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Med Klin Intensivmed Notfmed 2012 · 107:244–248 DOI 10.1007/s00063-011-0059-9 Eingegangen: 10. März 2012 Angenommen: 12. März 2012 Online publiziert: 6. April 2012 © Springer-Verlag 2012 A. Valentin Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien Fehlerentstehung und  Fehlerprävention auf  Intensivstationen Die Idealvorstellung einer nahezu fehlerlosen modernen Medizin wurde in den letzten Jahren nachhal- tig in Frage gestellt. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, warum das Thema Fehler gerade auch an Intensivstationen von eminenter Bedeutung ist und welche präventiven Maßnahmen das Risiko für Fehler reduzieren können. Die Erfassung und Analyse von Fehlern in der Medizin ist nach den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte als grundlegendes Element einer auf Qualitätsverbesserung ausgerichteten klinischen Praxis zu be- trachten. Für Intensivstationen gilt dies in besonderem Maße, da die hochkomplexe Situation der Behandlung schwerstkran- ker Patienten mit großem technologi- schen Aufwand und multiprofessionellen Teams eine typische Risikokonstellation ergibt. Das intrinsische Risiko des schwer- kranken Patienten addiert sich gewisser- maßen mit dem durch die Behandlung möglichen extrinsischen Risiko. Eine wesentliche Anforderung an die heuti- ge Intensivmedizin besteht darin, dieses durch den Prozess Intensivmedizin be- dingte extrinsische Risiko zu minimie- ren. Die Beschäftigung mit Fehlerentste- hung und -prävention ist ein grundlegen- des Element einer daraus abzuleitenden risikoreduzierenden Strategie. Fehler, Beinahe-Ereignisse und Ereignisse mit Schadensfolge Eine häufig gewählte Definition be- schreibt einen Fehler im medizinischen Kontext als ein Ereignis, welches poten- ziell oder tatsächlich zu einer negativen Folge bei einem Patienten geführt hat. Der Fokus liegt damit nicht auf dem tatsäch- lich eingetretenen Schaden, sondern auf der Erkenntnis von Schwachstellen und unsicheren Abläufen in einem Behand- lungsprozess. Aus dieser Perspektive bie- tet jeder Fehler auch eine Chance, Einbli- cke in die Entstehung eines Problems und mögliche präventive Maßnahmen zu ge- winnen. Im besten Fall zeigt die Analy- se auch, warum ein Fehler nicht zu einem Schaden geführt hat und ermöglicht so die Verstärkung der Instanzen und Maß- nahmen, mit denen die Auswirkungen von Fehlern minimiert werden können. Die Häufigkeit und Charakteristik von kritischen Ereignissen (Fehler mit und ohne konsekutivem Ereignis bzw. Scha- densfolge) ist daher zweifellos auch ein Indikator für die Qualität eines medizini- schen Prozesses. » Auch Fehler ohne direkte Folgen sollten analysiert werden Davon abzugrenzen sind Ereignisse mit negativen Folgen für einen Patien- ten, die durch einen schicksalhaften Ver- lauf einer Erkrankung verursacht wur- den [9, 21]. Diese Unterscheidung kann sich gelegentlich als schwierig erweisen; ein wesentliches Kriterium ist jedoch, in- wieweit das Ereignis durch einen anderen Ablauf des Behandlungsprozesses ver- meidbar gewesen wäre. Sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis hat es sich als hilf- reich erwiesen, nicht nur Ereignisse mit tatsächlichem Schaden, sondern auch Fehler ohne direkte Folgen zu analysieren. Glücklicherweise führt nicht jeder Fehler zu einem Schaden, aber die Abläufe haben häufig ein gemeinsames Muster. Wäh- rend medizinisches Personal gewisserma- ßen am patientennahen Ende eines Pro- zesses oder einer Struktur tätig ist, liegt dem Fehler und seiner Auswirkung meist eine Ursache zugrunde, die ihre Wurzeln im Design des Systems hat [9, 26]. Sol- che Systemfehler reichen von einfachen organisatorischen Fragen wie der War- tung von technischen Geräten bis hin zu komplexen Themen der Ergonomie [11] und der Betriebskultur einer Institution. Ein einfaches Beispiel für einen System- fehler zeigt . Abb. 1. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass sich Fehler gänzlich vermeiden las- sen. Neben den erwähnten Systemfakto- ren, die eine gestaltbare Variable darstel- len, existieren Limitationen der mensch- lichen Natur, die unumgänglich sind. Da- zu gehören etwa kognitive Dispositionen, die dazu führen, dass Häufiges, Erwar- tetes, Verwandtes, vor kurzem Erlebtes, Wichtiges und emotional Besetztes bes- ser erinnert und schneller abgerufen wird. Wie wichtig daher eine Adaptierung von Systemen an das menschliche Maß der Benutzer wäre, ist eindrucksvoll an elek- tronischen Systemen zur Informations- verarbeitung in der Medizin zu zeigen. Obwohl solche Systeme zunehmend Be- deutung erlangen, bringt das Design die- ser Systeme meist weniger eine Reduk- tion von Informationen auf das Wesentli- Redaktion U. Janssens, Eschweiler 244 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 4 · 2012 Leitthema

