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Ferdinand Emmerich Im Gran Chaco von Paraguay Auf dem argentinischen Dampfer ›Belgrano‹, der mich den Paranâfluß hinauf nach Asuncion brachte, gesellte sich ein Mann zu mir, der nach mehr als einer Richtung hin mein Interesse erregte. Er war nach Art der Herbateros gekleidet. Sein ganzes Auftreten aber stand mit seiner äußeren Erscheinung im Widerspruch. Ich fand bald heraus, daß seine Ausstaffierung als Tee- sucher den Hauptzweck verfolgte, so wenig als mög- lich aufzufallen und die Aufmerksamkeit seiner Mit- menschen von sich abzulenken. Aus seiner Schweig- samkeit zog ich den Schluß, daß der Mann viel in der Einsamkeit lebte. Von da zu meiner Frage an ihn: »Sind Sie Naturforscher?« war nur ein Schritt. Aus den grauen Augen schoß ein Blitz ängstlichen Mißtrauens, der mir ein Lächeln abnötigte. Ich kannte ihn, den Blick. Er sagt dem Fragenden: »Nimm dich in acht, daß ich dir nicht ins Gehege komme!« 1

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Ferdinand Emmerich

Im Gran Chaco von Paraguay

Auf dem argentinischen Dampfer ›Belgrano‹, dermich den Paranâfluß hinauf nach Asuncion brachte,gesellte sich ein Mann zu mir, der nach mehr als einerRichtung hin mein Interesse erregte. Er war nach Artder Herbateros gekleidet. Sein ganzes Auftreten aberstand mit seiner äußeren Erscheinung im Widerspruch.Ich fand bald heraus, daß seine Ausstaffierung als Tee-sucher den Hauptzweck verfolgte, so wenig als mög-lich aufzufallen und die Aufmerksamkeit seiner Mit-menschen von sich abzulenken. Aus seiner Schweig-samkeit zog ich den Schluß, daß der Mann viel in derEinsamkeit lebte. Von da zu meiner Frage an ihn: »SindSie Naturforscher?« war nur ein Schritt.

Aus den grauen Augen schoß ein Blitz ängstlichenMißtrauens, der mir ein Lächeln abnötigte. Ich kannteihn, den Blick. Er sagt dem Fragenden:

»Nimm dich in acht, daß ich dir nicht ins Gehegekomme!«

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So schaut nur der Sammler, der fürchtet, von einemKollegen um die Ausbeute einer reichen Fanggegendbetrogen zu werden.

Als der Mann stumm blieb, klopfte ich ihm auf dieAchsel, und mich nun der deutschen Sprache bedie-nend, rief ich aus:

»Keine Angst, Herr Kollege. Ich bin Forscher. Sam-melobjekte kann ich auf der von mir geplanten Reisenicht mitnehmen. Also haben sie keine Konkurrenz zufürchten.«

»Woher wissen Sie, daß ich Deutscher bin? Ich sehe,ebensowenig wie Sie selbst, unsern Landsleuten dochnicht ähnlich?«

»Nein. Aber wer sich so dem Winde und Wetter aus-setzt – und davon zeugt unsere gegerbte Haut – derkann nur ein Deutscher oder ein Fremder der arbeiten-den Klasse sein. Und gegen das letztere spricht vielesan Ihnen. Was, kann man nicht sagen.«

»Nun ja. Ich bin Orchideensucher. Mein Weg führtmich durch den Gran Chaco. Einmal dort, folge ichmeinem Stern.«

»Ein wenig Chaco möchte ich auch kennen lernen.Das Innere der Waldwildnis reizt mich indessen wenig.Ich beabsichtige den Paranâfluß aufwärts zu wandernund, wenn möglich, durch den Rio Xindu in den Ma-ranhon zu gelangen.«

»Donnerwetter, das ist ein Wagnis, Herr Kollege! Siewissen zweifelsohne, daß die Botokuden auf Weiße

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nicht gut zu sprechen sind. – Ich habe mich bisher im-mer geweigert, ihr Gebiet zu bereisen, obwohl mir dortSchätze winken.«

»Mich können solche Erwägungen nicht abhalten.Zu oft schon wurde ich vor wilden Stämmen gewarnt.Kam ich dann in ihr Gebiet, so zeigte es sich, daß wohlder Weiße selbst die Schuld trug, wenn er nicht dieAufnahme fand, die er erwartete. Auch die Botokudenwerden mit sich reden lassen.«

»Ja, wenn Sie die Sprache verstehen, dann mag esIhnen gelingen, unbehelligt durch das Gebiet zu kom-men.«

»Ich verstehe kein Wort ihrer Sprache. Dennoch hof-fe ich den Wilden begreiflich zu machen, daß ich alsFreund zu ihnen komme. – Wenn Sie also sonst nichtsabhält, so sind Sie mir als Reisebegleiter willkommen.«

»Darüber können wir ja noch reden, wenn wir nachAsuncion kommen – oder haben Sie ein anderes Ziel?«

»Ich hoffe, in Asuncion Briefe zu finden. Wenn diesekeine gegenteiligen Nachrichten enthalten, dann ma-che ich zunächst einen Abstecher an den Pilcomayo.Und was gedenken Sie zu tun?«

»Hm, der Abstecher wäre mir vielleicht von großemNutzen. Ich fuhr bereits einmal den Fluß hinauf, hieltmich jedoch auf der argentinischen Seite, da man mirvon dem Besuche des linken Ufers abriet. Wirklichsahen wir auch ein paar Indianerlager. Die Soldatenschossen darauf.«

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»Das ist doch kein Grund, einen einmal gefaßtenEntschluß fallen zu lassen. Irgendwo müssen die In-dianer doch lagern. Daß man ihnen aber anscheinendauch die Nachtruhe mißgönnt, ist eben die Ursacheder Feindseligkeiten, mit denen die Indianer, also dierechtmäßigen Herren des Landes, jedem Weißen ent-gegentreten. Und dann wundert man sich nachher, undentrüstet sich, wenn der rote Mann von seinem Haus-recht Gebrauch macht. Fragen sie doch einen der wei-ßen Hazienderos, die da vorn mit ihren Goldmünzenprahlen, ob sie es sich gutwillig gefallen ließen, wennman sie plötzlich von ihrem Besitztum vertriebe.«

»Das ist Politik, Herr Kollege, und darüber rede ichlieber nicht.«

»Aber ich rede darüber und sage jedem, der es hörenwill, was ich darüber denke. – Nützen werde ich damitallerdings keinem . . . «

Ein Indianer trat an uns heran. Wir hatten deutschgesprochen und ich hatte keineswegs die Stimme ge-dämpft, als ich meine Ansichten entwickelte. Immerhinüberraschte es mich, als der Mann mir in gebrochenemDeutsch seinen Dank aussprach, daß ich die Sache sei-nes Volkes verteidigte.

»Wie? Du verstehst deutsch?« fragte ich, erstauntden roten Sohn der Wälder ins Auge fassend. »Wo hastdu denn das gelernt?«

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»Ich war Zögling bei den Jesuiten in Asuncion. Spä-ter arbeitete ich auf einer deutschen Farm. Dort lernteich die fremde Sprache . . . «

Er stockte. Die Worte waren mühsam zusammenge-sucht worden und ich glaubte, ihm zur Fortsetzung sei-ner Erzählung helfen zu müssen. Darum forderte ichihn auf, sich der spanischen Sprache zu bedienen, woder deutsche Wortschatz nicht ausreichte.

Ein Lächeln überflog seine Züge.»Die Worte fehlen mir nicht. Ich würde sie auch nicht

aussprechen, wenn ich nicht wüßte, daß ich dem Herrnvertrauen kann. – So aber muß ich es wohl tun, weilich hoffe, daß mich die Herren mitnehmen, wenn siean den Pilcomayo reisen.«

»Schlau bist du, das muß ich sagen!« rief ich aus.»Aber bevor ich nicht weiß, mit wem ich zu tun habe,kann ich deine Hoffnungen nicht in die Tat umsetzen.– Also fahre fort. Wir verlieren ja keine Zeit, wenn wirdich anhören. – Wen hast du umgebracht?«

Mein Kollege lachte laut auf bei dieser Frage. Nichtso der Indianer. Er streifte mich mit einem scheuenBlick und ließ seine dunklen Augen über die geschäftigüber das Deck laufenden Matrosen gleiten, gleichsamals fürchtete er, daß jemand die Frage gehört habe.

»Woher weiß der Herr . . . ?« stammelte er.»Von dir selbst weiß ich es,« erwiderte ich. »Dein

ganzes Benehmen und deine Gegenfrage beweisen es.Uebrigens hast du von uns nichts zu fürchten. Wenn

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du glaubst, dein Geheimnis für dich behalten zu sol-len, dann unterlasse es zu antworten.«

»Es ist kein Geheimnis, Herr. Ich habe drüben, jen-seits der Grenze, bei Belen einen Weißen im Kampfe er-stochen. Er mißhandelte seine jungen Diener und Die-nerinnen mit dem Lasso, so daß sie blutend und halbtot auf dem Hofe liegen blieben. Dann hetzte er nochseinen bissigen Hund darauf. Ich kam zufällig vorüberund tötete den Hund mit der Bola. Der Weiße schoßauf mich, ohne zu treffen. Da sprang ich auf ihn zu undrang mit ihm. Jeder zog das Messer. Ich war schnellerals er. – Dann packten mich seine Leute und schlepp-ten mich vor den Richter. Es war ein Farbiger. Er warfmich in ein Gefängnis. Am dritten Abend vergaß derWächter die Türe zu schließen. Draußen stieß ich aufzwei Indianer, die Pferde hielten. Sie zeigten mir denWeg und gaben mir Geld . . . Hier bin ich, Herr! Ichwill nach Asuncion und mich den Patres entdecken. Siewerden mir helfen, in meine Heimat zu kommen . . . «

»Wo liegt deine Heimat?« fragte ich, angenehm be-rührt durch das offene Bekenntnis des Mannes.

»Weit oben am Rio Apa. Da, wo der Fluß aus demGebirge in die Ebene tritt, liegt unser Dorf. Es sind ar-me Indianer, Herr, die von den Weißen aus ihrem Lan-de am Rio Fogones vertrieben wurden, als ich noch einkleiner Knabe war.«

»Hm – kennst du den Gran Chaco?«

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»Welchen, Herr? Meinst du die Wälder zwischendem Rio Pilcomayo und dem Paraguayflusse? Den ken-ne ich genau. Es wohnen noch viele Indianer in denFlußtälern. Sie gehören auch zu meinem Stamme.«

»Wie heißt dein Stamm?«»Wir nennen uns Karapahy. Der Stamm ist sehr stark

und hat viele Häuptlinge. Unser Dorf gehört zu denKarapahy Pidma.«

»Würdest du uns in den Chaco begleiten?«»Aber Herr Kollege!« entschlüpfte es dem Orchide-

ensucher.Der Indianer blickte verwundert auf. Obwohl er den

Sinn des Ausrufes nicht erfaßte, erriet er den Wider-spruch von seiten meines Begleiters. Er antwortete aus-weichend:

»Der Herr kennt die Gefahren des Chaco nicht. EinWeißer wird die Wälder nicht wieder verlassen. Auchwenn er gut über die armen Indianer denkt . . . «

»Das habe ich schon in Corrientes gehört. Ich fragtedich, ob du mit uns in den Chaco reisen möchtest. Wirwollen dort eine Woche verbringen, um Blumen undTiere zu suchen.«

»Aber, Herr, das kann doch nicht Euer Ernst sein.Wenn Euch die Indianer finden, seid Ihr ein toterMann. Oder geht der Herr mit vielen Yerbateros?«

»Wir gehen allein. Ohne jede Begleitung. Wenndu uns führen willst, oder uns einen zuverlässigenMann empfehlen kannst, dann nehmen wir den mit. –

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Glaubst du wirklich, daß dein Stamm einen oder zweiweiße Männer, die ihre Gastfreundschaft nachsuchen,ermorden werden?«

»Woher soll mein Stamm wissen, daß ihr Freundeseid?«

»Ich breche den grünen Busch und bringe ihm Tabak.Dann werden sie mich hören und – frei ziehen lassen.«

»Sie sind von einer Zuversicht, Herr Kollege, die ichnicht teile,« warf mein Gefährte ein. »Wenn Sie mirnicht gesagt hätten, daß Sie schon mit wilden Eingebo-renen in Berührung gekommen sind, müßte ich anneh-men, Sie seien noch unerfahren im Verkehr mit Wil-den.«

»Beruhigen Sie sich darüber, lieber Herr. Ich habeErfahrung, sogar sehr große Erfahrung in dieser Rich-tung. Ich bin überzeugt, daß mich auch die Karapahyfreundlich, oder wenigstens nicht feindlich aufnehmenwerden, wenn ich als einzelner Mann in ihr Lager kom-me und um Gastfreundschaft bitte.«

»Vielleicht hat der Herr recht,« sagte jetzt der India-ner. »Wenn ihr aber mich oder einen andern unseresStammes bei Euch habt, der die Sprache versteht, sowird man Euch sicher in Ruhe lassen, denn wir wer-den Euch als Freunde ausrufen.«

»Demnach willigst du ein, in unsere Dienste zu tre-ten?«

»Wird der Herr sich in Asuncion aufhalten?«

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»Nur so lange der Dampfer dort liegen bleibt. Ichfahre noch ein Stück flußaufwärts.«

»Dieser Dampfer fährt nicht weiter. Morgen frühfährt ein kleinerer bis nach Concepcion. Vor dessen Ab-fahrt weiß der Herr meine Antwort.«

Als wir abends in Asuncion an Land gingen, war derMann verschwunden. Mein Gefährte, der sich inzwi-schen als Ernst Neumann vorgestellt hatte, nahm michmit in einen Gasthof niederer Ordnung, der das Ab-steigequartier der Teesucher zu sein schien, wir tra-fen dort eine lärmende Gesellschaft von Yerbateros, dieeben aus dem Chaco kamen und das verdiente Geld sorasch wie möglich an den Mann zu bringen suchten.Bei unserm Eintritt verstummte das Gespräch und al-ler Augen richteten sich auf uns. Neumann, der seinerKleidung nach zu dem Gewerbe gezählt wurde, erregtedie Neugier der Anwesenden. Rufe wurden laut:

»Olé, compañero, woher des Wegs?«»Zu welcher Kompanie gehörst du, amigo? Oder bist

du selber ein Capataz?«Der Wirt war inzwischen zu uns getreten. Er begrüß-

te Neumann als Bekannten und rief den immer drin-gender Fragenden an den Tischen ein paar beruhigen-de Worte zu. Wir ließen uns zuerst unsere Nachtlager-stätte zeigen und kehrten dann in den Schankraum zu-rück, wo wir uns, der Sitte gemäß, mit an den Tisch derTeesucher setzten.

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Nun kam das unangenehmste für uns. Dutzende vonGläsern mit dem Yerbatee wurden uns zugeschobenund von jedem mußten wir einen Zug nehmen. Unddazu durften wir uns nicht einmal der eigenen Röhr-chen bedienen, sondern mußten aus der Bombilla sau-gen, die eben der wohl nie gewaschene Mulatte ausdem Munde genommen hatte. – (Ich setze als bekanntvoraus, daß man den Maté oder Yerbatee mit Röhrchenaus den Gläsern oder Schalen saugt.)

Als auch dieser Kelch vorübergegangen war, und ichmich durch eine Runde Aguardiente unter den rauhenGesellen eingeführt hatte, begann das übliche Frage-und Antwortspiel.

»In den Chaco wollt Ihr? Und allein? Hombre, Ihrseht nicht aus wie ein Grüner und drum nehme ichEuere Worte als einen Witz auf . . . «

»Warum sollte ich nicht allein unter die Indianer ge-hen? Ich bin kein Neuling und weiß mit den Menschenumzugehen. Sie werden mir nichts zuleide tun!«

»Bewahre! Man schneidet Euch, wenn Ihr es wollt,erst die Kehle durch, bevor man Euch verbrennt!« warfeiner ein.

»Vorige Woche haben sie einem Soldaten die Augenausgestochen und ihn dann mit dem Kopf nach untenan einen Baum gebunden,« wußte ein anderer zu er-zählen.

»Ja, der arme Teufel wurde bei lebendigem Leibevon den Ameisen gefressen,« ergänzte ein dritter.

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»Und dem roten Pedro, wie machten sie es dem?«rief einer vom andern Ende des Tisches. »In kleineStücke haben sie ihn geschnitten und mit dem FleischeNararés (Krokodile) gefangen.«

»Wundert es Euch, wenn die Indianer die Weißenhassen?« fragte ich den Sprecher. »Wir sind doch ei-gentlich die Schuldigen, die die Indianer zuerst ange-griffen haben, denn . . . «

Ein ungeheuerer Lärm unterbrach mich.»Oho! Wer sagt das? Wer hat die Rotfelle angegrif-

fen, he?«Ein untersetzter Argentinier, dessen ohnehin häßli-

che Züge von Pockennarben entstellt waren, pflanztesich vor mir auf. Drohend fuchtelte er mir mit der Faustvor dem Gesichte.

»Haben die Weißen nicht die Indianer von ihremGrund und Boden verjagt? Würdet Ihr Euch das ge-fallen lassen, wenn man Euch aus Eurem Hause ver-triebe?« fragte ich mit ruhiger Stimme.

»Die Rothäute haben kein Recht zu leben!« schrie esnun von allen Seiten, »sie müssen ausgerottet werden!Wenn ich hier zu sagen hätte, ich schickte Militär aus,um die ganze Brut zu vernichten!«

Ich wollte erwidern, aber der Wirt und Neumann ba-ten mich, den Streit nicht weiter zu treiben. Um dieBande auf andere Gedanken zu bringen, bestellte ichnoch eine Runde Schnaps und trat mit meinem Glaseauf den stärksten Schreier zu.

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»Auf dein Wohl, compañero!« sagte ich. »Vergiß dieRoten und sei froh, daß du noch deine gesunden Kno-chen hast . . . «

»Du bist wohl ein Schwarzrock, ein Missionar?« frag-te der Pockennarbige etwas ruhiger. »Dann begreife ichdeine Sprache, denn du mußt anders reden, als dir derSchnabel gewachsen ist. Unsere Regierung käme dirsonst auf den Schädel, nicht so?«

»Laß die Missionare in Ruhe, compañero. Die Män-ner haben ein härteres Brot zu essen, als du und ich.Sie müssen zu den Indianern und dürfen nicht einmalfragen, ob es ihnen paßt oder nicht. Alle Achtung vorden Missionaren!«

Meine Worte fanden wenig Widerspruch unter derMenge. Ein höhnischer Zuruf wurde durch die der-be Zurechtweisung eines Yerbateros rasch unterdrückt.Nach und nach schwand das Interesse an uns und dasGespräch drehte sich bald wieder um die persönlichenAngelegenheiten der Teesucher.

Ich bezahlte meine Zeche und verließ die Kneipe.Draußen dämmerte es bereits und ich mußte meineSchritte beschleunigen, um noch vor Postschluß meineBriefe in Empfang nehmen zu können.

Während des Lesens kam Neumann in den Raum.Lachend rief er:

»Wenn sie gehört hätten, was die Burschen nochüber Sie sagten!«

»Und was war das?«

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»Sie sind Missionar und wollen die Kayapas bekeh-ren. Der ganze Schwarm will Ihnen das Geleit gebenund die Indianer warnen, sich an Ihnen zu vergreifen.«

»Unter andern Umständen wäre ein solcher Schutzvielleicht sehr wirksam. Leider paßt er aber nicht inmeine Pläne. Ich bin mehr wie je entschlossen, alleinoder doch nur mit Ihnen und dem braunen Burschenvom Dampfer in das Chaco zu gehen. Sie begleitenmich doch?«

»Hm – ich weiß doch nicht, wenn ich über dasnachdenke, was die Burschen erzählten – und sie sinddurchaus keine Aufschneider – dann möchte ich dochlieber warten, bis eine größere Kolonne Teesucher ab-geht. In deren Gesellschaft haben wir nichts zu be-fürchten . . . «

»Wie Sie wollen! Ich gehe jedenfalls ohne den lär-menden Anhang, der mir keinesfalls Schutz gewährenkann. Im Gegenteil. – Und dann verfolge ich ja nochandere Pläne. Der Chaco reizt mich nicht so sehr wiedas mittlere Brasilien. Dorthin muß ich ja doch alleingehen, also verzichte ich von vornherein auf die Ge-sellschaft.«

Wir waren unterdessen wieder in die Nähe des Flus-ses gelangt und auf den Liegeplatz des Dampfers zu-geschritten. Eben legte ein vom Westen kommendes

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Boot an, das mit paraguaianischen Soldaten vollge-stopft war. Es war ein Kommando, das vom Fort In-termedio am oberen Pilcomayo kam und ziemlich her-untergekommen aussah. Auf dem Kai machte der kom-mandierende Offizier den Versuch, seine Leute in Reihund Glied aufzustellen. Dabei gewahrte ich, daß eingrößerer Teil mit frischen Wunden bedeckt war, de-ren Verband noch frisches Blut durchsickern ließ. Diearmen Kerle boten einen bemitleidenswerten Anblickund von Mitleid getrieben, fragte ich den Offizier, obich seinen Soldaten eine Erfrischung anbieten dürfte.Es standen genug Verkäufer von Getränken herum.

Mit müdem Lächeln erwiderte er:»Sie täten ein gutes Werk, wenn Sie Ihre lobenswer-

te Absicht in die Tat umsetzten. Aber hier darf ich esnicht gestatten. Wenn Sie sich in die Kaserne bemühenwollen. Wir marschieren sofort ab.«

»Dann darf ich Sie wohl zu einem Glase Wein in dasHotel bitten?« fragte ich.

»Dort wohne ich ohnehin – Kapitän Llovera!« erwi-derte der Offizier mit leichter Verbeugung.

Langsam, mit müden, abgehetzten Bewegungensetzte sich der kleine Trupp in Marsch. Wir folgten vonFerne und nahmen gleich einen der Schnapsverkäufermit, dessen Vorrat genügend schien, um jedem der Sol-daten ein paar Gläschen Guarapo zu sichern. Ich kauf-te dem Cholo den ganzen Krug voll ab und schärfteihm dringend ein, die Soldaten nicht zu hintergehen. –

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Ueberrascht von so viel Teilnahme für die bewaffneteMacht, gab mir der Mann sofort den höchsten Rang:

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr General!« beteu-erte er.

Unser Gastgeber machte ein verblüfftes Gesicht, alssich seine beiden neuen Gäste auf einmal in der Trachtder Caballeros aus der Hintertüre davonschlichen. Waser sich über unsere Metamorphose dachte, weiß ichnicht, jedenfalls flüsterte er mir geheimnisvoll ins Ohr:

»Ich habe nichts gesehen, mi padre. Die Tür ist of-fen, wenn ihr zurückkehrt. Ihr habt nur das Zeichen zugeben.«

Neumann lachte spitzbübisch.»Schon wieder ein neuer Titel!« sagte er. »Erst Gene-

ral, jetzt ein Missionspater . . . Bin neugierig, was fürRangstufen sie heute abend noch durchlaufen.«

Im Hotel wurden wir bereits erwartet. Mit leisemVorwurf sagte uns der französische Wirt:

»Bitte nur hier Platz zu nehmen. Der Kapitän kommtgerade. Warum belegten Sie keine Zimmer bei IhrerAnkunft? Jetzt ist leider jeder Raum besetzt . . . «

Ich beruhigte den Mann und fragte nach dem Kapi-tän Llovera.

In der Tat erschien der Offizier jetzt im Rahmen derTüre. Er hatte die goldstrotzende Uniform angelegt,die den Herren von der bewaffneten Macht über allesgeht. Er verfehlte auch den gewollten Eindruck nicht,

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denn aller Augen hingen an der guten Figur des Man-nes, auf dessen Zügen unverkennbare Spuren über-standener Leiden eingegraben waren.

Nach den unabwendbaren Komplimenten über diegegenseitigen Gastfreundschaftspflichten und nach demsich daran knüpfenden wortreichen Streit, in dem ichSieger blieb, konnte ich endlich das Mahl zusammen-stellen und den Wein wählen. Beim schwarzen Kaffeeund der Zigarre brachte ich dann das Gespräch auf dasletzte Kommando des Kapitäns und dessen Verlauf.

»Wir haben schwere Verluste gehabt,« begann er.»Anfangs stellten sich die am Pilcomayo wohnendenIndianer freundlich mit uns. Sie kamen und gingenim Fort ein und aus und trieben lebhaften Tauschhan-del mit uns. Auch unsere Soldaten besuchten die Hüt-ten der Indianer, berauschten sich auch wohl an demscharfen Getränk, das die Yacubas aus wilden Früchtenherzustellen wissen.

»Eines Tages kam ein argentinisches Boot den Flußhinunter und dessen Besatzung kehrte bei uns ein.Wir unterhielten uns mit kameradschaftlichen Spielenund ließen unsern Leuten ziemlich viel Freiheit. In derNacht meldete der Wachtposten, daß am jenseitigenargentinischen Ufer eine größere Anzahl von Einbäu-men den Fluß hinuntertrieb. Der helle Mondschein ver-riet sie dem scharfen Auge des Wächters . . . «

»Ist es den Indianern denn verboten, den Strom zubefahren?« fragte ich dazwischen.

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»Bei Nacht: ja! Wir müssen jede Bewegung dieserunruhigen Stämme kennen, damit wir uns vor Ueber-raschungen schützen. – Also in jener Nacht – es sindheute genau acht Tage seitdem verflossen – durchbra-chen die Eingeborenen den Befehl. Ich legte dem Vor-fall keine Bedeutung bei. Mein argentinischer Kame-rad aber alarmierte sofort seine Leute, um den India-nern nachzusetzen. Sein Appell brachte aber nur sechsMann zur Stelle. Die übrigen vierzehn Soldaten befan-den sich bei einer indianischen Festlichkeit in den Dör-fern. Grund genug, um Vorsicht zu üben. Davon wollteaber mein Kamerad nichts wissen. Er rief einen Leut-nant herbei und befahl:

»›Reiten sie, so schnell Sie können, in das indianischeLager und alarmieren Sie unsere Leute. Sie müssen oh-ne Verzug im Laufschritt hierher zurückkehren.‹

»Auch der Leutnant, ein im Grenzdienst groß ge-wordener Soldat, wagte Vorstellungen. Ich unterstütz-te ihn, indem ich vorgab, unsere Pferde seien draußenim Corral . . .

»›Dann sollen die verräterischen Hunde da drübenwenigstens einen Denkzettel bekommen,‹ rief der Ar-gentinier. Er lief bis zu dem Punkte, an dem der Flußnach größerer Biegung wieder in die Nähe unseresForts fließt, um hier die Eingeborenen anzugreifen. Erkam dort an, als eben der letzte Einbaum wieder demandern Ufer zustrebte. Ohne den Mann auch nur anzu-rufen, feuerte er hinter den Indianern her . . .

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»Der Erfolg dieser Unbesonnenheit war furchtbar.Noch war der Schall der Schüsse nicht verhallt, dagellte vom Flusse her ein vielstimmiger Wutschrei. Soentsetzlich, so markerschütternd, wie ihn nur Indianerausstoßen können. Wie ein Flugfeuer pflanzte sich derSchrei im Walde fort . . .

»Ich ließ sofort meine Leute alarmieren und die Toreder Festung schließen. Jeder Mann erhielt seinen Po-sten mit genauen Instruktionen, von meinen Leutenfehlten noch sechs Mann . . .

»Nach dem fürchterlichen Geheul legte sich geister-hafte Ruhe über Wald und Fluß. Kein Laut drang vonaußen zu uns. Der argentinische Leutnant trat zu mirund sagte mit bebender Stimme:

»›Gott sei ihrer Seele gnädig! Die Folterqualen wer-den ihnen erspart geblieben sein!‹

»Ich starrte den Mann an, als ob er im Irrsinn sprä-che.

»›Sie wollen doch nicht sagen, daß unsern Kamera-den im Dorfe Gefahr droht?‹

»›Jetzt nicht mehr, sie haben es bereits überstanden.Nur für den Oberst fürchte ich . . . ‹

»›Um Gottes willen, Kamerad, malen sie den Teufelnicht an die Wand, wenn der Oberst nicht in zehn Mi-nuten hier ist, dann suche ich ihn mit meinen Leuten.Ich kann und werde ihn nicht im Stiche lassen!‹

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»Die Antwort des Offiziers ging in einem fürchterli-chen Schmerzensgeheul unter, das jetzt aus allen Tei-len des Waldes in unsere Ohren gellte. An vielen Stel-len flammten helle Feuer auf, und bei dem loderndenLichtscheine bot sich unsern Augen ein entsetzlicherAnblick. An den von den Feuerzungen beleckten Stäm-men hingen, mit dem Kopfe nach unten, die sich inwahnsinnigem Schmerze krümmenden Körper unsererSoldaten. Umtanzt von den jubelnden Wilden, dientensie deren Pfeilen als Zielscheibe . . .

»Vom Rachedurst übermannt, schrie ich meinen Leu-ten zu, auf die Unmenschen zu zielen, um sie von ih-rem höllischen Vorhaben abzubringen. Aber der Argen-tinier fiel mir in den Arm.

»›Tötet zuerst unsere armen Kameraden und erspa-ren sie ihnen die Qualen eines langsamen Feuertodes,‹sagte er und nahm einen Karabiner, um den Anfang zumachen.

»›Nein, nein, wir wollen die Leute retten, befreien.Wir machen einen Ausfall . . . ‹

»›Was wollen wir gegen die Hunderte von Wildenausrichten, die uns bereits umzingelt haben und unsbeim Oeffnen der Tore niedermetzeln? Nehmt die Ka-rabiner, Leute, und erzeigt euren Kameraden den letz-ten Liebesdienst!‹

»Das Schmerzensgeschrei erfüllte den Wald bis inseine innersten Winkel. ›Tötet mich! Um der heiligenJungfrau willen tötet mich!‹ gellte es zu uns herüber.

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»Dem konnte keiner von uns widerstehen. Der Offi-zier gab den ersten Schuß ab und befreite damit einenlieben Freund von seiner Höllenpein. Zwanzigmal warfdas Echo den Schall unserer Schüsse zurück – dannbrach ich in die Knie und bat weinend den Allerhöch-sten Richter um Verzeihung für meine Tat . . . «

Eine Pause entstand, während der unser Tischgenos-se, bleich wie ein Toter, den starren Blick in die Weiterichtete. Ich drückte ihm wortlos die Hand . . .

»Ich bin noch nicht zu Ende,« begann er aufs neue.»Das Furchtbarste kommt noch! – Unsere Schüsse hat-ten die Indianer doch wieder zur Besinnung gebracht.Daß jeder Schuß traf, mochte ihnen wohl zu denkengeben, und da keiner von den ihrigen durch unsere Ku-geln verletzt worden war, hegte ich die Hoffnung, daßsie uns nicht weiter belästigen würden. Der argentini-sche Offizier kannte sie besser, die Wilden.«

»›Eher läßt Sie das Krokodil wieder aus seinem Ra-chen, als daß der Indianer seine sichere Beute freigibt,‹sagte er auf meine Bemerkung. ›Telegraphieren sie anden nächsten Posten um Hilfe und rasch, bevor die Wil-den den Draht zerschneiden.‹

»Wie gut der Rat war, zeigte die nächste Viertelstun-de. Eben hatte der Posten im Fort Guachalla seine Hilfezugesagt, als mitten im Gespräch der Draht riß. AuchAsuncion vernahm noch meinen Hilferuf, konnte abernicht mehr antworten. Damit war der Beweis geliefert,daß man einen Sturm auf unser Fort plante. Ich prüfte

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die Verteidigungsmittel. Sie waren in gutem Zustan-de. Die drei Geschütze bestrichen den Fluß nach dendrei Richtungen, aus denen ein Angriff erfolgen konn-te. Nach der Landseite hin waren sie nicht zu gebrau-chen, weil der Wald bis dicht an das Fort heranreichte.Ursprünglich hatte man ihn wohl gefällt, um auch frei-es Schußfeld nach Norden zu haben. Im Laufe der Zeitwar es aber vernachlässigt worden. Jeder Postenkom-mandant war froh, wenn seine Zeit vorbei war, und inseinen Rapporten, die wohl kaum jemals durchgelesenwurden, fand sich nichts über das wieder bewachseneGlacis. Es kam auch niemals zu ernsten Zusammenstö-ßen in Intermedio, und so ließ man den Dingen ihrenLauf.

»Mir blieb es vorbehalten, die Folgen der Unterlas-sungssünde zu tragen. Meine Besatzung bestand mitden Argentiniern aus vierunddreißig Mann, von denenaber kaum ein Dutzend ›Pulver gerochen‹ hatten. Dieübrigen waren junge Leute, die eben aus der Kasernekamen.

»Bei der Beratung über einen Verteidigungsplanmachte der argentinische Offizier den Vorschlag, einenBoten an den etwa achtzig Kilometer vom rechtenFlußufer entfernten argentinischen Posten Dragonoszu senden. Es fand sich auch ein Läufer, der den Weg inzwei Tagen zurückzulegen versprach. Kaum zeigte sichaber der Kahn auf dem Strom, als ein Hagel von Spee-ren aus den Büschen auf ihn herabregnete. Ernstlich

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verwundet, erreichte er mit knapper Not das schützen-de Tor. Der Kahn wurde Beute der Indianer.

»Wir verbrachten die Nacht in steter Erwartung einesAngriffes. Keiner schloß ein Auge. Erst als das helle Ta-geslicht eine gute Fernsicht gestattete, legten sich diemeisten der Leute zur Ruhe. – Sie war ihnen aber nichtgegönnt. Aus dem Walde gellte plötzlich der Kriegs-schrei der Indianer. Sie sprangen in Deckung der Bäu-me bis dicht unter die Mauern des Forts und versuch-ten Feuer an das massive Eingangstor zu legen. DerVersuch kostete sie vier Tote und eine Anzahl Verwun-deter. Das machte sie vorsichtiger. Der nächste Angrifferfolgte von den Wipfeln der Bäume aus. Unbemerktvon uns hatten sie sich in den Kronen festgesetzt, undauf ein Signal flog ein Hagel von Speeren und Pfei-len mitten in meine Leute, die eben zum Appell an-getreten waren, wir hatten sieben Verwundete zu be-klagen. Aber auch der Feind mußte seine Tollkühnheitschwer büßen. Mancher Körper wälzte sich in dem ho-hen Grase und, was für die Indianer das Empfindlichstewar, wir verhinderten sie, ihre Toten zu bergen. In derfolgenden Nacht erfolgte eine Demonstration von derWasserseite her. Mein argentinischer Kamerad ließ sichjedoch nicht täuschen. Während er wenige Soldatenauf den Lärm mit Schnellfeuer antworten ließ, bezoger selbst mit den kampferprobten Argentiniern den Po-sten auf den Mauern des Forts nach der Waldseite hin.Dort glitten denn auch Schwärme von Wilden durch

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das hohe Gras. Alle drängten nach dem Tore, das ineinem Anlauf genommen werden sollte.

»Da plötzlich gellte vom Wasser her ein vielstimmi-ges Geheul, das, durch das Echo des Waldes verstärkt,eine große Aktion vortäuschen sollte. In demselbenAugenblick wurde das Gras vor dem Tore lebendig, wiein einem Ameisenhaufen wimmelte es da unten vondunklen Leibern . . .

»Jetzt kam das Signal zur Abwehr. Ein Pfiff des Offi-ziers, und nun hielt der Tod reiche Ernte unter den In-dianern. Wohl versuchten sie mit seltener Hartnäckig-keit, in den Fugen des Holzwerkes Halt zu finden. Aberjeder Feind, der sich um Handbreite über das Gras er-hob, stürzte lautlos oder mit stöhnendem Todesschreizurück.

»Längst hatten die auf der Flußseite Nachricht vonder bedrängten Lage ihrer Stammesgenossen bekom-men. Sie wollten ihnen Hilfe bringen und faßten dentollkühnen Entschluß, in ihren Einbäumen dicht hin-ter dem Fort zu landen. Dadurch gerieten sie aber inden Bereich des Geschützes. Und nun hörten sie, wohlzum ersten Male in ihrem Leben, den Donner der Ka-none, der sich krachend im Walde brach. In das Angst-geheul der Wilden mischte sich das Wimmern der vonden streuenden kleinen Kugeln getroffenen Eingebore-nen, und bis zu uns herüber hörte man das Aufschla-gen der Krokodile auf dem Wasserspiegel, die sich umdie unverhoffte Beute stritten.

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»Nun hatten wir Ruhe, das heißt, der Angriff er-neuerte sich während des folgenden Tages nicht. Wohlaber setzten die Indianer ihre Taktik ständiger Beun-ruhigung fort, so daß wir kein Auge schließen konn-ten. Wir waren indessen derart ermüdet, daß wir sogarwährend des Feuerns einschliefen und dort niedersan-ken, wo wir standen.

»›Wir müssen uns Luft schaffen,‹ sagte ich beimnächsten Kriegsrat zu meinen Offizieren. ›Der Windweht von Süden her. Laßt uns das Gras anzünden undden Wald abbrennen. Während der Zeit wagt sich keinIndianer heran und wir können wenigstens einmal aus-schlafen.‹

»Der Argentinier ließ sofort ein Bündel dürren Hol-zes zusammenraffen. Er tränkte es mit Petroleum, undals die Flamme prasselnd emporschoß, warf er es überdas Tor in das hohe Gras. Sofort fing dieses Feuerund bald stand der Wald ringsum in Flammen. Schonglaubten wir uns der so nötigen Ruhe hingeben zu dür-fen, da gaben uns die Indianer einen Beweis, daß ihnendoch noch andere Wege offenstanden. Als ich in meinZimmer trat, grinste mir dort ein grausiges Bild entge-gen – der Kopf des Obersten, grauenhaft verstümmelt.

»Wie und auf welchem Wege er dorthin gelangt,konnten wir nicht erfahren, wir durften uns aber derso heiß ersehnten Ruhe nicht hingeben, denn wenn eseinen Weg ins Fort gab, der einen Mann hereinlassenkonnte, so war er auch für den ganzen Stamm offen.

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Mit peinlichster Sorgfalt suchten wir jeden Winkel un-serer Festung ab. Keine noch so winzige Oeffnung ent-ging unsern Blicken – umsonst! Das Rätsel blieb einst-weilen ungelöst!

»Die Entdeckung oder wohl richtiger gesagt, derMißerfolg rief unter meinen Leuten große Entmuti-gung hervor. Der so dringend notwendige Schlaf warwiederum in Frage gestellt, schon erhoben die argen-tinischen Soldaten die Stimme und drangen in ihrenLeutnant, durch ein Ausfallsgefecht den Feind nach-drücklichst zu vertreiben – da machte ich beim Appellden unseligen Vorschlag, zwölf Mann zu einem sechs-stündigen Schlaf in die Kasematten zu schicken. MitSonnenuntergang sollte die gleiche Anzahl Kameradender Gunst teilhaftig werden. – Das Los entschied. ZwölfArgentinier stürzten mit einem Jubelruf davon. Als ichnach zehn Minuten hinüberging, um nach dem Rech-ten zu sehen, lagen sie alle im tiefsten Schlafe . . . Esgab kein Erwachen mehr für sie.

»Um 7 Uhr, nach dem Abendappell, wurde derDienst für die Nacht verteilt. Hierauf fand die Auslo-sung der Soldaten statt, denen die Wohltat des Schlafeszufallen sollte. Ein Sergeant wurde abgesandt, um dieArgentinier zu wecken. – Er blieb lange aus. Endlichsah ich ihn auf der oberen Stufe der Kasemattentreppe

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stehen. Ein Lachen des Irrsinns lagerte auf dem brau-nen Gesichte. Er hielt sich mit der Rechten am Gelän-der und winkte mit der Linken einen Gruß, schneidendklangen die rauhen Worte, die seine Geste begleiteten:

»›Alle im Himmel! Alle schlafen! Gute Nacht, Ka-pitän!‹ Ein gellender Schrei schloß den Ausruf. Dannbrach der Aermste, wie von einer Kugel gefällt, in sichzusammen!

»Natürlich stürzten wir alle hinüber, um ihm Hilfezu bringen. Ein paar Mann rannten die wenigen Stufenhinab, um die Kameraden zu holen. Aber auch sie ka-men zitternd, mit blutleeren Lippen und stierem Blickzurück. Einer stammelte die Worte:

»›Das Unglück, Kapitän! Alle tot, alle ermordet!‹»Ich traute meinen Ohren nicht. Mit drei Sprüngen

stand ich in dem halbdunklen Raume. Vom grellen Ta-geslicht geblendet, tastete ich mich an die Lagerstät-ten heran. Ich fühlte einen Körper, eine Hand – kaltund starr! Nun unterschied ich auch die fürchterlicheWirklichkeit. Dem Körper fehlte der Kopf! Ein Schau-der durchrieselte meine Glieder. Hastig riß ich meinFeuerzeug hervor. Und da bot sich mir ein Schauspiel,so entsetzlich, so grausig, daß ich es wohl nie verges-sen werde. Alle zwölf Soldaten waren auf ihren Lager-stätten ermordet worden. Die Köpfe hatte man vomRumpfe getrennt und aufrecht neben die Leichen ge-stellt! Und dieser zwölffache Mord konnte verübt wer-den, während wir oben unserem Dienste nachgingen

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und jede Bewegung im Gesichtskreise genau verfolg-ten!

»Die Wirkung dieser Schandtat auf die Gemüter un-serer Soldaten war niederschmetternd. Keiner wagtemehr die Kasematte zu betreten, wenn nicht ein Kame-rad mit geladener Waffe neben ihm ging. An Schlafenin dem Raume dachte keiner mehr. Einige besondersabgespannte Leute suchten ein paar Stunden Schlum-mer neben den Schildwachen, andere verkrochen sichim Munitionslager und ließen hier einen Kameradenstrenge Wache halten. Ich selbst aber und der argen-tinische Leutnant, wir betrachteten es als eine Ehren-pflicht, den oder die Täter abzufangen und sie auf demGrabe unserer ermordeten Kameraden hinzurichten.

»Unter den Lagerstätten, in entgegengesetzten Eckendes Raumes, legten wir uns auf die Lauer. Jeder trugdie Waffe schußbereit. Wir konnten den ganzen wei-ten Raum bestreichen, ohne uns selbst der Gefahreiner Schußverletzung auszusetzen. Für den Einzel-kampf besaßen wir den kurzen Dolch. – So verbrach-ten wir regungslos die langen Stunden der Nacht. Esmochte um die vierte Morgenstunde sein, da hörte ichein leises Geräusch. Irgendwo schien eine Ratte an ei-nem Brett zu nagen. Natürlich strengte ich alle Sinnean, um zu sehen, wo der Nager die sehr starke Stein-mauer durchbrochen hatte, sonst wäre es dem Tierenicht möglich gewesen, an den Bohlenbelag zu gelan-gen, der als Fußboden und Wandverkleidung diente. –

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Das Geräusch nahm an Stärke zu. Immerhin konnte esnur der vernehmen, der sich darauf eingestellt hatte.Die gleichmäßige Arbeit aber, und die Beharrlichkeit,mit der sie fortgesetzt wurde, ließ mich indessen dar-an zweifeln, daß eine Ratte als Urheber in Frage kam.Meine Zweifel wurden zur Gewißheit, als in der mirgerade entgegengesetzten Ecke ein feiner, heller Strahlüber den Boden zitterte. Er verschwand sofort wieder,aber ich wußte jetzt genug. Wie der Panther, der aufseine Beute lauert, kauerte ich mich auf den Estrich, inErwartung des Augenblicks, wo sich der Wilde in gan-zer Figur zeigte.

»Er schien seiner Sache sicher zu sein, denn er arbei-tete unentwegt weiter, von Zeit zu Zeit flatterte wiederder bleiche Strahl für den Bruchteil einer Sekunde auf.Wahrscheinlich lauschte der Indianer auf irgendwelcheGeräusche oder sein Auge suchte in das Innere zu drin-gen.

»Mit einem Schlage erweiterte sich die Oeffnung. Einbreiter Lichtstrahl flammte auf und erlosch sofort wie-der. Ein Körper blendete das Außenlicht ab. Ich fühlte,daß wir nicht mehr allein in dem Raum waren, dochsah ich weder die Umrisse eines Menschen, noch ver-nahm ich dessen Atemzüge. Und doch leitete mich ein

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Umstand, den der nächtliche Besucher nicht in Berech-nung gezogen hatte – die Ausdünstung der Wilden. Nä-her und näher kam mir der Wilde. Meine Hand krampf-te sich um den Griff der Waffe. In der nächsten Sekun-de würde er unter meinem Dolche fallen . . .

»Da zischte ein Fluch durch die Luft. Ein Röcheln– ein Fall! ›Hierher, Kapitän, ich habe ihn!‹ rief leiseder Argentinier. Ich zündete ein Streichholz an undsah nun in das von Mordlust entstellte Gesicht einesHäuptlings, der wochenlang in unserm Fort aus- undeingegangen war.

»›Haben wir dich endlich, du Schurke!‹ entfuhr esmir ziemlich laut, indem ich den Lasso vom Bett nahm,um den Wilden zu binden.

»›Nicht so laut, Kapitän,‹ raunte mir der Offizier zu.›Es sind noch ein paar in der Nähe. Laßt mich diesenherausschaffen, dann fangen wir auch die andern.‹

»Leider kam es nicht dazu, denn der Wilde fand Zeit,einen eigentümlichen Laut auszustoßen, der seine Be-gleiter warnte. So angestrengt ich auch auf das kleinsteZeichen wartete, so mußte ich mich doch schließlichmit der Tatsache abfinden, daß wir auf keinen weite-ren Besuch zu rechnen hatten.

»Der Zornesausbruch, mit dem meine Soldaten denGefangenen begrüßten, mochte diesem wohl einenVorgeschmack von der Strafe geben, die man für ihnausgedacht hatte. Er machte die verzweifeltsten An-strengungen, um sich seiner Fesseln zu entledigen, und

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als er die Unmöglichkeit dazu einsah, stieß er seinenweithin vernehmbaren Kriegsruf aus, der von allen Sei-ten ein gellendes Echo fand. – Jetzt erkannten wir denZweck des nächtlichen Besuches. Der Häuptling woll-te es übernehmen, seinen Kriegern Eingang in das Fortzu verschaffen. In groß angelegtem Angriff sollten wirniedergemetzelt werden. Es kam anders. Während dieerbitterten Soldaten die drei Geschütze auf die von derFlußseite herbeiströmenden Wilden richteten, wüteteein Schnellfeuer unter den, der Deckung des Grasesberaubten Indianern, die das Fort vom Lande her stür-men wollten. Dort hatten wir einen schweren Stand.Obwohl unsere Kugeln große Lücken in die Reihen derWilden rissen, spie der Wald immer neue Massen vonIndianern auf den Platz. Einigen gelang es sogar, dasgroße Tor zu erklettern, und wenn es auch nur ei-nem einzigen geglückt wäre, die inneren Riegel zu-rückzuschieben, so war unser Schicksal besiegelt. Aberder Mann, der dort wachte, verlor seine Kaltblütigkeitnicht. Jeder Kopf, der sich auf der Innenseite des Toresgegen den Himmel abhob, wurde die Beute der siche-ren Büchse . . .

»Der Tag neigte sich seinem Ende zu, und immernoch wütete der Kampf. Die Gewehrläufe waren soheiß, daß man sie kaum noch berühren konnte, trotzsteten Wechsels der Waffe. Mit wachsender Besorgnissah ich der Nacht entgegen . . .

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»Da, in höchster Not, sandte der Herr die Rettung,vom Flusse her knatterten Gewehrsalven. Die Kamera-den vom Fort Guachallo kamen uns mit fünfzig Mannzu Hilfe. Der kommandierende Oberst ließ seine Trup-pen landen. Und nun öffneten auch wir unser Tor zumAusfallsgefecht . . .

»Das Gemetzel war kurz, aber blutig. Ehe die Son-ne hinter den Bergen verschwand, waren wir wiederHerren des Forts, viele Leichen bedeckten den Platz,Indianer sämtlicher Stämme des Chaco, selbst die Chu-quisaca von Bolivien sahen wir unter den Toten. Aberauch auf unserer Seite waren die Verluste stark. Diewenigen Leute, die sie heute sahen, sind die einzigenUeberlebenden meiner Truppe, von den Argentiniern,die mit mir die Schreckenstage im Fort teilten, lebt kei-ner mehr . . . Vorgestern abend traf auch der Dampfervon Asuncion ein. Die Besatzung war Zeuge der Hin-richtung des Häuptlings. Dann übergab ich mein Kom-mando meinem Nachfolger . . . «

Die Erzählung hatte mich stärker angegriffen, als iches vor meinem Begleiter Neumann eingestehen woll-te. Daß nach dem Vorgefallenen von einem Besuchedes Chaco keine Rede mehr sein konnte, war selbst-verständlich. Ich wagte es gar nicht, dem Kapitän einediesbezügliche Frage vorzulegen, die übrigens schonihre Beantwortung fand durch die Schlußfolgerung,die der Erzähler an seinen Bericht knüpfte. Er ließ dieWorte fallen:

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»Morgen muß ich meine vorgesetzten Behörden aufdie große Gefahr aufmerksam machen, in der jetztdie Indianermission in Mangyalwa schwebt. Auch diefremden Kolonisten am Rio Fogones müssen geschütztwerden, denn nach dieser verlorenen Schlacht werdendie Weißen unter der Rache der Wilden leiden müs-sen.«

Als wir zu später Stunde unsere Herberge aufsuch-ten, tauchte eine dunkle Gestalt vor uns auf, die uns indeutscher Sprache anredete. Es war der Indianer vomDampfer.

»Wenn der Herr mich noch haben will, dann nehmeich die Stelle als Diener an. Aber der Herr müßte einenTag warten, weil ich meinen Bruder sehen muß, derverwundet in der Kaserne liegt. Er war in einen Kampfmit Indianern des Chaco verwickelt . . . «

»Ich kenne die Geschichte bereits, muchacho,« erwi-derte ich. »Es eilt mir nicht mehr so mit der Weiterreise,aber ich will dich dennoch in meine Dienste nehmen.Frage morgen abend noch einmal hier an.«

»Wollen sie sich wirklich dem Menschen anvertrau-en?« fragte Neumann, als das nächtliche Dunkel denPeon aufgesogen hatte.

»Ja, warum nicht? Gefällt Ihnen dieser Mann nicht?«»Er hat doch einen umgebracht!«»Lieber Kollege!« rief ich lachend, »wenn sie das ab-

hält, einen Peon zu mieten, dann werden sie hierzulan-de nicht viele Diener finden. Dieser sagt es wenigstens

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offen heraus, und das gefällt mir an ihm. Wie viele abersuchen hinter einer ehrlichen Miene den Mordgesellenzu verstecken?!«

»Immerhin denke ich es mir unheimlich, wenn ichneben einem solchen Menschen im Walde schlafensoll!«

»Aber in dieser Spelunke fühlen Sie sich sicher? Undglauben Sie wirklich, daß keiner der rauhen Gesel-len, die da mit uns unter einem Dache, fast in einemRaume, schlafen, das Leben eines Mitmenschen aufdem Gewissen hat? – So zartfühlend dürfen sie nichtsein, wenn sie die Welt und ihre Wildnis durchwan-dern wollen. Jedes Land und jede Menschenrasse hatda andere Begriffe und Anschauungen, die sehr oft un-sern deutschen diametral gegenüberstehen. Dennochgibt es unter solchen und besonders unter den soge-nannten ›Wilden‹ Menschen, die manchen Kulturjün-ger weit in den Schatten stellen.«

»Diese Ansichten wurden mir schon einmal von ei-nem, der es wissen muß, auseinandergesetzt, undwenn ich es recht bedenke, dann stimmen damit auchdie Erfahrungen überein, die ich drüben an der West-küste machte – aber immerhin . . . «

»Sie stehen noch unter dem Eindruck der Indianer-geschichte, die uns der Kapitän erzählte, lieber Kollege.Morgen, bei hellem Sonnenlichte, denken sie andersdarüber.«

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»Das glaube ich kaum, wenn ich an die bestiali-sche Grausamkeit der Indianer denke, dann möchte ichdoch denen zustimmen, die das Aussterben der Rassewünschen.«

»Auch da würde ich widersprechen. Was würden Sietun, wenn ein fremder Eindringling Sie mit Waffen-gewalt aus Ihrem Besitztum verjagt? Würden Sie ihmdarob zürnen? Und wenn er Ihre Angehörigen ermor-det und schändet, würden Sie ihm dafür noch die Handküssen? Oder würden sie ihm beistimmen, wenn ersagt, Ihre Familie, Ihre Rasse müßte ausgerottet wer-den? – In dem Falle befinden sich die Indianer. Ich fürmeinen Teil kann es ihnen nachfühlen, wenn sie sichmit allen Mitteln gegen die Eindringlinge wehren.«

Am folgenden Morgen waren die beiden Zeitun-gen der Hauptstadt voll von abenteuerlichen Berich-ten über die Kämpfe am Fort Intermedio. Noch eifrigerwurden die Vorfälle in unserm Gasthofe besprochen,denn gerade das Gebiet brachte große Mengen des Yer-ba Maté hervor und unsere Tischgenossen standen imBegriff, dahin abzureisen. Das Gespräch vom gestrigenAbend, in dem ich die Partei der Indianer genommenhatte, wurde durch mein Erscheinen in dem Schan-kraume den Yerbateros wieder ins Gedächtnis gerufen.Höhnische Rufe empfingen mich:

»Was sagt denn der kluge Deutsche zu den neuestenUeberfällen seiner Freunde, der Rotfelle?«

»Geht man auch jetzt noch allein in den Chaco?«

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Ich setzte mich achselzuckend an den nächsten Tischund bestellte, da die Burschen noch ohne Getränke da-saßen, eine Runde Maté für jeden. Dadurch wurde icheiner Erwiderung überhoben. Interessant und von Nut-zen für meine Reisepläne war dagegen die Unterhal-tung, welche die Teesucher unter sich führten. Fast allekannten den Chaco von einem Ende zum andern. Man-cher hatte indianische Gastfreundschaft genossen undgerade diese Männer suchte ich unauffällig auszufra-gen.

