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Feldpostbriefe aus Stalingrad · 2013-11-11 · Stalingrad ist ein moderner Mythos. Oder besser gesagt: zu einem solchen Mythos wurde Stalingrad gemacht. Denn zu-nächst einmal war

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Feldpostbriefe aus Stalingrad

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WALLSTEIN VERLAG

Feldpostbriefeaus

StalingradHerausgegeben von

Jens Ebert

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Inhalt

Einleitung7

Feldpostbriefe15

Organisation eines Mythos333

Register der Briefschreiber403

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Briefkasten an einem mit Feldsteinengesicherten Baumstamm.

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Einleitung

Am Jahreswechsel 1942/43 fand an der Wolga eine militärischeAuseinandersetzung statt, die militärhistorisch, vor allem abergeistesgeschichtlich in der deutschen und europäischen Ge-schichte bis heute eine besondere Stellung einnimmt: DieSchlacht um Stalingrad, vom sowjetischen Marschall WassiliTschuikow gar als die »Schlacht des Jahrhunderts« bezeichnet.Als am 2. Februar 1943 diese Schlacht mit der Kapitulation der6. deutschen Armee beendet wurde, hatte der Kampf um ihrehistorische Wertung und Deutung gerade erst begonnen. Dievernichtende Niederlage der bis dahin als unbesiegbar geltendenWehrmacht, Tod und Untergang einer ganzen Armee, wurdenrasch mit mythologisierenden Begriffen und Bildern beschrie-ben. Das hat sich in Deutschland bis heute kaum geändert.

Mythen sind der Versuch, die menschliche Vorstellungskraftsprengende und als unerklärbar und überdimensional empfun-dene Urerlebnisse und Großereignisse der Menschheitsgeschichtezu verarbeiten, zu erklären und zu vermitteln. Insbesondere dieVersprachlichung dieser Erlebnisse ließ sie zu Erfahrungenwerden, Erfahrungen, die viele Menschen gemacht hatten und indie somit von Anfang an Unterschiede und Widersprüche ein-gelagert waren. Auch mit der Veränderung menschlichen Wis-sens, mit dem Lauf der Zeiten veränderte sich der Mythos. Jedeneue Generationen ließ ihre neuen und spezifischen Erlebnisseeinfließen und versuchte, das Ererbte in das eigene weltan-schauliche Koordinatensystem einzubeziehen. Daraus rührt diegroße Interpretationsbreite der Mythen.

Stalingrad ist ein moderner Mythos. Oder besser gesagt: zueinem solchen Mythos wurde Stalingrad gemacht. Denn zu-nächst einmal war der Untergang einer ganzen deutschen Ar-mee ein Trauma, das allen Allmachtsphantasien und Überlegen-heitsvorstellungen des Dritten Reiches ein deutliches Endesetzte. Daß Stalingrad zu einer deutschen Legende wurde hat

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aber noch mit einer zweiten Besonderheit dieser Schlacht zutun: Der eigentliche Aggressor des Zweiten Weltkrieges, dasfaschistische Deutschland, wurde hier, in Stellvertretung durchseine 6. Armee, eingeschlossen und von außen durch daseigentliche Opfer des Eroberungsfeldzuges, die Sowjetunion,in Stellvertretung durch die Rote Armee, bedrängt undschließlich vernichtet. Blendet man den Gesamtcharakter desZweiten Weltkrieges aus, ergeben sich daraus Interpretations-möglichkeiten, die die historische Realität in ihr Gegenteil ver-kehren können – und von diesen Interpretationsmöglichkeitenwurde in Deutschland durchaus Gebrauch gemacht. Längstaber hat sich der Begriff Stalingrad von dem konkreten militä-rischen Ereignis getrennt, ist im Deutschen zu einem Synonymfür Untergang und Niederlage, zu einem Darstellungsmusterfür Gewalt, Krieg und Untergang geworden.

Stalingrad hat zahllose Generationen von Schriftstellern undPublizisten bewegt und angeregt. Es erschienen unzählige Dar-stellungen, Romane, Erzählungen, Filme, Gedichte und Thea-terstücke. Unzählbar in den Werken, die den Zweiten Weltkriegallgemein zum Thema haben, sind die Soldatenfiguren, für dieStalingrad der Ort ihres Todes, ihrer Verwundung oder Gefan-genschaft ist. Der Untergang einer Armee von ca. 300 000 Mannhat immer wieder Vergleiche mit historischen und legendärenBegebenheiten hervorgebracht: Hannibals Vernichtung derrömischen Armee bei Cannae und der Todeskampf des antikengriechischen Helden Leonidas bei den Thermopylen, BlüchersKapitulation in Ratkau und das Ende der Nibelungen sind dieverfügbaren Muster, die herangezogen werden, um Stalingradzu beschreiben. Doch der Rückgriff auf Mythos und Ge-schichte verdeckt dabei oft mehr als er erklärt und entspringteiner Unsicherheit bei der Wertung und Sinngebung dieses alsüberdimensional empfundenen historischen Ereignisses.

Darstellungen der Schlacht um Stalingrad, ob nun literarisch,biographisch oder historiographisch, basierten sehr oft auf Brie-fen, in denen die unmittelbar Beteiligten über Grauen und Lei-den, vermeintliches Heldentum und Kameradschaft, Feindbilderund Kriegsgründe, militärischen Alltag und menschliche Grenz-

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situationen berichteten. So wichtig diese Briefe – ursprünglichnur für die Kommunikation zwischen Familie und Freundes-kreis auf der einen und dem Frontsoldaten auf der anderen Seitegedacht – für die Empfänger waren, so bedeutsam waren diezahlreichen Briefausgaben auch im allgemeinen gesellschaft-lichen Diskurs. Moderne Kriegsereignisse, besonders aber ihreWertung und Deutung wurden einem breiten Publikum durchBriefanthologien nähergebracht, mit großer Resonanz, wie z. B.1928 die »Kriegsbriefe gefallener Studenten«. Es ist wohl dieMischung aus privatem Erleben und weltpolitischer Bedeutung,die gerade (Kriegs)Briefe als authentische Zeugnisse für nichtunmittelbar Beteiligte und nachgeborene Generationen auf derSuche nach »Wahrheit« oder »Wirklichkeit« interessant machen.