Fehlerentstehung und Fehlerprävention auf Intensivstationen; Occurrence and prevention of errors in intensive care units;

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Page 1: Fehlerentstehung und Fehlerprävention auf Intensivstationen; Occurrence and prevention of errors in intensive care units;

Med Klin Intensivmed Notfmed 2012 · 107:244–248DOI 10.1007/s00063-011-0059-9Eingegangen: 10. März 2012Angenommen: 12. März 2012Online publiziert: 6. April 2012© Springer-Verlag 2012

A. ValentinKrankenanstalt Rudolfstiftung, Wien

Fehlerentstehung und Fehlerprävention auf Intensivstationen

Die Idealvorstellung einer nahezu fehlerlosen modernen Medizin wurde in den letzten Jahren nachhal-tig in Frage gestellt. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, warum das Thema Fehler gerade auch an Intensivstationen von eminenter Bedeutung ist und welche präventiven Maßnahmen das Risiko für Fehler reduzieren können.

Die Erfassung und Analyse von Fehlern in der Medizin ist nach den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte als grundlegendes Element einer auf Qualitätsverbesserung ausgerichteten klinischen Praxis zu be-trachten. Für Intensivstationen gilt dies in besonderem Maße, da die hochkomplexe Situation der Behandlung schwerstkran-ker Patienten mit großem technologi-schen Aufwand und multiprofessionellen Teams eine typische Risikokonstellation ergibt. Das intrinsische Risiko des schwer-kranken Patienten addiert sich gewisser-maßen mit dem durch die Behandlung möglichen extrinsischen Risiko. Eine wesentliche Anforderung an die heuti-ge Intensivmedizin besteht darin, dieses durch den Prozess Intensivmedizin be-dingte extrinsische Risiko zu minimie-ren. Die Beschäftigung mit Fehlerentste-hung und -prävention ist ein grundlegen-des Element einer daraus abzuleitenden risikoreduzierenden Strategie.

Fehler, Beinahe-Ereignisse und Ereignisse mit Schadensfolge

Eine häufig gewählte Definition be-schreibt einen Fehler im medizinischen

Kontext als ein Ereignis, welches poten-ziell oder tatsächlich zu einer negativen Folge bei einem Patienten geführt hat. Der Fokus liegt damit nicht auf dem tatsäch-lich eingetretenen Schaden, sondern auf der Erkenntnis von Schwachstellen und unsicheren Abläufen in einem Behand-lungsprozess. Aus dieser Perspektive bie-tet jeder Fehler auch eine Chance, Einbli-cke in die Entstehung eines Problems und mögliche präventive Maßnahmen zu ge-winnen. Im besten Fall zeigt die Analy-se auch, warum ein Fehler nicht zu einem Schaden geführt hat und ermöglicht so die Verstärkung der Instanzen und Maß-nahmen, mit denen die Auswirkungen von Fehlern minimiert werden können. Die Häufigkeit und Charakteristik von kritischen Ereignissen (Fehler mit und ohne konsekutivem Ereignis bzw. Scha-densfolge) ist daher zweifellos auch ein Indikator für die Qualität eines medizini-schen Prozesses.

