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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Craft Beer Die Braurebellion und ihre Macher Von Michael Reitz Produktion: Dlf 2016 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 27.11.2019, 20:05-21:00 Uhr Regie: Uta Reitz Es sprachen: Jochen Langner, Bernd Reheuser und Sigrid Burkholder Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Craft Beer Von Michael … · 2019. 11. 21. · 1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Craft Beer Die Braurebellion und ihre

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil

Craft Beer

Die Braurebellion und ihre Macher

Von Michael Reitz

Produktion: Dlf 2016

Redaktion: Klaus Pilger

Sendung: Sonntag, 27.11.2019, 20:05-21:00 Uhr

Regie: Uta Reitz

Es sprachen: Jochen Langner, Bernd Reheuser und Sigrid Burkholder

Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- unkorrigiertes Exemplar -

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Atmo Bierfest in Kulmbach, unter Text

O-Ton (1) Schoppe: Du musst auch wirklich immer in Bewegung bleiben.

Also es reicht jetzt auch nicht irgendwie zu sagen, ich bin jetzt Craftbeer-

Brauer und ich hau jetzt mal Pale Ale auf den Markt, und dann ist deine

Rente gesichert.

O-Ton (2) Metzel: Welche Biere trinken Frauen gern? Das kann man auch

nicht pauschal beantworten, dass Frauen nur das eine trinken würden.

O-Ton (3) Lemke: Es geht um Bier, und es geht um Geschmack.

O-Ton (4) Eßer: Wir sitzen regelmäßig beieinander (…) in einem ganz

kleinen Kreis und sagen, na, was könnte denn vielleicht noch mal gut

sein? Oder was haben wir noch nicht ausprobiert?

O-Ton (5) Eichele: Wir haben in Deutschland eine einmalige Biervielfalt

mit 5500 Marken. Jede Woche kommt ein neues Bier auf den Markt. Wir

haben 1388 Brauereien. Die Zahl ist stark steigend.

O-Ton (6) Wülfing: Im Grunde genommen ist Bier brauen nicht

schwieriger als Kochen.

O-Ton (7) Annette: Ich behaupte, es ist ein Craftbier (…) Es hat so einen

getreidigen Abgang, den man eher von einem Ale kennen würde (…) Und

ich glaube, ein industrielles Bier hätte nicht soviel Geschmack.

Zitator: Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.

Erzählerin: Der Reformator Martin Luther

Titelansage: Craft Beer – Die Braurebellion und ihre Macher. Von Michael Reitz.

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Atmo Bierfest in Kulmbach

Erzählerin: Es ist nicht nur das liebste Getränk der Deutschen, es ist auch

ein geradezu identitätsstiftendes Element: das Bier. Nach Informationen

des Deutschen Brauerbundes trinkt jeder Deutsche im Jahr

durchschnittlich 105,9 Liter. Nur wenige europäische Nationen trinken

mehr. Deutschland gehört auch zu den größten Prozenten weltweit. Und

nirgendwo auf der Welt wird die Herstellung von Bier so überwacht wie

hier, kein Land legt so viel Wert auf die Makellosigkeit der Zutaten. Ein

Grund dafür: Das berühmte deutsche Reinheitsgebot.

Zitator: Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren

Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als

allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden

sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält,

dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Fass Bier, so oft es

vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden. – Gegeben von

Wilhelm IV., Herzog in Bayern am Georgitag zu Ingolstadt anno 1516.

Erzählerin: Bekannt und oft zitiert ist diese klare Weisung in Bezug auf

ein Lebensmittel, das zur damaligen Zeit höchstwahrscheinlich in weitaus

größeren Mengen getrunken wurde als heute. Eine Passage, die auch in

diesem Reinheitsgebot enthalten ist, hat sich allerdings nicht ins 21.

Jahrhundert retten können. Denn der umsichtige Herzog hatte für Bier

einen Einheitspreis festgelegt. Der lag bei einem Pfennig für die

bayerische Maß, die knapp über einem Liter lag. Das Ingolstädter

Reinheitsgebot ist zwar die bekannteste Verordnung zur Bierherstellung,

aber nicht die älteste. Bereits 350 Jahre zuvor hatten mehrere Städte

Verordnungen erlassen, die zunächst nur diese drei Zutaten erlaubten.

Einer der Gründe für Gerste war die Verhinderung von Hungersnöten.

Denn sie kann im Unterschied zu Roggen und Weizen nicht zum

Brotbacken verwendet werden. Hinzu kam: Die Vergärung war das

Problem. Da Hefe noch nicht bekannt war, wurden zur Alkoholerzeugung

alle möglichen und unmöglichen Stoffe ins Bier gemischt: Rüben,

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Tollkirschen, faules Wasser oder Pilze. Dadurch wurde es nicht nur

ungenießbar, sondern manchmal auch tödlich. Deshalb galt vielerorts eine

harte Strafmaßnahme: Ein Brauer, der miserables Bier herstellte, musste

sein eigenes Produkt solange trinken bis er in Ohnmacht fiel.

Musik: „Ein Prosit der Gemütlichkeit“

O-Ton (8) Eichele: Wir brauen in modernen Brauereien unter absolut

hygienischen Verhältnissen. Wir kontrollieren unsere Rohstoffe sehr, sehr

genau.

Erzählerin: Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen

Brauerbundes. Dort sind im Jahr 2016 1388 große und kleine Brauereien

vertreten.

O-Ton (9) Eichele: Das fängt beim Wasser an und endet dann bei der

Hefe, so wie man sich eben die Ansprüche – zu Recht – der Verbraucher

an einen hygienischen, modernen Betrieb vorstellt. Natürlich hat es eine

Weiterentwicklung gegeben. Natürlich nutzen wir die Möglichkeit, nicht nur

Hopfen, der frisch vom Feld kommt, Ende August zu verarbeiten, sondern

wir nutzen die Möglichkeit, Hopfenkonzentrat zu verarbeiten.

Erzählerin: Im Laufe der Jahrhunderte erhielt das Reinheitsgebot den

Rang eines Alleinstellungsmerkmals, dem sich jeder deutsche Brauer

verpflichtet fühlt. Denn in jedem anderen Land der Erde durfte und darf ins

Bier so ziemlich alles hineingebraut werden. 1906 wurde es im Deutschen

Reich zu einem Lebensmittelgesetz. Das allerdings 1993 in ganz

Deutschland teilweise liberalisiert wurde. Außer in Bayern, wo das

Reinheitsgebot nach wie vor in seiner reinen Fassung gilt, sieht man es

seitdem nicht mehr ganz so streng mit dem Brauen. Mit einer Ausnahme,

wie Holger Eichele erklärt:

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O-Ton (10) Eichele: Der Grundgedanke des Reinheitsgebotes ist es, die

lange Liste an künstlichen Zusatzstoffen, die in Europa zum Brauen

erlaubt sind, diese Liste auszuschließen. Wer nach dem Reinheitsgebot

braut, darf die in Europa zugelassenen Zusatzstoffe – das ist eine lange

Liste von E-Nummern – nicht verwenden. Und das ist der qualitative

Unterschied.

Erzählerin: In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist in Deutschland ein

Trend entstanden, der das Reinheitsgebot als nicht mehr verbindlich

betrachtet: Craftbier.

Zitator: Craft – aus dem Englischen: Handwerk, Kunstfertigkeit,

Geschicklichkeit. Craftiness: Schlauheit. List.

Erzählerin: Unter dem Sammelbegriff „Craft-Bier“ formiert sich eine

Gruppierung von Klein- und Kleinstbrauern, die ihre eigene Biersuppe

kocht. Fernab vom Mainstream der Großbrauereien.

O-Ton (11) Eichele: Wir erleben im Moment einen Boom, eine

Hochkonjunktur auch der privaten Braukurse. Immer mehr Menschen

wollen selbst brauen lernen, weil sie aus den Medien eben mitnehmen wie

groß die Vielfalt ist, wie spannend es ist, mit diesen Rohstoffen zu brauen.

Und beachten müssen Sie, dass Sie sich das richtige Equipment kaufen,

und beachten müssen Sie, dass Sie keinen Ärger mit dem Zoll

bekommen.

