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Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal 1946-1996 Festschrift

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Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal1946-1996

Festschrift

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Die Wuppertaler Rudolf-Steiner-Schule freut sich in die-sen Tagen nicht nur über die Einweihung ihres neuenSaales, sondern sie feiert auch ein besonderes Jubiläum:ihr fünfzigjähriges Bestehen. Sie ist damit die erste nachdem zweiten Weltkrieg in Nordrhein-Westfalen gegrün-dete Waldorfschule, die auf ein halbes Jahrhundert er-folgreichen Wirkens zurückblicken kann. Ich freue michdarüber und sage gerne einige Grußworte. Zunächst abergratuliere ich ganz herzlich.

Wir haben bei uns in Nordrhein-Westfalen ein differen-ziertes Schulwesen, das sich an den Grundsätzen für dieErziehung orientiert, wie sie in unserer Landesverfassungin Artikel 7 festgelegt wurden. Nicht Uniformität,sondern Vielfalt prägt die Schullandschaft. Dazu gehörtganz selbstverständlich, daß die Privatschulen inNordrhein-Westfalen ein gutes Klima vorfinden. Das giltauch für die Waldorfschulen, deren Zahl in den letztenJahren stetig angewachsen ist. In der Bundesrepublik gibtes zur Zeit hundertachtzig Waldorfschulen, in Nordrhein-Westfalen sind es einunddreißig. Weltweit wird daspädagogische Modell Rudolf Steiners in ca. zweitausendInstitutionen im Bereich Kindergarten, Schule, Hochschu-le und Behindertenpädagogik umgesetzt. Diese Zahlenmachen deutlich, daß die Waldorfschulbewegung seit ih-rer Gründung im Jahre 1919 eine erfolgreicheEntwicklung genommen hat.

Freie, vom Staat unabhängige Schulen gehören zu einerfreien Gesellschaft. In diesem Sinne erfüllen die Waldorf-schulen eine wichtige Aufgabe. Sie stehen in fruchtbarerKonkurrenz zu den öffentlichen Schulen und sind eineFacette, die unser Schulsystem bereichert und stimuliert.

Mit diesen Gedanken wünsche ich der WuppertalerRudolf-Steiner-Schule alles Gute für eine weiterhinerfolgreiche Zukunft.

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Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen

Die Jugend erziehenHeißt im Stoffe den Geist,

Heißt im Heute das Morgen,Heißt im Erdenleben

Das Geistessein pflegen.

Rudolf Steiner

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Waldorfpädagogik kann nur verwirklicht werdenim steten Bemühen um die Menschenerkenntnis,wie sie von Rudolf Steiner angeregt worden ist.Immer wieder muß dabei das Zusammenwirkenvon Eltern, Lehrern und Schülern neu gestaltetwerden. Wir, die heutigen Lehrer der Rudolf-Stei-ner-Schule Wuppertal, blicken mit Dankbarkeitauf das hin, was in den vergangenen Jahrzehntenäußerlich und innerlich als Schulgestalt entstan-den ist. Bewußt möchten wir uns in diesen Stromvon Handlungen und Erfahrungen der Vergan-genheit und Gegenwart stellen und aus ihm An-regungen erhalten, die uns helfen, die vielfältigenAufgaben der Zukunft zu ergreifen.

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Anläßlich des 50-jährigen Jubiläums und einer bedeuten-den Schulbiographie ist es angemessen, sich auf die heuti-gen Aufgaben der Schule zu besinnen. Als 1946 die Wup-pertaler Rudolf-Steiner-Schule gegründet wurde, ging esnach den dunklen Jahren der deutschen Geschichte um einegeistige und moralische Erneuerung. Geschehenes konntenicht getilgt werden; die zurückliegenden Jahre hatten aberden Blick für die Erziehungsaufgaben geschärft. Und Be-wußtsein für das im tieferen Sinne Zeitgemäße war ein be-sonderes Kennzeichen beim Aufbau und der Entwicklungder Wuppertaler Rudolf-Steiner-Schule. Kollegen der Wup-pertaler Schule verdankt die deutsche Waldorfschulbewe-gung wesentliche Beiträge in ihrer äußeren und innerenEntwicklung, besonders im Hinblick auf die rechtliche Stel-lung der Waldorfschulen und in der Erschließung neuer Di-mensionen einzelner Unterrichtsgebiete. Hier sei vor alleman die Arbeiten von Erika Dühnfort und Wilhelm Rautheerinnert.Seit dem Beginn vor 50 Jahren hat sich auf allen Lebens-gebieten ein Wandel vollzogen, der viel radikaler ist, alsman erwarten konnte. Damals galt Schule ganz allgemeinals eine Institution, an die sich große Hoffnungen knüpf-ten. Heute geben nicht wenige der Schule nur noch einegeringe Chance gegenüber der massiven Beeinflussung derkindlichen Entwicklung durch die Medien. Das Wort vomEnde der Erziehung beschreibt die zunehmende Wirkungs-losigkeit einer traditionsverhafteten Praxis; es übersiehtaber, daß im generellen Traditionsverfall der Gegenwart ei-ner Einrichtung wie der Schule neue Aufgaben zugewach-sen sind.Die wohl bedeutendste Veränderung der Gegenwart wirdin der Soziologie als Individualisierung beschrieben. Nochweit bis in unser Jahrhundert war der Mensch von tradi-

tionellen Lebensformen getragen – von der Familie, von ge-sicherter Arbeit, von der Einbindung in natürliche und kul-turelle Lebensrhythmen. Das alles löst sich auf. Der Menschverliert die traditionellen Sicherheiten. Das ist ein notwen-diger Prozeß. Denn der Mensch kann nur dann zu einerhöheren Stufe geistiger Selbständigkeit kommen, wenn eraus sich selbst erringt, was ihm bisher aus den Quellen ei-ner bedeutenden Tradition zugekommen ist. Dieser Schritt,durch den der Mensch zur freien Individualität werden kann,ist aber unabgesichert; manche Phänomene weisen daraufhin, daß der Traditionszerfall in Orientierungslosigkeit undeine neue Form der Kulturlosigkeit und Barbarei einmün-det. Er kann nur gelingen, wenn sich durch Erziehung imjungen Menschen Kräfte entwickeln, die den Keim zur In-dividualität in sich tragen.Dieser Keim muß sich besonders in drei verschiedenen Be-reichen aus den inneren Anlagen des heranwachsendenMenschen bilden. Das eigene persönliche Wesen des Men-schen liegt in jenen Kräften, die aus der Tiefe des Innerenaufsteigen, in den Gefühlen und im Willen. Deshalb sind inder Schule heute besonders jene Gebiete zu pflegen, durchdie sich im heranwachsenden Menschen Gemüt und Willeentwickeln können. Wenn Kinder im Unterricht angeregtwerden, die Erscheinungen der Natur, die Sprache, Werkeder Kunst ästhetisch aufzufassen, wird ihr fühlendes Erle-ben regsamer, reicher und tiefer. Die tieferen Schichten derSeele entfalten sich. Und wenn Kinder und Jugendlicheübend die Fähigkeit ausbilden, künstlerisch zu gestalten,wird durch das Tun Geistiges sichtbar. Der junge Menschkommt zu sinnerfülltem Lernen, denn sein Wille wird ausgeistigen Quellen tätig. Künstlerisches Üben, das von Kli-schees frei ist, ist ein Weg zur Individualität, die Geistigesin das Leben hineingestaltet. Das kann später auf den un-

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Grußwort vom Bund der Freien WaldorfschulenErnst-Michael Kranich

terschiedlichsten Lebensfeldern geschehen: im Gebiet desSozialen, der Pädagogik, der Kunst, im Umgang mit der Na-tur usw. – Eine Schule, die vorwiegend Wissen vermittelt,das den jungen Menschen nicht innerlich ergreift, ist un-zeitgemäß geworden. Sie überläßt die Schüler den bana-len und inferioren Einflüssen der technischen Zivilisation;an ihnen müssen sie befriedigen, was in der Schule leer aus-gegangen ist – das fühlende Erleben und das Wollen. Dasbedeutet vielfach ein Abgleiten in den Abgrund des Sinn-losen.

Produktive Kräfte werden heute auch auf anderen Gebie-ten gefordert. An den ökologischen Problemen ist bewußtgeworden, daß die bisherige Naturinterpretation wesent-liche Dimensionen der Welt ausgeblendet hat – alle Qua-litäten, das Gestalthafte und Physignomische. Diese Berei-che sind heute zu erschließen, und zwar schon in der Schu-le. Der junge Mensch dringt in sie ein, wenn er z.B. lernt,im Betrachten lebendiger Gestalten deren Bildungsgeset-ze innerlich nachzuvollziehen. Er kommt im Anschauen derNatur “zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen”(Goethe). Dabei lebt dann im Innern des Menschen etwasvom Wesen der Dinge auf. Dies ist ein wichtiger Schritt aufdem Weg zur Individualität: der enge Raum des Nur-Per-sönlichen bricht auf, indem der junge Mensch sich mit demWesen der Dinge vereinigt und die Dinge versteht, weil ersie nun von innen kennt. Wissen ohne Verstehen bleibt demMenschen innerlich fremd; es läßt ihn unbeteiligt vor derWelt stehen. Ein derartiges Wissen unterdrückt in den Kin-dern und Jugendlichen die Entwicklung zur Individualität.Im Verstehen aus den produktiven Kräften heraus werdenfür die Schüler die Erscheinungen der Welt transparent.Geistiges wird in der Welt erfahrbar. Die Erscheinungen wer-den zur Offenbarung des in ihnen tätigen Geistes. Erwei-terung der Erfahrung in den Bereich des Imaginativenkommt der inneren Sehnsucht nach Spiritualität jugendli-cher Menschen entgegen. Eine Schule, die nur materielleTatsachen und Modellvorstellungen vermittelt, drängt Ju-

gendliche mit ihrer Sehnsucht ins Abseits von Sekten undtrübem Okkultismus.

