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Sportinformatik 2012 1 9. Symposium der dvs-Sektion Sportinformatik, Univ. Konstanz, 12.-14.9.2012 JULIANE PIETSCHMANN, THOMAS JÖLLENBECK Feedbacktraining auf dem Laufband zur Normalisierung des Gangbildes bei Patienten nach Hüftgelenksersatz Einleitung Trotz guter medizinischer Versorgung kommt es durch den demographischen Wandel und eine immer älter werdende Bevölkerung vermehrt zu alterstypischen Erkrankungen wie Arthrose oder Osteoporose. Durch diese Erkrankungen werden in Deutschland bei rund 25% der Bevölkerung zum Teil erhebliche Gelenkbe- schwerden festgestellt. Obwohl hiervon überwiegend ältere Personen betroffen sind, können Gelenkbeschwerden auch bei jüngeren Personen bedingt durch Fehl- stellungen, (Sport-) Verletzungen oder Unfälle auftreten. Mit zunehmenden Ge- lenkbeschwerden wird ein Gelenkersatz des Knie- oder Hüftgelenkes angeraten. So wurden in Deutschland von 2003 bis 2009 rund 1,38 Mio. künstliche Hüftgelen- ke (Hüft-TEP) implantiert (Schnabel & Borelle, 2011), Tendenz steigend (BAQ, 2010). Auch wenn „Die Implantation eines Kunstgelenkes eine segensreiche Erfin- dung [...] darstellt, welche nicht nur zu einer deutlichen Verbesserung der Lebens- qualität, sondern auch über das erhöhte Aktivitätsniveau zu einer Lebensverlänge- rung führt [...]“ vergeht im Vorfeld meist eine lange Zeit, in der es bedingt durch Schmerzen und Fehlhaltungen in einem schleichenden Prozess zu Veränderungen kommt, die nicht nur die Lebensqualität, Mobilität und Teilhabe, sondern auch das individuelle Gangbild betreffen (Schönle, 2004). Trotz guter medizinischer Versorgung konnte in Untersuchungen gezeigt werden, dass im Laufe der Rehabilitation zwar deutliche Fortschritte erzielt werden, das Gangbild aber nicht nur zum Abschluss der Rehabilitation (Jöllenbeck, Neuhaus und Grebe, 2010, Jöllenbeck und Schönle, 2012), sondern auch Jahre später noch deutliche Defizite aufweist (Classen, 2007). Die hiermit verbundenen Fehlstellun- gen und Mehrbelastungen können sowohl die Statik wie auch contralaterale Ge- lenkpartner beeinträchtigen. Als Spätfolgen sind wiederum Schmerzen, Fehlhaltun- gen oder übermäßige Abnutzungen in anderen Gelenken zu erwarten (Classen, 2007, Jöllenbeck und Schönle, 2012). In Anlehnung an erste positive Ergebnisse aus der neurologischen Rehabilitation (Schlick, Struppler, Boetzel, Plate und Ilmberger, 2012) ist das Ziel dieser Studie die Überprüfung, inwieweit ein visuelles Feedbacktraining auf dem Laufband Aus- wirkung auf die Normalisierung des Gangbildes bei Patienten nach Implantation ei- ner Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP) aufweist und zur Reduzierung individueller Defizite beiträgt.

Feedbacktraining auf dem Laufband zur Normalisierung des ... · Methode An einer prospektiven Studie haben 24 Rehabilitanden (15 ♀, 9♂; 55,3 ±7,5 Jahre; 82,0 kg ±11,7 kg) in

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Sportinformatik 2012

1 9. Symposium der dvs-Sektion Sportinformatik, Univ. Konstanz, 12.-14.9.2012

JULIANE PIETSCHMANN, THOMAS JÖLLENBECK

Feedbacktraining auf dem Laufband zur Normalisierun g des Gangbildes bei Patienten nach Hüftgelenksersatz