Erzählerin: Denn für den privaten Gebrauch sind nur 200 Liter pro Jahr

und Haushalt erlaubt, die auch nicht verkauft werden dürfen. In

stillgelegten Lagerhallen, Industriebrachen oder Kellerräumen werden

Biere gebraut, die anders sein wollen: Exklusiv, nicht orientiert am

Massengeschmack, experimentell, originell, kleine Produktion. Der

Vorwurf der Crafter: So rein, wie das Gros der deutschen Brauer

behauptet, ist unter industriellen Bedingungen hergestelltes Bier schon

lange nicht mehr. Denn es würden ständig Kompromisse gemacht.

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O-Ton (12) Wülfing: Die Kompromisse sind vor allen Dingen auch

finanzieller Natur. Wir haben ja einen ganz brutalen Preiskampf, einen

Verdrängungswettbewerb in Deutschland.

Erzählerin: Fritz Wülfing, Craft-Bierbrauer in Bonn-Pützchen. Mit seiner

Frau Heike schrieb er das Buch „Craft Bier selber brauen. Revolution der

Heimbrauer“.

O-Ton (13) Wülfing: Es wird immer weniger Bier getrunken, und es muss

immer billiger sein. Die Margen werden immer spärlicher, und deshalb ist

das Brauen eigentlich voller Kompromisse, was das Bier angeht, weil es

nämlich in erster Linie billig sein muss. Und alle anderen Faktoren spielen

keine Rolle. Also die kulinarischen, insbesondere die, die gut fürs Bier

sind, die Zeit brauchen, lange Lagerung, starke Biere, viel Hopfen,

Aromahopfen.

Erzählerin: Doch merkt das auch der Verbraucher? Bilden sich die

Unterschiede in der Herstellung, in der Auswahl der Rohstoffe, dem

Verzicht auf Kompromisse, den die Crafter für sich reklamieren, auch im

Geschmack ab? Zwei Frauen und zwei Männer, die wenig, aber

regelmäßig Bier trinken und dabei keine Marke besonders bevorzugen,

werden zu einem Experiment eingeladen. Mehrere Flaschen Bier stehen

vor ihnen, ohne Etiketten oder andere Hinweise darauf, ob es sich um

Craft- oder industriell hergestelltes Bier handelt. Es ist eine

Blindverkostung mit den „Bier-Sachverständigen“ Sven, Annette, Heike

und Michael.

O-Ton (14) Sven: (Biereinschenken, Klimpern): Es haut einen nicht

vom Hocker von der Stärke her, ich find es auch sehr mild, aber der

Geschmack ist doch sehr eigentümlich (…) ich find das nicht so herb.

O-Ton (15) Annette: Ich find es extrem süß und süffig (…) es ist sehr

fruchtig, also ich hab mich schon gefragt, ob es in die Nähe von

Traubenschorle kommt (…) fruchtig, süß, süffig (…) Ich glaub nicht, dass

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das industriell hergestellt ist, denn dafür ist es tatsächlich zu süß, zu

fruchtig (…) industriell in der Geschmacksrichtung gäbe es maximal

Malzbier (…) Wenn es eine Farbe hätte das Bier, das ist auf jeden Fall

eine Mädchenfarbe, also lila, pink so in die Richtung

O-Ton (17) Heike : Kann ich gar nicht viel zu sagen, ich find das total

unspezifisch (…) Das schmeckt nach wenig, da ist nix Hopfiges, nix

Malziges, das ist so lullig.

O-Ton (18) Michael : Eine leicht herbe Note (…) ansonsten schon süffig,

für sonstige Biere, die ich getrunken hab unspektakulär, könnte für mich

alles sein, und das ist niemals ein Craftbier, das sag ich mal.

Erzählerin: Ist es auch nicht. Bei dem vorgestellten Bier handelt es sich

um das Produkt einer Brauerei in Unterfranken, die damit wirbt, auch

Craftbiere im Programm zu haben – die dann allerdings in großer

Hektoliterzahl gebraut werden. Doch welche Kriterien sollte ein Craftbier

überhaupt erfüllen? Heike, eine der Teilnehmerinnen der Blindverkostung

sagt dazu:

O-Ton (19) Heike: Meine Vorstellung von Craftbier ist das die irgendwie

Ecken und Kanten haben und nicht so gewöhnlich schmecken, so wie halt

diese Massenbiere, die überhaupt keine Ecken und Kanten haben.

Erzählerin: Bierverkoster Sven glaubt:

O-Ton (20) Sven: Ein Craftbier schmeckt halt entweder kräftig, herb, oder

süß, oder schmeckt stark (…) irgendeine spezielle Note haben die

Craftbiere nach meiner Erfahrung immer.

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Erzählerin: Fritz Wülfing braut in einem ehemaligen Maschinenlager pro

Jahr dreihundert Hektoliter Bier. Zum Vergleich: Die Unternehmensgruppe

Warsteiner, eine der Marktführerinnen in Deutschland, produziert etwas

mehr als fünf Millionen Hektoliter. Das Equipment dazu hat sich Fritz

Wülfing unter anderem auf einem Bauernhof beschafft: gebrauchte

Milchlagertanks, in denen nun Maische gekocht und Bier gekühlt wird.

O-Ton (21) Wülfing: Man kann sich sowas auch selber bauen (…) In den

USA hat jeder Dritte schon mal zu Hause gebraut. Kann man sich

vorstellen, bei 300 Millionen Einwohnern, wie viele da schon zu Hause

gebraut haben. Das ist so eine ganze Industrie. Da gibt es vor allen in

jedem Ort mehrere Heimbrauläden. In Deutschland sind wir da erst am

Anfang. Es gibt immer mehr.

Erzählerin: Fritz Wülfing, Jahrgang 1963, ist Verfahrenstechniker. Er hat

während seines Studiums ein Praktikum in einer Großbrauerei gemacht.

O-Ton (22) Wülfing: Und ich fand das so faszinierend, da die ganzen

einzelnen Produktionsstufen zu sehen, mitzuerleben. Die ganzen

Wohlgerüche. Und ich finde das sind alles Wohlgerüche, egal in welchem

Abschnitt man von der Produktion ist. Und seitdem bin ich eigentlich

bewusster Biergenießer. Und habe mich dann so rangetastet.

Erzählerin: Dieser Trend zum Selbst- und Heimbrauen kommt also aus

den USA. Jimmy Carter, von 1977 bis 1981 Präsident dieses Landes,

erlaubte per Gesetz das sogenannte „Homebrewing“. Jeder US-Bürger

darf seitdem sein eigenes Bier brauen. Die Ursache für dieses Gesetz war

die Herrschaft von einigen wenigen Brauereien in den USA, die nicht nur

die Preise, sondern auch den Geschmack diktierten. Und wie vieles, was

zunächst jenseits des Atlantiks entstand, kam auch die Craft-Bier-

Bewegung nach Europa. Erste Station: Die irische Hauptstadt Dublin.

Musik Irland

Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text

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Erzählerin: Nassau Street, im Zentrum von Dublin. Gegenüber des

ehrwürdigen Trinity College befindet sich das „Porterhouse“, ein

klassisches irisches Pub mit holzvertäfelten Wänden, Zapfhähnen so groß

wie Baseballschläger und einer kaum zu überblickenden Menge von

Biersorten: Lager, Ale, Stout, Porter, Pils und sogar Berliner Weiße, wobei

18 verschiedene Stile von „Porterhouse“ selbst gebraut werden.

Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text

Erzählerin: Das Porterhouse war eines der ersten Brauhäuser, die dem

Dubliner Bier-Giganten „Guinness“ trotzten. Seit 1996 wird dort Bier

gebraut, das sich deutlich von den herkömmlichen irischen Bieren

unterscheidet: kräftiger im Geschmack – aber auch in der Wirkung.

Ursprünglich nur aus einer kleinen Kneipe bestehend, setzte sich das

Konzept der alternativen Biere durch. Heute arbeiten 550 Angestellte in

den Brauereien und Pubs. Oliver Hughes, einer der Gründer der Firma,

erklärt in der Whisky-Bar des „Porterhouse“, was an Craft Bier so

besonders ist.