» Auch Fehler ohne direkte Folgen sollten analysiert werden

Davon abzugrenzen sind Ereignisse mit negativen Folgen für einen Patien-ten, die durch einen schicksalhaften Ver-lauf einer Erkrankung verursacht wur-den [9, 21]. Diese Unterscheidung kann sich gelegentlich als schwierig erweisen; ein wesentliches Kriterium ist jedoch, in-wieweit das Ereignis durch einen anderen Ablauf des Behandlungsprozesses ver-meidbar gewesen wäre.

Sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis hat es sich als hilf-

reich erwiesen, nicht nur Ereignisse mit tatsächlichem Schaden, sondern auch Fehler ohne direkte Folgen zu analysieren. Glücklicherweise führt nicht jeder Fehler zu einem Schaden, aber die Abläufe haben häufig ein gemeinsames Muster. Wäh-rend medizinisches Personal gewisserma-ßen am patientennahen Ende eines Pro-zesses oder einer Struktur tätig ist, liegt dem Fehler und seiner Auswirkung meist eine Ursache zugrunde, die ihre Wurzeln im Design des Systems hat [9, 26]. Sol-che Systemfehler reichen von einfachen organisatorischen Fragen wie der War-tung von technischen Geräten bis hin zu komplexen Themen der Ergonomie [11] und der Betriebskultur einer Institution. Ein einfaches Beispiel für einen System-fehler zeigt . Abb. 1.

Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass sich Fehler gänzlich vermeiden las-sen. Neben den erwähnten Systemfakto-ren, die eine gestaltbare Variable darstel-len, existieren Limitationen der mensch-lichen Natur, die unumgänglich sind. Da-zu gehören etwa kognitive Dispositionen, die dazu führen, dass Häufiges, Erwar-tetes, Verwandtes, vor kurzem Erlebtes, Wichtiges und emotional Besetztes bes-ser erinnert und schneller abgerufen wird. Wie wichtig daher eine Adaptierung von Systemen an das menschliche Maß der Benutzer wäre, ist eindrucksvoll an elek-tronischen Systemen zur Informations-verarbeitung in der Medizin zu zeigen. Obwohl solche Systeme zunehmend Be-deutung erlangen, bringt das Design die-ser Systeme meist weniger eine Reduk-tion von Informationen auf das Wesentli-

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che als eine Überflutung mit ungeheuren Datenmengen mit sich.

Sicherheit auf Intensivstationen

Das Ausmaß des Problems

Intensivmedizin ist unter anderem durch eine komplexe Abfolge von Interaktio-nen medizinischer Fachrichtungen und verschiedener Berufsgruppen im Kran-kenhaus charakterisiert. Bei Berücksich-tigung der engen Verknüpfung eines komplexen Systems und dem vorhande-nen hohen Risikopotential scheinen die meisten Intensivstationen auf einem sehr sicheren Niveau zu funktionieren.

In den letzten Jahrzehnten haben jedoch zunehmend mehr Publikationen auch Schwächen der Intensivmedizin im Bereich der Patientensicherheit darge-stellt. In einer ersten großen Pionierstu-die haben Donchin et al. [10] über eine durchschnittliche Zahl von 178 Aktivitä-ten und damit verbundenen 1,7 Fehlern pro Patient und Tag an einer Intensivsta-tion berichtet.

Zwei multinationale Studien zu kriti-schen Ereignissen („sentinel events“) an Intensivstationen haben die Ergebnis-se aus monozentrischen Beobachtungen bestätigt und gezeigt, dass zu kritischen Ereignissen führende Fehler nicht nur das Problem einzelner Intensivstationen dar-stellen. So wurden in der ersten Sentinel Events Study (SEE 1) 38,8 Ereignisse pro 100 Patiententage in fünf Kategorien (Me-dikation, Zugänge, Katheter, Drainagen, Atemweg, Equipment, Monitoring) de-

tektiert [28]. In der Folgestudie (SEE 2) zu Fehlern bei der parenteralen Medika-mentenverabreichung an Intensivstatio-nen wurden 74,5 Fehler pro 100 Patien-tentage gefunden [27].

