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48 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE NATIONALFEIER Für die 1.-August-Feier auf dem Rütli sind 600 BLINDE UND SEHBEHINDERTE eingeladen. Das blinde, dreiköpfige OK-Team «schaut» sich vor Ort schon mal alles genau an. Fels oder Kuh? Roland Studer, Rita Iten und Urs Lüscher (v. l.) vom Zürcher Blindenverband zu Besuch auf dem Rütli. Stockeinsatz Per S-Bahn gehts nach Brunnen SZ und dort zum Schiffssteg. Studer, Lüscher und Iten (v. l.) führen und leiten sich gegenseitig. Drei Weissge nossen Moderne Hilfe Dank einem digitalen Vergrösserungs- gerät kann Rita Iten den für sie zu klein gedruckten Fahrplan lesen. Feucht-fröhlich Das Zürcher Trio geht am Landungs- steg Rütli von Bord. Von hier aus werden am 1. August 600 Blinde auf die Rütliwiese marschieren.

Fels oder Kuh? Roland Studer, Rita Iten und Urs Lüscher (v ... · PDF fileBlinde hatte. Sein Gedanke: Exakt am 1. August, wenn die Schweiz ihre Solida­ rität zelebriert, sollen

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48 schweizer illustrierte

nationalfeier

Für die 1.-August-Feier auf dem Rütli sind 600 Blinde und SehBehinderte eingeladen. Das blinde, dreiköpfige OK-Team «schaut» sich vor Ort schon mal alles genau an.

Fels oder Kuh? Roland Studer, Rita Iten und Urs Lüscher (v. l.) vom Zürcher Blindenverband zu Besuch auf dem Rütli.

Stockeinsatz Per S-Bahn gehts nach Brunnen SZ und dort zum Schiffssteg. Studer, Lüscher und Iten (v. l.) führen und leiten sich gegenseitig.

Drei Weissgenossen

Moderne Hilfe Dank einem digitalen Vergrösserungs-gerät kann Rita Iten den für sie zu klein gedruckten Fahrplan lesen.

Feucht-fröhlich Das Zürcher Trio geht am Landungs-steg Rütli von Bord. Von hier aus werden am 1. August 600 Blinde auf die Rütliwiese marschieren.

Blinde hatte. Sein Gedanke: Exakt am 1. August, wenn die Schweiz ihre Solida­rität zelebriert, sollen auf dem Rütli die Anliegen und Bedürfnisse der Blinden in die Bevölkerung hinausgetragen werden.

Lüscher selber besitzt einen Sehrest von unter zehn Prozent und kann «noch knapp grosse Umrisse erkennen». Jetzt sitzt er im SBB­Wagen in Richtung Inner­schweiz – und schaut aus dem Fenster. Reine Gewohnheit, beschwichtigt er, bis vor zehn Jahren konnte er sehen, besass ein Elektrounternehmen, dann wurde es dunkel. Eine genetisch bedingte Netzhaut­erkrankung, erklärt er. Auch Rita Iten, 58, gebürtige Glarnerin, resolute Kassierin im

wattigen, grellen Flecken». Dann stutzen sie. Braune Klumpen glauben sie zu er­kennen – dann Glockengebimmel, Muhen, Stampfen, und spätestens beim Hinein­treten in ein pflüderweichwarmes Irgend­was wird die Anwesenheit von Kühen dreistimmig bestätigt. Schliesslich wird das Zürcher OK­Team feierlich, die drei recken ihre weissen Stöcke gen Himmel, «zum Schwur, wie damals, 1291, die drei Eidgenossen». Und Lüscher beweist Wort­witz: «Mit dem weissen Stock sind wir wohl eher die drei Weissgenossen.» Rita spitzt die Ohren, «ou ja, Weissen, lasst uns ein Fläschchen trinken gehen».

das Mittagessen im Restaurant Rütlihaus ist gleichzeitig auch die letzte OK­Sitzung vor dem Festtag. Einladun­gen? Sind in Gross­ und Brailleschrift verschickt. Transport? Zwei Schiffe ab Luzern reserviert. Lunch? Bestellt (mit Sandwiches kommen Blinde am besten zurecht). Lormen­Dolmetscher für Taub­blinde? Aufgeboten. Das wird ein Fest! Das Zürcher Trio freut sich auf den gros­sen Tag auf dem legendären Rütli. «Eine Sehenswürdigkeit», die drei kichern, gleich kommt wieder was, «wenn man denn sehen würde.»