Die meisten Briefanthologien folgten einer deutlichen ideo-logischen Ausrichtung. Zumeist sind es Bilder von Heldentumund Opfer, die den Verlusten im Krieg nachträglich einen »hö-heren«, meist vaterländischen »Sinn« geben sollen. Erst imletzten Drittel des 20. Jahrhunderts erschienen Ausgaben, dieum die Darstellung eines breiten, nicht ideologisch vorgepräg-ten Spektrums bemüht waren und Deutung und Wertung desberichteten Geschehens dem mündigen Leser zuwiesen. DennBriefe sind auch einzigartige Zeugnisse individuell erlebterGeschichte und persönlicher Erlebnisse, die durch das Auf-schreiben zu mitteilbaren Erfahrungen wurden und auch fürdie Beurteilung von Prozessen der jüngeren Geschichte undder Gegenwart von Belang sind. In diesem Sinne ist Stalingradein durchaus unabgeschlossenes Kapitel.

Der 60. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad 2002/2003zeigte das ungebrochene Interesse an der Auseinandersetzungmit dieser Schlacht und auf diesem Weg mit Fragen von Kriegund Frieden allgemein. So hatte der Deutschlandfunk seineHörer aufgefordert, noch unveröffentlichte Kriegsbriefe füreine Sendestaffel mit dem Titel »Feldpostbriefe aus Stalingrad«zur Verfügung zu stellen. Der von Bundesaußenminister a. D.Hans-Dietrich Genscher verlesene Aufruf fand ein erstaunlichumfangreiches Echo. Diese Briefe werden hier umfassend do-kumentiert, ergänzt durch größtenteils bislang nicht veröffent-

Einleitung

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lichte Briefe, die nach dem Krieg in Wolgograd, dem früherenStalingrad, aufbewahrt oder im Feldpost-Archiv der Techni-schen Universität Berlin gesammelt wurden.

Der Aufruf zum Einsenden von Briefen für die Sendestaffeldes Deutschlandfunks, die Begleitschreiben zu den eingesand-ten Briefen, sowie das Hörer-Echo sind ein eigener Teil derneuesten Rezeptionsgeschichte der Schlacht in Deutschland.Hans-Dietrich Genschers Worte, »der Deutschlandfunk willjene noch einmal zu Wort kommen lassen, die in Stalingradkämpften, hungerten, fielen, die auf dem Marsch in die Gefan-genschaft erfroren«, trafen die Erwartungen, Anschauungenund Bedürfnisse der Hörer sehr genau.

Die längste Friedensperiode in der deutschen Geschichte –zwischen 1945 und 1990 blieb der Krieg zumindest in Mittel-europa schließlich »kalt« – ließ das Nachdenken über Stalingradauch zum Nachdenken über ähnliche militärische Ereignisseund Gewaltexzesse in anderen Weltgegenden werden. Je weiterdie historische Schlacht um Stalingrad zurücklag, um so mehrwurde die Erinnerung an sie in einen Zusammenhang mit ak-tuellen Kriegen und Krisen gebracht oder zum Anlaß fürÜberlegungen zur Bewahrung oder Herstellung friedlicherVerhältnisse allgemein.

Der Beweggrund, private Briefe für eine öffentliche Betrach-tung zur Verfügung zu stellen, ist zunächst einmal ein sehrpersönlicher, wie in den Begleitschreiben zum Ausdruckkommt. Bei den Briefschreibern handelt es sich um enge An-gehörige oder Freunde, von deren Leben meist nur noch dieseBriefe zeugen und deren Tod man nicht vergessen möchte, be-sonders, da durch die vielen Veröffentlichungen und Enthül-lungen der Nachkriegsjahrzehnte auch den Angehörigen diegrauenvollen Dimensionen des Sterbens und Tötens auf beidenSeiten der Front bewußt geworden war. Die späte Veröffent-lichung der Briefe ist ein zweiter, für manch einen der Vermiß-ten vielleicht sogar der erste Grabstein:

»Es würde mich freuen, wenn ich so meinen lieben Gustlnoch einmal in Erinnerung bringen könnte.«

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Ein zweiter Grund ist die Tatsache, daß die meisten Toten inStalingrad den Angehörigen in offiziellen Schreiben nicht als»gefallen«, sondern euphemistisch als »vermißt« gemeldet wur-den. Auch nach so vielen Jahren quält noch immer die Unge-wißheit. Stets waren die Familienangehörigen an Aufklärunginteressiert. Doch die vielen Bücher, Artikel und Dokumenta-tionen der Nachkriegszeit konnten den Wunsch nach Infor-mation nie ausreichend erfüllen:

»Mein Vater ist in Stalingrad vermißt. Viele Versuche, etwasüber sein Schicksal zu erfahren, sind leider ergebnislos ge-blieben.«»Nach diesem letzten Brief hörten wir nichts mehr von mei-nem Bruder, bekamen nur die amtliche Nachricht: ›Vermißt‹.Alle Nachforschungen meiner Eltern – noch während desKrieges – und auch danach blieben vergeblich.«

In manchem Begleitschreiben finden sich auch Meinungen, dienunmehr 60 Jahre nach dem Krieg und in Kenntnis der deut-schen Verbrechen während der NS-Zeit, die sich eben nicht ge-gen andere Taten aufrechnen lassen, zumindest verwundern,wenn etwa ungebrochen von damaliger »Pflichterfüllung« und»Treue« gegenüber dem Vaterland die Rede ist. Doch solcheÄußerungen sind selten.

Der überwiegenden Anzahl von Einsendern der Briefe anden Deutschlandfunk gilt Stalingrad als Mahnmal des Krieges,das zur aktiven Erhaltung des Friedens mahnt. Viele Hörerbrachten dem Sender gegenüber eine solche Erwartung zumAusdruck, die über eine bloße historische Rekonstruktion hin-ausgeht. Übereinstimmend meist die Ansicht, daß Krieg undGewalt grundsätzlich keine Mittel zur Lösung eines Konfliktssind bzw. sein dürfen:

»Wann endlich begreift die Menschheit, daß Kriege keineKonflikte lösen?«»Ich bitte deshalb alle Menschen sich weiterhin für den Frie-den einzusetzen, denn das Leid was ein Krieg bringt, ist niewieder gutzumachen.«

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»Ich würde mir wünschen, dass dieses sinnlose Opfer so vie-ler junger Soldaten niemals vergessen wird und alle Men-schen in unserem Land, besonders aber die jungen zumNachdenken bringen möge. Denn wer nicht fähig ist, ausder Geschichte zu lernen, ist dazu verdammt immer wiederdie selben Fehler zu machen.«

Der im letzten Zitat formulierte Gedanke ist auch in den Reak-tionen der Hörer nach den Sendungen häufig präsent. Es wirddie Erwartung und Hoffnung zum Ausdruck gebracht, mitden Stalingrad-Briefen Menschen zum eigenen Nachdenkenüber das Leid des Krieges zu bewegen. Das hat – natürlich –mitunter auch eine direkte pädagogische Intention, wenn Leh-rer, Sozialarbeiter u.a. die Texte in ihrer aktuellen Arbeit be-nutzen möchten.