Einen weiteren Hinweis auf das Aus-maß des Problems gibt eine multizen-trische französische Studie, in der u. a. 18,6 Fehler pro 100 Patiententage im Zu-sammenhang mit einer Insulintherapie berichtet wurden [14]. Aufgrund solcher Daten besteht inzwischen kein Zweifel mehr, dass detaillierte Analysen intensiv-medizinischer Prozesse und die Entwick-lung präventiver Strategien an Intensivsta-tionen dringend notwendig sind.

Vermeidbarkeit kritischer Ereignisse

Ohne Zweifel können kritische Ereignisse auch auftreten, obwohl ein medizinischer Prozess korrekt abgelaufen ist. Beispiels-weise kann ein Nierenversagen unter Antibiotikatherapie trotz korrekter Indi-kation und Dosierung auftreten. Im Hin-blick auf mögliche Schlussfolgerungen ist es trotzdem von Bedeutung, vermeidbare Ereignisse als solche zu identifizieren. Hier wird neuerlich die Unterscheidung zwischen einem Fehler und seiner Aus-wirkung bedeutsam. Auch ein bereits ab-gelaufener Fehler könnte eine vermeidba-re oder zumindest reduzierbare Auswir-kung gehabt haben. So sind etwa die Aus-wirkungen einer inkorrekten Katechol-amindosierung bedingt durch eine feh-lerhafte Präparation der Perfusorspritze anhand eines adäquaten Kreislaufmoni-torings rasch erkennbar und korrigierbar.

Das Wahrnehmen von Fehlern

Die Erkenntnis, dass Fehler in jeder Inten-sivstation auftreten werden, ist ein wich-tiger Startpunkt für die Motivation, an präventiven und schadenreduzierenden Maßnahmen zu arbeiten. Häufig liegt da-bei der Fokus auf aktiven Fehlern, wäh-rend übersehen wird, wie sehr auch pas-sive Fehler im Sinne einer Unterlassung (Vergessen, Übersehen, etc.) eine Gefähr-dung für Patienten darstellen können.

Zur Erfassung von Fehlern an Inten-sivstationen sind verschiedene Methoden beschrieben worden, keine davon wird je-doch in der Lage sein, die absolute Fehler-häufigkeit zu erfassen und die Ergebnis-se werden je nach Methode unterschied-lich sein [4].

» Keine Schuldzuweisungen, sondern gemeinsames Auffinden von Schwachstellen

Ein besonderes Interesse haben Fehler-berichtssysteme mit Erfassung durch das eigene Personal („self-reporting“) gefun-den. Ein Vorteil dieser Methode besteht in der möglichen gleichzeitigen Erfas-sung der kontextuellen Information durch die in das Ereignis involvierten Personen. Darüber hinaus kann diese Methode dazu beitragen, eine Teamkultur zu entwickeln, die explizit nicht eine Schuldzuweisung an Individuen, sondern das gemeinsame Finden von Schwachstellen und Verbesse-rungspotenzialen zum Ziel hat. Dies setzt eine Kultur des Vertrauens und Unter-stützens voraus, die von allen Hierarchie-ebenen getragen werden muss.

Die Limitation der Selbstberichts-methode liegt in der subjektiven Fehler-erfassung und der daraus resultierenden möglichen Unterschätzung tatsächlicher Fehlerraten. Allerdings kann die Methode auch mit anderen Instrumenten wie der systematischen Abfrage von Patienten-datenmanagementsystemen kombiniert werden.

Die Antizipation von Risiken

Obwohl die Wahrnehmung von Fehlern eine wichtige Voraussetzung für eine Ver-besserung der Patientensicherheit dar-

Abb. 1 9 Beispiel für fehlerbegünstigendes Design ( Systemfaktor). Spritzen gleicher Größe und gleichen Aussehens mit unter-schiedlicher Skalierung (links bis 10 ml, rechts bis 12 ml). Ein Auf-ziehen bis zum letz-ten Teilstrich führt da-her zu verschiedenen Ergebnissen. Beide Spritzentypen wurden gleichzeitig an Statio-nen ausgeliefert

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stellt, ist das antizipierende Erkennen von Risiken zweifellos ein entscheidender wei-terer Schritt. Dies ist schwieriger als es zu-nächst scheint und erfordert eine konti-nuierliche Aufmerksamkeit des gesamten Teams und einen Wechsel der Perspektive. Es geht nicht länger um die Frage „was ist falsch gelaufen?“ sondern um die Frage „was könnte falsch laufen?“.