Die vielleicht größte Aufgabe der Schule liegt heute im Be-reich des Sittlichen. Die sittlichen Normen der christlichenTradition haben ihre Orientierungskraft weitgehend schonverloren. Im moralischen Vakuum leben zunehmend Ge-waltbereitschaft und Instinkte des Zerstörens und Vernich-tens auf. Das Moralische ist von innen neu aufzubauen. Zuden Bausteinen individueller Sittlichkeit gehören das Ver-stehen, in dem sich andere Wesen aussprechen, Vertiefungdes Gefühls zum Mitgefühl, persönliche Hinneigung zu denTugenden wie Wahrheitsliebe, Gerechtigkeit, Selbstlosig-keit usw. Der gesamte Unterricht kann seinen Brennpunktim Entzünden der moralischen Kräfte finden. Dann, wennder Mensch später schöpferisch am Leben und Werden sei-ner Umgebung mitwirkt, ist er wahrhaft Individualität.Schule muß heute ein Ort der Bildung sein. Bildung kannaber nicht mehr allein auf den in der Vergangenheit ent-standenen geistigen Gütern und Werten aufbauen. IhreAufgabe ist auf die Zukunft gerichtet und auf jene Kräfteund Fähigkeiten, durch die der Mensch die Zukunft als In-dividualität erringen kann. Bildung ist heute Erbildung desZukünftigen.

Die von der Gegenwart geforderte Intensivierung der päda-gogischen Bemühungen hat Bedingungen – vor allem einlebendiges, immer tiefer dringendes Verstehen des Men-schen und der Bedingungen seiner Entwicklung, wie es aufden von Rudolf Steiner erschlossenen Wegen anthroposo-phischer Menschenerkenntnis errungen werden kann.Das Motiv am Beginn der Wuppertaler Rudolf-Steiner-Schu-le – die geistige und moralische Erneuerung – gilt in denveränderten Lebensverhältnissen auch heute noch. Es istdringlicher geworden. Es ist eine Arbeit für den werdendenMenschen zu leisten, die aus fruchtbarem Zusammenwir-ken des einzelnen Lehrers und des ganzen Kollegiums mitder Elternschaft weiterhin gelingen möge.

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Wie Waldorfschule überhaupt sich vollzieht, hängt starkvon den Qualitäten der Bevölkerung in dem Raume ab, indem die Schule zu Hause ist. Das kann nicht anders sein,wenn der Hauptansatzpunkt der Waldorfpädagogik dieFähigkeiten, die bewußten und unbewußten Bedürfnisseder Kinder und der jungen Menschen sind, wie es RudolfSteiner immer wieder betont. In diesem Sinne hat jede Wal-dorfschule eine eigene innere und äußere Gestalt, die ausden menschlichen Gegebenheiten sich herleitet, aus denensie herauswächst. Das wird z.B. in einer kleinen Univer-sitätsstadt völlig anders sein als etwa in einer großen Ha-fen- und Handelsstadt.Wuppertal, insbesondere Barmen, wird durch seine Gewer-be bestimmt. Als diese sich im vorigen Jahrhundert stür-misch entwickelten, zogen sie einen Teil der Bauernbevöl-kerung aus Westfalen, Hessen, dem Siegerland in das Stadt-gebiet, das bis dahin aus einer Reihe von zusammen-wachsenden Dörfern bestand. Textilien und Eisen wurdenvorwiegend verarbeitet, zumeist in kleinen und mittlerenBetrieben. Diese waren patriarchalisch geführt; und die Ar-beiter blieben im Grunde Kleinbürger. Den “entwurzelten”Arbeiter gab es kaum. Der Handwerker, der Meister im Be-trieb, der Fabrikant bestimmten den Bevölkerungscharak-

ter. Technisch fortschrittliche Gesinnung und weltweite Ge-schäftsbeziehungen wogen die Gefahr puritanischer Engeauf. Pflicht und Leistung, aber auch Geldverdienen wurdengroß geschrieben. Die soziale Problematik, die sich darinzeigt, daß vor dem ersten Weltkriege Barmen die Stadt mitden relativ meisten Millionären in Preußen war, wurde durchdie Bewahrung des Persönlichkeitscharakters der Einzel-menschen, auch des Arbeiters, weitgehend verdeckt.Triebfeder der in die wirtschaftliche Produktion gehendenTätigkeit, des auf äußeren Fortschritt gerichteten Willenswar nun durchaus nicht nur eine materialistisch-kapitali-stische Gesinnung, sondern auch die calvinistisch-religiö-se Überzeugung, daß der Segen des wirtschaftlichen Erfol-ges denjenigen belohne, der im rechten Verhältnis zu Gottstehe. Der Wille, arbeitend auf der Erde zu wirken, ist nurTeil einer umfassenden Willenskultur, die religiös orientiertist. Und diese hat den Charakter des Wuppertalers schonseit langem entscheidend bestimmt. Immer wieder sind Per-sönlichkeiten aufgetreten, die in mystischer Vertiefung ei-gene übersinnliche Erfahrung suchten. Gleichgesinnteschlossen sich in pietistischen Zirkeln zusammen. Heutenoch gibt es zahlreiche Sekten. Diese sind durch klare phi-losophisch-religiöse Grundsätze voneinander getrennt. Die

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Aus einem Aufsatz von Wilhelm Rautheaus dem Jahre 1974

dort gepflegte intensive religiöse Übung zeigt sich nichtweltabgewandt; sie ist bestrebt, sich im Irdischen zu be-währen, was auch das calvinistische Ethos kennzeichnet.Nicht erstaunlich ist, daß sich in der Spannung zwischendem stark religiös tingierten Geistesleben und der tech-nisch-wirtschaftlichen Willensbetätigung eine Kultur desKünstlerischen, besonders des Musikalischen entwickelte.Vielfältige musikalische Betätigung gab und gibt es: denvom Harmonium begleiteten Choralgesang bei der mor-gendlichen Familienandacht, die Hausmusik, die zahlrei-chen Kirchenchöre und Gesangvereine, die Konzertchöre,die kleinen und größeren Instrumentalgruppen. So karg undverhalten der Wuppertaler in Gefühlsäußerungen ist, imMusikalischen läßt er die Seele frei strömen.Die geistige Haltung des Wuppertalers bietet keine schlech-te Grundlage für anthroposophische Arbeit. Es bildete sichauch schon früh ein Zweig der Anthroposophischen Ge-sellschaft in Elberfeld. Nach dem ersten Weltkriege be-gründeten jüngere Mitglieder den Barmer Zweig. Zahlen-mäßig umfassen die jetzigen Wuppertaler Zweige die größ-te Mitgliedergruppe in Nordrhein-Westfalen. Die geistigeArbeit in diesen Gruppen verläuft nicht traditionalistisch –was angesichts der Größe des Werkes von Rudolf Steiner

eine naheliegende Gefahr ist – sondern hat einen freien,weltzugewandten Charakter. Die jahrzehntelange anthro-posophische Arbeit am Orte bildet den geistigen Grund, aufdem der innere und äußere Bau der Wuppertaler Schule er-richtet werden konnte. Die direkte geistige Vorbereitungder Schulgründung begann während der Verbotszeit derAnthroposophischen Gesellschaft nach 1935 und intensi-vierte sich am Ende des Krieges. In kleinen Gruppen vonMenschen aus dem Gewerbeleben, von Künstlern, Pädago-gen wurden vorwiegend goetheanistische und philosophi-sche Themen bearbeitet; und bei Kriegsende konnten diepädagogische Arbeit und die organisatorische Vorbereitungder Schule aufgegriffen werden. Der Schulverein wurde ge-gründet, und weit über hundert Menschen aus der An-throposophischen Gesellschaft und ihrem Umkreis unter-stützten tätig die Schulgründung im Juni 1946.

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Die Schule wurde aus gänzlich anderen, ja bis zu einem ge-wissen Grade entgegengesetzten Ursprüngen in die Exi-stenz gerufen, als das heute und seit Jahrzehnten bei Wal-dorfschulen der Fall ist. Das wird mit aller Deutlichkeit er-kennbar, wenn man in alten Unterlagen blättert und liest.Glücklicherweise liegen die zwei allerersten Konferenz-Pro-tokollhefte vor (9. Mai 1946 bis 17. März 1948).