»Glasperlen können die Roten nicht brauchen. DenSchmuck, den sich die Weiber anhängen, finden sie imWald. Aber Tabak ist sehr begehrt. Wenn Ihr wirklicheinmal mit den Wilden vom Chaco zusammentrefft,dann gebt ihnen ein Stück Tabak. Dafür tun sie alles,was Ihr von ihnen verlangt.«

»Den Karapahy Barbosas müßt Ihr etwas vorknallen,dann lassen sie Euch in Ruhe,« warf ein anderer ein.

»Natürlich muß das Fell dabei ein paar Löcher be-kommen,« fügte der größte Schreier hinzu.

»Die Dummheiten laßt lieber bleiben, Fremder,« sag-te nun ein alter Yerbatero. »Ich sehe, Ihr seid kein Hitz-kopf, versucht es im Guten mit den Rotfellen, wenn siegerade nichts Unverdauliches von den Truppen bekom-men haben – wie letzter Tage – läßt es sich schon mitihnen leben.«

Ein lärmender Trupp Soldaten trat in die Schenke,sie hatten die letzten Worte gehört und griffen sie auf.

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»Mit wem läßt sich’s leben? Mit den Rotfellen, sagstdu? – Das haben sie vor ein paar Tagen da oben bewie-sen, mi viejo! Das hättest du mit erleben sollen. Sämt-liche Indianer vom ganzen Chaco waren vor unsermFort versammelt, sogar ein paar Barbosas und Botoku-den haben wir gefangen.«

»Hm – warst du dabei, muchacho? Hast du die Bar-bosas und die Botokuden gesehen? Wie sahen sie dennaus?«

»Du fragst viel auf einmal, compañero. Werde ichdoch die Roten kennen. War lange genug in der Cha-pada alta.«

»Ich denke, die Karapahy aus jener Gegend sindChristen geworden.«

»Ja, das sind sie,« wieherte der Soldat. »Aber nurSonntags. An Wochentagen wüten sie schlimmer alsdie Heiden.«

Ich hatte genug gehört und verließ die Kneipe. Un-schlüssig wandte ich meine Schritte zum Kai. Was ichvon dem zu halten hatte, was die Soldaten sagten,wußte ich. Hätte mir nicht der Kapitän seine Geschich-te erzählt, so wäre ich auch wohl über die Zeitungs-berichte mit kurzem Lachen hinweggegangen. So aberwar es doch einer gründlichen Ueberlegung wert, obich den Marsch wagen sollte.

Aus der Menge schälte sich Neumann heraus.

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»Hierher, Kollege!« rief er. »Ich habe einen Lands-mann gefunden, der am Rio Fogones angesiedelt ist.Er will uns auf seine Farm mitnehmen.«

Ich begrüßte den jungen Deutschen mit kräftigemHandschlag.

»Sie werden mir gewiß keine Schauermären von In-dianern erzählen,« sagte ich nach den üblichen Fragennach dem Woher und Wohin. »Heute ist die Stadt vollvon Indianergeschichten. Man spricht sogar von mili-tärischem Schutze für die Kolonisten am Fogones.«

»Davor bewahre uns Gott! Lieber zehn Indianer, alsein solcher paraguayanischer Krieger. Die Rothaut fragtdoch wenigstens, bevor sie uns ein Stück Vieh davon-treibt. Der Soldat aber nimmt das beste Pferd aus demStalle und verschwindet damit, um es auf dem näch-sten Markte zu verkaufen. – Uebrigens sind wir Deut-schen Freunde der Indianer, sie wissen uns genau vonden übrigen Weißen zu unterscheiden. Nach unsernhäufigsten Worten geben sie uns den ominösen Na-men: y–a, y–a! Versuchen sie es einmal im Busche mitder Selbstbezichtigung und sie werden erstaunt seinüber die Wirkung. Allerdings wird man dann auch ver-langende Blicke nach Ihrer Tasche werfen, denn siesind gewohnt, von den Angehörigen des Stammes y–a, y–a Tabak zu erhalten.«

»Nun, das klingt schon anders,« sagte ich, als derjunge Bauer seinen launigen Bericht beendet hatte.»Ich wollte schon Paraguay beiseite lassen und mit dem

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Boot direkt nach der brasilianischen Grenze hinauffah-ren. Jetzt aber führe ich doch meinen ursprünglichenPlan aus.«

Nachdem ich diesen ausführlicher dargelegt hatte,meinte der Farmer:

»Als Naturforscher sollten sie sich unsere Berge undWälder nicht entgehen lassen, sie sind von großarti-ger Schönheit und ich bin überzeugt, daß sie es mirdanken, wenn sie auf meine Farm zurückkehren. Be-sonders Pflanzen und Blumen in seltener Pracht findensie am oberen Fogones.«

»Letzteres betrifft meinen Kollegen Neumann,« er-widerte ich, auf diesen deutend. »Ich selbst gedenkemeine Reise fortzusetzen.«

»Hm, ja! Das ist allerdings von verführerischem Reiz,was sie mir da sagen, aber . . . ich weiß doch nicht . . .die Reise ins Innere . . . «

»Geld können Sie dort gar nicht ausgeben,« unter-brach ihn der Farmer, das Zaudern mißdeutend.

Neumann lachte.»Nein, nein, Geld habe ich zur Genüge, nur . . . «»Die Indianer!« warf ich ein, indem ich dem Lands-

mann zublinzelte.»Was? Sie wollen wegen der Rothäute nicht an den

Fogones? Lieber Herr, dort oben sind sie sicherer beiNacht, als am Tage in Asuncion. Meine Hüterbubendurchstreifen die Berge und Wälder nach allen Rich-tungen, treffen auch sehr oft mit Indianern zusammen,

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aber niemals ist ihnen das geringste zugestoßen. Nein,wenn sie weiter nichts einzuwenden haben, dann be-suchen sie uns auf unserer Farm, wir sind dankbar fürjeden Besuch aus der Heimat. – Morgen früh um achtUhr geht das Boot stromauf. Darf ich sie dort erwar-ten?«

»Ich nehme für mich die Einladung dankend an,« er-widerte ich. »Allerdings habe ich einen Diener enga-giert, der mich begleiten wird . . . «

»Einen Diener?« unterbrach mich der Farmer. »Dochhoffentlich keinen Mulatten oder einen Mann ähnli-cher Herkunft?«

»Er ist ein Indianer, ein Karapahy Pidma, dessenStamm jetzt am Rio Apa angesiedelt ist, nachdem manihn vom Fogones verjagt hat. Er scheint ein guter Kerlzu sein.«

»Na, ich weiß doch nicht . . . ,« warf Neumann ein.»Nun, daß er einen Weißen im Streit erstochen hat,

rechnet man doch hier nicht zu den Schandtaten?«»Nein, darin haben sie recht,« entgegnete der Far-

mer. »Es fragt sich nur, aus welchen Beweggründen dieTat geschah, wenn nicht niedrige Motive die Triebfederwaren, lassen sogar die Gerichte den Täter frei.«

»Er hat mir offen gesagt, was ihn dazu trieb, und ichkann wohl sagen, daß ich in seinem Falle auch nichtanders gehandelt hätte. Im übrigen werden sie ihn jakennen lernen.«

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Fest entschlossen, am nächsten Morgen abzureisen,verabredete ich mit dem Pflanzer, der den Namen Bau-er führte, einen Treffpunkt und begab mich in Be-gleitung Neumanns in die Stadt. Mein Kollege warziemlich wortkarg. Die Entscheidung lastete schwerauf ihm. Nicht gewohnt, sich weit von der Zivilisati-on zu entfernen, schien ihm der Schritt in die Wildnisein Wagstück von größter Tragweite. Ich hütete michwohl, ihn zu beeinflussen, damit mich später, wenn wirin größere Schwierigkeiten gerieten, keine Vorwürfetreffen konnten.

Vor einem Waffenladen blieb ich stehen und sagte:»Ich will mir noch ein Säckchen mit Pulver kaufen,

damit ich mir nötigenfalls meine Jagdpatronen erset-zen kann, vielleicht finde ich auch noch anderes, dasich brauchen könnte. Treten Sie mit ein?«

»Ich brauche Kugeln zu meinem Winchester,« erwi-derte Neumann. »Ob ich die wohl hier bekomme? Wie-viele muß ich wohl mitnehmen?«

»Wohin? Reisen sie mit uns?«»Allerdings. Wenn ich das finde, was mir der Farmer

am Fogones verspricht, dann schließe ich mich bis zurbrasilianischen Grenze an. Das Gebirge, die Chapadaalta, soll ja fast menschenleer sein?«

»Darüber bin ich nicht unterrichtet. Im allgemeinenzerbreche ich mir nicht den Kopf um solche Dinge. Daich mich vollständig auf mich selbst verlasse, ist es mirziemlich gleichgültig.«

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»Aber sie brauchen doch hin und wieder Ihre Mit-menschen. Sie können doch unmöglich die ganzen Be-dürfnisse einer so langen Reise mit sich führen?«

»Warum nicht? Lebensmittel liefert mir der Wald.Wo keine Menschen sind, brauche ich auch keine Rück-sichten auf die Bekleidung meiner äußeren Erschei-nung zu nehmen. Ein paar Reservestücke sind im Ruck-sack. Auch Seife und Salz finde ich im Walde. Das ein-zige, um das ich mich sorge, ist die Munition. Und da-von habe ich ein schönes Gewicht bei mir.

»Sie können doch Ihre Speisen nicht roh essen? Werwäscht Ihnen Ihre Wäsche? Wo geben sie Ihre Briefeauf?«

»Auch das ist leicht zu beantworten. Wie sie bereitsgesehen haben, führe ich einen Topf mit mir. In demkoche ich meinen Kaffee, meine Suppe, meinen Fischund was ich sonst brauche. Wenn ich mein Wild nichtam Spieß braten kann, hilft der Topf aus. Während dievon mir gewaschenen Kleider in der Sonne trocknen,mache ich einen Spaziergang in der Tracht der Wilden.Briefe schreibe ich während eines so langen Marschesnicht. Die, die Interesse an mir haben, wissen nicht ein-mal, wo ich mich gerade aufhalte. Daß ich zwischendem La Plata und dem Maranhon herumstreife, weißman allerdings und das muß genügen, denn etwas an-deres kann ich selbst nicht vorher wissen, da ich meineEntschlüsse von Ort zu Ort fasse.«

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»Soweit bin ich allerdings noch nicht vorgeschritten– oder soll ich es einen Rückschritt nennen? – meinlängster Aufenthalt in unzivilisierten Gebieten beliefsich auf fünf Tage – und die genügen mir schon.«

»Dann werden sie sich allerdings auf manche Ue-berraschung gefaßt machen müssen, lieber Neumann,denn so eilig habe ich es nicht, wieder in die Grenzender Kultur zurückzukehren. Ich atme immer auf, wennich sie weit hinter mir weiß. Auch diesmal brenne ichdarauf, wieder den menschenleeren Wald um mich zusehen. Das Bewußtsein, auf hundert Kilometer in derRunde keinen kultivierten Menschen zu haben, wirktbefreiend auf mich.«

»Und die Indianer?«»Gehören zu dem Bilde, wie der Jaguar, der Puma

und die harmlosen Tiere der Tropenzone. Sie störenmich nicht, und da ich nie Händel suche, und michbei dem roten Manne immer als Gast fühle, kommeich nicht mit ihm in Streit. Ich tauche bei den India-nern auf und verschwinde wieder, wie das Meteor imAethermeere.«

»Wenn das alles so einfach wäre, dann möchte ichwohl einige Wochen mit Ihnen reisen. Von Natur binich schweigsam und vermisse die Ansprache andererMenschen nicht. Also stört mich die Ruhe des Waldesnicht. Nur bin ich von meiner Ausbeute abhängig. Diegesammelten Orchideen müssen rasch verpackt undversandt werden. Alle zwei bis drei Wochen muß ich

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eine Poststation erreichen können, wenn das auf IhrerRoute möglich ist, und Sie mich haben wollen, dannsage ich ja.«

»Schön, dann werde ich meinen Diener mit der Su-che nach einem Peon für Sie beauftragen. Ist Ihnen dasrecht?«

»Wenn Sie keine Gefahr darin sehen, daß wir statteinem, dann zwei Halbwilde bei uns haben, ja!«

»Nein, lieber Kollege, wir haben von den Eingebore-nen nichts zu fürchten. Eher das Gegenteil. Nach denersten Stunden im Walde werden Sie einsehen, daß esnicht weise ist, mit uns anzubinden. Sie würden auchohne uns nicht wieder aus dem Walde herauskommen.– Also bleibt es bei der Verabredung.«

Beim Postamte ist eine Art Schreibzimmer eingerich-tet. Dort war ich gerade mitten in der Erledigung not-wendiger Briefe, als der neue Diener neben mir auf-tauchte.

»Ich melde mich zum Dienste, Herr,« sagte erschlicht, »wo soll ich auf den Herrn warten?«

»Wie heißt du eigentlich, muchacho?«»Mein spanischer Name ist Gil. Bei den Jesuiten hei-

ße ich Geronimo.«»Dann ist mir Gil schon lieber! Also merke auf: Ich

nehme dich in meine Dienste bis zum Rio Apa. Dumußt mir die Arbeiten leisten, die ich von dir verlan-ge. Wir durchstreifen nur solche Gebiete, die möglichstwenig oder nie von Weißen betreten werden, schlafen

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unter einem Dache, wenn ein solches gerade zur Handist, oder unter einem einfachen Rancho. Deine Verpfle-gung ist dieselbe, wie ich sie habe. Wie lange die Reisedauert, weiß ich nicht. Für den Tag erhältst du einenhalben Peso Papiergeld und wenn ich am Ende der Rei-se mit dir zufrieden bin, so bekommst du fünf Gold-pesos extra. Außerdem kaufe ich dir eine vollständigneue Bekleidung. Sage dem Deutschen in dem Ladenam Hafen, er solle etwas heraussuchen. In einer halbenStunde komme ich selbst. – Und dann noch eins! Derandere deutsche Herr begleitet mich. Kannst du ihmeinen zuverlässigen Diener verschaffen?«

»Ja, gewiß, Herr,« antwortete er eifrig. »Mein Brudergeht mit.«

»Ich denke, der ist Soldat und verwundet?«»Allerdings, Herr. Die Wunde ist nicht so schlimm.«»Aber er kann doch seinen Dienst nicht ohne weite-

res verlassen.«Ein pfiffiges Lächeln glitt über die Züge des India-

ners.»Er wird zur Stelle sein, wenn der Herr ihn mietet.«»Meinetwegen also. Das ist seine Sache, wie er sich

mit seinem Obersten auseinandersetzt.«In unserm Absteigequartier erregte unsere Reise in

das Gebiet der Indianer großes Aufsehen. Der Brotneidregte sich. Ein paar der Burschen glaubten Yerbasucherin uns sehen zu sollen, die einen Pakt mit den India-nern gemacht hatten.

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»Vielleicht habt Ihr den ganzen Aufstand angezet-telt, um freie Hand für Euere Geschäfte zu haben!« riefeiner mir zu.

»Oho! Das wäre noch schöner, wenn uns die Frem-den auch den Verdienst noch nähmen!« scholl es zu-rück. »Laßt uns die Beiden verfolgen! Wir finden dannschon, was wir suchen!«

Anfangs überhörte ich die Reden. Als sich aber einerder Teesucher drohend vor mir aufstellte, stand auchich auf und sprach mit energischem Tonfall in der Stim-me:

»Hört mich an, Yerbateros. Ich reise an die brasilia-nische Grenze. In die Chapada Alta. Ich nehme als Be-gleiter diesen deutschen Naturalista mit mir und zweiDiener. Ich treffe auch unterwegs mit keinem Men-schen zusammen, der Euch Schaden zufügen könn-te. Ich kenne keinen Capataz und, außer Euch, keineTeesucher. Also laßt mich zufrieden. Sollte Euch abermeine Rede noch nicht überzeugt haben und wollt Ihrmich aus reiner Bosheit gewaltsam in meinem Treibenhindern, dann muß ich mir leider mit Gewalt meineRuhe verschaffen, und ich versichere Euch, ich kanngut schießen!«

Damit drehte ich der Gesellschaft den Rücken undschritt dem Verschlage zu, in dem Neumann hastig seinGepäck ordnete.

»Sie brauchen sich nicht zu beeilen, Kollega,« sagteich mit erhobener Stimme in spanischer Sprache. »Die

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Yerbateros sind jetzt unterrichtet und werden uns nichtweiter stören.«

Diese Worte standen allerdings im Widerspruch mitdem wüsten Lärm, den meine Ansprache im Schan-kraum hervorgerufen hatte. Stimmen der Entrüstungüber meine offene Drohung vermischten sich mit rohenspanischen Flüchen und Verwünschungen. Ein paar be-sonders vorlaute Burschen kamen in unsere Türe undergingen sich in den ausfallendsten Redensarten. Ichließ sie eine Weile unbeachtet, bis sie, von den Kum-panen aufgestachelt, in den Raum traten. Nun zog ichden Revolver und sagte mit der äußerlich größten Ru-he:

»Ihr wißt, muchachos, daß Ihr fremde Räume nichtunaufgefordert betreten dürft. Ihr wißt auch, daß ichnach dem Gesetze das Recht habe, Euch niederzuschie-ßen. Wenn ich das nicht tue, so nehme ich Rücksichtauf Euere Arbeitslosigkeit, die Ihr selbst ja nicht ver-schuldet habt. – Nun aber hört endlich auf mit der Be-lästigung. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn un-ser Boot geht morgen früh stromauf. – Wenn Ihr nocheinen Maté auf unsere Gesundheit trinken wollt, sowill ich es dem Wirt sagen. Aber wir müssen Freundebleiben! Verstanden?«

Die Schlußwendung verblüffte die rauhen Gesellenoffensichtlich. Schon bei den ersten Worten waren sieauf die Schwelle zurückgewichen. Nun aber machte

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der finstere Ausdruck einem Gelächter Platz, das an-fangs gezwungen, später aber, als meine Antwort denübrigen übermittelt wurde, recht ausgelassen klang.Besonders als der Wirt dem Tee noch einen kleinenAguardiente beimengte, schlug der Fremdenhaß insgerade Gegenteil um und nur mit Mühe konnten wiruns einer lärmenden Dankeskundgebung entziehen. –So dicht nebeneinander wohnen in den Seelen der rau-hen Buscharbeiter Rachedurst und Vergebung!

Der junge Farmer war schon zur Stelle, als wir einehalbe Stunde vor Abfahrt das Deck des Dampfers betra-ten. Nach dem üblichen Gruße faßte er unsere Peonescharf ins Auge.

»Den einen kenne ich,« raunte er mir zu. »Der warmit Padre Lorenzo öfter in der neuen Ansiedlung. Derjüngere hat eine große Aehnlichkeit mit einem India-ner, der uns Ansiedlern vor Jahren viel zu schaffenmachte. Es sollte mich nicht wundern, wenn das derSohn des blutgierigen Wilden ist.«

»Es sind Brüder. Der Aeltere heißt Gil, bei den Padresnennen sie ihn Geronimo. Der andere machte als Sol-dat den Indianerüberfall mit. Er ist anscheinend deser-tiert, denn gestern sah ich ihn noch in Uniform.«

»Das kommt bei uns oft vor. Ich bin nur neugierig,wie sich unsere alten Indianer, die ich auf der Farmansiedelte, zu den beiden stellen. Hoffentlich könnenSie etwaige Streitigkeiten verhüten?«

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»Sicher werde ich das können, sobald wir abgefah-ren sind, nehme ich mir die Beiden auf die Seite undsage ihnen, wie sie sich zu verhalten haben. – Wer nichtgehorcht, muß fort. Das ist ein Grundsatz, von dem ichnicht abgehe.«

Am Morgen des dritten Tages erreichten wir dieMündung des Rio Fogones in den Rio Paraguay. Einfreundliches Bild bot sich unsern Blicken, als die erstenSonnenstrahlen über die fernen Berge herüberlugten.Inmitten eines ausgedehnten grünen Parkes erhobensich die Dächer einer Ansiedlung. Jedes einzelne Hausschien von einem kunstsinnigen Baumeister der Land-schaft angepaßt zu sein. Eben stand ich im Begriff, mei-nen Begleitern meine Verwunderung über eine so un-gewöhnliche Dorfanlage auszudrücken, als der Damp-fer stoppte und seine Haltetaue ein paar kraftstrotzen-den Weißen zuwarf, die ihn mittels derselben vor ei-nem Abtreiben mit der Strömung sichern sollten. Dereine der Burschen mochte seine Aufmerksamkeit aberwohl etwas Interessanterem zuwenden, denn das Tauglitt ihm rasch durch die Hände und wäre in den Flußgefallen, wenn nicht ein müßiger Gaffer es im letztenAugenblick erfaßt hätte.

»Ja, schläfst du denn immer noch, du Dösbartel!«tönte jetzt die unwillige Stimme seines Kameradenherüber. Und nun wußte ich, daß wir uns vor der deut-schen Ansiedlung Nueva Germania befanden. Ich hatte

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sie weiter flußaufwärts vermutet, und hätte mir eigent-lich selbst sagen können, daß eine derartig sauber ge-haltene Dorfgemeinschaft nur unsern Landsleuten ge-hören konnte.

Unsere Ueberraschung stieg aber aufs höchste, alsnun der Postbeamte auf Deck kam und trotz seiner pa-raguayanischen Abzeichen mit unserm Begleiter Bauerreines Deutsch sprach. Ich konnte es nicht unterlassen,mich mit dem Manne bekannt zu machen und ihm mei-ne Freude darüber auszusprechen, daß er seine Mut-tersprache noch ohne spanische Mischwörter beibehal-ten hatte. Er nickte zufrieden und sagte:

»Darauf halten wir streng bei uns. Die Kolonie hatihren Namen nicht umsonst. Wir wollen uns und un-sern Kindern eine deutsche Heimat bewahren, und je-der, der das militärpflichtige Alter erreicht hat, wirdauf Kosten der Gemeinde nach drüben geschickt, umdort zu dienen. Jene beiden Männer am Kai müssen ineinigen Monaten fort.«

»Das ist brav gesprochen, Landsmann. Ihre Gemein-de hebt sich durch diese Grundsätze hoch über alledeutschen Ansiedlungen im Auslande empor. Ich ken-ne hunderte derartiger Kolonien in allen Teilen derWelt. Keine ist unverfälscht geblieben. Bei vielen spre-chen bereits die Kinder nicht mehr deutsch und selbstdie Eltern scheinen sich ihres Vaterlandes zu schä-men.«

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»Ich weiß,« nickte er, und deutete über die Achselnach Osten. »Da drüben haben wir solche Landsleute.Die meisten haben indianische Frauen und die farbi-gen Kinder verstehen schon kein deutsches Wort mehr.Darum verkehren wir auch nicht mit ihnen.«

»Ja, diese Ehen mit Eingeborenen . . . «»Nein, nein! Die sind nicht schuld daran,« unter-

brach er mich. »Auch bei uns haben zwei Söhne ein-geborene Frauen geheiratet. Aber sie mußten sich ver-pflichten, bei Strafe des Ausschlusses aus der Kolonie,mit ihren Kindern nur deutsch zu reden, und auch dieFrauen mußten unsere Sprache lernen. Es geht sehrgut. Es fehlt aber in den meisten Fällen am guten Wil-len und an mangelndem Nationalstolz. Es ist ja unserErbfehler, daß wir alles ausländische dem heimischenvorziehen, selbst wenn ersteres viel, viel minderwerti-ger ist.«

Unsere Unterhaltung wurde unterbrochen, wir muß-ten hier den Dampfer verlassen. Ein großes Fahrzeughatte bereits unser Gepäck eingeladen, und wartetenur noch auf uns, um uns den Rio Fogones aufwärtszu Bauers Farm zu bringen. Ich drückte mein Bedau-ern über den kurzen Besuch aus, aber Bauer erwidertelachend:

»Wenn Sie die eigentliche Kolonie besuchen wollen,brauchen Sie ein paar Tage. Die liegt noch weiter imLande drin. Dies hier ist ein Dörfchen, das den Han-del vermittelt, Waren empfängt und verschifft, kurz die

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Geschäfte der Kolonie macht. Der Postmeister ist dieVertrauensperson.«

Ich verschob den Besuch auf spätere Zeiten und –wie das bei solchem Aufschub meistens geht – ich kamnie mehr dazu. Auf Bauers Farm verloren wir mehre-re Tage, weil auch zu deren Bewohnern Gerüchte vonaufständischen Indianern und dergleichen gedrungenwaren. Um mir Gewißheit zu verschaffen, sandte ichGil und dessen Bruder in das Gebiet der Karapahy,um zu erkunden, was an den Nachrichten Wahres sei.Sie blieben drei Tage aus. In der Zwischenzeit mach-te uns ein alter Indianer darauf aufmerksam, daß diebeiden Brüder die Söhne eines in hohem Ansehen ste-henden Pidma-Häuptlings seien, der als ein sehr grau-samer Mann und ausgesprochener Feind aller Weißenbekannt wäre. Wir sollten jedenfalls auf unserer Hutsein. Als Führer durch das Indianergebiet seien die Bei-den allerdings von allergrößtem Werte, wenn sie nichtsBöses gegen uns beabsichtigten.

Als wir abends mit Bauer und dessen Familie auf derVeranda saßen, brachte Neumann die Rede auf dieseWarnung. Er wollte des Farmers Ansicht darüber hörenund ließ dabei durchblicken, daß ihn das Verschwin-den der beiden Peone etwas beunruhigte.

»Lieber Landsmann,« sagte Bauer und klopfte Neu-mann auf die Achsel, »wenn Sie alle Eigentümlichkei-ten der Indianer mit mißtrauischen Augen ansehen,dann werden Sie kaum eine ruhige Stunde haben. In

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den roten Söhnen dieser Wälder sitzt nun einmal einWandertrieb, dem sie gehorchen müssen. Daran solltenSie sich beizeiten gewöhnen. Wenn Ihnen die beidenIndianer ihr Wort gegeben zu haben, für ihre Sicherheitzu sorgen, dann halten sie es auch. Besser ist es nochmit ihnen zu rauchen und dem Akt einen feierlichenAnstrich zu geben. Das sehen sie gern. Es erinnert siean die Gebräuche ihrer Stämme und sie betrachten die-se Höflichkeit als besondere Auszeichnung. Das ändertan dem Verhältnis zwischen Ihnen und Ihren Dienernnicht das geringste. Sie leben ja doch in Gemeinsam-keit und in der Wildnis läßt sich das Dienstverhältnisohnehin nicht aufrecht erhalten. Uebrigens halte ichIhre Leute für ehrlich.«

Die Worte waren kaum verklungen, da erschien Gilunten an der Treppe der Veranda. Bauer gab ihm dieErlaubnis heraufzukommen und fragte ihn nach sei-nem Verbleib.

»Ich war bei den Indianern,« erwiderte er ruhig. »Siesind in großer Aufregung, weil man sie am Pilcomayoauf verräterische Weise in eine Falle gelockt hat. Sieverloren viele Krieger. Aber sie nahmen auch blutigeRache an den Feinden. Jetzt rüsten sie zu einem Ue-berfall auf . . . «

Gil unterbrach sich und zog die Stirn kraus. Er be-reute offenbar seine Mitteilungen. Aber Bauer gab sichnicht mit halben Worten zufrieden und drängte aufVollendung des Satzes.

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»Nun ja! Sie überfallen das Grenzfort Guachalla.Kundschafter haben gemeldet, daß die Besatzung mitbeim Fort Intermedio gekämpft hat und dafür soll siebestraft werden.«

»Hm – wann findet der Ueberfall statt?«»Wird der weiße Herr es verraten?«»Ganz gewiß nicht!« rief Bauer aus. »Was gehen

mich die Kriege der Regierung an. Sie mag die Suppeauslöffeln, die sie sich eingebrockt hat. Ich frage nur,weil eine meiner Verwandten von der Mission Man-gyalwa hierherreisen will. Ich möchte sie nicht unter-wegs wissen, wenn der Tanz losgeht.«

»Wann geht die weiße Frau von der Mission fort?«»Sie wollte am Sonntag mit den Patres abreisen . . . «»Dann muß ich sie warnen. Gebt mir ein Pferd, Herr!

Ich bringe die Frau ungefährdet hierher.«»Steht es wirklich so schlimm?« fragte der Farmer,

den nun sein Optimismus verließ. »Ich glaubte die Ka-rapahy seien Freunde der Weißen.«

»Mein Stamm wird auf mein Wort hören, Herr, abereilt Euch, denn die Zeit ist nur kurz und der Weg istweit.«

»Wo ist dein Bruder? Wird er dich begleiten?«»Mein Bruder erwartet mich oben bei den Wasserfäl-

len. Ich wollte meine weißen Herren mit mir führen,weil jetzt der Chaco frei ist. Aber die Rettung der Fraugeht vor. – Wo ist das Pferd?«

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Die Hast, mit der die Worte hervorgestoßen wurden,veranlaßte Bauer zu der Frage, ob denn der Missionauch Gefahr drohe.

»Quien sabe!« erwiderte Gil und sprang die Stufenhinab, augenscheinlich bemüht, weiteren ihm unbe-quemen Fragen aus dem Wege zu gehen. Bauer beru-higte sich auch dabei. Ich sprang dem Indianer abernach und erreichte ihn, als er eben auf den Rücken desPony sprang.

»Halten sie mich nicht auf, Don Fernando. Eile istnot!«

»Erst sage mir, ob den Insassen des Klosters Gefahrdroht.«

»Wenn Soldaten dort sind, so werden diese getötet.Den Patres und den Frauen droht keine Gefahr.«

Mit diesen Worten hieb er so heftig auf das Pferdein, daß ich zurücktaumelte und in die Arme des altenIndios fiel.

»Viel Blut wird fließen!« murmelte er vor sich hin.»Alle Indianer strömen zusammen, um den Verrat zurächen. Mein weißer Herr wird nicht in den Chaco rei-sen können.«

»Weißt du Näheres über den Angriff der Indianer?«Der Alte schüttelte den Kopf und erwiderte mit tiefer

Trauer in der Stimme:»Malibo ist ein alter Mann. Sein Arm ist kraftlos. Er

hat den Kriegsruf der Karapahy gehört, aber er kann

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ihm nicht folgen. Aber Malibo kann seinen Brüdern aufandere Weise helfen, auch wenn er hier bleibt.«

»Du wirst doch deine weißen Herren nicht ins Un-glück stürzen wollen?« fragte ich, als der Alte schwieg.

»Meine weißen Freunde sind auch Freunde meinesStammes. Sie werden nicht gegen die Karapahy kämp-fen, wenn diese Rache an ihren Feinden nehmen. Aberes ist auch nicht gut, wenn die weißen Männer jetztin den Chaco reisen. Es sind viele fremde Stämme her-beigezogen, die den Weißen feindlich gesinnt sind. Siewissen nicht, wer Freund und wer Feind ist.«

»Dann glaubst du nicht, daß uns Gil ungefährdetdurch die Wälder führen kann?«

»Weder Gil noch sein Bruder Cirino. Dieser letztereist auch den Indianern verdächtig.«

»Warum? Hat er seinen Stamm verraten?«»Man weiß es nicht! Vor zwei Tagen kamen Indianer

den Fluß hinunter, die ihn suchten. Man will ihn zwi-schen den Soldaten gesehen haben. – Es ist nicht gutfür ihn, sich unter den Indianern zu zeigen, wenn ersich nicht von dem Verdachte befreien kann.«

Die Nachricht trug nicht dazu bei, meine Reiseplänezu fördern. Im Gegenteil. Die Vernunft sagte mir, an-gesichts der gereizten Rothäute lieber auf eine Durch-forschung der Wälder zu verzichten. Andererseits abervertraute ich meinem Führer Gil. Er hätte es nicht un-ternommen, nach der Mission zu reiten, wenn er vonden Indianern irgend etwas zu fürchten hatte – –

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Mit solchen Gedanken betrat ich die Veranda. Ichfand den Farmer in lebhaftem Gespräch mit Neumann.Letzterer hatte gerade die neuesten Meldungen ausConcepcion mit Bauer durchgesprochen und er emp-fing mich mit dem Rufe:

»Umkehren, Don Fernando! Die Partie ist verloren!«Ich setzte mich neben ihn an den Tisch und bat um

nähere Aufschlüsse.»Eben kommt die Post herauf. In Concepcion herrscht

große Aufregung. Die Indianer drohen die Stadt zustürmen und alle Weißen zu ermorden . . . «

»Donnerwetter! Der Mann geht aufs Ganze!« rief ichaus. »Gibt es in der Stadt Leute, die den Unsinn glau-ben?«

»Das ist kein Unsinn,« warf Bauer ein. »Den India-nern ist alles zuzutrauen. Sie sind vollgesogen mit Ra-chegedanken gegen die Regierung, die sie von ihrenDörfern verjagt und sie immer weiter in die unwirtli-chen Wälder zurückdrängt, in denen sie ihre Lebens-bedingungen nicht mehr finden. Da ist es doch keinWunder, wenn die Rothäute gemeinsame Sache ma-chen, den eigenen Hader vergessen und einen Rache-zug gegen die weiße Rasse unternehmen. Nach allem,was ich von meinen Leuten höre, sind die uns am näch-sten wohnenden Stämme im Begriff, ihre Hütten zuverlassen und sich im Innern des Chaco in Sicherheitzu bringen.«

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»Das wäre allerdings ein Beweis für die Richtigkeitder Alarmnachrichten,« erwiderte ich. »Aber die Stadtwerden die Indianer nie und nimmer angreifen. Daßsie dabei einfach alles verlieren, dürfte auch dem ver-blendetsten unter ihnen einleuchten.«

»Nun, ja, wörtlich ist das wohl nicht aufzufassen.Aber wir Ansiedler sollten doch wohl daran denken,uns beizeiten in der Stadt in Sicherheit zu bringen. Wirleben hier ziemlich entfernt von jeder Hilfe und unsereFarmen werden natürlich als erste einem Angriff zumOpfer fallen. Ich warte nur noch Nachrichten von derMission ab. Danach treffe ich meine Vorkehrungen.«

»Der alte Malibo ließ schon ein paar ähnliche War-nungen fallen. Er sprach aber nur von unserer Reise inden Chaco. Von einer Gefahr für Ihre Hazienda schiener nichts zu wissen.«

»Der Alte ist mir gut gesinnt. Er ist anhänglich. Wieweit dabei meine Familie in Betracht kommt, weiß ichallerdings nicht, seine Treue gilt jenen alten Bäumen,in denen nach dem Glauben der heidnischen Rothäu-te die Seelen seiner Vorfahren wohnen sollen. Hier aufmeinem Grund und Boden stand vor vielen Jahren einDorf der Pidma, in dem der alte Malibo und noch ei-nige in der Nähe lebende Indianer das Licht der Welterblickten. An der Quelle, neben den riesigen Ulmen,ruhen die Gebeine der Häuptlinge. Man hat es mir sehrhoch angerechnet, daß ich den Platz achtete und ihnden Indianern gewissermaßen als Eigentum überließ.

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Dadurch erwarb ich mir ihre Freundschaft. Inwieweitich mich aber darauf verlassen kann, bedarf noch derPrüfung. Mein Nachbar, der zwanzig Meilen stromaufwohnende Argentinier war nicht so rücksichtsvoll. Erfand innerhalb seiner Grenzen einen indianischen Be-gräbnisplatz, den er öffnete und die Gebeine an einMuseum verkaufte. Die Indianer baten ihn, die Ueber-reste ihrem Stamme zu überlassen. Sie boten ihm Golddafür. Um den Fundort des edlen Metalls kennen zulernen, ging er scheinbar auf den Handel ein. Er ver-langte aber das Gold an seinem Ursprungsorte selbstzu holen. Auch darein willigten die Rothäute. Wäh-rend er mit ihnen aufbrach, holten die Käufer die Ge-beine heimlich ab. Aber weder der Argentinier nochdie Sendboten der Käufer kehrten jemals in ihre Hei-mat zurück. Die Farm ging in Flammen auf. Die Frauund zwei weiße Mägde wurden anscheinend als Skla-ven verschleppt. Was an Männern anwesend war, fandman einige Tage später erschlagen im Walde . . . Seit-dem habe ich stromaufwärts keinen Nachbarn mehr.Wenn von dort her ein Angriff droht, trifft er mich zu-erst.«

Die Unterhaltung drehte sich noch bis in die sinken-de Nacht hinein um diesen Punkt. Frau Bauer zeigtekeinerlei Unruhe. Sie vertraute auf Gottes Schutz undauf die Dankbarkeit der Indianer, denen sie stets Gutesgetan hatte. Sie war ihnen Beraterin in all den kleinen

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Sorgen geworden, die über die Kinder des Waldes her-einbrechen, wenn sie der Zivilisation zugeführt wer-den. War ein Kind erkrankt, dann scheute die wacke-re Frau selbst lange Ritte nicht, um an das Lager deshilflosen Wesens zu eilen . . .

»Nein, so undankbar sind die roten Menschen nicht,daß sie meine Hilfe so vergelten!« schloß Frau Bauerihre Erzählung.

Sie ahnte nicht, wie bald ihre Zuversicht auf die Pro-be gestellt werden würde.

Der nächste Morgen brach an, ohne zunächst eineAenderung in dem friedlichen Bilde landwirtschaftli-chen Fleißes hervorzubringen. Bauer ritt wie gewöhn-lich auf seine Felder hinaus. Die Indianer gingen ih-rer Arbeit nach. Ein aufmerksamer Beobachter aller-dings hätte in dem unsteten Gebaren des alten Mali-bo etwas Auffälliges bemerkt. Er ging nicht wie sonstdurch Haus und Stall, sondern hielt sich in der Näheder Häuptlingsgräber und hob oft lauschend oder spä-hend den Kopf. Neumann und ich saßen auf der Veran-da und reinigten unsere Waffen. Nicht aus Besorgnis,sondern das Gespräch kam auf den Mechanismus derneuen Büchsen und ich wollte dem Gefährten zeigen,wie er die einzelnen Teile im Bedarfsfalle reinigen undwieder zusammensetzen mußte.

Da wurde der große Hund laut. Er sprang in weitenSätzen über den freien Platz zur Quelle und gab dortwütend Standlaut. Der alte Malibo lief, so schnell ihn

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seine Beine trugen, dem Rüden nach und suchte ihnzu beruhigen. Das gelang ihm aber erst, als er selbstunter den mächtigen Ulmen verschwand. Inzwischentrat Frau Bauer aus dem Hause. Der ungewöhnlicheLärm des Hundes deutete auf die Anwesenheit frem-der Indianer, und wenn diese ihren Hof betraten, sobedurften sie fast immer ihres Rates, während sie, dieAugen mit den Händen beschattend, vom freien Platzeaus nach der Quelle blickte, stürmte der Hund heran,sprang an ihr herauf und eilte bellend wieder zurück.Fast unmittelbar nachher kam er wieder. Neben ihmschritt in Begleitung des Alten ein Indianer in vollemKriegsschmuck. Es war eine prächtige hohe Gestalt, diemit einer Würde daherkam, die ein König nicht besserausdrücken konnte.

Der Wilde, denn als solchen mußte man ihn an-sprechen, weil er, abgesehen von seinem kriegerischenSchmucke völlig unbekleidet war, blieb fünf Schrittevor Frau Bauer stehen, und fragte in schlechtem Spa-nisch, aber mit gebieterischem Klang in der Stimme:

»Warum kommt der weiße Mann nicht zu mir?«»Willst du mir nicht erst sagen, was dich hierher-

führt?« gab Frau Bauer stolz und mit eiserner Ruhezurück.

Der Wilde blickte betroffen auf.»Kennt mich die weiße Frau nicht?« fragte er, indem

er sich in die Brust warf.

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»Die roten Krieger, die ich kenne – und es sind de-ren recht viele – betreten mein Haus nicht, ohne dieWaffen niederzulegen. Und dann bitten sie erst um dieErlaubnis mit mir zu reden.«

»Mein Stamm ist auf dem Kriegspfad. Meine Kriegerlagern im Walde. Auf einen Ruf von mir können sie hiersein . . . «

»Demnach bist du ein Häuptling?« fragte Frau Bau-er und ihre Stimme drückte Verwunderung aus. »Dashätte ich nie geglaubt.«

»Warum zweifelt die Frau an meinen Worten?« Ei-ne tiefe Furche grub sich über der Nasenwurzel in dieStirn. Aber auf die mutige Frau machte die zornigeMiene nicht den geringsten Eindruck. Sie antwortetewegwerfend:

»Weil ein Häuptling der Karapahy sich schämen wür-de, vor einer wehrlosen Frau mit seinen Waffen zu er-scheinen. Die Pidma sind große Krieger, sie sind unsereFreunde und essen und schlafen bei uns im Hause.«

»Die weiße Frau spricht nicht die Wahrheit, wenn siesich der Freundschaft der Pidma rühmt,« antworteteder Wilde. »Alle Weißen sind unsere Feinde.«

»Das mag für dich so sein. Die Pidma aber gehörenzu uns. Sie würden dich und deinen ganzen Stammausrotten, wenn sie wüßten, daß du hier solche dro-henden Reden mit ihrer Freundin führst.«

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Der Häuptling wurde jetzt ungeduldig. Zornig stießer die schwere Keule auf den Boden und rief mit erho-bener Stimme: »Wirst du mir endlich sagen, wo deinMann sich verborgen hält? Oder soll ich dich gefangenfortführen?«

Frau Bauer maß den Wilden mit einem geringschät-zenden Blick von oben bis unten und sagte dann:

»Du bist kein Häuptling! Du drohst einer wehrlosenFrau. Wenn ich das den Pidma erzähle, werden sie dichverachten!«

Wer weiß, ob wir, die wir im Anschlag auf der Ve-randa lagen, nicht noch mit der Waffe in den Zwisteingegriffen hätten, wenn nicht in diesem Augenblickder Hund mit einem Freudengeheul in den Wald ge-sprungen wäre. Gleich darauf erschien er wieder ander Seite eines Indianers, der auf dampfendem Pferdeauf den Hof ritt. Hart vor dem Wilden zügelte er seinTier, sprang zu Boden und reichte, ohne den Häuptlingeines Blickes zu würdigen, Frau Bauer die Hand:

»Braucht meine Freundin meine Hilfe?« fragte eratemlos.

»Du kommst zur rechten Zeit, Kaapa. Hier steht einMann, der sich Häuptling nennt und eine wehrloseFrau mit Waffen bedroht.«

Der Indianer drehte sich jetzt zu dem Wilden undsprach:

»Ich bin Kaapa, ein Häuptling der Karapahy Pidma.Wer bist du und wie kommt es, daß du mit bewaffneten

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Kriegern in mein Gebiet einfällst? Bist du ein Freundder Pidma, dann lege deine Waffen ab, sonst . . . «

Es war interessant zu sehen, wie sich die beiden Kö-nige ihrer Stämme jetzt mit den Blicken maßen. DerWilde befand sich sichtlich im Unrecht. Zu stolz aber,um vor den Weißen seine Niederlage zuzugeben, erhober die Stimme und antwortete in der uns unverständ-lichen Indianersprache. Seine Rede trug den Stempelzorniger Entgegnung. Die Rechte faßte die Keule fe-ster. Fast schien es, als wollte er die Waffe gegen denanderen erheben.

Kaapa jedoch stand wie eine Bildsäule vor dem Ein-dringling. Kein Muskel in seinen energischem Zügendeutete auf eine innere Erregung. Ab und zu unter-brach er den Wilden mit einem oder einigen Worten,die den andern nur noch mehr reizten. Endlich schienauch Kaapa die Geduld zu verlieren. Er winkte Malibozu sich heran, gab ihm einen kurzen Befehl und gleichdarauf gellte ein eigentümlicher, lauter Ruf durch denWald.

Zwei Minuten später wimmelte der Hof von India-nern, die alle in Kriegstracht waren, zum Teil mit greu-licher Bemalung im Gesicht. Viele grüßten Frau Bau-er mit der Hand, bevor sie sich in den Ring einreih-ten, der sich rasch um den wilden Häuptling schloß.Jetzt erreichte das Stimmengewirr seinen Höhepunkt.Der Wilde überschrie die andern mit seiner gewalti-gen Stimme. Er mußte aber schließlich doch wohl den

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Beweisen der Pidma gegenüber nachgeben, denn wirsahen, wie er in Begleitung einiger Krieger in der Rich-tung auf die Häuptlingsgräber verschwand.

Nun erst kehrte Kaapa zu Frau Bauer zurück. Aufihre besorgte Frage:

»Hast du meinen Mann nicht gesehen, Häuptling?«antwortete dieser, nicht ohne Unruhe:

»Ist er nicht im Hause, mein weißer Freund?«»Aber Häuptling! Würde er mich allein gelassen ha-

ben?«»Du hast recht. Ich muß ihn suchen. Wohin ist er

gegangen?«»Er ritt auf das Maisfeld am roten Hügel. Dort wird

er sein. Wirst du ihn benachrichtigen, Kaapa?«»Ich werde selbst nach ihm sehen! – Malibo, mein

Pferd!«Die Hast, mit der sich der Häuptling entfernte, ließ

uns nichts Gutes ahnen.»Machen Sie sich fertig, Neumann. Wir werden

Freund Bauer entgegenreiten,« sagte ich, und schnalltedie Sporen an.

Als wir die Pferde aus dem Stalle zogen, vertrat unsein rot bemalter Indianer den Weg.

»Du darfst jetzt nicht fort, Weißer,« sagte er mitNachdruck.

»Wer will mich daran hindern?« fragte ich zurück.»Es sind fremde Stämme in der Nähe, die den Wei-

ßen feindlich sind. Sie würden euch töten.«

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»Das würde den Indianern viele Leute kosten,« er-widerte ich, auf meine Büchse schlagend. »Du kennstdoch diese Waffen?«

»Dennoch wirst du nicht reiten. Mein Häuptling willes nicht.«

»Hm – wird er den Herrn dieser Besitzung hierher-bringen?«

»Er hat es gesagt. Kaapa hält sein Wort. Ihr abermüßt hier bleiben, um die Frauen zu beschützen.«

»Ich denke, euer Häuptling hat euch als Schutzwa-che zurückgelassen. Genügt das nicht?«

»Wir dürfen unsere Freunde nicht mit Waffen angrei-fen, wenn sie kommen sollten. Wir dürfen nur reden.«

»Und wenn das nicht hilft?«»Dann müßt ihr die Verteidigung übernehmen. Ich

hoffe aber, daß es nicht nötig sein wird.«»Das hoffe ich auch, wenn auch aus einem anderen

Grunde.«Frau Bauer kam in diesem Augenblick aus dem Hau-

se und wollte durch den Vorgarten an den Fluß hinun-tergehen. Auf meinen Anruf blieb sie stehen und wink-te lebhaft.

»Wohin, Frau Bauer?« fragte ich. »Der Indianerwarnt uns, den Hof zu verlassen. Wenn Sie draußenzu tun haben, begleiten wir Sie.«

»Mein Mann kommt! Hörten Sie nicht den Ruf?«

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Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie weiterund wurde gleich darauf durch das Gebüsch unserenBlicken entzogen.

Der Indianer, der die deutschen Worte nicht ver-stand, sah mich fragend an. Als ich ihm die Mitteilungübersetzte, fuhr er auf und rief:

»Das ist nicht möglich. Haltet die Frau auf! – Nein,bleibt hier, ich gehe selbst!«

In weiten Sätzen eilte er davon, während wir un-schlüssig zum Hause zurückkehrten. Dort trat uns einebraune Dienerin mit der Frage entgegen, ob es wirklichder Herr gewesen sei, der gerufen hätte.

»Warum zweifelst du daran?« fragte ich.»Draußen sind so viele Indianer, die ich nicht kenne.

Der Herr würde die Frau nicht rufen, weil er sie immervon den roten Männern fernhielt . . . «

»So glaubst du, daß ihr Gefahr droht?«»Ich fürchte es. Man wird den Ruf nachgeahmt ha-

ben.«»Los, Neumann!« rief ich. »Die ganze Geschichte ge-

fällt mir hier nicht. Wir wollen der Frau nachlaufenund uns überzeugen, daß ihr keine Gefahr droht. Mages nun dem Kaapa recht sein oder nicht.«

»Wollen die weißen Herren meine Frau befreien?«fragte die Dienerin, die den Sinn unserer Worte ausunseren Mienen las. »Dann zeige ich Ihnen einen Weg,den die Indianer nicht kennen. – Folgen Sie mir.«

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Neumann zögerte. »Wenn wir auch fortgehen, istniemand mehr auf dem Hofe, der nach dem Rechtensieht . . . «

»Frau Bauers Leben ist wertvoller als der ganze Hof,«erwiderte ich. »Ich muß wissen, was aus ihr gewordenist. Kommen Sie! Jeder Augenblick kann verhängnis-voll werden.«

Die Indianerin führte uns in die Scheune. Dort er-stieg sie eine hohe Leiter und ging um große Haufenvon entschältem Mais herum bis zur Rückwand. Hierbefand sich eine Oeffnung in der Mauer, die mit Bret-tern verschalt war.

»Wenn die Herren diese Tür aufbrechen, werden sieungesehen bis an den Fluß gehen können.«

Es bedurfte nur geringer Kraftanstrengung, um dieVerschalung zu beseitigen. Vor uns lag nackter Fels,an den die Scheune angebaut war. Die Oeffnung bil-dete den Ausgang in eine Felsenrinne, die vielleichtin grauer Vorzeit einem schäumenden Gebirgswasserals Bett gedient haben mochte. Bauer hatte ihren Wertals »Notausgang« erkannt, und sie soweit gesäubert,daß man sie ohne Anstrengung bis zum Fluß begehenkonnte. – Wir zögerten natürlich keine Minute diesenWeg zu benutzen. Er lag im Gefälle und war so tief aus-gewaschen, daß wir aufrecht gehen konnten, ohne dieseitlichen Wände mit dem Kopfe zu überragen. – Nachetwa fünfzig Schritten senkte sich die Spalte schroff

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nach unten und nun mußten wir künstlich ausgehaue-ne Stufen hinuntergehen, um auf einen Vorsprung zugelangen, der von dichtem Buschwerk umgeben war.Von hier aus konnten wir aus der grünen Deckung her-aus das Flußufer ziemlich weit stromauf und -ab über-sehen.

Reges Leben herrschte dort, wo sonst höchst selteneines Menschen Fuß seine Spur dem Boden einpräg-te. – Indianer aller Schattierungen waren hier versam-melt. Alle trugen Kriegsschmuck und Waffen. Drübenunter den Ulmen standen in lebhafter Unterhaltungfünf Männer. Sie trugen das Zeichen der Häuptlingeund berieten sichtlich über das Schicksal der Farm. Deralte Malibo stand etwas abseits der Gruppe und warfvon Zeit zu Zeit ein Wort in die Debatte, das den Män-nern indessen nicht zu gefallen schien, denn aus denGesten, mit denen die Antwort begleitet wurde, schloßich, daß man anderer Meinung war, als der alte Mann.

Plötzlich ging eine Bewegung durch die Schar derRothäute. Den Fluß hinunter kam ein kleines Boot, indem neben zwei Ruderern ein alter weißhaariger In-dianer saß, der von den älteren Rothäuten durch Zu-rufe freudig begrüßt wurde. Auch die fünf Männer beiden Ulmen wandten den Kopf, machten aber keineMiene, den Ankömmling zu begrüßen. Malibo dage-gen stürzte mit einem Freudengeheul auf den Alten zu.

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Was er ihm zurief, verstanden wir nicht, aber auch oh-ne Worte wußten wir, daß der Weißhaarige ein Häupt-ling der Pidma war, zu dessen Stamm Malibo gehörte.

Der Neuangekommene sprang mit jugendlicher Leb-haftigkeit ans Ufer und ließ es sich gefallen, daß ihnder alte Malibo stürmisch in seine Arme schloß. Dannaber erlosch der freundliche Ausdruck in den Zügendes Häuptlings. Er deutete auf die Gruppe bei den Ul-men, und seine Linke faßte fester den Griff der Keule. –Nach kurzer Unterhaltung lief Malibo zu den fünf Män-nern hinüber, während der Alte gespannt flußaufwärtsblickte, gleichsam, als ob er von dort jemand erwarte-te.

Malibo mußte jedoch den Häuptlingen keine ange-nehme Mitteilung überbracht haben, denn diese schri-en nunmehr auf den alten Krieger ein und hoben dro-hend die Waffen. – Dieses Zeichen der Feindschaft ver-stand aber auch der Häuptling. Er winkte einen sei-ner Ruderer zu sich heran und sprach wenige Wortemit diesem. Gleich darauf gellte ein seltsam modulier-ter Ruf durch den Wald, der im Handumdrehen eini-ge Dutzend Krieger an die Seite des Alten brachte. Siebildeten einen Kreis um ihn und lauschten andächtigseinen Worten. Die Rede war nur kurz. Der Ring öffne-te sich und drei der Männer begaben sich gemessenenSchrittes zu der Gruppe bei den Ulmen. Dort angekom-men, trat einer vor und hielt den Häuptlingen eine An-sprache, die mit gemischten Gefühlen aufgenommen

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wurde, denn drei von den fünf traten zu den Abge-sandten über, während die beiden anderen sich in derRichtung der Gräber entfernten.

Das schien Krieg zu bedeuten. Denn als die dreiHäuptlinge in Begleitung der Abgesandten zu dem Al-ten zurückkehrten, entstand eine lebhafte Bewegungunter den am Ufer Versammelten. Es bildeten sichGruppen. Hie und da verloren sich kleine Trupps imWalde. Auch ein Signal, mit einem Kuhhorn gegeben,ertönte aus der Ferne.