O-Ton (23) Hughes: Essentially it is more of a philosophy which is led by

the fact that you brewing something which is flavored, something tasty for

a local community. And it’s an ethic value to let the customer chose what

they want, as they are be told by fancy advertising what they should drink.

It’s a consumer and beer-lover led movement.

Overvoice: Im Wesentlichen ist es eine Philosophie, die vom Geschmack

geleitet wird. Etwas zu brauen, was lecker und für den lokalen Gebrauch

bestimmt ist. Es ist für uns von ethischem Wert, den Kunden selbst

entscheiden zu lassen, was er trinken will. Unbeeinflusst von flotten

Werbekampagnen. Craft ist eine kundenorientierte Bewegung von

Bierliebhabern.

Erzählerin: “Brewed by men – not machines” – “Von Menschen gebraut,

nicht von Maschinen” steht auf den T-Shirts der Barkeeper. Laut Oliver

Hughes ist die wichtigste Zutat des Bierbrauens die Liebe zum

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Gegenstand und die Leidenschaft. Gelernt hat er sein Handwerk bei einer

Craft-Bierbrauerei in den USA, später dann in London.

O-Ton (24) Hughes: I was in a brewery – I wouldn’t name it – they brewed

in four hours. Two men did it. Whereas we have our brewers, we taste the

hops, we have relationships with the hop-growers, we try to do things

different, we try to do things funky, bouncing ideas. This is not some push-

button-adventure.

Overvoice: Ich hab in einer Großbrauerei gelernt – ich will den Namen

jetzt nicht nennen – da wurde ein Bier in gerade mal vier Stunden gebraut.

Der Vorgang wurde nur zwei Personen überwacht, die lediglich Knöpfe

drückten. Wir hier haben eine ganze Menge Brauer und die drücken nicht

nur Knöpfe, wir reden mit den Hopfenzüchtern und versuchen das

Bierbrauen mit witzigen und zündenden Ideen anders zu gestalten.

Erzählerin: Die Porterhouse-Mannschaft versteht sich nicht als

Vereinigung von Geschäftsleuten. Für sie steht der Spaß im Vordergrund.

Vor dem Pub steht ein Schild, auf dem ein Finger in Richtung Trinity-

College zeigt „Nutz deine Gehirnzellen“. Ein anderer Zeiger weist in

Richtung Kneipe, er sagt: „Verlier deine Gehirnzellen“.

O-Ton (25) Hughes: Straight forward, straight talking, beer-loving,

whisky-consuming-company limited. Quite simple (…) These are individual

people (…) Irish people believe very much in individual characters.

Overvoice: Unser Motto ist: Immer vorwärts, klare und ehrliche Sprache,

wir lieben Bier und Whisky. Wir sind Individualisten und die Iren lieben ja

individuelle Charaktere.

Erzählerin: Die Porterhouse-Gruppe produziert pro Jahr ungefähr 15.000

Hektoliter Bier. Vollkommen ausreichend, wie Oliver Hughes meint. Denn

eine aggressive Werbung wird nicht betrieben, ebenso wenig wie der

Versuch, außerhalb Dublins oder gar Irlands Fuß zu fassen. Entweder die

Leute kommen, oder sie kommen nicht, meint Oliver Hughes.

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O-Ton (26) Hughes: Craft beer doesn’t suit everybody (…) People tend to

drink less. It is more of having a few beers and enjoying the flavor than

rather knocking back a gallon (…) We’re actually improving to drink better.

With craft beer we are drinking better.

Overvoice: Craftbier ist noch lange nichts für jeden. Hinzu kommt, dass

die Menschen weniger Bier trinken, der Trend geht eher dahin, weniger

besseres Bier zu trinken als sich die Birne zuzuknallen. Daran arbeiten

wir: Verbesserung des Bierkonsums und des Geschmacks durch Craftbier.

Atmo Porterhouse-Kneipe, erst hoch, dann unter Text

Erzählerin: Bierbrauen ist ein sehr komplexer Prozess. Umso

erstaunlicher ist es, wie lange der vergorene Gerstensaft schon ein

menschliches Kulturgut ist. Denn bereits die Sumerer im Zweistromland

hatten um 1800 vor Christus eine Biergöttin, die sie Ninkasi nannten und

der sie eine Hymne widmeten:

Musik

Zitator: Was dein Herz erfreut, das erfreut auch unser Herz. Unsere Leber

ist glücklich und unser Herz ist fröhlich. Möge Ninkasi stets mit dir sein.

Erzählerin: Neun Phasen lassen sich beim Bierbrauen unterscheiden:

Zitator: Maischen, Läutern, Würzekochen, Ausschlagen, Abkühlen,

Hefezugabe und Gärung, Lagerung, eventuell Filtrieren und schließlich

Abfüllung in Fässer, Flaschen oder Dosen.

Atmo Brauerei Wülfing, erst hoch, dann unter Text.

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Erzählerin: In Fritz Wülfings kleinem Betrieb. Bei einem Brauvorgang

sollen knapp tausend Liter Bier produziert werden. Drei Helfer sind vor Ort,

der erste Brauabschnitt wird ungefähr acht Stunden dauern.

O-Ton (27) Wülfing (mit Atmo): Eine Gose machen wir heute. Gose ist

ein alter deutscher Bierstil. Das ist nichts anderes als ein leicht säuerliches

Weizenbier mit Koriander und Salz. Und dieser Bierstil ist verschwunden,

als 1906 das Reinheitsgebot im gesamten Deutschen Reich in Kraft trat.

Erzählerin: Am Beginn steht das Maischen. Gemälztes Getreide, in

diesem Fall 200 Kilogramm Weizen, wird mit 600 Liter Wasser bei 68 Grad

Celsius gekocht. Mälzen bezeichnet einen kontrollierten Keimvorgang, bei

dem aus Getreide Malz entsteht. Es wird erst eingeweicht, dann in der

sogenannten Darrung getrocknet.

Erzählerin: Bereits durch dieses Verfahren wird das Aroma des Bieres

bestimmt. Mälzen ist nötig, damit bereits im Vorfeld des Brauens Stärke

und Eiweiß abgebaut wird, da sonst der Geschmack des Bieres

empfindlich beeinträchtigt würde.

Erzählerin: Das Maischekochen dauert ungefähr anderthalb Stunden.

O-Ton (30) Wülfing: Wir machen jetzt die Jodprobe. Das bedeutet, wir

testen, ob unser Maischvorgang am Ende ist oder nicht, oder beendet ist

oder fertig ist. Das Jod ist ja rot. In der Maischeprobe geträufelt würde sich

violett verfärben, wenn er stärker vorhanden wäre, und wie du siehst, färbt

sich gar nichts violett.

Atmo Brauerei Wülfing

O-Ton (31) Wülfing: Jetzt fangen wir an mit dem Läutern. Also wir warten

jetzt noch einen Augenblick. Das ist die sogenannte Läuterruhe. Das

bedeutet nichts anderes, als dass man die Spelzen von dem Malzschrott

in der Maische sich absetzen lässt, auf dem Siebboden, der da unten

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drunter ist. Dann fängt man mit dem Läuterprozess an. Und das machen

wir jetzt mal. Dann drehen wir jetzt mal den Hahn auf. Da kommt zuerst

mal trübe Plömpe raus.

Atmo plätschernde Maische

Erzählerin: Das Maischen hat bewirkt, dass die Getreidestärke in Zucker

umgewandelt wurde. Ob zuviel oder genügend Zucker in der Flüssigkeit

vorhanden ist, stellt Fritz Wülfing mit einem Gerät fest, das aussieht wie

die Klinge eines kleinen Messers und eigentlich aus dem Winzerhandwerk

stammt.

O-Ton (32) Wülfing: Das ist ein Refraktometer. Das benutzen eigentlich

nur Winzer. Da misst man den Zuckergehalt in Flüssigkeiten durch

Lichtbrechung (…) Und wir messen damit den Zuckergehalt in der

Bierwürze. Und normale Brauer machen das eigentlich nicht. Die nehmen

Spindeln und messen die Dichte so. Ist unheimlich aufwendig. Ist zwar viel

präziser, aber wir müssen es ja nicht genau messen. Es reicht ja, wenn

das ein halbes Prozent genau ist.