In den Hörerreaktionen ist die Geschichte des Zweiten Welt-kriegs häufig mit der Gegenwart des zur Zeit der Ausstrahlungder Sendung bevorstehenden Irak-Krieges verbunden:

»Ich habe in den zurückliegenden Tagen mehrere dieserFeldpost-Lesungen im DLF gehört: mit großem persönli-chen Interesse […]. Zeitgleich erinnert der DLF als ein wich-tiger deutscher Rundfunksender an die Schrecken des2. Weltkrieges – speziell an die Schlacht von Stalingrad –und zur gleichen Zeit wird von den USA aus offen ein neuerKrieg geschürt. ›Präventivkrieg‹ nennen es die Strategen undsolche Politiker, deren wirtschaftliche Interessen nur allzuoffenbar sind.«

Besonders deutlich und auch sehr persönlich ist die Reaktion,wenn der Krieg gegen die Sowjetunion nicht isoliert, sondernim Zusammenhang des Zweiten Weltkrieges und besondersder umfassenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ge-sehen wird:

»Privat wie beruflich war es mir immer ganz wichtig, das Ge-dächtnis an die Menschen aufrecht zu erhalten, die in Deutsch-land zum Schweigen gebracht worden waren, vor allem Juden,Homosexuelle, Linke, Behinderte und andere, denen das

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Recht auf ein erfülltes Leben kaltschnäuzig genommen wurde.Erst seit kurzem ist mir bewusst, dass dazu auch Menschengehören wie mein Vater, der – als vielleicht zögerlicher Mit-läufer – in Stalingrad sinnlos ›verheizt‹ wurde.«

Die im vorliegenden Band versammelten Brieftexte sind, an-ders als in vielen Briefausgaben zum Zweiten Weltkrieg, nichtbearbeitet. Sie folgen in Orthographie und Grammatik denOriginalen. Unterstreichungen wurden grundsätzlich durchKursivierungen wiedergegeben. Alle nicht lesbaren Stellen, inder Regel nur einige Silben, Worte oder Eigennamen, wurdenmit […] gekennzeichnet, ebenso einige wenige Stellen sehr pri-vaten Charakters, um deren Auslassung die Einreicher derBriefe baten. Die ausgelassenen Stellen, das ist aus dem Zusam-menhang der Texte im Original erkennbar, verändern in kei-nem Falle Tendenz, Gestus oder Aussage der Briefe. Da nichtalle Briefe abgedruckt werden konnten, wurden die Texte soausgewählt, daß sie alle Facetten des Kriegserlebnisses berüh-ren und ein möglichst breites Spektrum individueller Sichtwei-sen bieten. Das bedeutet zwangsläufig, daß sich mitunter einwidersprüchliches Bild der Schlacht ergeben kann.

Soweit rekonstruierbar werden die Namen, der Dienstgradund das Geburtsjahr der Briefschreiber genannt.

Ich danke meinen Eltern, Ingeborg und Heinz Ebert, fürihre Unterstützung meiner Arbeiten an diesem Buch.

Jens Ebert Berlin, im April 2003

Einleitung

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November 1942

Paul Setzepfand* 1913, Obergefreiter, vermißt

Russland, Sonntag, 1. Nov. 42.

Mein liebes Frauchen & Kinder, Mutter!Habe heute endlich nach vergeblich langen warten mit großerFreude daß Kilopäckchen u. ein 100 gr. Pckch. mit Taschenmes-ser + Pfeife erhalten. Auch ein Brief vom 4.10. war dabei. – Füralles Herzl. Dank. Ist gut angekommen beide Pch. Inzwischenwerden wohl all meine Briefe bis No. 7 mit Geld und 2 × 2Pchmarken dort angekommen sein. Liebe Frau, der Kuchenschmeckt ganz gut, nur war er (in den 5 Wochen) etwas in dermitte Schimlich geworden. Ist vielleicht nicht deine schuld,oder hast Du so frisch (noch etwas warm) eingepackt weil einigekl. Wasserstreifen + hart in der mitte geworden ist. Am bestenu. liebsten wäre mir, würde ich mich am meisten freuen, wennIhr Plätzchen oder Kringel backt diese halten sich 2 Monatelang. Liebe Mutter, Danke Dir auch für die Zeilen die Du fürRenate geschrieben hast. – Möchte so gerne mal wieder aufUrlaub kommen, aber leider bis jetzt noch aussichtslos für die-ses Jahr. Freue mich daß unser A.-B.C-Schütze gute Fortschrittemacht u. gerne zur Schule geht. Hoffentlich bleibt es auch so.Weihnachten wird dieses Jahr wohl ohne Papa sein. – Wer weißwie es nächstes Jahr wird.

Liebe Frau was mich sehr enttäuscht hat, war daß Du nichtmal ein Pch. Zigaretten beigelegt hast. Bekommst Du nicht alleauf die Raucherkarte? – Hast doch Albrecht welche gegeben u.an mich denkst Du garnicht mehr. Haben die letzten 3 Wochensehr wenig manchmal gar nichts gehabt. Warum schreibt Dunicht daß Albrecht bei Euch war u. Du ihm mit briefpapier u.Zigaretten ausgeholfen hast. Georg hatt doch auch schon Ziga-retten von Euch bekommen, alles erfährt man hintenherum,

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ich lese mir die Kippen auf, die die Herren Offiziere wegwerfen,das geht auf keinen Fall so weiter. Habe geglaubt Du hättestmehr für mich übrig, aber scheinbar nicht, sonst würdest Dumir alles Schreiben u. mir nicht hintergehen.

Zum Schluß grüßt alle Herzl.PapaSchreib bitte bald wieder.