»Jetzt schneiden sie sich gegenseitig die Hälse ab,«sagte Neumann, auf eine kleine Gruppe deutend, diesich mit blanken Messern gegenüberstand. »Wenn Bau-er und seine Gattin sich jetzt noch außerhalb der Farmaufhalten, gebe ich sie verloren.«

»Hm, große Hoffnung auf ihre Rettung habe ichselbst nicht mehr. Wenn ich wüßte, wo sie sich auf-halten, würde ich immerhin den Versuch wagen, abergegen diese Menge von Rothäuten kann selbst das Mi-litär nichts ausrichten. – Ob man nicht zu dem altenMalibo gelangen kann? Der wäre vielleicht froh, wenner uns als Verstärkung hinter sich wüßte.«

»Gegen seinen eigenen Häuptling tritt er nicht auf,«sagte Neumann. »Wenn der eben Angekommene dergefürchtete frühere Besitzer dieses Landstriches ist,dann dürfen auch wir uns nicht zeigen. Er soll ja einerbitterter Feind unserer Rasse sein.«

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»Bauer schien nichts von ihm zu fürchten. Er erklärteihn sogar für seinen Freund. Demnach wären die bei-den Ehegatten, wenn sie noch leben, jetzt außer allerGefahr. Immerhin müssen wir versuchen, etwas überdas Schicksal der beiden zu erfahren. Ich kehre zurFarm zurück. Bleiben Sie unterdessen hier und beob-achten Sie, was vorgeht. Ich hoffe bald zurück zu sein.«

»Soll ich nicht lieber mitgehen? Wenn man Sie an-griffe, könnte ich Ihnen beistehen . . . «

»Das fürchte ich nicht. Immerhin können Sie mir fol-gen, wenn sie vom Hause her Schüsse hören. Dann al-lerdings wäre Ihre Hilfe von Nutzen . . . Aber ich höreGeräusch über uns . . . Es kommt jemand . . . BückenSie sich und nehmen Sie das Gewehr hoch. Wenn esein Feind ist, müssen wir ihn unschädlich machen.«

Wirklich löste sich über unsern Köpfen ein Stein-chen. Es sprang in großen Sätzen den Hang hinunterund verlor sich im Walde unten. Bald darauf wieder-holte sich das. Diesmal sprang der faustgroße Steindicht über uns ins Leere, und aus den Rufen, die jetztvon unten her an unser Ohr drangen, schloß ich, daßer mitten in einen Haufen Indianer gefallen war.

»Den Kerl müssen wir unschädlich machen,« raunteich meinem Gefährten zu. »Der ist imstande und locktdie Rotfelle herauf, und dann gebe ich keinen Maiskol-ben mehr für unser Leben. – Sehen Sie ihn nicht?«

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»Ein Schatten liegt auf den breiten Kämmen dortüber uns. Was das aber ist, kann ich nicht erkennen.Vielleicht haben die Indianer die Notröhre entdeckt!«

»Kommt der Schatten näher?«»Nein. Er bewegt sich aber. Anscheinend ist es ein

Mensch, der sich verstecken will.«»Dann brauchen wir ihn nicht zu fürchten. Lassen

Sie mich einmal auf Erkundung gehen. Halten Sie sichaber bereit, auf meinen ersten Hilferuf hin nachzukom-men.«

»Wenn wir aber dann von den Wilden dort unten ge-sehen werden? Wollen wir nicht lieber warten, bis derda oben zu uns heruntersteigt?«

»Wenn er die Absicht hätte, wäre er schon hier. Ichwerde mich mit ihm verständigen und wenn er, wie ichfast glauben möchte, zu Bauers Farm gehört, so kanner uns ein wertvoller Bundesgenosse werden. – Alsoauf Wiedersehen!«

Ich kroch auf allen Vieren zu der Rinne zurück. Beiden Stufen angekommen, hob ich den Kopf. Die Treppewar frei. Der Mensch mußte also oberhalb der Stufenauf den Felsen liegen. Sonst wäre sein Schatten nichtsichtbar gewesen. – Mit der denkbar größten Vorsichterkletterte ich Stufe um Stufe. Auf jedem Absatz mach-te ich Halt und lauschte. Aber erst vor Ersteigung dervorletzten Staffel vernahm ich das rasche Atmen einesMenschen. – Nun zauderte ich doch, denn die nächsteMinute konnte über Leben oder Tod entscheiden. Ich

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sprach ein kurzes Gebet. Langsam hob ich das Knie undschwang mich auf den nächsten Absatz. Da erblickteich auch schon die auf die Felsen geschmiegte Gestalt.Es war ein Indianer, dessen langes, straffes Haar durchein schwarzes Band um die Stirn festgehalten wurde.Der Mann hatte mich noch nicht bemerkt. Er schauteangestrengt nach einer Richtung und mußte dort etwasungemein Interessantes sehen, denn seine lang vor sichhingestreckten Hände machten krampfhafte Bewegun-gen, etwa so, als ob er im Geiste jemand erwürgte.

Sekundenlang verharrte ich regungslos in meinerStellung, unschlüssig, was ich tun sollte.

»Ueberfalle und fessele ihn!« riet mir eine innereStimme. Und mit dem Gedanken warf ich mich auchschon auf den Mann, umklammerte seinen Hals mitbeiden Händen und zischte ihm ins Ohr:

»Rühre dich nicht, sonst rennt dir mein Kamerad dasMesser zwischen die Rippen!«

In der natürlichen Abwehrbewegung warf sich derIndianer herum und zeigte mir sein Gesicht.

»Caramba, du bist’s, Cirino!« rief ich, ihn loslas-send. »Da hätte ich beinahe einen dummen Streich ge-macht!«

»Der uns beiden hätte das Leben kosten können,« er-widerte er, sich den Hals reibend. »Donnerwetter, DonFernando, in Eure Hände möchte ich nicht nochmal ge-raten. Ihr brecht einem ja das Genick!«

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»Verzeihe, Cirino, aber wer konnte auch ahnen, daßein Freund des Hauses hier noch untätig liegt, währendBauer und seine Frau gefangen sind. Ich hielt dich füreinen Feind.«

»Bauers sind beide in Sicherheit. Mein Vater hat sieeben befreit, und ich bin abgeschickt worden, um vonhier aus zu beobachten, ob die Mekuben-Indianer, diesie gefangen nahmen, auch abziehen.«

»Dein Vater ist hier? Ist das der alte Häuptling, dervor einer Stunde mit einem Kanoe den Fluß hinunter-kam?«

»Derselbe! Ich steuerte das Boot, das ich früher ein-mal bei der unteren Farm – gefunden und oben amWasserfall versteckt hatte, sonst wäre der Vater nochnicht hier. Er kam auch zur rechten Zeit, denn die Me-kuben wollten eben die Farm in Brand stecken.«

»Donnerwetter, das hätte ihnen viele Leute gekostet,denn das hätte ich nicht ruhig mit angesehen. MeinFreund und ich lagen etwas weiter unten auf einemVorsprung. Von da aus konnten wir alles abschießen,was sich nur auf dem Hofe blicken ließ. – Aber warumbist du noch hier? Sind Bauers noch nicht wieder imHause?«

»Blickt dort hinüber. Dort stehen sie bei meinem Va-ter. – Er soll die Gastfreundschaft der Farmer genießen,aber er will es nicht annehmen . . . «

»Ist er denn nicht Bauers Freund?«

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»Das wohl. Aber auf seinem früheren Grund und Bo-den will er nicht der Gast sein. Er möchte den Farmerals seinen Eingeladenen betrachten, und nun will kei-ner nachgeben.«

»Na, für so hartnäckig halte ich Bauer nicht. Wo willihn dein Vater denn unterbringen. Er hat ja keine Hüttehier.«

»Eben bauen seine Krieger einen Rancho unter denUlmen und andere schlachten ein Rind. Seht Ihr – dalodert schon ein Feuer . . . In einer Stunde ist es dunkel.Dann wird sich mein Vater wieder als Herr auf seinemBesitz fühlen – armer Vater!«

Cirino seufzte tief auf. Er empfand den Schmerz sei-ner verjagten Eltern mit, obwohl er sich der Zeit nichtmehr zu erinnern wußte, wo seine Vorfahren als Ge-bieter über das Land um den Fogones herrschten. – Erblieb eine Weile in Gedanken versunken liegen. Dannsprang er plötzlich auf und rief:

»Holt Euern Gefährten, Don Fernando, und kehretzur Farm zurück. Vielleicht gibt es in der Nacht Arbeitfür Eure Büchsen, und da seid Ihr dann recht willkom-men.«

»Fürchtest du einen Ueberfall?«»Man weiß nicht, wie Kaapa, der Häuptling, mit sei-

nem Widersacher auseinandergekommen ist. Der Gor-ka ist ein ehrsüchtiger Mensch, der eine Demütigungnicht so leicht hinnimmt, und man erzählt unter unse-ren Leuten, daß er von Kaapa gezwungen wurde, die

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Farm, die er schon als gute Beute betrachtete, wiederzu verlassen.«

»Das stimmt. Wir waren Zeuge, wie Kaapa den wil-den Kerl zum Rückzug zwang.«

»Ihr waret Zeuge? Dann hütet Euch vor dem Häupt-ling. Er wird nicht ruhen, bis er Euch getötet hat. Denngerade vor den Weißen will er als tapferster Häuptlingangesehen werden.«

»Nun, so schlimm wird es nicht sein! Ich wüßte auchnicht, wie ich mich vor ihm schützen sollte. Wenn ermit Mordgedanken gegen uns umgeht, so bleibt unsnur der eine Weg, sein Gebiet zu meiden.«

»Oder Ihr kommt ihm zuvor, indem Ihr ihn tötet.Wenn Ihr es wünscht, übernehme ich es an Eurer Stel-le.«

»Nein, Cirino, keinen Mord. Greift er mich an, dannwehre ich mich, sonst aber mag er seiner Wege gehen.– Aber ich stehe hier und vergesse, daß Neumann dortunten auf mich wartet. Bleibst du hier, bis wir zurück-kehren?«

»Ich muß hier bleiben, bis mich der Häuptling zusich ruft.«

»Dann bist du wieder in deinen Stamm eingetreten?«»Solange wir Krieg führen, könnt Ihr doch nicht in

den Chaco. Während der Zeit versehe ich Kundschaf-terdienste.«

»Wissen die Indianer, daß du Soldat warst?«

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»Bei der Madonna, Herr, redet nicht so laut! Wenndas meine Brüder erführen, wäre ich ein toter Mann.«

»Ich glaube, man verdächtigt dich bereits; wenig-stens habe ich so etwas gehört.«

»Wer sagt das?« fuhr Cirino auf. »Den Hund muß ichstumm machen. – Sprecht, Don Fernando, wer sagtedas?«

»Lieber Freund, woher soll ich die Namen all der In-dianer wissen, die in diesen Tagen auf der Farm waren.Einer von diesen ließ eine ähnliche Aeußerung fallen.«

»Also Indianer waren es – keine Weißen?«»Nein, Indianer!«»Dann ist es gut. Mit denen werde ich schon fertig. –

Habt Ihr übrigens meinen Bruder gesehen?«»Gil ist zur Mission geritten, um eine weiße Frau ab-

zuholen. Er hatte große Eile. Ich denke, er wird baldzurück sein.«

»Eine weiße Frau? Die bringt er sicher nicht lebendhierher,« erwiderte Cirino wehmütig. »Die meisten derfremden Stämme hassen die Weißen, und Gil wird sei-nen Einfluß umsonst geltend machen. Er wird mit derFrau sterben.«

»Aber, Cirino, wer wird so schwarz sehen? Gil istklug. Er wird die Aufgabe durchführen, die er über-nommen hat. – Doch da kommt ja mein Gefährte . . .Entschuldigen Sie, lieber Neumann, daß ich Sie ohneNachricht ließ!«

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»Vom Flusse her kommen Indianer,« sagte er. »Dahielt ich es für geraten, Sie aufzusuchen . . . Ach, dasist ja Cirino, mein Diener. Beinahe hätte ich dich nichterkannt. Das ist brav von dir, daß du uns aufgesuchthast. Aber deine Kleider solltest du doch wieder anle-gen.«

»Cirino ist einstweilen wieder indianischer Kriegergeworden,« erwiderte ich lachend; »sobald er zur Re-serve entlassen wird, tritt er wieder in Ihre Dienste. . . Doch nun kommen Sie, Neumann, sonst überraschtuns die Nacht hier oben.«

»Wohin führen Sie mich denn?«»Zu Bauers Farm natürlich! Cirino sagt mir eben, daß

er wieder freigelassen wurde.«»Und wir finden ihn in der Farm?«»Hoffentlich! – Aber was erzählten Sie eben von In-

dianern, die vom Flusse her kommen?«»Es schien mir, als wollten sie diesen Weg benutzen,

um zur Farm zu gelangen.«»Was? Wer will hier herauf? Indianer?«Cirino wurde erst jetzt auf die Worte Neumanns

aufmerksam, und sofort war er wieder ganz Indianer.Kaum hörte er auf die etwas umständliche Erklärungmeines Gefährten, als er auch schon schlangengleichdie Stufen hinunterglitt und gleich darauf in den Fel-sen verschwand. Verwundert blickte ihm mein Beglei-ter nach und fragte:

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»Was fällt denn dem plötzlich ein? Was hat er mitden Rothäuten zu schaffen?«

Ich gab ihm die Aufklärung und drückte gleichzeitigmeine Zweifel aus, ob es geraten sei, jetzt schon in dasFarmerhaus zurückzukehren. Der ganze Hofraum warvoll von Rothäuten, und wenn diese in feindlicher Ab-sicht dort eingedrungen waren, dann konnten wir unseines recht warmen Empfanges erfreuen.

»Wir warten lieber auf den Karapahy,« sagte ich end-lich, nachdem wir hin und her beraten hatten. »Cirinokann uns als Legitimation dienen, wenn man uns dieBerechtigung, das Haus zu betreten, etwa streitig ma-chen sollte.«

»Dann schlage ich vor, uns hier gleich häuslichniederzulassen. Wir können ein größeres Feld über-blicken, ohne selbst gesehen zu werden. Cirino mußauch hier vorüberkommen, wenn er zur Farm will.«

In dem Felsenloche, das uns zum Unterstand diente,waren wir vor dem über die Hügel pfeifenden Nacht-winde ziemlich geschützt. Immerhin fror uns gewaltigund zu dem Kältegefühl gesellte sich noch der Hunger.Seit dem frühen Morgen hatten wir nichts ordentlichesgegessen und die Zigarren konnten den knurrendenMagen schon längst nicht mehr beruhigen.

So mochten wir etwa eine Stunde vor uns hinbrü-tend in dem Loche gekauert haben, als sich der Winddrehte und den bis dahin bedeckten Himmel reinfegte.Der prächtige südliche Sternenhimmel wölbte sich in

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seiner hehren Schönheit über unsern Häupten und inder klaren Luft gewann das um uns ausgebreitete herr-liche Panorama einen ganz eigenartigen Reiz. Alles umuns her atmete Frieden und Ruhe. Kein Laut drang zuuns herauf. Selbst die gespenstisch durch die Felsen-zacken streichenden Nachtvögel schienen den Schlagihrer Flügel zu dämpfen, um den tiefen, weihevollenFrieden nicht zu stören.

Im Banne dieser Stimmung trat ich aus der Höhlungheraus und lehnte mich in den Schatten des Gesteins.

Meine Blicke wanderten von den funkelnden Stern-bildern hinüber zu der silbernen, kaum wahrnehmba-ren Sichel des werdenden Mondes. Sie senkten sichauf die Wipfel der riesigen Waldbäume und verweil-ten träumend auf den mächtigen Flammen, die ausdem Dunkel der Ulmen zum Himmel loderten. Wie ei-ne Kohlezeichnung auf grauem Hintergrunde drängtensich zu meiner Linken die Umrisse des Farmhauses her-vor, und über die runden Kuppen der uns schützendenHöhen bewegten sich dunkle Schatten . . .

Ein rauher, unterdrückter Schrei riß mich aus mei-nen Träumen und rief mich jäh in die Wirklichkeit zu-rück. Von jener Kuppe löste sich ein dunkler Körperund verschwand mit dumpfem Aufschlag in der Fin-sternis des Abgrundes. Ein zweiter Schatten lag ausge-streckt auf dem Gestein. Keine Bewegung verriet, obLeben in dem Phantom war . . .

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Ich griff zur Büchse und richtete den Lauf auf dasschattenhafte Gebilde über mir. Zum Glück überwandich die Regung und ließ die Waffe wieder sinken. Andie Stelle meines Zornes über den Mord trat die kal-te Ueberlegung. Ich fand mich ja inmitten blutgieri-ger, grausamer Heiden und mußte damit rechnen, daßauch wir in die Lage kommen konnten, gegen den hin-terlistigen Feind zu kämpfen. Vielleicht war es GottesFügung, daß uns eine fremde Hand vor einem Feinderettete, der bereits die todbringende Waffe gegen unserhoben hatte . . .

Die bebende Stimme meines Gefährten raunte mirzu: »Haben Sie es gehört? Ganz in der Nähe war es. . . Wir sind umzingelt, denn ich höre auch von rechtsscharrende Geräusche.«

Ich lauschte angestrengt nach der angedeutetenRichtung hin. Vage Laute schlichen auf den Flügelnder Brise über die Felsen. Bald klangen sie wie Seuf-zer aus gequälter Brust, bald glichen sie dem Röchelneines Sterbenden. Dazwischen zischte das Pfeifen vonMenschen, die sich gegenseitig verständigen wollten.

»Was halten Sie davon?« fragte Neumann wiederund packte meinen Arm.

»Noch weiß ich es nicht,« hauchte ich zurück. »Hal-ten Sie für alle Fälle die Waffen schußbereit . . . «

Wieder durchschnitt der pfeifende Zischlaut die Stil-le der Nacht. Mit stockendem Atem suchte ich die Rich-tung zu ergründen, aus der ich den Feind zu erwarten

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hatte. Längst war ich in den gähnenden Schlund desFelsenloches zurückgetreten, und die Umrisse unsererGestalten verschmolzen derart mit dem dunklen Hin-tergrunde, daß uns selbst das scharfe Auge eines Wil-den nicht erkannt hätte. Wir selbst konnten ein ziem-lich großes Gesichtsfeld überblicken, und wenn einMensch sich von dort unserm Versteck nähern würde,so mußte er sich so plastisch gegen den Nachthimmelabheben, daß wir ihn unschädlich machen konnten,bevor er unsere Gegenwart ahnte.

Diese Beobachtung gab mir die Kaltblütigkeit zu-rück. Man konnte uns zwar von rückwärts her anschlei-chen, aber auch in dem Falle mußte sich der Feind zei-gen, bevor er uns erblickte. Meinem Gefährten teilteich diese Feststellung mit, und es gelang mir dadurch,auch ihn zuversichtlicher zu stimmen, insbesondereihm das Gefühl der Angst vor einem plötzlichen Ue-berfall zu nehmen. Er trat an meine Seite und teiltesich mit mir in die Beobachtung unserer Umgebung.

Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.Wir wagten nicht, uns länger zu unterhalten, weil wiruns von Wilden umschwärmt wähnten. Nur einzelneWorte, die sich meist um das Verschwinden Cirinosdrehten, flüsterten wir uns zu. Und auch dies mehr, umuns wach zu halten, als aus Sorge um das Schicksal desMannes. Er war hier oben mit ganz bestimmten Befeh-len seines Häuptlings und mußte diese befolgen. Wir

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konnten nicht verlangen, daß er seine Pflicht verletzte,um uns aus unserer gefährlichen Lage zu befreien.

»Wir müssen diese Nacht hier ausharren,« flüsterteich meinem Begleiter zu, als er die Möglichkeit einerFlucht aus unserm Felsloche erwähnte. »Sobald es hellwird, ziehen sich die Wilden zurück, denn vom Hau-se her können sie gesehen und abgeschossen werden.Also Geduld, Freund. Vielleicht gelingt es Ihnen, eineStunde zu schlafen. Ich wecke Sie schon, wenn’s nötigwird.«

»Ich soll schlafen? Nie! Ich kann kein Auge schlie-ßen!«

»Nun, um so besser!« erwiderte ich.Wir drückten uns jeder in eine Ecke und lauschten

auf die seltsamen Geräusche, die uns der Wind vonferne her zutrug. Ich beschäftigte mich in Gedankenmit meiner Reise und ließ alle Möglichkeiten des Ge-lingens zum hundertsten Male vor meinem inneren Au-ge vorüberziehen. Die Aufregung unter den paraguaya-nischen Indianern machte mir keine Sorge. Den GranChaco Oriental hatte ich ohnehin nicht in meinem Rei-seplan, und wenn ich ihn beiseite ließ, so brachte michdas Dampfboot ungefährdet durch die Reihen der In-dianer an die brasilianische Grenze. Dort stieß ich zu-nächst mit Botokuden zusammen, und mit denen hoff-te ich ebenso freundschaftlich auseinander zu kom-men, wie mit allen »Wilden«, denen ich auf meinenlangen Reisen begegnet war.

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Mitten in meine Reflexionen mischte sich ein seltsa-mer Ton. Er klang wie das Scharren eines Tieres, dassich seine Nahrung aus dem Boden gräbt. Da es mir be-kannt war, daß wilde Stämme derartige Erkennungs-zeichen benutzen, so verharrte ich regungslos an dieWand geschmiegt und hob nur behutsam das Gewehr,um sofort feuern zu können, falls es nötig werden soll-te. Gern hätte ich meinem Gefährten ein Zeichen mei-ner Wachsamkeit gegeben, aber das Geräusch war unsso nahe, daß der geringste Laut zu den Ohren des Un-bekannten dringen mußte. Außerdem war es mehr anNeumanns Seite, und so konnte es auch ihm nicht ver-borgen bleiben.

Minuten vergingen. Das Geräusch wiederholte sichin ganz regelmäßigen Zwischenräumen. Bald stärker,bald schwächer. Je nachdem der Wind, der jetzt ge-rade in unsere Höhle hineinblies, den Ton verwehrte.Diese Regelmäßigkeit machte mich nervös. Ich begannunruhig zu werden und überlegte, wie ich dem Unbe-kannten zu Leibe gehen konnte, ohne uns zu sehr zugefährden.

Da fiel drunten im Tale ein Schuß. Der Wind trugmir das Echo zu und nach der Stärke des Schallesnahm ich an, daß man an den Ulmen geschossen hat-te. Dort sollte sich, nach den Angaben Cirinos, Bauerbefinden, und zwar in der Gewalt der Wilden. Wenner Hilfe brauchte? – Der Gedanke quälte mich so, daß

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ich zu dem Entschlusse kam, das Versteck zu verlas-sen und mich nach dem Hause durchzuschlagen. Dortwürde ich weiter sehen. – Zu dem Zwecke mußte zu-nächst der Mensch unschädlich gemacht werden, dersein Scharren mit anerkennenswerter Ausdauer hin-ter den Steinen fortsetzte. Neumann mußte mir helfen,ihn zu knebeln.

Ich ließ mich auf die Knie nieder und kroch auf allenVieren, unter Vermeidung jeglichen Geräusches, in dieandere Ecke hinüber. Hier unten am Boden war dasGeräusch noch deutlicher vernehmbar. Es klang auchganz anders, und je mehr ich mich dem Ziele näherte,desto mehr nahmen die Töne eine natürlichere Klang-farbe an. Endlich stieß ich an einen weichen Körper,der bei der Berührung einen dröhnenden Laut von sichgab und aufsprang.

»Sind Sie es, Don Fernando?« tönte es mir schlaf-trunken entgegen. »Ich glaube wahrhaftig, ich bin einwenig eingenickt!«

»Na, ich danke. Seit zwei Stunden zerbreche ichmir den Kopf wegen des Geräusches, das da aus derEcke herauftönt, und nun sind Sie es. Sie haben ge-schnarcht, daß mir fast angst und bange geworden wä-re.«

»Ich soll geschnarcht haben? Das ist nicht möglich.Ich bin ja kaum eingenickt . . . «

»Nun, lassen wir es gut sein. Hoffentlich sind Sie et-was gestärkt. Jetzt aber vorwärts. Dort unten wurde

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geschossen. Wir müssen zur Farm zurück und Bauerbeistehen. Vielleicht ist er in Gefahr.«

»Aber wir beide können ihm doch nicht helfen, wenndie ganze Bande ihn umzingelt hat.«

»Einerlei! Ich verlasse keinen Landsmann in Not undBauer erst recht nicht. Wer weiß, ob der Schuß nichtein für uns bestimmter Hilferuf war. – Bleiben Sie nocheinen Augenblick hier; ich will sehen, ob die Luft reinist.«

Mit diesen Worten trat ich ins Freie, prallte aber so-fort wieder zurück, denn kaum hundert Schritt vor mirbewegte sich eine dunkle Masse auf uns zu, an derenSeite ein Indianer schritt.

»Zurück, Neumann! An die Wand und die Büchsefertig!« rief ich hastig dem Gefährten zu. »Dort kommtein Trupp Wilder!«

Wir verbrachten einige unangenehme Minuten, diemir zur Ewigkeit wurden. Die Gruppe kam langsamnäher, und ich vernahm deutlich, wie sich die Leutemiteinander unterhielten. Sie dämpften nicht einmaldie Stimme, sondern schienen sich so sicher zu fühlen,als lebten sie im tiefsten Frieden mit den Bewohnernder Farm.

Plötzlich verdunkelte sich der Eingang zu unsererHöhle. Ein Mensch blieb davor stehen. Sein Profil zeig-te den nackten Wilden. Er hatte sich zurückgewandtund sprach einige indianische Worte mit seinen Beglei-tern. Gleich darauf drang ein befreiendes Aechzen an

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mein Ohr, so, als ob jemand eine Last zu Boden setz-te. Dann vernahm ich einige spanische Worte, die derBefriedigung Ausdruck gaben, daß das Ziel endlich er-reicht sei. Damit konnte nur die Farm gemeint sein,und nun glaubte ich Freunde des Hauses vor mir zuhaben. Ich rief, ohne vorsichtshalber mein Versteck zuverlassen, ein lautes: »Hallo, hier sind Freunde!« undtrat, als der Ruf spanisch erwidert wurde, ins Freie.Dort sah ich mich vier Personen gegenüber, die mir einherzliches Willkommen boten. Es waren Gil mit seinemBruder Cirino und zwei Unbekannte. Ersterer hatte dieRettung der Frau glücklich durchgeführt und stellte siemir jetzt vor. Sie trug Männerkleidung und war vondem sie begleitenden Peon, der übrigens ein Jesuiten-pater war, äußerlich nicht zu unterscheiden. Gil hattesie hier heraufgebracht, weil er unten am Flusse einegroße Anzahl fremder Indianer bemerkt hatte und esnicht für ratsam hielt, sich mit diesen einzulassen.

»Bist du denn sicher, daß keine Indianer auf derFarm sind?« fragte ich Gil.

»Gewiß sind Indianer dort, aber befreundete Stäm-me,« antwortete an seiner statt Cirino. »Unser Vater istbei den Ulmen und würde es nicht dulden, daß fremdeMänner die Farm betreten.«

»Was bedeutete denn der Schuß, der bei den Ulmenfiel?« fragte ich den Kundschafter.

Erstaunt blickte mich Cirino an.

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»Bei den Ulmen wurde geschossen?« fragte er rasch.»Wann war das?«

»Vor einer Viertelstunde etwa. Hast du das nicht ge-hört?«

Er verneinte.»Ich half meinem Bruder beim Erklettern der Rinne,

in die dieser Weg mündet. Das Rauschen des Wassersmuß den Schall übertönt haben . . . Nur Bauer kanngeschossen haben, denn keiner außer ihm besitzt einGewehr.«

»Eben wollte ich zur Farm, um ihm beizustehen,denn er wird nicht schießen, wenn man ihn nicht be-drängt.«

»Bleibt lieber hier, Herr, und laßt mich nach der Ur-sache forschen,« erwiderte Cirino. »Ich kenne hier je-den Schleichweg und kann Euch ungesehen zum Hau-se führen, wenn das nötig sein sollte.«

»Nun gut. Aber eile dich, damit wir nicht zu spät ein-treffen. Wenn du jemand von der Familie siehst, sageihm, daß wir hier zu ihrem Beistande bereit stehen.«

Die letzten Worte hörte er kaum noch, so hastig ver-schlang ihn die Dunkelheit. Gil trat jetzt hervor undfragte mich, ob wir irgend etwas Eßbares bei uns führ-ten, sie hätten seit dreißig Stunden keinen Bissen mehrüber die Lippen gebracht.«

»Uns geht es nicht besser,« erwiderte ich. »Wir irrenhier oben fast ebenso lange umher und wagen nicht,

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ein Stück Wild zu schießen, aus Furcht, uns zu verra-ten.«

Ich erzählte mit kurzen Worten die Vorgänge, diesich hier seit dem Tage vorher abgespielt hatten underwähnte auch den Mord, der in dieser Nacht unweitvon hier verübt worden war. –

»Hat dein Bruder dir nichts davon erzählt?« frag-te ich zum Schluß. »Er befand sich hier oben aufKundschaft und muß mit Indianern zusammengetrof-fen sein, die vom Flusse her hier herauf wollten. Da sienicht an unserm Versteck vorüberkamen, müssen sieCirino in die Hände gefallen sein.«

Gil schüttelte den Kopf.»Die Rinne, die in diesen Weg mündet, kennen nur

sehr wenige, und diese sind alle mit uns befreundet. Esist nicht denkbar, daß Fremde den Einstieg gefundenhaben sollen. – Habt Ihr die Männer gesehen?«

»Ich hörte ihre Stimme, als ich auf dem Vorsprungstand,« sagte Neumann. »Es waren mindestens zwei,die indianische Worte miteinander wechselten.«

»Und sie sind hier nicht vorübergekommen?«»Nein. Einen oder vielmehr zwei sah ich dort oben

auf der Kuppe. Der zuerst Erschienene wurde von demandern in den Abgrund gestoßen. Wer das war, weißich nicht. Ich vermutete in dem zweiten Manne deinenBruder.«

»Es ist gräßlich, wie sich die Menschen untereinan-der bekämpfen,« warf der Pater ein. »Und keiner weiß,

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warum er den andern ausrotten will. Gewiß ist es un-recht von der Regierung, daß sie den Indianern dasLand mit Gewalt nimmt, um es an die Ansiedler zuverkaufen. Aber unsere fortschreitende Kultur verlangtdas nun einmal so, und das wollen die braunen Kinderdes Waldes nicht begreifen.«

»Das begreifen auch andere Menschen nicht, Hoch-würden,« entgegnete ich. »Zum Beispiel ich stelle michin dieser Frage ganz auf die Seite der Indianer, denenich volle Gleichberechtigung mit unserer weißen Ras-se einräume . . . Ich sehe an Ihrem Kopfschütteln, daßwir da verschiedener Meinung sind, und es ist daherbesser, das Thema auf sich beruhen zu lassen. – Gibt eshier in der Nähe keine Vogelnester, Gil?«

»Vogelnester?« fragte er erstaunt. Der Uebergangvon dem eben behandelten Gegenstand war ihm zu un-erwartet gekommen.

»Ja, Vogelnester, Gil! Diese liefern uns die dringendnötige Nahrung, sowohl Eier als auch Fleisch. Mit ei-niger Vorsicht kann man die Tiere auf ihren Nesternfangen, und wenn wir Glück haben, finden sich auchunbebrütete Eier darin.«

»Ah, jetzt verstehe ich! Unten am Flusse nisten vieleWasservögel, aber es ist nicht ratsam, jetzt dort hin-unterzugehen. Hier oben gibt es nur große Raubvögel,die man nicht essen kann.«

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»Dann mußt du dich zur Farm hinüberbegeben undLebensmittel von dort holen. Vielleicht findest du Hüh-ner oben im Heu.«

»Hm, ich möchte doch lieber meinen Bruder hiererwarten. Wenn wirklich fremde Indianer unten sind,dann kann es uns das Leben kosten, und ich habeden tollen Ritt von der Mission her nicht gewagt, umschließlich noch am Ziele ermordet zu werden.«

»Hältst du die Lage wirklich für so gefährlich?«»Für die Weißen: ja. Wir Indianer verständigen uns

leicht, aber der Haß gegen Eure Rasse sitzt zu tief beiden Farbigen, als daß er jemals verschwinden könnte.Er wird wohl unterdrückt und dem einzelnen Mannegegenüber nicht immer zum Ausdruck gebracht – aberim tiefsten Innern glüht er stetig weiter.«

»Ich kenne aber Indianer, die mir versicherten, daßsie mir treu ergeben seien,« sagte ich anzüglich. »Wiereimt sich das zusammen?«

»O, das ist möglich. Die Indianer sind sehr empfäng-lich für bewiesenes Wohlwollen und hegen ein unbe-grenztes Dankbarkeitsgefühl. Das überwiegt den Haß,und wer sich die Dankbarkeit eines roten Mannes zuerwerben gewußt hat, der kann diesem voll vertrauen.Er würde freudig sein Leben opfern für seinen Wohltä-ter.«

»Das ist eine anerkennenswerte Eigenschaft der In-dianer,« erwiderte ich. »Ich wollte, ich könnte von der

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weißen Rasse dasselbe sagen. – Aber mit diesen schö-nen Reden stillen wir niemals unsern Hunger. Wie be-schaffen wir Nahrungsmittel?«

»Cirino wird bald zurückkehren. Wenn in der Farmalles ruhig ist, können wir dorthin gehen . . . «

»Im andern Falle schieße ich eine von den Ziegen,die hier in den Bergen herumlaufen. Mag man denSchuß hören. Ich bin so matt, daß ich es ohne Nahrungnicht mehr aushalte, und mein Gefährte kann kaumnoch auf den Füßen stehen.«

»Tut das nicht, Herr. Wir spielen um unser Leben.«»Gut, dann gehe ich allein zur Farm. Ich will euch

nicht in Gefahr bringen. Gehen sie mit, Neumann?«Die Frage traf das Ohr eines Schlafenden. Ermattet

war er zu Boden gesunken und sofort eingeschlafen.Ich empfahl ihn der Fürsorge der Zurückbleibendenund schulterte das Gewehr.

»Wollen Sie wirklich fort?« fragte der Pater, demder Verlust eines Weißen unangenehm war. »Vielleichtbringt uns Cirino Lebensmittel.«

»Daran zweifle ich nicht, Hochwürden. Ich muß je-doch bald Nahrung haben, sonst gehorcht mir meinKörper nicht mehr, und das kann recht schwere Folgenhaben. – Auf Wiedersehen!«

Ohne mich noch einmal umzublicken, schritt ich indie Nacht hinaus. Gar bald lag der Hohlweg hinter mirund ich war nun eine Weile deckungslos den Blickenetwaiger Verfolger preisgegeben. Im Osten zeigte sich

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bereits der helle Streifen, der die Morgendämmerungeinleitet und meine Silhouette mußte sich recht klargegen den Himmel abheben. Ich warf mich zu Bodenund kroch auf Händen und Füßen rasch über die frei-liegende Kuppe. Als ich deren höchsten Punkt erreichthatte, drang Hundegebell an mein Ohr. Es war nichtder mir bekannte Laut von Bauers Hund, sondern eherdas Kläffen eines kleineren Tieres, das sich hier in denBergen aufhalten mußte. Ich schob mich rasch vor-wärts, um den nächsten Spalt zu erreichen, der mirDeckung gegen einen Angriff bieten konnte. Dabei ge-riet ich an eine glatte Stelle. Ich kam ins Rutschen undfuhr mit ziemlicher Geschwindigkeit mit den Beinenvoran in den Spalt.

Ein Schreckensruf empfing mich. Meine Füße tratenauf eine weiche Masse, und ich fühlte, wie sich ein PaarArme wie ein Schraubstock um meine Knie preßten.

Ein kerndeutscher Kraftausdruck leitete meine Ver-teidigung ein. Ich hatte die Arme frei und warf michblitzschnell auf die dunkle Gestalt unter mir. Ich ver-suchte ihr die Kehle zuzuschnüren, als ich die Wahr-nehmung machte, daß es ein Weib war. Sofort warf ichmich wieder in die Höhe und fragte nach der Ursa-che ihres Versteckspiels. In einem Gemisch von deutschund spanisch antwortete sie:

»Ich bin die Dienerin von Frau Bauer. Der Herr kenntmich doch? Ich zeigte ihm diesen Weg . . . «

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»Ja, jetzt kenne ich dich. Aber warum bist du nichtim Hause? Ist Frau Bauer noch nicht zurück?«

»Im Hause sind Indianer. Krieger von Kaapa. Siewohnen dort und essen und trinken. Als sie ankamen,bin ich hierher geflohen . . . Hat der Herr etwas zu es-sen für mich?«

Ich mußte lächeln.»Nein, Kind. Der Hunger hat mich hierher getrieben.

Ich will in die Farm, um Lebensmittel zu holen. Wennich sie habe, kannst auch du mitessen, obgleich weiteroben schon vier Menschen darauf warten. – Glaubstdu, daß ich ohne Gefahr ins Haus gehen kann?«

»Es sind gute und böse Indianer da. Wenn der Häupt-ling in der Nähe ist, sind seine Krieger gute Menschen,sonst aber – nun, es sind wilde Indianer, die es nichtbesser wissen.«

»Wo finde ich aber die Lebensmittel? Kann ich nichtungesehen zu der Speisekammer gelangen?«

»Zur Speisekammer?« Sie mußte lächeln. »Dort fin-det der Herr nichts mehr. Auch im Stalle wird keinHuhn mehr sein . . . Aber wenn der Herr die Speisenessen kann, die unser Herr in den weißen Büchsen auf-bewahrt . . . «

»Aber gewiß, Kind. Wo finde ich sie? Sprich schnell,damit ich noch vor Tagesanbruch zurück sein kann.«

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»Der Herr muß den Tag abwarten, bevor er ins Hausgeht. Mit der Sonne gehen alle Indianer in den Hof hin-unter und braten sich dort ihr Rind. Dann ist niemandim Hause.«

»Wirst du mir den Weg zeigen?«»Madre de Dios, nein!« rief die Magd entsetzt aus.

»Wenn man mich fände . . . Nein, nein, nur das nicht.«»Dann beschreibe mir den Raum genau. Ich wer-

de versuchen, mich hineinzuschleichen und hoffe, dirbald Nahrung bringen zu können.«

»Und ein Kleidungsstück, Herr, denn seht, wie ichfliehen mußte.«

In der Tat fehlte ihr alles, und das arme Wesenwar fast erstarrt vor Kälte. Ich entledigte mich kurzentschlossen meines Rockes und warf ihn ihr auf dieSchulter.

»Wenn ich zurückkehre, tausche ich ihn wieder ein,«rief ich ihr zu. »Andernfalls brauche ich ihn nicht mehr.– Also die Kammer liegt im oberen Stockwerke?«

Nochmals bekam ich eine genaue Beschreibung derVorratsräume und dann eilte ich raschen Schrittes da-von. Ich wollte vor Sonnenaufgang wenigstens dichtam Hause sein.

Ein in voller Blüte stehender Granatstrauch verbargmich vor den Blicken der Menschen. Er preßte seineZweige dicht an die Rückwand des Hauses und bot mireine willkommene Zuflucht, falls es einem der Rothäu-te einfallen sollte, seine Schritte hierher zu lenken.

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Wie das Mädchen gesagt hatte, verließen die India-ner mit dem ersten Sonnenstrahl ihr Lager. Lärmendund lachend polterten sie die ungewohnten Treppenhinunter, wobei es an mutwilligen Streichen nicht fehl-te. Mancher dumpfe Ton verriet, daß einer der brau-nen Söhne einen unfreiwilligen Abstieg machen muß-te, dem dann zornige Rede und heitere Gegenredefolgte.

Mit klopfendem Herzen erwartete ich den Augen-blick, wo vollkommene Ruhe im Innern mir ein Ein-dringen auf den Fruchtspeicher ratsam erscheinen ließ,von meinem Versteck aus konnte ich die Verschalungleicht erreichen. Das Mädchen hatte sie beim flucht-artigen Verlassen des Hauses nur in den Rahmen ge-schoben, ohne sie zu verschließen. Das kam meinemVorhaben jetzt zugute.

Als der Lärm auf dem Hofe verstummte und derGeruch halbverbrannten Fleisches bis zu mir herüber-drang, wußte ich, daß der geeignete Moment gekom-men war. Ich ließ die Büchse in meinem Versteck zu-rück, entsicherte beide Revolver in der Hosentascheund prüfte das Messer in der Scheide. Ein kurzes Ge-bet murmelnd, ging ich ans Werk. In drei Sprüngenstand ich vor der Verschalung und zog sie aus der Oeff-nung. Wirklich schien das Brett noch unberührt, wie esdas Mädchen verlassen hatte. Nur an einer Ecke fand

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ich leichten Widerstand, den ich durch einen kräfti-gen Ruck zu beseitigen hoffte. Als ich dann mit bei-den Händen zugriff, bemerkte ich, daß eine fremdeHand im Spiele sein mußte, denn das Holz folgte nichtsofort dem Drucke, sondern es löste sich erst von ei-nem Hindernis, das nur auf einen Menschen zurück-zuführen sein konnte. Daß dieser Mensch keinen Lärmschlug, gab mir die Gewißheit, daß er ebenso wenigals ich mit den Indianern zu tun haben wollte. – Miteinem Sprung war ich innerhalb des Hauses. Von demplötzlichen Uebergang vom Hellen ins Dunkle geblen-det, unterschied ich zunächst nichts. Ich beeilte mich,das Brett wieder an seine Stelle zu setzen und bliebnun lauschend an der Wand stehen, um mich vor allenDingen nach dem Fremden umzusehen, der vor einerMinute noch an der Luke gestanden sein mußte.

Meine Nachforschungen waren vergeblich. Nichtsregte sich auf dem Speicher. Allerdings lag noch eingraues Halbdunkel auf den mächtigen Haufen gold-gelben Maises und über den in einer Ecke auf Hor-den gelagerten Aepfeln und Trauben; aber ich hätteein menschliches Wesen sehen müssen, wenn es nochdort gewesen wäre.

Ich umging auf den Zehen das Maislager und drück-te eine Tür auf, die mich auf einen Gang und in dieVorratskammer führen mußte. Im Vorbeigehen griff ichgierig nach den Trauben und steckte sie in den Mund.Mit vollen Backen kauend, betrat ich den Gang und

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eilte nun sprungweise auf die Türe zu, hinter der dieersehnten Konservenbüchsen zu finden sein mußten. –Aber mitten im Sprunge fühlte ich mich von ein Paarkräftigen Armen umschlungen. Ich wurde in die Hö-he gehoben und dann mit Gewalt der Länge nach zuBoden geworfen. Das alles war das Werk einer Se-kunde. In dem Gange war es noch so finster, daß ichmeinen Feind nicht erkennen konnte. Ich spürte aberam Griff, daß er mir an Körperkraft nicht gewachsenwar. In der Tat konnte ich mich mit ein paar energi-schen Bewegungen befreien, und nun lag mein Geg-ner im Handumdrehen unter mir. Mit eisernem Griffumspannte ich seinen Hals, und wer weiß, was dienächste Sekunde gebracht hätte, wenn nicht in ebendiesem Augenblick ein feiner Sonnenfaden über dasGesicht meines Widersachers gefahren wäre. – Ueber-rascht sprang ich auf.

»Cirino – du?« rief ich mit gedämpfter Stimme.»Mann, was fällt denn dir ein! Zum zweiten Male ste-hen wir uns unbewußt als Feinde gegenüber. Diesmalhing dein Leben an einem Fädchen! – Weshalb über-fielst du mich?«

»O, Don Fernando, mein Hals!« röchelte er statt allerAntwort. »Ihr habt mir etwas zerbrochen . . . helft mir,um der Madonna willen . . . «

»Bist du verletzt? Kannst du schlucken? Versuche esund eile dich, daß wir in ein Versteck kommen. Es wirdim Hause lebendig. Oder weiß man, daß du hier bist?«

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Ein verneinendes Kopfschütteln ersetzte die Ant-wort. Cirino drängte mich an das Ende des Ganges,wo ein breiter, gemauerter Räucherkamin dem Dachzustrebte. Zwischen diesem und dem Dachstuhl warein Raum, der uns beiden ein bequemes Versteck bot.Cirino schob mich zuerst hinauf. Dann reichte er mireinen aus Binsen geflochtenen Sack und kletterte mirnach. – Zwei Minuten später öffnete sich die Gangtü-re und ein wilder Indianer trat auf den Korridor. Ertrug eine kaum verheilte, breite Narbe quer über dasganze Gesicht und bot mit den breiten Knochenstückenin der weit herabhängenden Unterlippe einen gerade-zu fürchterlichen Anblick. Er bog lauschend den Kopf,blickte suchend umher und zog sich dann langsam wie-der zurück. Auch dieser Mensch schien sich vor den In-dianern, die augenblicklich das Haus bewohnten, ver-borgen halten zu wollen, denn er entfernte sich so laut-los, daß ich sein Verschwinden nur an dem abnehmen-den Geruch feststellen konnte. Dieser Wilde erfreutesich einer besonders penetranten Ausdünstung.

Wir saßen noch einige Minuten regungslos, dannbrach Cirino das Schweigen.

»Das ist ein Botokude, der mit am Fort Intermediowar. Dort erhielt er den Hieb. Er ist hier, um zu stehlen.Jetzt sucht er seinen Bruder . . . «

»Und wo ist der Bruder?«

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»Quien sabe!« antwortete Cirino, aber mit einer soeigentümlichen Betonung, daß ich ihm forschend insAuge blickte.

»Ah, ich verstehe! Das war wohl der Mann, dem duzu dem Sprung in den Abgrund verholfen hast? Ist esnicht so?«

»Don Fernando wird hungrig sein,« sagte er statt je-der Erwiderung auf meine Frage. »In dem Sack stecktgebratenes Fleisch und Maisbrot. Nehmt, so viel Ihr es-sen mögt!«

Die Erwähnung der Nahrungsmittel ließ mich allesandere vergessen. Ich riß den Sack auf und schob einStück Fleisch in den Mund. Aber es dauerte eine Weile,bis ich den ersten Bissen hinunterbrachte. Ich war zuausgehungert, um essen zu können. Als ich dann end-lich ein kleines Maisbrot verzehrt hatte, gedachte ichder vielen Hungernden, die in den Felsen auf meineRückkehr warteten. Ich sagte es auch meinem Nach-barn und fragte gleichzeitig, ob wir den Weg dahin wa-gen könnten.

»Wir müssen jeden, der uns feindlich gegenübertritt,beseitigen,« erwiderte er kaltblütig. »Aber nicht mit derSchußwaffe, sonst kommen wir nicht weit. Uebrigenssoll die Familie Bauer heute zurückkehren.«

»Wer sagt das?«»Ich sprach mit meinem Vater. Er hat den wilden

Gorka zum Abzug gezwungen. Sobald dieser das Ge-biet meines Vaters verlassen hat, ist Bauer frei.«

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»Hier treiben aber Kaapas Leute ihr Unwesen, wieich höre.«

»Kaapa ist ein Freund meines Vaters. Seine Leutewerden die Gorka verfolgen und besiegen, wenn dieSoldaten vom Fort Guachalla verjagt sind.«

»Kann dir dein Vater denn deine Sicherheit nicht ver-schaffen? Warum versteckst du dich vor den Indianernim Hause?«

»Quien sabe! Aber hört Ihr den Lärm? Da geht etwasaußergewöhnliches vor!«

Ein wüstes Geschrei drang vom Hofe her in unserVersteck. Man vernahm heftig ausgestoßene Worte, so-wie dumpfe Töne. Der Lärm zog sich nach und nachin das Innere des Hauses, und nun verstand Cirino dieRufe.

»Da kämpfen zwei Stämme miteinander,« sagte eraufgeregt, »sie rufen sich Schimpfworte zu und feuernsich gegenseitig zum Angriff an. Gebt mir Euer Gewehr,Don Fernando. Ich schaffe uns dann freien Abzug.«

»Meine Büchse ließ ich draußen,« erwiderte ich, dieRevolver verschweigend. »Hier will ich nur das Mes-ser gebrauchen, wenn ich mich verteidigen muß. Aberdie Streitenden entfernen sich wieder . . . Sollen wir eswagen?«

»Ohne Gewehr ist es für Euch gefährlich. Ich kannmich eher verbergen, da man mich nicht so sehr be-achtet. Aber ich will einmal nachsehen, wer jetzt dieFarm besetzt hält – macht mir Platz!«

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Er drängte sich an mir vorüber und kletterte an denDachbalken empor, bis er die Stelle erreichte, wo derKamin das Dach verläßt. Durch die schmale Oeffnungzwängte er den Kopf und einen Arm, mit dem er sich inder Schwebe hielt. Nach wenigen Minuten schon kehr-te er zurück.

»Im Hofe ist Kaapa selbst mit wenigen Kriegern.Auch von meinem Stamme sah ich einige, die nach denUlmen liefen. Wenn Ihr es wagen wollt . . . «

»Glaubst du, daß ich durchkomme?«»Wenn Ihr das Gewehr habt: ja!«»Dann fülle mir deinen Sack mit Lebensmitteln und

decke mir den Rücken. Ich brauche nur wenige Minu-ten Vorsprung.«

»O, Herr, ich gehe mit Euch. Den Sack trage ich. Ihrgeht zuerst hinaus und dann folge ich, wenn ich Euchlaufen sehe.«

»Gut – aber bringe Eßwaren mit, so viel du tragenkannst.«

Im Begriff, unser Versteck zu verlassen, hörten wirwieder Geräusch in dem Gange. Wieder erschien derBotokude, der sich jetzt noch scheuer bewegte als vor-her. Er war bewaffnet. An seinem Handgelenk hing dieschwere Keule, und das lange Messer hatte er querin den Mund geklemmt. Lautlos bewegte er sich vor-wärts. An der Türe des Vorratsraumes hemmte er denSchritt. Er nahm das Messer aus dem Munde und hieltes stoßbereit vor sich hin. Dann erst öffnete er mit der

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Linken die Türe. Sie knarrte in den Angeln, und derkreischende Laut hallte wie ein Jammergeschrei durchdas Haus. Einen Moment lang stand der Einbrecherwie gelähmt. Die nächste Sekunde jedoch gab ihm dieVerwegenheit wieder. Mit einem Sprung warf er sichvorwärts in den Raum. Doch mußte er an ein Hinder-nis geraten sein, denn drinnen polterte es, als ob Blech-gefäße übereinanderstürzten . . .

Cirino hatte den ganzen Vorgang mit glänzendenAugen verfolgt. Als der Wilde in den Raum eindrang,sprang er mit einem Satze zu Boden. In der näch-sten Sekunde hatte er die Türe zugeschlagen und denSchlüssel umgedreht. Frohlockend raunte er mir zu:

»Nehmt den Sack und flieht. Ich komme bald nach.Der hier bürgt für Eure Sicherheit . . . Rasch, bevorman aufmerksam wird!«

»Aber keinen Mord, Cirino, hörst du?«»Lauft, Don Fernando, denn jetzt achtet man nicht

auf Euch,« rief er, und ich sah nun selbst ein, daß Eilenot tat. Als ich den Maisboden durchschritt, lösten sicheine Anzahl Körner aus dem Haufen und fielen auf dieTreppe, wo sie nach kurzem Geklapper liegen blieben.Dieses an sich gewöhnliche Geräusch mußte aber wohldie Aufmerksamkeit eines unten Beschäftigten erregthaben, denn ich hörte einen kurzen Anruf, der natür-lich dazu beitrug, meine Schritte zu beflügeln. In mei-ner Hast gelang es mir auch nicht, die Verschalung oh-ne größeres Geräusch aus der Oeffnung zu heben, und

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bei dem Versuche, sie wieder an ihre Stelle zu setzen,entglitt sie meiner Hand und fiel polternd nach innen.

Mit drei Sprüngen war ich in dem Granatstrauch,wo ich meine Büchse wiederfand. Ich wollte nun dieFlucht fortsetzen, aber als ich noch einen Blick zurück-warf, bemerkte ich, wie ein brauner Kopf sich vorsich-tig aus der Luke schob und das Auge suchend auf denGranatstrauch heftete. Ob er mich bemerkte, weiß ichnicht, aber als er sich dann hastig zurückzog, verließich mein Versteck und lief, so rasch mich meine Füßetrugen, über die ungeschützte Kuppe dem Hohlweg zu.

Das Mädchen lag platt auf dem Boden in der Sonne.Es hatte meine Flucht mit angesehen und empfing

mich mit einem Freudenruf.»Hast du ein Kleid, Herr?« war ihre erste Frage. Lei-

der mußte ich sie verneinen, denn ich hatte gerade die-se Bitte rein vergessen. Dahingegen konnte ich ihr eingrößeres Stück Maisbrot geben. Ihre weiteren Wün-sche aber wies ich zurück, indem ich sie aufforderte,mit mir zu gehen.

»Das, was ich mitgebracht habe, muß gleichmäßigverteilt werden, liebes Kind. Dort oben warten nochvier Leute. Du hast ohnehin schon ein Brot mehr be-kommen.«

Das Mädchen zögerte. Es machte Schwierigkeitenwegen ihrer mangelhaften Bekleidung, und es ent-spann sich eine längere Debatte über diesen Punkt,

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die sie aber selbst mit einem leisen Aufschrei beendete.Auf das Haus deutend, rief sie, meinen Arm pressend:

»Hilf mir, Herr, die roten Männer kommen!«Wirklich erschienen jetzt vor der Luke am Hause ein

paar Indianer, die sich an dem Granatstrauch zu schaf-fen machten. Ich ahnte Unheil, packte das Mädchenam Handgelenk und riß es in den Spalt zurück.

»Laufe, muchacha! Bleibe immer in diesem Spalt,dann findest du Freunde. Ich komme bald nach.«

Mit der Hartnäckigkeit, die die Angst verleiht,sträubte sie sich jedoch, allein weiterzugehen, und esblieb mir nichts anderes übrig, als sie zu begleiten, ob-wohl ich das weitere Gebaren der roten Männer gernbeobachtet hätte.

Wir legten im Geschwindschritt mehrere hundertMeter zurück, wobei wir uns immer in der Deckung derFelsen befanden. Dann war wieder eine offene Stellezu überschreiten. Bevor ich aus dem Schutze der Wän-de heraustrat, hieß ich das Mädchen warten, schobmich auf dem Bauche aus der Gasse und spähte rück-wärts. Was ich da sah, gab mir einen Stich ins Herz.