Erzählerin: Nun wird die gekochte Flüssigkeit am unteren Ende des

Maischbottichs abgelassen und in den Läuterbottich umgefüllt. Die

Getreidereste, die sogenannten Spelzen, legen sich dabei auf den Boden

des Maischbottichs.

O-Ton (33) Wülfing: Und der Boden ist ein Lochblech (…) Und darauf

bleiben die Spelzen liegen, die Flüssigkeit läuft durch und unter den

Lochblechhohlraum. Und da ziehen wir jetzt unten die Vorderwürze ab,

und pumpen sie zunächst mal wieder obendrauf. Und das sind alles so

diese Prozesse, die dazu führen, dass das Bier umso besser wird, je mehr

Zeit man sich lässt. Je länger man sich zum Beispiel hierfür Zeit lässt,

desto klarer wird die Flüssigkeit und desto besser ist nachher das

Ergebnis.

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Atmo Brauerei

O-Ton (34) Wülfing: So richtig im Blick habe ich’s nicht. So ein bisschen

im Gefühl. Aber das sieht schon ziemlich klar aus. Ich hole jetzt gleich

einfach mal ein Glas und halte das da drunter (…) Sieht schon ziemlich

gut aus. So richtig klar wird das sowieso nicht, weil wir Weizenmalz haben.

Erzählerin: Das nasse Malz bildet einen natürlichen Filter, der die

Bierwürze – Grundlage für das weitere Brauen – mit der Zeit klar

herauslaufen lässt. Nun beginnt das Würzekochen.

O-Ton (35) Wülfing: Das ist unsere Würzepfanne. Also wir pumpen jetzt

die sogenannte Bierwürze vom Läuterbottich in die Würzepfanne, und in

der Würzepfanne ist dann das eigentliche Biersieben. Sogenannte

Hopfenkochung, Würzekochung, gibt es viele Begriffe für (…) Da wird

dann diese Lösung aus Malz, Zucker, Wasser und später auch Hopfen,

der da dazugegeben wird, mindestens eine Stunde gekocht.

Atmo Brauerei Wülfing

Erzählerin: In der kleinen Bonner Brauerei riecht es jetzt nach faulen

Kartoffeln. Denn feuchter Weizen wurde gekocht und entwickelt dadurch

ein strenges Aroma. Das abgesetzte Getreide im Maischbottich schmeckt

jedoch überhaupt nicht ranzig oder verrottet, eher so süßlich wie ein

gezuckertes Müsli. Während des Würzekochens gibt Fritz Wülfing dann

den Hopfen hinzu, ungefähr 300 Gramm aus der Hallertau in Bayern, dem

größten Hopfenanbaugebiet Europas. In Fritz Wülfings Brauerei kommen

ausschließlich frisch geerntete Hopfen zum Einsatz

Atmo Brauerei Wülfing

O-Ton (38) Wülfing: Im Grunde genommen ist Bier brauen nicht

schwieriger als Kochen. Das einzige, was beim Bier brauen eben anders

ist, dass es so lange dauert. Also bis so ein ganzer Prozess einmal durch

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ist, bis dann nachher am Abend von einem Brautank mit Hefe versetzt im

Gärtank ist und gärt und nun die Arbeit die Hefe übernimmt, sind schon, je

nachdem wie es läuft, mindestens acht Stunden, meistens aber auch zehn

Stunden, die man dann an Arbeit hat.

Erzählerin: Nach dem Umfüllen in einen neuen Tank gibt Fritz Wülfing die

Hefe hinzu. Brauer sagen: Der Hopfen ist die Seele des Bieres, die Hefe

sein Körper. Sie sorgt dafür, dass der Zucker in der Würze innerhalb von

einigen Tagen vergärt und somit Alkohol bildet. Mit der Hefesorte

entscheidet der Brauer, ob er ein ober- oder untergäriges Bier herstellt.

Bei obergärigen Bieren wie Kölsch oder Alt setzt sich die Hefe oben ab,

bei untergärigen am Boden. Wichtig für den Umwandlungsprozess in

Alkohol ist auch die Stammwürze. Sie entsteht bereits während des

Läuterns. In Fritz Wülfings Mikrobrauerei wird nun die Flüssigkeit, aus der

Bier werden soll, in großen Gärtanks gelagert. Vier bis sechs Wochen wird

es dauern, bis es in Flaschen abgefüllt werden kann.

Zitator: Die erste Pflicht der Musensöhne ist, dass man sich ans Bier

gewöhne.

Erzählerin: ….sagt Wilhelm Busch

Atmo Brauerei Wülfing

Erzählerin: Von einer Micro-Brauerei im Rheinland nun zu einer ziemlich

großen in Bayern. Im fränkischen Kulmbach ist Hermann Nothhaft der

Braumeister und erklärt, was es mit der Stammwürze auf sich hat.

O-Ton (40) Nothhaft: Wenn Sie eine Stammwürze von 12 Prozent haben,

davon sind zwei Drittel vergärbar, also 8 Prozent. 4 Prozent bleiben

unverändert aus der Würze im fertigen Bier. 8 Prozent werden vergoren.

Und aus diesen 8 Prozent entsteht jeweils zur Hälfte Alkohol und zur

Hälfte Kohlensäure.

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Erzählerin: In größeren Brauereien werden im Gegensatz zu

Kleinbetrieben oft Hopfenkonzentrate oder sogenannte Pellets verwendet.

O-Ton (41) Nothhaft: Was ist der Unterschied von Pellets zu Rohhopfen?

Im Grund keiner. Lediglich hier im Rohhopfen sind Deckblätter drauf. Also

wie vom Tannenzapfen die Blätter und in der Mitte ist eine holzige Spindel.

Das hat eigentlich null Brauwert. Jetzt macht man das so, dieser

Rohhopfen wird vermahlen bei minus 30 Grad, um möglichst wenig Aroma

zu verlieren, (…) und die werden dann verpackt in Alu-Verpackungen, wie

Sie es vom Kaffee kennen. Und dadurch bleibt das Aroma und die Qualität

des Hopfens über längere Zeit erhalten.

Atmo Brauerei Wülfing, erst hoch, dann unter Text

Erzählerin: Nicht nur durch die Craftbier-Welle ist in die deutsche

Bierbrauer- und Konsumentenszene Bewegung gekommen. Die

Absatzzahlen der Branche sinken von Jahr zu Jahr, wenn auch nicht

dramatisch. Trotzdem hat sich einiges verändert.

Erzählerin: Die Tendenz geht zu alkoholfreien Bieren und

Biermischgetränken. Und sie geht auch dahin weniger zu trinken, aber

dafür besser. Das Hauptargument, das von Mikrobrauereien immer wieder

vorgebracht wird, geht in diese Richtung. Denn ihrer Meinung nach lautet

der Grundsatz der großen marktführenden Brauereien: Reinheitsgebot ist

gleichbedeutend mit einem Geschmackseinheitsgebot. Doch stimmt das

wirklich? Dass von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen die Biere alle

mehr oder weniger gleich schmecken, oder auf höchstens drei oder vier

Stile gebürstet sind, beispielsweise herb, malzig-süß oder bitter?

O-Ton (43) Eichele: Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn

dann von den deutschen Giganten und den deutschen Bierriesen die

Rede ist. Der deutsche Biermarkt besteht zum Großteil aus

Familienunternehmen – sehr erfolgreiche Familienunternehmen, große

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Familienunternehmen. Aber es sind bis heute Familienunternehmen

geblieben (…) Und wenn Sie sich mal den globalen Biermarkt ansehen,

der beherrscht wird von einigen wenigen global agierenden Konzernen,

dann kommt Deutschland mit der ersten Brauerei auf Platz 22. Soviel zum

Thema Giganten.

