimpften'Rinder in der Regel angewandt worden ist, mit den beim Menschen gegebenen Bedingungen der Superin/ektion ernstlich ver- gleichen dfirfen. Schon die erwi~hnten Elffahrungen an den schutz- geimpften Rindern (Prfifung auf Immunit'~t im Laboratorium und in der Praxis) mahnen zur Vorsicht. Ein gleichcs gilt for das Meersehweinchen. Sowohl bei der massiven Laboratoriumsinfektion grOl~erer tuberkulose- empf~nglieher Versuchstiere wie bei der des Meerschweinchens mit klein- sten Baeillenmengen ist der Verlauf der Tuberkulose/ast ausschliefllich vo~ der ln/ektion bestimmt. FOr diese besteht bei den Tieren eine 9enerelle Emp- fgnglichkeit. Beim Mensehen dagegen h~ngt der Verlauf der Infektion nicht nur yon der Art und Hi~ufigkeit der In]elction selbst unter den natiir- lichen Bedingungen ab, sondern, wie dies modernen ]~berspan~ungen der Lehre yon der spezifischen Immunit~t gegenfiber mit Recht yon l~lartius, Ft. v. Miiller, Beitzke, v. Romberg, Lydtin u. a. bebont worden ist, wesent- lich yon der nichtspezifischen individuellen Widerstands[dhigkeit, die nicht nur bei den einzelnen Mensehen sehr verschieden ist, sondern auch bei ein und demselben Menschen oft starken zeitlichen Sehwankungen unter- liegt. Wir sehen einerseits, besonders Kinder unmittelbar naeh der Infektion erkranken gleich infizierten Meersehweinchen, auf der anderen Seite begegnen wir aber Menschen mit einer angeborenen Widerstands- fiihigkeit -- auch der Erstinfektion gegentiber -- von erstaulflichen AusmaJ]en. Dazwisehen gibt es alle l~berg~nge. Die Untersehiede in der natfirlichen Widerstandsf~higkeit der Infektion gegeniiber beruhen auf mannigfachen, tells konstitutionellen, tells dispositionellen Faktoren. Diese Faktoren in tierexperimentelle Untersuchungen mit einzubeziehen, ist eine sehr schwierige, aber auch sehr lohnende Aufgabe. Von groBer Wichtigkeit wiiren nach meiner Ansicht z. B. genauere experimentelle Untersuehungen darfiber, wie Erst- und Superinfektion bei Rindern verlaufen unter dem Einflu2 yon resistenzsch~digenden Faktoren, Wie sie in der Praxis bei Rindern erfahrungsgemi~II hi~ufig vorkommen.

Es wird nun allerdings nach meiner ~berzeugung nicht m6glich sein, aus derartigen Versuchen Gewinn zu schSpfen, bevor wir nicht besser als bisher i~ber die yon dlapoaltionellen Momenten unabMingige Wirlcung einer In/elctiou au] die zeillich vorangehende oder naeh/olgende unterrichtet sind. Dabei mfissen wir uns aber bemiihen, nicht nur / i i r die Erstin/ektion die obenbesprochenen Gesichtspunkte zu berficksiehtigen, sondern auch /i~r die Superin[ektion m(igliehst einen Ilffektionsmodus zu wi~hlen, der den quantitativen Bedingungen der menschlichen In[ektian (In/ectio

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zur Frage der Immunitat gegcn tuberkulSse Superinfektion. I. 195

minima) entspricht. Vielleieh~ gelingt es "dann, eine Reihe von Fragen yon grunds~tzlicher allgemeiner Bedeutung zu ldiiren, im besonderen die, ob die stdrkere oder die schwdchere Erstiniektion eine bessere Immuni- ti~t schafft, was das IntervaU zwischen den eilmelnen Infektionen fiir die dabei auftretenden spezifischen Immunit~tsvorg~tnge bedeutet, ferner, wie der Krankheitsprozel~ sich bei Durchbrechung der Immunitiit ge- staltet und endlich, wie o]t wiederholte Superinfektionen wirken.

Man karm derartige Versuche sowohl an gr62eren Versuchstieren wie an Meersehweinchen ansteIlen. Meerschweinchenversuche sind weitaus am billigsten und haben den weiteren Vorteil, da~ grofle Tier- reihen miteinander verglichen werden k6nnen. In einer sp~teren Mit- teilung sollen diejenigen bisher vorliegenden Meerschweinchenexperi- mente besprochen werden, in denen mit oder ohne Erfolg versucht worden ist, eine gutartlge latent bleibende Tuberkulose zu erzeugen und fiber die immunisierende Wirkung derartiger Infektionen ein Urtei] zu gewinnen.

Schluflsdtze. 1. Dal~ sich im Laufe einer aktiven Tuberkulose eine spezifisehe

Immunitiit ausbildet, unterliegt naeh unseren tierexperimentellen Er- fahrungen und aueh nach den Beobachtungen am Menschen keinem Zweifel. ~" 2. Dagegen ist die Behring-R6mersche Lehre yon der dutch die Kindheitsin/ektion erworbenen Immunit(it des erwachsenen Menschen naeh meiner Uberzeugung weder dureh experimentelle noeh dureh epidemio- logisehe oder sonstige Erfahrungen hinreiehend gestfitzt.

3. Um die Wirkung yon Superinfektionen beim Menschen unter den versehiedenen Bedingungen der Praxis besser beurteilen zu k6nnen, als dies bis heute m6glich ist, bedarf es einer Ergttnzung unserer tierexperi- mentellen Erfahrungen durch Versuche, die sich den mannig/achen, beim Menschen in der Praxis gegebenen Bedingungen der Erst- und SuTer- in]e/ellen m6glich~st ann(ihern.

4. In bezug auf die Erstin[ektion bedeutet dies kfinstliche Erzeugung einer lange Zeit latent bleibenden, zur Ausheilung neigenden Tuberkulose, in bezug auf die Superin[ektion Bertieksiehtigung der in der Praxis ge- gebenen Bedingungen der Infektion (Infeetio minima) und Mitheran. ziehung der fiir den Verlauf der Tuberkulose hOchst bedeutsamen dispositionellen Momente.

5. Die Beurteilung des recht komplizierten Einflusses res,istenz. schddigender Faktoren in ad hoe angestellten Versuchen scheint mir aber erst mSglieh zu sein, wenn wir in Erggnzung der bis heute vorliegenden experimentellen Erfahrungen unter Ausschaltung dieser Faktoren iiber die m6glichst reine Beein]lussung einer In]elction dutch eine vorangehende geniigend un~errichte~ sind.

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196 B. L a n g e : Z u r F r a g e de r I m m u n i t ~ t t g e g e n t u h e r k u l S s e Super in fek t ion . I.

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