In schnellem Laufe näherten sich uns zwei Indianer,die in kurzer Entfernung voneinander in dem Momentin den Hohlweg eintauchten, als ich dorthin zurück-blickte. Sofort war ich mich der Gefahr bewußt. Ichmußte die Wilden aufhalten, um die Freunde zu ret-ten, die mich in der Höhle erwarteten. Ich rief demMädchen in barschem Tone zu:

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»Nun ist es die höchste Zeit! Laufe so schnell dukannst voraus und warne die Leute, die du in der Höhlefindest. Der Alemano soll sofort hierherkommen. Wirwerden von den Indianern verfolgt.«

Ein Aufschrei sagte mir, daß sie begriffen hatte. Ichdrückte ihr den Binsensack in den Arm und führte siemit einem unsanften Puff über die Kuppe in den Hohl-weg.

»Nun marsch! Und wehe dir, wenn du nicht so raschläufst, als es dir möglich ist. Sende mir sofort den Deut-schen hierher!«

Wirklich lief das Mädchen in weiten Sprüngen da-von. Ich legte mich mit der Büchse hinter die erstenFelsen des Hohlweges in Deckung und erwartete dasErscheinen der Rothäute auf der Kuppe. Sie waren dortohne jede Deckung, und wenn es nur die Beiden wa-ren, die ich gesehen, so konnten sie mir nicht gefähr-lich werden.

Ich brauchte nicht lange zu warten. Kaum hatte ichmich vergewissert, daß die Kugeln ordnungsmäßig imLaufe saßen, als auch schon das Schnauben des Erstenhörbar wurde. Gleich darauf erschien auch der Wil-de. Fast hätte ich einen Ruf der Ueberraschung ausge-stoßen, denn mein Verfolger war jener Botokude, denCirino in die Kammer eingesperrt hatte. Er trug nochKeule und Messer.

»Halt!« donnerte ich ihm entgegen und hob das Ge-wehr. Der Anruf kam dem Manne so unerwartet, daß

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er einen Luftsprung machte und seitlich auszubrechensuchte. Ein einziger Blick sagte ihm aber, daß das un-möglich war. Er wandte sich halb um, als ob er denBeistand seines Gefährten erwarten wollte, warf aberdann Messer und Keule zu Boden und kam mit erho-benen Händen auf mich zu, indem er mir ein paar mirunverständliche Worte zurief.

Einen Unbewaffneten fürchtete ich natürlich nicht.Ich senkte den Lauf und winkte den Mann heran. Indemselben Augenblick aber erschien auch der zweiteIndianer auf der Kuppe. – Es war Cirino, der einen Re-volver in der Hand trug und zornbebend schrie:

»Macht Platz, Don Fernando! Der Hund ist mein!«»Halt, Cirino!« rief ich und hob das Gewehr an die

Wange. »Der Mann hat bei mir Schutz gesucht, und ichdulde nicht, daß ihm ein Leid geschieht!«

»Aber Ihr kennt ihn nicht, Don Fernando. Er ist einMörder!«

»Das sind andere auch. Deshalb hast du noch keinRecht, ihn zu töten. Denke an seinen Bruder und andich! Lege den Revolver nieder und dann erzähle mir,wessen du den Mann anklagst.«

Der Botokude hatte begriffen, daß ihm vorderhandkeine Gefahr mehr drohte. Er trat jetzt an meine Seiteund sprudelte eine längere Rede hervor, von der ich lei-der kein Wort verstand. Cirino hingegen schäumte vorWut und schien nicht übel Lust zu haben, sich auf den

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andern zu stürzen, der aber jetzt, wo er die gefürchte-te Feuerwaffe nicht mehr auf sich gerichtet sah, einemKampfe nicht mehr ausweichen wollte. Ich beschränktemich darauf, Cirino zu beruhigen, indem ich ihm ver-sprach, seine Anklagen zu prüfen, wenn ein Dolmet-scher mir die Worte des Botokuden übersetzen würde.

»Das kann ich gerade so gut wie ein anderer!« rief erwütend.

»Das glaube ich dir aufs Wort, aber das genügt mirnicht. Du weißt, daß uns dein Bruder und seine Schütz-linge erwarten. Der Pater wird die Sprache des Botoku-den verstehen.«

»Ich brauche keinen Pater. Der Mann gehört mir, undich ruhe nicht, bis er nicht tot auf dem Boden liegt.«

»Willst du mit ihm kämpfen? Mir scheint es, als ober große Lust dazu hätte. Natürlich ohne Waffen!«

»Nein, so dumm bin ich nicht. Der Hund ist viel stär-ker als ich, sonst wäre er mir nicht aus der Kammerentkommen.«

»Gut, dann bleibt es bei dem, was ich sagte. – Ueb-rigens kommen schon die Freunde . . . Nein, es ist DonRoberto – allein!«

Von weitem schon rief Neumann mir zu:»Aushalten – ich komme!«»Das sehe ich, lieber Freund. Besten Dank für den

guten Willen. Meine Verfolger haben aber bereits dieWaffen gestreckt.«

»Ah, da ist ja Cirino. Weißt du, daß man dich sucht?«

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»Mich sucht man? Mich? Wer denn?«»Wenn ich das wüßte! Ich kenne die Indianer noch

nicht auseinander. Ich glaube aber, ich sah ihn schonauf der Farm. Dein Bruder sprach mit ihm.«

»Wißt Ihr nicht, was der Mann wollte?« fragte Ci-rino, durch die Mitteilung sichtlich beunruhigt. »Wiekam der Indianer überhaupt hier herauf? Den Wegkennen doch nur wenige Eingeweihte.«

»Das alles kann dir dein Bruder sagen. Er ist noch inder Höhle. Es wäre mir lieb, wenn du ihm Nachrich-ten über Don Fernando brächtest – oder ist hier keineVerfolgung mehr zu fürchten?«

»In der Höhle, sagt Ihr? Die ist ja nicht weit von hier.Ich laufe hinüber und bin bald wieder zurück!«

Ohne meine Zustimmung abzuwarten, lief er vondannen.

»Der muß ein schlechtes Gewissen haben!« sagte ichlachend. »Ich glaube, er hält sich nicht lange in derHöhle auf.«

»Wie kommen sie denn an den Ausbund von Schön-heit?« fragte Neumann, mit den Augen auf den Boto-kuden deutend.

»Der hat sich unter deutschen Schutz gestellt. Cirinoverfolgte ihn mit mörderischen Absichten. Als er mirdann vor den Lauf kam, muß ich ihm wohl mehr Ver-trauen eingeflößt haben, als sein Verfolger. Er warf sei-ne Waffen fort und lief mir in die geöffneten Arme. Da

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liegt seine Keule und das Messer . . . Siehe da, auch Ci-rino hat seinen Revolver vergessen. – Ja, ja, das böseGewissen.«

»Sie sagten das schon einmal, wissen sie etwas vonCirino? Er soll mich ja als Diener begleiten, und manmöchte doch gern genau wissen, mit wem man zu tunhat.«

»Wenn ich nicht irre, hat er gestern einen Mord be-gangen. Sie erinnern, daß ein Indianer einen andernin den Abgrund stieß. Der Mörder war nach meinerUeberzeugung Cirino und sein Opfer der Bruder die-ses Apollo. – Wenn ich den Kerl nur verstünde! Ob derPater botokudisch spricht?«

»Wahrscheinlich, denn er erzählte von brasiliani-schen Indianern, die große Holzscheiben in Ohren undNase tragen. Dieser hier hat ja auch derartige Zierate.«

»Dann lassen sie uns den Pater aufsuchen, damit ichmich mit ruhigem Gewissen dieses Menschen entledi-gen kann. – Ich glaube, von der Farm her haben wirkeine Verfolgung mehr zu fürchten.«

Ich griff die Waffen des Wilden auf und deutete ihman, daß er mit uns gehen sollte. Er blickte mir einenAugenblick fest in die Augen, dann bewegte er die Lip-pen und sein häßliches Gesicht verzog sich zu einerdemütigen Bitte.

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Ich verstand ihn. Er wollte seine Waffen zurückha-ben. Einen Augenblick überlegte ich, indem ich prü-fend in sein Antlitz blickte. Dann reichte ich ihm bei-des, Keule und Messer. Ein Freudenblitz schoß aus sei-nen Augen. Dankend legte er die Hand an Stirn undBrust und trat dann an meine Seite. Während wir sodahinschritten, die Büchsen geschultert, fragte Neu-mann:

»Ist es nicht leichtsinnig, dem Wilden die Waffenwiederzugeben? Er bleibt oft zurück. Wie leicht könn-te es ihm einfallen, mir den Schädel einzuschlagen undIhnen das Messer zwischen die Rippen stoßen.«

»Das tut der Mann nicht. Jetzt nicht mehr. Vor ei-ner Stunde noch hätte ich ihm nicht getraut. Nun abersieht er in mir seinen Retter, und der ist sicher vorihm.«

»Na, ich weiß doch nicht recht . . . Wenn Sie Ihr Ver-trauen nur nicht bereuen!«

»Mit Cirino darf er natürlich nicht zusammentref-fen.«

»Der ist aber doch in der Höhle.«»Glauben Sie? Ich bin anderer Ansicht. Der ist längst

auf und davon. Vielleicht sucht er Schutz bei seinemVater, der auch nicht besser zu sein scheint, als seinSohn. – Doch da sind wir! . . . Halloh, Hochwürden,bitte, bemühen Sie sich hierher. Ich brauche einen Dol-metscher!«

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Ich hatte den Botokuden mit der Hand zurückgehal-ten, als sich der Pater näherte. Jetzt legte er die Waf-fen auf den Boden und hob seine Hände in Brusthö-he mit den Flächen nach außen, um zu zeigen, daßer als Freund gekommen war. Der Pater hob ebenfallsdie Hände, und da ihm die Zierate keinen Zweifel überdie Rasse des Wilden ließen, redete er diesen gleich inseiner Sprache an.

Der Botokude brachte vor Erstaunen den Mund nichtwieder zu, als er so unerwartet die heimatlichen Lauteaus dem Munde eines weißen Mannes hörte. Die Wortesprudelten über seine Lippen und die Antworten desPaters setzten ihn in höchstes Entzücken.

Während dieser Unterhaltung wandte ich mich andie Frau und erfuhr von ihr, daß Gil mit seinem Bruderan den Fluß hinuntergestiegen sei. Er hatte hinterlas-sen, daß man ihn hier in der Höhle erwarten solle, erbrächte Nachrichten von der Farm mit. Das Mädchenergänzte diese Mitteilung. Es hatte ein paar Worte ausder Unterredung der beiden Brüder aufgefangen undglaubte sie dahin deuten zu sollen, daß weder der einenoch der andere hierher zurückkehre, sie wollten mitihrem Vater in dessen Heimat fliehen.

»Das ist doch nicht möglich, daß Gil uns hier, sodicht am Ziele verläßt, nachdem er sein Leben darangewagt hat, uns aus der Mission zu retten,« sagte dieFrau. »Er wird bestimmt wieder kommen. Das Mäd-chen muß sich verhört haben.«

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»Cirino wird triftige Gründe haben, sich auf einigeZeit von hier zu entfernen,« gab ich zur Antwort. »Wieweit die Bruderliebe Gils dabei in Anspruch genommenwird, vermag ich nicht zu beurteilen. – Wir können üb-rigens auch ohne ihn fertig werden, denn es hat denAnschein, als ob die Indianer die Farm räumten. Jeden-falls kehre ich dorthin zurück, um unsere Ausrüstungzu holen, falls sie noch da ist. Dann setze ich meineReise fort.«

»Sie wollen fort?« fragte Neumann erstaunt. »Wirkönnen doch jetzt nicht in den Chaco, wo alle India-ner im Aufruhr sind.«

»Der Chaco reizt mich auch nicht. Ich gehe strom-aufwärts an die brasilianische Grenze und setze mei-ne Reise fort. Bauers können wir keine wirksame Hilfebringen, also ist unsere Anwesenheit hier zwecklos. InConcepcion melde ich den Ueberfall und suche militä-rischen Schutz für die Farm zu erlangen.«

»Wir sollten aber doch versuchen, etwas über BauersVerbleib zu erfahren,« sagte Neumann.

»Das will ich ja auch. Zu dem Zwecke kehre ich aufdie Farm zurück. Das Mädchen wird mich begleitenund als Dolmetscher dienen.«

»Nein, nein, ich gehe nicht auf die Farm,« rief dasMädchen, dem der Sinn meiner Worte nicht entgangenwar. »Dort sind böse Indianer . . . «

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»Die dich nicht anrühren werden, solange ich nochein Gewehr halten kann. Habe keine Angst. Du sollstzu Frau Bauer gehen, die deine Hilfe braucht.«

Der Pater trat zu uns.»Der Botokude erzählt mir da böse Geschichten von

Ihrem Cirino. Wenn das wahr ist – und ich habe kei-nen Grund daran zu zweifeln – dann muß das ein Ver-brecher schlimmster Sorte sein. – Er hat unter andermauch den Bruder dieses Mannes ermordet, indem erihn hinterrücks in den Abgrund warf.«

»Das habe ich sogar mit angesehen,« erwiderte ich.»Allerdings wußte ich nicht, daß Cirino der Täter war.Ich sah nur die Umrisse der beiden Menschen. Ueb-rigens scheint der Botokude auch kein Ehrenmann inunserm Sinne zu sein. Ich traf ihn auf Schleichwegenim Farmerhause, wo er wahrscheinlich stehlen wollte.«

»Hm, diese wilden Menschen haben sonderbare Ei-gentumsbegriffe. Es wäre nicht so unmöglich, daß sierecht haben . . . «

»Fragen sie ihn, was er auf dem Speicher des Hauseszu suchen hatte.«

Der Botokude war durchaus nicht über unsereKenntnis seiner Taten überrascht. Er gab sofort Ant-wort auf die Fragen des Paters. Danach war er derFährte Cirinos gefolgt, hatte sie aber wieder verloren,

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als er im Gange plötzlich zwei verschiedene Fußab-drücke fand. Er war dann später in die Kammer ein-gedrungen, weil er dort den Mörder vermutete. Ciri-no war ihm dorthin gefolgt. Er warf mit dem Messernach ihm, verfehlte aber das Ziel und nun kam es zumKampfe, Mann gegen Mann, in dem der Botokude Sie-ger blieb. Er stand im Begriff Cirino zu töten, als einDritter auf dem Gange erschien, der dem Mörder et-was in einer fremden Sprache zurief. Der fremde Manntrug einen Revolver in der Hand. Als der Botokude diegefährliche Waffe erkannte, ließ er von Cirino ab undfloh an dem Fremden vorüber aus dem Hause. In demAugenblick, wo er aus der Luke sprang, hörte er nocheinen gellenden Schrei und gleich darauf sah er Cirinomit der Waffe in der Hand auf seiner Fährte . . . «

Die letzten Worte versetzten mich in Unruhe. DerFremde, der im Besitze eines Revolvers war, konntedoch nut ein Weißer sein, und außer Bauer befand sichkein weißer Mann auf der Farm. Aus dem Botokudenwar aber nichts anderes herauszubringen, als was erschon gesagt hatte. In seiner Aufregung hatte er denFremden nicht weiter angesehen. Nur erinnerte er sich,daß er einen Hut trug.

»Wenn Cirino sich an Bauer vergriffen hätte?« DerGedanke ließ mich nicht mehr los. Hastig raffte ichmein Gewehr auf und rief Neumann und dem Pater zu,mich hier zu erwarten. Dann eilte ich in raschem Laufedem Farmhause zu. Von der letzten Kuppe aus konnte

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ich in den Hofraum sehen. Dort stand der alte Mali-bo mit noch zwei Indianern im Gespräch. Ihr Aeuße-res verriet keinerlei Aufregung. Unbemerkt von ihnenglitt ich in den letzten Spalt und schob mich hier soweit vor, daß ich das Haus übersehen konnte. Die Lukean der Rückwand stand offen, die Verschalung an dieWand gelehnt. Nichts deutete auf die Anwesenheit vonMenschen im oberen Teile der Farm. Dennoch warteteich längere Zeit, bevor ich mich aus der Deckung her-auswagte. Mit wenigen Sätzen erreichte ich dann denGranatstrauch. Um diesen herum war der Boden zer-treten. An der Wand klebte der Abdruck einer blutigenHand. Er konnte noch nicht sehr alt sein, denn das Blutwar noch nicht fest eingetrocknet.

Diese Wahrnehmung zwang mich zu äußerster Vor-sicht. Ich suchte vor allen Dingen Deckung hinter demBusch. Hierauf lauschte ich auf etwaige Geräusche imInnern des Hauses. Dort regte sich aber nichts, und nunbefaßte ich mich eingehender mit dem Abdruck derHand. Ich suchte festzustellen, welcher Rasse sie an-gehören könnte, ob sie einem jungen oder alten Man-ne angehörte. Aber da ich auf diesem Gebiete noch zuwenig Schulung besaß, blieb mein Versuch fruchtlos.

Die Sonne hatte sich bereits hinter den Bäumen desChaco versteckt und immer noch saß ich wartend inmeinem Busche. Ich konnte den Mut nicht aufbringen,in die Oeffnung zu treten, und einen Blick über denMaisboden zu werfen. Ein unbekanntes Gefühl hielt

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mich zurück. Furcht war es nicht, aber eine Ahnungvon drohendem Unheil ließ mich jedesmal, wenn ichaus meiner Deckung heraustreten wollte, zaudern. Alsaber die nächtlichen Schatten sich über das ferne Talzu breiten begannen, faßte ich mir ein Herz. Ich prüftemeine Revolver und lockerte das Messer, das ich ganzvorn in den Gürtel steckte. Dann blickte ich noch ein-mal um mich . . .

Narrte mich ein Spuk oder war es Wirklichkeit. Inder Luke des Hauses zeigte sich jetzt ein Kopf. – EinMann in gebückter Stellung lugte scheu ins Freie. SeinBlick streifte mein Versteck, ohne mich zu bemerken. . . Mit einem Ruck erhob er sich, beugte den Körperzurück und flog dann, wie der Pfeil von der Sehne, miteinem Sprung an mir vorüber der Kuppe zu.

Aber er sollte sein Ziel nicht erreichen. Kaum zeigtesich die Gestalt in vollem Lichte, da zuckte ein Blitz ausden Steinen über mir. Donnernd brach sich der Schalldes Schusses in den Wänden. Der Fliehende warf dieHand in die Höhe, taumelte und fiel, ohne einen Lautauszustoßen, hart aufs Gesicht.

Ich stand wie gelähmt und lehnte mich gegen dieWand. Das Herz schlug mir zum Zerspringen . . . Daßdort ein Mensch jäh ausgelöscht wurde, griff michnicht so sehr an, als die Gewißheit, daß ich jetzt an derStelle des Toten läge, wenn mich nicht die schützendeHand Gottes in meinem Versteck zurückgehalten hätte.Und wer sagte mir, daß ich mich jetzt außer Gefahr vor

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dem Mörder befand? Galt der Schuß einer bestimm-ten Person oder jedem, der das Haus auf diesem Wegeverließ? Lange sollte mir die Antwort auf diese Fragevorbehalten bleiben. Endlich regte es sich in den felsi-gen Mauern. Kleine Steine bröckelten ab und fielen vormir in den Granatstrauch. Dann hörte ich ein gedämpf-tes Scharren und sah, wie ein Schatten zu Boden glitt,der in großen Sätzen über die Lichtung eilte und sichüber den Toten beugte. Er konnte aber nur einen Blickin dessen Züge geworfen haben, so schnell hastete erwieder zurück. An der Wand angekommen, rief er mitunterdrückter Stimme in spanischer Sprache:

»Der ist es nicht, aber er gehört zu dem gleichenStamme.«

Ein derber Fluch tönte als Antwort herunter undbald stand ein zweiter Mann auf wenige Meter von mirentfernt. Er sagte seinem Gefährten ein paar tadelndeWorte über sein voreiliges Schießen und schloß mit derFrage:

»Was machen wir nun? Bei Nacht getraue ich michnicht ins Haus. Die Wilden haben Augen wie die Eulenund rennen uns die Messer in den Leib, bevor wir sienur zu Gesicht bekommen.«

»Hier können wir auch nicht bleiben, wer weiß, obnicht in jenen Felsen ein Rudel Schwarzer verstecktliegt. Der Schuß hat unsern Stand verraten und ichwette, daß wir in weniger als einer Viertelstunde dieMeute auf dem Halse haben.«

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»Das wäre eine böse Geschichte,« erwiderte der an-dere. »Ich habe nur noch drei Kugeln. Dann ist’s aus!«

»Und ich nur noch zwei,« tönte es zurück.»Da kann ich aushelfen,« rief ich, die Büsche teilend.

»Guten Abend, meine Herren, wenn ich nicht irre, sindSie auch zum Schutze Bauers hier?«

Trotz des Ernstes meiner Lage mußte ich lächeln, alsich die entsetzten Gesichter der beiden Männer sah.Der eine taumelte tatsächlich mit zur Abwehr vorge-streckten Händen gegen den Felsen, so daß ich michnicht enthalten konnte, hinzuzufügen:

»Ich bin kein Gespenst, sondern ein Freund Bauers,der hier nach dem Rechten sehen will. Und mit wemhabe ich die Ehre?«

Nun erst wich die Beklemmung und der eine sagte:»Wir sind Farmer. Ein Indianer meldete uns den Ue-

berfall und wir sind mit zehn Mann hierher geeilt, umdem Deutschen beizustehen. Leider wurde einer vonuns ermordet. Der Täter, ein Indianer, ist mit der Waffeunseres Freundes entkommen, wenn er nicht noch imHause versteckt ist.«

»Wo ist Bauer und seine Frau, wissen Sie das?«»Augenblicklich sind sie unter dem Schutze Kaapas

in einer verlassenen Farm, zwei Meilen stromaufwärts.Bauer ist verwundet, sonst wäre er schon hier.«

»Verwundet? Doch nicht schwer?«»Ein Speerstich. Ein fremder Häuptling wollte sich

an Bauers Frau vergreifen. Bei der Gelegenheit bekam

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er den Stich. Es scheint nicht schlimm geworden zusein.«

»Und die Frau?«»Ah, die Frau! Die hat dem Wilden mit seiner ei-

genen Keule derart auf den Schädel geklopft, daß ihnseine Leute eiligst davontrugen. Jetzt scheinen Kriegerseines Stammes hier rauben und stehlen zu wollen.«

»Der alte Malibo ist aber im Hause. Ich sah ihn mitzwei Indianern auf dem Hofe stehen.«

»Ach, was kann denn der Alte machen? Selbst wenner wollte, hindert der niemand am Plündern.«

»Dann wollen wir zu ihm gehen. Er kennt mich undwird sich vielleicht freuen, wenn ihm Hilfe gegen dasGesindel gebracht wird.«

»Hm – im Hause sind Rothäute versteckt, wenn wirmit denen zusammentreffen . . . «

»Dann kann es ihnen schlecht ergehen, falls sie nichtbrav sind,« erwiderte ich. »Kommen Sie, ich gehe vor-an.«

»Halt!« rief da der Farmer. »Ich höre Stimmen hinteruns. Da sind Indianer versteckt!«

»Donnerwetter, ja. Die habe ich vergessen. Ich werdesie rufen, sie können uns eine wertvolle Hilfe sein.«

»Wer, die Indianer?«»Nun ja. Indianer sind es gerade nicht. Mein Gefähr-

te, ein Deutscher, und ein Jesuitenvater erwarten mitzwei Frauen meine Nachrichten. Ein Botokude ist auchdabei. Der Hunger wird sie hierher treiben . . . Halloh,

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Neumann!« rief ich so laut, daß das Echo den Namenrollend zurückgab.

Der Farmer preßte meinen Arm mit ganzer Kraft.»Mann, sind Sie toll? Oder hetzen sie uns die India-

ner absichtlich auf den Hals?« rief er zornig, währendsein Gefährte sich nach Deckung umsah.

»Seien Sie vernünftig, Mann!« erwiderte ich. »Wirdrei und die drei Männer, die dort kommen, sind dochwahrhaftig imstande, die paar Wilden zu verjagen –wenn sie überhaupt noch auf der Farm sein sollten.«

Es kamen aber nur zwei Männer mit den Frauen. DerBotokude hatte sich empfohlen, nicht ohne mir noch-mals durch den Pater seinen Dank für das Vertrauenauszusprechen, das ich ihm durch Rückgabe der Waf-fen bewiesen hatte. Der Pater fügte noch hinzu, daßder Wilde ihm versprochen habe, Cirino nicht zu tö-ten, sondern, wenn er ihn fände, seinem Häuptling zurBestrafung zu übergeben.

Ich drängte jetzt zum Aufbruch. Der Mond muß-te bald hinter den Bergen auftauchen und dann warunser Aufenthalt auf dem kahlen Gebirgsrücken nichtsehr angenehm. Der Pater wollte sich jedoch nicht an-schließen.

»Ich darf mich nicht in Situationen begeben, die sichmit meinem geistlichen Berufe nicht vertragen, wenn,

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wie ich aus Ihren Worten entnehme, Indianer im Far-merhause sind, die uns gewaltsam am Betreten der Be-sitzung hindern, so wird es sehr wahrscheinlich zumKampfe kommen . . . «

»Das ist mehr als wahrscheinlich!« unterbrach ich.»Nun ja. Dabei darf ich nicht mittun. Ich müßte sie

im Gegenteil davon abhalten, Menschenleben zu ver-nichten . . . «

»Na, erlauben sie, Hochwürden, sollen wir uns dennohne jede Gegenwehr abschlachten lassen?«

»Sie sollten sich nicht in solche Lage begeben. Dar-um eben schließe ich mich für meinen Teil – und ichdarf auch wohl im Namen meiner Begleiterin reden –davon aus. Nehmen Sie mir das nicht übel.«

»Wo wollen Sie denn aber die Nacht zubringen? Hierkönnen Sie nicht bleiben, denn die Indianer kennenjetzt den Hohlweg. Zurück können sie auch nicht undich darf Sie in solcher Zwangslage auch nicht alleinhier lassen . . . «

»Das Mädchen sprach von einem bewohnten Hause,das man von hier aus in einer Stunde erreichen könnte.Es soll einem fremden Farmer gehören. Den möchte ichaufsuchen.«

»Davon weiß ich allerdings nichts. Auch Herr Bauerhat mir nicht gesagt, daß er europäische Nachbarn inder Nähe hätte, was für ein Fremder könnte das sein?«Die Frage war an das Mädchen gerichtet.

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»Ein brauner Mann wohnt dort unten in der Schlucht,«antwortete die Magd. »Er kommt zuweilen zu meinemHerrn und kauft Felle und Knochen von den geschlach-teten Tieren. Dort ist der Pater vor den Indianern si-cher, weil diese den Mann für einen bösen Zaubererhalten.«

»Weißt du den weg dorthin?«»Bis dorthin, wo der Weg abwärts geht, ja. Nachher

kann ihn der hochwürdige Herr nicht mehr verfehlen,denn es geht nur ein Pfad zu dem Hause hinunter.«

»Dann begleite Hochwürden bis zu dem Punkte. Duselbst kommst doch wieder? Ich bedarf deiner im Hau-se, da ich nicht alle Räume kenne.«

»Gewiß, Herr, wenn Ihr hier warten wollt!«Als die drei aus unserm Gesichtskreise Verschwun-

den waren, klärte ich Neumann über die Farmer undderen brutales Vorgehen auf und riet ihm vorsichtigzu sein, denn die Umstände, unter denen ich ihre Be-kanntschaft gemacht hatte, sprachen nicht zu derenGunsten.

Mit kurzen Worten machte ich dann beide Gruppenmit einander bekannt und forderte sie auf, mit zumFarmerhause vorzudringen. Wenn wir in geschlosse-nem Trupp aufträten, würden sich die Indianer gewißsofort zurückziehen.

Die Farmer machten Einwendungen, wir hätten keinLicht und ohne das . . .

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»Ich finde den Weg im Dunkeln,« rief plötzlich diejunge Magd, die atemlos neben uns auftauchte –»Kommt mit, Don Fernando, wir schicken den Männernein Licht heraus.«

Das Beispiel half. Im Gänseschritt betraten wir denMaisboden. Dort reichte mir das Mädchen die Handund führte mich bis zur Treppe, den andern empfeh-lend, sich an dem Vordermann festzuhalten. So kamenwir bis auf den zu ebener Erde gelegenen Flur, ohneeinem Menschen zu begegnen. Das Mädchen drück-te eine Tür auf, die in die große Wohnstube führte.Hier zog sie die Petroleumlampe herunter und machteLicht. – Gott im Himmel, wie sah es dort aus! Kästenund Schränke waren geöffnet und ihr Inhalt auf denBoden geworfen, was die Plünderer brauchen konnten,hatten sie wohl mitgenommen – allzuviel konnte esnicht sein! – Auf den Tischen, die mit schönen Deckenbelegt waren, hatte man Hühner geschlachtet. Auf demweißgescheuerten Fußboden bewiesen verkohlte Ae-ste, daß man hier auch abgekocht hatte. Daß dabeidas Haus nicht in Flammen aufging, war ein großesGlück. Unberührt war merkwürdigerweise die wertvol-le Standuhr, deren Mechanismus den Rothäuten wohlabergläubischen Schrecken eingeflößt hatte.

Nach diesem Räume zeigte uns das Mädchen dieSchlafzimmer, die unberührt geblieben waren. Böse

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sah es dagegen in dem »guten« Zimmer aus. Dort wa-ren alle Polstermöbel zerschnitten und die Stoffbezü-ge gestohlen worden. Auch den großen Spiegel hat-te man zerschlagen, die Scherben aber mitgenommen.Hier hatten die Rothäute gehaust – wie die Wilden! DasWort paßte!

In der Küche fanden wir die ersten Lebewesen. ZweiIndianer. Sie lagen sinnlos betrunken mit dem Kopfeauf den für den Kamin bestimmten Holzklötzen.

»Die müssen wir vor allen Dingen solide binden,«sagte ich mit gedämpfter Stimme. »Wenn sie erwachen,rechne ich in Bauers Namen mit ihnen ab. – Mädchen,hole uns feste Stricke – rasch! Wir andern sorgen dafür,daß die Kerle nicht durchbrennen!«

Nach wenigen Minuten schon brachte uns das Mäd-chen ein paar neue Lassos.

»So, Neumann, nun heben Sie den Kerl auf. Ich ma-che ein gut verschnürtes Paket aus ihm, das selbst seinHäuptling Mühe haben wird zu lösen.«

Mit Unterstützung der Farmer waren die beiden Wil-den in wenigen Minuten vom Kopf bis zu den Füßenmit den Lederriemen umschnürt, so daß ihnen jede Be-wegung der Glieder unmöglich wurde.

»Wohin bringen wir sie jetzt? Habt ihr einen Keller?«Die Magd führte uns wieder auf den Flur, hob dort in

einer Ecke eine Falltüre auf und wies auf eine Treppe.

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»Das ist der Keller. Da bewahrt unser Herr Flaschenund so lange, weiche Aeste auf, die man essen kann.Aber ich mag sie nicht,« fügte sie hinzu.

»Lange, weiche Aeste? Donnerwetter, Neumann, dasist etwas für uns. – Das werden Würste sein!«

Bei der Erwähnung des Wortes lief uns schon dasWasser im Munde zusammen. Man kann sich leichtvorstellen, wie rasch wir jetzt die beiden Gefangenenherbeischleppten. Bei dem schwachen Lichtschimmer,den die Laterne der Magd in dem finsteren Räume ver-breitete, konnte es auch nicht Wunder nehmen, daßdie beiden widerstandslosen Körper recht unsanft un-ten landeten. Wir verstauten sie unter der Treppe undbefestigten sie zur größeren Sicherheit noch an demPfosten. Dann unterzogen wir die »Aeste« einer nähe-ren Prüfung. Es waren tatsächlich geräucherte Wür-ste. Mit einem Jubelschrei verkündeten wir diese Ent-deckung den oben harrenden Begleitern, die nun plötz-lich ihre Vorliebe für diese deutsche »Götterspeise«entdeckten. Wir waren aber bescheiden. Da wir nocheinen Laib Käse entdeckten, begnügten wir uns jedermit einem (oder waren es mehrere?) Pfund Wurst, zuder wir statt des Brotes den Käse verzehrten. Der Weinentpuppte sich als Apfelmost, der nur geringen Beifallfand.

Ueber eine Stunde dauerte das frugale Mahl. Da sichimmer noch kein Mensch auf der Farm gezeigt hatte,berieten wir die Bewachung für die Nacht. Jeder von

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uns war todmüde. Immerhin waren wir unserer vierund so konnte jeder, wenn nichts vorfiel, nach zweiStunden Wache unter die Decke kriechen. Die Farmerwünschten jedoch Neumann oder mich während ihrerWache bei sich zu haben, und da einer allein sich nichtgetraute, die Verantwortung zu übernehmen, mußtenwir uns schließlich fügen. Bei der Gelegenheit stelltees sich heraus, daß Mut nicht zu ihren hervorragendenEigenschaften gehörte.

Ich hatte Neumann und den einen Farmer – er nann-te sich Don Manuel – eben abgelöst und mit Rome-ro, dem zweiten Landwirt den Platz auf der Verandaeingenommen, als mir seltsame Laute ans Ohr dran-gen. Ich fragte meinen Begleiter nach der mutmaßli-chen Ursache, aber auch er wußte die Heultöne nichtzu deuten, wie wir uns noch in Mutmaßungen darüberergingen, stürzte plötzlich Don Manuel zu uns herausund bat uns, mit Entsetzen in den Zügen, doch ein-mal auf den Maisboden zu gehen. Dort liege irgend-ein Raubtier, das bei jeder Annäherung greuliche Töneausstieß.

»Warum sehen denn Sie nicht selbst nach?« fragteich mit leisem Spott. »Oder rufen Sie doch meinen Kol-legen.«

»Señor Neumann will nicht mitgehen. Er sagt, er seizu müde. Morgen früh würden wir das Tier schon fin-den.«

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»Das ist sehr vernünftig gesprochen,« erwiderte ich.»Warum legen Sie sich nicht auch nieder?«

»Ach, das können Sie mir nicht zumuten. Wir sinddoch hierhergekommen, um Bauers Farm vor Unheilzu bewahren. Wenn nun irgendein Raubtier, ein Jagu-ar, eingedrungen ist, so ist es unsere Pflicht, das Tierzu erlegen.«

»Nun, meinetwegen! Don Romero mag sie begleiten.Ich werde solange allein die Wache übernehmen. Esscheint übrigens alles ruhig zu sein! . . . Warum gehensie nicht, Don Romero?« fragte ich, als der Argentinierkeine Miene machte, seine dunkle Ecke zu verlassen.

»Ich habe noch nie einen Jaguar gesehen und weißnicht, wie ich mich zu benehmen habe,« gab er zurück.»Don Manuel wird ihn wohl allein töten können.«

Das heulende Lärmen wurde jetzt stärker. Der Tonschien über unsern Köpfen aus den Lüften zu kommen,so klar hallte er durch die Stille der Nacht.

»Hm – an den Jaguar glaube ich nicht,« sagte ich,nachdem ich den Tönen eine Weile gelauscht hatte.»Das muß ein menschliches Wesen sein, das dort obenhinter dem Hause in den Felsen sitzt! – Donnerwetter,da fällt mir ein . . . Don Romero, haben sie nicht denarmen Indianer erschossen? vielleicht lebt er noch undwälzt sich in seinen Schmerzen . . . sie sollten doch ein-mal nachsehen – es ist Christenpflicht!«

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»Don Manuel hat geschossen,« erwiderte der Argen-tinier rasch. »Er mag nachsehen. Mich geht das nichtsan, ich riet ihm ab zu schießen.«

»Er bedrohte uns doch! Da war es nur der Trieb derSelbsterhaltung, der mich zu dem Schuß veranlaßte. . . «

»Das ist ein Irrtum, Don Manuel,« sagte ich. »DerMann war im Begriff zu fliehen, bedrohte sie abernicht. – Aber wie dem auch sei, sie müssen nach ihmsehen! Hören sie doch, wie der Aermste schreit. DerTon muß Ihnen ja bis an Ihr Lebensende wie eine An-klage ins Ohr gellen, wenn Sie dem Menschen nicht inseiner letzten Stunde beistehen, schließlich fiel er dochdurch Ihre Hand.«

»Ich kann nicht, Don Fernando, kann es wirklichnicht, wenn mein Leben davon abhinge, ich könntedem Manne nicht ins Auge sehen . . . «

»Und Don Romero will auch nicht seiner Pflicht alsMensch genügen?«

»Ich sagte schon, daß es mich nichts angeht . . . «»Gut, dann gehe ich hinaus, Sie, Don Manuel, wer-

den mir wenigstens leuchten, damit ich nachher dieLuke gleich finde, falls es da droben unruhig würde.«

»Kann das nicht Señor Neumann tun?«»Na, erlauben sie, lieber Freund. Erst töten sie einen

Menschen aus sicherem Hinterhalt, und dann wollensie einem andern die Nachtruhe rauben, nur weil sie zufeige sind, die Folgen Ihres Leichtsinns zu tragen? Ich

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ersuche sie jetzt sofort die Laterne zu nehmen und mirzu leuchten. Ich könnte sonst zu dem Entschlüsse ge-langen, dem verwundeten zu sagen, wem er die Kugelverdankt. Das könnte Ihnen und Ihrer Farm schlechtbekommen!«

Ich hatte mich so in den Zorn hineingeredet, daßDon Manuel ohne weiteres den Ernst meiner Worte be-griff, wortlos nahm er die Laterne und ging bis zurTreppe voran. Dann ließ er mir den Vortritt. Durchnichts war er zu bewegen, als Erster den Maisboden zubetreten. Dort oben war es aber auch recht unheimlich.Es rumorte irgendwo in den Nebengelassen und un-definierbare Geräusche lagen in der Luft. Bald war esein Scharren, bald ein Schleifen, dann wieder traf eindumpfer Schlag irgendwo die Wand. Ich lauschte eineWeile dahin, wo ich die Ursache vermutete. Aber alssich nichts auf dem Speicher regte, ging ich weiter. Diekalte Nachtluft zeigte mir den Weg zu der Oeffnung,die gähnend, wie ein gewaltiger Rachen uns entgegenstarrte.

»Bleiben sie hier stehen, Don Manuel, setzen sie dieLaterne hier vor der Luke auf den Boden und achtensie genau auf das, was ich Ihnen etwa zurufe. Es istmöglich, daß ich Ihren Beistand brauche.«

Der Argentinier brummte etwas in den Bart, wasich für seine Zustimmung nahm, dann stieg ich hinausins Freie. Mit einem Sprung erreichte ich den Granat-busch, der mir schon einigemale als Deckung gedient

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hatte, und von da aus spähte ich über das vor mir lie-gende freie Gelände. Kein Laut unterbrach die stille derNacht. Hin und wieder strich eine große Fledermausmit unhörbarem Flügelschlage über meinen Kopf. EinLeuchtkäfer schwärmte aus zum Hochzeitsfluge, sonstnichts. Kein Seufzer, kein noch so leises Geräusch.

»Er wird ausgelitten haben! Gott sei seiner armenSeele gnädig,« betete ich vor mich hin. Dann legte ichmich auf das Knie und suchte noch einmal nach einerBewegung, die sich gegen den helleren Horizont abhe-ben konnte. – Nichts!

Der schwerste Gang stand mir jetzt bevor. Ich muß-te die Leiche aufsuchen, um sie vor wilden Tieren inSicherheit zu bringen. Die zwanzig Meter zum Hausewürde ich sie tragen oder doch schleifen können. – Ichblickte mich noch einmal nach meinem Gefährten um.– Die Laterne stand noch da.

Ich sprang auf und lief in der Richtung fort, die heuteabend der Indianer eingeschlagen hatte. Zufällig warmir die Form des Zackens im Gedächtnis geblieben, indessen Nähe er niederstürzte. Dieser hob sich jetzt wieein drohender Finger gegen den nächtlichen Himmelab. Im Zenith funkelte das Sternbild des Kreuzes.

Ich hemmte den Schritt. – Hier mußte es sein! – Abersoviel ich mich auch anstrengte, ein Leichnam lag hiernicht. Ich umging den Zacken, suchte in weitem Um-kreise – nichts! Ein Mensch, tot oder lebendig, war hiernicht. Endlich kehrte ich zum Hause zurück, innerlich

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froh, daß der Mann schon abgeholt worden war. Viel-leicht war er überhaupt nicht getroffen worden. – Mitsolchen Gedanken beschäftigt, kehrte ich zu der Lukezurück.

»So, das wäre erledigt. Hier nehmen Sie die Laterne,Don Manuel!«

Aber nichts rührte sich. Keine Hand streckte sich mirentgegen. Ich rief den Farmer laut bei Namen. Ein mat-ter Ruf drang von irgendwoher an mein Ohr. – DerFeigling war geflohen!

Es waren keine Segenswünsche, die ich den beidenHelden entgegenschleuderte, als sie endlich den Kopfzur Verandatür hereinsteckten. Ich wetterte auf gutdeutsch und so nachhaltig, daß Neumann, der es sichim Schlafzimmer bequem gemacht hatte, herausrief,ob ich seiner bedürfe.

«Ja, fluchen Sie weiter, aber bleiben sie im Bett!« riefich ihm zu. »Mit den Feiglingen werde ich allein fer-tig!«

Um meinem Zorn Luft zu machen, unterhielt ichmich noch eine Viertelstunde mit den beiden Heldenund beschloß dann, meinen Grimm neben Neumannzu verschlafen. Ich wollte eben den Fuß ins Schlafzim-mer setzen, als das Geheul von neuem losging. Jetzt,war ich gerade in der richtigen Stimmung, um demStörenfried energisch zuleibe zu gehen. Ich riß eineschwere Reitpeitsche von der Wand, empfahl Don Ro-mero die Sorge für mein Gewehr und schritt mit der

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Laterne die Treppe hinauf. Ich gab mir gar nicht dieMühe, meine Schritte zu dämpfen. Merkwürdigerwei-se hatte das den Erfolg, daß der Lärm plötzlich ver-stummte.

»Hilft dir alles nichts!« rief ich ins Dunkle hinauf.Jetzt gehts dir an den Kragen!«

Vor dem Maishaufen blieb ich stehen. Die flackerndeKerze in der Laterne warf bizarre Schatten an die Wän-de. Der Haufen gewann Leben und je länger ich ihn be-trachtete, desto mehr bewegten sich die einzelnen Kör-ner. Nach einigen Minuten schienen sie wie Ameisenüber und durcheinander zu kriechen, immer schnellersich überstürzend.

Ein kalter Hauch strich über meinen Nacken. Erzwang mich, den Blick nach der Luke zu richten. Einglühendes Auge stand mitten in der gähnenden Lee-re und schien sich auf mich stürzen zu wollen. – Ichwandte das Auge wieder dem Haufen zu. Er lag bewe-gungslos.

Da, mit einem Male begann wieder das geheimnis-volle Scharren. Es drang von der Türe her, die auf denGang führte. Ich umging den Mais. Als ich an der Lukevorüberkam, gesellte sich zu dem einen Stern ein zwei-ter und nun sahen sie zwei Gigantenaugen täuschendähnlich.

Die Gangtüre war nur angelehnt. Ich stieß sie auf,leuchtete den schmalen Raum ab und warf mich inzwei Sprüngen auf die Türe zur Vorratskammer, die

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ich rasch verschloß. Vor der Türe, mitten im Gang fielmir eine dunkle, breite Färbung auf. Ich leuchtete mitder Laterne dorthin – es war Blut! Das Blut des Far-mers, der hier von Mörderhand gefallen war. – Cirino!Ich rief es unwillkürlich laut und irgendwo wiederholteein Echo den Namen.

Unter dem Banne der Erinnerung jagte mir dasplötzlich wieder hervorbrechende fürchterliche Geheuleinen solchen Schrecken ein, daß ich die Laterne fallenließ. Klirrend zerbrach das Glas. Zum Glück konnte ichdie brennende Kerze retten. Als ich sie aufhob, klebteBlut an meinen Fingern.

Ich faßte mich schnell. Einen Angriff hatte ich nichtzu befürchten. Er wäre längst erfolgt. Ich näherte michder Stelle, von wo ich den Ton vernommen. Es war derKamin. Hinter diesem gab es ein Versteck, wie ich rechtwohl wußte. Ich zog jetzt den Revolver, befestigte dieKerze an der Türe des Vorratsraumes, damit man siemir nicht ausblasen konnte, und stellte mich so, daßder Schatten meinen Revolver auf die schräge Dach-wand zeichnete, wer sich dort versteckt haben mochte,sah, daß ihm eine Kugel gewiß war. Dann rief ich:

»Komm heraus da! Es geschieht dir nichts, wenn dudich unbewaffnet zeigst!«

Nichts rührte sich. Aber nach kaum einer Minutehörte ich wieder die heulenden Laute. Nun glaubte ichsie außerhalb des Hauses suchen zu müssen. Ich nä-herte mich dem Kamin und leuchtete das Versteck ab.

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Es war leer. Aber ich entdeckte nun auch den Ursprungder rätselhaften Töne, denn in dem Augenblick, als ichden Kopf dicht an das Mauerwerk des Kamins lehnte,um nach oben blicken zu können, krochen die schauer-lichen Laute an meinem Ohr vorbei und fanden einenAusweg aus der Klappe, die auf das Speicherdach mün-dete und die unverschlossen war.

Nun war das Rätsel gelöst! Die Gefangenen im Kel-ler waren erwacht und stießen die Wutschreie aus, diedann durch den Kamin ihren Weg ins Freie nahmen! Soklärte sich ein Spuk auf, der den Argentiniern stunden-lang den Angstschweiß aus den Poren getrieben hatte.

Ueberzeugt, daß den Indianern eine Befreiung un-möglich war, kehrte ich in die unteren Räume zurück,empfahl den beiden Helden strenge Wache und krochbefriedigt in das weiche Bett, in dem mich erst der hel-le Tag wiederfand.

Pferdegetrappel auf dem Hofe trieb mich heraus.Eben ritt Bauer mit seiner Frau und den beiden weißenDienstleuten in den Hof. In seinem Gefolge befandensich Malibo und Gil. Mit aufrichtiget Freude begrüß-te ich die Farmerfamilie und hieß sie auf ihrer eige-nen Besitzung willkommen. Dann erkundigte ich michnach der Verwundung des Herrn.

»Nichts von Bedeutung, Don Fernando!« rief er, ausdem Sattel springend und mir die Hand schüttelnd.»Wie ist es Ihnen denn ergangen? Gil sagte mir, daßsie einige aufgeregte Stunden durchmachen mußten.

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Seien sie überzeugt, daß ich das von Herzen bedaue-re!«

»Aber ich bitte sie, lieber Freund. Das war doch garnichts im Vergleich mit dem, was Ihre Gattin und siedurchmachen mußten. Wir standen mehrmals auf demSprunge, uns zu Ihnen zu begeben und sie aus denHänden der Wilden zu befreien.«

»Seien sie froh, daß sie das nicht durchführten. Siewären kaum lebend zurückgekommen. Es war da einStamm, die Gorka, der sich ein besonderes Vergnügendaraus macht, Weiße zu ermorden. – Dem verdankeich auch den Riß da. – Zum Glück kam Raapa geradezur rechten Zeit. Er spaltete dem Häuptling den Schä-del . . . Wie sieht es denn hier aus? Malibo erzählte mir,daß noch ein paar Gorka hier zurückgeblieben wären,die ihren Häuptling an mir rächen wollten. Sie sindwohl fort?«

»Nein, doch nicht! Gott, daß ich das vergessen konn-te! Ich habe die Wilden, die noch hier auf der Farmweilten, gebunden in den Keller eingesperrt. Da wer-den sie jetzt noch sein, wären sie nicht gekommen,dann hätte ich selbst Justiz geübt, indem ich ihnen dasFell gegerbt hätte. So aber übergebe ich sie Ihnen.«

»Das haben sie gut gemacht,« lachte Bauer. »Aber dieZüchtigung müssen Sie bleiben lassen. Die Gorka wür-den sich an ihre Fersen heften und Sie bei erster Ge-legenheit ermorden. Diese Banditen müssen Sie tötenoder laufen lassen . . . «

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»Hm, gezüchtigt sind sie dadurch, daß ich sie, solidegebunden, unten an den Treppenpfosten schnallte.«

»Wenn Sie sich jetzt sehen lassen, dann hängt IhrLeben an einem Faden. Da ist guter Rat teuer.«

»Ja, das ist allerdings fatal. – Wo ist denn Ihr FreundNeumann? Wenn wir den mit Gil nach Concepcion sen-den würden? Die Behörden mögen die Kerle abholen.«

»Ich sah Neumann noch nicht. Er wird mit den bei-den Argentiniern fortgegangen sein.«

»Was für Argentinier?«»Zwei Farmer, die zum Schutze Ihrer Hazienda hier-

hergekommen sind. Ein dritter soll im Kampfe gefallensein.«

»Argentinische Farmer?« fragte Bauer erstaunt. »Ichkenne keine solchen, wie heißen sie denn?«

»Ich kenne nur die Vornamen. Don Manuel und DonRomero nannten sie sich. Sie gaben sich als Nachbarnaus.«

»Hm – da bin ich doch neugierig, was das für Her-ren sind. Meine nächsten Nachbarn sind Italiener oderDeutsche. – Argentinier pflegen sich doch sonst nichtfür uns aufzuopfern.«

»Helden sind es auch nicht gerade,« rief ich lachend.»Sie haben große Proben vom Gegenteil abgelegt. –Uebrigens müßten sie doch in der Nähe sein, denn oh-ne Abschied werden sie nicht heimkehren.«

Inzwischen hatten wir uns dem Hause genähert.Frau Bauer war mit den Dienstboten in die unteren

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Räume gegangen, wo sie entsetzt vor der dort statt-gefundenen Verwüstung stand.

»Sieh doch, Mann, wie die Indianer hier gehaust ha-ben. Der Spiegel zerschlagen, die Polster zerschnitten. . . und alles Wertvolle ist fort. Die schöne Uhr, die sil-bernen Leuchter . . . «

»Halt!« rief ich, sie unterbrechend. »Die Uhr und dieLeuchter müssen da sein. Ich sah sie gestern Abendnoch, nachdem die Indianer gebunden waren. – Undjetzt sind sie fort? Das ist merkwürdig! Ob das Mäd-chen sie versteckt hat?«

»Was für ein Mädchen?« fragte Frau Bauer.»Nun, Ihre Dienerin. Die kleine Indianerin, die etwas

deutsch spricht – übrigens ein tapferes Kind.«»Ach, sie sprechen von der Dolly. Ist denn die hier-

geblieben?«»Nein, aber ich fand sie oben im Hohlweg, sie führte

uns hierher zurück und zeigte mir die Räume . . . Womag sie stecken? – Das ist mir rätselhaft,« rief ich nunaus. »Neumann ist fort, das Mädel ist nicht da, die Far-mer sind verschwunden. Es fehlte nur noch, daß sichdie Indianer befreit haben . . . Donnerwetter! Wenn daswäre, dann hätte es ein Unglück gegeben! Ach, bitteFrau Bauer, lassen sie doch im Keller nachsehen, obdort die beiden Indianer noch liegen. Ich band sie anden Treppenpfosten.

Auf den Ruf der Frau eilte Bauer mit Malibo und Gilzu uns in die Stube. In der Tür rief der Farmer schon:

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»Hast du die Zerstörung gesehen, liebe Frau? DieMenschen haben entsetzlich gehaust!«

»Eben wollte ich dir unsere guten Sachen zeigen.Don Fernando behauptet, gestern Abend seien Uhr undLeuchter noch hier gewesen, und jetzt . . . «

»Bitte, Herr Bauer, lassen sie alle verfügbaren Leutehierherkommen,« rief ich jetzt. »Mir scheint es, als obda etwas den Indianern in die Schuhe geschoben wer-den soll, was auf das Konto anderer gehört. Lassen sieuns das Haus gründlich durchsuchen, vielleicht findenwir noch die Urheber all dieser Unordnung hier verbor-gen. – Befreien sie zunächst die beiden Gefangenen imKeller. – Gil wird das am besten übernehmen können.«

»Aber die Gorka sind Feinde unseres Stammes,« warfGil ein.

»Um so besser! Du erwirbst dir dadurch ein Verdienstbei ihnen. Wer weiß, wie dir das noch einmal gedanktwird.«

»In Gottes Namen denn, Herr . . . «»Sage ihnen aber nicht, wer sie gefesselt hat. Wir alle

sind heute erst auf die Farm zurückgekehrt . . . «»Selbstredend setze ich keinen von uns einer Gefahr

aus. Gehen sie alle in die Zimmer, damit die Gefange-nen freie Bahn haben, wenn sie etwa fliehen wollen.«

Nur ungern befolgte ich den Rat. Ich hätte gern vonden Indianern Aufklärung über die Vorgänge auf derFarm gehabt, denn ihnen konnte doch die Anwesenheitder fremden Farmer nicht unbekannt geblieben sein,

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obwohl letztere das so hinstellen wollten. Ich hatte denSatz noch nicht zu Ende gesprochen, da gellte draußenein lauter Ruf durch den Gang. Es war Gil, der um Hilfeschrie. Mit der Waffe in der Hand stürzten wir hinaus.

»Hierher, Herr, seht, was hier liegt!« rief er hastig.»Schaut nur in den Keller!«

Ich kam mit Bauer gleichzeitig an die Falltüre, vomLicht noch geblendet, unterschied ich zunächst vierKörper, die wie große Bündel auf dem Boden des Kel-lers lagen.

»Hier sind die Indianer, Herr,« rief Gil, »und dortliegt Ihr Freund und die Magd – alle tot!«

»Um Gotteswillen, Mann, das ist nicht möglich!Bringt schnell Licht! Kommen Sie, Bauer.«

In zwei Sprüngen waren wir bei den Opfern desräuberischen Ueberfalles. Bauer zog ein paar Mal seinMesser über die Riemen und bemühte sich Neumanndadurch zu befreien. Ich beugte mich über die India-ner, deren Körper noch warm waren. Im Begriff, in ihreAugen zu blicken, bemerkte ich, daß ein Knebel zwi-schen ihren Zähnen steckte. Ich rief dem Farmer dieWahrnehmung zu und sofort erfüllten tiefe Seufzer derErleichterung den Raum. Die Gefangenen sogen begie-rig die Luft ein.