Schulgründung 1946Die geistigen Triebkräfte

Nicht von Eltern, die für ihre Kinder eine bessere, “alterna-tive” Pädagogik wünschten, kam der Anstoß; solche Elterngab es zunächst nur wenige unter den Menschen, die dieSchule “wollten”. Anderes war entscheidend. In Wuppertal(das damals noch aus den Städten Elberfeld und Barmenbestand) hatten die Gedanken der Anthroposophie frühWurzeln schlagen können. Zwischen 1907 und 1922 warRudolf Steiner insgesamt siebenmal zu Vorträgen in Elber-feld gewesen. Großenteils handelte es sich damals um Vor-träge für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft.Was in den frühen Jahren veranlagt wurde, lebte weiter –von 1933 an allerdings notgedrungen zunehmend unter-gründig. Es gab zum Beispiel vor dem großen Angriff aufBarmen (Mai 1943) eine anthroposophische Arbeitsgrup-pe, die sich – um den Charakter der Unverfänglichkeit zuwahren – mit Goethes Naturwissenschaft, besonders mitseiner Farbenlehre beschäftigte. Ein junger Gymnasialleh-rer, Wilhelm Rauthe, führte die Arbeit. Sechs bis sieben Men-schen kamen in der Freiligrathstraße, in der Wohnung derAnthroposophin Frau Alberts zusammen. Bei der allgemein

herrschenden Verdunkelung nahm der Arbeitskreis einesAbends vom Balkon aus einen Lichtschein wahr, der rühr-te her von einem Großangriff auf Essen. Angesichts des er-schütternden Eindrucks fielen die Worte: “Wenn dieser ganzeSpuk vorbei ist, gründen wir hier eine Waldorfschule.” –

Die Gruppe in der Freiligrathstraße war nicht die einzigeKeimzelle. In der Winchenbachstraße wohnte das EhepaarKrefting, er wirkte als Direktor an der Barmer Berufsschu-le. An der Allee, der langen Talstraße, gab es die Praxis desZahnarztes Fritz Hinnenberg, daneben, vom selben Haus-eingang her zu erreichen, lag der Hutsalon von BarbaraEsch. Das Zimmer hinter diesem Hutgeschäft diente alsHeimstätte für viele wichtige Gespräche, in denen die Plä-ne zur Schulgründung immer festere Formen annahmen. –In der Hinsbergstraße wartete das Ehepaar Gruson darauf,irgendwann, “wenn der ganze Spuk vorbei war”, anthro-posophisch arbeiten zu können: Dr. Wolfgang Gruson alsSchularzt und beide Grusons als Schulvereinsmitglieder. –Entsprechende Absichten lebten im Ehepaar Striebeck, denInhabern der Flora-Apotheke; auch in der alleinstehendenBeamtin Frau Scheib, auch in der Familie Dörner in Ham-merstein. Diese wenigen Namen mögen stellvertretend ste-hen für eine lange Reihe anderer. Sie alle warteten undhofften, recht bald der Pädagogik Rudolf Steiners eine Wir-kensstätte einrichten zu können, damit diese ihre Frucht-barkeit erwiese – zunächst an den “Kriegskindern”, im wei-teren aber auch an heranwachsenden Generationen. In denAnthroposophen des Wuppertales lebte der Wunsch, eindeutliches Gegengewicht zu schaffen zu der Unfreiheit derNazijahre, zum Schrecken, den das Kriegsgeschehen ver-

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Aus der Geschichte der Rudolf-Steiner-Schule WuppertalVon den Anfängen bis zum Umzug in die Schluchtstraße (1974)

breitet hatte. Willensimpulse, Energien hatten sich ange-sammelt, die mit Ungeduld in die Erscheinung drängten.Den betreffenden Menschen war bewußt, daß allein ihr gei-stiges Arbeiten, ihr Leben im anthroposophischen Gedan-kengut, das Fundament zum Aufbau einer Waldorfschulebilden konnte. Ihm trauten sie die Kraft zu, alles zu über-winden, was immer sich an äußeren Schwierigkeiten ent-gegenstellen würde. Von denen gab es nicht wenige! VielZuversicht war notwendig.

Die äußeren GegebenheitenAls erfreulich hilfreich erwies es sich, daß die Mitglieder deranthroposophischen Bewegung samt und sonders nicht inden “braunen Filz” verstrickt gewesen waren. Unbeirrt hat-ten sie sich weiterhin Gedanken über Menschen und Weltgemacht. Die damals noch raren Bücher Steiners, die Nach-schriften-Drucke seiner Vorträge hatten sie vor allen Haus-suchungen zu bewahren gewußt – und weiterhin in ihnengelesen. “Entnazifizierung” war bei ihnen nicht nötig, durchdie von der britischen Militärregierung eilig eingerichtetenVerfahren gingen sie schnell und glatt hindurch.

Auch nach einem Schulgebäude brauchte nicht lange ge-sucht zu werden: In der Haderslebener Straße hatte dasstädtische Schulamt ein Schulgebäude aufgegeben. DieStadtverwaltung war geneigt, es teilweise zur Verfügungzu stellen. In mehreren Räumen beherbergte das Haus al-lerdings noch Einrichtungen der “Volkshilfe”, unter ande-rem einen Kindergarten. Aber der Beginn konnte immer-hin gewagt werden: mit vier Klassenzimmern.

Eine ernstere Klippe bildete die Lehrerfrage. Dem Schul-verein standen nur wenige Persönlichkeiten zur Verfügung,die durch Ausbildung und praktische Erfahrung fähig wa-

ren, als Lehrer tätigzu werden. Von die-sen kamen nur zweiunmittelbar ausdem staatlichenSchuldienst, siekannten sich daherin allen praktischenFragen genügendaus. Der eine von diesenbeiden war WilhelmRauthe, der schonwährend des Kriegeseine Arbeitsgemein-schaft geführt hat-te (siehe oben!). Die zweite im Bun-de war Elsbeth vonEsebeck. Sie besaßdie Ausbildung fürVolks- und Real-schulen. Bis Mai1945 war sie imUmkreis von Kölntätig gewesen. Als Klassenlehrerbegann auch HerrJanke, er führte diezweite der “Unter-klassen”. Die Auftei-lung in Jahrgangs-klassen konnte erstnach den Sommer-ferien vorgenom-

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men werden.Eine für den Schulbeginn besonders wichtige Rolle spielteein weiterer Gründungslehrer. Er wohnte derzeit zwar nochnicht in Wuppertal, dennoch drängte er mit aller Kraft zurSchule hin: Dr. Carl Brestowsky. War W. Rauthe ein Kind derStadt Barmen, kam Frau v. Esebeck aus Teltow in der Mark,so hatte es Brestowsky von noch weiter her nach West-deutschland verschlagen. Als gebürtiger Siebenbürger hat-te er u.a. in Budapest studiert und gearbeitet. (Vgl. den Ab-schnitt: “Portraits dreier Gründungslehrer”). Brestowskybrachte den Hauch von Internationalität und die Lust zuweiträumigem Ausgreifen mit. Kraft seines Temperamen-tes und seiner Sicherheit übernahm er ganz selbstver-ständlich alle notwendigen Verhandlungen mit Offizierender Militärregierung in Düsseldorf und Barmen und mit denRegierungsbehörden. Schwerwiegende Hindernisse stelltensich zum Glück an diesen Stellen kaum entgegen. Sehr är-gerlich und zeitraubend war es aber, mit den Verhältnissenzurechtzukommen, die sich aus der Nachkriegssituation er-gaben. Woher sollten Hefte, Bleistifte, Farbstifte, Federnund Tinte kommen? An Schulbücher war überhaupt nichtzu denken. Noch im September des folgenden Jahres (1947)konnte eine Zuteilung von Lesebüchern aus Stuttgart (“DerSonne Licht”) nur bezogen werden, wenn zuvor eine be-stimmte Menge von Altpapier geliefert worden war. Vonden anthroposophischen Zweigen und Arbeitsgruppen imnäheren und weiteren Umkreis, auch aus dem Ausland, ka-men Geschenke. So einmal aus Iserlohn Hefte, Bleistifte undFedern. Ein Anthroposoph aus Schottland bot Material imWerte von 1000,- Mark an. Das war damals ein erheblicher Betrag. Das Kollegium er-bat dafür 100 Flöten, 100 Pinsel, Wasserfarben, Papier, far-bige Wolle und Baumwolle. Aus der Schweiz wurden Pake-te mit Handarbeitsgarnen geschickt, auch mit Kinderklei-

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dern und -schuhen. – Ein hiesiges Amt stellte einen Scheinaus, der zum Schneiden von in Mettmann gelagertem Holzberechtigte, aufgrund dessen 100 Schulbänke aus Hagenbezogen werden konnten.Für Kinder und Lehrer gab es allmorgendlich die Quäker-speisung, sie ging auf Aktivitäten amerikanischer Quäkerzurück. Ein Eimer mit der nahrhaften Suppe wurde in jedeKlasse gestellt, die Kinder brachten ein entsprechendes Ge-schirr mit, der Lehrer teilte aus. Für die Speisung mußte eingeringes Entgelt gezahlt werden, das sammelte der Lehrerein.

Da nur vier Klassenräume zur Verfügung standen, wurdeder Nachmittag von 13 bis 17 Uhr in den Unterricht ein-bezogen. Die Klassen wechselten den Vor- und Nachmit-tagsunterricht umschichtig alle vierzehn Tage.

Diese vertrackten Verhältnisse, von der Zeitsituation be-dingt, hatten den Eifer, mit dem Schulverein und Lehrer aufden Unterrichtsbeginn drängten, nicht mindern können.Neue Mitglieder im Kollegium waren zum winzigen An-fangskreis inzwischen hinzugekommen: als KlassenlehrerHerr Klipstein und Dr. Spiegel, Herr Goosses und Herr Dön-ges; als Sprachlehrerin Fräulein Dr. Janke, als Eurythmie-lehrerin Fräulein Dörner. (Damals – und lange noch – wur-de jedes unverheiratete weibliche Wesen als “Fräulein” be-zeichnet, auch wenn sie vielleicht schon seit Jahrenselbständig lebte und arbeitete.) Musik gab anfangs HerrHellmannsberger. Diese alle wollten beginnen! Wie lockerdas Ganze noch ablief, zeigt ein Konferenzprotokoll vom11. Juni 1946:“5. Konferenz. Noch liegt die Genehmigung der örtlichenMilitärregierung nicht vor, jedoch soll eine Mitteilung andie Eltern herausgehen, daß wir hoffen, am 17.6. beginnenzu können, und um telefonische Anfrage am Samstag, 15.6.bitten, seitens der Eltern. Bis dahin hoffen wir auf eineKlärung der Angelegenheit.” Und wirklich kamen 72 Kin-der und die Lehrer am 17. Juni zum ersten Mal zusammen.Die offizielle Eröffnungsfeier fand erst nach den Ferien, am25. August, im Saal des neuen Rathauses in Barmen (jetztPolizeipräsidium) statt. Geladen waren neben Elternschaftund Schulvereinsmitgliedern Vertreter aller militärischenund amtlichen Stellen. Es sprachen Reinhold Kopke, der vomSchulverein die praktischen, Dr. Brestowsky, der als “Schul-leiter” die geistigen Vorbereitungen der Schule darstellte.Von der Elternschaft sprach Herr Bösefeld.Die Schule wuchs schnell. Anfang September hatte sie be-

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reits 218 Schüler; Ende Oktober wurde überlegt, ob mandie Schülerzahl in den einzelnen Klassen auf 40 begrenzensollte. Die Entwicklung zeigte, daß einige Klassenlehrer ihrenKräften damals mehr zutrauten: 1952 zählte beispielswei-se die damalige 4. Klasse 56 Schüler. Für die gesamte Schu-le war die Zahl von 400 bald erreicht und wurde weiterüberschritten in dem Maße, wie neue Lehrer hinzukamen:Frau Benning, Frau Brabandt, Herr Böcking, Herr Büchen-bacher, Frau Colsman, Frau Dühnfort, Herr Gerhard, FrauGroß, Frau Hehl, Frau Hillebrand, Herr Dr. Hesse, Herr Dr. Ja-coby, Herr von Joosten, Frau Kassiepe, Frau Rettig, Frau Roth,Herr Dr. Zimmermann. Dr. Gruson hatte seine Arbeit alsSchularzt aufgenommen. Das war der Stand April 1948. Biszum Eintritt von Frau Colsman in das Kollegium hatte FrauGruson für eine Mädchenriege Turnen gegeben.

