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Fall 1: Einordnung verwaltungsrechtlicher
Sachverhalte
Dr. iur. des. Arthur Brunner, RA
Gerichtsschreiber in der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts
Methodik von Falllösungen im Verwaltungsrecht
• Legen Sie sich eine Struktur zu Recht, wie Sie an verwaltungsrechtliche Fälle herangehen. Damit haben Sie unter dem Druck der Prüfungssituation «Boden unter den Füssen»
• Lesen Sie verwaltungsrechtliche Entscheide und überlegen Sie sich, warum das Gericht so (und nicht anders) argumentiert hat
• Diskutieren Sie Fälle und deren Lösung mit Kolleginnen und Kollegen! Gedanken werden ausgesprochen oft klarer
• Besuchen Sie die Übungen – und fragen Sie nach, wenn Unklarheiten bestehen
Warum «Fälle einordnen»?
• «Falleinordnung» als besondere Herausforderung des allgemeinen Verwaltungsrechts -> Bestimmung der anwendbaren Rechtsnormen • Nebeneinander von (ungeschriebenen) allgemeinen und spezifischen Regeln • Verschiedene Staatsebenen: Anders als im Zivil- und Strafrecht sind weite
Teile des Verwaltungsrechts weiterhin kantonales, teilweise sogar kommunales Recht (z.B. Schulrecht, Abgaberecht, Vergaberecht, Strassenrecht usw.)
• Sensibilisierung für die Fragestellung • In der Prüfung: Halten Sie sich (nach der Falleinordnung) nicht mehr mit
Dingen auf, die zur Falllösung nichts beitragen • In der Praxis: Bedeutung der Kognition einer Rechtsmittelinstanz; Gefahren
von obiter dicta
• Analyse des Sachverhalts • Hauptelemente? • Bundesstaatliche Ebene? • Akteure? Beteiligte Behörden? Beteiligte Private? • Welche Argumente werden vorgebracht? • Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? • Worüber finden sich keine Angaben?
• Analyse der Fragestellung • Hauptproblem? Worum dreht sich der Fall? • Auftrag: Was soll ich tun?
• Rechtliche Einordnung • Rechtsgebiet? Einschlägige Erlasse bzw. Normen? • Rechtsfragen? Reihenfolge der Beantwortung? «Hin- und Herwandern des Blicks»
Unterfall 1: Schiessanlage in der Gemeinde Rotbuch
Unterfall 1: Schiessanlage in der Gemeinde Rotbuch 1. verfahrensrechtliche Seite
• Verfahrensstand – es ist erst eine Verfügung ergangen • Art. 110 BGG – wir wissen aber nicht, welcher Kanton betroffen ist • Beschwerdelegitimation – richtet sich nach kantonalem Recht, vgl. aber Art. 89 Abs. 2
lit. a BGG
2. materiellrechtliche Seite • Polizeirechtliches Störerprinzip (5 II BV): Bestimmt, wer Adressat einer polizeilichen
Massnahme sein kann (Verhaltensstörer – Zustandsstörer – Zweckveranlasser) -> Wer hat eine polizeilich gebotene Massnahme zu treffen bzw. zu dulden?
• Polizeiwidriger Zustand (Umweltbelastung durch Schwermetalle) bereits beseitigt -> keine Anwendung des Störerprinzips
• Verursacherprinzip -> Wem sind die Massnahmekosten zu überbinden (hier: insbesondere für den Anteil, den das ausserdienstliche Schiessen zur Verunreinigung beigetragen hat)? -> BGer: Nach objektivem und subjektiven Anteil an der Verursachung -> Oft der Verhaltensstörer bzw. Zustandsstörer (aber keine Identität mit Verursacher!)
Unterfall 1: Schiessanlage in der Gemeinde Rotbuch
Rechtsprechung
BGE 131 II 743 E. 4.4 und 4.5
Urteil 1C_223/2015 vom 23. März 2016 (Bestätigung der Praxis, obwohl die Beschwerdegegner [das AWEL] auch nach Auffassung des BGer. nachvollziehbare Gründe für eine andere Sichtweise präsentieren[E.3.2.3]; interessant auch die Ausführungen zur Beschwerdelegitimation des VBS [E. 1.1])
• Analyse des Sachverhalts • Hauptelemente? • Bundesstaatliche Ebene? • Akteure? Beteiligte Behörden? Beteiligte Private? • Welche Argumente werden vorgebracht? • Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? • Worüber finden sich keine Angaben?
• Analyse der Fragestellung • Hauptproblem? Worum dreht sich der Fall? • Auftrag: Was soll ich tun?
• Rechtliche Einordnung • Rechtsgebiet? Einschlägige Erlasse bzw. Normen? • Rechtsfragen? Reihenfolge der Beantwortung? «Hin- und Herwandern des Blicks»
Unterfall 2: Jahreskonferenz des IZRS
Unterfall 2: Jahreskonferenz des IZRS
1. verfahrensrechtliche Seite -> darauf zielt die Fragestellung nicht ab
2. materiellrechtliche Seite: Versammlungsfreiheit (22 BV, 11 EMRK u.a.) • Offensichtlich tangiert – aber auch verletzt? Prüfschema von 36 BV
• Unproblematisch: Öffentliches Interesse (kurz halten!)