»Gil, die Messer! Schneide die Riemen durch. Lösenkann man sie nicht so schnell. Und hilf den beiden aufdie Beine.«

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Dann warf ich mich auf den Körper der Magd undbefreite auch diese von Knebel und Fesseln. Sie gababer kein Lebenszeichen mehr von sich. – war sie ge-tötet worden oder erstickt?

Oben an der Falltüre harrten Frau Bauer und dieDienstboten angstvoll auf unsere Berichte. Ihnen riefich zu, sich des leblosen Wesens anzunehmen. Ichnahm das Mädchen auf die Arme und trug es hinauf.

»Hier, Frau Bauer. Tun Sie Ihr Bestes, um das braveKind zu retten. Sie wissen doch was geschehen muß?«

»Gewiß, Don Fernando. Und wo ist Ihr Freund?«Ich blieb die Antwort schuldig, denn es trieb mich

in den Keller zurück, wo noch drei Menschen mit demTode rangen. Bauer war es gelungen, Neumann wiederzur Besinnung zurückzurufen. Dagegen mühte sich Gilvergeblich ab, auch die beiden Rothäute zum Lebenzu erwecken. Ich ordnete daher deren Transport nachoben an. Malibo mußte ebenfalls helfen. Aber unsereRufe nach ihm blieben unbeantwortet.

»Angefaßt, Gil. Wir müssen es allein schaffen!« riefich, indem ich den Indianer an den Schultern aufhob.»Fasse die Beine und gib acht, daß du ihn nicht fallenläßt!«

Wir betteten den leblosen Körper auf einige Felle, dievon den Dienern rasch zusammengetragen waren undliefen in den Keller zurück, um den andern zu holen. Indiesem waren die Lebensgeister noch nicht erloschen.Er schlug während des Transportes die Augen auf, gab

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aber kein Zeichen von Bewußtsein. Auch ihn bettetenwir in das Gastzimmer, wo sich die Männer sofort umdie Kranken bemühten.

»Nun bringe mir auch Neumann noch herauf, Gil!Dann wollen wir mit Wiederbelebungsversuchen be-ginnen.«

Der Weg wurde uns erspart. Bauer kam uns bereitsmit dem kranken Freunde entgegen. Ich bat Neumannvorerst noch kein Wort zu sprechen, später könne eruns alles im Zusammenhang erzählen. Hierauf begabich mich mit Gil zu den beiden Indianern, bei denen ichsofort mit den erforderlichen Maßnahmen zur Wieder-belebung begann. Der eine atmete schon nach den er-sten Armbewegungen und konnte den Männern über-lassen werden. Bei dem andern jedoch bedurfte es sehrlanger und andauernder Arbeit, bis der erste Atem-zug fühlbar wurde. Damit war er allerdings noch nichtaußer Gefahr, denn er litt auch noch an den Folgendes zu reichlich genossenen Alkohols, und diese wa-ren schwerer zu beseitigen, weil der Kranke uns mitdem Mißtrauen des Feindes gegenübertrat. Besondersdie Anwesenheit Gils brachten die Gorka anfangs mitdem ihnen zugestoßenen Mißgeschick in Verbindung,bis es uns gelang, sie davon zu überzeugen, daß siegerade uns die Rettung ihres Lebens verdankten. – Alsdie Beiden soweit waren, ließ ich auch Neumann, in

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dem die Indianer sofort ihren Leidensgenossen erkann-ten, in den Raum tragen. – Mit den ersten lichten Au-genblicken begannen sie auch zu sprechen. Da ich ih-nen das aber nicht erlauben konnte, drohte ich, siein getrennten Räumen unterzubringen, wenn sie sichnicht ruhig verhielten. Sie befolgten das Verbot abernur solange, als ich im Zimmer anwesend war. Dannbegannen sie erst mit gedämpfter Stimme, bald aberin der ihnen eigenen lauten Weise über die Ereignissezu sprechen.

Gil, der im Raume anwesend, und um Neumann be-schäftigt war, verstand natürlich die in indianischerSprache geführte Unterhaltung. Er kam zu uns herausund sagte:

»Wenn das wahr ist, was sich die Gorka erzäh-len, Herr, dann sind die argentinischen Farmer wei-ter nichts als Straßenräuber, die aus dem Gefängnis inConcepcion entsprungen sind. Sie haben hier im Hauseeinen Menschen ermordet und die Leiche in den Flußgeworfen.«

»Also die waren es!« rief ich. »Wenn ich das geahnthätte! Ich habe sie auf frischer Tat ertappt, als sie ebeneinen Indianer niederschossen! Aber ich glaubte ihrenAussagen – wann und in welcher Richtung sind sie ge-flohen?«

»Das wird Neumann wissen. Die andern haben jakeinen Zeitbegriff,« sagte Bauer.

»Fragen wir ihn! Uebrigens, wie geht es der Magd?«

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»Sie lebt noch, scheint aber zu schlafen, den Atemzü-gen nach zu urteilen. Wenn sie reden kann, muß meineFrau sie über die Ereignisse ausfragen.«

Neumann gab an, daß die beiden Banditen ihn inden Keller gelockt und dort überfallen und gebundenhätten. Sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er einenTon von sich gäbe. Nach etwa zehn Minuten hätten siedas Mädchen in den Raum gezerrt. Es habe um sichgeschlagen und den, der ihr den Mund zuhielt, in dieFinger gebissen. Auch die beiden Indianer begannenzu lärmen. Nun habe man alle kurzer Hand geknebelt– das sei ungefähr eine Stunde nach Tagesanbruch ge-wesen.

»Wann sie das Haus verließen, wissen Sie wohlnicht?«

»Ich hörte sie noch lange oben gehen, dann aberwurde ich wohl ohnmächtig, denn mir fehlt jede Er-innerung!«

»Dann müssen sie mindestens zwei Stunden Vor-sprung haben,« sagte ich. »Eine Verfolgung ist wohlzwecklos, noch dazu, wo wir nicht einmal die Richtungkennen, die sie einschlugen.«

»Wahrscheinlich sind sie aus der Luke geflüchtet, diein den Hohlweg und an den Fluß führt. Dort lagertaber Kaapa mit seinen Kriegern. Ob sie es wagen, sichvor diesem sehen zu lassen?«

»Du kannst recht haben, Gil. Dort oben sah ich siezuerst, sie saßen in den Felszacken, die man vom

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Dache aus erreichen kann. Wenn man sich dort an-schleichen könnte?«

»Das ist so schwierig nicht,« meinte Bauer. »Wennman beim Kamin ein paar Schindeln abdeckt, kannman den ganzen Bergrücken übersehen. Allerdingsdürfen uns die Banditen nicht entdecken, sonst schie-ßen sie uns ab.«

Aus der Krankenstube drang Lärm. Als wir eintraten,stand der eine Gorka vor Neumanns Lager und bemüh-te sich, ihm etwas in schlechtem Spanisch auseinan-derzusetzen. Je weniger mein Kamerad davon begriff,um so lauter schrie der andere. Das war es, was unsveranlaßte einzutreten.

»Gottlob, daß Sie kommen,« rief Neumann. »Ichkann den Menschen mit dem besten Willen nicht ver-stehen, und das scheint er mir übelzunehmen. Versu-chen Sie Ihr Heil!«

»Gil kann es uns übersetzen, was der Mann will. –Frage ihn doch, Gil!«

Die Rothaut zeigte aber keine besondere Lust, sichmit dem vermeintlichen Feind zu unterhalten. Der Wil-de fuhr fort spanisch zu radebrechen, obwohl er damitrecht große Anforderungen an unsere Kombinations-gabe stellte. Endlich aber brachten wir drei Deutschenden Sinn heraus. Die Wilden wollten wissen, wer siegebunden hätte.

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Das war eine kitzlige Frage, deren Beantwortung ichBauer überließ. Er hätte sie gefesselt vorgefunden, ant-wortete er. Sofort sei man zu ihrer Befreiung geschrit-ten.

Das letztere erkannten sie dankend an. Aber sie hät-ten schon gefesselt im Keller gelegen, bevor der weißeMann mit dem roten Barte (Neumann) und das Mäd-chen eingebracht wurden. Wo die Beiden sich aufge-halten hätten?

»Sie sind kurz vor ihrer Gefangennahme ins Hausgekommen,« gab man zur Antwort.

»Woher kamen sie aber? Unsere Leute halten dochrings herum das Haus besetzt,« lautete die nächste Fra-ge.

»Da, wo das Haus mit dem Rücken an die Bergestößt, kann man durch ein Fenster aus- und eingehen.Von dort her sind wir gekommen,« ließ Neumann sa-gen.

»Und der Gorkakrieger, der dort oben stand, hat denWeißen durchgelassen?« fragte der Indianer unruhig.

»Wir sahen keinen roten Mann dort oben. Nur diezwei Farmer standen dort. Sie hatten geschossen!«

»Oh!« stieß der Krieger hervor. »Nun weiß ich!«Dann sprach er heftig auf seinen Stammesgenossenein, ohne zu bedenken, daß Gil seine Worte verstand.Letzterer machte mir ein Zeichen und verließ das Zim-mer. Draußen sagte er:

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»Die Rothäute wollen einen Weißen als Geisel für ih-ren Krieger mitnehmen, sie werden vorschlagen, denFelsenrücken abzusuchen. Hüten sie sich, Herr. Gehensie nicht mit.«

»Setze die Gorka doch auf die Fährte der beiden Ar-gentinier. Dann werden sie die wahren Mörder haben.Ich sah, wie sie den armen Indianer erschossen.«

»Das dürfen wir den Gorka aber nicht sagen, sie sindmißtrauisch und glauben immer noch an den Ueber-fall durch Weiße. – Es wäre ja denkbar, daß einer trotzseines Rausches den Mann erkannt hat.«

»Wie dem auch sei. Sie müssen auf die Spur der Far-mer gehetzt werden. Diese Waldbewohner haben grö-ßere Uebung darin als wir.«

»Und wenn die Farmer nachher den Täter des Ue-berfalles in der Küche verraten?«

»Lieber Gil, dann ist immer noch Zeit, eine Ausredezu finden,« erwiderte ich. »Bringe die Beiden aus demHause und dann wird Gott weiter helfen!«

Mit großer Mühe gelang es Gil endlich, die beidenGorka zu einer Streife auf die Argentinier zu bewe-gen. Man brachte sie bis zu der Stelle, wo ihr Kameradden Schuß erhalten hatte. Dort fanden sie eine kleineBlutlache, die der nächtliche Tau noch feucht erhaltenhatte. Klar ausgeprägte Fußspuren fanden sie indessennicht. Der nackte Fels behielt keine Eindrücke. Nach-dem ihnen noch der Eingang in den Hohlweg gezeigtworden war, machten sich die Indianer mit der ihnen

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eigenen Sorgfalt an das Aufspüren der falschen Farmer.Wir kehrten zum Hause zurück.

Nun erst konnten wir uns über die ereignisreichenbeiden letzten Tage aussprechen. Bauer war von Gildes Lodes voll.

»Ihm verdanke ich eigentlich mein und meiner FrauLeben. Er überredete seinen Vater, uns unter seinenSchutz zu nehmen. Dann suchte er Kaapa auf, um die-sen auf unsere gefährliche Lage aufmerksam zu ma-chen. – Und das alles, nachdem er schon einen langenund gefährlichen Ritt hinter sich hatte. – Aber wo ha-ben sich denn der Pater und meine Tante aufgehalten,während Sie sich um das Haus bekümmerten?«

»Dolly schickte sie zu einem Knochen- und Fellhänd-ler. Der Pater weigerte sich mit uns hierher zu gehen.Er fürchtete den Kampf mit den Indianern.«

»Ach, beim alten Cipriano sind sie!« rief Bauer, in-dem ein Lächeln über seine Züge glitt. »Da werden siekaum lange bleiben, denn in der Schlucht lagern im-mer zahlreiche Felle und Knochen, die einen furcht-baren Geruch verbreiten. Es ist wohl besser, ich sendeeinen Boten hinunter, der ihnen unsere Rückkehr aufdie Farm meldet.«

»Müssen sie durch den Hohlweg zurückkehren?«fragte ich. »Ich will das nur wissen, weil ich dort dieGorka vermute.«

»Hm – daran dachte ich nicht. Ich werde wohl Kaapanochmal um seinen Beistand bitten müssen! – Gil!«

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»Herr Bauer wünscht?«»Daß du sofort zu Kaapa gehst und ihn bittest, den

Pater und meine Tante bei Cipriano abzuholen und siesicher hierher zu geleiten, sage ihm auch, daß zweiGorka oben im Hohlweg sind.«

Gil schien von dem Auftrage nicht sehr erbaut zusein, denn er zauderte etwas und blickte unschlüssigum sich.

»Wenn du nicht gern zu dem Häuptling gehst, dannmuß ich einen anderen Boten senden,« sagte Bauer,der das bemerkte.

»Spricht Kaapa spanisch?« fragte ich schnell.»Ziemlich gut – warum fragen Sie?«»Weil dann ich die Botschaft ausrichten werde. Ich

will doch meine Reise fortsetzen und da führt michmein Weg wohl am Lager Kaapas vorüber?«

»Sie wollen fort?« fragte Bauer erstaunt. »Und Neu-mann auch?«

»Was mich betrifft, muß ich bejahend beantworten.Mit Neumann sprach ich nur ganz oberflächlich vonder Abreise. Da er in den Chaco will, gehen unsere We-ge hier ohnehin auseinander.«

»Und sie wollen nicht in den Chaco?« fragte Bau-er. »Uebrigens ist das eine überflüssige Frage, denn so-lange sich die Indianer nicht beruhigt haben, darf sichkein Weißer in ihrem Gebiete zeigen. – Wohin reisenSie von hier aus?«

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»An die brasilianische Grenze im Norden. Zunächstgehe ich nach Concepcion. Von da aus mit dem Schiff,soweit das möglich ist.«

»Und heute wollen sie fort? Jetzt gleich?«»So rasch als möglich. Sie haben genug zu tun, um

Ihr Haus wieder in Ordnung zu bringen und da ste-he ich Ihnen nur im Wege. Auch meine Hilfe ist nichtmehr erforderlich, wenn Kaapa sie unter seinen Schutznimmt. – Also setze ich meinen Wanderstab weiter.Was ich hier erlebte, war mir sehr interessant und fürmich als Forscher äußerst wichtig. Man ist gewohnt,die Indianer als harmlos hinzustellen, aber so ganztrifft das doch noch nicht zu, wie ich gesehen habe.«

»Ein solcher Aufruhr, wie wir ihn jetzt erleben, istwirklich eine große Seltenheit. Lange Jahre hindurchhat man nichts mehr von Indianeraufständen gehört.Durch das Zusammentreffen von Reibereien an allenGrenzen sind nun viele Stämme in ihrem Stolze ge-kränkt Worden. Sie vergessen den alten gegenseitigenHader und einigen sich gegen den Weißen. Wenn esder Regierung nicht gelingt, Frieden mit den Belei-digten zu schließen, dann werden nicht nur wir amFogones, sondern alle Ansiedelungen in den ehema-ligen Indianergebieten schwere Zeiten durchmachen.Mir ist es, Gott sei Dank, gelungen, mich mit meinenroten Nachbarn auf guten Fuß zu stellen, so daß ichnicht viel zu fürchten habe. Allerdings kostet eine roteSchutzwache, auch wenn sie nicht auf der Farm selbst

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liegt, immerhin ein schönes Stück Geld. Die biederenKrieger möchten alles haben was sie sehen, darum liegtauch das meiste hinter Schloß und Riegel.«

Gil näherte sich mir mit demütiger Miene.»Nimmt mich der Herr nicht mit?«»Hast du dich denn Herrn Bauer nicht verpflichtet?«

fragte ich überrascht. »Du hast dich so wenig um michbekümmert, daß ich annehmen mußte, es sei dir leidgeworden, mit mir zu reisen.«

»Aber nein, Herr, Señor Bauer brauchte meine Hilfesehr notwendig. Da sie sein Freund sind, glaubte ich,daß Sie mit meinem Tun einverstanden wären. Tat ichunrecht?«

»Wenn das der Grund war, dann hast du brav gehan-delt. – Ich wünschte, dein Bruder hätte sich auch soehrenhaft benommen.«

»Cirino meinen Sie?«»Ja, hast du noch andere Brüder?«»Noch drei, sie sind aber Indianer geblieben. Cirino

ist auch Krieger geworden. Wenn die Weißen Friedenmachen, wird er wiederkommen.«

»Das glaube ich nicht, denn er hat allen Grund, sichvor meinen Augen nicht mehr sehen zu lassen.«

»Wie? Hat er etwas Böses getan, Herr?«»Solltest du das nicht wissen?«»Kein Wort, Herr. Ich sah Cirino gestern zuletzt, als

er bei meinem Vater eintraf. Er sagte mir, Sie seien inSicherheit. Sonst sprachen wir nicht miteinander.«

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»Dann weißt du nicht, daß dein Bruder einen Mordbeging?«

»Mein Bruder? Cirino soll ein Mörder sein? Herr, daskann ich nicht glauben!«

»Auch nicht, wenn ich dir sage, daß ich Zeuge war? –Aber er ist ja fort. Also hat es keinen Zweck weiter dar-über zu reden. – Wenn du mit mir reisen willst, dannhalte dich bereit. In einer halben Stunde verlassen wirdie Farm.«

»Hat der Herr Pferde?«»Nein, die sind doch alle gestohlen worden. Wir be-

nutzen Bauers Kahn.«»Dann müssen wir durch Kaapas Lager.«»Nun, sind die Indianer nicht deine Freunde.«»Nicht alle. Es sind auch Feinde der Weißen dort.«»Dann gehen wir über die Berge bis an den großen

Fluß. In sechs Stunden können wir in Concepcionsein.«

Neumann, der von Bauer über meinen Reiseplan un-terrichtet worden war, hatte keine Lust, mich zu be-gleiten. Er glaubte, an der brasilianischen Grenze seiauch kein ruhiges Arbeiten möglich, da sich die Auf-ruhrbewegung nicht an die Grenzen der Staaten bin-den würde. Da ich ihm das nicht widerlegen konnte, somußte ich mich darauf beschränken, ihm mein Bedau-ern über den Verlust seiner Gesellschaft auszudrücken.Seinen Vorschlag, die Abreise um einige Wochen hin-auszuschieben, mußte ich ablehnen.

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Als ich mit vollem Gepäck die Stufen zu der oberenLuke hinaufstieg und die Segenswünsche der FamilieBauer mit einem letzten Händedruck entgegennahm,erschien plötzlich Malibo vor dem Hohlweg. Er schüt-telte mißbilligend das graue Haupt und hob warnenddie Hand:

»Wohin, Fremder?« fragte er, mich mit sanftemDruck zurückdrängend.

»Nach der großen Stadt, Malibo. Es freut mich, daßich dich noch sehe. – Bewache nur gut das Haus. Bau-ers sind deine Freunde.«

»Gehe nicht fort, Fremder. Du erreichst dein Zielnicht.«

»Warum denn nicht, Malibo. Wer wird mich hin-dern?«

»Soldaten lagern unten am Flusse. Sie werden mitdem neuen Tage den Indianern entgegenziehen, aberviele werden den jungen Tag nicht mehr erleben. VieleHäuptlinge liegen mit ihren Kriegern in den Wäldernund auf den Bergen. Sie werden dich sehen und gefan-gen nehmen . . . «

»Gil wird mich begleiten!« warf ich ein.»Es wäre besser, wenn Gil in die Reihen der Krieger

seines Vaters träte. Fände man ihn heute in deiner Be-gleitung, so wäre das nicht gut für ihn und für dich.«

»Würdest du mich an den großen Fluß begleiten,Malibo?«

Der Alte sah mich überrascht an.

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»Welche Hilfe versprichst du dir von einem Greise?«»Ich erwarte keine Hilfe, Malibo, denn ich will kei-

nen Streit mit den roten Söhnen des Chaco. Ich willeinen Begleiter, der den Weg über die Berge an denFluß kennt. Wir müssen aber am Hause Ciprianos vor-über, weil dort Freunde Bauers sind. Ein Pater und eineFrau. Sie sollen hierher gebracht werden.«

Malibo schaute mich mit einem Blicke ungläubigenStaunens an. Dann rief er lebhaft:

»Ein weißer Pater und eine weiße Frau sind bei demZauberer? Jetzt? Dann muß Gil sofort hinunter und sieholen. Bald werden die Gorka dort eintreffen und dann. . . ?«

Wir hatten den Worten des Alten bis dahin keine Be-deutung beigelegt. Nun aber wurde Frau Bauer unru-hig und rief:

»Sprichst du die Wahrheit, Malibo, oder träumstdu?«

»Malibo ist gekommen, um Euer Haus zu schützen.Kaapa wird mit der sterbenden Sonne noch zehn Krie-ger zu Euerm Schutze senden. Malibo weiß, was erspricht!«

»Dann muß Gil sofort hinunter und meine Verwand-ten hierher holen. Wirst du ihn begleiten, Malibo?«

»Meine Füße sind alt. Gil mag rasch voraus laufen.Malibo folgt ihm in seinen Fährten. Er wird über Gilund seinen Gefährten wachen. Fliege Gil! Vor der ster-benden Sonne mußt du hier sein.«

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Unschlüssig blickte Gil zu mir auf. Der Wunsch, ichmöge ihn zurückhalten, stand deutlich auf seinem Ge-sichte. Aber angesichts der drohenden Gefahr half keinWiderstreben. Ich reichte ihm meinen Revolver undwiederholte die Worte des Alten:

»Laufe, so schnell dich deine Füße tragen, Gil, undrette die armen Menschen. Ein guter Lohn ist dir sicher.Wenn du angegriffen wirft, wehre dich. Sechs Kugelnstecken in der Trommel.«

Frau Bauer bekräftigte mein Versprechen auf klin-genden Lohn und nun flog der junge Mann förmlichüber die Kuppe, während Malibo gemächlichen Schrit-tes die gleiche Richtung einschlug.

»Nun legen Sie Ihr Gepäck wieder ab, Don Fernan-do,« sagte Bauer, mir auf die Achsel klopfend, »DasSchicksal will, daß Sie uns noch länger Gesellschaft lei-sten.«

»Ein paar Stunden werde ich allerdings noch IhreGastfreundschaft in Anspruch nehmen. Wenn Gil aberkeine allzu beunruhigenden Nachrichten mitbringt,dann führe ich meinen Entschluß aus. Die paar Stun-den werde ich ungefährdet zurücklegen können.«

»Warten Sie wenigstens die Nacht noch ab. Wenn eswirklich zu einem Zusammenstoß zwischen Indianernund Regierungstruppen kommen sollte, dann wäre Ih-re Büchse von größtem Werte für mich.«

»Sie haben ja zehn Indianer, die sie vor den Rothäu-ten schützen,« warf ich ein.

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»Die Rotfelle fürchte ich nicht im geringsten. Dieschlimmsten Feinde sind die Regierungstruppen. Wodie einfallen, da wüten sie wie ein Schwarm Heu-schrecken, wenn man ihnen nicht energisch entgegen-tritt. In solchem Falle richtet ein Weißer oft viel aus.«

»Dann hissen sie doch die deutsche Flagge, vor derhaben sie großen Respekt, sie werden sich hüten, einHaus, auf dem unser deutsches Hoheitszeichen weht,anzugreifen.«

»Wenn ich nur eine hätte. Vor zwei Jahren lieh ichsie nach Nueva Germania aus und bekam sie nicht wie-der.«

»Zum Glück kann ich aushelfen. Hier im Rucksackführe ich stets eine Flagge mit. Ich will Sie Ihnenausnahmsweise leihen, da ich ebenfalls unter ihremSchutz weile. Aber lassen Sie sich bei dieser Gelegen-heit einen guten Rat geben, lieber Bauer, den Sie jedemunserer Landsleute einschärfen sollten: Betrachten Sieunsere deutschen Farben stets als ein Hoheitszeichen,dem man dieselbe Achtung entgegenbringen muß, wiedem Kaiser selbst. Ja, es muß dem Deutschen sogarnoch höher stehen als sein Monarch. Es muß die Flag-ge schwarz-weiß-rot, die den offenen und geheimenFeinden unseres Vaterlandes ein Dorn im Auge ist, fürjeden echten Deutschen ein Heiligtum sein, das manmit entblößtem Haupte grüßen und verehren soll. Erstdann wird auch der Fremde, in dessen Gebiet wir uns

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aufhalten, den erforderlichen Respekt vor uns Deut-schen und besonders vor unserer Flagge haben. – Lei-der betrachten viele unserer Landsleute das mit andernAugen und daher kommt es, daß man oft mit einemgeringschätzigen Lächeln auf uns herabsieht.«

»Ja, ja, Sie haben recht, Don Fernando. Wenn mansieht, wie andere Völker, besonders Italiener und Fran-zosen, zu ihren Farben emporblicken, dann regt sichso etwas wie Scham in unserm Innern. Ich erlebte dasin Asuncion. Da trug an einem Nationalfeste ein Italie-ner seine Flagge in einem mit Seide ausgeschlagenenEtui auf den Balkon seines Hauses. Bevor er den Be-hälter öffnete, nahm er und seine Freunde die Kopfbe-deckung ab. Andächtig blickten sie zu dem Mast em-por, an dem sich die Farben im Wind entfalteten undals sie auswehte, schallte ihnen ein aus dem Herzenkommendes: Ti saluto! – Ich grüße dich, entgegen.Dann erst bedecken sie ihr Haupt wieder.«

»Leider ist bei uns Deutschen der Nationalstolz nochnicht genügend entwickelt. Es gibt sogar Menschendrüben im Vaterlande, die zum Nachteile des eigenenLandes, das Ausländische vorziehen und leider geht daunsere höchste Stelle mit ihrem Beispiel voran. Augen-blicklich soll bei uns England Trumpf sein . . . aber las-sen wir das! Die Bilder, die wir da aufrollen müßten,sind so unendlich traurig, daß ich am liebsten gar nichtdarüber reden mag. – Außerdem haben wir genug mit

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der Gegenwart zu tun. – Hören Sie das dumpfe Ge-räusch drunten am Flusse?«

»Das wird Kaapa mit seinen Leuten sein! Uebrigensdürfen Sie den Wilden das Flaggentuch nicht zeigen.Sie schwärmen für rote Stoffe und würden sofort dar-über herfallen.«

»Daran zweifle ich nicht. Sagen Sie mir nur, wo ichdie Flagge hissen soll, wenn die Soldaten kommen.«

»Auf dem Dache natürlich! . . . Ja, so! Der Flaggen-mast wurde im Frühjahr vom Blitz getroffen. Aber Siefinden hinter dem Hause, bei den Ställen, ein paar ge-schälte Stangen. Die mögen für den Notfall genügen.Wenn ich die Rothäute untergebracht habe, helfe ichIhnen.«

Bauer begab sich zum Flusse hinunter und ich mach-te mich dadurch nützlich, daß ich aus den jungen Bäu-men im Hofe einen mir geeignet erscheinenden her-ausholte und ihn mit Dollys Hilfe auf den Speicherschleppte. Oben mußte ich ein paar Schindeln aus ih-rer Lage rücken, um den neuen Mast in der richtigenWeise anzubringen. Ich benutzte die Gelegenheit, ummir von dem luftigen Punkte aus die Rundsicht anzu-schauen. Ich konnte nach allen Himmelsrichtungen bisin weite Fernen blicken. Nur nach Nordosten verdeck-te ein finster dreinschauender Kegel die Fernsicht. DerBerg zog wegen seiner Form meine Aufmerksamkeitauf sich. Er glich, wie er so an den Horizont geklebt

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war, aufs Haar einem menschlichen Kopfe. Die Strah-len der untergehenden Sonne warfen gleißende Lich-ter auf ein paar dunkle Punkte, die dadurch das Feuervon lodernden Augen zurückwarfen. Ein mitten dazwi-schen sich aufdringlich vorschiebender Zacken nahmdie Gestalt einer in Rotglut schimmernden Nase an,während dunkles Buschwerk auf einem gratförmigenGebilde den Mund markierte. Oben auf diesem Gigan-tenhaupte erhob sich ein Wald riesiger Palmen, derengefiederte Wedel im Abendwinde sich neigten und dierotgoldenen Reflexe des Sonnenballes hin- und her-warfen.

Im Norden, greifbar nahe, schob sich ein zerrissenerBergrücken bis dicht hinter das Haus und, von diesemwieder zurückweichend, nach Westen, wo er im Urwal-de unterging. In jenen Zacken hielten sich die feigenMeuchelmörder auf, als sie den Indianer ermordeten.– Während ich mir die Szene nochmals vor Augen zau-berte, lief mein Blick über die höhlenartigen Vertiefun-gen, die sich in den einzelnen Zähnen des sägeartigenBerges befanden, viele dieser Zacken leuchteten wielauteres Gold, andere wieder, weniger reich an mine-ralischen Einsprengungen, begnügten sich mit einemrosigen Duftmäntelchen. Der wuchtigste Zacken aber– mein Gedanke ließ ihn zum Backzahn in der Rei-he werden – blieb in finsteres Grau gehüllt. Nur seineunteren Teile warfen hin und wieder blitzende Refle-xe, die sich unverkennbar bewegten. Bald höher, bald

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niedriger – jetzt nach der rechten, dann nach der an-dern Seite wandernd . . .

Was konnte das sein? Ich beugte mich hernieder undrief:

»Dolly – bist du da?«»Ja, Herr, was willst du von mir?«»Laufe schnell zum Herrn, oder zur Frau, oder zu

Señor Neumann – wen du zuerst triffst – und sage, siesollen dir ein Fernrohr geben – aber rasch! Lauf Kind!«

Drei Minuten später stand Neumann unter mir. Erreichte mir das Glas und fragte:

»Was ist denn los? Das Mädel macht eine Eile hin-ter ihrem Auftrage her, als ob unser Heil von dessenAusführung abhinge. Ist da etwas besonderes?«

»Vielleicht – noch weiß ich es nicht!«Die wenigen Minuten hatten das Bild verändert. Die

Sonne war um einen Strich weiter gesunken und derfunkelnde Schein hatte sich verloren. Nur auf der Höh-lung des stärksten Zackens zuckten noch matte Schim-mer. Dorthin richtete ich das Glas. Und was ich dortentdeckte, elektrisierte mich förmlich. Ich traute zu-erst meinen Augen nicht. Aber je länger ich das Bildbetrachtete, desto klarer trat es aus seinem Zwielichtheraus.

Neumann wurde ungeduldig.»Sehen Sie etwas besonderes?« fragte er ein paar

Mal.

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»Kommen Sie doch herauf!« antwortete ich. »Ichmöchte hören, ob auch Sie das sehen, was ich feststell-te.«

»Was ist’s denn? Mensch, Sie foltern mich ja!«»Hier, nehmen Sie das Glas,« sagte ich, als er sich ne-

ben mich zwängte. »Betrachten Sie den breiten, stump-fen Zacken. In seiner untern Höhlung . . . «

»Ich sehe es! Mensch, da sind zwei Männer. Einer hatein Gewehr in der Hand . . . Um Gotteswillen!. . . Nein,das ist nicht möglich. Ich täusche mich . . . «

»Was sehen Sie?« fragte ich. »Reden sie, es wirdrasch dunkel und ich möchte es nochmal beobachten!«

»Das sind die beiden Argentinier, so wahr ich hierstehe!«

»Also täusche ich mich nicht? Oh, wie es mir in denFingern zuckt . . . «

»Dolly – mein Gewehr!« schrie Neumann plötzlich,»wartet, ihr Hunde, jetzt zahle ich euch alles zurück.Die kann man gar nicht fehlen!«

»Nein, Neumann, das wäre Mord, wir müssen dieBanditen lebendig fangen!«

»Aber wie? Es wird dunkel! . . . «»Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich das Gelän-

de nicht kenne. Aber Freund Bauer wird es wissen!«»Was soll ich wissen?« klang es herauf. Bauer stand

unter uns. Er war gekommen, uns zum Essen zu rufen.

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»Wenn Sie sich eilen, sehen Sie es selbst. Aber sehrrasch müssen sie hinaufklettern!« rief ich, indem ichmich aus der Oeffnung gleiten ließ.

Neumann bebte vor Aufregung. Er drückte Bauer dasGlas in die Hand und zeigte ihm, wo er zu suchen hat-te.

»Sehen Sie etwas?« fragte er nervös.»Hm – ich glaube, da sind zwei Männer mit Geweh-

ren . . . es wird zu dunkel, um sie zu erkennen. Aberwas gehen die uns an?«

»Was die uns angehen?« fragte Neumann und sprangmit einem Satze auf den Speicher zurück. »Das sind dieBanditen, die uns knebelten und in den Keller warfen.Die müssen wir unschädlich machen, koste es, was eswolle.«

»Das ist doch nicht möglich!« rief Bauer ungläubig.»So verwegen sind doch die Kerle nicht, daß sie sichuns hier vor den Lauf hinsetzen. Man kann sie ja be-quem von hier aus abschießen.«

»Das wollte ich ja auch. Aber hier der Mensch kammit seiner Moralpredigt dazwischen . . . «

»Ruhig Blut, Neumann!« sagte ich lachend. »In Ih-rem jetzigen Zustand hätten sie nur Fehlschüsse getanund dadurch alles verdorben, wir müssen die Banditenausheben . . . «

»Jawohl, damit sie uns abschießen, wie die Schaka-le. Sie wissen doch, daß es ihnen nicht an Kugeln fehlt,und treffen können sie auch, wie Sie gesehen haben!«

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»Wenn sie hier keine Munition gefunden haben,dann besitzen sie zusammen nur vier oder fünf Kugeln. . . «

»Gerade genug für uns drei! Morgen bei Sonnenauf-gang bin ich droben auf dem Dache und wehe ihnen,wenn sie sich noch blicken lassen. Mord oder nicht. Icherschieße alle beide!«

»Am besten wird es sein, wenn ich Kaapa auf dieBanditen aufmerksam mache. Der kennt sich aus inden Bergen, in denen er groß wurde. Er wird uns dieHerren Nachbarn bringen.«

»Dann empfehle ich Ihnen aber größte Eile. Der Pa-ter ist mit Ihrer Frau Tante unterwegs . . . «

»Donnerwetter, ja!« rief Bauer aufspringend. »Da istjede Minute kostbar!«

In wenigen Sätzen war er am Ufer und bald sahenwir, wie sich seine Gestalt neben der des riesigen In-dianers gegen den flackernden Schein der indianischenLagerfeuer abhob. Sie kamen langsam näher, und dawir nicht wußten, ob unser Anblick dem Wilden nichtbesser verborgen blieb, zogen wir uns auf den Speicherzurück.

Die beiden Männer folgten uns. Wir vernahmen denlauten Tritt Bauers und vermuteten, daß er in Beglei-tung des Häuptlings kam, weil sich die Ausdünstung

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des farbigen Körpers immer stärker bemerkbar mach-te. Wir räusperten uns, um Bauer über unsere Anwe-senheit zu unterrichten. Er rief uns auch an, aber Kaa-pa würdigte uns keines Blickes. Es begann auch hieroben bereits zu dunkeln, als die beiden Männer ihrenhalben Leib aus der Dachöffnung schoben. Bauer botdem Indianer das Fernglas. Aber dieser stieß nur einkurzes Lachen aus und sagte:

»Kaapa sieht auch bei Nacht, was er sehen will!«Hierauf blickte er angestrengt nach der bezeichneten

Stelle und ließ sich dann auf den Boden gleiten. Hiersagte er:

»Kaapa kennt die Höhle. Sie hat zwei Ausgänge.Einen unten im Berge und einen oben. Ehe der jungeTag meinen weißen Bruder umarmt, wird Kaapa dieweißen Männer haben.«

»Wirst du sie töten?« fragte Bauer.»Will mein Bruder sie lebendig haben?«»Nur sehen möchte ich sie, damit ich weiß, wie die

Banditen ausschauen, die meine Farm überfielen!«»Gut. Mein Bruder wird sie sehen. Hat mein Bruder

Platz für meine Krieger gemacht, die hier Wache haltensollen?«

»Alles in Ordnung, Kaapa. Aber willst du mir nichtdie Freundlichkeit erzeigen und meiner Freunde Be-grüßung entgegennehmen? Das sind die weißen Män-ner, die über das große Wasser kamen, um in den Cha-co zu gehen und dort Tiere und Pflanzen zu suchen.«

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Wir waren inzwischen auf dem Hofe angekommen.Auf einen Wink Bauers waren wir ihm gefolgt. Er tratbei den letzten Worten zur Seite, so daß ich Auge inAuge dem gefürchteten Häuptling gegenüberstand.

»Willst du meine Begrüßung annehmen, großerHäuptling?« fragte ich jetzt. »Ich bin ein Bewunderertapferer Krieger und mein Auge ruhte mit Wohlgefal-len auf deiner Gestalt, als du vor drei Sonnen dem wil-den Gorkahäuptling so mutig entgegentratest. Du bistein wirklicher Held.«

Das unerwartete Lob verwirrte den Indianer anschei-nend. Er fand nicht sogleich Worte zu einer Entgeg-nung und so fuhr ich denn fort:

»In meinem Lande ist es Sitte, daß man große Män-ner durch Geschenke ehrt, wenn du mir es nicht übeldeutest, so möchte ich dir etwas schenken, was dirFreude macht, würdest du diese Waffe von mir anneh-men? Sie birgt sechsfachen Tod und wenn die kleinenKugeln abgeschossen sind, sendest du einen vertrautenDiener zu den Weißen und läßt dir neue geben . . . «

Die Augen des Wilden funkelten in dem Widerscheindes fernen Feuers. Er ging noch mit sich zu Rate, ober den Weißen durch Annahme des Geschenkes ehrensollte. Er konnte es ja auch auf eine seiner würdigereArt haben . . . Die Rechte drückte den Griff der Keulefester, sein durchdringender, grausamer Blick streiftemich. Furchtlos blickte ich ihn an. Er ahnte nicht, daß

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es nur eines Fingerdruckes bedurfte, um den noch im-mer gegen seine Herzgegend gerichteten Revolver ab-zufeuern. Ehe er die Keule erhoben hätte, war er eintoter Mann. – Da war es leicht, dem Wilden fest insAuge zu blicken.

Mit tönendem Schlag traf die Keule den hartenStein. Die Hand streckte sich nach mir aus:

»Habe Dank, Fremder, für dein Geschenk. Kaapa istdein Freund. Er wird dich mit dem neuen Tage aufsu-chen, um dich seinen Kriegern vorzustellen . . . «

Ohne Neumann eines Blickes zu würdigen, ver-schwand er im Dunkel der hereingebrochenen Nacht.

»Na, Bauer, meinen Kollegen hätten sie doch auchvorstellen können. Er braucht die Freundschaft derWilden im Chaco mehr noch als ich. Denn mein Wegliegt in anderer Richtung.«

»Es war auch meine Absicht, aber sie sahen dochselbst, wie er es eilig hatte.«

»Nun, morgen werde ich das selbst besorgen! Haltensie nur ein schönes Geschenk bereit. Ihre silberbeschla-gene Pfeife wäre des Häuptlings würdig.«

»Jawohl – ich werde mich hüten, mich von meinemTröster in der Einsamkeit, meiner Pfeife, zu trennen!«

»Immer besser von der, als von Ihrem Kopfe. Erstereläßt sich ersetzen, ohne Kopf sind sie zeitlebens einKrüppel.«

»Machen sie keine faulen Witze, Don Fernando! Ue-brigens war es unvorsichtig von Ihnen, dem Häuptling

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den Revolver zu schenken. Er wird jetzt noch mehr Un-heil stiften, als er das bisher tat.«

»Wenn er die beiden Banditen damit erschießt, tut erhöchstens ein gutes Werk, denn sonst wird er sie mar-tern. Und wenn er die sechs Kugeln verschossen hat,wird er lange suchen müssen, bis er passende wieder-findet. Das ist ein Kaliber, nach dem ich, seit ich ihnin Neuseeland kaufte, lange gesucht habe. Im andernFalle hätte er ihn auch nicht bekommen.«

Von den Bergen her hörten wir jetzt Schüsse fallen.Eiligst liefen wir ins Haus und stürmten die Speicher-treppe hinauf. Dort kam uns Bauers Verwandte atemlosentgegen.

»Draußen sind ein paar weiße Männer, die uns mitGewehrschüssen verfolgen, sie haben keinen von unsgetroffen . . . Gil brachte mich hierher . . . Jetzt ist ernoch draußen . . . «

Während dieses, in abgerissenen Sätzen hervorge-stoßenen Berichtes erhob sich vor dem Ausgang einwüster Lärm. Wir blickten durch einen Spalt der Ver-schalung und bemerkten in dem fahlen Dunkel derNacht eine ganze Anzahl von Indianern, die alle nacheiner Richtung, dem zackigen Felsen, liefen. Im erstenAugenblick wollte ich mich ihnen anschließen, aberBauer fand noch rechtzeitig die Warnung:

»Bleiben Sie um Himmels willen hier, Don Fernan-do, wie leicht können Sie von den Indianern mit denArgentiniern verwechselt werden!«

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Hastige Schläge donnerten gegen die Lukenbretter.»Wer ist draußen?« rief Bauer.»Padre Odilo – öffnet rasch!«In der nächsten Minute stand er neben uns.»Oh, diese Barbaren!« rief er aus und seine Stimme

bebte. »Wie sie über einander herfallen. Blut, und wie-der Blut!«

»Was ist denn vorgefallen?« fragten drei Stimmenzugleich.

Bei Cipriano waren ein paar Soldaten, die, als siehörten, daß Gil uns zu Bauer’s Farm bringen sollte, so-fort bereit waren, mit uns zu gehen. Der Weg war ih-nen unbekannt und so konnten sie bei der Gelegenheitdie Indianer auskundschaften. Gil gab sich Mühe, denSoldaten den Gedanken auszureden. Er sagte sogar, esseien keine Indianer hier in den Bergen. Er würde dochsonst keine Dame dorthin führen. Aber der Führer derPatrouille war mißtrauisch. Gil log auch gar zu unge-schickt. Genug, er brach mit uns auf. Seine Leute, ichglaube es waren fünf, mußten den Wald zu beiden Sei-ten absuchen . . .

Auf einmal machten sie Lärm. Sie brachten einen In-dianer mit, den sie im Walde angetroffen hatten. Gilkannte ihn. Er nannte ihn Malibo, seinen Freund, deruns von Ihnen entgegengesandt worden sei. Da wir ihnaber nicht kannten, glaubte der Führer Gil’s Wortennicht. Er ließ nun beide unter Bewachung stellen.

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So kamen wir in den Hohlweg. Die Sonne ging unterund die langen Schatten der hohen Felsenzacken war-fen den Weg in dunkle Nacht. Der Führer ging voran.Dann kam ich und die Dame war dicht hinter mir. Gilund Malibo waren zwischen den Soldaten am Schlussedes Zuges.

Auf einmal rief Gil die Dame an und sagte in deut-scher Sprache:

»Wir sind auf dem falschen Wege. Weigert Euch wei-terzugehen. Ich hole Euch hier wieder ab. Vertrautmir.«

Natürlich wollte der Führer wissen, was die Wortebedeuteten. Ich gab ihm keine Antwort, sondern erwi-derte nur, daß ich nicht weitergehen könne. Gleichzei-tig lehnte ich mich gegen die Steine. Ich war wirklicherschöpft. Der Zug mußte stehen bleiben. Die Soldatenverlangten nun von Gil eine Erklärung seiner Worte. Errief so laut, daß alle es hören konnten:

»Ihr seid auf dem falschen Wege. Noch zehn Schritteund Ihr liegt zerschmettert im Abgrund.«

Alle lachten. Der Führer antwortete:»Zehn Schritte? Das kann ich leicht feststellen.«Er ging dann fort. In demselben Augenblick hörten

wir Lärm am Schlusse. Einer schrie laut und dann wur-de geschossen. Die Soldaten liefen zurück und auchden Führer sahen wir nicht wieder.

So saßen wir wohl zehn Minuten allein in dem Spalt.Da rief uns plötzlich Gil an. Er holte uns aus unserm

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Versteck und brachte uns hierher. Dicht vor dem Hausewurde auf uns geschossen. Anscheinend von Weißen.Wir wurden durch einen Schwarm von Indianern ge-trennt . . . Gott Lob, daß wir hier sind. Hoffentlich sindwir hier in Sicherheit!«

Der Bericht des Paters hatte uns in leicht begreiflicheUnruhe geworfen. Wenn die Soldaten so nahe waren,dann konnte unsere Farm leicht in den Verdacht gera-ten, die Wilden gegen die Regierungstruppen zu unter-stützen. Fand man hier die Leichen der Soldaten undsah man die Indianer freundschaftlich bei uns verkeh-ren, dann war Bauer verloren. Es galt einen Ausweg zufinden. Kaapa mußte zum Abzug bewogen werden.

Lange berieten wir, wie das zu machen sei. GegenMitternacht erschien plötzlich Gil im Hofe. Er war mitBlut befleckt. Ohne ihn nach dessen Ursprung zu fra-gen, machte ich ihn mit unseren Sorgen bekannt undbat ihn um seine Hilfe.

»Kaapa hat die beiden Banditen unten im Lager. Vonden Soldaten ist nichts mehr zu fürchten. Sie sindstumm. Ihre Leichen sind begraben. Die Gorka sindden Soldaten entgegengezogen und werden zu dieserStunde schon vor der Schlucht sein, in der Ciprianowohnt.«

»Dann ist der Händler in Gefahr. Müssen wir ihmhelfen?« fragte Bauer.

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»Kein Indianer wagt sich in die Nähe seines Hauses,«erwiderte Gil lächelnd. »Er ist als Zauberer gefürchtet.Das Krokodil beschützt ihn.«

»Gibt es denn Krokodile da unten? Da ist doch keinSee?«

»Nein, Don Fernando. Aber Cipriano hat sich ein sol-ches ausstopfen lassen und an die Front seiner Hüttegenagelt. Abends brennt hinter dem Kopfe ein kleinesLicht und so hat der sich dem Hause Nähernde den Ein-druck als leuchteten Rachen und Augen des Tieres. Da-vor haben die Indianer eine heilige Scheu. Sogar Mali-bo fürchtet sich, das Haus zu betreten.«

»Immerhin müssen wir die Indianer von der Farmentfernen,« sagte Bauer. »Ich kann Kaapa nicht dazuauffordern, aber du wärest vielleicht imstande, ihn hin-ter den Gorka her zu schicken. Wenn er einen Kampfwittert, dann geht er gleich los.«

»Dann sende ich ihn durch den Hohlweg. Da kann ersicher sein, auf Truppen zu stoßen. Die Patrouille wardem Regiment nicht weit voraus.«

»Ihr habt alle gut reden!« rief ich dazwischen. »Wiekomme ich aber von hier fort, wenn ringsum feind-lich gesinnte Indianer lagern. Ich möchte endlich mei-ne Reise fortsetzen.«

»Gehen Sie mit Kaapa, Herr,« schlug Gil vor. In Ci-prianos Haus sind sie vor den Gorka sicher und dieSoldaten legen Ihnen keine Hindernisse in den Weg!«

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»Das ist noch lange nicht so gewiß. Aber du sag-test mir doch, daß du unter deinen Stammesgenossengroßes Ansehen genießt. Wäre es dir nicht möglich,mich durch deren Lager zu bringen?«

»Sie wollen ja nicht in den Chaco, Herr!«»Ich will an die brasilianische Grenze. Zunächst an

den Rio Apa. Ob der Weg dorthin nun durch den Chacooder am Rio Paraguay vorbei führt, ist mir einerlei.«

»Dann können Sie morgen schon abreisen. Ich sagemeinem Bruder Cirino ein Wort. Der macht Ihnen denWeg frei.«

»Cirino? Lebt denn der noch?« fragte ich erstaunt.»Warum nicht? Er ist bei meinem Vater. Sie lagern

oben an den Quellen des Fogones.«»Sage mir die Wahrheit, Gil. Hat dein Bruder den

Botokuden vor drei Tagen hier ermordet?«»Davon weiß ich nichts. Ich war nicht hier. – Aber,

sagen Sie mir, ob ich meinem Bruder von Ihrem Kom-men Nachricht geben soll?«

»Du gehst doch mit mir?«»Durch den Chaco nicht, Herr! Sonst auf jedem We-

ge.«»Ihr scheint mir ja nette Brüder zu sein! Also suche

einen Weg, den du auch gehen kannst und dann sagees mir. Ich muß noch ein paar Stunden schlafen. Jetztsorge dafür, daß Kaapa abzieht!«

Das war indessen nicht so einfach. Kaapa hatte ver-sprochen, Bauer das Gesicht der Banditen zu zeigen

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und er hielt sein Wort. Kaum hatte die Sonne ihre er-sten Strahlen über die Berge gesandt, da erschien einBote des Häuptlings, der den Farmer in sein Lager rief.Er fand dort zwei Argentinier, die gebunden am Fußeeiner Palme lagen. Beide waren mit Blut bedeckt undschienen dem Tode nahe. Bauer erkannte keinen derbeiden. Da er aber deren Schicksal ahnte, und nichtZeuge indianischer Justiz sein wollte, entfernte er sicheilends wieder, ohne auf Kaapa’s Rufe zu achten. Erhatte noch keine zehn Schritte zurückgelegt, da krach-ten Revolverschüsse hinter ihm, denen ein schwacherSchrei folgte. Kaapa probierte den Revolver.

Der Morgen verlief ohne Störung. Als die Sonne ih-ren höchsten Stand erreicht hatte, knatterten Gewehr-salven im Westen von uns.

»Was ist das?« fragte Bauer erschrocken. »Wiekommt denn Militär dorthin? Sie können unsere Bergedoch nicht umgangen haben?«

Die Antwort brachte – Cirino!»Rettet mich, Don Fernando!« rief er, auf mich, als

den ihm zunächst Stehenden zueilend. »Gebt mir et-was Kleidung. Meine früheren Kameraden sind dortunten!«

»Deine Kameraden? Woher kommen denn die plötz-lich?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht von der Mission. Rettetmich – gebt mir Kleider!«

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Der arme Teufel bettelte so herzzerreißend, daß ichmich überreden ließ. Aus Bauers, Neumanns und mei-nen Beständen versahen wir ihn mit Hemd, Hose, Rockund Hut und nun bewegte sich Cirino so gemütlich aufdem Hofe, als sei er nie als nackter Indianer in denWäldern gewesen.

Die Gewehrsalven hatten auch Leben unter die amFlusse lagernden Indianer gebracht. Ein wildes Durch-einander herrschte dort. Man sah die braunhäutigenKrieger nach allen Seiten davonlaufen, anscheinendohne jede Ordnung. In Wirklichkeit folgten sie denWeisungen ihres Häuptlings, der eine Umgehung derTruppen einleitete. Zum Glück kamen sie dabei nichtauf das diesseitige Ufer und auf die Farm.

»Wo ist denn dein Vater jetzt?« fragte Bauer den mü-ßig umherstehenden Cirino. »Du solltest ihm doch bei-stehen.«

»Mein Vater ging gestern schon hinauf in die Chapa-da Alta. Er will Krieger holen.«

»Dann kann ihm Gott Lob nichts geschehen. Es hättemir leid getan um den braven Mann. Schade, daß seineSöhne ihm so wenig gleichen.«

Zu mir gewendet, fuhr er fort:»Jetzt werden Sie abreisen können. Wenn die Trup-

pen sich mit denen vereinigen, die flußaufwärts kom-men, werden die armen Indianer bald weichen müs-sen. Armer Kaapa! Er ist trotz allem ein prächtiger

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Mensch, der unter der Zivilisation Großes leisten wür-de.«

Die Gewehrsalven kamen näher. Sie zogen anschei-nend in einem Bogen um die Farm herum. Eine Kugelflog pfeifend über unsere Köpfe.

»Jetzt ist’s Zeit, daß wir uns in Sicherheit bringen,«rief Bauer. »Alles in die Keller. Dort sind wir sicher.«

»Zuerst aber muß die Flagge hinauf, Bauer! Das be-sorge ich. Her damit!«

Während ich auf dem Speicher mit dem Hissen un-serer deutschen Farben beschäftigt war, klapperte esauf den Schindeln. Das Gefecht kam näher. Die Kugelnbestrichen den Hof. Nach etwa zehn Minuten bangerErwartung hörten wir draußen Stimmen. In spanischerSprache rief man:

»Aufgemacht! Im Namen der Republik, öffnet!«»Ueberlassen Sie mir das weitere, Bauer,« sagte ich,

indem ich zur Türe trat und den Riegel zurückzog. Vormir stand ein Offizier.

»Ich muß das Haus durchsuchen! Alle Bewohnerstellen sich auf dem Hofe auf.«

Ruhig antwortete ich:»Sie scheinen nicht beachtet zu haben, daß hier die

deutsche Flagge weht. Wir stehen unter dem Schutzedes Deutschen Reiches!«

»Das geht mich nichts an! Ich muß das Haus untersu-chen. Sie werden mir den Eintritt freigeben, oder . . . «

»Was, oder? Sie drohen doch nicht etwa?«

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Zwei Soldaten, die hinter dem Offizier standen,raunten diesem etwas zu, das ich nicht verstand.

»Einerlei! Hier habe ich zu befehlen! Werdet Ihr denEingang freigeben?«

»Auf Euere Verantwortung, Leutnant!«Ich öffnete weit die Tür, rief aber meinen Freunden

gleichzeitig in deutscher Sprache zu:»Die werden gefangen und gebunden!«So geschah es. Als der letzte der drei eingetreten

war, verriegelte ich die Tür und trat vor den Offizier.»Sie sind Gefangener, Leutnant, gebt Euere Waffen

ab! Ihr habt unsere Flagge bedroht. Das lassen wirDeutsche uns nicht bieten. Ihr Präsident mag entschei-den, welche Strafe Sie dafür zu gewärtigen haben.«

Mit einem Wutschrei wollte der Offizier sich aufmich werfen, aber die drohenden Läufe von vier Revol-vern kühlten seinen Mut. Die Soldaten befolgten sofortmeinen Befehl. Sie waren froh, aus dem Kampfe aus-scheiden zu dürfen. Allerdings wehrten sie sich eben soenergisch gegen die Fesselung wie ihr Leutnant. – Aberdas wollte ich ihnen nicht ersparen. Wir brachten dieGefangenen im Stalle unter, wo sie auf dem Maisstrohein weiches Lager fanden.