Erzählerin: Für Holger Eichele ist ein Biergeschmacksmonopol allein

schon deshalb nicht vorstellbar, weil Bierstile sich immer wieder neu

erfinden lassen:

O-Ton (44) Eichele: Wir haben in Deutschland eine einmalige Biervielfalt

mit 5500 Marken. Jede Woche kommt ein neues Bier auf den Markt. Wir

haben 1388 Brauereien. Die Zahl ist stark steigend. Metzgereien,

Schlachtereien, Bäckereien, diese kleinen Betriebe, die machen

reihenweise zu in Deutschland, aber es werden immer mehr Brauereien

gegründet. Und die Biervielfalt in Deutschland, die ist beachtlich (…) Aus

den vier Rohstoffen Wasser, Malz, Hopfen und Hefe können sie eine fast

unbegrenzte Menge Biere brauen, wenn sie sehen, dass sie 20

verschiedene Hopfensorten haben. Sie haben 40 Malze. Sie haben über

200 Hefestämme.

Erzählerin: Und noch etwas kommt hinzu, was Bier auf lange Sicht nicht

zu einem Auslaufmodell werden lassen wird. Denn während vor einiger

Jahrzehnten Werbeslogans noch vollkommen auf männliche

Konsumenten abgestimmt waren….

Musik

Zitator: Becks-Bier löscht Männerdurst! Männer wie wir: Wicküler Bier!

Erzählerin: ….sind es heute auch Frauen, die Pils-, Weizen- und Bockbier

trinken. Dabei hält sich hartnäckig das Gerücht, die weibliche

Käuferschicht würde aromatisierte Biere, beispielsweise mit Kirsch- oder

Pfirsichgeschmack bevorzugen. Helga Metzel, zuständig für die

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Unternehmenskommunikation bei der Kulmbacher Brauereigruppe, sieht

das differenzierter.

O-Ton (45) Metzel: Welche Biere trinken Frauen gern? Das kann man

auch nicht pauschal beantworten, dass Frauen nur das eine trinken

würden. Sicherlich ist es nicht nur überliefert, in der Tat wohl so, dass

Frauen eher mildere Biere gerne trinken, eher eben auch vielleicht mal ein

Natur-Radler, weil die Fruchtigkeit da eher durchkommt. Aber es gibt

genauso Frauen, die sehr, sehr gerne ein herbes Pils zu sich nehmen,

trinken, genießen können (…) Grundsätzlich ja, mildere Biere sind eher

was für Frauen.

Erzählerin: Helga Metzel hat sich vor einigen Jahren an der

Braumeisterschule im oberbayerischen Gräfelfing zur Bier-Sommelière

ausbilden lassen. Was es lange Zeit nur für den Wein gab – ein speziell

geschulter Sachverständiger, der den Gästen in einem Restaurant den

richtigen und passenden Tropfen zum Essen empfiehlt – gibt es nun im

Zug der Spezialisierung auch auf dem Biermarkt.

O-Ton (46) Metzel: Der Bier-Sommelier, der dient dazu, das Bier in

Deutschland dort noch salonfähiger zu machen, wo es vielleicht noch nicht

der Fall ist, sprich Themen zu irgendwelchen Geschmacklichkeiten

aufzufinden, die Liebe zum Detail zu entwickeln bei Menschen, die sie

vielleicht beim Bier noch nicht gefunden haben. Mehr Aufklärung geben zu

können über Geschmack, über Farbe, über den Geruch des Bieres, über

die Vielfalt der Biere, der Bier-Spezialitäten. Vielleicht auch gerade auch

der fränkischen Bier-Spezialitäten. Dafür dient der Bier-Sommelier.

Erzählerin: Bei der Ausbildung zum Bier-Sommelier lernen die

Kandidaten in erster Linie, ihren Geruchs- und Geschmackssinn zu

schulen. Das geschieht über das Probieren. Und das bedeutet nicht, dass

man von allen Bieren, die man beurteilen will, gleich mehrere Gläser

trinken muss. Nase und Gaumen werden für Fehlgerüche sensibilisiert,

man lernt, bestimmte Geruchstypen zu erkennen und genau zu

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beschreiben. Die Geschmacksfähigkeit wird herausgebildet, weiß Helga

Metzel:

O-Ton (47) Metzel: Es gibt Menschen, die haben das zunächst gar nicht,

das können sie aber trainieren. Genauso den Geruchssinn. Es hat ja

immer sehr viel mit Sinneserleben zu tun. Wenn es nicht antrainiert wird

oder auch nicht beigebracht wird (…) dann kann er das später aber

durchaus noch nachlernen, nachüben. Und der, der es hat, kann es

trainieren und weiter ausbauen und noch feiner sich da entwickeln.

Atmo Wirtshaus, erst hoch, dann unter Text

Erzählerin: Sehr schnell, so Helga Metzel, können Biersommeliers in der

Gastronomie feststellen, ob ein Bier gut oder schlecht gepflegt ist. Und

dadurch dem Wirt Tipps geben, wie er sein Produkt besser an die Gäste

bringt.

Atmo Wirtshaus, erst hoch, dann unter Text

O-Ton (48) Metzel: Worauf ist zu achten, damit die Kohlensäure stimmt,

damit das Bier gepflegt, gut schmeckend, wohl schmeckend beim

Bierliebhaber dann auch ankommt. Das richtige Bier zum richtigen Glas.

Dann aber auch (…) die Biertypen kennenzulernen, über die Biertypen

sprechen zu können. Also ganz einfach mehr Aufklärung bieten zu können

dem entweder Bierliebhaber, der es schon ist, oder dem gegenüber, der

es noch werden kann und soll.

Zitator: Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich, er

wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte. –

Erzählerin: Aus dem Gilgamesch-Epos, entstanden im zweiten

Jahrtausend vor Christus in Babylonien. Auch die deutschen Brauer

dürften eigentlich frohe Herzen und strahlende Gesichter haben. Sie

machten 2015 einen Umsatz von 7,8 Milliarden Euro, in der Branche sind

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annähernd 27.000 Menschen beschäftigt. Siebzig Prozent des

produzierten Bieres wird in Flaschen abgefüllt, der Rest in Dosen und

Fässern. Von den beinahe 1400 Betrieben, die im Deutschen Brauerbund

organisiert sind, hat fast die Hälfte ihren Sitz in Franken.

O-Ton (49) Eßer: Das ist historisch bedingt (…) die Böden hier im

Frankenland sind karge Böden.

Erzählerin: Andreas Eßer, Marketingchef der Kulmbacher Brauereigruppe

in Oberfranken.

O-Ton (50) Eßer: Das ist gut für den Anbau von Braugerste, weil man

braucht, um Braumalz herzustellen, eiweißarmes Getreide, karge Böden.

Wir haben ein etwas raueres Klima. Das heißt, es braucht auch etwas

länger, um auszureifen. Und vom raueren Klima kommt man zu einem

zweiten Punkt. Man braucht ja auch viel Kälte hinterher, um Bier reifen zu

lassen. (…) Wir haben hier auch heute noch hervorragende

Wasserqualitäten, die wir selber fördern können. Wir können heute unser

Brauwasser noch ohne jegliche Aufbereitung (…) zum Bierbrauen

verwenden.

Erzählerin: Andreas Eßer sieht die „Crafter“ als Kollegen, die die Absätze

des deutschen Brauereigewerbes auf Dauer nicht gefährden können.

O-Ton (51) Eßer: Wenn sich die Leute darüber unterhalten, hören wir

immer wieder: Ja, so Craft Biere bringen wir mal einem guten Freund zum

runden Geburtstag ein, zwei Fläschchen mit, weil in der Runde kann man

es dann mal probieren und sich darüber unterhalten. Aber dass es wirklich

so zum Bier wird, was man jeden Abend zur Brotzeit genießt, hören wir

sehr selten.

Musik

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Erzählerin: Am Rand der Stadt Kulmbach befindet sich das bayerische

Brauereimuseum. Hier kann man sehen, wie Bier seit dem Mittelalter

gebraut wurde, erfährt Wissenswertes über den Gerstensaft und seine

Herstellung. Und sogar über seine spirituelle Bedeutung. Denn der

nachweislich älteste Braukessel auf deutschem Boden wurde in Franken

gefunden. Er stammt von den Kelten, die ähnlich wie die Sumerer einen

Biergott hatten, und ist nachweislich mindestens 3000 Jahr alt. Darüber

hinaus lässt sich hier erfahren, dass Bierbrauen vor allem im Mittelalter

sehr häufig zuhause stattfand. Gebraut wurde für den Eigenbedarf und

nicht für den Verkauf. Heute ist es das Verdienst der kleinen

unabhängigen Crafter, so Andreas Eßer, dass sie mittlerweile für die

etablierten Brauereien die Rolle eines Hechts im Karpfenteich haben. Sie

halten den Fachbereich Bierbrauen auf Trab.