Einleitung

Trotz guter medizinischer Versorgung kommt es durch den demographischen Wandel und eine immer älter werdende Bevölkerung vermehrt zu alterstypischen Erkrankungen wie Arthrose oder Osteoporose. Durch diese Erkrankungen werden in Deutschland bei rund 25% der Bevölkerung zum Teil erhebliche Gelenkbe-schwerden festgestellt. Obwohl hiervon überwiegend ältere Personen betroffen sind, können Gelenkbeschwerden auch bei jüngeren Personen bedingt durch Fehl-stellungen, (Sport-) Verletzungen oder Unfälle auftreten. Mit zunehmenden Ge-lenkbeschwerden wird ein Gelenkersatz des Knie- oder Hüftgelenkes angeraten. So wurden in Deutschland von 2003 bis 2009 rund 1,38 Mio. künstliche Hüftgelen-ke (Hüft-TEP) implantiert (Schnabel & Borelle, 2011), Tendenz steigend (BAQ, 2010). Auch wenn „Die Implantation eines Kunstgelenkes eine segensreiche Erfin-dung [...] darstellt, welche nicht nur zu einer deutlichen Verbesserung der Lebens-qualität, sondern auch über das erhöhte Aktivitätsniveau zu einer Lebensverlänge-rung führt [...]“ vergeht im Vorfeld meist eine lange Zeit, in der es bedingt durch Schmerzen und Fehlhaltungen in einem schleichenden Prozess zu Veränderungen kommt, die nicht nur die Lebensqualität, Mobilität und Teilhabe, sondern auch das individuelle Gangbild betreffen (Schönle, 2004). Trotz guter medizinischer Versorgung konnte in Untersuchungen gezeigt werden, dass im Laufe der Rehabilitation zwar deutliche Fortschritte erzielt werden, das Gangbild aber nicht nur zum Abschluss der Rehabilitation (Jöllenbeck, Neuhaus und Grebe, 2010, Jöllenbeck und Schönle, 2012), sondern auch Jahre später noch deutliche Defizite aufweist (Classen, 2007). Die hiermit verbundenen Fehlstellun-gen und Mehrbelastungen können sowohl die Statik wie auch contralaterale Ge-lenkpartner beeinträchtigen. Als Spätfolgen sind wiederum Schmerzen, Fehlhaltun-gen oder übermäßige Abnutzungen in anderen Gelenken zu erwarten (Classen, 2007, Jöllenbeck und Schönle, 2012). In Anlehnung an erste positive Ergebnisse aus der neurologischen Rehabilitation (Schlick, Struppler, Boetzel, Plate und Ilmberger, 2012) ist das Ziel dieser Studie die Überprüfung, inwieweit ein visuelles Feedbacktraining auf dem Laufband Aus-wirkung auf die Normalisierung des Gangbildes bei Patienten nach Implantation ei-ner Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP) aufweist und zur Reduzierung individueller Defizite beiträgt.

PIETSCHMANN et al.: Gangbild bei Patienten nach Hüftgelenksersatz 2

Methode

An einer prospektiven Studie haben 24 Rehabilitanden (15♀, 9♂; 55,3 ±7,5 Jahre; 82,0 kg ±11,7 kg) in der Anschlussheilbehandlung (AHB) nach Implantation einer Hüft-TEP mit Vollbelastung und ohne Berücksichtigung weiterer Ausschlusskrite-rien teilgenommen. Zwei altersadäquate Vergleichsgruppen, bestehend aus 8 Probanden ohne gesundheitliche Einschränkungen sowie 12 Probanden im Re-habilitationsverlauf nach Hüft-TEP, dienen als Referenz (Jöllenbeck et al., 2010). Mit den Probanden wurde ein 14-tägiges Laufbandtraining durchgeführt (Abb. 1). Die Probanden wurden randomisiert einer von zwei Interventionsgruppen zugeteilt (IG1: mit visuellem Feedback; IG2 ohne visuelles Feedback). Beim ersten und letz-ten Termin (MZP1/MZP2) wurde zudem identisch zu den Referenzgruppen jeweils eine umfassende 3D-Bewegungsanalyse durchgeführt. Zur Erhebung der kineti-schen und kinematischen Parameter wurde ein komplexes Instrumentarium, beste-hend aus einer im Laufband (h/p/cosmos quasar med) integrierten ganganalyti-schen Messtechnik (Zebris FDM-T) sowie einem 3D-Ultraschall-Bewegungs-analysesystem (Zebris), eingesetzt. Die Messdauer betrug jeweils 20 s.

Abb. 1: Feedbacktraining auf dem Laufband, Studiendesign

Das Laufbandtraining bestand aus 6 Trainingseinheiten mit einer Trainingsdauer von max. 23 Minuten. Bei jeder Trainingseinheit wurde eine 3-minütige Eingewöh-nungsphase auf dem Laufband bei selbstgewähltem Gangtempo durchgeführt. Das Display des Laufbandes war abgedeckt und das Gangtempo wurde den Probanden nicht mitgeteilt. Die anschließende Trainingsdauer durfte von jedem Probanden in-dividuell gewählt werden, wurde jedoch auf max. 20 Minuten begrenzt. Bei der IG1 wurde am Ende der Eingewöhnungsphase eine weitere „Kurzganganalyse“ (Zebris FDM-T Preview) durchgeführt. Hierbei wurden die individuellen Fußabdrücke und Gangparameter erfasst. Lag eine Schrittlängendifferenz vor, so wurde diese auf die größere Schrittlänge hin angepasst. Die so modifizierten Fußabdrücke wurden an-schließend auf die Lauffläche projiziert (Zebris Reha-Walk, Abb. 2). Die Probanden

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wurden gebeten die Fußabdrücke während der nun folgenden Trainingsphase möglichst genau zu treffen. Die IG 2 absolvierte das Laufbandtraining ohne visuel-les Feedback. Das allgemeine Befinden der Patienten wurde vor jedem Training anhand einer an Borg angelehnten visuellen Analogskala erfasst. In die Datenaus-wertung wurde neben den erhobenen kinematischen und kinemetrischen Parame-tern und der Befindlichkeit auch ein Fragebogen zum Laufbandtraining einbezogen.