Der Kampf zog sich immer weiter flußabwärts. DieSoldaten schienen Sieger zu bleiben. Hin und wiederzeigten sich ein paar Indianer auf dem Hofe, wurdenaber sofort wieder von nachdrängenden Truppen ver-jagt.

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Bei den Ulmen schienen sich Indianer festgesetzt zuhaben, die sich tapfer wehrten. Immer wieder zogensich die das Häuptlingsgrab stürmenden Soldaten zu-rück. Viele waren durch Speerwurf verwundet. Auchein paar Tote trug man zurück.

»Wer mag sich dort verschanzt haben?« fragten wiruns. Die Wilden, die wir hin und wieder vordringen sa-hen, gehörten keinem der uns bekannten Stämme an.Es konnten nur Fremde sein, deren Rache auch unsgefährlich werden konnte, wenn sie sich in unser Hauszurückziehen würden.

»Nun wäre ich doch froh, wenn wir die Soldaten hierhätten,« sagte Bauer. »Ob wir die Gefangenen wiederfreilassen?«

Die Antwort wurde durch heftiges Klopfen an derTür unterbrochen:

»Machen Sie auf, Alemanos, Sie sind in Gefahr!« riefeine befehlende Stimme. Ehe ich noch einen Entschlußfassen konnte, hatte Bauer die Riegel zurückgescho-ben. Ein Kapitän stand draußen und wiederholte dieWorte:

»Sie sind in Gefahr. Die Indianer werden gleich hier-her flüchten. Gestatten sie mir, Ihnen Hilfe zu brin-gen!«

»Kapitän Llovera!« rief ich erstaunt. »Das nenne ichein glückliches Zusammentreffen. Ihnen vertrauen wiruns an. Wir haben bereits den Besuch eines Leutnants

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gehabt, der mit Drohungen gegen uns vorging. Er woll-te unsere Flagge nicht respektieren.«

Auch der Kapitän freute sich über das Wiedersehenund gab dieser Freude mit kurzen Worten Ausdruck.Dann erkundigte er sich nach dem Namen oder der Re-gimentsnummer des Offiziers.

»Er ist noch hier. Wir nahmen ihn gefangen, um un-serer Flagge Genugtuung zu verschaffen. Wollen Sieihn sehen?«

»Später, jetzt zeigen Sie mir die Stelle, von der auswir die Indios am besten unter Feuer nehmen können.Die Kerle scheinen ja sehr gut verschanzt zu sein.«

»Sie meinen jene unter den Ulmen?«»Ja, dort hinter den großen Bäumen müssen hunder-

te versteckt liegen. Denen muß doch noch von einerandern Seite beizukommen sein.«

»Da liegt ein alter Steinbau. Wir nennen ihn dasHäuptlingsgrab. Sein Inneres ist allerdings sehr geräu-mig und es können leicht ein paar hundert Indianerdort versteckt sein. Von hier aus gibt es nur einen Zu-gang, auf dem Ihre Leute ja den Sturm unternahmen.Vom Flusse aus führt eine Felsenrinne dorthin. Rück-wärts stößt die Ruine ans Gebirge. Wenn Sie dort Leu-te hinaufsenden könnten – aber das ist ein langer, be-schwerlicher Weg . . . «

»Viel Zeit habe ich nicht. Wir stehen zahlreichenBanden gegenüber und ich muß versuchen, deren Ver-einigung zu verhindern . . . Wieviel Mann können Sie

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hier unterbringen? . . . Oh, nur auf einen Tag, mit Ver-pflegung allerdings.«

»Ich habe noch einen Ochsen, Kapitän, den stelle ichzur Verfügung.«

»Bueno, bueno, hasta la vista!« rief er und eilte wie-der davon. Seine fünf Begleiter blieben zurück.

»Komischer Herr, Ihr Freund!« sagte Neumann la-chend. »Macht’s genau so wie der Leutnant. Nur ister höflicher. Bin neugierig, wie viel Mann er uns her-schickt.«

Zwanzig Mann begleiteten als Deckung ein kleinesFeldgeschütz, das Llovera auf den Hof fahren ließ. Erfolgte den Soldaten auf dem Fuße, gab dem Artillerie-offizier einige Befehle und kam wieder zu uns:

»Tut mir leid um die armen Rothäute,« sagte er be-dauernd. »Ich möchte sie gern warnen, bevor ich sieniederkartätsche. Hier ist wohl niemand, der sie zumAbzuge bewegen könnte?«

Ich sah mich nach Cirino um, aber der war seit derAnkunft der Soldaten begreiflicherweise verschwun-den. – Dolly? Ich warf Frau Bauer einen fragendenBlick zu.

»Wenn ich wüßte, daß die Karapahy dort wären,könnte mein Mädchen den Indianern den Rat geben,«sagte Frau Bauer. »Sie müßten aber die Sicherheit desMädchens garantieren.«

»Vor meinen Leuten ja, sonst natürlich . . . «

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Dolly wurde gerufen. Bei dem heiklen Auftrag ver-zog sie das Gesicht ein wenig, ging aber sofort auf un-sere Wünsche ein. Nur fürchtete sie sich vor den vielenSoldaten.

»Es darf nicht geschossen werden, Kapitän, solangedas Mädchen noch draußen weilt,« sagte Frau Bauer,»dann geht sie hinüber. Was soll sie sagen?«

»Hm, eigentlich nimmt man eine kapitulierende Be-satzung gefangen. Damit erzeigte ich den Indianernden größten Dienst, weil sie uns dann ja die Hälse ab-schneiden könnten. Lassen wir sie laufen, so haben wirsie morgen vor uns . . . «

»Wie wäre es mit Geiseln?« warf ich ein.»Das wäre ein Ausweg! Also höre Dolly: Du sagst den

Indianern, daß die Soldaten die Farm erobert hätten.Sie würden nun mit den großen Kanonen in die Ruineschießen und alle roten Leute töten. Der Anführer wür-de sie aber frei in ihre Wälder ziehen lassen, wenn sievor Sonnenuntergang die Häuptlingsgräber verließen.Einer ihrer Häuptlinge müsse aber ohne Waffen zu denSoldaten herauskommen und dafür bürgen, daß auchalle Stämme das Abkommen befolgten. Nach drei Ta-gen würde der Häuptling wieder freigelassen. – Hastdu alles verstanden?«

Dolly wiederholte die Worte, gab aber ihrem ZweifelAusdruck, daß der Häuptling kommen würde.

»Das sehen wir dann ja. Wenn deine Sache gelingt,Mädel, schenke ich dir eine Unze.«

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Llovera begleitete Dolly hinaus und gab den Solda-ten die nötigen Befehle. Sein Auge hing bewunderndan dem jungen Geschöpf, das sich furchtlos in die größ-te Gefahr begab. – Bis an den äußersten Grenzstein desHofes lief sie in tanzenden Schritten dahin. Dort aberblieb sie stehen und schrie ihren Stammesruf zu denUlmen hinüber. Nach dem dritten Schrei erschienen ei-nige Indianer zwischen den Bäumen und nun beganndie Unterhaltung, die sich sehr in die Länge zog. Meh-rere Male lief Dolly ungeduldig zurück, doch jedesmalholte sie ein Ruf von drüben wieder herbei. – Endlich,nach einer Stunde, schien sie ein Resultat zu haben.Sie flog förmlich auf uns zu und rief:

»Der Häuptling will annehmen, aber der Anführerder Soldaten soll es ihm selbst sagen. Er soll seine Leu-te vom Hofe wegführen. Dann soll er ohne Waffen al-lein bis zu dem Papayobaum gehen. Dorthin kommtauch der Häuptling, allein und unbewaffnet. Willstdu?«

Der Kapitän willigte nach kurzem Besinnen ein. Dol-ly klatschte vor Freude in die Hände und lief zu denUlmen zurück, während der Kapitän den Hof räumenließ. Er gab strengen Befehl, daß kein Schuß fallendürfe und sandte diesen Befehl durch Ordonnanzen anseine Offiziere, die am Fluß standen.

Llovera ging zuerst an den bezeichneten Ort. Un-mittelbar nachher kam ein eisgrauer Häuptling an der

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Seite Dollys langsam auf den feindlichen Offizier zu-geschritten. Drei Schritte vor ihm blieb er stehen undberührte zum Zeichen des Grußes Brust und Stirn. DerKapitän grüßte militärisch. – Dann begann der Häupt-ling zu sprechen. Wo ihm die spanischen Worte fehl-ten, mußte Dolly helfend einspringen. Die Unterre-dung dauerte kaum fünf Minuten. Dann kehrte derAlte zu den Ulmen zurück und Llovera ließ allen er-reichbaren Truppen melden, daß zwischen den Trup-pen und den Karapahy der Kriegszustand aufgehobensei.

Die Sonne lagerte noch auf den Wipfeln des Urwal-des, als der alte Häuptling selbst sich als Geisel stellte.Llovera führte ihn in das für ihn eingeräumte Zimmerauf der Farm und bat ihn um sein Wort als Häuptling,daß er die Bedingung einhalten und sich nicht von derFarm entfernen würde. Stolz gab der Alte zur Antwort:

»Der Häuptling der Mekuben hat nur ein Wort!«Die größte Freude über die gelungene Unterwerfung

der Rothäute bezeugte Dolly, die nicht nur vom Kapi-tän, sondern auch von uns noch ein paar Goldstückeempfing und außerdem als Bedienung dem Alten bei-gegeben wurde.

Abends ließ sich Llovera die gefangenen Soldatenholen. Er hielt dem Leutnant eine tüchtige Strafpredigtund schärfte ihm ganz besonders die Achtung vor derdeutschen Flagge ein. Dann schickte er ihn mit einemKommando an den Fluß zurück.

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Die ganze Nacht hindurch kamen und gingen Ordon-nanzen. Die Rothäute waren aus den Ulmen abgezogenund hatten zehn Tote und eine größere Anzahl Ver-wundeter mitgenommen. Späher hatten sie bis an dieQuellen des Fogones verfolgt und gesehen, daß sie dortoben ein vorübergehendes Lager bezogen.

Weniger angenehme Nachrichten liefen vom un-tern Fogones ein. Dort waren die Fuegu und Guazu-Stämme, die an den Ufern der nach ihnen benann-ten Flüsse wohnten, und die man für friedlich hielt,mit den Gorkas zusammen über die Regierungstrup-pen hergefallen und hatten diesen eine empfindlicheSchlappe beigebracht. Boten waren unterwegs nachBelen und Nueva Germania, um telegraphisch Hilfevon Concepcion und Asuncion zu erbitten.

Llovera verließ uns in den ersten Morgenstunden.Er ließ einen Offizier zurück, der die indianische Spra-che verstand und verabschiedete sich von dem altenHäuptling, wie von einem König. Auch wir drücktenuns zum letzten Male die Hand. Wußten wir doch, daßes ein Abschied für immer war.

Nun verlebten wir nach den vielen aufregenden Ta-gen einige Tage der Ruhe, die auch ausgiebig mitSchlafen ausgefüllt wurden. Ich hatte meine Abreiseverschoben, da ich hoffte mit dem alten Häuptling inden Chaco und zu dessen Stamme reisen zu können. Ersetzte zwar allen meinen Annäherungsversuchen hart-näckigen Widerstand entgegen, aber ich ließ dennoch

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die Hoffnung nicht sinken. Dolly sollte auch in meinemInteresse ihr Glück versuchen.

Leider blieb ihr Bemühen erfolglos, wenn auch nichtdurch ihre Schuld. Am Tage des Ablaufes der Fristdurchzogen bereits vom frühen Morgen an größereTrupps von Indianern fluchtartig das Tal des Fogones.Dadurch kam der Offizier in höchste Lebensgefahr undmehr als einmal mußte der alte Häuptling energischfür ihn eintreten. Gegen Abend legte er seine Uni-form ab und blieb nun unbelästigt. Das aber gefiel wie-der dem Häuptling nicht, der darin eine Feigheit sah.Schließlich fand Dolly wieder den richtigen Ausweg.Sie brachte dem Alten bei, daß der Mann nur so langeUniform tragen dürfe, als er im Dienste des Häuptlingsstehe, und da der Häuptling nun frei sei, müsse er an-dere Kleider anlegen.

Der Alte machte von seiner Freiheit noch keinen Ge-brauch. Er stand fast den ganzen Tag am Flußufer undrief den von Zeit zu Zeit auf der andern Seite sichtbarwerdenden Indianern rauhe Worte zu. Einmal kam ermit einem Krieger seines Stammes auf den Hof. DerMann mußte seine Waffen an einen Baum hängen unddurfte dann erst das Zimmer des Alten betreten, wodieser ihn mit Speise und Trank versah. Von nun anmußte dieser junge Mann den Posten am Ufer einneh-men. Er brachte aber keinen Stammesgenossen mehrmit.

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Endlich hörte auch das Zurückfluten der Indianerauf. Die Regierungstruppen erschienen wieder undnun mußte der Offizier den Häuptling wieder unterseinen Schutz nehmen. Das schien diesem aber nichtzu behagen. Ganz unvermittelt ließ er Dolly rufen, ver-abschiedete sich durch ihrem Mund von allen Haus-genossen und verschwand dann hinter dem Grabe imWalde. – Wieder saß ich auf der Farm und wußte nichtwohin.

Der Offizier schlug mir vor, in seiner Begleitung nachConcepcion zu marschieren und von da aus meine Rei-se fortzusetzen. – Ich willigte diesmal ein und wirverbrachten einen recht fröhlichen Abend bei der Ab-schiedsfeier. Als es aber am nächsten Morgen wirklichErnst wurde, fiel es mir doch recht schwer, die Men-schen auf immer zu verlassen, mit denen ich so ereig-nisreiche Tage verbracht hatte. Beinahe wäre ich auchin meinem Entschlusse wankend geworden, weil Neu-mann mich mit nassen Augen scheiden sah. Aber Dollyhalf mir auch hier wieder über meine Bedenken hin-weg. Sie brachte mir noch einen von den »weichenAesten« und gab dabei das Versprechen ab, für mei-nen Freund Neumann wie für mich selbst zu sorgen.Mit dem üblichen gegenseitigen Schwur, recht oft zuschreiben, trennten wir uns. Ich sah und hörte nie wie-der etwas von den Leuten. Als ich zehn Jahre späterwieder an den Fogones kam, war ein Fremder auf Bau-ers Farm. Dieser selbst hatte verkauft und war über

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den Paranâ nach Südbrasilien gewandert. Neumann istverschollen. Seinen Namen hörte ich später einmal inSiam als Orchideenjäger, aber das war auch alles.

Der Indianeraufstand wurde gründlich niederge-schlagen, teils durch Waffengewalt, teils durch fried-liche Unterhandlungen, bei denen Llovera sich einenNamen gemacht hat. Seit jener Zeit hört man nur sel-ten noch etwas über Indianerübergriffe. Die Herren desLandes sind zu Untertanen herabgedrückt.

Ich hielt mich in Concepcion nur so lange auf, alsich zur Ergänzung meiner Kleidung und der sonstigenkleinen Bedürfnisse brauchte. Dann dampfte ich mit ei-nem entsetzlich langsamen Boot den Fluß hinauf. Aufdem Dampfer, wie auch in der Stadt, war der Aufstandder Indianer in aller Munde. Die üblichen Schauerge-schichten durchliefen die Presse und als ich mich ei-nem kriegerisch aussehenden Manne als Augenzeugeder Vorgänge am Fogones zu erkennen gab, sollte ichabsolut am nächsten Anlaufhafen San Salvador Redengegen die Eingeborenen halten. Als ich mich weigerte,hetzte er die Faulenzer am Hafen gegen mich auf.

Unmittelbar hinter dem genannten Hafen werdendie Ufer des Flusses pittoresk. Ein ansehnlicher Ge-birgszug engt dessen Bett ein und nur schwer kön-nen die Maschinen des kleinen Dampfers die Gewaltder Strömung meistern. An manchen Stellen schienes fast, als ob das Boot den Kampf aufgeben wollte.

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Aber immer wieder gelang es ihm aus dem starken Ge-gendruck herauszukommen. Mich interessierte diesesRingen mit den schäumenden Wogen ungemein. VomDeck aus konnte ich die arbeitenden Zylinder der Ma-schine und das Manometer sehen, das immer auf derGrenze des höchsten zulässigen Dampfdruckes stand.Hin und wieder überschritt es diese auch und dannsah ich mich nach einem Gegenstande um, auf demich mich, im Falle einer Explosion des Kessels, rettenkonnte. Ein Farmer, die mich beobachteten, traten anmich heran und sagten lächelnd, sich der Landesspra-che bedienend:

»Haben Sie keine Angst! Die Maschine ist in Deutsch-land gebaut. Die hält es aus.«

Da nur Deutsche mit solchem Stolze von den Er-zeugnissen ihrer heimischen Industrie reden können,gab ich mich zu erkennen und fand in den Landsleu-ten prächtige Menschen. Alle drei besaßen gute Far-men und waren mit ihren Erfolgen zufrieden. Einerder Männer, ein Schwabe aus dem Schwarzwald, hatteneben seiner Getreidefarm auch noch eine Sägemühletief im Innern des Gebirges, die sein Sohn leitete. Alsdas Gespräch auf die Indianer überging, sagte er ruhig:

»Mir tun die Rothäute nichts. Auch mein Sohnkommt gut mit ihnen aus. Und gerade in unserer Näheleben die bösartigsten unter den Grenzstämmen, de-nen die Soldaten gar zu gern zuleibe gehen möchten.

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Aber das dulde ich nicht. Sobald ich Wind davon be-komme, daß man in Salvador wieder einmal mit Ka-nonen gegen die Eingeborenen losgehen will, benach-richtige ich die beiden Häuptlinge und der Kriegszugverläuft resultatlos. So machen wir Deutschen es über-all in der Chapada Alta. Zum Dank dafür genießen wirvollen Schutz der Indianer.«

»Warum schreitet denn das Militär mit Waffengewaltgegen die armen Kerle ein?«

»Wenn das faule Volk der halbzivilisierten Paraguaia-ner irgendwo eine Farm ausraubt oder einen Maultier-transport überfällt, dann wird die Schandtat sofort denRothäuten in die Schuhe geschoben. Und doch hat mannoch nie bei diesen einen einzigen der geraubten Ge-genstände oder Tiere gefunden. Von der Hauptstadtkommt der Befehl, die in der und der Gegend woh-nenden Indianer zu züchtigen, mit andern Worten, zutöten, und schon naht die Truppenmacht. Zum Glückerfahren wir das früh genug, und da die Dampfer nichtso rasch vorwärtskommen, wie die Läufer, so findendie Soldaten meist ein leeres Nest.«

»Am Fogones waren aber die Indianer tatsächlich dieAngreifer. Allerdings nur ein Stamm, der dann auchdurch einen andern Häuptling von einem Ueberfall zu-rückgehalten wurde.«

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»Natürlich reißt auch ihnen einmal die Geduld unddann sind sie natürlich nicht wählerisch. Ich weiß ge-nau, daß auch aus unserer Nachbarschaft eine größe-re Anzahl Krieger am Fogones kämpft, hüte mich aberdarüber zu reden.«

»Glauben sie, daß ich auf unüberwindliche Schwie-rigkeiten stoße, wenn ich den Rio Apa hinauf in dieBerge gehe?«

»In Confluencia, wo die drei Flüsse in den Paraguayfließen, wohnt mein Bruder. Suchen Sie den auf undlassen sie sich von ihm einen Lamlam geben. Das isteine Art Talisman, dessen Besitz den Inhaber bei allenIndianern der Wälder als Freund legitimiert. – Ich mußhier aussteigen – Leben sie wohl!«

Wir legten an einer Ansiedelung an, der man den Na-men Kolonie Apa gegeben hatte. Nur wenige Farmenstanden dort, die zum großen Teil Eingewanderten ge-hörten. Meine neuen Freunde wohnten einige Meilenweiter im Gebirge.

Der Dampfer blieb die Nacht über hier liegen und ichgewann dadurch Zeit, mich ein wenig an Land umzu-sehen. Ein Wirtshaus, in dem »deutsch« Bier angekün-digt wurde, zog mich an. Aber weder Wirt noch Gästeverstanden unsere Sprache, und das Bier war fürchter-lich. Es wurde von einem Elsäßer gebraut, der Deutschhieß, sonst aber Franzose war. Seine Brauerei befandsich irgendwo im Innern – sonst hätte ich ihm meineMeinung gesagt. In der Kneipe saßen vielleicht dreißig

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Yerbateros, die von den Indianern von ihren Arbeits-stätten verjagt worden waren. Auch hier konnte ichdie fürchterlichsten »Indianergeschichten« hören, nurmit dem Unterschiede, daß die Teesucher noch hinterder Wahrheit zurückblieben. Wie ich am nächsten Tageerfuhr, waren die Erstürmer des Forts Guachalla, dieYakubas, nachdem sie die Besatzung niedergemetzelthatten, in Eilmärschen östlich abgezogen. Sie stießenauf ihrem Marsche auf mehrere Partien Teesucher, dieunklug genug waren, ihrem Haß gegen die Rothäu-te allzu lauten Ausdruck zu geben. Die Folge davonwar, daß die gereizten Eingeborenen nachts über dieYerbateros herfielen. Was nicht im Kampfe fiel, wurdegefesselt in die zu heller Flamme angefachten großenLagerfeuer geworfen und unter dem Jubel der Rotenlebendig verbrannt. Natürlich sahen die Indianer nunin jedem, der ihnen im Chaco begegnete – und es sol-len etwa hundert Teesucher dort gewesen sein – einenFeind, der auf ihre Vernichtung sann. Also mußte manihm zuvorkommen. Auch unter den Gästen der Wirt-schaft befanden sich fünf Männer, die vor der Wut derRothäute geflüchtet waren. Sie konnten von Glück sa-gen, daß sie nur ihre Habe verloren. Von dem Verbleibder Kameraden wußten sie nichts. Auf ihrer Flucht ris-sen sie dann die auf ihrem Wege angetroffenen Yerba-teros mit sich.

Auch ich sollte mit in das Gespräch gezogen werden.Ich zog es jedoch vor, nachdem ich eingesehen, daß

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ich hier nichts über meinen Reiseweg erfahren konnte,das Haus zu verlassen und noch einen Spaziergang zumachen.

Ich wandte mich dem Flußufer zu. Am Landungs-steg lagen, neben einer Reihe stromabwärts bestimm-ter Frachtkähne, auch zwei eigenartig gebaute Fahr-zeuge, die meine Aufmerksamkeit erregten. Es warenaus einem gewaltigen Baumstamm gefertigte Kanoe’s,sogenannte Einbäume, die durch dünne Palmstämmemiteinander verbunden waren. Da ich mich als frü-herer Seemann für alles, was Fahrzeug heißt, lebhaftinteressiere, so unterzog ich auch diese Boote einergründlichen Besichtigung. Da es bereits stark dämmer-te, war ich gezwungen, die Uferböschung hinunterzu-gehen. Im Begriff, den Fuß auf die Bordwand zu set-zen, fühlte ich einen leisen Schlag auf der Achsel undneben mir erschien, wie aus dem Boden gewachsen,ein Indianer, der noch nicht Zeit oder Gelegenheit ge-funden hatte, seine kriegerische Bemalung zu verwi-schen. Zwischen den Augen führte er das Zeichen derKarapahy-Indianer.

»Was sucht der weiße Mann hier?« fragte er undstreifte mich mit einem Blicke grenzenlosen Hasses. Eswäre ihm ein leichtes gewesen, mich hier zu ermorden.Daß er es nicht tat, bewies mir, daß er ein Anliegenhatte.

»Ich besehe mir das Doppelkanoe,« sagte ich ruhig.»Ich sah nie ein solches und wollte die Verbindung der

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beiden Bäume genauer betrachten. Uebrigens, FreundKarapahy, du tätest gut, die Kriegszeichen, die nochan deinen Ohren sichtbar sind, ganz zu beseitigen. Dadrüben sind Yerbateros, die sie vielleicht kennen . . . «

»Uah, der Weiße sagt Freund zu mir. Woher weiß er,daß ich ein Karapahy bin?« rief der Indianer sichtlichüberrascht.

»Die Karapahy und Pidma sind meine Freunde, da-her kenne ich ihr Zeichen. Ich war vor einigen Sonnenmit ihnen am Rio Fogones. Der Häuptling Kaapa nenntmich Freund.«

Das Erstaunen des Indianers wuchs. Während ichihm beim Entfernen der roten Halbkreise am Ohr be-hilflich war, blickte er scheu zu mir auf. Ungläubig ruh-te sein Auge auf mir. Um ihn noch mehr zu überzeu-gen, fuhr ich fort:

»Ich schenkte dem Häuptling ein kurzes Gewehr mitsechs Kugeln . . . «

»Ich sah es!« unterbrach er mich.Nun war die Reihe des Erstaunens an mir.»Du sahst es? Warst du denn am Fogones?«»Alle Pidma-Rrieger waren dort in den Häuptlings-

gräbern.«»Dann warst du auch mit unter den Kriegern, die das

junge Mädchen befreien halfen?«»Herr, du warst auf der Farm. Jetzt weiß ich es. Jetzt

weiß ich auch, daß du mein Freund bist. – Vergib mir,Herr . . . «

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»Was soll ich dir vergeben? Du tatest mir kein Un-recht!«

»Aber ich wollte dich töten!«»Nun, da du es nicht tatest, ist das kein so großes

Unrecht. – Aber sage mir, wozu dient dieses eigenartigeFahrzeug?«

»Es ist ein Kriegskanoe meines Stammes. Wir verlo-ren es am Rio Galban. Ich muß es zurückbringen.«

»Gegen die Strömung? Das wird dir kaum gelingen!«Bestätigend, aber traurig, gab er das zu.»Wako verliert seinen Kopf, wenn er ohne das Kanoe

zu seinem Häuptling zurückkehrt.«Der arme Kerl sagte das in einem so trostlosen Ton,

daß ich mit ihm alle Möglichkeiten beriet, wie er sei-nen Vorsatz ausführen könnte. Schließlich fiel mir einAusweg ein:

»Ich fahre mit dem Dampfschiff nach Confluencia.Wenn ich das Kanoe mitnehme, kannst du es dort ab-holen. Du darfst wohl nicht mitfahren?«

Ein freudiger Schimmer zeigte sich in seinen Augen,der aber sofort wieder erlosch. Kopfschüttelnd erwi-derte er:

»Wako darf das Dampfboot nicht betreten und Con-fluencia ist weit.«

»Kennst du niemand in der Stadt, dem ich das Dop-pelboot bis zu deiner Ankunft übergeben könnte?«

»Wir haben dort viele Freunde, aber jetzt wird jederKarapahy festgenommen, der in die Stadt kommt.«

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Der arme Teufel dauerte mich. Vergeblich zerbrachich mir den Kopf, wie ihm zu helfen wäre. Von derWirtschaft schallte wilder Lärm herüber. Die rauhenGesellen waren ins Freie getreten und es war zu be-fürchten, daß der eine oder andere hier an den Flußkam. Ich riet dem Indianer sich zu verstecken. Er solltemich, wenn alles ruhig würde, hier wieder erwarten.

Es dauerte auch kaum fünf Minuten, da kam ein lan-ger Kerl die Böschung heruntergelaufen. Ich rief ihnan:

»Hoffentlich habt Ihr keine Selbstmordgedanken,Maat. Wenn Ihr so weiter rennt, seid Ihr in einer Se-kunde bei den Krokodilen.«

»Pest!« schrie er auf. Dann als er meiner ansichtigwurde:

»Ihr habt eine merkwürdige Art, Euch bemerkbar zumachen,« fuhr er fort, »was sucht Ihr hier?«

»Wenn ich es Euch sage, glaubt Ihr es doch nicht,«antwortete ich lachend. »Ich suche ein paar Hände, diemir dies Kanoe nach Confluencia zurückbringen. Es istmir durchgebrannt.«

Der Bursche warf einen suchenden Blick umher undals sein Auge auf dem Boote ruhen blieb, erwiderte er:

»Pest! Das habt Ihr wohl den Wilden gestohlen? DasDing hat verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Kriegska-noe der Karapahy.«

»Ist es auch. Aber gestohlen ist ein Wort, das manunter Freunden nicht gebraucht, compañero!«

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»Hahaha!« lachte er und klopfte mir auf die Achsel.»Ich wollte sagen gekauft natürlich, obwohl das keinBraunfell glauben wird.«

»Was gehen mich die Braunfelle an? Mein Begleiterist selbst ein Roter. Der kann es bezeugen, daß ich esehrlich erwarb. Ich habe das Ding bis Concepcion hin-unter gesucht und fand es hier. Also, wie ist’s, compañe-ro? Bringt Ihr mir das Boot hinauf nach Concepcion?«

»Hm, allein kann ich es nicht . . . «»Wenn wir es dem Dampfer ins Schlepp hängen,

geht es dann?«»Pest, Mann, das geht! Aber wer ist die zweite Hand?

Wir brauchen zum Steuern zwei Mann . . . und einenvorn bei der Schlepptrosse!«

»Sagte ich nicht, daß ich einen Begleiter habe? Wirbeiden, Ihr und ich, wir steuern. Mein Yago steht ander Trosse.«

»Und was laßt Ihr es Euch kosten?«»Einen guten Tagesverdienst. Abends sind wir an Ort

und Stelle . . . sagen wir fünf Pesos, da Ihr ja auch zu-rück müßt!«

»Es gilt!« sagte er nach kurzem Besinnen. »FünfPesos und freie Rückfahrt bis Asuncion. Hier meineHand!«

»Schlau bist du schon!« rief ich anscheinend erzürnt.»Davon habe ich kein Wort gesagt! Ihr Yerbateros han-delt doch sonst nicht um den Taglohn.«

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»Man versucht es, Fremder. Und mit dem Yerbate-ro ist’s jetzt aus. In den nächsten Monaten geht Renzonicht mehr in den Chaco.«

»Lorenzo heißt Ihr? Nennt mich Fernando und meinFreund – weiß der Böse, wo er stecken mag – nenntsich Yago. – Aber jetzt begießen wir den Vertrag noch.Seid Ihr drüben beim Wirt?«

»Ja, aber die Kameraden liegen wohl alle schon imStroh. War ein heißer Tag heut!«

»Na, dann trinken wir allein. Nachher bringe ichdie Geschichte mit dem Kapitän ins Reine wegen desSchlepps!«

In der Wirtschaft fanden wir nur noch ein paarSchiffsangestellte, die ich der Sitte gemäß mit zumTrinken einlud. Die armen Teufel löffelten so trübse-lig mit dem Saugröhrchen in ihrem Maté herum, daßich ihnen auch einen Schnaps bezahlt hätte, wenn ichsie nicht für meine Zwecke hätte dienstbar machenwollen. – Auch Zigarren bot ich allen. Dann brachtemein neuer Freund das Gespräch auf die beabsichtigteSchleppfahrt.

»Wird eine harte Arbeit werden, Fremder,« sagte ei-ner der Matrosen. »Die Schlepptrosse muß recht langsein und gut müßt Ihr aufpassen, sonst treibt Ihr ab.Besonders oben an der Einmündung vom Rio Galbanist’s gefährlich. Da setzt unser Strom hart in die Mün-dung des andern. Wenn da nicht sehr scharf aufgepaßt

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wird, werdet Ihr unter Wasser gedrückt. Und daß esYacarés im Flusse gibt, wißt Ihr?«

»Hoffentlich haben sie meinen Freund nicht gefres-sen! Oder gibt es hier keine Krokodile?«

»Gerade genug! Wo ist denn Euer Freund?«»Er wollte noch ein Bad nehmen . . . ich sehe doch

lieber nach! Herr Wirt! Noch eine Runde!«Am Flusse traf ich den Indianer.»Alles geht gut. Ich besorge dir die Kleider eines Yer-

batero. Darin kennt man dich nicht. Nachher gehst dumit mir zum Wirt.«

Ich setzte dem armen Wako genau auseinander, wasich von ihm erwartete und machte ihn mit seinem neu-en Namen bekannt. Dann schloß ich mit den Worten:

»Und wenn wir am Galban ankommen, durchschnei-dest du das Schlepptau und wir steuern ans Ufer. Dumußt aber dafür sorgen, daß deine Leute weder denYerbatero noch mich feindselig behandeln, versprichstdu mir das?«

»Trinke mein Blut, dann bist du mein Bruder!«Er stach sich in den Arm und hielt mir die kleine

Wunde vor den Mund. Ich folgte seinem Beispiel, nach-dem ich einen Tropfen seines Blutes getrunken hatte. –Damit war ich sichergestellt.

Ich kam atemlos und laut lachend in die Wirtschaftzurückgelaufen:

»Denkt Euch, Kameraden, was meinem Freund zu-stieß! Während er badete, hat ihm der Yacaré seine

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gesamten Kleider gestohlen. Jetzt sitzt er unten undgetraut sich nicht herauf. – Habt Ihr Kleider zu verkau-fen, Wirt?«

»Ich habe eine Yerbaterogarnitur. Die kriegt er billig– fragt ihn, ob ihm acht Pesos zu viel sind?« rief derTeesucher.

»Zeigt sie her, compañero. Euch gebe ich gern dengeforderten Preis.«

Lorenzo wickelte sein Bündel auseinander und legteeinen Anzug auf den Tisch, der zwar nicht mehr neu,aber für unsere Zwecke äußerst praktisch schien. Icherstand ihn sofort. Nun mußte ich noch einen Hut ha-ben. Als ich dies äußerte, sagte der Wirt, der an denTisch getreten war:

»Das mit dem Yacaré glaube ich nicht, wird wohl soeine verdammte Rothaut gewesen sein, der die Kleiderstahl. Ein Krokodil frißt kein Zeug und einen Hut nungar nicht.«

»Mag sein, amigo, aber damit bekomme ich keinenHut. Habt Ihr keinen? Ich zahle ihn, wie Ihr seht, gut.«

»Hm, hätte schon einen. So einen richtigen großen,wie er für den Strom paßt. Kostet aber ein Stück Geld. . . «

»Na, Mann, so schießt doch los. Wenn der Preis soist, wie die Vorrede, dann wirds wohl nichts werden.«

»Dann nehmt meinen!« rief ein Matrose dazwischen,indem er seinen breitrandigen Strohhut auf den Tischwarf. »Was ist er Euch wert?«

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Nun sah der Wirt, daß ihm ein Gewinn durch dieFinger zu gehen drohte. Er rief hastig:

»Halt! Wir sind noch nicht fertig! Zwei Pesos für denHut da, ist das zu viel?«

»Na, zu wenig ist’s auch nicht,« rief ich. »Aber weil esNacht ist und wir mit Sonnenaufgang fort müssen, seies drum. Hier nehmt! Und Ihr, Lorenzo, legt Euch jetztnieder. In drei Stunden wecke ich Euch. Dann gehts andie Arbeit.«

»Hätte mir gern den Peso verdient, Fremder,« sagtemurrend der Matrose. »Hab Geld nötig.«

»Bueno, dann helft uns das Kanoe hinter den Damp-fer zu bringen. Einen Peso ist mir die Hilfe wert.«

»Caramba, wenn ich das gewußt hätte!« rief der an-dere.

»Auch Ihr könnt noch einen Peso verdienen, wennIhr dafür sorgt, daß die Schleppleine immer frei läuft.Jetzt aber hasta la vista! Mein Kamerad füttert schonlange genug die Moskitos.«

Der Indianer wußte seiner Dankbarkeit nicht genugAusdruck zu geben, als ich ihm die Kleider brachte.Besonders der große Hut war ihm sehr willkommen.Er verdeckte das Stammeszeichen und kennzeichneteden Träger als Hafenarbeiter.

»So jetzt gehen wir zum Schiff!« rief ich ihm zu. »Zei-ge keine Furcht. Du bist mein Freund und ich sorge fürdeine glückliche Heimkehr mitsamt deinem Boot.«

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Auf dem Dampfer herrschte reges Leben. Das Schiffhatte noch mit der Ladung zu tun und der Kapitän warnoch wach. Da ich ihm während der Reise ein paarWhisky bezahlt hatte, durfte ich Anspruch auf seineDankbarkeit erheben.

»Buena tarde, capitano!« redete ich ihn an. »Ich ha-be hier meine Leute gefunden, die mit einem Doppel-kanoe von der Grenze heruntergekommen sind. Ichmöchte das Boot ins Schlepp nehmen lassen.«

»Hm – hat es viel Ladung?«»Gar keine, nur drei Mann Besatzung.«»Wäre besser, Ihr nähmet Ballast.«»Haben wir schon genommen,« antwortete ich scher-

zend, indem ich auf meinen Bauch deutete.»Das glaube ich Euch, Don Fernando, aufs Wort,

wenn es mich auch schmerzlich berührt, daß Ihr michdabei vergessen habt.«

»Keine Verleumdung, capitano. Sobald das Boot hin-ten fest ist, beweise ich Euch das Gegenteil.«

Nach ein paar weiteren Scherzreden gab der Kapitänden Befehl, die Schleppleinen hinten fertig zu machenund als ich sah, daß Alles soweit bereit war, ließ ich dasDoppelkanoe bis an den Dampfer heranbringen. Wakooder Yago, wie er hier genannt wurde, übernahm dasbei der starken Strömung nicht ungefährliche Wage-stück, das Fahrzeug mit der ihm von Bord zugewor-fenen Leine zu befestigen. Wir hielten vom Ufer ausden Kahn an einem langen Tau, um dessen Abtreiben

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zu verhindern. – Der Indianer, fremd mit allem, wasmit der Dampfschiffahrt zusammenhing, gab sich red-liche Mühe, die ihm von Deck aus zugeworfene Trossean den Zwischenbalken seines Kanoes festzumachen.Aber immer, wenn er das Tau ergriffen hatte, und sichbückte, um es unter dem Balken durchzuziehen, ent-glitt es seinen Händen und die Arbeit mußte von vornbeginnen. Beim vierten vergeblichen Versuche verlorder Steuermann die Geduld. Er begann zu fluchen undzwar in so ausgiebigem Maße, wie nur ein Spanier,noch dazu wenn er Flußschiffer ist, fluchen kann. Da-durch wurde der Kapitän aufmerksam, der nun nachhinten kam. Beim Anblick des seltsamen Fahrzeugesrief er in höchstem Erstaunen:

»Caramba, Don Fernando, wo habt Ihr denn die Trö-ge ausgegraben? Damit seid Ihr doch nicht den Flußhinabgekommen?«

»Diesmal nicht, sonst aber schon oft,« log ich. »DasDoppelkanoe ist mir lieber als ein Leichter. Kostet aberauch viel Geld. Der alte Indianerkönig wollte es erstgar nicht hergeben . . . «

»Bis Ihr ihm ein wenig derbe auf den Schädel klopf-tet, nicht wahr, alter Freund?« lachte er. »Also india-nische Arbeit? Dann wird sie gut sein. Aber die Din-ger sind zu leicht. Legt ein paar schwere Steine in je-des, sonst erleben wir etwas, wenn uns ein Dampferstromab begegnet. – Halloh, Matrosen, helft hier dasBoot festmachen!«

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Die uns bekannten Matrosen standen schon auf demSprung, um das verheißene Trinkgeld zu verdienen.Nach kurzen Bemühungen war das Fahrzeug derarthinter dem Dampfer befestigt, daß es von der Strö-mung weder losgerissen, noch unter Wasser gedrücktwerden konnte.

»Jetzt laßt es ans Ufer treiben und nehmt Ballast!«rief der Kapitän, der bis dahin die Arbeit überwachthatte.

»Kommt Ihr an Bord, Don Fernando?«»Bin in zehn Minuten bei Euch, Kapitän. Der Ste-

ward soll eine Flasche ins Eis stellen. Nachher schlafenwir noch zwei Stunden.«

Die Matrosen halfen uns beim Einladen der Steine.Dann ließ ich noch zwei lange Ruder als Steuer anbrin-gen und schärfte Yago ein, sich unter keiner Bedingungmit irgend jemand einzulassen. Der Sicherheit halberließ er das Boot vom Ufer abtreiben und legte sich derLänge nach auf die harte Ladung. Die Haltetaue befe-stigte ich am Ufer unter Wasser. Dann ging ich an Bord.Eine halbe Stunde später schlief ich in meiner Koje.

Mit der Dämmerung war ich wieder auf den Beinen.Mein erster Blick war nach dem Kanoe. Es schaukel-te langsam in der Strömung. Yago saß aufrecht, dasGesicht von Schiff und Ufer abgewendet und kaute aneinem Stengel Zuckerrohr. Nach kurzem Gruß eilte ichins Wirtshaus. Lorenzo saß schon hinter einem Topf

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Schokolade, von der ich auch eine Tasse trank. Hieraufkaufte ich Lebensmittel und Zigarren für uns drei.

»Du kannst doch steuern, Lorenzo?« fragte ich jetzterst.

»Keine Ahnung. War nie auf einem Boot!«Der Wirt verzog das Gesicht und sah mich spöttisch

an.»Nun, dann lernst du es heute!« erwiderte ich. Um

keinen Preis wollte ich dem Wirt den Triumph gönnen.Dieser rief mir noch nach, als wir aufbrachen:

»Schwimmen kann er auch nicht!«»Lernt er alles noch, compañero!«Lorenzo blieb bei dieser Aeußerung stehen und frag-

te:»Ist das Steuern so schwer? Muß man dabei schwim-

men?«»Unsinn, Mann. Laßt den alten Sünder schwätzen.

Er ärgert sich, daß er uns den Anzug nicht verkaufte.«Am Ufer war es schon recht lebendig. Eine Men-

ge Gaffer sahen dem Einladen der Waren zu. Auchunser Doppelkanoe erregte die Aufmerksamkeit, wasmir sehr unangenehm war, denn eben erschien aufdem Anlegeplatz eine Soldatenpatrouille, die sich fürdie umherstehenden Indianer oder deren Abkömmlin-ge sehr zu interessieren schien. Ich eilte zu der ver-senkten Leine und zog die Boote zu mir heran.

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»Springt, Lorenzo! Setzt Euch hinten ins Boot . . . Soist es recht!« Dann sprang ich in das dem Lande näch-ste Kanoe und zog die Leine ein. Sofort nahm uns dieStrömung mit und wir trieben vor dem straffen Seilweit drinnen im Strome.

Nachdem ich Yago noch einige Verhaltungsmaßre-geln gegeben hatte, erhob ich mich, um die Verbin-dungsstangen auf ihre Festigkeit hin zu untersuchen.Den Hut legte ich dabei ab und streifte auch die Aer-mel so hoch es ging. Neugierigen sollte kein Zweifelüber meine Rasse bleiben. Wie gut das war, zeigte sichsofort, vom Ufer aus rief mich ein Soldat an.

»Halloh, Fremder, habt Ihr Farbige bei Euch?«»Jawohl, einen Brasilianer, der bei mir im Dienste

ist.«»Ihr seid Europäer, nicht wahr?«»Deutscher!«»Bueno, bueno, feliz viaje.«Als er gegangen war, atmete Lorenzo auf und sagte:»Das habt Ihr fein gemacht. Wenn Ihr Euch nicht als

Alemano ausgegeben hättet, wären die Beiden näherherangekommen und ich . . . «

». . . hätte vielleicht in ihrer Gesellschaft stromabfahren müssen,« ergänzte ich lachend. »Das wolltet Ihrdoch sagen?«

»So etwas ähnliches!« gab er schmunzelnd zu.Aber noch einen andern, weniger wünschenswerten

Besuch brachte mir meine weiße Haut ein. Am Ufer

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ging das Wort Alemano natürlich von Mund zu Mund.Mancher wunderte sich im Stillen, wie der Fremdlingauf ein Kriegskanoe der Wilden kam. Es gab genugLeute, die das Fahrzeug als solches erkannten.

Im Augenblick, wo der Dampfer das Zeichen zur Ab-fahrt gab und wir unsere ganze Aufmerksamkeit aufunser Boot richten mußten, hörte ich am Ufer meinenNamen rufen. Da gerade die Schaufelräder ihre Um-drehungen begannen, konnte ich mich nicht darumkümmern. Ich bemerkte allerdings mit einem flüchti-gen Blick, daß jemand in weißer Hose und Jacke wink-te, achtete aber nicht darauf. Erst als die Maschine eineMinute stoppte, sah ich mich um. In demselben Mo-ment erhob sich ein vielstimmiges Geschrei am Lande.Lorenzo stand von seinem Sitze auf und rief:

»Caramba, da kommt einer herangeschwommen.«»Setzt Euch, Lorenzo. Aufstehen dürft Ihr nicht, das

ist gefährlich!«»Da ist er! Hier, neben Euch! Helft ihm doch!« schrie

der Yerbatero aufgeregt.Eine Hand legte sich auf den Rand des Kanoes. Ein

Kopf, das Haar wie ein dichter Schleier vor dem Ge-sicht, tauchte empor.

»Vorsicht, Mann!« schrie ich. »Das Kanoe sinktsonst!«

»Keine Angst, Don Fernando! Bin schon da!«

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Bei der Stimme überlief es mich kalt. Ich hob schonden Arm, um den Eindringling zurückzustoßen. Da zogsich die Trosse wieder fester. Der Dampfer war in Fahrt.

»Cirino!« sagte ich, den Menschen finster anblickend.»Wagst du es noch, mir unter die Augen zu treten?«

»Was habe ich getan, Herr? Ich verteidigte mich!Doch, was sehe ich? Sie haben ja einen Stammesbru-der von mir da vorn.«

»Verrate wenigstens den nicht auch noch, Cirino!«sagte ich. »Der Peon nebenan weiß nur soviel, daß derMann mein Freund ist. Aber sei ruhig. Du siehst, daßdein Bruder dich nicht kennen will, tue du dasselbe.«

Der Zuwachs war mir, wenn es nicht gerade Cirinogewesen wäre, gar nicht so unangenehm. Die Schlepp-fahrt mit den plumpen Fahrzeugen war gar nicht soeinfach, und wenn die beiden Einbäume nicht so festmiteinander verbunden gewesen wären, so hätte esschon bei der Abfahrt ein Unglück gegeben. Jedes derBoote zeigte die Neigung, sich an der Trosse wie einWirbel zu drehen und nur dank des Ballastes gelanges, die Kanoes im Kurs zu halten. Aber es blieb einetolle Fahrt.

Große Aufmerksamkeit erforderte das Steuern. Esgehörte die ganze Manneskraft dazu, um das Doppel-boot gegen den vereinten Druck der Strömung und dervon den Schaufelrädern uns entgegengeworfenen Was-sermassen zu halten. Lorenzo erwies sich bald als unfä-hig dazu. Daher beorderte ich Cirino an dessen Stelle.

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Beim Wechsel der Plätze von einem Kanoe in das an-dere, mußte Cirino den Sprung wagen. Er kam auchglücklich drüben an, aber Lorenzo machte eine unge-schickte Bewegung, wodurch die Ballaststeine aus ih-rer Lage gerieten. Das Kanoe legte sich schwer auf dieSeite und wurde so durch das Wasser gezogen. Soforterkannte ich die Gefahr. Ich schrie:

»Yago, hierher! Hilf Lorenzo, die Steine wieder insGleichgewicht bringen. Cirino, um Gotteswillen, dasSteuer nicht loslassen!«

Durch das niederziehende Gewicht des Kanoe droh-te natürlich mein Einbaum ebenfalls zu kentern. Ichwarf mich mit aller Kraft gegen die höhere Seite. DieBallaststeine, die ich mit dem Fuße erreichen konnte,drängte ich ebenfalls dorthin, ohne eine wesentlicheGewichtsverschiebung damit zu erreichen. Ich sah denAugenblick voraus, wo wir sinken würden. Und dann. . . ? In dem reißenden Strome waren wir rettungslosverloren.

Vom Dampfer aus hatte man unsere kritische Lagegesehen. Ich bemerkte, wie die Menschen am Heck zu-sammenliefen. Aber die Maschine stoppte nicht. Es wä-re uns auch damit nicht geholfen gewesen, da ja dasWasser uns zurückgetrieben hätte.

Plötzlich stieg ein Mann drüben auf die Reling. Ertrug einen breiten Gürtel, an dem eine Lederschlin-ge hing. Diese schlang er um die Schlepptrosse undließ sich an ihr hinabgleiten. In einer Sekunde stand er

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vorn auf dem Verbindungsbalken. Ein weiterer Sprungbrachte ihn auf das Gestänge zwischen den Bootenund nun begann er den drei Insassen sachgemäße An-leitung zur Wiederaufrichtung des Kanoes zu geben.Nach zehn Minuten harter Arbeit konnte mit dem Aus-schöpfen begonnen werden. Als auch das geschehenund das Fahrzeug wieder getrimmt war, schwang ersich in meinen Einbaum.

»Ihr wart dicht am Ersaufen, Fremder. Habe ich mei-ne Sache gut gemacht?«

Jetzt erkannte ich in dem Retter jenen Matrosen,dem ich einen Peso dafür versprochen hatte, daß er fürdas Freilaufen der Schlepptrosse sorge. Ich warf ihmeinen dankbaren Blick zu und rief:

»Den versprochenen Peso habt Ihr Euch reichlichverdient. Haltet den Riemen ein wenig, damit ich Euchdas Geld geben kann.«

»Wartet noch ein paar Stunden damit, Fremder. Ichkann jetzt nicht an Bord zurück und Ihr werdet nochöfter Gelegenheit haben, mich zu Hilfe zu rufen. Dasgeht dann in einer Summe ab.«

»Recht so, amigo! Ihr wißt, daß Ihr auf mich zäh-len könnt. Ihr werdet keine falsche Rechnung gemachthaben!«

Die Sonne näherte sich dem Zenith. Ihre glühendenStrahlen brannten wie Feuersglut auf unsere Körper.Auf dem rasch fließenden Wasser riefen sie funkelnde

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Reflexe hervor und die stäubenden Spritzer der Schau-felräder streuten einen Regen von Diamanten über dieWasserfläche. Die harte Arbeit am Steuerruder hattemeine physischen Kräfte zu sehr in Anspruch genom-men. Die durchwachte Nacht machte sich fühlbar undmehr als einmal griff der Matrose hastig nach dem mei-nen Händen entgleitenden Ruder.

»Fremder, reicht mir den Steuerriemen,« sagte erendlich, als mir der Kopf wieder auf die Brust sank.»Schlaft ein halbes Stündchen. Bis Santa Rosalia ma-che ich es allein.«

»Legen wir in Santa Rosalia an? Es hieß doch, wirführen direkt nach Confluencia.«

»Bei der Abfahrt kam ein Telegramm. Wegen derRothäute sollen wir dort Soldaten an Bord nehmen.«

»Dann bleiben wir eine Weile dort liegen? Bei Nachtkann doch der Dampfer nicht nach Confluencia weiter-gehen.«

»In einer halben Stunde muß alles erledigt sein. Un-ser Kapitän ist nicht gut auf die Blauen zu sprechen.Da sorgt er, daß er sie bald wieder los wird.«

»Sind denn wieder Indianer am Werk? Es hieß doch,hier sei alles ruhig.«

»Quien sabe! Ihr habt ja selbst gehört, was die Yerba-teros gestern abend erzählten!«

»Was sagst du über die Yerbateros, Kamerad?« riefLorenzo, der die letzten Worte gehört hatte, herüber.

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»Nichts über dich. Wir sprachen von den Indios. Daßuns Soldaten an Bord geschickt werden, erzählte ich.«

»Soldaten, wo? In Confluencia?« Auch Cirino beug-te sich vor, um besser zu hören. Ueber Yagos Gesichthuschte ein Blitz des Hasses.

»In Santa Rosalia, also in einer Stunde, kommen dieBlauen an Bord!« rief der Matrose lachend. »Mann,Mann, das scheint dir nicht sehr angenehm zu sein.Du ziehst ja ein Gesicht . . . hast du Zahnschmerzen?«

»Ich glaube, ja. Aber du sorgst doch dafür, daß unsdie Soldaten hier in Ruhe lassen. Ich habe nämlicheinen Abscheu gegen gelbe Knöpfe. Eine Krankheit,weißt du!«

»Verstehe compañero. Und du,« wandte er sich anCirino, scheinst auch gerade keinen großen Wert dar-auf zu legen, daß man dich hier besucht. Oder irre ichmich, muchacho?«

Ich griff in die Unterhaltung ein, um meinen Yagonicht vor die Veantwortung unbequemer Fragen ge-stellt zu sehen. Von meinen drei Begleitern war er der-jenige, der unter jeder Bedingung meinen Schutz ge-nießen sollte. Ich sagte daher dem Matrosen:

»Wenn sich der Offizier der Blauen für meine Jun-gens interessieren sollte, dann sage ihm oder dem Ka-pitän, daß ich ein Alemano bin, der mit seinen Peonenüber die Grenze geht. Das Kanoe gehört mir. Wenn eres für nötig hält, setze ich auch die deutsche Flagge.

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Ich habe sie in meinem Gepäck auf Deck des Damp-fers.«

Der Schiffer sah mich verschmitzt an und lachte. In-dem er mir vertraulich auf die Schulter klopfte, sagteer:

»Caramba, amigo, Ihr habt Phantasie. Wenn derLeutnant auf die Pille beißt, habt Ihr Glück. Aber wasgeht es mich an? Ihr seid mein Freund und wenn meinKapitän nicht anders beschließt, bleibe ich bei Euch.Es wird dem Offizier auch nicht leicht sein, Euch inEuerm Kanoe zu besuchen . . . Aber seht Euch jetztvor! Da kommt ein Dampfer abwärts. Steuert nur rechtvorsichtig und haltet die Augen offen, damit wir nichtin sein Kielwasser geraten! . . . Achtung, Cirino! Ruderhart rechts! Noch mehr! . . . Caramba! Der hat es aufuns abgesehen. Der Hund will auf uns . . . Vorsicht!«

Der mit dem Strome abwärts kommende Dampferverließ die linke Seite und steuerte offenbar auf uns zu.Wenn er den Kurs noch ein paar Minuten beibehielt,mußte er uns gefährlich werden. Ohne mich lange zubesinnen, raffte ich meine Büchse auf, warf die Jackeab, damit man meine weiße Haut sah, und stellte michmit der Büchse an der Wange ins Boot.