Max Breuer* 1909, Gefreiter, in Gefangenschaft gestorben

Rußland, den 1.11.42Mein liebes Frauchen!Heute ist Sonntag, ein Sonntag genau so trostlos wie alle ande-ren. Wenn es heute keinen Bohnenkaffee und eine schöne Süß-speise gegeben hätte, hätte ich es wohl nicht mal gemerkt. Undaußerdem hat dieser Tag eine kleine Überraschung für mich ge-bracht. Mit dem heutigen Tag bin ich zum Gefreiten befördertworden. Du siehst, der Weg zum Generalfeldmarschall ist nunnicht mehr weit. Als Absender habe ich zwar noch Kanoniergeschrieben, da ich den Briefumschlag schon geschrieben hatte.Finanziell wirkt sich das so aus, daß ich monatlich Rm 7,50Wehrsold mehr erhalte.

Wir haben hier augenblicklich das schönste Wetter noch.Tagsüber ist es richtig warm, nur die Nächte sind ziemlich kühl.Ich bin den ganzen Tag mit entblößtem Oberkörper herumge-laufen. Mit den Läusen wird es immer toller, trotzdem ich denBrüdern sehr auf den Fersen bin. Heute mittag entdeckte ich,daß ich in der linken Achselhöhle eine Unmenge winzigerLäuse, ein richtiges Nest, hatte. Einzeln konnte man diese Vieh-chen garnicht alle knacken. Ich habe mir deshalb die ganzenHaare wegrasiert. Hoffentlich verschonen mich die Tiere, daßich nicht noch dazu übergehen muß, an anderen edleren Teilendie Haare wegzurasieren. So hat man hier seinen Kampf gegenRussen und Läuse.

Heute weiß ich nicht viel zu berichten. Ich habe mein Wissenin meinem gestrigen u. vorgestrigen Brief zu sehr erschöpft.

1. November 1942

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Wenn morgen Post eintrudelt, werde ich wieder schreiben. Inder Erwartung, daß unser Kai bald seinen Vater im Urlaub malpersönlich kennenlernen kann, grüße und küsse ich Euch alle 3auf das herzlichste.

Euer Vati

Erwin Guhl* 1918, Obergefreiter, vermißt

Im Osten, den 2. Nov. 1942Meine liebe Friedel!Deinen Luftpostbrief vom 23. Okt. habe ich mit Freude erhal-ten, wofür ich Dir von Herzen danke. Mit gleicher Post ist auchein Kilo Päkchen u. 3 kleine Päkchen mit Lebkuchen einge-troffen. Herzlichen Dank. Die Linser Torte hat ganz vorzüglichgeschmeckt, so daß ich sie auf zweimal aufgegessen habe. Daserste Konjakfläschchen habe ich jetzt leer gemacht, denn Ihrhabt mir ja wieder Ersatz geschickt. Das Bildchen das Du mirgeschickt hast ist sehr nett, wollte es doch auch gerne mal sehenwie die zwei so nebeneinander daherwalzen.

Liebe Friedel! Seit gestern bin ich O.Gefr. u. habe Kriegsbe-soldung beantragt. Jetzt mußt Du aufs Rathaus gehen, Dir eineSteuerkarte für 1942 ausstellen lassen u. das Bürgermeisteramtsoll diese an die Heeres-Standortgebührnisstelle der Heeres-Standortverwaltung Ravensburg (Wttbg) senden. Ich habe be-antragt, daß die Kriegsbesoldung Dir in bar ausbezahlt wird,wenn Du sie zum erstenmal erhältst, so schreibe mir bitte gleichwieviel Du bekommen hast. Ist es weniger als die Familienunter-stützung, so werde ich die Kriegsbesoldung wieder kündigen,aber ich glaube nicht. Meiner Rechnung nach solltest Du mehrals 100,– RM bekommen mit der Besoldung. Erledige die Sachengleich, damit es schnell von statten geht. Da hat es jetzt auchgeheisen, was lange währt, wird endlich gut.

Liebe Friedel! Die Schreiberei ist zur Zeit bei mir so kurz u.[…], denn die ganze Zeit muß ich fahren. Da fahre ich jetztheute mittag weg zur Fleischausgabe u. komme morgen abendwieder, übermorgen fahre ich dann wieder. So geht es gerade

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fort solange das Wetter noch gut ist. Vor acht Tagen hat es soangefangen u. seither ist es so. Ich fahre ja gern wenn das Wettergut ist. Nur für mich selbst habe ich halt ganz wenig Zeit.Auch das wird sich mal wieder ändern. Das wären die Neuig-keiten so ziemlich alle u. damit will ich meine Zeilen beenden.Habe ganz vergessen Dir zu schreiben, daß Dein LuftpostbriefNo 8 ist.

Hoffentlich geht es den Kindern u. Dir noch gut, was ichvon mir auch schreiben kann.

Es grüßt u. küßt Euch vielmalsEuer Papa.Gruß an Vater, Mutter u. Geschwister

Simon Krings* 1911, Dienstgrad unbekannt, vermißt

Russland, den 2.XI.42.Liebe Mutter!Heute ist Allerseelen. Hier ein strahlend schöner Sonntag, dermich beim Gedenken an Vaters frühen Tod mit innerem Frie-den erfüllt. Gott gebe ihm die ewige Ruhe.

Gestern empfing ich Luftpost von Maria v. 23.X. und warnicht wenig erstaunt, daß Du nicht länger in Berlin gebliebenbist. Das ist mir gar nicht recht gewesen. Dagegen überraschtmich die Höhe der Pension. Wenn ich nun in Urlaub komme,möchte ich doch gern einmal eine Endlösung mit Dir bespre-chen. Ich sehe aus diesem Grund die Zimmervermietung nichtgern. Auch wenn ich Weihnachten nicht komme, möchte ichDich an diesem Tage nicht alleine, sondern bei Maria und denKindern wissen. Maria machte mir auch in den letzten BriefenAndeutungen wegen meiner UK-Stellung usw. die ich abervorläufig kalt zu Kenntnis nehme. Man bekommt hier so seineErfahrungen. Gestern kam auch Dein süsses Päckchen (Zucker-plätzchen u. Pflaumen) an, die mir sehr große Freude machen,denn ich hatte etwas Rotwein dazu. – Wie haben Dir denn dieKinder gefallen? Die Kleine muß ja goldig sein. Ich höre auchvon schönen Wintersachen, die Du mir gemacht hast. Vielen