Abb. 2: Feedbacktraining auf dem Laufband, projizierte Fußabdrücke in Sagittal- und Frontalperspektive

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen für beide Interventionsgruppen über den Trainingszeitraum einen signifikanten Anstieg der Geschwindigkeit, IG1:p≤ 0,001; IG2:p= 0,05. Es er-weckt den Anschein, dass die Geschwindigkeit zudem mit dem Befinden der Pro-banden korreliert. Ebenso scheint ein Zusammenhang zwischen dem Befinden der Probanden und der Trainingsdauer zu bestehen. Insbesondere das Feedbacktrai-ning scheint zu Verbesserungen des Gangbildes beizutragen. So zeigt die IG1 auf der operierten Seite im Vergleich zur IG2 bisher größere Verbesserungen von Schrittlänge (39%/22%), p≤ 0,001/p= 0,017, Doppelschrittlänge (40%/23%), p≤ 0,001/p= 0,016, und Standphasenverteilung (-22%/-10%), p= 0,006/p= 0,019. Ebenfalls zeigen sich in IG1 bisher stärkere Verringerungen der Seitenunterschiede von MZP1 zu MZP2.

Diskussion

Verbesserungen hinsichtlich der Geschwindigkeitsanstiege sowie Verbesserungen im Zusammenhang zwischen Befinden und Trainingsdauer sind allgemein auf den normalen Heilungsprozess mit Verbesserungen der Gelenkbeweglichkeit und zu-nehmender Gangsicherheit bei gleichzeitiger Schmerzreduktion zurückzuführen und konnten bereits belegt werden (Classen, 2007; Jöllenbeck et al., 2010, Jöllen-beck und Schönle, 2012).

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Die vorliegenden Ergebnisse können dieses weiterhin bestätigen. Zudem scheint das durchgeführte Training mit visuellem Feedback auf dem Laufband den Ergeb-nissen zufolge geeignet, das individuelle Gangbild der Rehabilitanden deutlich schneller zu verbessern und auch eine schnellere Normalisierung der Gangpara-meter zu ermöglichen als ein Training ohne visuelles Feedback. Die Auswertung der kinematischen und kinetischen Daten steht jedoch ebenso noch aus wie der Vergleich mit den altersadäquaten Kontrollgruppen und soll darüber Auskunft ge-ben, ob sich die andeutende stärkere Normalisierung des Gangbildes neben der Schrittlänge und den Schrittphasen auch in den als überdauernd defizitär bekann-ten weiteren Schlüsselparametern niederschlägt. Gegensätzlich zu bisherigen Ergebnissen zum Gangtraining mit visuellem Feed-back nach Hüft-TEP scheint eine externe visuelle Rückmeldung eine bessere Um-setzung im Training zu finden (Brettmann, Vogt, Galm, Hartge und Banzer, 2006). Zwar kann an dieser Stelle nicht auf eine direkte Übertragbarkeit der Bewegungen in den Alltag geschlossen werden, es wird jedoch vermutet, dass eine dauerhafte Reduzierung der Schonhaltung durch ein visuell gestütztes Laufbandtraining erfol-gen kann.

Literatur

Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung (2010). Jahresauswertung 2009. Zugriff am 23.06.2012 unter: http://www.baq-bayern.de/downloads/files/2009_172_gesamt_online.pdf.

Brettmann, K., Vogt, L., Galm, R., Hartge, S. & Banzer, W. (2006). Visuelles Feedback – Gehtrai-ning nach hüftendoprothetischer Versorgung. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 57 (7), 189-194.

Classen, C. (2007). Zur Biomechanik des prä- und postoperativen Ganges von Patienten mit Knie- oder Hüft-Totalendoprothese – Pilotstudie über die Veränderungen ausgewählter gangana-lytischer Parameter von Patienten mit Knie-Endoprothese während einer 3-wöchigen stati-onären Rehabilitation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Sportwissenschaft, Universität Pa-derborn.

Jöllenbeck, T. &, Schönle, C. (2012). Gangverhalten von Patienten nach Knie-TEP während der Rehabilitation. Orthopädie & Rheuma, 15 (1), 37-41.

Jöllenbeck, T., Neuhaus, D. & Grebe, B. (2010). Schlüsselparameter zur Optimierung des Gang-verhaltens in der Rehabilitation bei Patienten nach Knie- und Hüft-TEP. In: DRV-Schriften 88, Berlin: Heenemann, 352-354.

Schlick C, Struppler A, Boetzel K, Plate A & Ilmberger J (2012). Dynamic visual cueing in combina-tion with treadmill training for gait rehabilitation in Parkinson disease. American Journal of Physical Medicine, 91, 75-79.

Schnabel, P. & Borelle, S. (2011). Endoprothesenregister: Höchsten Anforderungen genügen. Dtsch Arztebl; 108 (48), Zugriff am 21.06.2012 unter: http://www.aerzteblatt.de/archiv/115583.

Schönle, C. (2004). Rehabilitation. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.