»Abdrehen – sofort!« brüllten drei Kehlen über dasWasser. Wir sahen schon die drei Männer auf demKommandonest und immer noch rührten sie keineHand, um die Richtung ihres Bootes zu ändern. Daließ ich mich aufs Knie nieder und zielte. Mit dem

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Knall klirrte drüben der Glasschutz neben dem Standdes Kapitäns. Zwei Männer warfen sich zu Boden. EinGlockensignal tönte uns in die Ohren. Noch ein paarUmdrehungen und die Maschine hatte gestoppt. DerBug flog herum und mit Windeseile trieb das Dampf-boot, an dessen Deck kein Mensch mehr zu sehen war,an uns vorüber. – Es war auch die höchste Zeit, denneine Minute später wären wir überrannt worden.

Auf unserm Dampfer war der Zwischenfall bemerktworden. Am Heck stand der Kapitän mit seinen Steu-erleuten. Als sie uns außer Gefahr sahen, schwenktensie die Hüte und riefen uns etwas zu. – Plötzlich schrieman aufgeregt und alles lief davon. Ich blickte zurückund sah wie auf dem davontreibenden Boot ein weißesWölkchen aufstieg. Hundert Meter hinter uns spritztedas Wasser auf.

»Caramba, Don Fernando!« riefen jetzt, wo die Ge-fahr vorüber war, mein Begleiter. »Das war ein Ent-schluß zur rechten Zeit. Der Argentinier hatte wirklichdie Absicht, über uns weg zu fahren. Er hielt uns fürIndianer. Dem ist aber die Angst in die Knochen gefah-ren.«

»So, ein Argentinier war das? Dann wird er in Asun-cion Anzeige machen . . . Mir auch recht. Ich bin immerzu finden, wenn auch nicht gerade leicht.«

Vom Dampfer herüber hörten wir ein anhaltendesGlockenzeichen. Die hügligen Ufer waren zurückge-treten und aus einem flachen Landstreifen grüßten

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uns Lehmbauten, vor denen sich braune Rinder mitschwarzen Schweinen im Staube balgten. Dann tauch-ten weißgetünchte lange Steinbauten auf. Vor einemviereckigen, zweistöckigen Gebäude stand ein hoherMast, an dem die Landesflagge schläfrig herabhing.Dort bemerkten wir eine größere Menschenansamm-lung. Das ganze Dorf bestaunte die hier selten gesehe-ne Militärmacht, die, wie ich später sah, aus ein paarLeutnants und zwanzig Soldaten, lauter Farbige, be-stand. – Unser Dampfer lief ein paar hundert Meter andem Hoheitszeichen vorbei und ließ dann die Maschi-ne so langsam arbeiten, daß die Räder den Druck derStrömung aufhoben und wir kaum merklich zurücklie-fen, während dieser Zeit wurden vom Deck her Ver-handlungen mit den Soldaten gepflogen.

Unser Doppelkanoe erregte hier, so nahe der Grenze,unter den Bewohnern größeres Aufsehen, als mir liebwar. Die von allen Seiten herbeiströmenden Einwoh-ner mußten die Aufmerksamkeit der Offiziere wach-rufen. Richtig kam auch ein Leutnant und erkundigtesich nach dem Woher und Wohin. Ich strengte meineStimme nicht sonderlich an, als ich ihm zurief:

»Ich bin Deutscher. Reise mit Regierungspaß. Dassind meine Leute!«

Der Mann verzog das Gesicht, wechselte ein paarWorte mit einem hinzugetretenen Kameraden und riefzurück:

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»Das kann jeder sagen. Vorerst bleibt Ihr zu meinerVerfügung.«

Ich erhob mich ruhig, nahm meine Büchse in dieHand und antwortete mit lauter Stimme:

»Soll das heißen, daß Ihr mich für einen Lügner hal-tet? Sagt das noch einmal, Leutnant! Ihr seht dann, wieein Deutscher eine Beleidigung rächt!«

Ein verlegenes Lächeln umzog das gelbe Gesicht undwährend ihn sein Begleiter am Aermel zurückzog, er-widerte er:

»Das soll kein Zweifel in Euere Worte bedeuten,Señor. Ich tue nur meine Pflicht, wenn ich Einblick inEuere Papiere verlange. Das müßt Ihr selbst zugeben.«

»Tue ich auch. Bemüht Euch hierher, denn wie Ihrseht, können wir nicht zu Euch kommen, selbst wennich das wollte – was noch nicht sicher ist.«

»Wie soll ich zu Euch kommen? Ich habe kein Boot.«»Dann laßt Euch vom Kapitän sagen, wie man am

schnellsten zu uns gelangt. Wie ich sehe, geht geradedie Lancha ab, die Euere Soldaten an Bord bringt.«

»Wohin reist Ihr?« fragte er unvermittelt.»Wenn uns kein Unglück zustößt, denke ich heute

abend mit dem Boot in Confluencia zu sein.«»Dann sehen wir uns dort. Hasta la vista!«»Wills hoffen, Leutnant. Hasta luego!«Mit Genugtuung hatten meine Begleiter, besonders

der Matrose, meine Unterredung mit dem Offizier auf-genommen. Ersterer konnte seine Bewunderung nur

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in die überschwenglichsten Ausdrücke kleiden, die indem Ausrufe: »Wenn Ihr wirklich ein Alemano seid,dann muß Eure Nation die mächtigste der Erde sein,denn so wagt kein anderer Mann mit unseren Offizie-ren zu reden« ihren Gipfelpunkt erreichten.

Mitten in die Lobrede klang ein Mißton. Man riefden Matrosen an Bord zurück. Bevor ich ihn entließ,gab ich ihm zehn Papierpesos und hielt ihm folgendekleine Rede:

»Sollte uns unterwegs etwas zustoßen, dann nimmmeine beiden Gepäcksäcke, die du ja kennst, und brin-ge sie in Confluencia zu Señor Olbrich. Er soll sie fürmich aufheben. Wenn du morgen noch da bist, erhältstdu weitere zehn Pesos. Verstanden?«

»Vollkommen, Don Fernando. Also wenn Ihr zwi-schen hier und Confluencia verunglückt, seid Ihr mor-gen bei Don Emilio. Ich kenne ihn gut.«

»Morgen oder übermorgen.«»Bueno, bueno, ich werde Euch erwarten.«Nun wußten wir plötzlich, wie man aus unserm

Fahrzeug ans Ufer gelangte. Ein paar Rufe hüben unddrüben. Dann flog die Leine übers Wasser und zehnHände zogen das Kanoe so weit gegen das Land, daßder Matrose herausspringen konnte. Die wenigen Mi-nuten, die uns noch bis zur Wiederaufnahme der Fahrtblieben, benutzte ich zu einem Zwiegespräch mit Yago,dem ich mein starkes Buschmesser in die Hand drück-te.

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Als ich meinen Sitz am Steuer wieder eingenommenhatte, bestürmten mich Cirino und Lorenzo mit Fragenüber meine Absichten, wenn wir heute abend den Fußin Confluencia an Land setzten.

»Könnt Ihr uns vor dem neugierigen Leutnant schüt-zen?« wollte Lorenzo wissen.

»Werdet Ihr mich ausliefern?« fragte Cirino.»Zerbrecht Euch nicht den Kopf über Dinge, die in

der Zukunft liegen, muchachos,« erwiderte ich. »Werweiß, ob wir heute noch in die Stadt kommen . . . «

Cirino pfiff verständnisvoll durch die Zähne undsprang ans Steuer, da ein Pfiff das Arbeiten der Ma-schine anzeigte. Lorenzo, weniger rasch von Begriffen,wollte noch etwas fragen, aber seine Worte verlorensich im Rauschen des Wassers.

Der Rio Paraguay nahm an seiner linken Seite einenFluß auf. Dadurch erweiterte sich sein Bett zu einemgroßen Teich, der zu beiden Seiten von Hügeln ein-gefaßt war. Die etwa hundertfünfzig Meter hohen Er-hebungen der Chapada Alta lagen lichtumflossen ge-gen den östlichen Horizont ausgebreitet. Eine friedli-che Stille ruhte auf dem Wasser. Eine Abendstimmung,wie man sie selten findet. Während ich unwillkürlichin den Bannkreis dieser wirkungsvollen Szenerie ver-fiel, beachtete ich nicht, daß aus dem Schilf am lin-ken Ufer ein Kanoe hervorschoß. Es war nur mit ei-nem Mann besetzt, der sein gebrechliches Fahrzeug so

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schnell durch das Wasser jagte, daß es beim Radka-sten des Dampfers unsern Kurs erreichte. Durch dasGeschrei der Schiffsleute wurde ich aufmerksam. Manlief ans Heck, um zu sehen, ob der Einbaum verun-glückt sei. Auch ich beugte mich vor und rief Yago zu,aufzupassen. Vielleicht gelang es uns den Mann zu ret-ten.

Da tauchte das Kanoe aus dem Gischt auf. Es warhalb voll Wasser. Der Mann unversehrt. Mit ein paarRuderschlägen trieb der Indianer sein Fahrzeug dichtan unsere Seite. Ein paar hastig gewechselte Worte,dann nahm es die Strömung mit sich. Sekundenlangsah ich das Gesicht des Wilden. Er trug das Zeichender Pidma – und nun verstand ich alles. Yago warf mireinen frohen Blick zu, dann versteinerten sich seine Zü-ge und er nahm seinen Sitz auf dem vorderen Verbin-dungsbalken wieder auf.

Der Wasserspiegel belebte sich. Scharen von Vögelnsuchte an den Flußrändern ihre Nahrung. Hin und wie-der strich ein Flug wilder Gänse über das Wasser. DerWald trat in den Vordergrund und in das Schlagen derSchaufelräder mischte sich bereits der Schrei beutesu-chender Raubtiere.

Die Dunkelheit nahm zu. Auf dem Dampfer wurdendie Lampen angezündet. Ihr roter Schein brach sich inden kleinen Wellen des raschfließenden Stromes. Voneiner menschlichen Ansiedelung war nichts zu sehen.Eine Laterne wurde am Stern des Dampfers befestigt.

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»Gebt acht beim Steuern. Der Fluß macht eine Bie-gung. Haltet Euch um Gotteswillen frei vom Lande.«

Die Stimme klang in dem nächtlichen Dunkel hohlund schaurig. Auch das Echo des puffenden Ge-räusches der Räder nahm einen hohlen Klang an, dersich verstärkt, je mehr wir uns den dicht bewaldetenUfern näherten.

Wieder rief man uns vom Dampfer aus an:»Achtung! Von links kommt ein Fluß. Steuert hart

rechts.«Nach wenigen Minuten wurde es licht zu unserer

Linken. Ein starker Druck ließ uns die Steuer fester fas-sen. Noch wenige Minuten und wieder nahm uns diefinstere Nacht gefangen.

Da zischte ein Ruf durch die Stille. Ein warnendescuidado! Ein Zittern durchlief unser Kanoe und gleich-zeitig machte ich die Wahrnehmung, daß wir raschvon der Strömung davoangetrieben wurden. Mit einemSatze war Yago neben mir.

»Könnt Ihr wenden, Herr? Wir müssen hier am lin-ken Ufer landen. Da ist der Galbanfluß!«

Bevor ich noch antworten konnte, brach sich derSchrei eines Nachtvogels im Walde. Yago beantworteteihn. Zehn Minuten später waren wir von zahlreichenEinbäumen umzingelt, die uns mit sanfter Gewalt ineine versteckte Bucht am Ufer brachten.

Beim Auftauchen der zum Teil mit dem Kriegs-schmuck behangenen Wilden, schrie mir Lorenzo zu:

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»Herr, wehrt Euch doch. Schießt in den Haufen,dann bekommen wir Luft und können fliehen.«

»Keine Dummheiten, Lorenzo! Wir sind unter Freun-den. Dir geschieht nichts, wenn du dich ruhig verhältst.Bleibe nur neben mir. Wir müssen jetzt ans Land, denndieses Doppelkanoe gehört dem Häuptling.«

»Aber Ihr habt es doch gemietet?«»Wie man’s nimmt, Lorenzo. Der Häuptling weiß

nichts davon!«»Hört, Don Fernando, das begreife ich nicht . . . «»Ist auch nicht nötig, Lorenzo. Wo ist Cirino?«»Cirino? Den habe ich nicht wieder gesehen, seit . . .

seit . . . «»Nun, das ist einerlei! Er wird schon wiederkommen.

Dies ist ja sein Stamm. Auch Yago gehört zu den Pidma.Wo mag er nur stecken. Die Indianer trauen sich nichtuns anzusprechen. Das ist kein gutes Zeichen . . . «

»Glaubt Ihr, daß sie uns überfallen wollen?«»Nein, Lorenzo. Yago hat mir Schutz zugesichert und

der Mann hält sein Wort. – Er wird dem Häuptling Be-richt erstatten.«

Mittlerweile hatten wir das Kriegskanoe verlassenund waren auf eine natürliche Moosbank zugeschrit-ten, auf der ein Indianer, anscheinend in tiefes Sinnenverfallen, saß. In dem schwachen Sternenlichte konn-ten wir nicht sehen, ob er noch Gefährten bei sich hatte

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und so machte ich Miene, mich neben ihm niederzulas-sen. – Als er das bemerkte, sprang er auf und sagte ingutem Spanisch:

»Wenn der weiße Mann Hunger und Durst hat, mögeer es sagen. Er wird auf den Steinen am Ufer Speiseund Trank finden.«

Die Worte waren in ernstem, doch nicht unfreundli-chem Tone gesprochen. Es war uns klar, daß wir hier zugehorchen hatten. Auf meine Frage nach Wako zuckteer nur die Achseln. Eine Zigarette lehnte er ab.

»Wenn das die Freundschaft der Wilden ist, Don Fer-nando, dann pfeife ich darauf!« sagte Lorenzo, nach-dem der Indianer in das nächtliche Dunkel unterge-taucht war. »Ich fürchte, wir werden überfallen undlangsam gemartert, wie sie das mit meinem Kamera-den im Chaco machten, vielleicht sind dies dieselbenWilden, wenigstens trugen sie auch solche Halsketten.«

»Glaubt mir, Lorenzo, wir haben keine Feindseligkei-ten zu fürchten, wenn man wirklich unfreundlich wer-den sollte, dann kenne ich ein Zauberwort, das unssofort von jedem Verdacht befreit. – Aber still, dortkommt jemand.«

Eine junge Indianerin brachte auf geflochtenen Bin-sentellern zwei gebratene Hühner, einen Krug undeinen großen Büschel Bananen. Während sie die gu-ten Dinge schweigend neben uns in den Sand stellte,sah sie mir fest und forschend ins Gesicht. Die nächsteSekunde entzog sie sich unsern Blicken.

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»So, Lorenzo, nun laßt es Euch schmecken!« sagteich, dem Begleiter ein Huhn reichend. »Hoffentlich istes nicht gar zu roh.«

Mit Heißhunger fielen wir über den Braten her, derwider Erwarten so gut zubereitet war, daß er auch auseiner Hotelküche stammen konnte. Eine Weile hörteman nichts als das Krachen der Knochen unter denRaubtierzähnen Lorenzos. – Dem Huhn folgten einDutzend Bananen und als er sich dann schmatzend denMund mit dem Aermel wischte, sagte er:

»Wenn Ihr zuerst tränket, Don Fernando! . . . Ichkomme um vor Durst!«

»So greift doch zu, Lorenzo. Ich mag auf Früchtenicht trinken!«

»Glaubt Ihr nicht, daß es vergiftet ist?«Ich konnte das Lachen nicht unterdrücken.»Ihr seid ein empfehlenswerter Kamerad, Lorenzo.

Weil Ihr fürchtet, der Trunk könnte vergiftet sein, sollich zuerst trinken.«

»So war es nicht gemeint, Don Fernando!« Er setzteden Krug an die Lippen und trank gierig und lange. Miteinem »Ah« der Befriedigung setzte er ab.

In diesem Moment erhob sich neben mir ein Schat-ten. Er wuchs förmlich aus dem Boden. Es war Wako.

»Der weiße Mann möge mir zum Häuptling folgen!«sagte er freundlich.

»Und darf Lorenzo mich nicht begleiten?« fragte ich.»Er wird nicht wissen, warum er hier warten soll.«

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»Du sagst es ihm. Aitoka, die Dienerin, wird nebenihm sein und seine Wünsche hören.«

Ich gab Lorenzo die erforderliche Aufklärung undschärfte ihm ganz besonders Vorsicht in der Behand-lung des Mädchens ein. Dann folgte ich dem voran-schreitenoen Freunde. Der Weg ging am Rande desFlusses durch den Wald. Es war unter den Bäumen sofinster, daß ich den vor mir lautlos dahinschreitendenIndianer oft aus den Augen verlor. In der Tiefe des Wal-des blitzte hin und wieder ein Feuerschein auf, der sichrasch wieder verlor.

»Pidma fangen Hühner,« sagte Wako erklärend, alsich ihn darauf aufmerksam machte.

»Wie machen sie denn das?« fragte ich neugierig.»Sie halten dem Vogel das Licht hin und ein anderer

greift und erwürgt ihn. Haben schon viele Vögel amLagerfeuer.«

»Das freut mich. Ich hoffe, daß du mir einen gebra-tenen Vogel schenkst, denn der Weg zur Stadt ist nochweit und ich habe großen Hunger.«

»Mein weißer Bruder wird nicht zur Stadt gehen. Ersoll Gast des Häuptlings sein, viele Sonnen lang.«

Diese Aussicht war nicht gerade verlockend. Ich hat-te auch so etwas befürchtet und benutzte daher die Ge-legenheit, um den neugewonnenen Bruder gleich mei-ne Ablehnung mitzuteilen. Wie er sie dem Häuptlingdann beibringen wollte, war seine Sache. Es ist näm-lich viel leichter, als Gast bei Indianern aufgenommen

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zu werden, als wieder von ihnen fortzukommen. Dashabe ich bei allen Stämmen beobachtet, mochten sienun in der Südsee, in Neuseeland oder in Südamerikawohnen. Die Häuptlinge scheinen durch die Verweige-rung der Abreise-Erlaubnis den Weißen zeigen zu wol-len, daß sie doch mächtiger sind, als die weiße Rasse.Manchmal spielt wohl auch die Magenfrage mit. Ichhabe es erlebt, daß ein Häuptling von seiner Lieblings-frau gebeten wurde, ihr doch einmal ein Stück Fleischvon einem weißen Manne zu besorgen. Das war in demFalle meine Person. Zum Glück erfuhr ich das früh ge-nug und konnte mich ohne Abschied in Sicherheit brin-gen. Sonst hätte der braune König ohne weiteres denWunsch seiner Gattin erfüllt.

Wako schien seine besonderen Befehle in Bezug aufmich und Lorenzo zu haben. Den einen ließ der Häupt-ling zu sich kommen, den andern mußte das Mäd-chen bewachen. Vielleicht ließ letzterer sich auch zu ei-ner Unbesonnenheit hinreißen und dann lag sicher einKrieger in der Nähe versteckt, der dem kühnen Yerba-tero einfach die Hirnschale einschlug. Solchen hinterli-stigen Absichten, wenn sie bestanden, konnte ich nichtfrüh genug vorbauen. Ich ließ das Gespräch über denGegenstand auch nicht ruhen, so sehr sich Wako auchbemühte, von anderen Dingen zu sprechen. MeinenHauptgrund für eine Abreise vor Tagesanbruch muß-ten die Soldaten abgeben. Sie schob ich vor. Ich sagtegelegentlich:

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»Du hast gehört, daß der Führer der Soldaten dasKanoe als das Eigentum deines Stammes erkannt hat.Wenn er mich nun in der Stadt nicht findet und dasKanoe auch fort ist, dann wird er sich aufmachen, michzu suchen . . . «

»Die Pidma fürchten sich nicht!«»Das weiß ich. Aber die Soldaten werden euer Lager

finden und der Krieg beginnt von neuem. Viele eue-rer tapferen Krieger werden sterben, ohne daß deinStamm Vorteil davon hat. Das alles wird vermieden,wenn mich der Führer mit dem neuen Tage in der Stadtfindet.«

»Das Kanoe wird dir der Häuptling nicht geben!«»Das soll er auch nicht! Ich sage dem Führer, es sei

untergegangen und Lorenzo wird das bestätigen. Duweißt auch, daß ich einen Freund unter den Schiffsleu-ten habe. Der erwartet mich ebenfalls mit dem neuenTage und der weiß auch, daß wir beim Galbanflusselandeten.«

»Ha! Das weiß er?«»Natürlich! Einer muß doch über das anhängende

Kanoe wachen. Der Kapitän des Dampfers stellte jenenMann dazu auf. Wenn er keinem Lärm schlug, als dudas Schlepptau durchschnittest, so glaubte er, ich wür-de ihm dafür gelbes Geld geben. Darauf wird er in derStadt warten.«

»Wo wird er warten?«

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»Bei einem meiner Freunde. Emilio Olbrich heißter!«

»Du kennst Emilio?« fragte Wako rasch. »Den großenAlemano kennst du?«

»Ja, er ist mein Freund. Kennst du ihn etwa auch?«»Er ist ein Freund unseres Stammes.«»Dann sorge nur dafür, daß mich der Häuptling nicht

zu lange aufhält. Ehe die Sonne aufgeht, muß ich inder Stadt sein.«

Meine Worte mußten dem Indianer schwer auf derSeele lasten. Er blieb stehen und hielt lange meineHand gefaßt. Aus diesem Zaudern entnahm ich, daßman mich wahrscheinlich als Geisel oder als Zwangs-mittel gegenüber dem feindlichen Militär bestimmthatte. Der Gedanke an sofortige Flucht schoß mir blitz-artig durch den Kopf. – Aber wohin sollte ich fliehen?Ringsum lagerten Indianer, die mir beim geringstenAlarm mit Wonne ihre Speere in den Leib gerannt ha-ben würden. – Und dann Lorenzo! Ohne ihn durfteich das Indianerlager nicht verlassen. Ich hatte ihm dieSuppe eingebrockt und war für sein Leben verantwort-lich.

Wako hatte mich schon ein paarmal durch einen lei-sen Druck zum Weitergehen veranlassen wollen. Ichblieb jedoch stehen und kämpfte mit einem Entschluß.Die Finsternis erlaubte mir nicht, ihm ins Auge zu se-hen . . . was sollte ich tun? Ich beschloß, den geradenWeg zu wählen und fragte meinen Begleiter:

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»Wako, ich habe dir durch meine Hilfe das Leben ge-rettet. Du hast dich meinen Bruder genannt. Willst dumir nun offen sagen, was dein Häuptling von mir will?An meinem Besuche wird ihm doch nicht viel liegen.«

Der Indianer gab einen Laut von sich, der wohl einenSeufzer bedeutete. Er ergriff meinen Arm und zog michweiter in den Wald hinein. Dabei sagte er:

»Der Häuptling will dich an seinem Lagerfeuer se-hen. Ich sagte ihm, daß du am Fogones warst, währendwir in den Häuptlingsgräbern kämpften . . . «

Er schwieg. Ich versuchte den Satz zu ergänzen:»Und nun will er sich an mir rächen, dafür, daß er

seinen Zweck nicht erreichte. Das wolltest du doch sa-gen?«

»Man wird dir kein Leid zufügen. Aber du sollsteinen Auftrag ausführen, den die roten Männer nichtselbst übernehmen können. Du bist ein Freund der Sol-daten. Sie werden auf deine Worte hören.«

»Lieber Bruder, darin täuschest du dich. Du hastdoch gesehen, daß die Soldaten mich in Santa Rosaliagefangen nehmen wollten, weil ich der Freund der ro-ten Männer bin. – Nein, nein, ich kann deinem Häupt-ling nichts nützen.«

»Du kannst aber das sprechende Papier machen?«»Das kann ich allerdings. Wenn aber dein Häuptling

weiter nichts von mir will, dann mag er mich ruhigziehen lassen. Das versteht Cirino auch und noch vielbesser, weil er deine Sprache spricht.«

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»Ha, Cirino!« rief Wako stehenbleibend. »Mein Bru-der glaubt, daß Cirino das versteht?«

»Ich weiß es gewiß! Auch sein Bruder Gil kann es.Der Häuptling wird wissen, wo diese beiden zu findensind.«

»Gil ist im Chaco von uns gegangen. Er sucht seinDorf am Apa auf. Dort will er bleiben. Cirino ist imLager . . . «

»Nun, dann brauchst du mich doch nicht. Sage dasdeinem Häuptling . . . und mich führe wieder zurück,damit ich Lorenzo mit mir in die Stadt nehme.«

Bei den letzten Worten war ich stehengeblieben. Wirmußten in nächster Nähe des Lagers sein, denn ein Ge-räusch von vielen Stimmen drang durch die Büsche.Auch Wako hemmte den Schritt. Da ich mich an dieDunkelheit gewöhnt hatte, konnte ich sein Gesicht er-kennen. Schwere Sorge lag auf seinen Zügen. Ein inne-rer Kampf schien ihn zu beschäftigen. Der Befehl seinesHäuptlings mußte hart auf ihm lasten. – Ich suchte ihnaufzuheitern und faßte seine Hand. Dabei sagte ich:

»Komm, Bruder, sei nicht traurig, daß ich nicht mitdir bis zu deinem Lager gehe. Dein Häuptling brauchtmeine Hilfe nicht. Sage ihm, er solle Cirino zu den Sol-daten senden. Ich bin nicht ihr Freund . . . «

»Du wolltest doch mit mir gehen,« sagte Wako za-gend.

»Weil ich glaubte, dein Häuptling wolle sich nur be-danken, daß ich ihm das Kanoe rettete. Ich muß aber

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beim jungen Tag in der Stadt sein. Auch mag ich nichtohne ein Geschenk zu deinem Häuptling gehen und al-les, was ich besitze, ist auf dem Dampfer geblieben.«

Wako wußte meinen Gründen kein überzeugendesWort entgegenzustellen. Andererseits aber zwang ihnder Befehl des Häuptlings, mich ins Lager zu bringen.Aus diesem Zwiespalt sah der arglose Sinn des India-ners keinen Ausweg. Ich fragte ihn daher:

»Hast du Befehl, mich mit Gewalt vor den Häuptlingzu bringen?«

»Mich sandte der Häuptling zu dir mit der Einla-dung, ihn zu besuchen.«

»Und was sollst du tun, wenn ich der Einladungnicht folge?«

»Ha!« stieß er heraus, als wollte er damit aus-drücken, daß ein solcher Fall außerhalb des Bereichesder Möglichkeit lag.

»Würdest du Gewalt gegen mich anwenden? Michtöten?«

»Nein, aber du bist doch mitgegangen!«»Bis hierher, weil du mein Bruder bist und ich auf

dich vertraue. Dem Häuptling traue ich nicht. Darumgehe ich nicht weiter. Wenn du nach drei Sonnen indie Stadt zu Don Emilio kommst, dann gebe ich dirGeschenke für dich und deinen Häuptling. – Und jetztlasse mich zu Lorenzo zurückkehren.

In diesem Augenblick hörte ich ein Plätschern aufdem Flusse. Ein Fahrzeug näherte sich. Wako zog mich

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tiefer in den Wald und gebot mir, mich hinter einemStamm zu verstecken. Dann lief er geräuschlos ansUfer zurück. Wenige Minuten später vernahm ich seineStimme. Er sprach absichtlich laut. Da mir aber seineSprache unverständlich war, so konnte das nur einemMenschen gelten, der entfernt von ihm, etwa am an-dern Ufer stand. Zweimal hörte ich das Wort »Alema-no«, das auch die Indianer anwenden. Ich war dem-nach Gegenstand der Debatte.

Bis zu diesem Augenblick hatte ich noch keine be-sondere Aufregung an dem nächtlichen Abenteuer ver-spürt. Zu oft schon war ich mit wilden Häuptlingenzusammengetroffen und noch jedesmal war es mir mitleichter Mühe gelungen, sie von meinen friedlichen Ab-sichten zu überzeugen. Hier aber zweifelte ich an ei-nem guten Ausgange meines Besuches. Diese Indianerwaren durch jahrzehntelange Bedrückung durch dieweiße Rasse, die sie systematisch auszurotten beab-sichtigte, in einen Vergeltungskrieg gedrängt worden.Jeden Weißen sahen sie als ihren Feind an und daß siean diesem Wiedervergeltung übten, wer konnte es ih-nen verdenken? Wenn man mich auch vielleicht nichtermordete, so war es doch sehr wahrscheinlich, daßman sich meiner Person versichern wollte, um mich ge-gen einen gefangenen Häuptling auszuwechseln. Daskonnte aber eine langwierige Geschichte werden undes war noch nicht einmal sicher, ob die Regierung sich

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wegen eines Fremden überhaupt von der Hinrichtungdes Häuptlings abhalten ließ.

Mitten in diesen Gedankengang platzte plötzlich derlanggezogene Ton eines Ochsenhornes. Er wurde vonmehreren Seiten beantwortet und dann wurde derWald um mich her lebendig. Im Unterholz brach undkrachte es. Fackelschein warf lange grelle Lichter durchdie Baumgruppen. Wie Phantome tauchten hüpfendeSchatten in die Helle und verschwanden. Auch in mei-ner nächsten Nähe knackten dürre Aeste unter demTritte hastender Gestalten. Ein Mann kam mir so na-he, daß ich schon fürchtete, er müßte meinen Körperstreifen.

Der Lärm entfernte sich gegen den Rio Paraguay hin.»Armer Lorenzo!« schoß es mir durch den Kopf. »Hof-fentlich konntest du dich retten! Oder war er die Ursa-che des Alarms?

Um mich her herrschte nun Grabesstille. Die durchden plötzlichen Aufbruch der Indianer aus dem Schla-fe geschreckten Tiere des Waldes hatten sich wiederberuhigt. Vereinzelte Vogelrufe betonten nur die tiefeRuhe.

Im Gefühle augenblicklicher Sicherheit nahm ichmein Gewehr von der Schulter und prüfte tastendden Verschluß. Dann untersuchte ich beide Revolver.Als ich die Trommel des zweiten wieder einschnap-pen ließ, gab es einen kurzen, metallischen Schlag, derein Rascheln im dürren Laub der gegenüberliegenden

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Baumgmppe auslöste. Irgend ein Lebewesen war durchdas ungewohnte Geräusch erschreckt worden. – Waswar es?

Ich lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts regtesich. Aber ein seltsames Gefühl beschlich mich. Ich hat-te die Empfindung, daß ein Mensch in meiner Nähewar, der ebenso auf ein weiteres Zeichen meiner An-wesenheit wartete, wie ich selbst auf seine Bewegunglauschte. Er verriet sich zuerst. Unabsichtlich, denn ichvernahm deutlich das kollernde Glucksen, das ein nah-rungsbedürftiger Magen hören läßt. – Das konnte keinIndianer sein, denn diese pflegen reichlich und ausgie-big zu essen, wenn sie irgendwo lagern.

Da auf dieses deutlich vernehmbare Geräusch keinZeichen meiner Anwesenheit erfolgte, wurde der ge-heimnisvolle Nachbar sicher. Das Rascheln des Laubesverriet, daß er seinen Weg fortsetzte. Immerhin schlicher mit größter Vorsicht durch den Wald, denn ein we-niger aufmerksamer Beobachter hätte das leise Ge-räusch kaum wahrgenommen, das sich in der Richtungnach dem Galbanflusse zu entfernte. Durch das ange-strengte Beobachten des unsichtbaren Menschen unddie mir dadurch aufgezwungene Bewegungslosigkeitwar mein Blut in Wallung geraten. Ich wurde nervösund versuchte mein Versteck mit einem andern, mitfreierem Gesichtsfeld zu vertauschen. Vorher streckteund dehnte ich meine Glieder und dann überlegte ichkurz, nach welcher Richtung ich mich wenden sollte.

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Ein rauher, röchelnder Laut, ähnlich einem unter-drückten Schrei bannte mich wieder an die Stelle. So-fort fiel mir der Indianer ein. Wenn Wako mit dem Un-bekannten zusammengetroffen wäre?

Mich seitlich an dem mächtigen Stamm vorbeischleichend, hörte ich deutlich ein Knacken von Zwei-gen, in das ein Schnauben oder Keuchen eingefloch-ten war. Man kämpfte dort! Mit dem Gedanken schrittich auch schon zur Tat. Ich wollte den Unbekanntenaus der Gewalt Wakos befreien. Das immer deutlicherwahrnehmbare Geräusch leitete mich. Bald sah ichauch den dunklen Knäuel am Boden.

»Wako, laß ab! Ich komme!« rief ich, mich hastigdurch die Büsche drängend.

Ein gräßlicher spanischer Fluch antwortete. Ein Kör-per erhob sich auf die Knie. Wako war es nicht. In dergleichen Sekunde begriff ich. Der Ueberfallene war derIndianer. Wie der Blitz fuhr ich dem Angreifer in denNacken. Mit meinem Gewicht drückte ich ihn zu Bodenund hämmerte mit der Faust auf seinen Schädel. Dabeifiel mein Blick auf das Gesicht des Indianers. War ertot?

»Warte, Kanaille, wenn du meinen roten Freund er-mordet hast, sollst du an den Marterpfahl!« knirschteich dem Unbekannten ins Ohr.

»Ihr seid doch auch ein Weißer!« keuchte er. »Laßtmich doch los. Was ist an der Rothaut gelegen?«

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»Mehr als an dir, du Mordgeselle!« schrie ich ihm insOhr.

Nun machte er verzweifelte Anstrengungen, um sichmeiner Umklammerung zu entziehen. Als er bemerk-te, daß ich ihm an Kraft überlegen war, versuchte eres mit den Zähnen. Er biß mich so heftig in den Ober-arm, daß ich einen Atemzug lang die Arme löste. Da-durch gewann er Raum. Aufbäumend suchte er sichmeiner zu entledigen. Wir kamen ins Handgemenge.Jeder suchte dem andern an die Kehle zu gelangen.Wiederum konnte ich die Oberhand gewinnen. Ich ver-mochte mich aufzurichten und dem Mörder ein Knieauf den Leib zu setzen . . . Da plötzlich stieß er einenlauten Seufzer aus. Die Arme fielen schlapp herab. Lei-ses Röcheln quoll aus seinem Munde . . .

Neben mir erhob sich Wako.»Mein weißer Bruder hat mir wieder das Leben ge-

rettet,« sagte er mit einer Ruhe, als sei die eben voll-brachte Tat keiner weiteren Erwähnung wert. SeineStimme jedoch klang matt und gepreßt.

»Wako, war es denn nötig, daß du den Mann töte-test?« fragte ich in vorwurfsvollem Tone. »Wir warendoch zwei gegen einen und der war nicht einmal be-waffnet.«

»Ich kenne den Weißen nicht«, erwiderte ruhiger derIndianer. »Auf dem Wege zu meinem Bruder überfiel ermich hinterlistig. Wir kämpften. Wako unterlag, weil

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ihm der Weiße die Kehle zusammenpreßte. Wako wur-de bewußtlos, erwachte aber rechtzeitig, um seinenweißen Bruder zu befreien. – Nun hat der weiße MannRuhe. – Hätte er Wako nicht angegriffen!«

Ich beugte mich zu dem eben Verstorbenen nieder,um sein Gesicht zu betrachten. Die Züge waren mir un-bekannt. Dem Aeußeren nach schien es ein Yerbaterozu sein.

Dem Indianer dauerte die Untersuchung zu lange. Erdrängte zum Weitermarsche.

»Mein weißer Bruder möge den Mann liegen lassen.Er ist tot und du kannst ihm nicht mehr helfen. AberWako wird dir jetzt deinen Wunsch erfüllen und dirden Weg zur Stadt zeigen. Kann mein weißer Freundrasch laufen?«

»Wenn es sein muß, ja!«»Es muß sein. Der Häuptling wird nicht lange aus-

bleiben. Er darf dich nicht mehr hier sehen. Folge mir!«»Aber ich darf Lorenzo nicht verlassen. Er muß mit

mir gehen. Wirst du mich zu ihm führen?«»Wako wird Lorenzo zu dir bringen. Aber du darfst

jetzt nicht mehr viel reden. – Folge mir!«Gern hätte ich dem Unbekannten noch eine Grube

gegraben, aber Wako stand wie auf glühenden Kohlen.Er drängte mich mit Gewalt in die Büsche. Einmal dort,hastete er so rasch vorwärts, daß ich ihm nur schwerzu folgen vermochte.

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Es wurde lichter um uns her. Durch die Wipfel dervor uns liegenden Wälder zwängte sich ein Streifensilbernen Lichtes, der von dem rasch fließenden Gal-ban zu lebhaften Spielen aufgenommen und zerpflücktwurde. Mitten auf der unruhigen Wasserfläche tanzteein dunkler Punkt. – Wako stieß einen eigentümlichenRuf aus und sofort bekam das Phantom Leben. Von un-sichtbarer Hand getrieben näherte sich die Masse derStelle, an der wir im hohen Grase verborgen waren.

Ich erkannte einen Einbaum. Als er sich im Schut-ze des Uferschilfes befand, erhob sich eine Indianerinvom Boden des Kanoes und wechselte hastige Wor-te mit meinem Führer. Noch während dieser Unterre-dung drängte mich Wako in den Kahn. Er und das Weibsprangen nach und nun erst bemerkte ich, daß der Ein-baum eine Art Fähre bildete, die von Lianen gehalten,die beiden Ufer verband.

Jetzt versuchte ich Näheres über die Absichten mei-nes Führers und über manche andere, mir unerklärli-che Vorgänge zu erhalten, aber kaum öffnete ich denMund, da legte sich die Hand des Weibes darauf – undnun schwieg ich gern, um nur diese Hand loszuwer-den. – Der ziemlich breite Fluß war von zahlreichenKrokodilen belebt, denn mehr als einmal sah ich einender schuppigen Köpfe in meiner nächsten Nähe.

Die Ueberfahrt ging ohne Hindernis vonstatten. Wa-ko ließ mich zuerst aussteigen. Ich mußte in einensumpfigen Streifen treten und dort warten.

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»Du mußt unsere Fährten essen,« sagte der India-ner, als er neben mir stand. »Deine Lederfüße müssenunsere Füße unsichtbar machen. Wirst du die Fährtensehen können?«

Ich bejahte, da der Mond hoch stand.»So folge uns, so rasch du vermagst!«Ich trat nun mit meinen Schuhen immer dergestalt

in die zu einem einzigen Eindruck zusammengeflosse-nen Fußtapfen der beiden voranschreitenden Indianer,daß dem spähenden Auge etwa folgender Krieger nurdie tief in das weiche Erdreich eingedrückte Sohle mei-ner Fußbekleidung zu sehen war. Ich machte das sogewissenhaft, daß ich bald hinter den beiden zurückb-lieb. – Als Wako sich zufällig nach mir umsah, schrak erheftig zusammen und seine Arme setzten sich in krei-sende Bewegung, um mich dadurch zu größter Eile an-zutreiben.

»Wie lange dauert denn dieser Spaziergang noch?«fragte ich, als ich ihn eingeholt hatte.

»Nicht lange, gleich kommt Gras, dann Wald unddann findet mein Bruder zwei Pferde! Aber nun mußmein Bruder nicht mehr sprechen. Der Wald hat Oh-ren.«

Wirklich erreichten wir nach kurzer Wanderungeinen mit lichtem Walde bestandenen Hügel. Wirdurchwateten einen Bach und befanden uns nun in

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sumpfigem Gelände, in dem keine Fährte mehr zurück-blieb. Wako reichte mir die Hand und sagte mit beweg-ter Stimme:

»Aitoka, mein Weib, wird dich führen. Wenn du aufdeinem Wege Soldaten siehst, dann nimm mein Weibmit dir zu Don Emilio. Daß du sie beschützen wirst,weiß ich . . . «

»Darauf gebe ich dir mein Wort, Wako!«»Und wenn Wako nach vier Sonnen nicht bei Don

Emilio ist, dann soll er Aitoka bei sich behalten . . . «»Warum solltest du nicht kommen können?«»Mein Stamm ist im Kriege mit den Soldaten und

Wako darf nicht in den Reihen der Krieger fehlen . . . «»Haben die Soldaten deinen Stamm angegriffen?«

fragte ich rasch und eine bange Ahnung wegen desSchicksals meines Gefährten beschlich mich.

Lächelnd hob der Indianer die Hand:»Die Pidma haben die Soldaten überfallen. Ein

großes Dampfkanoe brachte viele Bewaffnete nachSanta Rosalia. Dort sind jetzt die Pidma und kämpfen. . . «

»Und wo ist Lorenzo?«»Aitoka wird dich führen. Du findest deinen Freund

in Fesseln. Er wollte nicht ruhig mitgehen, da mußtenwir ihn binden. Löse seine Riemen. Er ist frei!«

Wako machte eine Bewegung des Abschieds. Ich ver-trat ihm den Weg. Seine Hand umklammernd sagteich:

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»So darfst du deinen weißen Bruder nicht verlassen,Wako. Du mußt mir das Versprechen geben, mich beiDon Emilio zu besuchen. Ich warte dort vier, nein achtSonnen auf dich. Versprichst du mir das?«

»Wenn ich lebe, werde ich kommen!«Ohne seinem Weibe auch nur einen Blick oder ein

Wort des Abschiedes zu gönnen, verschwand er imWalde. Ich war anfangs geneigt, ihm darüber Vorwür-fe zu machen. Später aber sah ich, daß hinter dieserkalten und gleichgültigen Maske sich ein heißeres Ge-fühl für die Gattin verbirgt, als man es gemeinhin beiunsern Rasseangehörigen findet.

Im Osten färbte sich der Himmel, als ich, hinter Ai-toka herschreitend, den Bach wieder erreichte und indessen Bett einige hundert Meter aufwärts ging. Dannsprang das Weib einen Hang hinauf und mich an ihreSeite ziehend, deutete sie auf eine Niederung, in derich unter wucherndem Grün die Ueberreste einer ehe-maligen Farm unterschied. Das Haus war verfallen undanscheinend niedergebrannt. Inmitten eines verwilder-ten Obstgartens drängte sich der First eines Daches insFreie.

»Lorenzo da!« sagte das Weib und als ich fragend zuihr aufblickte, fügte sie hinzu:

»Aitoka hier!« Diese beiden, vermutlich ad hoc ge-lernten Phrasen waren die einzigen spanischen Worte,die sie kannte. Aus den darangeknüpften Gesten ent-nahm ich, daß Aitoka an eben dieser Stelle auf mich

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warten würde. – Ich eilte, um die Zeit nach Möglich-keit abzukürzen, den Hang hinab und trat in das alteBauwerk, das sich als ein Pferdestall entpuppte, in demzwei Pferde standen. Das war alles, was ich im erstenAugenblick in der hier noch herrschenden Dunkelheiterkennen konnte. Ich rief:

»Ohe, Lorenzo! Bist du hier?«Ein aus tiefster Brust kommender Freudenruf ant-

wortete mir.»Der Madonna sei Dank, daß Ihr es seid, Don Fer-

nando. Ich wagte nicht mich zu rühren, weil vor einpaar Stunden eine Rothaut hier war, die ihre beidenPferde hier einstellte. Zum Glück sah sie mich nicht,sonst . . . Aber schneidet mir doch die Riemen durch!Das rote Weib hat mich zusammengeschnürt und miteinem Knebel im Munde hierher gebracht. Wahrschein-lich soll ich gemartert werden . . . «

Ich unterbrach die Redeflut.»Du tust dem Indianer unrecht, Lorenzo,« sagte ich,

während ich ihm die Fesseln aufknotete. »Die Pferdesind für uns bestimmt und das Weib wartet hier obenam Hügel, um uns auf Umwegen zur Stadt zu führen.Sie mußte dich binden, weil sie sich nicht mit dir ver-ständigen konnte. Die Wilden sind auf dem Kriegszuge.Nun aber eile dich, denn wir müssen bei Sonnenauf-gang weit von hier sein und drüben dämmert es schonstark.«

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Ich befaßte mich nun mit den Pferden. Es waren einpaar Ackergäule, deren Stammbaum sicher irgendwoim alten Vaterlande zu suchen war. Jedenfalls hatte ichdiese Rasse in Paraguay noch nicht gesehen. Ich zer-brach mir aber nicht lange den Kopf darüber, sondernzog sie vor allen Dingen aus dem Schuppen ins Freieund an das leise plätschernde Bächlein, das der Farmeinmal Trinkwasser zugeführt hatte. – Hier entdeck-te ich auch, daß den Tieren anstatt des Sattels eineDecke aus gegerbter Ochsenhaut aufgeschnallt war. Ei-ne Trense ersetzte den Zügel.

»Caramba, Don Fernando, wo habt Ihr denn die Gäu-le gekauft? Eine solche Rasse sah ich noch nie und ichwar doch lange genug als Gaucho in den Pampas!«

»Darüber können wir uns während des Reitens un-terhalten, Lorenzo. Jetzt brennt uns der Boden unterden Füßen. Nimm den Braunen und folge mir.«

Aitoka konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, alssie meines Begleiters ansichtig wurde und Lorenzo zogein Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Ich ließ denbeiden aber keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Miteiner Geste lud ich Aitoka zum Weitermarsch ein. Alsich Miene machte, mich auf den Rücken des Pferdeszu schwingen, wehrte sie es mir. Sie faßte den Gaulbeim Kopfe und zog ihn den Hang hinunter in das ho-he Gras, das uns so vollständig verschlang, daß man

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nicht einmal mehr die Köpfe der Vorderleute sah. Aito-ka, einmal in dieser Deckung, stieß einen ermuntern-den Ruf aus und setzte sich in schnellere Gangart. Wirfolgten natürlich ihrem Beispiele so gut es ging. Abernicht vertraut mit der Wanderung durch solche Gras-felder, verlor ich bald ihre Spur und mußte nun durchZuruf die Verbindung wieder herstellen. Das hätte bei-nahe zu unliebsamen Begegnungen geführt. WährendLorenzo und ich uns vergeblich bemühten, zwischenden langen Grasstengeln die Fährten des vorausgegan-genen Pferdes wiederzufinden, stieß ich einen Ruf aus,der den Schrei der Ente nachahmen sollte und den ichbei Wako öfter gehört hatte. Er mußte aber nicht sehrgelungen sein, denn er fand keine Erwiderung. Wohlaber antwortete ein anderer Laut. Eine tiefe Männer-stimme brüllte ein Ohe! und ein lautes Gepolter ver-riet uns, daß der Rufer den mit Geröll besäeten Abhanghinunter stieg.

»Halte dem Gaul die Nüstern zu!« flüsterte ich Lo-renzo ins Ohr und stellte mich neben ihn, das Pferd alsDeckung benutzend. Langsam brachte ich die Büchsein Anschlag.

Während wir so regungslos lauschten, kam das Ge-räusch immer näher. Deutlich hörten wir die spani-schen Flüche, die mit indianischen Worten untermischt

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waren. Ob sich uns einer oder mehrere Männer nä-herten, konnte ich aber nicht unterscheiden. Auf ein-mal vernahmen wir einen lauten Schrei, dem ein über-raschtes Caramba! folgte und dann ein Knacken undKnistern, das sich rasch entfernte. Schon wollten wiraufatmen, da fiel plötzlich ein Schuß und eine Kugelriß den Grasstengeln in unserer Nähe die Köpfe ab.

»Nieder, Lorenzo!« rief ich dem Gefährten zu, undwarf mich neben ihn ins Gras. »Wenn er nochmalschießt, antworten wir ihm.«

Ein weiterer Schuß blieb jedoch aus. Dafür rascheltees jetzt vor uns. Die Halme gerieten in lebhafte Bewe-gung und während ich mich anschickte, dem Verfolgereinen warmen Empfang zu bereiten, öffnete sich diegrüne Wand neben uns und ein großer Puma erschi-en zwischen den Stengeln. Das Tier, das ebenso über-rascht durch das unerwartete Zusammentreffen war,wie wir selbst, stieß einen rauhen Laut aus und kehr-te mit einem gewaltigen Satze in das schützende Grünzurück.

»Wenn ich nur wüßte, wo Aitoka steckt,« flüsterteich meinem Gefährten ins Ohr, als sich die Ruhe wiedereingestellt hatte. »Bleibe hier ruhig liegen. Ich versuchesie aufzufinden und damit du weißt, welche Richtungich einschlage, schneide ich auf meinem Wege immerein paar Grasstengel mit dem Messer dicht über demBoden ab. So können wir uns nicht verlieren.«

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Ich drückte ihm noch den Revolver in die Hand,empfahl ihm die äußerste Vorsicht und schob michlangsam weiter. Anfangs ging es sehr schwer, weil ichvermeiden wollte, daß ein Beobachter die Bewegungder Stengel als eine willkürliche feststellen konnte. Mitder zunehmenden Entfernung glaubte ich diese Vor-sicht beiseite lassen zu können, umsomehr, als dasSchneiden der sehr harten Halme nicht ohne Geräuschabging. Ich entschloß mich sogar aufrecht weiterzuge-hen und als ich dann in ein Dickicht geriet, das meineganze Gestalt nicht mehr deckte, ging ich geradewegsauf die hohen Ufer des Baches zu, die sich durch regel-mäßigen Baumwuchs erkennen ließen. Dort hielt ichUmschau nach der Indianerin sowohl, als nach demunbekannten Besucher. – Ich fand aber weder die einenoch den andern. Dem Boden waren Hufe eingedrückt,die nach beiden Seiten verliefen, aber keine Spur rühr-te von dem großen Ackergaul her, den die Indianerinbei sich hatte.

Ich gewann bald die Ueberzeugung, daß ich michallein an dieser Stelle befand und sah keinen Grundzu weiterer Fortsetzung des Versteckspiels. Dem Bacheabwärts folgend, ging ich bis dahin, wo ich Lorenzovermutete und rief ihn an. Er gab den Ruf aber erstzurück, als er seinen Namen hörte. Wenige Minutenspäter stand er neben mir.

»Habt Ihr die Indianerin gefunden?« war seine ersteFrage.

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»Keine Spur von ihr. Wir werden hier am Bache war-ten müssen, bis sie uns sucht.«

»Oder sie wartet irgendwo auf uns. Wenn Ihr dasPferd nähmet und ihr entgegenrittet. Der Gaul hier wit-tert vielleicht das andere Tier und bringt Euch dahin.«

Da das Pferd ein lebhaftes Tier war, konnte ich denVersuch machen. Ich schwang mich auf seinen Rückenund ritt bachaufwärts, indem ich das Gelände zu mei-ner Rechten aufmerksam mit den Blicken durchsuchte.Nach einer Weile kam ich an eine Stelle, wo der Bachaus seinen Ufern getreten war. Zahlreiche Eindrückedeuteten darauf hin, daß ich mich an einer Tränke be-fand, die seitens der vierfüßigen Waldbewohner regenZuspruch hatte. Auch mein Pferd drängte ungestüm insWasser. Während es seinen Durst stillte, betrachtete ichmir die zahlreichen Tierfährten, die des frühen Mor-gens wegen so in einander übergingen, daß eine be-stimmte Spur nicht zu entziffern war. – Ich war schonim Begriff, den Ort wieder zu verlassen, als mein Augean einer abgebröckelten Uferstelle haften blieb. Dortglaubte ich den Eindruck eines breiten Hufes zu sehen.Ich ritt durch den Bach hindurch und betrachtete langedie Fährte und die Umgebung der Stelle. War es wirk-lich der Ackergaul, der hier gerastet hatte, dann war erim Bette des Baches geblieben und – wohin? Bachauf-wärts oder abwärts gegangen?

Lange zerbrach ich mir den Kopf. Ich entschloß michendlich dem Laufe des Baches abwärts zu folgen. Traf

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ich Aitoka nicht, so fand ich Lorenzo und nahm ihndann mit mir. Der Bach war, wie ich bereits erwähnte,an beiden Ufern mit dem fast drei Meter hohen Grasbestanden. Wer sich dort versteckte, konnte nur von ei-nem geübten Indianerauge entdeckt werden. Für einenHinterhalt war das Gras wie geschaffen. Ich ritt dannauch, nachdem ich den hügeligen Teil hinter mir ge-lassen, mit der denkbar größten Vorsicht weiter. DenZügel ließ ich auf den Hals des Tieres fallen, um beideHände zur Verteidigung frei zu haben.

Plötzlich wurde mein Pferd aufmerksam. Seine Oh-ren begannen lebhaft zu spielen. Er schnaubte leise,hemmte den Schritt und ging dann zaghaft weiter. Ehees einen Schritt machte, hob es erst das eine Bein, hieltes einen Augenblick in der Schwebe und setzte es dannzögernd ins Wasser. Natürlich hielt mich das seltsameGebahren des Tieres in höchster Spannung. Ich wußte,daß ein Puma in der Nähe war. Wie weit der meinemPferde gefährlich werden konnte, wußte ich nicht. Ichtraf daher alle Maßnahmen, um den Räuber, falls eruns anspringen sollte, entsprechend zu empfangen.

Vor einer Gruppe überhängender Bäume wurde dasSpiel der Ohren besonders lebhaft. Der Braune blieskräftig durch die Nüstern, ging aber vorwärts. Nunsuchte ich aufmerksam die Zweige ab. Ein Raubtierhätte seine Beute gar nicht bequemer belauern kön-nen. Unter dem dichten Geäst des ersten Baumes blies

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der Gaul wieder. Vergebens suchte ich mit den Augendie Wipfel ab.

Da fühlte ich einen Ruck. Das Pferd machte einenSprung seitwärts. Ein paar Arme umklammerten mich,heißer Atem strich über Ohr und Wange. Instinktivbeugte ich mich weit vor, um die Last abzuschütteln.Dann schob sich eine Hand auf meinen Mund und wieeinen Hauch hörte ich das eine Wort:

»Aitoka!«Es war die Indianerin, die mich auf diese eigentüm-

liche Weise von ihrer Anwesenheit benachrichtigte. Alsich behutsam den Kopf wandte, begriff ich auch ohnedie bezeichnende Geste, daß irgend etwas in der Nähefür uns verderblich werden konnte. Ich fragte daher,den Ton nur hauchend:

»Soldaten?«»Indianer – Botokudos!« lautete die kaum vernehm-

bare Antwort. Da eine weitere Unterhaltung ohnehinausgeschlossen war, begnügte ich mich, ihr einen fra-genden Blick zuzuwerfen. Aus ihren Gebärden ent-nahm ich, daß ich den Rücken meines Pferdes mit demAste, auf dem sie selbst gesessen, vertauschen soll-te. Sie wollte Lorenzo holen und so lange sollte ichwarten. – Aitoka muß wohl in meinem Gesichte meinMißvergnügen über diese Anordnung gelesen haben.Um mir meinen Entschluß zu erleichtern, streicheltesie mir die Hand und Wange, wie man es bei kleinenKindern zu machen pflegt, und als ich darüber lächeln

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mußte, sah sie, daß sie gewonnenes Spiel hatte. Ichturnte nun auf den Ast, in dessen Gabel es sich üb-rigens ganz bequem sitzen ließ, und als ich den Blickwandte, um mir die Anerkennung der Wilden zu holen,war sie mit dem Pferde verschwunden.

