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7/23/2019 Fhndrich Besatzung in Der Palstinensischen Lit ZDMG1983
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FACHGRUPPE 6:
MODERNER ORIENT UND DIALEKTOLOGIE
Leitung: Stefan Wild, Bonn
PALSTINENSISCHE GESELLSCHAFT UNTER
ISRAELISCHER BESETZUNG.
ZU ZWEI ROMANEN VON SAHAR HALIFA
Von Hartmut Fhndrich, Bern
Vor allem mchte ich Ihnen kurz die Pal-
stimnserfr&ge klarlegen, wie s ie sich heutelur uns darstellt. Sie i st ein z wiefaches Pro
blem, ein Problem, das man vielleicht mit
dem einen Wort charakterisieren kann:
die Heimatlosigkeit eines Volkes."
(Cr. Weizmann: Das jdische Volk und
Palstina. Erklrung vor der KniglichenPalstina-Kommission in Jerusalem am 25.
November 1936. Jerusalem 1937. S. 5
[Kursiv Gedrucktes gendert!])
Heimatlosigkeit, Fremdsein ist ftir die palstinensische Literatur und
Literaturbetrachtung ein wesentlicher Begriff; gurba, garba und igtirb
treten in Texten wie bei deren Interpretation immer wieder auf, auch im
Zusammenhang mit den Arbeiten von Sahar Halifa . . . Betont sei auch,
da sich die Handlung der zwei Romane Halifas, von denen hier die Rede
sein soll, innerhalb Palstinas abspielt, teils in Israel, teils im besetzten
Westjordanland, teils im annektierten Jerusalem. Fremdsein mu also hier nicht heien Auer-Landes-Sein. Fremder sein kann man und ist man in
Sahar Halifas Romanen auch im eigenen Lande, das eben nicht mehr das
eigene ist. Fremder sein kann man auch in der eigenen Familie, in der
Berufsgruppe, in der Gesellschaftsklasse. Fremd sein kann man ebenfalls
im Hinblick auf kulturelle Traditionen oder im Hinblick auf das, was man
sich vom Leben erhofft. Fremdsein hat unzhlige Aspekte und der Vorgang
der Entfremdung unzhlige Grnde.
Unter diesen Vorbemerkungen darf man wohl die beiden neuesten
Werke von Sahar Halifa, a^Subbr (Der Feigenkaktus; 1976) und 'Abbd
dS-Sams (Die Sonnenblume; 1980) als Romane bezeichnen ber dasFremdsein, das Heimatlos-Werden und den Kampf dagegen, und zwar am
palstinensischen Beispiel.
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Sahar Halifa ist Palstinenserin. 1941 ist sie in Nablus geboren. Ihr
Elternhaus war nicht unvermgend, ihr Vater Kaufmann, Muslim. Aus
ihrer Jugend sind bisher keine einschneidenden Saulus-Paulus-Ereignisse
bekannt. Sie ging in Nablus zur Schule bis zum Abitur {taubihi) und wm-de
dann verheiratet. Spter folgte sie ihrem Mann nach Libyen. Einige Jahre
danach kehrte Sahar Halifa nach Nablus zurck und lie sich scheiden.
Darauf sorgte sie eine Zeitlang mittels verschiedener Ttigkeiten fr sich
und ihre beiden Tchter und studierte dann Englisch an der Bir-Zeit-Uni-
versitt bis zum Abschlu mit einem B.A. im Jahr 1975. Danach war sie
noch lngere Zeit an der Bir-Zeit-Universitt ttig. Augenblicklich lebt
Sahar Halifa, nach mehrjhrigem Aufenthalt in Chapel Hill in North Caro
lina, wo sie ihre Englisch- und Literaturstudien fortsetzte, wieder im West
jordanland.