Wenn Blinde Blinde führen Rita Iten voraus, Studer und Lüscher (l.) hinterher. So steigen die drei zur Rütliwiese hoch. Und merken sich dabei, für den Rückweg, jede Unebenheit.

Text Marcel huwyler Fotos Kurt reichenBach

Die werden Augen machen! Rita, Urs und Roland, das dreiköpfige OK­Team aus Zürich, sind sich

sicher: Das wird ein grandioses Fest. Auf der Rütliwiese, der heiligsten Schweizer Kuhweide, soll der besondere Anlass stattfinden. Der Schweizerische Blinden­ und Sehbehindertenverband SBV wird 100 Jahre alt. Und feiert seinen Geburts­tag auf dem Rütli, am 1. August. 600 Blin­de und Sehbehinderte werden kommen und prosten, singen und feiern. Ein Sehen und Gesehen­Werden der anderen Art. Und damit ja nichts schiefgeht, wollen die drei vom OK­Team heute noch ein ­ mal alles genau vor Ort anschauen – oder abtasten.

Mit ihren weissen Stöcken pflü­gen sich Rita, Urs und Roland den Weg durch den Zürcher Hauptbahnhof. Manch­mal, sagt Urs Lüscher, komme er sich vor wie Moses aus der Bibel, der mit dem Stab das Meer teile. «Dank dem weissen Stock huschen die Leute verschreckt zur Seite.» Der 44­jährige Lüscher aus Uster ZH war es, der die Idee mit der Rütlifeier für

Zürcher Blindenverband und demons­trative Raucherin, ist seit zwölf Jahren schwer sehbehindert. Seit einem Augen­krebs 1998 trägt sie in der rechten Augen­höhle eine Prothese, 2003 raubte ihr zu­dem eine Entzündung am linken Auge beinahe die gesamte Sehkraft. Trotzdem, sagt sie, könne sie fast alles selber machen. Sogar jäten im Garten: «Was farbig ist, bleibt in der Erde, Braunes oder Grünes fliegt raus.» Nur die Fusspflege, meint Rita und demonstriert ihr vom Zigaretten­rauch gegerbtes Donnerlachen, lasse sie besser bleiben, dann murmelt sie etwas von Zehennägel­Schneiden und Gemetzel.

Nächster Halt: Brunnen, umsteigen aufs Schiff. Ob man als Sehender helfen dürfe? «Ja, bitte, gehen Sie voraus …», sagt Roland Studer, drittes OK­Mitglied, 50­jährig, früher Chemiker, dann am grü­nen Star erkrankt, «… gehen Sie voraus – wir folgen Ihnen auffällig.» Von «blindem Vertrauen», spöttelt Lüscher, und Rita höhnt mit Rauchtimbre: «Falls ihr das Treppengeländer auf Fusshöhe ertastet, sinds dann die Bahngleise.» Diese drei! Was für ein Team. Im Sekundentakt wird gescherzt und übers eigene Handicap ge­spottet. Es ist aber weder überdrehter

«Der Prozess des Immer-blinder-Werdens ist schlimmer, als schliesslich blind zu sein»roland Studer

Galgenhumor noch der hilf­ und ge­schmacklose Versuch, die eigene Behin­derung mit falschem Witz zu verdrängen. «Nein», sagt Urs Lüscher, «wir haben es halt einfach gern lustig.» Aber, gibt Roland Studer zu bedenken, auch sie hätten dunkle Momente, nicht nur was das Au­genlicht betreffe. Jeder von ihnen habe gelitten, gehadert, als das Blindsein be­gann. «Der Prozess des Immer­blinder­

Werdens», sagt Studer, «ist bitterer, als schliesslich blind zu sein.» Alle drei nicken. Und man ahnt, was für Kämpfe sie mit sich selber fochten, bis sie ihr Handicap akzep­tieren und gar darüber scherzen konnten.

dann stehen sie auf dem rütli. «Das muss jeder richtige Schweizer doch einfach mal gesehen haben», sagen die drei, starren irgendwohin und beschrei­ben die Wiese aller Wiesen als «grünen,

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