Einige Persönlichkeiten, die anfänglich dabeigewesen wa-

ren, lösten sich bald wieder von der Schule. Das war einProzeß, der sich in den Anfangsstadien bei manchen Schul-gründungen vollzog. So selbstverständlich gegensätzlicheAnsichten in einem Waldorfkollegium vorhanden sein und

ausgetragen werden müssen, so notwendig muß es zumWeggang kommen bei Lehrern, denen es am ernsten Ar-beitswillen fehlt, an Fähigkeit, Rudolf Steiners Pädagogikin die Handhabung umzusetzen, oder am rechten Ton imUmgang mit den Schülern. Die wenigen Persönlichkeiten,die Wuppertal verließen, waren bald ganz aus der Schul-bewegung verschwunden.Zu den äußeren Verhältnissen gehörten auch die Finanzen.Herr Rauthe erzählte manchmal, daß bei einer der Schul-vereinssitzungen im Zimmer hinter dem Hutsalon Esch plötz-lich ein Herr eingetreten sei und sich vorgestellt habe: “Ichbin Reinhold Kopke, zur Zeit Bürgermeister von Rade-vormwald und Geschäftsführer in einer Fahrradfabrik. Ichmöchte mitarbeiten im Schulverein an der Gründung der

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v.l.n.r.: Frau Kopke, Herr Kopke, Frau v. Esebeck

Schule.”Natürlich wurde er freudig aufgenommen von den Anwe-senden. In dieser Sitzung faßte man einen ersten festenGründungsentschluß und bekräftigte ihn mit einer spon-tanen Hutsammlung. Etwa 150,- Mark kamen zusammen.Alles Geld für die Schule floß aus solchen privaten Spen-den und nach Schuleröffnung aus dem Schulgeld der El-tern, pro Kind anfangs 35,- Mark. Da war es ein Glück, daßvon der Mehrzahl der Lehrer in den Vor- und Einstellungs-gesprächen die Frage nach dem Gehalt gar nicht gestelltwurde. Die meisten Jüngeren meinten voll Zuversicht: Wennich nach Kräften gut arbeite, wird man schon dafür sorgen,daß ich leben kann. Dieses “leben” sah in den ersten Jah-ren nicht selten so aus, daß in den letzten Tagen des Mo-nats Schmalhans Küchenmeister sein mußte. Gelassen wur-de das hingenommen. Auch daß ein(e) Alleinstehende(r)sich oft für mehr als zehn Jahre mit einem Wohnraum vonselten mehr als 15 Quadratmetern begnügen mußte, beküm-merte kaum ernsthaft. Man war glücklich in der Arbeit, dieman nach Naziherrschaft und Kriegsjahren tun durfte.

“Stuttgart”

Eine besondere Rolle spielte in den Anfangsjahren der Schu-le die Beziehung zum Bund der Waldorfschulen, zu “Stutt-gart”. In verantwortungsvoller Stellung wirkten dort Leh-rer, die bereits vor dem Krieg, vor der Schließung der Wal-dorfschulen durch die Nationalsozialisten, an einerRudolf-Steiner-Schule gearbeitet hatten. Ernst Weißert,Sophie Porzelt, Erich Schwebsch, – diese Namen waren esvor allem, die den Kollegien der jungen Neugründungeneinfielen, wenn sie in den ersten Wirren und Nöten steck-ten. Das traf nicht nur auf Wuppertal zu. Hier waren es bei-spielsweise Ende 1947 Sophie Porzelt und Dr. Schwebsch,die, als in kollegialen Schwierigkeiten die Wogen hochgin-

gen, dem Kollegium halfen, zur Klarheit zu kommen. Aberaußer dieser Funktion einer “Bundesfeuerwehr” (so be-zeichnete man sie scherzhaft) gab es Hospitationsreisen,die in gewisser Regelmäßigkeit angesetzt wurden. Da kamdann jemand von Stuttgart, suchte sich ein Bild zu ver-schaffen von dem, was in den Klassen, im Hauptunterrichtwie in den Fachstunden, geschah, und das Wahrgenom-mene wurde – teils in Konferenzen, teils in Einzelgesprächen– ausgewertet. Besonders erinnerlich sind Besuche von Dr.Schwebsch und von dem älteren Schweizer Kollegen WilliAeppli.

Der letztere war neben ein, zwei anderen älteren Kollegenüber einige Jahre im Auftrage des Bundes der Waldorf-schulen “unterwegs”. Daß den beratenden Gästen bereit-willig Einsicht in den Unterricht gewährt wurde, bedurftekeiner Frage. Man empfand sich gegenüber den Erfahre-nen als Neuling. An “Eingriff in die eigene Freiheit” zu den-ken lag fern. – Bei einem seiner Englandkurse (Ilkley 1923)erklärte Rudolf Steiner: “Es ist unser ganzer Lehrplan nuretwas dem Geiste nach Bestimmtes, während in bezug aufdie eigene Handlung man denkbar größte Freiheit hat.” Die-ses “dem Geiste nach” Bestimmte des Lehrplanes war janicht etwas, das dem einzelnen mühelos zufiel. Im Wech-selspiel zwischen unermüdlichem Studium der Ideen undHinweise Steiners einerseits und selbstkritischem prakti-schen Arbeiten andererseits wollte es erfahren werden, umdann – aber erst dann – in die “denkbar größte Freiheit” zuversetzen, was die einzelne Handlung anging. In diesemSinne fühlten die meisten an der Wuppertaler Schule sichnoch lange als “angehende” Waldorflehrer. –

Solange Sophie Porzelt und Ernst Weißert lebten, bliebenenge Kontakte besonders zu diesen beiden bestehen, ge-pflegt vor allem durch W. Rauthe. In späteren Jahren wur-

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den Zuneigung und Vertrauen auf den jüngeren Dr. Ernst-Michael Kranich übertragen.

Der Träger

Es gab ihn und mußte ihn geben, noch bevor die Schule imJuni 1946 die Klassentüren öffnete, gemeint ist der Schul-verein. Er sichert die störungsfreie Abwicklung der Arbei-ten in den Bereichen Büroführung, Buchhaltung, Verkehrmit dem Finanzamt, Planungen, Vertragsabschlüsse undmanches mehr. Auf ihm als dem Unterbau ruht das pädago-gische Tun der Lehrer und alles Bemühen, durch das sie “ih-rer Schule” die bestimmte geistige Gestalt zu geben suchen.Wollte man die Geschichte des Rudolf-Steiner-Schulver-eins Wuppertal schreiben, so fiele die mindestens so um-fangreich aus wie die “Schulgeschichte”. Deshalb sei hiererinnernd und in großer Dankbarkeit einiger Menschen ge-dacht, die an besonders verantwortlicher Stelle den Schul-verein ausmachten. – Fritz Hinnenberg und Barbara Eschstanden an seinem Beginn, doch kam in der Anfangspha-se gleich auch Reinhold Kopke dazu. Er übernahm denHauptanteil der Vorstandstätigkeit, als F. Hinnenberg sichmehr und mehr daraus zurückzog (1953/54).

Der Schulvereinsvorstand setzte sich von 1946 bis1952 ganzunverändert aus sechs Menschen zusammen. Von seitendes Schulvereins waren es: Esch, Hinnenberg, Kopke, Wie-belitz, von seiten des Lehrerkollegiums Dr. Brestowsky undRauthe. Rauthe drängte in diesem Kreis bald auf eine Er-weiterung des Vorstandes hin, auf stärkere Beteiligung vonEltern und Lehrern. Das wurde Anfang 1953 eingerichtet.Auch neue Vereinsmitglieder kamen hinzu. Ab 1969 tauchtin den Sitzungsprotokollen der Name von Dr. H.-W. Cols-man auf. Er wirkte entscheidend auf das Geschehen ein,

zunächst neben Herrn Kopke. Als dieser 1973 erkrankte, tratDr. Colsman weitgehend an seine Stelle.

Ein besonderes Element im ersten Schulvereinsvorstand bil-dete Herr Wiebelitz. Schon früh in die Gründungsarbeitenfest mit eingespannt, schied er erst 1960 seines Alters we-gen aus. Er war es, der einzuhaltende Termine absolut zu-verlässig beachtete, der Aufstellungen, Berichte anmahn-te, wenn sie fällig wurden. Dabei stand er nie “im Ram-penlicht”. Allen, die seinen Einsatz für die Schule erlebten,fiel darin ein Wesenszug auf, der sich am besten als Treuebezeichnen läßt – Treue zur eingegangenen Verpflichtungund zur Sache.