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Dank im Voraus. – Mir geht es gut. Das Wetter ist kalt abersonnig. Das Quartier ist warm. Die Arbeit erträglich. Wir sindnur noch 4 Mann infolge Krankheiten, so daß ich jetzt öfterseinen freien Tag Lagerwache habe, an dem ich wie auch heuteschreiben kann. Eine große Beruhigung wird ja auch für Dichsein, daß es jetzt mit der Post so schön klappt. Jedesmal habeich jetzt Post dabei. Dadurch bleibt mir manche harte Stundeerspart. Unsere Verpflegung ist nunmehr auf den Winter um-gestellt worden. Wir erhalten zum Frühstück etwa 30 g Butter,die uns – was bezeichnend ist, am besten schmeckt, wenn sieschon etwas stark ist. Wir sind alle ohne Ausnahme sehr ge-würzhungrig geworden. Ihr bekommt ja auch jetzt mehr. Vonden unendlichen Sonnenblumenfeldern schrieb ich ja schon imSommer. Das Öl daraus ist ausgezeichnet. Hier bin ich einmalgespannt, wie sich die Verarbeitung des russ. Getreides aus-wirkt. Unsere Landser können z.B. kein Russenbrot essen.Das mag auch an der primitiven Backweise liegen. Wir habentatsächlich hier im Süden ein Land von unvorstellbarerFruchtbarkeit gewonnen, während der Russe (und ich augen-blicklich ja auch) in einer Gegend sitzt, die kahler als die Wüsteist. Gehen wir also mit gutem Mut in diesen Winter. KönntestDu nur die russ. Gefangenen aus Stalingrad sehen. Sie fallenverhungert übereinander, denn sie bekamen seit langer Zeit nurnoch Wasser und etwas Hirse. Sie betrachten uns Deutsche wieder kleine Fritz seinen großen starken Bruder, der Schutzmannist. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung ist keine Waffe nötig.Mein Gewehr hängt unbeschäftigt im Quartier. Wir machenuns ab und zu Leber oder Goulasch von den besten Teilen derfrei umherlaufenden Pferde, um die sich keiner kümmert. EinMillionenvermögen, wenn man die sammeln könnte. DieseWoche schreibe ich nochmals.

Viele GrüßeSimon

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Alfred BrandauAlter unbekannt, Obergefreiter

Rußland, den 3. XI. 1942Liebe, liebe Frau!Beim flackernden Licht eines Hindenburg-Lichtes im warmenZelt und einer brennenden Zigarre schreibe ich dir diese Zeilen.Warm ist es deshalb, weil wir einen eisernen »Ofen« eingebauthaben, der zwar ziemlich raucht, aber trotzdem abends ganzschön wärmt, was ganz angenehm ist, zumal es nachts immerschon friert. Tagsüber haben wir seit dem 1. November jetztimmer das herrlichste Wetter bei einem Dienst, daß derSchweiß unter dem Stahlhelm gerinnt. Besonders heute habeich geschwitzt, wie seit langem nicht. Aber das geht alles vor-über. Nun will ich Dir vor allem erst wieder einmal für eineMenge Post danken. Zunächst gingen ein mindestens 6 Äpfel,alle prima erhalten, die mir sehr gut geschmeckt haben, dannerhielt ich heute zwei Päckchen mit […] die ich aufheben willfür den Fall, daß es wieder einmal »losgehen« sollte, was ichaber nicht so bald hoffen will. Ferner erhielt ich verschiedenePäckchen mit Plätzchen, die mir auch jedesmal wunderbarschmecken, gestern Abend das 1. 2 Pfd.-Päckchen für das ichdeshalb besonders danke, weil es mich in einem Augenblickerreicht hat, da ich mit meinen Portionen am Ende war. Auchvon Widdershausen kam ein Plätzchen-Paket, Illustrierte; vonOnkel […] erhielt ich heute einen Brief, in dem er mir seinepersönlichen Verhältnisse schildert und die Patenschaft an-nimmt. Liebe Frau, Du bist ein Engel; wie soll ich Dir nur je-mals für all diese vielen Beweise Deiner Sorge um mich danken.Hoffentlich ist bald einmal Frieden, auf das ich Gelegenheithabe, Dir meine große Dankesschuld etwas abtragen zu kön-nen. Daß es Dir schmeckt, freut mich ungemein. Iß Dich nurimmer satt, wenn Du kannst. Ich habe auch immer riesigenAppetit, zumal mich der Durchfall meine Reserven auf denRippen gekostet hat und der Dienst jetzt ziemlich anstrengendist, aber wir bekommen nicht die Masse zu essen, das Kochge-schirr ist immer zu schnell wieder leer. Aber nun genug vondiesen Dingen. Von Wintershall erhielt ich heute den 1. Kali-

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bergmann. Das die Unterstützung erhöht worden ist, finde ichprima. Hoffentlich hast Du inzwischen den Grund dafür er-fahren. Meinetwegen kann es ruhig so weiter gehen. Daß DuDich den Behörden gegenüber jetzt immer allein durchboxenmußt, ist allerhand. Hoffentlich läßt das auch mal nach. Aberärgere Dich nicht allzusehr damit.

Deutsche Soldaten vor einem Erdloch, in dem sicheine Zivilistin versteckt hat.

3. November 1942

Feldpostbriefe Stalingrad 22/08/03, 9:4121

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Gestern hatten wir Frühgottesdienst. Den 1. den ich in Ruß-land erlebt habe. In unserer Kompanie war anschließend nocheine Ferntrauung eines Kameraden. Beide Feiern haben unsdazu verholfen, daß wir nachmittags um 4 Uhr unserer Zeit,wenn es hier also schon dunkel ist, unser Mittagessen erhaltenhaben, nachdem wir seit morgens ½ 6 Uhr nichts mehr gegessenhatten. Mit der Kunst des »Organisierens« wie Du schreibst, isthier nicht viel zu machen, denn in der Steppe wächst nichts,Dörfer oder Städte gibt es in weitem Umkreis keine. Wir habenhier auf dem Gebiet also ausgesprochenes Pech. Daß sich des-halb alle hier wegsehnen in andere Gegenden, nach dem Südenoder der Mitte, am liebsten natürlich heim ins Reich, ist mir all-zu natürlich. Es sind auch schon die tollsten Parolen umgegan-gen. Wahr geworden ist noch keine. Hoffen wir, daß DeinTraum bezüglich Sonntagsurlaub tatsächlich sich bald einmalerfüllt. Im übrigen muß man die Dinge an sich herankommenlassen und warten, immer nur warten. Zu gerne wäre ich malkurz bei Euch, würde mir Ingrid mal anhören und mich malsatt Klöße essen. Unter sechsen höre ich nicht auf! Laß es Dirweiterhin gut gehen, liebste Anni; nimm meinen herzlichstenDank nochmals entgegen und grüße alle von mir.Dich grüßt und küßt sehnlichst Dein Fred.