• Aber: Besteht eine hinreichende gesetzliche Grundlage für ein Veranstaltungsverbot? • ÖGG?
• Polizeiliche Generalklausel? («Die polizeiliche Generalklausel kann nach Art. 36 I BV selbst schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte legitimieren, wenn und soweit die öffentliche Ordnung und fundamentale Rechtsgüter des Staates oder Privater gegen schwere und zeitlich unmittelbar drohende Gefahren zu schützen sind, die unter den konkreten Umständen nicht anders abgewendet werden können als mit gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Mitteln.» [BGE 126 I 112 E. 4b])
• Und: Wäre das Verbot verhältnismässig?
Unterfall 2: Jahreskonferenz des IZRS
Rechtsprechung
Urteil 1C_35/2015 vom 28. Oktober 2015 (interessant insb. auch die Erwägungen zur Beschwerdelegitimation in E. 1)
Unterfall 3: Änderung der Schulgesetzgebung
• Analyse des Sachverhalts • Hauptelemente? • Bundesstaatliche Ebene? • Akteure? Beteiligte Behörden? Beteiligte Private? • Welche Argumente werden vorgebracht? • Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? • Worüber finden sich keine Angaben?
• Analyse der Fragestellung • Hauptproblem? Worum dreht sich der Fall? • Auftrag: Was soll ich tun?
• Rechtliche Einordnung • Rechtsgebiet? Einschlägige Erlasse bzw. Normen? • Rechtsfragen? Reihenfolge der Beantwortung? «Hin- und Herwandern des Blicks»
Unterfall 3: Änderung der Schulgesetzgebung
1. verfahrensrechtliche Seite -> insbesondere Frist (Art. 101 BGG; bei Abstimmung: Datum der Erwahrung [BGE 143 I 426 E. 1.2 S. 430]) und Beschwerdelegitimation (Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG: «virtuell besonders berührt» und schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung?) thematisieren. Art. 87 Abs. 1 BGG eventuell am Rande erwähnen (hier ist der Sachverhalt illiquid).
2. materiellrechtliche Seite • Verfassungsmässigkeit von § 39 Abs. 1 VG/TG: Gehören Exkursionen und
Klassenlager zum zwingend unentgeltlich zu erbringenden Grundschulunterricht?
• Verfassungsmässigkeit von § 39 Abs. 2 [Satz 2] VG/TG: Ist die durch Art. 19 BV mitgewährleistete Chancengleichheit verletzt?
Unterfall 3: Änderung der Schulgesetzgebung
Zur Beschwerdelegitimation: Urteil 2C_206/2016 vom 7. Dezember 2017 E. 1.2 [nicht publ. in: BGE 144 I 1)
Zu den materiellen Erwägungen: BGE 144 I 1
Unterfall 4: Erwerb einer Faustfeuerwaffe
• Analyse des Sachverhalts • Hauptelemente? • Bundesstaatliche Ebene? • Akteure? Beteiligte Behörden? Beteiligte Private? • Welche Argumente werden vorgebracht? • Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? • Worüber finden sich keine Angaben?
• Analyse der Fragestellung • Hauptproblem? Worum dreht sich der Fall? • Auftrag: Was soll ich tun?
• Rechtliche Einordnung • Rechtsgebiet? Einschlägige Erlasse bzw. Normen? • Rechtsfragen? Reihenfolge der Beantwortung? «Hin- und Herwandern des Blicks»
Unterfall 4: Erwerb einer Faustfeuerwaffe
1. verfahrensrechtliche Seite -> darauf zielt die Fragestellung nicht ab
2. materiellrechtliche Seite • Grundrechtskonformität von Art. 12 WV (als Grundlage für das Verbot des
Waffenerwerbs und Waffentragens): Art. 8 Abs. 1 BV, Art. 8 Abs. 2 BV, evtl. Art. 10 Abs. 2 BV
• Einhaltung der Delegationsvoraussetzungen: Art. 12 WV als gesetzesvertretende Verordnungsbestimmung, die nur zulässig ist, wenn die Delegation durch die Verfassung nicht ausgeschlossen ist (1.), die Delegationsnorm in einem Gesetz im formellen Sinn enthalten ist (2.) und sich auf eine bestimmte Materie beschränkt ist (3.), und das Gesetz die Grundzüge der delegierten Materie umschreibt (4.)
Unterfall 4: Bedeutung der Fragestellung
Wären Sie die Falllösung anders angegangen, wenn die Fragestellung wie folgt gelautet hätte:
1. Verstösst das in Art. 12 Abs. 1 Waffenverordnung verankerte Verbot des Waffentragens für Angehörige bestimmter Staaten gegen die Grundrechte? (Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass X. keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, in deren Zusammenhang das Tragen von Waffen erforderlich wäre.)
2. Ist Art. 12 Abs. 1 Waffenverordnung mit den in der Bundesverfassung verankerten rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar?
oder aber:
1. Verstösst Art. 12 Abs. 1 Waffenverordnung gegen das Legalitätsprinzip?