O-Ton (52) Eßer: Craft Beer ist gut, weil es in Deutschland alle dazu

angeregt hat, dem Kulturgut Bier mehr Nimbus mitzugeben. Das ist ein

bisschen verloren gegangen. Es war eher so ein Massenprodukt.

Erzählerin: Bei der Blindverkostung von Heike, Sven, Michael und Anette

liegen die Tester in fünf von sieben Fällen mit ihren Vermutungen richtig.

Wie hier beim Probieren eines sogenannten „Landbiers“ aus einer Eifler

Großbrauerei:

O-Ton (53) Heike: Ich finde, das riecht total nach Hopfen….

O-Ton (54) Michael: Es riecht aber nach mehr als (…) was es schmeckt.

O-Ton (55) Heike: Jetzt hab ich erwartet, es kommt eine stark hopfige

Note (…) schmeckt nach mehr als das erste Bier, aber dass es so intensiv

riecht (..:) Bisschen was Spezielles hat es, aber ich bin total enttäuscht,

weil der Geruch sich im Geschmack nicht spiegelt (…)

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O-Ton (56) Sven: Da ist der Hopfeneimer ausgerutscht!

O-Ton (57) Michael: Für mich auch eigentlich kein Craftbier (…) dafür

fehlt da einfach so eine spezielle Note.

O-Ton (58) Heike: Ich hatte bei dem Geruch gedacht, doch, das hat was

Spezielles, aber durch diese Enttäuschung beim Geschmack habe ich mir

gedacht, das ist mir doch zu sehr Massengeschmack.

Erzählerin: Einer der ersten, der in Deutschland das „Craften“ praktizierte,

ist der Berliner Oliver Lemke, Jahrgang 1968. Mitte der 1990er Jahre

gründete der gelernte Brauereiingenieur seine Firma in den Bögen des S-

Bahnhofs am Hackeschen Markt, nachdem er in vielen Ländern in

Brauereien gearbeitet hatte. Er machte fast Pleite. Die Zeit war noch nicht

reif für seine Konzepte bestehend aus Biersorten, die in Deutschland

entweder längst vergessen oder überhaupt nicht bekannt waren. Mit der

Zeit setzt er sich jedoch auf dem Markt durch, unter anderem auch

deshalb, weil Oliver Lemke nicht auf Konfrontationskurs zu den

Großbrauereien ging. Craftbier ist für ihn lediglich eine Farbe auf der

großen Palette des Bierbrauens, wie er bei einer Führung durch seinen

Betrieb erzählt.

O-Ton (59) Lemke: Zum einen ist es, glaube ich, kein guter Stil sich

selber da zu profilieren, indem man andere schlecht redet und zum

anderen ist es ja auch nicht schlecht, was sie machen, de facto (…) Das

ist halt echt ein Problem. So ein neu entstandenes Marktsegment, wo

unheimlich viele Leute wildern und sich berufen fühlen, da irgendwie ihre

Meinung kundzutun, die aber von dem Thema eigentlich keine Ahnung

haben und sich bestenfalls irgendwie mal ein halbes Jahr oder ein Jahr

damit auseinandergesetzt haben (…) aber es ersetzt natürlich nicht

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andere Leute, die irgendwie jahrelang diesen Beruf gelernt, studiert

haben.

Atmo Brauerei Lemke

Erzählerin: Oliver Lemke braut heute im Jahr 3000 Hektoliter, seine Biere

werden nicht nur im Restaurant unter den S-Bögen am Hackeschen Markt

verkauft, sondern im gesamten Berliner Raum. Die Diskussion zum

Thema Pro und Contra Reinheitsgebot hält er für überflüssig.

O-Ton (60) Lemke: Es geht um Bier, und es geht um Geschmack. Und

wenn ich mich darüber profilieren möchte, dass ich als Revoluzzer

irgendwo auftrete und sage, ey, 500 Jahre! Nach mir wird alles anders!

Dann ist das ein möglicher Weg – aus meiner Warte sehr zweifelhaft (…)

Also jeder kann sich sein Urteil selber bilden, ob er lieber ein

Großindustriebier trinkt oder eines von den Kleinen.

Atmo Brauerei Lemke

Erzählerin: Was Craftbiere vor allem auszeichnet, so Oliver Lemke, ist

das Experimentieren mit alten Rezepturen. Dabei geht es sehr häufig um

die Frage, ob die Geschmacksmöglichkeiten der einzelnen Stoffe voll

ausgeschöpft sind, oder ob man mit ihnen nicht noch viel mehr machen

kann. Das gilt zum Beispiel für den Hopfen, der jahrzehntelang nur dafür

verwendet wurde, die Süße aus dem Bier zu nehmen und den Zucker zu

neutralisieren. Das habe diese Zutat nicht verdient, meint Oliver Lemke.

O-Ton (61) Lemke: Ich habe selber in Großbrauereien gearbeitet, und

mein damaliger Chef sagte, wir geben kein Hopfen, wir geben Bittersäure.

Also das heißt, das, was der Hopfen nämlich auch kann, eine wunderbare

Aromavielfalt liefern, ist (…) in vielen Großbrauereien im Laufe der Jahre

so ein bisschen vergessen worden. Und im Rahmen dieser Craft-

Bewegung hat man den Hopfen eben für das auch entdeckt, was er eben

auch kann, und das ist wunderschöne Aromen ins Bier zaubern (…) 100,

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150 verschiedene Hopfensorten, mit denen wir arbeiten können, und jede

hat ein anderes Aroma.

Atmo Brauerei Lemke

Erzählerin: Trotz des Reinheitsgebots, das in Deutschland die Produktion

von Bier regelt, besteht für Oliver Lemke Nachbesserungsbedarf.

O-Ton (62) Lemke: Auf so ein Bier gehört nicht ein MHD – das

Mindesthaltbarkeitsdatum –, sondern auf so ein Bier gehört eigentlich ein

Burn on Date. Also, wann ist es abgefüllt worden. Weil, wenn jetzt

draufsteht, das ist haltbar bis keine Ahnung, Ende Dezember 2016, dann

weiß der Konsument gar nicht, wann das abgefüllt wurde. Ob es dann ein

halbes Jahr ist, oder ein Jahr oder was auch immer (…) Gerade bei

hopfenbetonten Bieren ist es super-, superwichtig, damit die toll

schmecken, dass sie ganz frisch sind.

Erzählerin: Berlin gilt mittlerweile als Mekka der Craftbier-Brauer. Vor

allem in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Mitte sind die etablierten

Marken wie Schultheiß oder Berliner Kindl auf dem Rückzug. Immer mehr

neue Sorten entstehen, die meist nur ein ganz geringes Marktsegment

bedienen und auch oft in nur einer Kneipe erhältlich sind.

Atmo Kneipe Pfefferbräu

Erzählerin: Für viele junge Berliner ist Bierbrauen eine kreative Bastelei,

mit der sich auch noch Geld verdienen lässt. Einer von ihnen ist Thorsten

Schoppe, der im Bezirk Prenzlauer Berg das „Pfefferbräu“ betreibt. Sieht

er sich als Craftbier-Brauer?

O-Ton (63) Schoppe: Wenn wir jetzt mal ausklammern, dass keiner so

ganz genau sagen kann, was Craftbeer eigentlich ist, dann bin ich das

vermutlich. Also ich habe inzwischen meinen Frieden eigentlich mit

diesem Wort gemacht, wobei ich eigentlich so Kreativbier vielleicht

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eigentlich noch besser finde als Begriff, aber man will sich auch nicht mit

jedem Menschen, der das Wort Craftbeer in den Mund nimmt, streiten.

Also vermutlich bin ich Craftbeer-Brauer, ja.