Erwin Guhl* 1918, Obergefreiter, vermißt

Im Osten, den 4. Nov. 1942Meine liebe Friedel!Habe gerade Deinen Brief vom 14. Okt. ohne No erhalten wo-für ich Dir von Herzen danke. Wie Du mir immer nochschreibst hast Du noch keine Antwort auf Deine Päkchen. Ichdenke, daß Du meine Briefe wo ich Dir darauf geantwortethabe, erhalten hast. Die Päkchen die ich erhalten habe, warmeistens das Datum des Poststempels unleserlich, sonst könnteich Dir schreiben von welchem Monat sie sind. Vielleicht wärees am besten, wenn Du in jedes Päkchen einen Zettel hinein-legst mit No u. Datum, dann kann ich kontrollieren ob sie alle

4. November 1942

Feldpostbriefe Stalingrad 11/08/03, 14:1822

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ankommen oder nicht. In meinem letzten Brief habe ich Dirgeschrieben, daß Du eine Steuerkarte für Dich ausstellen sollst.Das ist verkehrt. Die Steuerkarte muß meinen Namen tragenu. geht an die Adresse, die ich bereits geschrieben habe. Sonstbrauchst Du nichts unternehmen, das andere geht alles vonselbst u. wird von Deiner Dienststelle geregelt.

Meine liebe Friedel! Seitdem die alte Uhrzeit wieder einge-führt ist, kommt mir alles ganz komisch vor. Es ist jetzt genau3oo Uhr mittags u. die Sonne ist schon untergegangen in einerhalben Stunde ist es schon vollkommen Nacht. Jetzt kannstDu Dir ungefähr vorstellen wie es einem da zu mute ist. Nun istmir auch noch die Tinte ausgegangen. Jetzt sehe ich vollendsgarnichtmehr was ich schreibe. Deshalb muß ich meine Zeilenfür heute beenden. Hoffentlich geht es Dir u. den Kindernnoch gut, was ich von mir auch schreiben kann.

Es grüßt u. küßt Euch vielmalsEuer Papa.Gruß an Vater Mutter u. Geschwister.

Gustav Baumanns* 1923, Soldat, vermißt

Im Felde, den 4. Nov. 1942Liebe Mutter!Wenn meine Zeilen heute besonders Dir gewidmet sein sollen,so geschieht das aus folgendem Grunde. Wie ich feststelle,spricht aus Deinen letzten Briefen eine besondere Besorgnis.Begründet war das sicher darin, dass die Post längere Zeit aus-blieb und dass der Wehrmachtsbericht berichtete, dass es hierschwer rund ginge. Dass die Post nun mal langsamer gegangenist und dass dies auch noch öfters vorkommen wird, musst Dunun in Kauf nehmen. An mir soll’s da nicht fehlen. Und dannzu Punkt zwei: So wild, wie das in den Zeitungen steht, sieht’shier nun auch nicht aus. Gewiss sieht’s manchmal toll aus, daskein PK-Bericht schildert, aber dann muss man eben Glück ha-ben. Wie oft trifft’s einen ganz weit hinten wo man gar nichtdamit rechnet. Wenn’s einen treffen soll, so triffts einen doch.

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Feldpostbriefe Stalingrad 11/08/03, 14:1823

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Ehrlich gesagt, man denkt nicht immer so und sagt sich manch-mal es wäre besser, wenn die Luft nicht so eisenhaltig wär.Aber das geht doch alles vorbei. Die Haltung, die man zu Tagelegen soll, hat unser Divisionspfarrer beim letzten Feldgottes-dienst umrissen. Er sprach vom Gebet des Soldaten. Ein Soldatwürde auch seinem Herrgott nicht um sein Leben bitten undbetteln. Denn wenn die Stunde gekommen sei, möge der Herr-gott ihn nur rufen. Ergeben in Gottes Willen und dennoch sol-datisch und gerade. So zu denken ist zwar nicht leicht, aber eslässt sich so besser in die Zukunft schauen. Also liebe Mutter,vertrauen wir unser Schicksal dem an, der alles Geschehen leitet.Mach’ Dir also keine Sorgen, sie bringen doch nur graue Haare.

Meine letzte Post war datiert vom 14.10. , 17.10. , 20.10. ,23.10. , 24.10. , 25.10. , 27.10. , 31.10. und 2.11.42. Am 1. Nov.habe ich 65 RM nach Hause geschickt. Dann hätte ich nocheinen Wunsch. Und zwar brauche ich noch einige Dekorations-stücke, einen Gefreitenwinkel, wenn möglich in dreifacherAusführung. Sollte so’n Ding schwerer als 20g sein, so steckt’smit in eine Zeitung. Bis Weihnachten sind ja Sendungen über20g ohne Zulassungsmarken gesperrt. Zeitungen sind ja ausge-nommen. Das wär nun alles für heute. Es grüsst Dich wie auchalle anderen Lieben daheim herzlich

Gustav.

Dr. Erich Weber* 1911, Major u. Stabsarzt, vermißt

auf d. Marsch, 4.11.1942Mein liebstes Frauchen!Heute kann ich Dir nun doch wieder mal ein bissel was zurBereicherung Deines Speisezettels schicken! 2 Dosen Öl-Sar-dinen, 1 Päckchen Käse, 100 g Schokolade und einige »Gutzle«!Laß Dir alles recht gut schmecken! Außerdem liegt das entzweigegangene Feuerzeug bei, versuch doch mal, ob Du es reparie-ren lassen kannst, es funktionierte so ausgezeichnet!

Recht liebe Grüße und viel innige Küsse von Deinem getreuenErich.