Sahar Halifa ist als Prosaschriftstellerin bekannt geworden, ja, sie
wurde auch schon als Pionierin der Romanliteratur im besetzten Westjor
danland bezeichnet. Nur vereinzelt in Zeitschriften hat sie einige wenige
Gedichte verffentlicht. Die Titel ihrer beiden ersten Romane, Nach der
Niederlage und Wir sind nicht mehr eure Sklavinnen, umreien schon die The
men, die im Mittelpunkt ihrer folgenden zwei Werke, Der FeigenJcaktus und
Die Sonnenblume, stehen. Der erste Roman, Nach der Niederlage, ist nie
erschienen. Die Isrealis nahmen ihn der Autorin als Manuskript 1969 an
der Jordanbrcke ab. Der zweite, Wir sind nicht mehr eure Sklavinnen {Lam
na'ud lakum ^awri) wurde 1973 in Kairo verffentlicht, ohne jedoch groe
Reaktionen auszulsen. Darin stellt die Autorin das Milieu der Bourgeoisie
des Westjordanlandes in Vor-mfoa-Zeit, also vor 1967, dar. Mit den beiden
Romanen schlielich, deren Titel der Flora entnommen sind, asSubbr
und 'Abbd aS-Sams, begrndete Sahar Halifa ihren Ruhm als Prosaschrift
stellerin, der es in diesen beiden Werken gelungen ist, die Vernderung
innerhalb der gesamten Gesellschaft im Westjordanland unter dem Einflu
zunchst nur der israelischen Besetzung, dann der immer strker werden
den Annexionstendenzen darzustellen.
Die Handlung dieser beiden Romane ist, krzestmglich zusammenge
fat, folgende:*
In a^-Subbr kehrt Usma, ein etwa fnfundzwanzigjhriger junger
Mann, ins Westjordanland zurck, das er unmittelbar nach der naksa, der Niederlage von 1967, verlassen hat. Fnf Jahre sind seitdem vergangen,
und das Bild Usmas' vom Westjordanland hatte inzwischen hinreichend
Gelegenheit, in romantische Sphren zu entschweben. Die Wirklichkeits
ferne seiner Vorstellungen war auch durch Kontakt mit gewissen Wider
standsgruppen im Ausland gefrdert worden. Doch schon die Fahrt zur
Grenze, dann der Grenzbertritt, das Verhalten der israelischen Grenzsol
daten und der Palstinenser an der Grenze leiten eine Desillusionierung bei
* a?-$ubhr. Beirut: Dr Ibn Rud ^1978: Deutsch: Der Feigenkaktus. Aus dem Arabischen bersetzt und mit einem Nachwort von Hartmut Fhndrich. Zrich:
Unionsverlag 1983. 'Abbd aS-ams. Jerusalem: Dr al-Ktib 1980.
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Usma ein, die aber auch spter fur sein Denken und Handeln folgenlos
bleibt. Er wird zwar auf die Erde herabgeholt, aber er will die Wirklichkeit
nicht wahrhaben:
Nach fnf Jahren betrat Usama nun zum ersten Mal wieder das Westjordanland. Das Wiedersehen war anders als er es sich vorgestellt und ausgedacht, aus
gemalt und zurechtgelegt hatte. Er hatte das Gefhl, das Westjordanland sei auf
das A usma einer Flasche geschrumpft und seine Seele, die sich immer wieder in
den Sphren zrtlicher Sehnsucht verlor, sei vom siebenten Himmel gefallen.
Seine leidenschaftlichen und lebhaften Phantasien, mit denen er whrend langer,
fruchtloser, entbehrungsreicher Jahre gelebt hatte, und seine Trume, die ihn
jeden Abend zur Brcke und ber die Brcke trugen . . ., all das war wegge
wischt. Nichts war brig in seiner Erirmerung, nur eine Folge von Bildern und
Wrtern. . . .