Ein einfaches Beispiel gibt die poten-zielle Verwechslung von Medikamenten, die ähnlich verpackt sind oder ähnliche Namen haben. In einem System, in dem Medikamente sehr leicht verwechselt wer-den können, ist es nur eine Frage der Zeit, bis tatsächlich ein Ereignis mit Folgen für einen Patienten auftritt. Ein präventiver Zugang zu diesem Problem erfordert die Identifikation von verwechselbaren Medi-kamenten und der Maßnahmen, die diese Medikamente besser unterscheidbar ma-chen, wie z. B. Farbkodierungen für Subs-tanzklassen [25] oder den Einsatz der Bar-code-Technologie [18].

An Intensivstationen gibt es viele Rou-tinesituationen wie Patiententransport, Übergaben, Informationstransfer und Interventionen, die einer präventiven Analyse unterzogen werden können.

So ist etwa der innerklinische Patien-tentransport mit einem potenziell hohen Risiko verbunden und bedarf einer ad-äquat trainierten Begleitmannschaft und sorgfältiger Vorbereitung des Equipments [15, 29]. Die Konsequenzen einer nicht ausreichenden Vorbereitung demonst-riert eine Analyse von 191 kritischen Er-eignissen, die während innerklinischer Transporte von Intensivpatienten auftra-ten. In 39% lag ein Equipmentversagen (z. B. Akkuausfall) vor und in 61% wa-ren die Probleme personalbedingt (z. B. Anwendung eines inadäquaten Monito-rings, [5]).

Fehlerreduktion

Mit welchen Maßnahmen Fehler ver-mieden werden können ist nicht leicht zu beantworten; methodische Probleme können die Messung von absolut gülti-gen Fehlerraten und damit auch einer etwaigen Veränderung nach Interventio-nen angreifbar machen. Eine valide Mes-sung von Verbesserungen der Patienten-sicherheit würde die Kenntnis der Zahl

der Möglichkeiten für einen Fehler (Nen-ner) und die tatsächliche Fehlerrate (Zäh-ler) voraussetzen. Überdies ist nochmals zu betonen, dass eine Messung von Feh-lerraten noch keine endgültige Aussage über das tatsächliche Risiko für Ereignisse mit Schaden erlaubt.

Trotz dieser Limitationen konnten etliche Interventionen und Maßnahmen an Intensivstationen eine Fehler oder auch Ereignisse mit Schadensfolge reduzieren. Wesentliche Punkte sind etwaF  Arbeitsbelastung,F  Personalausstattung,

1 Fertigkeiten und Kompetenzen,1 Kommunikation und1 das Management von Routine-

situationen.

Übermäßige Arbeitsbelastung und Arbeitszeiten, Übermüdung und Schlaf-mangel verringern die Leistungsfähig-keit von Ärzten und Pflegepersonal [2, 12, 13, 22, 23]. Solche Risiken sind vermeid-bar und haben nicht nur einen Einfluss auf die Sicherheit von Patienten, sondern auch auf die Gesundheit und Sicherheit von medizinischem Personal [1, 3, 20]. Schwierige Aufgabenstellungen, Zeit-druck und emotionale Belastungen er-zeugen einen zusätzlichen Druck für das Personal von Intensivstationen. Es be-steht daher für Krankenhausverwaltun-gen zweifellos die Verpflichtung Dienst-pläne an diese speziellen Anforderungen anzugleichen und für eine adäquate Per-sonalausstattung an Intensivstationen zu sorgen.