Erzählerin: „Pfefferbräu“ – das ist ein Wirtshaus mit Restaurant, in dem

die Gäste fast neben den Sudkesseln sitzen. Sein Standort ist der

sogenannte Pfefferberg, ein Terrain, das wenige Höhenmeter über dem

Straßenniveau liegt. Dort siedelten sich schon ab 1841 mehrere

Brauereien an, unter ihnen die des Bayern Joseph Pfeffer. Übriggeblieben

ist heute der Betrieb von Thorsten Schoppe. Er erzählt, wie er zum

Bierbrauen kam.

O-Ton (64) Schoppe: Im Prinzip durch Zufall. Also ich habe leider keinen

Elternteil gehabt, der mir eine Brauerei vererbt hat, und ich bin tatsächlich

beim Arbeitsamt auf den Beruf des Bierbrauers gestoßen, nachdem ich

eigentlich Lehrer werden wollte und da ein bisschen geguckt habe, was

Lehrer so machen. Hat mir alles nicht gefallen, bin ich per Zufall auf

Diplom-Braumeister gestoßen und habe gedacht, ist ja toll, dass es einen

Beruf gibt, der das macht, was ich damals schon gerne getrunken habe,

und dann bin ich da so reingerutscht.

Erzählerin: Bei den über 5000 Biermarken, die in Deutschland produziert

werden, ist es schwer, sich aus der Masse herauszuheben. Das

bekommen auch die Marktführer zu spüren und setzen deshalb auf immer

spektakulärere Marketingstrategien.

O-Ton (65) Schoppe: Wenn du ein relativ uniformes Produkt hast, dann

musst du irgendwie versuchen, dich aus der Masse herauszuheben, und

das gelingt dir eventuell über Werbung oder über interessante

Sponsoringansätze, Regenwälder oder Ähnliches retten. (…) Wenn du

kein normales Wasser hast, dann hast du vielleicht Felsquellwasser oder

wenn du keinen normalen Hopfen hast, hast du halt Siegelhopfen oder

keine normale Gerste, sondern mährische Braugerste (…) Der Craft-

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Brauer versucht sicherlich eine Differenzierung mehr über den Geschmack

und über das eigentliche Produkt zu machen als über das Drumherum.

Erzählerin: Doch auch das Milieu der Craftbier-Trinker stellt mittlerweile

Ansprüche. Die Szene ist zu einem Markt geworden, der nach denselben

Gesetzen funktioniert, wie jeder andere auch.

O-Ton (66) Schoppe: Du musst auch wirklich immer in Bewegung

bleiben. Also es reicht jetzt auch nicht irgendwie zu sagen, ich bin jetzt

Craftbeer-Brauer und ich hau jetzt mal Pale Ale auf den Markt, und dann

ist deine Rente gesichert. So funktioniert das nicht. Die Konsumenten, die

erwarten auch immer wieder neue Sachen von dir. Das heißt, wenn du

irgendwie nicht wenigstens mal alle drei Monate ein neues Bier auf den

Markt bringst, dann sagen sie (…) der hat keinen Bock mehr.

Erzählerin: Unter diesen Umständen, so Thorsten Schoppe, ist es

manchmal schwer, den Anspruch des Purismus in Bezug auf das

Bierbrauen aufrecht zu erhalten. Die Crafter sind ausgewiesene

Individualisten und Künstler, experimentierfreudig, unkonventionell und

manchmal etwas schräg.

O-Ton (67) Schoppe: Auf der einen Seite hat das sicherlich ein Stück weit

was mit meiner Persönlichkeit zu tun. Also, das ist vielleicht irgendwie

sowas, was sich Craftbeer-Brauer irgendwie auf die Fahne schreiben, das

heißt, ich bin derjenige, der entscheidet, was gebraut wird. Ich stehe hinter

dem Produkt. Das wird vermutlich ein Doktor Soundso nicht behaupten

können, dass der selber am Kessel steht. Das macht wahrscheinlich so

die Craftbeer-Brauer oder auch mich irgendwie einigermaßen greifbar und

vielleicht auch sympathisch. Im Prinzip ist das eine relativ persönliche

Geschichte letztendlich.

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Erzählerin: Allein die Namen, die Thorsten Schoppe seinen Bieren gibt,

würden mit Sicherheit nicht bei Radeberger oder Bitburger auftauchen:

„Holy Shit Ale“, „Katerfrühstück“, „Black Flagg“ oder „Hoppy Schoppy Pils“.

O-Ton (68) Schoppe: Wir haben ja doch einen Großteil von Bieren, die

alle relativ uniform sind, die sich alle irgendwie Pilsener nennen, fünf

Prozent haben, relativ hell sind, untergärig und ein bisschen Hopfen drin

haben. Das ist so das Fernsehbier. Und das hat halt in den letzten Jahren

doch ein relatives großes Spektrum abgegriffen, und alles was anders ist,

dass ist Gott sei Dank momentan modern (…) sagen wir mal,

amerikanisch oder angelsächsisch inspirierte Sachen, Ales, IPAs, Pale

Ales, Stouts, Porter etc.

Erzählerin: Wie sieht das traditionelle Brauereigewerbe den Craftbier-

Trend? Ist er eine ernstzunehmende Konkurrenz, bestehend aus

Bierrevoluzzern und Aroma-Rebellen, die auf lange Sicht den Markt

aufrollen werden? Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen

Brauerbundes, sieht die Entwicklung gelassen:

O-Ton (69) Eichele: Der Trend zu Craft-Bieren ist eine absolute

Bereicherung, weil wir endlich in Deutschland wieder reden über die

Rohstoffe, über die Vielfalt, über die Braukunst und das Brauhandwerk

und nicht nur über den günstigsten Preis im Supermarkt. Wir freuen uns

über den Craft-Trend, wir freuen uns über diese Renaissance des Bieres

und des Brauens, und wir unterstützen auch die Craft-Kollegen nach

Kräften im Verband (…) Craft hat viele, viele, viele Gesichter in

Deutschland, das ist das Spannende an dieser Bewegung.

Atmo Bierfest Kulmbach

Erzählerin: Dass der kreative Schub, ausgehend von der Craftbier-

Bewegung auch Auswirkungen auf die Überlegungen großer Brauereien

hat, lässt sich besonders deutlich am Beispiel der Brauereigruppe im

oberfränkischen Kulmbach sehen. Auf den Vorwurf, dass die großen

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Brauereien nur Biere für den Massengeschmack produzieren, sagt

Andreas Eßer, Marketingchef der Kulmbacher Brauereigruppe:

O-Ton (70) Eßer: Wir haben uns im vergangenen Jahr entschieden, dass

wir uns noch stärker in Zukunft verloren gegangenen Rezepturen widmen

wollen. Ist ja auch paradox. Es gab ja vor 100, 200 Jahren Biere bei uns in

Deutschland, die man heute nicht mehr kennt. So Joppen-Bier oder was

es so alles gibt (…) Wir haben uns dann entschlossen, einerseits alte

Rezepturen wieder zu beleben, andererseits aber auch kleinere

Gebindeformen anzubieten. Und das erste Produkt, was so entstanden ist,

unser historisches Märzen.

Erzählerin: Märzen-Bier wurde früher in der kalten Jahreszeit eingebraut.

Daher auch der Name. Märzen zeichnet sich aus durch eine etwas höhere

Stammwürze. Es werden ausschließlich Aromahopfen und weiche

Malzsorten verwendet. Das gibt dem Bier einen süßlich-süffigen

Geschmack. Und gießt man es in ein Glas, sieht es aus wie ein reifes

Gerstenfeld im Sommer.

O-Ton (71) Eßer: Wir sitzen regelmäßig beieinander (…) in einem ganz

kleinen Kreis und sagen, na, was könnte denn vielleicht noch mal gut

sein? Oder was haben wir noch nicht ausprobiert? Und in aller Regel ist es

so, dass wir dann drei, vier verschiedene Ausprägungen dieser Idee

umsetzen, in kleinen Suden. (…) Und damit tasten wir uns ran. Und wenn

wir glauben, wir haben es so getroffen, dass es den Menschen auch

schmeckt, dann laden wir einfach tausend, zweitausend Menschen ein.

