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Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.09.1986, S. BuZ5 Koelbl, Herlinde: Feine Leute Die Münchener Fotografin Herlinde Koelbl gehört zu jenen eigenwilligen Reportern, die virtuos sowohl schnellebige Illustrierten bedienen als auch die schwierige Kunst der zeitraubenden Dokumentation beherrschen: sozusagen fotografische Sprinter, die auch Marathonläufer sind. Ihr Bildband "Das deutsche Wohnzimmer" -~~ 1980 erschienen und inzwischen mehrmals aufgelegt - war das Musterbeispiel solch zäher fotografischer Sammeltätigkeit, solch boshaft-liebevoller Entlarvungsästhetik: Stolz stehen oder sitzen die Bürger in ihren Wohnstuben - Herren ihrer Möbel und Opfer ihres Geschmacks. Verräterisch sind auch die Fotos, die sie jetzt in ihrem großformatigen Bildband "Feine Leute" versammelt hat: Szenen aus der High-Society, aufgenommen bei repräsentativen Feierlichkeiten, etwa dem Bonner Neujahrsempfang, den diversen 'Münchener Filmbällen und Modenschauen, bei einer Rennwoche in Baden-Baden und der spektakulären Fürstenhochzeit des Hauses Thurn und Taxis in Regensburg. Sieben Jahre hat die Fotografin gebraucht, um diese Aufnahmen zusammenzubringen, mehrere Dutzend solcher Festlichkeiten hat sie besucht und sich dabei, von drei österreichischen Schauplätzen abgesehen, auf Deutschland beschränkt. Anders als in ihren früheren Bildbänden hat Herlinde Koelbl diesmal Schnappschüsse versammelt. - und mancher wird sich wundern, daß so viel Mühe nötig sein soll, um derlei Momentaufnahmen zu "schießen". Aber hier wird überhaupt nicht fotografisch geschossen, keineswegs wird auf voyeurhafte Weise die technische Überlegenheit von Blitzlicht oder Teleobjektiv ins Feld geführt. Die Gnadenlosigkeit dieser Fotografin besteht gerade darin, daß sie - im Festsaal nicht anders als in deutschen Wohnzimmern. - die Menschen sich selbst - inszenieren läßt, daß sie sich sowenig wie möglich vordrängt, sich mit der Technik möglichst gar nicht einmischt und sich zur Entlarvung sozusagen nur erlaubter künstlerischer Mittel bedient. Es gibt bei ihr keine Opfer, nur Freiwillige. So erscheinen selbst die Biitziichtaufnahmen nicht etwa grell enthüllend, sondern eher unaufdringlich ausgeleuchtet. Man spürt, daß jenes leichte Weitwinkelobjektiv, das durchgehend verwendet wurde, nicht etwa der Verzerrung dient, daß es vielmehr eine Perspektive herstellen soll, die der natürlichen Nahsicht ähnelt. Die Kamera hält bloß fest, was jedem Beobachter auch aufgefallen wäre: Fundstücke wie die hier abgebildeten Ornamente der Absurdität. Herlinde Koelbl: "Feine Leute". 111 Photographien der Jahre 1979 bis 1985. Greno Verlag, Nördlingen 1986. 120 S., br., 29,90 DM. Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

Feine leute Herlinde Koelbl

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Feine leute Herlinde Koelbl

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Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.09.1986, S. BuZ5

Koelbl, Herlinde: Feine Leute

Die Münchener Fotografin Herlinde Koelbl gehört zu jenen eigenwilligen Reportern, die virtuos sowohlschnellebige Illustrierten bedienen als auch die schwierige Kunst der zeitraubenden Dokumentation beherrschen:sozusagen fotografische Sprinter, die auch Marathonläufer sind. Ihr Bildband "Das deutsche Wohnzimmer" -~~1980 erschienen und inzwischen mehrmals aufgelegt - war das Musterbeispiel solch zäher fotografischerSammeltätigkeit, solch boshaft-liebevoller Entlarvungsästhetik: Stolz stehen oder sitzen die Bürger in ihrenWohnstuben - Herren ihrer Möbel und Opfer ihres Geschmacks.

Verräterisch sind auch die Fotos, die sie jetzt in ihrem großformatigen Bildband "Feine Leute" versammelt hat:Szenen aus der High-Society, aufgenommen bei repräsentativen Feierlichkeiten, etwa dem BonnerNeujahrsempfang, den diversen 'Münchener Filmbällen und Modenschauen, bei einer Rennwoche in Baden-Badenund der spektakulären Fürstenhochzeit des Hauses Thurn und Taxis in Regensburg. Sieben Jahre hat die Fotografingebraucht, um diese Aufnahmen zusammenzubringen, mehrere Dutzend solcher Festlichkeiten hat sie besucht undsich dabei, von drei österreichischen Schauplätzen abgesehen, auf Deutschland beschränkt. Anders als in ihrenfrüheren Bildbänden hat Herlinde Koelbl diesmal Schnappschüsse versammelt. - und mancher wird sich wundern,daß so viel Mühe nötig sein soll, um derlei Momentaufnahmen zu "schießen".

Aber hier wird überhaupt nicht fotografisch geschossen, keineswegs wird auf voyeurhafte Weise die technischeÜberlegenheit von Blitzlicht oder Teleobjektiv ins Feld geführt. Die Gnadenlosigkeit dieser Fotografin bestehtgerade darin, daß sie - im Festsaal nicht anders als in deutschen Wohnzimmern. - die Menschen sich selbst -inszenieren läßt, daß sie sich sowenig wie möglich vordrängt, sich mit der Technik möglichst gar nicht einmischtund sich zur Entlarvung sozusagen nur erlaubter künstlerischer Mittel bedient. Es gibt bei ihr keine Opfer, nurFreiwillige. So erscheinen selbst die Biitziichtaufnahmen nicht etwa grell enthüllend, sondern eher unaufdringlichausgeleuchtet. Man spürt, daß jenes leichte Weitwinkelobjektiv, das durchgehend verwendet wurde, nicht etwa derVerzerrung dient, daß es vielmehr eine Perspektive herstellen soll, die der natürlichen Nahsicht ähnelt. Die Kamerahält bloß fest, was jedem Beobachter auch aufgefallen wäre: Fundstücke wie die hier abgebildeten Ornamente derAbsurdität.

Herlinde Koelbl: "Feine Leute". 111 Photographien der Jahre 1979 bis 1985. Greno Verlag, Nördlingen 1986. 120S., br., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main