Der Schulverein konnte seine Aufgabe als Träger der Schu-le die Jahrzehnte hindurch nur erfüllen, weil er die nötigeFestigkeit empfing aus dem, was viele Beteiligte an Zeit undKraft als ehrenamtliche Tätigkeit in ihn hineingaben. Ihnenallen gilt der Dank derer, die als Lehrer, als Eltern und alsSchüler am Leben der Schule teilhatten und -haben.

Zu den weiteren Abschnitten

Bisher bildeten im wesentlichen die erwähnten ersten Pro-tokollhefte aus den Konferenzen die Grundlage für allesBerichtete. Im Folgenden sollen nur noch einzelne Themenaus dem Geschehen der Jahrzehnte herausgegriffen wer-den. Als Schlußpunkt dieses Rückblickes ist der Umzug vonder Haderslebener in die Schluchtstraße vorgesehen. Es seian dieser Stelle all denen gedankt, die mitwirkten am Zu-standekommen des Aufsatzes: Frau Weber-Dörner erzähl-te im Gespräch Einzelheiten aus den Vorbereitungen undaus den ersten Tagen der Schule. Frau G. Heep, Frau Hinze-Römer, Frau Hilger und Herr Wenzke unterzogen sich dernicht leichten Aufgabe, zu ergründen und herauszufinden,was es in Schränken und im Keller an Heften und Schrift-

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stücken noch gab, aus denen sich z.B. die Daten der ein-zelnen Ereignisse sichern ließen. Auch Frau Paula Gais steu-erte bei, was sie aufgehoben hatte an Programmen undAnkündigungen.

Besondere EreignisseDas erste Abitur

Wenn sich dem einheitlichen Strömen eines Flusses in derMitte seines Bettes plötzlich ein Felsenriff entgegenstellt,so teilt sich der geschlossene Wasserlauf, er fließt fort aufder einen Seite, auf der anderen Seite, bildet bewegtereWellen, manchmal gar Wirbel, und es hängt von der Höheund Länge des Riffes ab, wann die Wasser wieder zusam-menkommen, um erneut gesammelt und friedlich weiter-zufließen. Ein solches Felsenriff bildete im Leben der Schu-le das Wort “Abitur”, als es am 25. Februar 1947 in einerKonferenz zum erstenmal auftauchte. Bei Schülern und El-tern der oberen Klassen waren “Hoffnungen gehegt wor-den”, denen man entgegenhalten mußte, daß ein “Vorbe-reitungskurs für das Abitur” frühestens in zwei Jahren zu-stande kommen könne. – Das sah noch nach Einigkeit aus,der aber schon in der nächsten Konferenz ein Ende gemachtwurde: “Es wird darauf hingewiesen, daß die Schule es ab-lehnt, die Ablegung der Abiturprüfung an der Schule an-zustreben.” (13. März 1947) Das waren klare Worte. EinigeMitglieder des Kollegiums wollten das Abitur, andere woll-ten es nicht. Die Auseinandersetzungen dauerten bis in denMai hinein – und drei Jahre später, am 9. März 1950, fanddie erste eigene Reifeprüfung statt. Wäre es damals, 1947,schon möglich gewesen, die Konferenznachschriften deralten Stuttgarter Waldorfschule zu lesen, so hätte das Wup-pertaler Kollegium erfahren können, wie ernsthaft RudolfSteiner als Schulleiter sich über Jahre hin (von 1920 bis1924)

mit der Frage “schuleigenes Abitur” befaßt hatte. Nach sehrvielen Erwägungen des Für und Wider entstand das Kon-zept, wie es heute noch gilt: Die zwölf Waldorf-Jahre “rein”erhalten und dann – mit den eigenen Lehrern – eineVorbereitungsklasse anschließen. So hat es sich bewährt.Rudolf Steiner dachte wirklichkeitsnah genug, um zu se-hen, was nicht nur der Waldorfschule entgangen wäre, son-dern auch Schülern, die wegen der mangelnden Aussich-ten auf schuleigene Prüfung der anthroposophischenPädagogik ferngeblieben wären.

Von den heutigen Verhältnissen her ist es kaum vorstellbar,was im März 1950 sich vollzog, was das Ereignis “Abitur”für das Leben der Schule bedeutete. Nach fünf Jahren desArbeitens stand “diese Schule da irgendwo in Unterbarmen”im Bewußtsein der meisten Wuppertaler Bürger noch alsein höchst verqueres Unikum. Was von ihr hier und da zuerfahren war, ließ sich nicht in die gewohnten Denkvorla-gen einordnen, so neigten die meisten zu dem Schluß, eskönne sich nur um eine “Doofenschule” handeln. Und dortnun Abitur! Es ist gut zu verstehen, wenn die Kollegen vonden Staatsschulen, die zur ersten Prüfungskommissiongehörten, einigermaßen ratlos waren und sich womöglichfehl am Platze fühlten. (Den Vorsitz bei der Kommissionführte damals und auch weiterhin über mehrere JahrzehnteOberstudiendirektor Dr. Wilsing.)

Zum Glück wußte man im Ministerium besser Bescheid überdie Schule. Damals gab es dort seit kurzem den Oberschul-rat John Giesberts. Er war Kollege von W. Rauthe gewesenund hatte mit diesem noch in Weimar an der evakuiertenSchule zusammen gearbeitet. Sein Versuch, den KollegenRauthe mit ins Ministerium zu holen, scheiterte an dessenAbsage. Nun war Giesberts interessiert an der Unterneh-mung, um derentwillen die Absage erfolgt war. In Ge-sprächen, aber auch durch Hospitationen verschaffte er sich

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ein Bild von der Ernsthaftigkeit des pädagogischen Vorha-bens, von der Qualität des Unterrichts, der dort stattfand.Er verständigte nun darüber seine Dienstherrin, die FrauKultusminister Chr. Teusch. Und so kam es erstens zur Ge-nehmigung der “Nichtschüler-Reifeprüfung” (so ihre for-melle Bezeichnung) und außerdem zur unschätzbaren Ori-entierungshilfe für alle Beteiligten, als am 9. März 1950 derHerr Oberschulrat zur Prüfungseröffnung erschien, um dieGrüße und guten Wünsche der Frau Kultusminister zu über-bringen. Diesen Wünschen entsprach dann in schönsterWeise das Ergebnis des aufregenden Tages: Bei einem ge-wiß strengen, dabei jedoch auch gerechten Vorgehen ha-ben die fünf Schülerinnen und drei Schüler, die sich ge-meldet hatten, allesamt die Prüfung bestanden. Das warein wichtiger Augenblick für die Schule im fünften Jahreihres Bestehens. Es begann damit die Reihe der dreizehn-ten Klassen mit abschließendem Examen. Hin und wiedergab es natürlich einen oder einige, die nicht bestanden, imganzen aber mehrte sich die Zahl der Abiturienten. Sie mußja betrachtet werden im Verhältnis zu der Tatsache, daß essich vom ersten bis zum zwölften Schuljahr um Klassen mitder ganzen Breite von Begabungen handelt, in denen nicht“ausgelesen” wurde und kein Schüler sitzenblieb. Wunsch

der Lehrer ist es dabei, daß nur solche Schüler sich zur Drei-zehn melden möchten, die das Abitur für ihren geplantenBerufsweg wirklich brauchen.Oberschulrat Giesberts verließ Düsseldorf nach wenigenJahren, er siedelte als Kulturdezernent nach Köln über. Mitder Aufsicht über die Waldorfschulen von Nordrhein-West-falen (inzwischen waren es bereits mehrere) wurde im Mi-nisterium Oberschulrat Kluxen betraut. Auch er blieb derWuppertaler Schule in besonderer Weise verständnisvollzugeneigt und gewogen (vgl. Seite 23).

Zur “Ersatzschule” befördert

In Unternehmen und Einrichtungen gibt es oft zu BeginnErscheinungen, die so sehr den Charakter des “Anfängli-chen” tragen, daß damit die Notwendigkeit ihres baldigenZu-Ende-Gehens klar vorausbestimmt ist. Bei der Gründungeiner Waldorfschule 1946 betraf das die Art ihrer Finan-zierung. Durch private Spenden und durch Beiträge (Schul-geld) der Eltern konnte nie und nimmer aufgewogen wer-den, was den staatlichen Schulen an Mitteln aus Steuer-geldern zufließt. In einem Lande wie der Schweiz, wo eskeine Geldentwertungen gegeben hatte, mag das denkbarsein. Da gab und gibt es Vermögen, die von Generation zuGeneration vererbt werden. Aber in Deutschland?? – Nachzwei verlorenen Kriegen und zwei Geldentwertungen! – Esleuchtet unmittelbar ein, daß Eltern, die sich dafür ent-scheiden, ihre Kinder auf eine “freie Schule” zu schicken(was ihr gutes Recht ist), auch Anspruch darauf haben müß-ten, daß von Steuergeldern diesen Schulen angemesseneZuschüsse bewilligt würden. Dieser so naheliegende Ge-danke samt den sich daraus ergebenden Konsequenzen wur-de weder von den zuständigen staatlichen Stellen nochauch von den Waldorflehrern gerne erwogen. Bei den letz-teren wirkte die verständliche Sorge, mit staatlichen Zu-

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schüssen auch staatliche Auflagen im Hinblick auf daspädagogische Grundkonzept hinnehmen zu müssen. Dashätte den Lebensnerv einer Rudolf-Steiner-Schule getrof-fen und kam daher nie und nimmer in Frage.