Nicht an einem Tag. Wir nehmen uns auch Zeit dazu, erzählen ihnen, was

uns durch den Kopf gegangen ist und dann macht man eine Brotzeit, dann

probiert man das. Und wenn alles vorbei ist, werten wir es halt mal aus so

nach dem alten Motto ‚Der Wurm muss eigentlich dem Fisch schmecken

und nicht dem Angler’.

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Erzählerin: Die Großen der Branche haben natürlich ganz andere

Möglichkeiten des Marketings und der Werbung als die Kleinen. Die

Kulmbacher Brauereigruppe beispielsweise hat ein PR-Instrument, das

vor allem in den Frühlings- und Sommermonaten zum Einsatz kommt. Es

besteht aus einem Planwagen, der ungefähr so groß ist wie ein fahrbarer

Verkaufsstand auf einem Wochenmarkt. Hier wird öffentlich gebraut, der

Betrachter kann den Vorgang von der Maische bis zur Hopfen- und

Hefegabe verfolgen.

O-Ton (72) Nothhaft: Sie sehen hier ein komplettes Sudhaus.

Erzählerin: Hermann Nothhaft, Braumeister in Kulmbach.

O-Ton (73) Nothhaft: Meistens halt ist immer Bier mit Alkoholexzessen

verbunden, ja, das für das Getränk schon ein negatives Image gebracht

hat. Und durch solche Sachen sieht er erst mal, mit welcher Sorgfalt die

Brauereien das ganze Bier herstellen. Und dann auch mal die Rohstoffe,

die Leute haben hier was zum Greifen, ja? Wir können hier aufmachen

und die können mal in so ein Korn reinbeißen und merken, ah hoppla, das

schmeckt ja süß. (…) Sie haben eine Brauerei zum Anfassen.

Erzählerin: Die mobile Brauerei ist nicht nur ein Marketing-Einfall, der

dann zum Einsatz kommt, wenn die Geschäftsleitung der Kulmbacher

Brauerei ihr Bier außerhalb von Oberfranken vorstellen und verkaufen will.

Sie wirbt auch Bier als Lebensmittel, für das Brauen als Handwerk.

Darüber hinaus verfügen die Kulmbacher über eine eigene Hefezucht.

Genauer gesagt über eine Hefebank, die die entsprechenden Zellen

aufbewahrt und züchtet.

O-Ton (74) Nothhaft: Damit immer der gleiche Biercharakter entsteht, hat

man irgendwann mal diese Zelle praktisch in ein Muttergefäß abgefüllt,

dann wird immer was rausgenommen, wird vermehrt, an die Brauerei

geschickt und wir haben immer die gleiche Hefe mit dem gleichen

Charakter in einer Art Stammsammlung. Und das ist an der TU München

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in Weihenstephan (…) Dort wird diese Hefe aufbewahrt, immer wieder ein

Teil genommen, vermehrt, verschickt. Und dieser Stamm ist dann immer

vorhanden und bringt uns immer die gleiche Qualität. Das ist ja ganz

wichtig, dass das Bier immer den gleichen Charakter hat.

Erzählerin: Gerade das ist einer der Kritikpunkte der Crafter. Nach ihrem

Selbstverständnis sollte man dem Bier gerade anmerken, dass es im

Geschmack von Brauvorgang zu Brauvorgang durchaus variieren kann.

Die Melodie des Bieres sollte zwar immer wiedererkennbar sein, sein Text

darf jedoch abweichen. Glaubt man Heike und Michael, zwei Probanden

der Blindverkostung, dann scheint es tatsächlich so zu sein, dass

Craftbiere – in diesem Fall das neue Bier von Fritz Wülfing –

geschmacklich ausgeprägter daherkommen:

O-Ton (75) Michael: Angenehm malzig, ein sehr angenehm malziger

Geruch, logisch, hier kann ja nur ein höherer Malzgehalt drin sein –

O-Ton (76) Heike: Oh, das ist aber süß! (…) Mir schmeckt‘s gut, ich war

erst überrascht über die Süße, passt mit dem Malzige aber total gut, ist

super temperiert – mein Favorit

O-Ton (77) Michael: Das heißt, für dich auch ein Craftbier?

O-Ton (78) Heike: Das könnt ich mir hier gut vorstellen, weil das Malzige

in der Kombination mit der Süße einfach was Spezielles hat. (…) Bei der

Frage, ist das Craftbier, würde ich sagen, doch!

Zitator: Bier ist der überzeugendste Beweis dafür, dass Gott den

Menschen liebt und ihn glücklich sehen will.

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Erzählerin: Sagte Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der

Vereinigten Staaten von Amerika. Was das Bier angeht, scheint es der

Große Geist mit den Deutschen besonders gut gemeint zu haben, so sieht

es jedenfalls Holger Eichele vom Brauerbund.

O-Ton (79) Eichele: Ich bin einmal im Monat in Brüssel bei meinem

europäischen Verband Brewers of Europe, und ich kann nicht bestreiten,

dass es gewisse neidvolle Blicke gibt auf das Reinheitsgebot und auf den

deutschen Biermarkt. Wir sind der größte Bierproduzent in Europa(…)

natürlich stellen Kollegen aus den Nachbarländern diese Spitzenstellung

in Frage. Das überlasse ich ihnen, aber diesen Neid mussten sich die

deutschen Brauer auch erst mal über Jahrhunderte erarbeiten.

Atmo Brauerei Wülfing (Flaschenklirren, Abfüllgeräusche)

Erzählerin: Nach sechs Wochen ist es in der Bonner Mikrobrauerei von

Fritz Wülfing soweit: das Bier wird auf Flaschen gezogen.

O-Ton (80) Wülfing: Sonst gibt es natürlich noch unser Dosenprojekt. Wir

füllen auch in Dosen, weil ich denke, dass die Dose, die beste Verpackung

für Bier ist. Das Image der Dose ist am Boden, hat aber andere Gründe.

Das hat nichts mit der Qualität zu tun. Es hat mit der Qualität schon was

zu tun, weil gerne sehr minderwertige Biere in Dosen gefüllt werden und

die dann billig verkauft werden. Das wird der Dose aber eigentlich nicht

gerecht, weil die Dose das Bier sehr gut schützt.

Erzählerin: In Flasche und Dose muss das Bier mit dem Namen Alemania

noch etwas nachreifen und kann dann getrunken werden. Zur

Geschmacksprobe lädt Fritz Wülfing immer einige Freunde in seine

Brauerei ein.

Erzählerin: Was seine Zukunft als Craftbier-Brauer angeht, ist Fritz

Wülfing zuversichtlich:

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O-Ton (81) Wülfing: Ich denke mal in diesem Jahr werden wir das nach

oben hin durchstoßen. Also der Markt verlangt nach viel mehr, da wäre

viel mehr drin (…) Eigentlich müssen wir nur aus dem Quark kommen, den

Rest macht der Markt momentan, weil es halt so wächst. Also nicht, dass

wir da alle Millionäre mit werden, aber ich sehe jetzt echt die Chance, dass

ich meinen Schreibtisch an den Nagel hängen kann und kann dann in ein

paar Jahren die Familie mit der Brauerei ernähren.

Atmo und O-Töne Kölner Brauhaus

Erzählerin: Bier ist das liebste Kind der Deutschen. Kaum ein

Nahrungsmittel ist über die Jahrhunderte so verfeinert, variiert und

verbessert worden. Das deutsche Reinheitsgebot – im Jahr 2016 feiert es

seinen 500. Geburtstag – ist dabei immer eine wichtige Richtschnur

gewesen. Die Opposition der Craftbierbrauer ist dabei nicht destruktiv: Sie

hat alte Bierstile wieder belebt, Rezepturen aus dem Ausland in

Deutschland hoffähig gemacht. Von dieser Szene ist noch viel zu

erwarten, denn sie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung.

O-Ton (82) Michael: Prost und vielen Dank für die Einladung!

Atmo und O-Töne Kölner Brauhaus

Absage: Craft Beer – Die Braurebellion und ihre Macher Von Michael Reitz

Es sprachen: Jochen Langner, Bernd Reheuser und Sigrid

Burkholder

Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon

Regie: Uta Reitz

Redaktion: Klaus Pilger

Produktion: Deutschlandfunk 2016