4. November 1942

Feldpostbriefe Stalingrad 11/08/03, 14:1824

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Otto Flick* 1911, Gefreiter

Stalingrad, 5.11.42Meine Lieben!Recht viele herzliche Grüße aus der Hölle von St. Wir liegennun hier seit einigen Tagen hier in schwersten Kämpfen. Mirselbst geht es bis jetzt noch gut. Ich führe eine Gruppe undhabe dadurch auch eine große Verantwortung. 3 meiner Männerhabe ich schon verloren, aber trotzdem lassen wir den Kopfnicht hängen. Unkraut vergeht ja nicht. Soeben mußte ich we-gen Alarm das Schreiben unterbrechen. Heute ist nun schonder 9.11. Ich schreibe im Bunker, im Schützengraben weiter.Also am 5. wurden wir alarmiert. Der Russe hatte angegriffen,der Angriff wurde glänzend abgeschlagen. Wir liegen Tag undNacht im schwersten Artilleriefeuer. Die Feuertaufe habe ichnun schon einige Tage hinter mir. Uns kann nichts mehr er-schüttern. Einige gute Kameraden habe ich inzwischen wiederverloren. Am Freitag zu Sonnabend in der Nacht griff der Russewieder unsere Stellung an. Ich lag mit meinem Mg. Schützen inStellung, plötzlich flogen Handgranaten vor unser Loch undbei den Gruppen links von mir begann der Angriff. Ich warvon rechts ohne Anlehnung. Unser Mg. hatte Hemmung undder eine Gewehrschuß war Sand und Dreck auch nichts. Aberdann haben wir den Angriff durch Handgranaten doch abge-schlagen. Der Russe hatte wieder einmal eine gehörige Schlappeerlitten.

Ich glaube, wenn Ihr mich jetzt so sehen würdet, Ihr würdetmich nicht erkennen. 14 Tage keinen Tropfen Waschwasser,nicht rasiert. Jede Woche eine Kniebeuge und der Dreck platztab. Mein Bart ist schon bald so lang wie Papa seiner war. Ichwerde mich Freitag rasieren lassen und Euch ein Bild davonschicken. Heute nun setze ich zum dritten Mal bei diesemBrief an. Inzwischen sind wir nun für 3 Tage von der Front ab-gelöst und liegen in einem Keller etwas weiter hinten. Bombenund Granaten hageln auf uns nieder. Aber das hatte uns nichtaus der Ruhe bringen lassen. Soeben haben wir unsere Wäschegewaschen. Die alte lief auch schon allein. Jede freie Minute

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Feldpostbriefe Stalingrad 11/08/03, 14:1825

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wird unter Lausejagd zugebracht. Wir haben nicht die Biester,sondern sie haben uns.

Anbei schicke ich Euch einige Päckchenmarken. Jede Markegilt für ein Kilopäckchen. Schickt aber bitte keine Wurst- oderFleischwaren, sondern nur Gebäck, Zucker, Süßstoff, Zigaret-ten und ein Feuerzeug, Talgkerzen, Feuersteine, Seife, Rasier-klingen, Hautcrem, Tabakpfeife.

Für heute nun die herzlichsten Grüße hier zu einem frohenWiedersehen. Ist meine Ursel gesund und munter? Sie ist janun auch schon bald 3 Jahre alt.

Nun seid herzlich gegrüßt und geküßt von Eurem Otto.

Hans MichelAlter und Dienstgrad unbekannt, vermißt

5. Nov. 42Meine liebe Hanna!Denk nur, soeben kam ein Luftpostbrief vom 29.10. , er waralso nur 7 Tage unterwegs, das ist allerhand. Wir hatten heuteStellungswechsel und sind nun näher bei St. wie vorher, anlie-gend ein Zeitungsausschnitt, bei × sind wir. Wir bauen jetztWinterstellungen. Als ich heute hier ankam, war es 5 Uhr undlängst Nacht. Seit die Zeit zurückgestellt ist, wird’s um 3 Uhrdunkel. Ich fahre mit dem LKW wieder zurück in die alte Stel-lung, um Holz zu Bunkern zu holen. Vorgestern war ich mitdem Spieß per Rad in St. beim Gefechtsstand, um Wehrsoldauszuzahlen. Ich soll wieder Rechnungsführer machen, ichtu’s nicht gern wegen der Verantwortung, es geht dabei immerum tausende, aber ich müßte sonst zum V 2 (Verpflegung 2)nach hinten oder als Fernsprecher nach vorn. Man will michaber schonen. Auf der Tour nach St. (Nordteil) fanden wir zu-erst den Gefechtsstand nicht und fuhren mit dem Rad in St.herum, bis nahe zur Front, auch sah ich die Wolga, breit wieein See. In der Unterstadt wird immer noch gekämpft. Es warauch für uns gefährlich. St. ist vollständig zerstört, wer es nichtgesehen hat, glaubt es nicht. Der neue Stadtteil war ganz nett,hier sieht man noch Zweifamilienhäuser (Ruinen) mit Vorgär-

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ten. Wo Holzhäuser standen, ist nur der blanke Boden zu sehen,es sieht aus wie ein Acker. Wo die Bahn war, sieht man kaummehr. Massive Häuser mit Betondecken stehen noch, und ineinem solchen fanden wir endlich um 3 Uhr, es war beinahedunkel, unsere B-Stelle. Unterwegs begegneten uns Verwun-dete, die den Verbandsplatz suchten. Man warnte uns, so offendurch die Straßen, wenn man das so nennen will, zu fahren. Espfiffen auch die Kugeln wie früher, nur weiter hinten. In derNacht mußten wir dann 8 Gefangene durch die Dunkelheitetwa 13 km zurück bringen. Wir kamen dann auch gut an.Heute abend hatte ich wieder Glück, ich habe ja tags keine Zeitzum Schreiben, auch war unser seitheriger Bunker zu klein.Nun baue ich hier einen neuen, es werden zum Bau gefangeneRussen benützt. Überläufer, die sich als Hilfswillige einstellenließen und beinahe wie Soldaten gestellt sind. Da dieser nochnicht fertig ist, suchte ich mir noch in der Nacht ein Quartier,und hatte das große Glück, einen prima Russenbunker zu fin-den, es ist nur ein längliches Loch, oben mit Knüppeln abge-deckt, etwa so [kleine Zeichnung] Da zog ich ein. Im Freienschlafen ist so eine Sache. Nun liege ich hier, habe 4 Deckenund noch 3 von Kameraden, die im Urlaub sind, so daß ichnicht friere. Eine Kerze habe ich auch und eine Taschenlampe,so ist’s recht gemütlich. Draußen dröhnt es wie fernes Don-nerrollen von St. , das etwa 8 km von hier liegt. Hier machendie Russen furchtbare Bombenangriffe, das letzte ihrer Stadtnoch kaputt. Es ist mir im Bunker auch so sicherer, denn wennnicht gerade ein Volltreffer kommt, passiert mir nichts, denndie Russen schmeißen ihre Bomben auch hier in der Gegendherum und treffen auch mitunter. Das Wetter ist andauerndschön und am 5.11. tagsüber warm wie beinahe im Sommer. Esist ein großes Glück, daß das so ist. Übrigens mit Wintersa-chen sind wir gut versorgt, ich habe zusätzlich gefaßt 1 PaarStrümpfe, einen feinen, wollenen Schal, einen zweiten Pull-over, Ohrenschützer, Pelz, warme Leibwäsche ua. Es sind allesSachen aus der Wollsammlung. Man muß lachen, wenn manden einen oder anderen sieht mit einem Damenpullover oderdergleichen. Für die Wache gibt’s Filzstiefel und Pelzmantel.