In Wuppertal griff der gute Geist des Schulschicksals ein;er wirkte zunächst über zwei Menschen. Wieder handeltees sich um das schon im vorigen Abschnitt erwähnte Kol-legenpaar Oberschulrat Giesberts und Waldorflehrer Rau-the. Giesberts machte seinen Freund auf Stellen im Ver-waltungsgefüge des Kultusministeriums aufmerksam, diees in der nächsten Zeit sorgfältig zu beachten gälte. Dergesamte “Apparat” mußte sich ja nach Kriegsende voll-kommen neu einrichten, und in diesem Stadium des Fließensund Planens war er aufnahmebereit für neue Ideen undAnstöße. Ein recht stilles, unauffälliges Arbeiten begann.Wenn Rauthe – selten und sparsam – in der Konferenz da-von berichtete, traf das weitgehend auf Ungläubigkeit bisSpott. Geld von staatlichen Stellen, ohne daß daran An-sprüche geknüpft würden? Ohne Dreinreden-Wollen in Lehr-plan- und Unterrichtsgestaltung? Zu schön, um wahr wer-den zu können. Rauthe und Giesberts ließen sich nicht be-irren, und schon bald zeitigte ihr Bemühen erste Früchte.Anfangs noch recht kleine Beträge wurden hin und wiederbewilligt, ohne Regelmäßigkeit, ohne Verpflichtungen vonseiten des Kultusministeriums. Als dann aber sichtbar wur-de, daß ein neues Schulgesetz entstehen sollte, war es Rau-the klar, daß nun auf keinen Fall etwas versäumt werdendürfte. Er bat den Bund der Waldorfschulen, dessen dama-ligen Justitiar, Prof. Hellmut Becker, nach Düsseldorf zu sen-den, damit er mit diesem zusammen erarbeiten könne, wasin das neue Schulgesetz hineinkommen müßte, um die För-derungswürdigkeit der Waldorfschulen darin zu verankern.Ein langes Bedenken, Erwägen, Überlegen begann. HellmutBecker erkannte sofort die Chance, die hier bestand für jeg-

liches Schulwesen in freier Trägerschaft, zu dem unter an-deren die Waldorfschulen gehörten. Der Oberschulrat Gies-berts hatte den Hinweis gegeben, H. Becker und W. Rautheverfolgten dessen Möglichkeiten. Ihr geduldiges Agieren,Ausformulieren von Textvorschlägen, Geltendmachen vonAnsprüchen führte zum Erfolg. Vor der entscheidendenLandtagsdebatte setzten sie sich unter anderem auch mitAbgeordneten in Verbindung. Und dann fiel das “Erste Ge-setz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen” (April 1952) so aus, daß es darin zum Beispiel§ 42 gibt, der besagt: “Ersatzschulen (das sind auch die Wal-dorfschulen) haben Anspruch auf die zur Durchführung ih-rer Aufgaben und zur Erledigung ihrer Pflichten erforder-lichen öffentlichen Zuschüsse. Diese Zuschüsse sind zur Si-cherung der Gehälter sowie der unterrichtlichenLeistungsfähigkeit der Schule zu verwenden.” Selbstver-ständlich waren gleichzeitig Bremsen eingebaut, die einedavon merkt an: “Die Berechnung des Zuschusses erfolgtnach dem Haushaltsfehlbedarf der einzelnen Schule, dervon der Schulaufsichtsbehörde unter Berücksichtigung ei-ner angemessenen Eigenleistung des Schulträgers festge-stellt wird.” Die “angemessene Eigenleistung des Schulträ-gers” verursachte immer wieder Fragen und Rückfragen,auf sie gründeten sich Erwartungen und Forderungen. Siestellt bis heute einen Posten dar, der es unmöglich macht,auf die Elternbeiträge zu verzichten. Dennoch sicherte undsichert das damals zustandegekommene Schulgesetz denWaldorfschulen in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit,zu bestehen – und pädagogisch frei zu arbeiten.

Von dem Erreichten berichtete Prof. Becker dem Bundes-vorstand in Stuttgart mit dem Hinweis, daß in Düsseldorfder Präzedenzfall geschaffen sei, auf den die Waldorfschulenin allen übrigen Bundesländern sich beziehen könnten. DieBresche sei geschlagen. Ältere Persönlichkeiten, die als Mit-

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begründer einer Schule in den Nachkriegsjahren und alsderen Schulvereinsvorstand wußten, was bedrohliche fi-nanzielle Engpässe bedeuteten, haben die Tat des Vorrei-ters Nordrhein-Westfalen nie vergessen. So konnte es ge-schehen, daß noch in den 70er, 80er Jahren, wenn W. Rau-the bei einer Bergwanderung plötzlich einen Bekanntentraf (etwa Robert Schulmeister von Ulm), dieser nach denersten Sätzen über die schöne Gegend und das Wetter be-redt zu schildern begann, was es für die Ulmer Schule be-deutet habe, daß in Nordrhein-Westfalen das Tor aufge-stoßen worden sei.Noch eine Erklärung zum Ausdruck “Ersatzschule”. Für ge-wöhnlich verbindet man mit Ersatz eine negative Empfin-dung, lieber hätte man das Original. Im vorliegenden Fallwäre das Original aber die Staatsschule. Wird einer Privat-schule zuerkannt, daß sie das Original vollwertig vertrittund damit dem Staat eine entsprechende Schule ersetzt,erspart, darf sie sich als Ersatzschule dem Kultusministeri-um gegenüber fühlen und bezeichnen.

Farbige Ereignisse

Unter dieser Überschrift soll all das zusammengefaßt wer-den, was – gesprochen, gesungen, musiziert, eurythmisiert,gemalt, geschauspielert – das Leben der Schule durchzogund bewegte. Natürlich kann aus der reichen Fülle wieder-um nur weniges herausgegriffen werden, Ereignisse, die inder Erinnerung besonders haften geblieben sind. Ganz früh– 1948, 1949, 1950 – fing es an mit den Aufführungen derWeihnachtsspiele in der Turnhalle. (Letztere hat ja späterdie Bezeichnung “Kulturscheune” bekommen, und es klangdurchaus liebevoll, wenn die Lehrer von “ihrer” Kultur-scheune sprachen.) Ein Bild blieb haften: Im dämmrigenWinterlicht auf der Treppe zur Turnhalle stand HausmeisterStiller und redete beschwörend auf herandrängende Besu-

cher ein: “Nun glauben Sie’s mir doch, da geht wirklich kei-ner mehr rein! Aber die Lehrer haben versprochen, daß sienoch mal spielen wollen. Fragen Sie morgen im Büro nach.”Und die Lehrer spielten noch mal. Das Publikum, das dieWeihnachtsspiele sehen wollte, bestand durchaus nicht nuraus Schülereltern und Leuten, die der Anthroposophie na-hestanden.Über die Bühne, die auf- und abzubauen jedesmal viel Ar-beit, Überlegen und Organisationstalent erforderte, gingenimmer wieder Spiele, von achten und von Oberstufenklas-

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sen. Davon blieben als besonders beeindruckend in der Er-innerung haften drei Shakespeare-Stücke: “Der Kaufmannvon Venedig”; Szenen aus “Macbeth” (in englischer Spra-che); “König Lear” (mit einer Szene in englischer Sprache);ferner: Lessings “Minna von Barnhelm” und Schillers “DonCarlos”. Zwischendurch wurden wirkungsvolle moderne Dra-men (Brecht, Frisch u.a.) aufgeführt.Den “Macbeth” brachten Dr. Sabine Lauterbach und Ferdi-nand Böcking auf die Bühne. Die übrigen genannten Stückeund weitere entstanden unter bewährter Zusammenarbeitvon F. Böcking und W. Rauthe, oft mit Hilfe von Frau HeleneHinderer als Sprachgestalterin.

Zu begeisternden Konzerten kam es im großen Saal derStadthalle, wenn Fritz Chr. Gerhard mit Schülerorchesterund -chor Jahr für Jahr auftrat. Zweimal konnte diese Un-ternehmung erfolgreich auch nach Paris getragen werden.Einen Überblick über die während der Schulzeit geleisteteeurythmische Arbeit vermittelten die Aufführungen derzwölften Klassen; einige Male war darunter auch eine drei-zehnte.

Was im Malen, Zeichnen, Handwerken und Handarbeitenentstand, füllte alljährlich Ausstellungen, die immer reicher

und weiträumiger werden konnten in dem Maße, wie dasSchulhaus wuchs. Schon Anfang der 50er Jahre waren andas alte Gebäude noch einige Klassen, ein Physikraum undein Eurythmieraum angebaut worden.

Zweimal wurde eine Wuppertaler Klasse eingeladen, bei deröffentlichen Sommertagung in Stuttgart mitzuwirken: 1967zeigte die zwölfte Klasse ihr Eurythmie-Programm, das siemit Frau Dörner und Frau Sydow erarbeitet hatte. –1975sprach eine zwölfte Klasse Gedichte. Ein Vortrag mit demTitel “Geht moderne Lyrik uns an?” (E. Dühnfort) umschloßdie Rezitationen. Zum damaligen Zeitpunkt war zeitgenös-sische Lyrik noch eine seltene Erscheinung an Waldorf-

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schulen. In Wuppertal hatte die Veranstaltung bereits imWinter 1974/75 stattgefunden. Ernst Weißert wünschte de-ren Wiederholung bei der Sommertagung in Stuttgart.