Whrend er ins Auto stieg, schaute er sich um. Das Paradies lag zu seinen
Fen und vor seinen Augen. Doch er war zum Gefangenen dieser Flasche geworden." (S. 23 bzw. 23)
Danach macht Usma mit der westjordanischen Wirklichkeit nach fiinf
Jahren israelischer Besetzung Bekarmtschaft. Er mu zu seiner berra
schung erfahren, da die Haltung der Bevlkerung nicht seiner Vorstellung
von ^wnd, von Widerstand, oder von rh al-muqwama, vom Geist des
Aufbegehrens, entspricht. Die Leute befassen sich mit Alltagsproblemen,
essen aus Israel importierte Nahrungsmittel, rauchen imperialistische
Kent-Zigaretten, und sogar die Person, die ihm immer am nchsten stand,
sein Vettter 'Adil, sagt beim Wiedersehen auf die Frage, was er so treibe:
Ich beuge mich dem Leben." (S. 33 bzw. 32)
'dil wird darm auch Usmas groes Problem. Usma hat nmlich den
Auftrag mit ins Westjordanland gebracht, Anschlge gegen Arbeiterbusse
durchzufhren, um die in Tel Aviv arbeitenden Palstinenser von diesem
dem Feinde ntzenden Tun abzubringen. Doch auch 'dil, Sohn eines
Grundbesitzers und Lokalnotabeln, geht seit einigen Monaten in Tel Aviv
arbeiten, da ihm seine Arbeiter von der Plantage fortgelaufen sind. Die
Plantage verkommt. Doch Usma nun hat erstens noch ein ausgeprgtes
Klassendelsen, zweitens eine starke emotionale Bindung an 'Adil.
Wochen vergingen, doch Usama konnte keinen seiner Plne in die Tat u msetzen. Nicht einmal Adel koimte er erreichen. Auch war er nicht in der Lage, seine
geheimen Auftrge auszufhren. Zweierlei ri ihn hin u nd her. Zwar war er fest
davon berzeugt, da man alle Egged-Busse hochgehen lassen msse. Auch da
die Arbeiter die urieilvoUe Rolle, die s ie spielten., aufgeben mten. Doch die
unvorhergesehene Gegenwart Adels in diesem elenden Mieu strzte ihn in einen
erbarmungslosen Zwiespalt. Er versuchte krampfhaft, sich davon zu berzeugen,
da Adel nur einer von Tausenden sei. Auch sei die Mglichkeit, da es Adel im
Verlauf eines der geplanten Unternehmen treffen knnte, Teil des groen Opfers,
welches er auf sich genommen hatte. Er war schlielich ein engagierter Mensch,
und Gefhle waren in Fllen wie diesem abzulehnen. Was wre, wenn Adel
umkme? Was wre, wenn zehn wie er umkmen? Der Einzelne zhlt nicht, wo esum die Gemeinschaft geht. Und Adel war auch nur ein Einzelner.
Doch darm fiel ihm ihre gemeinsame Kindheit wieder ein."
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Whrend dieser Zeit geschehen alltghche Vorgnge. Diese werden
nicht nur dargestellt, sondem die Autorin lt in krzeren und lngeren
inneren Monologen die handelnden Personen diese Vorgnge auslhrlich
reflektieren. Und alle erscheinen - entweder selbst auftiretend oder von
jemandem erwhnt -, alle, die auf die eine oder andere Weise die gesell
schaftlichen und wirtschaftlichen Folgen israelischer Besatzungs- und
Annexionspolitik verkrpem. Es gibt Demonstrationen und Ausgangssper
ren. Die Autorin fhrt den Leser in die Welt der palstinensischen Arbeiter
in Tel Aviv, samt der Auseinandersetzung mit israelischen Arbeitern; sie
fhrt auerdem in die ja (auch quantitativ) sehr wesentliche Welt des
Gefngnisses; ebenso ins Zuhause der Arbeiterschaft und der Bourgeoisie
- letzteres in Form von 'Adils Familie, den al-Karmis, wo der Vater - mit
tels einer knstlichen Niere berlebend - ein Tyrannenregiment fhrt,
gegen das sich mu* der halbwchsige Sohn Bsil allmhlich aufzulehnen
wagt.
Fiu- den Vater ist die Welt eigentlich noch in Ordnung, das heit sie wre
es, wenn nur die Besetzung zu Ende wre. Sein Beitrag zu ihrer Beendi
gung besteht darin, vor auslndischen Journalisten von den Schrecken der
Besetzung zu lamentieren und von den frheren Heldentaten der Araber zu
schwrmen. Alles wre wieder schn und gut ohne die Besatzimgsarmee.