Wie eine viel zitierte Studie von Landrigan et al. [16] zeigt, hat dies unmit-telbare Auswirkungen auf das Auftreten von Fehlern und damit auch die Patien-tensicherheit. In dieser Studie wurde die Rate von schwerwiegenden Fehlern von Intensivmedizinern um 36% reduziert, nachdem eine traditionelle Dienstpla-nung mit bis zu 81 Wochenstunden und 34 konsekutiven Arbeitsstunden auf eine Wochenarbeitszeit von maximal 63 Stun-den und durchgehender Arbeitszeit von 16 Stunden herabgesetzt wurde.

Intensivstationen sind komplexe Sys-teme zur Behandlung komplexer Situa-tionen. Die Akteure in diesem System be-nötigen daher ein hohes Maß an Fertig-keiten, Kompetenz und Expertise. Auf-

Zusammenfassung · Abstract

bauend auf Basiskompetenzen in der Intensivmedizin, wie sie beispielswei-se von der European Society of Intensive Care Medicine definiert wurden [7], ist eine ständige und kontinuierliche Wei-terbildung im Sinne der Zielsetzung einer

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A. Valentin

Fehlerentstehung und Fehlerprävention auf Intensivstationen

ZusammenfassungDie Erfassung und Analyse von Fehlern stellt heute ein wesentliches Instrument der Qua-litätsverbesserung an Intensivstationen dar. Das Risikopotenzial für das Entstehen von Fehlern ist an Intensivstationen sehr hoch. Auch wenn Fehler nicht völlig vermeidbar sind, gilt es, die Häufigkeit und die aus Feh-lern resultierenden Folgen zu reduzieren. Ein Systemansatz hierfür muss die Limitationen der menschlichen Natur berücksichtigen und Arbeitsbedingungen, Arbeitsplätze und Pro-zesse auf Intensivstationen in einer fehler-vermeidenden Weise gestalten. Die Entwick-lung einer präventiven Sicherheitskultur ist als wesentliches Ziel für Intensivstationen einzustufen.

SchlüsselwörterPatientensicherheit · Medizinische Fehler · Sicherheitskultur · Fehlerberichtssysteme · Qualitätsverbesserung

Occurrence and prevention of errors in intensive care units

AbstractRecognition and analysis of error constitutes an essential tool for quality improvement in intensive care units (ICUs). The potential for the occurrence of error is considerably high in ICUs. Although errors will never be com-pletely preventable, it is necessary to reduce frequency and consequences of error. A sys-tem approach needs to consider human lim-itations and to design working conditions, workplace, and processes in ICUs in a way that promotes reduction of error. The devel-opment of a preventive safety culture must be seen as an essential task for ICUs.

KeywordsPatient safety · Medical error · Safety monitoring · Hospital incident reporting · Quality improvement

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Leitthema

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maximalen Patientensicherheit erforder-lich. So wurde etwa gezeigt, dass Wissen und Fertigkeiten ein präventiver Faktor für die Vermeidung von Ereignissen mit Gefäßzugängen, Drainagen und Beat-mungstuben sind [17].

Ein anderes Beispiel zeigt den Erfolg eines problemorientierten Maßnahmen-pakets mit starken edukativen Elemen-ten, womit eine eindrucksvolle und nach-haltige Reduktion von katheterassoziier-ten Infektionen in einer multizentrischen Studie an Intensivstationen erzielt werden konnte [19].

Obwohl die Konfrontation mit un-vorhersehbaren Entwicklungen zum All-tag an Intensivstationen gehört, sind die meisten Behandlungsprozesse doch Rou-tinesituationen. In diesen Routinepro-zessen liegt ein hohes Potenzial für prä-ventive Fehlervermeidung. Ein Beispiel gibt die Weitergabe von Information bei Dienstübergaben oder Patiententransfer. Die zuverlässige Übermittlung von kom-plexer Information unter Zeitdruck er-fordert einen strukturierten Zugang, bei dem die maßgeblichen Punkte abgearbei-tet werden [6, 24].