Freunde im Umkreis

Jede Waldorfschule ist von einem engen Freundeskreis um-geben. Er wird gebildet von Eltern, ehemaligen Schülernund Lehrern und von solchen Menschen, die das Wirken ei-ner Stätte, die Rudolf Steiners Pädagogik in pädagogischesHandeln umsetzt, mit Anteilnahme begleiten. Dieser Kreisist lebensnotwendig für das Bestehen der Schule. Wennüber ihn hinaus Menschen sich finden, die aus weiteremUmfeld mit fragendem Interesse an die Schule herankom-men, wenn dieses Interesse sich bei ihnen wandelt in Zu-stimmung und schließlich in Zuneigung, aus der Taten er-wachsen, so bedeutet ein derartiges Geschehen jedesmalein Geschenk. Einige Male durfte die Rudolf-Steiner-Schu-le Wuppertal solche Geschenke entgegennehmen. In zweiFällen handelt es sich um Kollegen aus der Staatsschule. Siesprangen hilfreich ein, wenn in der 13. Klasse ein Fach nichthinreichend besetzt werden konnte. – Der Altphilologe Stu-

diendirektor Gotthard Ste-phan unterrichtete Lateinvon September 1967 bisSeptember 1977. Als Mit-glied der Abiturkommissi-on hatte er die Schule, ihreLehrer und Schüler ken-nengelernt; Ehemalige er-innern sich seiner als Per-sönlichkeit, aber auch anseine Art des Unterrichtsmit Dankbarkeit und Sym-pathie. – Gleiches trifft zu

auf den damals jungen, eben erst vom Referendariat herkommenden Mathematiker Hans-Joachim Pletsch. Als erfür zwei Jahre den Unterricht in der dreizehnten Klasseübernahm, gehörte er noch nicht zu den Kollegen, die mitDr. Wilsing als Vertreter des Ministeriums kamen. Späterwurde er in diese Gruppe berufen und wirkte in ihr nochals Studiendirektor bis zu seinem Ausscheiden aus demDienst 1993. Die Lehrer der Schule begrüßten es, wenn erin den Abiturtagen zugegen war, sie vertrauten ihm.

Eine ganz andere Verbindung wurde von der PädagogischenHochschule her angesponnen, die sich damals noch auf derBarmer Hardt befand. Dort wirkte Prof. Fritz Bärmann, undder wollte wissen, was sich auf pädagogischem Felde daunten in Unterbarmen tat. Er forderte einige Kollegen zuVorträgen auf (W. Rauthe und E. Dühnfort, einige Male auchDr. Kranich aus Stuttgart). Neben Vorträgen gab es Dar-bietungen auf der “Hardthöhe”. Margarete Dörner wandertemit einer Mittelstufenklasse hinauf, um Eurythmie als Un-terrichtsfach vorzustellen. Nicht selten kam Prof. Bärmannaber auch mit seinen Studenten zu Hospitationen.In privatem Gespräch, zu der Zeit, als “Frühlesen” und “Ent-wicklung der Lesemaschine” die Gemüter bewegten, äußer-te Prof. Bärmann einmal spontan: “Zu diesem Problemkreismüßte jetzt doch von Ihrer Seite etwas geschrieben wer-den.” Dieser Anstoß führte zum Erscheinen der Schrift: “DerAnfangsunterricht im Schreiben und Lesen” von E. Dühn-fort und E.-M. Kranich. – Als die Pädagogische Hochschu-le aufgenommen war in die Bergische Universität, erhieltW. Rauthe dort den Lehrauftrag für ein Seminar, das er aucheinige Jahre nach seiner Pensionierung noch durchführenkonnte. Der Kontakt zu Prof. Bärmann, inzwischen Dr. h.c.,blieb bestehen.Freundliche Zuneigung brachte auch Oberschulrat Kluxenvom Ministerium in Düsseldorf der Rudolf-Steiner-Schule

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Wuppertal entgegen. Ihm lag es an Verständigung, erwünschte ausführliche, in Ruhe geführte Gespräche zwi-schen Vertretern des Ministeriums, den Kollegen von derAbiturprüfungskommission und Waldorflehrern. Man soll-te sich gegenseitig besser kennenlernen. So kam es AnfangNovember 1963 zu einem zweitägigen Symposium in SchloßHamborn, zu dem auch Ernst Weißert und E.-M. Kranichvon Stuttgart herkamen. Denen, die an dieser Veranstal-tung teilnehmen durften, blieben Diskussionen zwischenDr. Wilsing und Dr. Kranich in Erinnerung, die elegant ge-führten Florett-Fechtgängen glichen.Alle genannten Freundschaften bedeuteten viel im Lebender Schule.

Wichtige Stellen glücklich besetzt

Da ist zunächst die Schulsekretärin, Ansprechstelle für Leh-rer, Schüler, Eltern, – ein Trio, das sich nicht leicht bündelnläßt. Die Sekretärin muß den rechten Ton finden für dieErstkläßlerin, die mit blutendem Knie zu ihr kommt, für diebesorgte Anfrage einer Mutter, für einen Fremden, der Aus-kunft wünscht, und für Lehrer, die bitten, z.B. eine bestimmteZeugnismappe von vor drei (fünf, acht) Jahren rauszusu-chen oder einen dringenden Brief zu schreiben. Über Jahr-zehnte stand für all das Frau Anni Kolberg da, die war soauskunftwillig wie verschwiegen, mit feinem Gefühl dafür,wann und wo das eine oder das andere angebracht war. Je-der vertraute ihr und hatte sie gern. So lange wie sie hat-te keine ihrer Vorgängerinnen den Posten inne, daher rührtes wohl, daß deren Bilder weniger deutlich in Erinnerungblieben. Frau Kolberg war für die Schule ein Glücksfall. Sieschied 1989 aus der Arbeit aus.Glücksfälle gab es auch in einem anderen Amt, dessen Auf-gabenbereich besonders vielfältig besetzt ist und das ent-

sprechend allerlei fordert von dem, der es innehat; gemeintist das Amt des Hausmeisters. Das füllte von 1946 bis 1963Herr Stiller aus. Er war eine gewichtige Persönlichkeit. Wenner mit Hut und Pfeife über den Hof, durch die Gebäudeging, verstand man unmittelbar, warum viele Erst- undZweitkläßler in ihm den Besitzer sahen, dem die Schulegehörte. In “seiner” Schule sorgte er für Ordnung, und mandurfte ihm da nicht ins Gehege kommen.

Als Herr Stiller in Rente ging, gab es ein “Interregnum” vonsieben Jahren. Zwei Persönlichkeiten nahmen während die-ser Zeit die Stelle ein, sie taten ihr Bestes, aber zu wirkli-cher Verbindung mit der Schule fanden sie nicht. Doch dannkam am 1. Dezember 1970 Horst Wenzke. In anderer Wei-

se, aber ebenso vollgül-tig und bald von Lehrernund Schülern anerkannt,nahm er Stillers Platzein. Jeder besprach ger-ne mit ihm, was er aufdem Herzen hatte. Undwie Herr Wenzke esschaffte, nach dem Um-zug auch den Neubaugleich wieder in denGriff zu bekommen, daswar ein Meisterstück, andas die, die es miterleb-ten, sich dankbar erin-nern.

Noch weitere glücklich besetzte Stellen: die in der Buch-haltung. Dort gilt es, mehr im Hintergrund und im Verbor-genen wirkend, den Überblick zu behalten über Zahlen, Li-sten, Listen, Zahlen, Daten. Und wenn zur regelmäßigen

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Prüfung die Prüfer vom Schulkollegium beim Regierungs-präsidenten in Düsseldorf kommen, muß bis aufs i-Tüpfel-chen alles stimmen. Es stimmte immer. Lehrerkollegium undSchulvereinsmitglieder waren ihren “Glücksfällen” die Jahr-zehnte hindurch in herzlicher Verbundenheit dankbar. ZweiNamen seien für viele genannt: Fräulein Hilker und FrauRuppert.Erwähnt sei noch, daß die Glückssträhne bis heute anhielt;aber dieser Aufsatz setzte sich zum Ziel ja lediglich, denZeitraum bis zur Übersiedlung in die Schluchtstraße zu be-trachten.

Der Umzug

Da es inzwischen schon die zweite Baugeschichte gibt, seiaus der ersten nur am Rande erwähnt, daß anfangs zeit-weilig 4 bis 5 Grundstücke besichtigt und auf ihre Eignunghin geprüft wurden. Weiterhin blieb die Baugeschichte sobunt, wie sich das für eine Waldorfschule gehört. Aber nachden Weihnachtsferien1974 war es dann soweit. Die ganze Schulgemein-de, Schüler und Lehrer,versammelten sich nocheinmal kurz in der Turn-halle, ein Dankeswort andas alte Haus wurde ge-sprochen, und dannsetzte sich das Ganze,klassenweise aufgereiht,in Bewegung. Die Klei-nen voran ging man denWeg, einige wenige El-tern schlossen sich an.

Es goß in Strömen, was nur vom Himmel herunter wollte.Das Erdreich um den Neubau war so aufgeweicht, daß derEingang über eine Plankenbrücke genommen werden muß-te. Im Foyer gab es ein kurzes Besinnen, ein Danken an alleMenschen, die am Erstellen des Baues beteiligt gewesenwaren, – dann gings in die Klassen. Die Schilderung einespersönlichen Eindrucks sei hier erlaubt.

Als die 48 Zweitkläßler, deren Klassenlehrerin ich war, anden Plätzen standen, als nach freudig gesprochenem Spruchdie Kinder auf ihren Stühlchen saßen, stellten zwei Emp-findungen sich mit Deutlichkeit ein: Die Kinderschar warerstaunlich leicht zu überschauen, es schienen einfach be-trächtlich weniger Kinder zu sein . Ich selber stand freier,

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Noch in der Haderslebener Straße

mit Anbau

Grundsteinlegung, Herr Rauthe und Herr Böcking

aufrechter vor ihnen, als das im alten Hause je der Fall hät-te sein können. Ein dankbarer Gedanke wanderte zum Ar-chitekten Prof. Rolf Gutbrod. Als ich kurze Zeit danach(1976) in Lebenserinnerungen des Geigers Yehudi Menuhineine Stelle fand, die im Zusammenhang mit Raumerlebenstand, begriff ich sie gut. Menuhin spricht von der Akustikin Konzertsälen, die er auf allen Kontinenten kennenlern-te. Er klagte, für reisende Geiger sei schlechte Akustik wieeine Pest. Als in Amerika das Lincoln Center mit großemSaal geplant wurde, suchte Menuhin Einfluß zu nehmen:“…ich übersandte John Rockefeller III, der damit befaßt war,die Pläne der Stuttgarter Liederhalle, die – weil nicht aus

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Die neue Schule kurz vor dem Einzug...