Fr die Verndemngen, die sich um ihn herum abspielen, will er, ebenso
wie die anderen Reprsentanten seiner Klasse, nicht verantwortlich sein.
(Die Arbeiter im Roman machen das Gegenteil deutlich.) Fr ihn werden
die Arbeiter von den Besatzungssoldaten gezwungen, in Israel arbeiten zu
gehen. Auch sein Rollenverhalten als Vater, zumal als Vater einer Tochter,
ist fast bis zum Schlu von a^-Subbr ungebrochen.
Gegen Ende des Buches kommt Usma bei einem Anschlag gegen Arbei
terbusse um und mit ihm fr die Autorin offenbar die Vorstellung, der
Widerstandskampf sei auf seine Art zu fhren. Bsil dagegen tut die ent
scheidende und zukunftweisende Tat. Er hatte durch sein Verhalten und
dessen Folgen schon zuvor einen tatschlich hufig anzutreffenden Weg
angedeutet: Bei einem Spektakel von Kindern und Jugendlichen auf der
Strae wird er zum erstenmal aufgegriffen; im Gefngnis nimmt er Kon
takte auf; wieder drauen begiimt er in Zusammenarbeit mit Usma aktive
Arbeit fr den Widerstand, die ihn dann lngerfristig ins Gefngnis bringt.Doch zuvor bringt er noch in einer abschlieenden Auflehnung die Fami
lienfassade aus Lge und Heuchelei zum Einstrzen, die Israelis kurz
darauf ihr bauliches Symbol, das herrschaftliche Haus, aus dem 'dil sich
weigert, die knstliche Niere herauszuholen. Bsil taucht unter.
'Abbd aS-Sams spielt sieben Jahre spter. Die P ersonen sind dieselben,
zustzlich einer ganzen Anzahl neuer und abgesehen von denen, die im Ver
lauf der Handlung von aj-
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tionelle arabische Miheu in Nablus. Auf beiden Schaupltzen werden, wie
zuvor in a^-Subbr, durch Darstellung (samt Reflexion) und Verknpfung
einer Flle von Einzelepisoden und Einzelvorgngen, wie sie auch aus
anderen Dokumenten ber das tagtgliche Leben in den besetzten Gebieten bekaimt sind, verschiedene Wege von ^umd gezeigt, von Arten des
Ausharrens trotz aller Widrigkeiten, trotz allen Drucks. 'dil ist auch hier,
teils durch seine Prsenz, teils durch uerungen anderer ber ihn, die
eigentliche Hauptperson - schon in 04- ubbr zeigt seine Darstellung Ten
denzen zur Verklrung. Seine Art, mit der Besetzung fertigzuwerden, in
steter Beharrlichkeit und trotz aller Zweifel, die ihn wahrscheinlich oft qu
len, fr ein Zusammenleben zu arbeiten, wird im ersten wie im zweiten
Roman als beispielhaft in den Vordergrund gerckt.
Eine Reihe von Themen aus dem Bereich der tagtglichen Vorgnge
zeigt, da 'Abbd aS-Sams sieben Jahre nach a^-$uhbr spielt, die Wirklich
keit im Westjordanland hat sich weiter drastisch gewandelt: Es ist von dem
gewaltigen Grtel von Stadtrandberbauungen um das ltere Jerusalem
herum die Rede; es gibt jdische Siedlungen in der Nhe von Nablus und
auch den Kampf ums Wasser", einen wahrhaft ungleichen Kampf; es wird
auch von den Personen im Roman noch viel mehr ber Auswanderung
nachgedacht und ber deren Folgen gesprochen: die Frauen, zumal die
lteren, bleiben zurck, der Araberanteil in der westjordaichen Wohnbe
vlkerung im Arbeitsalter reduziert sich.