Als ich auf meinem luftigen Sitze über die eigen-tümliche Lage nachdachte, in die ich durch meine Gut-mütigkeit wieder einmal geraten war, machte sich dasSchlafbedürfnis geltend. Mehrmals ertappte ich michdabei, daß mir der Kopf schwer zur Seite fiel. Ich sag-te mir zwar, daß ich nicht schlafen dürfe, untersuchteaber nichtsdestoweniger meinen Sitz auf seine Sicher-heit hin. Wenn ich im Schlummer etwa aus meinemGleichgewicht käme, mußte ich ziemlich hart ins ho-he Gras fallen . . . Meine Berechnung erwies sich aller-dings als falsch.

Nachdem ich noch die Arme in eine Astgabelung ge-zwängt und die Büchse durch den Riemen versicherthatte, glaubte ich alles zur Sicherung meiner Positiongetan zu haben. Ich spann die Gedanken über meineTage weiter und bereute die schöne Zeit, die ich hierso ganz zwecklos versäumte. Hatte ich doch am Fogo-nes schon eine Woche zu lange geweilt.

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Die äußere Ruhe wirkte wohltuend auf meine Ner-ven. Ich verließ das Gebiet der unfruchtbaren Rück-blicke und beschäftigte mich mit der Gegenwart. Da-bei machte sich mein Magen recht unangenehm be-merkbar. Seit sechzehn Stunden war keine nennens-werte Nahrung mehr über meine Lippen gekommen.Vielleicht brachte Lorenzo Bananen mit? In der verlas-senen Farm gab es ja genug.

Ein paar Eidechsen sprangen in munterem Spielevon Ast zu Ast. Von den höchsten Gipfeln bis zum Was-serspiegel jagten sie unablässig durch die Zweige. Saßso ein unachtsames Insekt zufällig im Wege, so wurdeein Waffenstillstand verabredet, der aber in demselbenMoment sein Ende fand, in dem der glückliche Finderden fetten Bissen hinuntergewürgt hatte. – An einemAste, unweit von meinem Sitze, saß in der borkigenRinde die Puppe einer Eule. Sie hielt eben ihre Zeit fürgekommen, den Flug in die Welt anzutreten. Die schüt-zende Hülle öffnete sich und ließ ein dickes Etwas se-hen, das nur aus Kopf und einem weichen, von einemWulste umgebenen Leibe bestand. Behutsam arbeite-te sich das Tierchen heraus. Auf der knorrigen Rindesuchte es sich einen Ruhepunkt, der ihm die Entfal-tung der Flügel gestattete. Unglücklicherweise wohn-te aber eine dicke Spinne in der Nähe, die sich jetztaus ihrem Schlupfwinkel hervorwagte und den wer-denden Nachtfalter mit begehrlichen Blicken betrach-tete. Kaum merklich schob sie sich ruckweise an das

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ahnungslose Insekt heran. Ein Sprung! In genau dem-selben Augenblick ließen sich aber auch die beiden Ei-dechsen von einem oberen Aste herabfallen. Die eineverschluckte im Vorüberhuschen den Falter, die anderetrug die zappelnde Spinne im Maule davon.

Diese naturhistorische Mordszene lenkte mich so-weit ab, daß ich erst durch ein Plätschern im Bachewieder in die Gegenwart zurückgerufen werden muß-te. Ich blickte durch die Zweige hinunter und hättemich nun durch eine unwillkürliche Bewegung fastverraten. Denn was ich da unten sah, riß mich miteinem Male aus meinen Träumereien. Drei Indianer,zwei Weiber und ein Mann, standen im Bache und füll-ten große Krüge mit Wasser. Bei der Gelegenheit nah-men sie auch ihr Morgenbad. Besonders die jüngereder braunen Damen schien das Wasser sehr zu lieben.Sie warf sich mit dem ganzen Körper in die Flut, dreh-te sich nach allen Seiten und blieb plötzlich auf demRücken liegen, die Augen in die Wipfel der Bäume ge-richtet. Schon glaubte ich mich entdeckt, denn das Ge-sicht starrte unverwandt in die Zweige, in denen ichversteckt saß. In dieser Stellung verharrte sie minuten-lang. Dann sprang sie auf und rief dem Manne ein paarWorte zu, die diesen mit einem Satze aufs Ufer und zuden Waffen trieb. Eine schwere Keule warf er um dasrechte Handgelenk. Mit der Linken griff er eine alteVorderladerflinte auf, die ich um keinen Preis der Weltabgefeuert haben würde. Ein großes Messer mit breiter

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Klinge vervollständigte die Bewaffnung. Die Kleidungschienen alle drei zu Hause vergessen zu haben, dennkein Faden bedeckte die Körper. Als einzigen Zierrattrugen alle drei ein breites rundes Holzstück in Ohrenund Unterlippe. Bei dem Manne hatten diese Schei-ben die Größe unserer Fünfmarkstücke. Bei den Wei-bern waren sie kleiner. An diesem Schmuck erkannteich die Indianer als Botokuden, die wahrscheinlich mitam Fort Guachalla gekämpft hatten, und nun auf demHeimwege in ihre Dörfer am Paranâ waren. Man sag-te ihnen einen fanatischen Haß gegen die weiße Rassenach.

Der Botokude lauschte mit horizontal von sich ge-strecktem Gewehr auf irgend ein verdächtiges Ge-räusch. Die Weiber lagen platt auf der Erde und wa-ren hier durch ihre Hautfarbe ziemlich geschützt, dasie genau die Farbe des Bodens hatten. – Mir war garnicht wohl in meinem Versteck, wenn ich auch die dreiWilden nicht zu fürchten brauchte, denn ich konnte siebequem abschießen, bevor der Mann auch nur die Flin-te gehoben hätte, so mochte ich doch kein Blut vergie-ßen. Außerdem hatte ich auch die Rache des Stammeszu fürchten.

So vergingen ein paar aufregende Minuten. Ich durf-te nicht einmal den Kopf wenden, da mich die Bewe-gung dem außerordentlich scharfen Ohre der Wildensofort verraten hätte. Ich mußte den Blick unverwandtauf einen Fleck richten und in der Blickrichtung lagen

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die Wilden, so daß ich bei jeder Bewegung unten dieAugen schließen mußte, damit mich die Anziehungs-kraft, die dem menschlichen Auge innewohnt, den Bo-tokuden nicht verriet.

Als ich wieder einmal die Augen öffnete, gewahrteich eine Bewegung unten am Stamme. Der Zweig zit-terte, als ob ihn eine Hand geschüttelt hätte. Auch denBotokuden mußte dies aufgefallen sein, denn das jun-ge Weib hob den Kopf und schob sich dann hastig ummehrere Meter zurück, die Gefährtin mit sich ziehend.Der Mann hingegen streckte den Kopf vor und horch-te nach einer anderen Richtung hin. – Nun sah ich dieGesichter der Botokuden nicht mehr und durfte denKopf etwas freier bewegen. Mein Blick glitt an demStamm herab, wo die zitternden Zweige meine Auf-merksamkeit in Anspruch nahmen. Zunächst bemerkteich nichts, konnte auch das Auge nicht so angestrengtdorthin lenken, da ich natürlich wissen mußte, was ausden schwarzbraunen Nachbarn geworden war. Erst alsich die Beiden ruhig am Boden liegen sah, wo sie sichdie Zeit damit vertrieben, die Würmer aus der Erde zukratzen und sie zu verzehren, wandte ich meine Auf-merksamkeit wieder dem Baume zu. – Es dauerte auchnicht lange, bis ich die Ursache der zitternden Bewe-gung fand, und sofort brach mir der kalte Schweiß ausallen Poren.

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Vom Boden her schob sich eine große, dunkel-schwarze Schlange an meinem Baum hinauf. Ihre gold-gelben Augen leuchteten tückisch aus dem Halbschat-ten des Laubes. Sie hatte es offenbar auf mich abgese-hen, denn der leicht zurückgebogene Kopf war nachaufwärts gerichtet, die zweigespaltene Zunge schobsich nervös aus dem Maule. Ich hatte schon am Fogo-nes von einer ähnlichen Schlange des Chaco gehört,vor der selbst die Indianer die Flucht ergreifen sollten.Man rühmte ihre furchtbare Körperkraft, hielt sie je-doch für nicht giftig. Da meine naturgeschichtlichenAufzeichnungen kein derartiges Reptil kannten, hatteich mir oft gewünscht, ein Exemplar davon zu Gesichtzu bekommen. Dieser Wunsch ging jetzt in Erfüllungund zwar unter den denkbar verzweifeltesten Umstän-den. Natürlich hielt ich diese Gefahr augenblicklich fürdie größte und ich begann schon zu überlegen, wieich mich mit den Wilden auf guten Fuß stellen konn-te, wenn mich das Reptil zum Verlassen meines Zu-fluchtsortes zwang. Und dann war noch eine weitereFrage, wie ich mich der Schlange erwehren konnte. EinSchuß mußte unbedingt auch die Weiber treffen . . .

Jetzt hatte ich für nichts anderes mehr Sinn, als fürden Kampf mit dem Reptil. Ich konnte schon deutlichden Kopf erkennen. Er zeigte ein stark ausgeprägtesDreieck – also war es eine Giftschlange. Die gering-ste Verletzung mit ihrem Giftzahne setzte meiner For-scherlaufbahn hier ein Ziel.

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Ich war immer – und bin es auch noch – der fe-sten Ueberzeugung, daß kein wildes Tier ungereizt denMenschen angreift, Löwen und Tiger vielleicht ausge-nommen. So mußte ich auch hier versuchen, das Rep-til auf meine Zugehörigkeit zur Gattung Homo sapiensaufmerksam zu machen, bevor es zur Verteidigung ge-zwungen wurde. Das ging aber nicht ohne Geräuschund das mußte ich vermeiden, um den lauernden Bo-tokuden nicht zu einem vorzeitigen Abbrennen seinerDonnerbüchse zu veranlassen. Je nach der Ladung wä-re ein Treffer immerhin möglich gewesen.

Als ich die Zwickmühle, in der ich mich befand,gründlich durchdacht hatte, kehrte auch die Kaltblü-tigkeit in mir zurück. Wenn die Schlange mich wirk-lich für einen genießbaren Brocken hielt, der Angriffalso tatsächlich mir zugedacht war, dann mußte ichein Mittel finden, ihr unauffällig meine Ueberlegenheitzu zeigen. Dabei verfiel ich auf alle möglichen Dinge,die ich jedoch immer wieder verwarf, weil sie nicht ge-räuschlos auszuführen waren. Solange die Botokudensich auf ihrem Horchposten befanden, durfte ich michnicht rühren. Bei der herrschenden Grabesstille mußtejeder noch so schwache Laut zu ihren Ohren dringen.Die Schlange saß noch immer am Stamme. Die Entfer-nung von mir betrug etwa vier Meter. Da sie aufwärtskriechend den Körper höchstens um einen halben Me-ter vorschnellen konnte, so bedurfte sie immerhin noch

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einer längeren Zeit, bis sie in Bißnähe kam. Ich be-schloß, sie zunächst mit meiner Büchse bekannt zu ma-chen, wenn sie an der Mündung der Läufe roch, wußtesie vielleicht, wen sie vor sich hatte. Mit der denkbargrößten Vorsicht löste ich die Waffe aus der Gabelung.Da ich sie zur Ausführung meines Vorhabens senkenmußte, galt es sie so an meinem Handgelenk zu befe-stigen, daß sie mir nicht entgleiten konnte. Als auchdas glücklich ausgeführt war, betrug der Abstand vondem Reptil höchstens noch zwei Meter . . .

Wieder wurde mir heiß und kalt. Die Sonne hatteauch einen Spalt gefunden, durch den sie mich be-leuchten konnte, so daß ich einem suchenden Men-schen nun nicht mehr verborgen bleiben würde. In die-ser kritischen Minute erbarmte sich der Himmel mei-ner. Ein Wind begann die Gipfel der Bäume zu beu-gen. Im Rauschen der Blätter gingen leise Geräuscheverloren. Jetzt konnte ich den Versuch mit der Büch-se wagen. Zuvor warf ich aber noch einen forschendenBlick auf die Botokuden. Sie waren noch an dem glei-chen Fleck und nichts deutete darauf hin, daß sie ihreSiesta bald beenden würden.

Ich berechnete, so gut es ging, die Angriffslänge derSchlange und kam zu der Ueberzeugung, daß sie mei-ne Hand selbst beim Zugreifen nicht erreichen konn-te. Dann schob ich langsam den Büchsenlauf gegen

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sie vor. Ganz behutsam, damit das Reptil nicht geäng-stigt wurde und die wilden Gäste unter mir nicht auf-merksam wurden. Zoll um Zoll näherte sich der Laufdem Kopfe der Bestie. Jetzt wurde sie aufmerksam.Der Kopf zog sich langsam zurück, der Rachen öffne-te sich zu einem Spalt. Näher und näher kam ihr derLauf. Bald waren nur noch wenige Zentimeter Raumzwischen ihrem Rachen und der Waffe. – Da warf siesich plötzlich zurück. Der Rachen öffnete sich weit –und nun fürchtete ich den Angriff. Aber sie verharrte inder Stellung und da ich keine weitere Bewegung mehrmachte, untersuchte sie endlich das seltsame Ding. DerKopf senkte sich. Die funkelnden Augen sprühten ingoldgelbem Lichte. Weit hervor schoß die gegabelteZunge und berührte den Stahl – einmal, noch einmal.Die Probe mußte wohl nicht nach ihrem Geschmackgewesen sein. Der Kopf senkte sich weiter und lang-sam begann das Reptil den oberen Ring zu lösen undauf dem starken Aste unter mir nach dem Bache hin-über zu kriechen. Das ging entsetzlich langsam, abermir fiel trotzdem ein Stein vom Herzen, war ich dochvon einer unmittelbaren Gefahr befreit. Was das Reptilweiter beginnen würde, blieb der Zukunft überlassen.Die Botokuden befanden sich immer noch am Ufer. DieSonne stand jetzt im Zenit und brannte unbarmherzigauf die nackten Menschen hernieder. Den Frauen schi-en es auch zu heiß zu werden, denn sie sprangen nocheinmal in den Bach, füllten die Krüge aufs neue und

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warfen sich dann wieder zu Boden. Den Krieger sah ichvon meinem Sitze aus nicht mehr. Ich beobachtete da-her die Schlange weiter in ihrem Gebaren. Das Badender Weiber mußte ihr wohl Appetit gemacht haben. Siestreckte sich lang auf dem Aste aus, tastete eine Wei-le mit der Schwanzspitze nach einem Halt und als sieden nicht fand, schlang sie das Ende ihres Leibes umden Ast selbst, drehte es einige Male hin und her undlöste dann langsam den Oberkörper, der wie ein Stockbis fast auf den Wasserspiegel herabfiel.

»Arme Weiber!« dachte ich. Aber diesen war die Be-wegung nicht entgangen. Ein lauter, durchdringenderSchrei gellte durch die Luft und lärmend hörte ich sieim Grase verschwinden.

»Gott sei Dank!« rief ich aus vollem Herzen, als auchdiese Gefahr vorüber war. Nun konnte ich mich auchan die Vertreibung des Reptils machen, denn so, wie esda hing, bildete es eine Gefahr für Lorenzo und Aitoka. . .

Mit dem Gedanken überfiel mich auch die Unruhe.Was konnte den beiden zugestoßen sein? Ich saß nunschon ein paar Stunden in meinem Versteck und Loren-zo war doch kaum zwanzig Minuten Weges von mirentfernt. Ich tröstete mich damit, daß sie die Wacheunter meinem Baume rechtzeitig gesehen und nicht ge-wagt hatten, sich zu zeigen. In kürzester Zeit würde icherlöst sein . . .

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Um mich durch Beschäftigung wach zu erhalten,suchte ich nach Wurfgeschossen, die geeignet waren,die Schlange zum Verlassen ihres Standortes zu bewe-gen. Außer einem Stück trockenen Holzes fand sichaber nichts in Reichweite und mit dem verfehlte ichdas Ziel. Jetzt verfiel ich auf den Gedanken, mein Mes-ser an den Büchsenschaft zu binden und aus sicheremHinterhalte heraus, den Schwanzringen einen Hieb zuversetzen. Das schadete dem Tier nicht viel, konnte esaber zu schleunigster Flucht veranlassen. Schon hatteich mich soweit abwärts begeben, daß ich den Streichausführen konnte, als mir eine schaukelnde Bewegunganzeigte, daß die Schlange eine Beute witterte. Rich-tig kam auch aus dem Grase ein Wildschwein mit achtJungen, die sich freudig grunzend, der Mutter nach,in den sumpfigen Uferschlamm warfen. Ahnungslosquietschte und grunzte die muntere Schar, währendüber ihren Köpfen das Reptil auf seine Nahrung lau-erte. Naturgesetz – ein Tier dient immer einem an-deren zur Nahrung! Aber ich mußte hier zu meinenGunsten eingreifen. In demselben Augenblick, in demdie Schlange sich auf eines der kleinen Schweine warf,durchschnitt ich mit einem Hieb den letzten Schwanz-ring, was nun folgte, läßt sich nicht beschreiben. DasReptil verlor durch den Verlust seines Stützpunktesden Halt und stürzte mit schwerem Falle mitten in diequietschend auseinanderstiebende Herde. Die Muttergriff die Schlange, die ihre Fänge fest in das Fleisch

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des jungen Tieres geschlagen hatte und es wohl nichtloslassen konnte, mit wütendem Grunzen an. Sie bißihr zwei, dreimal ins Genick, als ob sie gewußt hätte,daß die Bestie außerstande war, ihre Ringe um sie zuschlagen. Da die Schlange aber ihre Beute nicht fahrenließ und mit dem gelenkigen Leibe hin- und herschlug,daß Schlamm und Wasser hochaufspritzten, griff siedas Mutterschwein nochmals an. Jetzt gab die Schlan-ge den Kampf auf, – ob sie tödlich verwundet wordenwar, konnte ich nicht feststellen – genug, sie warf sichin den Bach und ließ sich von der Strömung forttrei-ben. Bald verließ auch die Schweinefamilie den Schau-platz und ich war wieder allein, mit knurrendem Ma-gen und kaum zu bewältigender Schlafsucht.

Wieder schlich eine Stunde dahin. Ich gab die Ge-fährten bereits verloren und faßte den Entschluß, mitEinbruch der Nacht meinen Weg allein fortzusetzen.Ich schätzte die Entfernung bis zur Stadt auf höchstensvierzig bis fünfzig Kilometer und das war ja keine nen-nenswerte Entfernung. Mit dem Entschluß kam auchdie innere Ruhe wieder. Ich setzte mich gemütlich inmeinen natürlichen Armstuhl, befestigte die Büchse inReichweite meiner Arme und holte eine Zigarre her-vor. Ein Gewächs aus Apa, das mir der Indianer in San-ta Rosalia zurückgegeben hatte, weil die Sorte ihm zuschlecht war. Zum Vertreiben der Mücken, die schonbegannen, ihre Schlafplätze am Ufer zu verlassen, war

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sie aber immer noch zu gebrauchen. Als ich sie mit Hil-fe der Lupe, die als Brennglas wirkt, ausgiebig in Brandgesetzt hatte, qualmte sie ganz nach Wunsch.

Während ich auf meinem luftigen Sitze den Abendoder die Gefährten erwartete, muß ich wohl einge-schlafen sein. Ein fürchterlicher Donner riß mich ausfestem Schlummer. Um mich her war tiefe Nacht. Abergleichzeitig mit dieser Feststellung fühlte ich auch, wiemeine Füße ins Leere fielen. Meine Hände griffen in-stinktiv nach einem Halt. Ein Zweig glitt mir durchdie Finger, ich fühlte einen heftigen Schmerz im Ober-schenkel und dann schlug ich hart auf den Wasserspie-gel auf. Ehe ich aber noch recht wußte, was geschehenwar, hatten mich ein paar derbe Fäuste wieder empor-gerissen. Die Stimme Lorenzos schlug an mein Ohr:

»Hat er Euch getroffen, Don Fernando? Seid Ihr ver-wundet?«

»Lorenzo, du! Gott sei Dank, daß du da bist,« ächzteich mit dem Munde voll des verschluckten Wassers.

»Seid Ihr verwundet? So antwortet doch, Don Fern-ando?« fragte er nochmal in dringendem Tone.

»Ich weiß es nicht. Ich fühlte irgendwo einenSchmerz . . . «

»Die Kanaille! Hätte ich ihn doch erschossen, als erso dicht vor mir stand!«

»Von wem redest du eigentlich? Was ist denn pas-siert?«

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»Der Hund, der Botokude hat doch auf Euch ge-schossen, wißt Ihr denn das nicht?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe geschlafen.Dann hörte ich den furchtbaren Donnerschlag . . . «

»Das war die Flinte des Botokuden!«». . . und dann muß ich wohl in der Schlaftrunken-

heit vom Baum gefallen sein.«»Nein, nein! Der Kerl zielte auf Euch. Ich habe deut-

lich gesehen, wie er die Flinte hob.«»Mag sein. Aber wo ist Aitoka? Das ist einstweilen

das Wichtigste.«»Hier oben im Bach bei den Pferden. Ich sollte Euch

holen, mußte mich aber verstecken, weil der schwarzeHeide dicht neben mir aus dem Grase auftauchte. Ertrug ein mächtiges Schießeisen . . . «

»Weiß schon! Der arme Kerl tut mir leid. Der Rück-stoß muß ihn bös zugerichtet haben. Aber auf michschoß er nicht. Der getraute sich nicht, die Donner-büchse an die Backe zu bringen.«

»Könnt Ihr gehen, Don Fernando? So laßt uns eilen,denn nach dem Schuß wird sogar die Garnison in derStadt alarmiert werden. Jesus, was muß der da hinein-geladen haben!«

»Gehen kann ich, aber ich muß erst meine Büchsehaben. Die ist oben im Baume festgebunden. Wartenoch ein paar Minuten. Ich bin gleich wieder da!«

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Beim Klettern spürte ich wieder den stechendenSchmerz im Oberschenkel. Auch der Hinterkopf schmerz-te mich. Aber ich biß die Zähne zusammen und ruhtenicht, bis ich meine Büchse im Arme hatte. Dann glittich vorsichtiger hinunter, als vorher. Kaum betrat ichdas Flußbett, als Lorenzo mich rasch fort zog, indemer ängstlich auf die Uferbank schaute.

»Rasch, Don Fernando, wir werden verfolgt. – Wennsie nur die Indianerin nicht finden, bevor wir bei ihrsind.«

»Wer verfolgt uns denn?«»Weiß der Henker! Erst glaubte ich, es sei Militär.

Ich sah etwas Glänzendes. Beim nächsten Baum aberstand der Botokude mit dem Faßboden im Maule . . .Hier oben ist’s auch nicht geheuer . . . «

Nach längerem Hasten im Bachbett tauchten plötz-lich dunkle Schatten vor uns auf. Der Ruf der aufge-scheuchten Ente wies uns den Weg.

»Aitoka!« rief ich, froh, die brave Frau gesund vormir zu sehen. »Nun aber fort! Ich muß dich in Sicher-heit wissen, eher habe ich keine Ruhe.«

Ich hatte vergessen, daß die Indianerin meine Wortenicht verstand. Aber nichtsdestoweniger wußte sie, umwas es sich handelte. Sie half uns die Pferde besteigen,dann faßte sie den ersten Gaul beim Kopfe und führteuns lange stromauf. An der Tränke, wo ich frühmor-gens in das Wasser gestiegen war, verließ sie das Bach-bett und deutete auf einen kaum erkennbaren Pfad,

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der in der Richtung auf den Rio Paraguay führte. Jetztschwang sie sich hinter mich aufs Pferd, schnalzte aufeigentümliche Weise und fort ging es in einer Gangart,die ich den schweren Tieren gar nicht zugetraut hätte.– Nach etwa halbstündigem Ritt lenkte Aitoka die Pfer-de durch Zuruf links in einen Wald und bald tauchtendie Umrisse eines durch Feuersbrunst zerstörten massi-ven Gebäudes auf. Hier sprangen wir von den Gäulen.

»Hier haben wir den Tag verbracht,« sagte Lorenzo,als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.»Nur kamen wir von der anderen Seite.«

»Warum habt Ihr mich denn nicht früher geholt?«fragte ich mit leisem Vorwurf.

»Die Indianerin wollte nicht. Der Grasbusch mußvon feindlich gesinnten Menschen wimmeln. Ob es Ro-te oder Weiße sind, habe ich nicht erfahren können. –Aber jetzt eßt vor allen Dingen einmal. Die Frau hatden ganzen Tag gebraten. Fleisch und Fische. Weiß derHimmel, woher sie das nahm. – Geht nur hinein. Dadrinnen scheint das Braten wieder zu beginnen . . . «

»Wenn man nur den Feuerschein nicht sieht!«»Unmöglich. Die Roten haben hier eine Art Festung

eingerichtet. Bei Tage sieht man den ganzen Rio, aberkein Mensch findet den Eingang zu diesem alten Ge-mäuer. Wenn wir hier die Nacht ungestört schlafenkönnen, weiß ich einen, der morgen abend in Conflu-encia seinen Maté saugt.«

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Aitoka winkte uns. Unter ihrer Führung betraten wireinen Raum, der sicher einmal als Kasematte angelegtworden war. Hier brannte ein helles Feuer, an dem einFleischstück schmorte. In einer Ecke lagen zahlreicheHolzklötze. Einen davon holte sie zum Feuer. Er ver-trat die Stelle des Stuhles und wurde verbrannt, wennMangel an Brennholz herrschte. Auf einem Pisangblat-te brachte mir Aitoka einen kalten gebratenen Fisch,der mir großartig mundete. Als der verzehrt war, muß-te ich einen gebratenen Vogel, ebenfalls kalt, essen undnachdem auch dieser in unglaublich kurzer Zeit seinerBestimmung zugeführt war, kam der am Feuer rösten-de Braten an die Reihe. Jetzt erst ließ die Indianerinauch Lorenzo zur Mahlzeit zu. Gleichzeitig bediente siesich selbst. – Das Mahl zog sich in die Länge, weil dieFrau fast alle fünf Minuten aufsprang und in der Dun-kelheit verschwand. Ich wartete dann mit dem Wei-teressen, bis sie wiederkam, was ihr sichtlich schmei-chelte. – Das reichliche Essen wurde mit Flußwasserbefeuchtet. Der Inhalt der Feldflasche war längst ver-braucht.

Dann überfiel mich eine schwere Müdigkeit. Ich tau-melte nach den aufgehäuften Fellen und warf michdort sofort nieder. Ich war bereits halb eingeschlafen,als ich Lorenzo gute Wache empfahl, und ihm nahe-legte, mich drei Stunden später wieder zu wecken. Ichwollte mich natürlich mit den beiden Kameraden in die

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Wache teilen. Aus den drei Stunden wurden aber min-destens sechs. Als ich Lorenzo darüber zur Rede stellte,behauptete er, sich vor drei Stunden alle Mühe gege-ben zu haben, mich aus meinem todähnlichen Schlafein die Wirklichkeit zurückzurufen. Ich hätte aber aufnichts reagiert und so hätte denn Aitoka auch meineWache mit übernommen.

Die Indianerin braute in einem Kessel eine duften-de Schokolade, die Lieblingsnahrung der Indianer dertropischen Zone. Wie sie in den Besitz derselben ge-kommen war, konnte ich nicht erfahren. Ich machtemir auch wirklich keine Gedanken darüber, sondernverzehrte das eigenartige Mahl, – es gab zur Schoko-lade kaltes Fleisch und Bananen, – mit gutem Appetit.Bevor noch die ersten Dämmerungsstreifen am Hori-zont erschienen, trieb uns Aitoka zum Aufbruch. Nochlag der Wald im tiefen Schlafe. Tautropfen hingen wiedicke Glasperlen an den Zweigen und vom Flusse herwehte ein sehr frischer Wind, der uns vor Kälte zit-tern machte. Solange wir uns im Schutze der Mauernbefanden, konnten wir uns noch unterhalten. Haupt-sächlich drehte sich unser Gespräch um den vor unsliegenden Weg und um das Verhalten bei einem Zu-sammentreffen mit Indianern. Die Soldaten, vor denenLorenzo eine gewisse Scheu an den Tag legte, beunru-higten mich nicht im geringsten. Mit denen wollte ichschon fertig werden. Ich verstand es, mein Deutschtum

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in der Fremde zur Geltung zu bringen und es vor allenDingen auch respektieren zu lassen.

»Wie verhalten wir uns aber, wenn Indianer uns inden Weg laufen?« erkundigte sich Lorenzo.

»Dann muß Aitoka uns raten. Sie kennt die Stäm-me und weiß, ob wir Freund oder Feind gegenüberste-hen.«

»Freunde werden wir verdammt wenige unter denRothäuten haben,« meinte Lorenzo. »Die beiden Indi-viduen, die uns zu diesem genußreichen Ausflug ver-holfen haben, vielleicht ausgenommen. Selbst Euer Be-kannter, der Cirino, hat sich entfernt, ohne auch nurGrüß Gott zu sagen. – Warum ächzt Ihr denn fortwäh-rend, Don Fernando. Habt Ihr Schmerzen?«

»Ja, hier der Oberschenkel schmerzt empfindlich. Ichglaube sogar, er ist geschwollen. Ob ich gestern dochetwas aus der Donnerbüchse abbekommen habe?«

»Mann, das sagt Ihr erst jetzt? Das hätten wir dochschon gestern abend untersuchen müssen. Wenn nuneine Kugel oder ein Stück Eisen in der Wunde steckt?«

»Bevor es nicht hell wird, läßt sich da nichts machen,Lorenzo. Es war leichtsinnig von mir, die Wunde nichtzu beachten, aber ich hatte sie tatsächlich über der Mü-digkeit vergessen. – Aber jetzt Ruhe! Seht, die Indiane-rin legt den Finger auf den Mund und deutet auf denBoden.«

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Der harte Waldboden war inzwischen einer sumpfi-gen Landschaft gewichen. Hochstämmige Wasserpflan-zen und langes Schilfrohr mahnten zur Vorsicht. Be-vor Aitoka sich in dieses Gelände wagte, ließ sie unsbis an ihre Seite reiten. Sie nahm mein Pferd wie-der am Kopfe, warf einen prüfenden Blick auf die sichim wachsenden Dämmerlicht rot färbenden Gipfel dermajestätischen Baumriesen am Flusse, und schärfteauch Lorenzo durch Gebärden ein, gut auf den Bodenzu achten.

Die Mahnung war nicht überflüssig. Selbst die Pfer-de tasteten lange mit den Vorderhufen, bevor sie sichentschlossen, den nur sehr schmalen Streifen festenBodens zu betreten, der anscheinend die einzige Mög-lichkeit bot, sich in dem Sumpfe fortzubewegen. Undauch diese Rippe schaukelte unter unseren Tritten, dieuns von Minute zu Minute braunes Sumpfwasser überdie Glieder warfen. Bald waren wir von hohen Schilf-stengeln umgeben und kein Beobachter hätte uns hierentdecken können. Aber je weiter wir in diesen Sumpfeindrangen, desto mehr setzten uns die Moskitos undStechmücken zu. Dichte Wolken der gefürchteten Blut-sauger fielen über uns her, als wir dann in einen Teildes Sumpfes gerieten, in dem uns der vom Boden auf-steigende Modergeruch fast den Atem raubte. Gera-de an dieser Stelle hielt die Indianerin, die trotz ihrermangelhaften Bekleidung nichts von den Stichen der

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Plagegeister zu spüren schien, die Pferde an. Sie deu-tete auf einen tiefschwarzen Wassertümpel, auf dender erste Sonnenstrahl einen blutigen Schimmer gelegthatte, und sagte nur das eine Wort »Yacaré«!

»Das hat uns noch gefehlt!« rief ich aus. »Gerade hiermuß es Krokodile geben, wo die Moskitos jedes ruhigeZielen zur Unmöglichkeit werden lassen! Was machenwir nun?«

Die Frage galt der Indianerin, um deren Lippen einLächeln spielte. Lorenzo antwortete an ihrer Statt:

»Durch müssen wir, Don Fernando. Treffen wir einesolche Bestie auf unserm Wege, dann gebt ihm eineKugel . . . «

»Und wenn ich sie fehle? Bei der Mückenplage istdas gar nicht so unmöglich!«

»Hm! Ihr dürft eben nicht fehlen . . . Und schließ-lich ist es einerlei, ob uns diese verdammten Mückenfressen oder die Yacarés. Wenn wir noch ein paar Mi-nuten hier stehen bleiben, begehe ich Selbstmord! . . .Vorwärts, Aitoka!«

Der Ruf begleitete die bezeichnende Geste, aber dasWeib verneinte nur:

»Yacaré . . . Don Fernando . . . buum!« sagte sie undzeigte auf einen dunklen Haufen, der etwa fünfzig Me-ter vor uns auf der braunen Rippe lag.

»Herr des Himmels! Da liegt ja ein halbes Dutzendder Reptile gemütlich vor uns!« rief ich, nachdem ichden Weg abgesucht hatte. »Nun heißt es Glück haben.

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Wenn ich nur einen tödlich treffe, hoffe ich, uns für einpaar Minuten freie Bahn zu schaffen!«

Ich hob die Büchse. Lorenzo aber fiel mir in den Arm.»Halt, Don Fernando! Wenn wir uns hier auch den Wegfrei machen, wie wird es nachher? Wenn wir vor undhinter uns die Bestien haben, dann sind wir erst rechtin der Falle.«

Ich konnte mich den Gründen nicht verschließen.Unter Zuhilfenahme der Zeichensprache richtete ichdiese Frage an die Indianerin, die rasch begriff. Auf ih-re verneinende Antwort hin glitt ich vom Pferde. Beina-he wäre ich bei der Gelegenheit in der braunen Brüheverunglückt, denn ich rutschte aus und fuhr mit demrechten Bein bis ans Knie in den Morast. Zum Glück er-wischte ich noch ein Hinterbein des Gaules und konn-te mich so wieder auf den Grat hinauf schwingen. –Neben Aitoka stand ein blattloser, knorriger Weiden-stamm. Auf dessen Ast legte ich die Büchse auf undzielte auf einen weißen Punkt, der sich mir als Ziel dar-bot. Traf ich gut, dann war ein Yacaré erledigt, dennzwischen Brust und Beinansatz kann die Kugel in denKörper eindringen. – Mehrmals mußte ich absetzen,um mir die Myriaden von Blutsaugern aus Nase undAugen zu wischen. Endlich glaubte ich es wagen zukönnen. Mit dem Schuß hob sich das Krokodil steil indie Höhe, schnappte mit dem furchtbaren Rachen undfiel klatschend in den Sumpf, die ganze strupige Ge-sellschaft mit sich reißend.

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»Bravo, Don Fernando!« lobte Lorenzo und auch Ai-toka betrachtete mich mit scheuer Bewunderung. »Istder Weg jetzt frei?« fragte er die Frau, die verneinteund noch zwei Finger hob.

»Was? Noch, zwei soll ich schießen?« mimte ich.Auf ihr bejahendes Zeichen suchte ich mir jetzt im

Sumpfe ein Ziel. Aber nur ein einziger Kopf kam em-por und dieser blieb nicht lange genug über Wasser,um ihn sicher zu treffen. Vorsichtig machte ich ein paarSchritte gegen den Tümpel, aber gleich war die India-nerin hinter mir und zog mich zurück. Sie ahmte nunden Schrei eines jungen Schweines nach. Sofort tauch-ten ein paar lange Köpfe empor und ruderten gegenden Grat. Ein alter Herr setzte sogar die Vorderbeineauf den Rand. Zu seinem Verderben! Auf die Entfer-nung konnte ich gar nicht fehlen. Unter denselben Er-scheinungen wie sein Vorgänger sank auch dieses Rep-til in das nasse Grab. Die Indianerin hob den Fingerund schrie nochmals. Diesmal fand sie weniger Gegen-liebe. Nur zwei Krokodile streckten die Köpfe aus demWasser. Sie ließen sich auch nicht zum Näherkommenbewegen, als die Frau das Geschrei fortsetzte. Ich ziel-te zum drittenmale. Ob ich das Tier zu Tode verwundethatte, konnte ich nicht feststellen. Aus dem Tumult, deraber jetzt da unten entstand, schloß ich, daß auch die-ses Yacaré einen Denkzettel erhalten hatte.

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Aitoka streichelte mir vor Freude die Wange und ludmich ein, wieder aufzusitzen. Da mir das aber, einge-denk des Unfalles beim Absitzen, zu gewagt erschien,setzte ich mich an die Spitze des Zuges. – Davon aberwollte sie wiederum nichts wissen. Sie schob mich bei-seite, drückte mir die Trense in die Hand und winkteuns zu folgen. Im halben Laufschritt ging es nun durchdie gefährdete Sumpfpartie und da die Moskitos ausunsern Gesichtern schon ziemlich unförmige Klumpengeformt hatten, ließen sie uns fernerhin in Ruhe. Wirwaren wohl ausgesogen.

Endlich fühlten wir wieder festen Boden unter denFüßen. Hochstämmiger Wald nahm uns auf. Wir sa-hen in der Ferne die rasch fließenden Wasser des RioParaguay und vernahmen das Stoßen eines stromaufkeuchenden Dampfbootes.

»Gott Lob, daß wir es überstanden haben!« rief Lo-renzo aus vollster Brust. »Nun kann die Stadt dochnicht mehr fern sein!«

»Woraus schließest du das?«»Hm – ja. Ich meine es . . . so muß es doch sein!«Aber wir mußten noch einmal im Freien abkochen,

bevor wir in weiter Ferne den Kirchturm des Städt-chens entdeckten. Und dann begannen neue Schwie-rigkeiten.

Kurz nach unserm Aufbruch machte der Wald einerSteppe Platz, die uns keinerlei Deckung bot. Die In-dianerin versuchte auch im Schutze des Waldes an das

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schilfreiche Flußufer zu gehen. Dem widersetzte sichaber Lorenzo, der, wie gesagt, schon von einer Anhöheden Kirchturm der Stadt gesehen hatte:

»Mit den Pferden sind wir in einer Stunde da,« riefer. »Warum machen wir den Umweg? Hier tut uns keinMensch etwas zuleide.«

»Aber die Indianerin will nicht auf dem direktenWege zur Stadt gehen,« antwortete ich. »Wir müssenRücksicht auf sie nehmen, um so mehr, als sie uns ih-re vielleicht schwerwiegenden Bedenken nicht sagenkann.«

»Ach was. Das Weib mag nur nicht am hellen Tagein ihrer Tropenkleidung, oder wie sie das einzige Klei-dungsstück, den Bastgürtel, sonst nennen will, in dieStadt gehen. Darauf brauchen wir doch keine Rück-sicht zu nehmen.«

»Gewiß müssen wir das, Lorenzo. Ich habe noch garnicht daran gedacht, daß Aitoka ja keine Kleider hat.In dem Zustande darf sie sich auch gar nicht in derStadt sehen lassen. Sie würde sofort verhaftet werden.Komm, folgen wir der Frau.«

»Nein, Don Fernando, das hieße Gott versuchen. Erhat uns bis hierher geführt und nun soll ich mit derStadt vor Augen nochmal in die Wildnis? Das könntIhr nicht verlangen.«

Ich sah ein, daß keine Ueberredung ihn zurückhal-ten würde. Darum gab ich es auf, weiter in ihn zu drin-gen. »So gehe mit Gott, Lorenzo. Wenn du zur Stadt

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kommst, kaufe bei dem nächsten Händler ein Indianer-hemd und bringe oder sende es mit dem Pferde hier-her. Wir erwarten dich hier oder doch in der Nähe. Inhöchstens drei Stunden, also lange vor Dunkelwerden,kannst du wieder zurück sein.«

Er sah mich verblüfft an, als ich so mit ihm sprachund antwortete: »Ihr kommt doch mit, Don Fernando?Die Indianerin kann ja nachkommen, wenn es dunkelist . . . «

»Schäme dich, Lorenzo. Dankst du dem Weibe so ih-re Aufopferung? Was wäre aus dir geworden, wennWako und Aitoka dich nicht unter ihren Schutz genom-men hätten?«

»Mag sein! Aber ich will ja auch wiederkommen, nurlaßt mich jetzt in die Stadt. Ich muß heraus aus diesemwilden Busch, sonst werde ich verrückt!«

»So reite doch! Ich halte dich nicht. Wenn du abernoch einen Funken Dankbarkeitsgefühl hast, dann sen-de mir das Kleid für das arme Weib – und zwar je eher,je besser.«

Mit diesen Worten gab ich meinem Pferde einenleichten Schlag und galoppierte hinter Aitoka her, dieeben den Schilfsaum des Ufers erreichte. – Sie emp-fing mich mit erstaunten Blicken. Als ich ihr begreiflichmachte, daß Lorenzo uns verlassen hatte, geriet sie inAufregung.

»Soldaten – Botokuden!« rief sie und stieß einen gel-lenden Ruf aus.

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Aber Lorenzo hatte seine Ungeduld nicht mehr zü-geln können. Er jagte quer durch die Steppe und schonnach wenigen Minuten war er in einer Geländefalteuntergetaucht.

Als Aitoka sah, daß Lorenzo auf ihren Ruf nicht mehrhörte, ergoß sich ein Wortschwall über mein Haupt,aus dem ich nur entnehmen konnte, daß sich auf un-serm Wege Botokuden oder Soldaten, vielleicht auchbeide, aufhielten. Ich bemühte mich ihr begreiflich zumachen, daß Lorenzo nur zur Stadt geritten sei, um ei-nes der behördlich vorgeschriebenen langen Hemdenoder Kittel für sie zu holen. Die dabei angewandtenPantomimen und Gesten wirkten aber so drollig, daßwir am Ende alle beide zu lachen anfingen.

Eine Stunde lang wanderten wir am Rande desSchilfbruches langsam nordwärts. Von Zeit zu Zeit truguns der südliche Wind dumpfe Töne zu, aus denen ichschloß, daß man am Galban noch im Kampfe lag. Aberauch vom Flusse her störte uns ein Geräusch, über daswir uns beide nicht schlüssig werden konnten. Aitokalegte öfters die Finger auf den Mund, zog mich tieferin das Schilf und verschwand dann auf einige Minu-ten. Sie mußte aber wohl keine Gefahr sehen, dennstets trug sie bei ihrer Rückkehr die gleich heitere Mie-ne zur Schau.

Plötzlich schnaubte mein Pferd, spitzte die Ohrenund versuchte die Steppe zu gewinnen. Wie ein Wie-sel lief Aitoka an dem nächsten Stamm empor, schaute

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eine Weile rings um sich und kam dann wieder an mei-ne Seite. Auf meinen fragenden Blick antwortete sielakonisch:

»Lorenzo!« Der Finger deutete in die Steppe.»Wie? Schon zurück?« rief ich, gestand mir aber in

der nächsten Sekunde, daß das unmöglich war. Sorasch konnte er noch nicht in der Stadt gewesen sein.Ein ganz besonderer Grund mußte ihn zur Rückkehrbewogen haben.

Ich blieb nicht lange im Unklaren, wir sahen ihn ingestrecktem Galopp über die Steppe daherjagen. Im-mer mehr trieb er das Pferd an . . .

Da stieß die Indianerin wiederum den gellenden Rufaus. Diesmal erreichte sie ihren Zweck. Aber nicht Lo-renzo, sondern das Pferd hatte die bekannten Lau-te vernommen und ließ sich jetzt nicht mehr halten.Im rechten Winkel bog es, trotz des Protestes seinesReiters, ab und bald entdeckte auch Lorenzo unsernStandort. Halbtot vor Aufregung sprang er ins Grasund stieß die Worte hervor:

»Soldaten! Sie kommen hierher – fort!«»Und deshalb reitest du das arme Tier zu Tode?«

fragte ich den keuchend im Grase Liegenden. »Die Sol-daten haben wir doch nicht zu fürchten.«

»Ich doch! Laßt uns fliehen. Eilt Euch . . . «Die Worte waren von so flehenden Blicken begleitet,

daß ich ihm zustimmte. Erst sollte er sich aber aus-ruhen, denn in dem Zustande, in dem er sich befand,

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hätte er keinen noch so kurzen Ritt mehr ausgehalten.Er sah das auch selbst ein, bat mich aber, scharf überdie Steppe zu spähen und beim ersten Auftauchen derSoldaten mit ihm in das hohe Gras zu fliehen.

Die Indianerin kam von einem ihrer Erkundungsgän-ge ins Schilf mit einer geheimnisvoll geflüsterten Mel-dung zurück, von der wir aber kein Wort verstanden.Nur schlossen wir aus der Art ihrer Mitteilung, daß wirjedes Geräusch vermeiden mußten. Wir hörten auchöfter ein Krachen und Knacken in dem Schilfbruch, dasuns zu größter Vorsicht mahnte. Keines von uns rührteein Glied, sogar der Atem wurde in solchen Momentenangehalten.

Leider unterließen wir eine dringend notwendigeMaßregel. Wir vergaßen unsere Pferde. Sie wurdenzum Verräter, denn der große Braune stieß geräusch-voll die Luft durch die Nüstern, und als Aitoka diesverhindern wollte, war es schon zu spät. Die Schilfroh-re wurden auseinandergebogen und dem Laufe einesGewehres folgte ein brauner Kopf, den ein Käppi krön-te . . .

»Ah, caramba!« stieß er überrascht hervor, als er mei-ner ansichtig wurde. Denn kaum hatte ich die Bewe-gungen des Schilfs richtig erkannt, da stand ich auchschon mit der Büchse im Anschlag neben dem Pferde.Ich rief ihn an.

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»Adelante, muchacho! Komm nur heraus aus deinemVersteck. Hier sind weiße Männer, Fremde, die du nichtzu fürchten brauchst.«

Der Bursche traute jedoch der Einladung nicht. Erstieß einen eigentümlichen Ruf aus, der von verschie-denen Seiten beantwortet wurde und in wenigen Mi-nuten bekam der Rohrbruch Leben. – Vor und nebenuns sammelten sich sechs Regierungssoldaten, die voneinem Erstaunen ins andere fielen, als ich sie freund-lichst aufforderte, ihre Gewehre zusammenzustellenund mir auf einige Fragen Antwort zu geben. Bis aufzwei schienen sie auch meinen Wünschen nachkom-men zu wollen, denn wo wäre der südamerikanischeKrieger, der nicht jede Gelegenheit benutzt, um sichvom Dienst zu drücken. Die beiden aber, die dem Ab-zeichen nach einen höheren Grad besaßen, behieltendas Gewehr schußbereit in der Hand. – Das wollte ichnicht dulden.

»Nun, wollt ihr meinem Befehle nicht folgen?« frag-te ich sie und bemühte mich eine strenge Miene auf-zusetzen. »Wißt ihr nicht, daß ich ein Deutscher bin,der unter dem Schutze eures Präsidenten reist? Legtdie Gewehre beiseite!«

Die beiden Helden mochten nun doch wohl fürch-ten, eine Dummheit zu begehen, wenn sie dem energi-schen Weißen nicht gehorchten. Sie sahen sich fragendin die Augen. Erst auf eine wiederholte Mahnung stell-ten auch sie die Gewehre an einen Baum.

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Ich begann sie auszufragen, wobei ich immer den»Herrn« herauskehrte:

»Hat euer Kommandant euch nicht gesagt, daß ichmit meinen Leuten auf dem Wege nach Confluencia aufmilitärische Bedeckung warte? Oder sollt ihr euch beimir melden?«

Jetzt endlich taute der Chargierte auf. Er stellte sichmilitärisch stramm vor mich hin und erwiderte:

»Wir sind Kundschafter, General. Unser Kapitän Gar-ros hat uns nichts davon gesagt, daß wir einen deut-schen General abholen sollen.«

»Dann ist mein Bote direkt nach Confluencia gegan-gen. Dort kommandiert doch General Pereira?«

Ich hatte den Namen in Asuncion nennen hören undbenutzte jetzt diese Kenntnis, um uns, besonders Lo-renzo, aus der Schlinge zu ziehen. Der Unteroffizierantwortete:

»Nein, General. In der Stadt hat General Maturinden Oberbefehl übernommen. Er kam vor drei Tagenan.«

»Ah, daher die Verspätung! Jetzt hört Sergeant!Mein ganzes Gepäck ist unterwegs von Santa Rosalia. . . «

»Dann wird es verloren sein,« unterbrach er mich eif-rig. »Bei Santa Rosalia haben die Indianer eine Kompa-nie angegriffen. Dort wird noch gekämpft.«

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»Das weiß ich. Wir mußten vor den Rothäuten flie-hen. Wenn meine Dienerin Aitoka nicht gewesen wä-re, hätte man uns auch längst ermordet . . . Aber hört.Sendet einen Mann mit einem Zettel von mir zu Eu-erm Kapitän und verlangt von ihm einen Indianerkitteloder einen Anzug, damit ich mit meiner Dienerin nochheute in die Stadt reiten kann.«

Ich nahm aus meinem Taschenbuch ein Blatt undschrieb das Gewünschte auf. Dann fuhr ich fort:

»Hier ist der Zettel und hier sind zwei Fünfpeso-scheine. Einer ist für den Boten und der andere für dasKleidungsstück. Wenn der Bote in einer halben Stundewieder hier ist, gebe ich nochmals fünf Pesos. – Ver-standen?«

»Sehr wohl, General. Ich werde selbst gehen,« sagtenun der Unteroffizier, während sich seine Soldaten mitgierigen Augen um ihn drängten und leise, aber de-sto eifriger auf ihn einsprachen. Der Unteroffizier griffsein Gewehr auf und sprang hastig davon. Ihm nachdie ganze Gesellschaft.

Als sich das Schilf hinter den Soldaten geschlos-sen hatte, mußte ich herzhaft lachen. Lorenzo blicktescheu zu mir auf:

»Ihr seid General, Don Fernando?« fragte er ehrer-bietig.

»So wenig wie du, Lorenzo,« gab ich lachend zurück.»Aber Ihr habt es doch dem Kapitän aufgeschrie-

ben!«

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»Allerdings. Aber erstens zweifle ich, ob der Kapitänüberhaupt lesen kann und zweitens wird er den Zet-tel nie erhalten. Schon wegen der fünf Pesos für dasKleid.«

»Dann bekommt Aitoka keinen Indianerkittel?«»Gewiß! Aber nicht durch den Kapitän. Das Geschäft

macht der Unteroffizier für eigene Rechnung. EinenDrillichanzug wird er schon auftreiben und wenn erihn stehlen müßte.«

Meine Prophezeiung traf ein. Der Unteroffizier kehr-te allein zurück. Er brachte ein Beinkleid und einenRock aus Leinen – beides für einen Mann bestimmt.Mit der geringschätzenden Gebärde, mit der der Sol-dat die Rothäute zu behandeln pflegt, warf er Aitokadie Kleidungsstücke in den Schoß und sagte ihr in ih-rer Sprache, daß sie sich ankleiden solle, sonst dürfesie nicht in die Stadt. Vor mich hintretend, sagte erdarauf:

»Mein Kapitän kann leider nicht selbst kommen. Ichdarf aber den Herrn General bis auf die Straße beglei-ten . . . «

Da das aber nicht in meinem Interesse lag, dankteich ihm, bat ihn aber, uns den nächsten Weg zu zeigenund legte bei der Gelegenheit einen weiteren Fünfpe-soschein in seine Hand. Unter vielen Dankesbezeigun-gen führte er uns auch durch die Vorpostenkette hin-durch und nahm dann militärisch Abschied.

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»So, jetzt sind wir gerettet!« rief ich erleichtert aus,als ich mich auf den Rücken des Pferdes schwang. Nunkomm, Aitoka, setze dich hinter mich und dann Ga-lopp.«

Die Indianerin nahm sich in dem Anzuge gut aus.Die uns auf der Straße begegnenden Reiter nahmenkaum Notiz von ihr. Als die Sonne sich hinter den Bäu-men des Chaco versteckte, ritten wir in die Stadt Con-fluencia ein. Bald war auch das Haus des Don Emi-lio gefunden, wo wir mit größtem Erstaunen, aberauch freundlich aufgenommen wurden. Der alte Mannkonnte es gar nicht fassen, daß wir ungefährdet vomGalban heraufgekommen waren. Er sagte:

»Gestern war ein Matrose hier, der Ihr Gepäck ab-liefern sollte. Er glaubte, Sie seien von den aufständi-schen Indianern ermordet worden und verlangte zehnPesos von mir, die ich ihm gab. Heute früh nun begehr-te er auch Ihre Reisesäcke . . . aber ich bin überzeugt,daß ihm meine Antwort alle Erbschaftsgelüste für alleZeiten vertrieben hat.«

In Don Emilio fand ich einen Landsmann, der schonlange in Paraguay ansässig war und viel von den Rei-bereien zwischen Indianern und Weißen zu erzählenwußte. So heftig, wie gerade jetzt, seien aber die bei-den Rassen noch nie aufeinandergeplatzt.

»Den armen Indianern reißt schließlich die Geduld,wenn sie fast alle Jahre von ihren kaum errichteten

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Dörfern wieder verjagt werden. Kann man ihnen dasverdenken?«

Als ich fünf Tage später meine Reise fortsetzen woll-te, kam Wako bei Nacht auf den Hof und wurde eben-so liebevoll aufgenommen, als ich. Von ihm erfuhr ich,daß Cirino am Rio Galban gefallen war. Am folgendenAbend überschritt ich die brasilianische Grenze.