In einer interessanten Studie von Catchpole et al. [8] wurden die Erfahrun-gen eines Formel-1-Rennteams bei Boxen-stopps genutzt, um den Ablauf der Über-gabe von Patienten vom Operationssaal an die Intensivstation besser zu struktu-rieren. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Zahl der Fehler aufgrund inadäquater Informationsweitergabe und technischer Probleme, sowie die Zeit für die Übergabe reduziert werden konnten. Die maßgeb-lichen Elemente des verbesserten Über-gabeprozesses warenF  eine klare Rollenverteilung innerhalb

der Teams,F  klare Zielsetzungen,F  Verwendung von Checklisten,F  Antizipation undF  Kommunikation.

Die Entwicklung einer Sicherheitskultur

Eine spezielle Charakteristik der Arbeit an Intensivstationen ist die enge Zusammen-arbeit von Berufsgruppen, im Besonderen von Pflegepersonal und Ärzten. Obwohl damit auch eine weitere komplexe Anfor-

derung gegeben ist, können die Stärken und Möglichkeiten der Teamarbeit von hochprofessionellen Spezialisten maß-geblich für die Erhöhung der Patienten-sicherheit genutzt werden. Man könnte auch sagen, dass viele Augen aus verschie-denen Perspektiven auf die gleiche Situa-tion blicken und so die gewonnene Infor-mation vervielfachen. Die Nutzung dieses Potenzials setzt allerdings eine offene und vertrauensvolle Kommunikation voraus.

Dazu ist eine Transformation tradi-tioneller Verhaltensmuster erforderlich, die eine Abwendung von individuel-ler Schuldzuweisung und die gleichzeiti-ge Fokussierung auf die Entdeckung und Analyse von fehlerbegünstigenden Sys-temfaktoren erfordert. Schließlich sollte dieser Zugang zu einer präventiven Wei-terentwicklung und Verbesserung der Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen an der Intensivstation führen.

Der Einfluss einer Veränderung der Organisationskultur ist schwer zu mes-sen, sollte aber keinesfalls unterschätzt werden. So hat eine Studie zur Kultur an Intensivstationen gezeigt, dass die Aus-richtung auf eine Orientierung an Patien-tenproblemen, sowie auf Professionalität und Teamorientierung mit einer erhöhten Patientensicherheit assoziiert war. Interes-santerweise konnte eine positive Kultur auf Intensivstationsebene sogar die Aus-wirkungen einer suboptimalen Arbeits-umwelt im Rest des Krankenhauses auf lokaler Ebene kompensieren [30]. Die-ses Ergebnis unterstreicht in eindrucks-voller Weise die Bedeutung der Entwick-lung einer Sicherheits- und Teamkultur auf Intensivstationsebene.

Fazit für die Praxis

F  Auf Intensivstationen muss das  Bewusstsein über die Bedeutung der Patientensicherheit weiter geschärft werden.

F  Ein dringlicher Auftrag besteht  darin, Fehlerraten zu reduzieren und die möglichen Schadensfolgen von  Fehlern zu minimieren.

F  Ein erster Schritt ist die Antizipation von Risiken und Schwachstellen im System Intensivstation. Dies  erfordert eine offene und vertrauensvolle Kom-

munikation zwischen den Berufs-gruppen. 

F  Lösungsansätze müssen die Limita-tionen der menschlichen Natur  berücksichtigen und daher Arbeits-abläufe, Arbeitsbedingungen und  Infrastruktur in einer fehlerreduzie-renden Weise gestalten. 

F  Ständige Weiterbildungen, Training und das zuverlässige Management von Routinesituationen sind weitere wesentliche Elemente einer fehlerprä-ventiven Strategie.

F  Die Entwicklung einer Sicherheits-kultur mit einem präventiven statt  reaktiven Ansatz ist unverzichtbar im Bemühen um eine Erhöhung der  Patientensicherheit.

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. A. ValentinKrankenanstalt RudolfstiftungJuchgasse 25, 1030 WienÖsterreichandreas.valentin@ meduniwien.ac.at

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht.

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DossierSepsisDie Sepsis stellt die wichtigste Komplikation schwerer Infektionen dar. Im Sepsis-Dossier finden Sie u.a. Beiträge über die richtige Antibiotika-Strategie sowie die chirurgischen Maßnahmen zur Fokussanierung. 

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