Noch ein weiterer wichtiger, vielbeachteter und mehrfach kritisierter
Aspekt kommt hinzu, an dem sich die weltanschauliche Entwicklung der
Autorin seit der Verffentlichung von a^-Subbr ablesen lt - die Frage
der Frauenemanzipation im Rahmen der arabisch-palstinensischen
Gesellschaft. Der Vorgang wird besonders an drei Frauengestalten gezeigt:
Da ist zunchst Rafif, 'Adils Kollegin bei der Zeitung al-Balad und seine
gute Freundin; da ist dann Sa'diya, die Witwe Zuhdis, des in a^-$ubbar im
Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Busse umgekommenen Arbei
ters, die nun mit Heimarbeit-Nherei ihren und ihrer Kinder Lebensunter
halt verdient; und da ist schlielich Hadra, Opfer der Geschichte Palsti
nas seit 1948 und Auenseiterin einer oft brutalen Mimergesellschaft mit
stark moralisierenden Tendenzen. Besonders die Entwicklung Rafifs, der
Intellektuellen, und Sa'diyas, der Arbeiterwitwe, sollen offenbar Wege auf
zeigen, die mit Energie und Willenskraft fiir Frauen gangbar und fr die
Gesellschaft ntzlich sind, eben Wege des ^umd. Hadra dagegen, die
Auenseiterin und Prostituierte, und Nuwr, 'dils Schwester, die schon in
a^-Subbr auf die Freilassung Slihs, ihres eingekerkerten Geliebten war
tete, werden offenbar als nicht sinnvolle Wege gehend dargestellt und des
halb sehr marginal behandelt.
Die Beschftigung Sahar Halifas mit der Frauenfrage hat ihr vehemente
Kritik eingetragen, zumal da sie diese Frauenfrage, die Frage nach Rolle
und Behauptungsmglichkeit von Frauen innerhalb der palstinensischen
Gesellschaft, der politischen Frage nach Unabhngigkeit nicht unter-, sondern beiordnet und sagen kann: Wir wollen nicht nur ein befreites Land,
wir wollen ein befreites Leben." Die Kritik kommt dann von Leuten,
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welche allen gesellschaftlichen Druck nur als Ergebnis der politischen
Lage, das heit der israelischen Besetzung sehen.
Das Ende der Handlung von 'Abbd aS-Sams, ein Tumult in Nablus, an
dem israelische Soldaten, palstinensische Intellektuelle, palstinensische
Arbeiter und Frauen und israelische Oppositionelle beteiligt sind, ist eine
eindrucksvolle Synthese der Zustnde im Westjordanland und, aufgrund
der Kontaktnahme verschiedener Gruppen in ganz Palstina, gleichzeitig
Ausdruck einer deutlichen Zukunftsvision der Autorin.
Es ist also ganz Palstina, das hier dargestellt wird, Palstina vom Jor
dan bis zum Mittelmeer. Insofern entspricht das geografische Palstinabild
hier weitgehend der alten Definition, wie sie beispielsweise schon bei Jqt
zu finden ist:
Filastin umfat die Randregionen SjTiens in Richtung gypten. Seine
Hauptstadt ist Jerusalem. Andere berhmte Stdte dort sind 'skaln (alsoAschkelon), ar-Ramla, Gaza, Arsf, Qaisariya (also C sarea), Nblus, Arih (also
Jericho), 'Amman, Jfa . . . Anders definiert bildet es die erste MUitrganuson
Syriens von Westen her."
Es ist zu Pferd drei Tagesreisen lang, und zwar von Rafah, das aufder Seite
nach gypten zu liegt, bis nach al-Laggn, das auf der Seite zum Syrischen Gra
ben zu liegt. Auch seine Breite betrgt, von Jfa nach Arib, drei Tagesreien . . .
Der grte Teil des Landes ist Bergland und Flachland mit wenig darauf"
Dieses Palstina ist sehr prsent, gerade auch physisch, durch das Erle
ben der Personen hindurch: Die Erde wird berhrt, tastend erlebt; Gerche
gibt es, die in der Erirmerung fortleben; und die Flora erscheint ausgiebig -
Bume, Blumen, Frchte . . .