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Nur vorläufig brauchen wir das noch nicht. – Übrigens Tele-gramme kannst Du schicken, und zwar gewöhnliche, nur mußes von der NSDAP beglaubigt sein. Dann durch Radio Berlin,hier gibt man die Feldpostnummer an und den Text, etwa Sol-dat X, FNr. Soundso, Mutter schwer erkrankt oder dergleichen.Das Regiment nimmt zu einer bestimmten Zeit […] nachts sol-che Nachrichten auf und gibt sie weiter. Wie es mit dem Ur-laub wird, weiß ich noch nicht. Ich schrieb Dir ja schon unterwelchen Umständen vielleicht ein solcher Urlaub möglich ist.Ich warte Deine Antwort ab und mach dann den Versuch,wenn es nicht geht, müssen wir halt warten bis Frühjahr, daswäre auch nicht schlimm. Vielleicht geht der Krieg auch aus,man hört so eine Scheißhausparole, wie man es bei den Solda-ten nennt, wenn so ein Gerücht auftaucht, von Waffenstill-standsverhandlungen zwischen Molotow und Ribbentrop inder Türkei. Es könnte etwas davon wahr sein, es wäre herrlich!Ich glaub’s jedoch noch nicht recht. – Nun habe ich im ganzen7 Paketmarken, ich lege zunächst 4 bei, für den Fall, daß sieverloren gehen. Es soll schon einmal Post verbrannt sein. DiePakete müssen vor 1. Dezember aufgegeben werden. Nützenur das Gewicht voll aus, es können ja 2 oder 3 kg-Pakete sein,pro Marke ein Kilo. Es sind bis jetzt alle Pakete angekommen,auch Himbeerbrötle, Rasierklingen, Keks und Äpfel. Herz-lichen Dank für alles. Deiner Mutter habe ich mal geschrieben,sonst niemand. Den Brief von Onkel Ernst habe ich noch nichterhalten. Sonst schreibe ich niemand, bin als froh, wenn ich dirwieder geschrieben habe. Ob man Mutter eine Paketmarkeschickt oder ist das eine Zumutung? Sie schickt mir hin undwieder was, ebenso Jule und sogar Rita, schreibe ihnen, ich ließeherzlich danken. Gesundheitlich geht es mir ganz ordentlich,ich hoffe sehr, ich halte es durch. Als Rechnungsführer (Refü)sitze ich viel im warmen Bunker. Wir haben heute eine ganzeAnzahl kleine, aber praktische Öfen samt Rohren bekommen.In den nächsten Tagen soll ich auf dem Gefechtsstand in St. (ineinem ausgebrannten Krankenhaus) Öfen bauen, aber ich glau-be, bei den Gefangenen gibt es auch Ofenbauer. Es ist gut, daßman diese Leute hat, 10 Mann kann man sich nehmen. Die

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Kost ist gegenwärtig sehr gut, es gibt Kartoffeln, Linsen, Erb-sen, öfter Braten, Pudding, dann Feigen und Schokolade,Schnaps und Rauchwaren in Hülle und Fülle. Ich rauche nichtund verkaufe oder verschenke meinen Anteil. Pakete an anderebrauchst Du keine schicken, wir geben denen, die keine be-kommen, die Päckle gefallener oder verwundeter Kameraden,die man im allgemeinen nicht zurück schickt, nur Gebrauchs-gegenstände werden wieder zurückgeschickt. Sollte ich je anWeihnachten in Urlaub gehen, so bekommen die Päckle andere,die sonst keine bekommen. Ich möchte Dir auch für die her-zigen Bildle danken. Was Du von Helga schreibst, ist aller-hand. Was Jörgle betrifft, so ist das allerdings eine Sorge, aberandrerseits war ich auch so ein Kerle wie Jörg, und bin nundoch auch groß geworden. – Läuse haben wir allerdings, wennman jeden Tag laust, geht’s. Dein roter Pullover ist eine richtigeLausefalle, da habe ich schon manche gefangen. (Entschuldigeden Gedankensprung, aber mich biß gerade eine): Nun hörtman wieder so einen verdammten Flieger. Dieser Tage wurdeeiner dicht bei uns abgeschossen, das russische Flugzeug wurdegegen einen Berg gejagt, der Flieger blieb am Leben. Auch inFallschirmen sah ich schon abspringen. So ein Luftkampf istimmer interessant. Bei Nacht, wenn die Scheinwerfer das Flug-zeug erwischt haben, macht die Flak mit Leuchtspurmunitiongroßartiges Feuerwerk. Nun will ich so langsam zum Schlußkommen. Ich könnte Dir ja noch manches schreiben, aber ichbin so müde, und ich fürchte, Du wirst dir Deine Augen mitmeinem Gesudel verderben. Was Du da abscheulich von mirträumst, ist doch allerhand, das läßt tief blicken. Nun muß ichmich eben anstrengen, daß dieser Traum bleibt, wenn ichheimkomme. – In St. tun die Flieger wieder was, es bombertfurchtbar, aber es hört sich an wie ein ferner Donner. Wenn inder […] ein Flieger Bomben schmeißen will, so stellt er seinenMotor ab, dann hört man nur ein starkes Rauschen und einhartes Rums, Rums, Rums. Meist kommen 3 Bomben hinter ein-ander. Es gibt viele Blindgänger. – Ich lege Dir also 4 Päckles-marken bei und schicke die andern im nächsten Brief. Nunhabe ich Dir ja viel geschrieben oder besser gesudelt und nach-

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