Doch dieses Palstina ist vom heutigen arabisch-palstinensischen
Blickwiifel aus betrachtet. Nablus, Stadt traditioneller arabischer
Lebens- und Denkweise, ist Hauptschauplatz beider Romane. Dort exi
stiert die palstinensische Gesellschaft, in der aufgrund der Besetzung
einige Vernderungen ins Rollen gekonunen sind: Die alte Grund- und
Manufakturbesitzerschicht verkmmert zur Fassade ihrer selbst. Wegen
schlechter Behandlung und ausbeuterischer Bezahlung und wegen wirt
schaftlicher Vemachlssigung des Westjordaidandes laufen die Land- und
Werkstattarbeiter fort imd gehen als Arbeiter nach Israel. Beim Gesprch
mit einem alten Landarbeiter, dem Vater eines Spielkameraden aus frhe
rer Zeit, erhlt Usma eine rechte Lektion:
Usama fragte: 'Warum arbeitet Schahada nicht hier aufder Orangenplanta
ge?'
Der alte Mann meinte gleichgltig: 'Dort ist's besser.'
'Dort ist's besser? Was soll das heien, Alter? Dort ist es besser!'
Dort ist's besser. Es g ibt viel Geld. Es ist was los. Niemand sagt: Hierher,
Hundesohn. Niemand: Hau ab, Scheikerl. Dort ist's besser. Es gibt viel G eld,
viele schne Sachen, gemtliche Arbeit. Es gibt k einen Vorgesetzten. Niemand
macht dich fertig und lt dich von morgens bis a bends wie einen Esel schuften.*
'Aber die Orangenplantage, Alter. Wem haben sie die berlassen?'
Der alte Marm liob das Haupt, verscheuchte eine Mcke von seinem Gesicht
und antwortete mit seinem Lieblingsausdruck: 'Wei ich's?'
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Pltzlich blieb [Usma] stehen und schrie: 'Wem gehrt denn dieses Land,
mein Herr, Verehrtester? Wem gehrt denn dieses Land?'
Der alte Mann erwiderte zornig: 'Dem, dem's gehrt, Effendi! Warum so auf
gebracht? Ich bin ein Lohnarbeiter, mein Herr. Mein ganzes leben lang war ichLohnarbeiter. Ich hab nie Land besessen oder sonst was. Auch mein Sohn war
immer Lohnarbeiter und ist's noch. Und solange das Land nicht mir g ehrt und
nicht Schahada, warum sollten wir drauf sterben? Als wir vor H unger krepiert
sind, hat keiner nach uns gefragt. Jetzt fragt ihr. Warum?'
Somit stellen die Arbeiter das Bindeglied zu dem anderen Teil Palstinas
dar, zu Israel, gezeigt am Beispiel Tel Avivs, in beiden Romanen Neben
schauplatz, gekermzeichnet durch die Errungenschaften der modernen
Industriegesellschaften: Lrm, Hektik, Produktivitt und eine brokra
tisch formalisierte Menschenfeindlichkeit. Auch bei der im israelischen
Teil Palstinas vorherrschenden Bevlkerung, den Juden, werden Klassenunterschiede aufgezeigt, und die Frage, wieviel mehr ein palstinensischer
mit einem israelischen Arbeiter gemein habe als mit dem palstinensischen
Ausbeuter, durchzieht beide Werke. Ja, es ist die eigentliche Erwartung,
die in den Romanen zum Ausdruck kommt, da die Zukunft ganz Palsti
nas durch einen Klassen-, nicht durch einen Rasseisampf bestimmt ist.
In 'Abbd aS-Sams kommt ein weiterer Hauptschauplatz hinzu, Jerusa
lem, gedacht hier als kulturelles Zentrum auf der Scheideliie zwischen
den beiden groen Teilen Palstinas.
Grafisch dargestellt sieht dieses Palstina, wie es in Sahar Halifas
Romanen erscheint, etwa folgendermaen aus:
PALSTINA
Tel Aviv
-->
._L >
Nablus
^
Jerusalem
jdisch (mehrheitl.) arabisch
unter jdischer/israelischer Herrschaft
Die unterschiedlichen Pfeile der Skizze symbolisieren die Bewegungen
oder die Bewegungsmglichkeiten der Bewohner: So ist fiir israelische
Staatsbrger Aus- und Einreise problemlos (einmal abgesehen von der Reisesteuer). Israelische Staatsbrger kimen auch beliebig in die besetzten
Gebiete" reisen und dort in wachsendem Mae auch sehaft werden.
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Anders die Bevlkerung der besetzten Gebiete". Sie knnen ziun Arbeiten
nach Israel, mssen aber danach wieder zurck ins Westjordaiand. Sie
kimen auch das Westjordanland verlassen, um anderswo zu leben und
dem Druck zuhause zu entgehen. Eine Rckkehr gestaltet sich aber allemal
sehr schwierig.
Doch bricht bei allen Schwierigkeiten zwischen den beiden Teilen Pal
stinas und trotz aller degradierender Behandlung des arabischen Bevlke
rungsanteils durch den jdischen immer wieder die Hoffnung auf eine mg
liche Lsung, auf einen modus vivendi durch, genhrt durch Kontaktmg
lichkeiten zwischen den zwei Bevlkerungsgruppen. Und auf der Grenze
zwischen dem Staat Israel und dem Westjordanland, eben in Jerusalem,
entsteht, bzw. lebt eine neue Gruppe palstinensischer Bevlkerung, Intel
lektuelle verschiedenster ideologischer Provenienz und Prgung, darge
stellt in erster Linie in Form des Redaktionsteams einer Zeitung, innerhalb
dessen die unterschiedlichsten politischen und weltanschaulichen Positio
nen zum Ausdruck kommen. 'dil ist, zusammen mit seiner Kollegin Rafif,
auch hier die zentrale Gestalt. Er ist, durch a^-Subbr und 'Abbd aS-Sams
hindurch einen langen Weg gegangen, z.T. auch gestoen worden: Einst
als ltester Sohn eines Grundbesitzers verantwortlich fiir die Plantage, war
er zum Arbeiter unter Arbeitern, auch seinen eigenen ehemaligen, gewor
den. Auch da hat er nie seine berzeugung aufgegeben, da Beharrlichkeit,
Ausdauer und Ausharren, eben ^umd, zum Ziel fiihren werden. Dann
wurde er Journalist, konnte seine berzeugung in der Zeitung darlegen,
konnte auch mit der anderen Hlfte der Bevlkerung Palstinas, den
Juden, in Kontakt treten. Doch auch dann findet er immer wieder den Weg
zurck nach Nablus, in die Gesellschaft, die sich wandelt, zu den Leuten,
die ausharren. Sie sind seine Hoffnung fr ein gemeinsames Leben im Pal
stina von morgen. Aber es sind die ngste, die Sahar Halifa an einer Stelle
Sa'diya, die Arbeiterwitwe, artikulieren lt, die vielleicht eher die
Zukunft Palstinas bestimmen werden. Sa'diya macht sich Gedanken ber
ihre eigene Zukunft, eine Zukunft, die Modellcharakter hat:
Da sitzt sie in ihrer Ecke auf der Bank beim Fenster, kaut an i hrer Traurig
keit und an i hrer Einsamkeit, lt die Vergangenheit an sich vorberziehen,
denkt ber die Gegenwart nach und malt sich aus, welch schreckliche und trost
lose Zukunft ihrer harrt: Bald sind die Kinder gro. In drei Jahren wird Hamadasein Examen machen; dann wird er in Saudiarabien oder am Golf a rbeiten gehen,
um zur AusbUdung seiner Geschwister beizutragen und auf ein eigenes Haus zu
sparen. Danach wird ihm Dschamal folgen, dann Samija, dann Raschad und
schlielich der kleine Asis. Hierhin und dorthin werden die Kinder verstreut sein,
und sie wird allein in ihrem Haus, da o ben auf dem Berg, sitzen. Sie wird mit ihrer
Nherei aufhren, sobald die Jungen eine Stelle gefunden haben und Samija ver
heiratet ist. Doch sie wird unter der Einsamkeit leiden, und Jahre zu frh wird sie
eine alte Frau sein."
Es ist diese Entwicklung, die auch in der Presse und in statistischen Stu
dien ber Palstina immer mehr in den Vordergrund tritt. Einer groeninternationalen Tageszeitung war am 28. Dezember 1982 beispielsweise
folgende lapidare Information zu entnehmen:
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Palstinische Gesellschaft unter israelischer Besetzung 209
Mehr als 100000 Palstinenser sind seit 1974 aus dem Westjordanland
ausgewandert, um sich in Saudiarabien, Jordanien und den Golfstaaten
niederzulassen. Das geht aus einer jetzt verffentlichten Studie der Bank
von Israel ber die wirtschaftliche Entwicklung in den seit 1967 israelisch
besetzten arabischen Gebieten hervor . . . Als Grnde fr die zunehmende
Auswanderungstendenz werden in der Studie die wirtschaftliche
Stagnation in den besetzten Gebieten, die schwierige Arbeitsmarktlage
und die Arbeitsangebote der Golfstaaten genaimt." (NZZ 28. 12. 1982)
Indem ich dies sage, liegt es mir vllig fem,
Ihre Gefhle belasten zu wollen, aber es ist
zu wenig bekannt. Obwohl es allgemein
bekannt ist, da die Lage des palstinensi
schen Volkes keine sehr glckliche ist, ver
steht man, glaube ich, zu wenig, was sein
Elend ist, und deswegen habe ich mir
gestattet, etwas ausfuhrlich bei d iesemThema zu verweilen."
(Ch. Weizmann: a.a.O. S. 9 [Kursiv
Gedrucktes gendert!])
Bibliografisches:
Im Folgenden werden nur einige wenige Arbeiten genannt, die sich speziell mit
Sahar Halifa und ihrem Werk befassen. Da es im Artikel nur um ein aus den beiden
Romanen gewonnenes Palstina-Bild geht, wurde auf bibliografische Angaben zum
Thema 'Westjordanland unter israelischer Besetzung' verzichtet.
Abu 'Uqb, 'Umab: Sahar Halifa fi "Abbd aS-Sams'. at-tastih aS-Sah^iya dt al-
ab'd at-talta. In: al-Ktib 11 (Nov. 1980), S. 43-48.
Aeschbacher, Mabtin: Studie zu den Romanen a-ubbr und 'Abbd a-Sams
der palstinensischen Schriftstellerin Sahar Halifa. Lizentiatsarbeit; Bern. 1982.
Bannra, aml: Taltat namdi^ lil-mar'a fi riwyat SaJ^ar H alifa "Abbd aS-
Sams'. In: al-Ktib 12 (Dez. 1980), S. 81 f.
Granet, Christian: Analyse du roman de Sahar Halifa a^-^ubbr. Memoire de
maitrise; University de Paris VIII. 1981.
Qaimari, 'At al-: Qir'a li^Subbr. In: al-Ktib 21-22 (Nov. 1981), S. 42-50.
Qsim, Nabih al-: Ma'a SaJiar Halifa fi bkratih al-adabiya 'Lam na'ud ^awrilakum'. In: ders.: Dirst fi l-qi^^a al-mahalliya. Akka. 1979. S. 183-199.
DERS.: Ma'a Sahar Halifa fi riwyatih 'a^-Subbr'. In: ebd. S. 200-221.
Mauqif n wa-rislatn - baina Amil Habibi wa-Sakar Halifa: Min al-MutaS 'il ' hat
t 'a-Subbr' Sa'b whid. In: al-adid 9 (1977), S. 35-37. 40.
awb al-ktiba Sahar Halifa 'al r islat al-ktib Amil Habibi: Bed amarr wa-aqs. In:
ebd. 10 (1970), S. 28-33.