...und wie sieheute aussieht

der Blaupause eines Ingenieurs, sondern dem Entwurf ei-nes Künstlers erwachsen – einen der eindrucksvollsten undakustisch hervorragendsten modernen Konzertsäle dar-stellt…nur ein genial denkender Kopf kann so etwas aus-denken.” Der Musiker erkannte die Kongenialität und wür-digte sie. Architekt der Stuttgarter Liederhalle war Rolf Gut-brod.Kurz bevor die Schule das fünfzigste Jahr ihres Bestehens

vollendet, gibt es für sie wieder einen Umzug, einen klei-neren: von der Kulturscheune Nr. II in einen festen großenSaal. Auch dieEurythmie erhältneue Räume. Wieder ist esein Um- und Einzug, den freudige Erwartungen begleiten.

Erika Dühnfort, geb. am 17.2.1917, von 1948-1976 als Klas-senlehrerin an unserer Schule tätig.

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Einweihung der Turnhalle 1991

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Als ein Schlußstein im baulichen Gefüge der Waldorfschu-le in Wuppertal wird das neue Saalgebäude seiner Bestim-mung übergeben. Viele Erwartungen und Hoffnungen sinddaran geknüpft, inwieweit das, was nach langer gedankli-cher, künstlerischer und praktischer Vorarbeit realisiert wor-den ist, für das Leben der Schule ein nützliches und för-derliches Kleid ist. Vielleicht ist es gerade an dieser Stellesinnvoll, auf die Grundlage und die Gesinnung zurückzu-blicken, die uns als Architekten geleitet haben. Es mag je-der dann selbst am Ergebnis überprüfen, was davon ge-lungen ist und was nicht. Selbstverständlich ist der Saal-bau wie jedes fertige Gebäude ein Arbeitsergebnis der daranBeteiligten, wofür wir allen herzlich danken. Aber damit istdas Gebäude noch nicht fertig, dazu muß erst das konkre-te Leben der Schule einziehen. Die bauliche Fertigstellungwird so zum Anfang des Lebens, das in ihm stattfinden wird.Hier ist es genauso wie z.B. bei einem Stuhl, der erst danneinen Sinn macht, wenn jemand darauf sitzt. Als Gegen-stand – ohne daß er genutzt wird – versperrt er allenfallsden Weg.

Deshalb ist es für den Architekten zu allererst wichtig, nachdem Leben zu fragen, für das er eine Umhüllung plant. Erhat dabei nicht von fertigen Vorstellungen von der bestenLösung auszugehen, sondern die Lösung ist das Resultat ei-nes organischen Prozesses. Die entstehende Form ist dasErgebnis der dem Leben selber zugrunde liegenden Bilde-prinzipien, in diesem Fall dem Leben der Waldorfschule inWuppertal. Der Architekt soll sich als Interpret dieses Le-bens verstehen, als jemand, der dem Leben diejenigen For-

men, Farben und Materialien entgegenhält, die es für sei-ne gesunde Entfaltung braucht. Die Menschen selber ma-chen die Musik, für die der Bau ein Instrument ist.

Aus dem beschriebenen instrumentellen Charakter der Ar-chitektur geht hervor, daß sie stets auf die konkreten Be-gebenheiten der Zeit, des Ortes und der Menschen ausge-richtet ist. Über jeden dieser drei Hauptpunkte gäbe es vielzu erzählen, z.B. über den Zusammenhang des Bodenreli-efs und des geologischen Untergrundes mit der Baugestalt.Hier soll nur ein Gesichtspunkt über die menschenkundli-che Grundlage der Architektur skizziert werden, um denZusammenhang von Anthroposophie, Pädagogik und Bau-kunst zu erläutern. Mir scheint gerade diese Blickrichtungaufschlußreich, weil sie zeigt, daß die Waldorfpädagogiknicht dogmatische Grundsätze aufstellt und sich deshalbeines “anthroposophischen” Baustils bedient, sondern aufkonkrete Menschenkenntnis und -erkenntnis, die sowohlin die Pädagogik als auch in die Architektur hineinmündet.Letztere wird dadurch zum materiellen Miterzieher. Zur Er-ziehung durch das Wort gesellt sich die Erziehung durchdie Sinneseindrücke der gebauten Umgebung.

Erster Bestandteil und Wesensmerkmal der Architektur istdie statische Struktur. Sie entspricht dem menschlichenKnochengerüst. Sie folgt den Gesetzen des Tragens und La-stens und des Gleichgewichtes zwischen beiden. Gleich-gültig, was wir bauen: Diese Gesetze müssen eingehaltenwerden. Materie wird so aufeinandergeschichtet und zu-sammenkomponiert, daß genau der Raum umschlossen wird,

Zur Einweihung des Festsaales der Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal

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der gebraucht wird. An dieser Stelle haben wir die Chance,Tragen und Lasten nicht nur zu rechnen, sondern zu ver-anschaulichen: Jeder Mensch, der einen Raum betritt, tutdies mit seinem eigenen Gleichgewichts- oder statischenGefüge. Gelingt es nun, das menschliche Gleichgewichts-empfinden mit der Baustruktur in Einklang zu versetzen,so findet sich der Benutzer quasi körperlich im Gebäudewieder. Architektur wird so zum nach außen gekehrten Tra-gen und Lasten des menschlichen Körpers.

Zweiter Faktor ist die plastische Gestaltung des Gebäudes,sind seine Volumina und seine Flächenbehandlung. Eigen-schaften wie rund, eckig, plan, konvex oder konkav schaf-fen einen zum vorigen unterschiedlichen Körperbezug, dermehr dem Lebendigen der Organe, der Muskulatur und demFlüssigkeitsorganismus entspricht. Dadurch ist der Menschnicht nur ein statisch-geometrisches, sondern ein leben-dig-bewegliches Wesen. Durch die richtige Art der Plasti-zität wird im Bauwerk der Eindruck des Lebendigen erzielt.

Der neue Festsaal

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Zum dritten haben wir es mit Oberflächenqualitäten zu tun,die durch Farben, Texturen und Strukturen, vor allem aberdurch Licht und Schatten erzeugt werden. Während die bei-den ersten Gesichtspunkte im Grunde genommen nicht di-rekt an den Sehsinn appellieren, so kommt hier das Augezu seinem Recht. Insbesondere durch Licht und Farbe ge-winnt der Bau seine seelische Dimension: Eine weitereSchicht des Menschen wird dadurch angesprochen.

Der vierte Gesichtspunkt ist gleichzeitig der am wenigstengeläufige. Man könnte ihn den akustischen nennen. UnterAkustik verstehen wir die Qualität des Hörens von Sprache,Musik und Geräuschen im Raum. Selbstverständlich wirdgerade ein Saal wie dieser besonders auf das Gelingen die-ser Gesichtspunkte angewiesen sein. Was würde es nützen,wenn der Saal zwar schön aussähe, aber akustisch misera-bel wäre? Das ist aber nicht nur ein äußerer Gesichtspunkt,sondern auch ein geistiger. Wie ich das gesprochene Wort,den Klang eines Instrumentes usw. höre, spricht mich un-mittelbar in meinem Menschsein an, in meinem Ich. Hierentscheidet sich, ob der spezifisch menschlichen Fähigkeitdes Sprechens und Verstehens als unsichtbarer Dimensionin der Architektur entsprochen wird. Für den Sprechendenwie für den musikalisch Produzierenden ist es entscheidend,ob und wie er seine Produktion im Raum erlebt, aber auch

für den Aufnehmenden, ob er die Produktion so hört, daßdadurch sein Verständnis physisch, psychisch und geistigam meisten gefördert wird. Die Akustik wird so zum Prüf-stein für eine menschengemäße Architektur.So betrachtet will der Bau für den statischen, den lebendi-gen, den empfindenden und den verstehenden Menschendurch die sachgemäße Behandlung von Tragen und Lasten,der Plastizität von Licht und Farbe und Akustik gerecht wer-den. Inwieweit dadurch der Bau zu einem menschlichenPendant hat werden können, wird die Praxis zeigen.

Wir sind als Planer dankbar und froh, daß unsere Arbeits-kraft diesem Herzstück des Schulorganismus zugute kom-men konnte und wünschen der Schulgemeinschaft mit derÜbergabe des Saales, daß ein guter Geist darin wohnenmöge. Möge dieses Gebäude sowohl für die Schule als auchfür die weitere Öffentlichkeit, für die es ja auch gedachtist, mit all seinem Leben Harmonie in die Welt tragen, alssichtbares Zeichen für den Mut und die Initiative derer, diesich, zumeist mit erheblichen Opfern, diesem Werk mit Aus-dauer und Hingabe gewidmet haben; ein sichtbares Zei-chen auch für die großzügige Unterstützung dieser Initia-tive von außen durch Förderer und Freunde.

Hans-Willi Haub, Architekt des Festsaales

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Dr. Carl Brestowsky

Im Oktober 1896 wurde er in Bistritz in Siebenbürgen ge-boren. Sein eben an der technischen Hochschule in Buda-pest begonnenes Studium unterbrach der Erste Weltkrieg.Als “Tiroler Kaiserjäger” wurde Brestowsky eingezogen. 1916erlitt er eine Verwundung, die ihn ein Stück seiner Schä-deldecke über der linken Stirnseite kostete. Eine ein-drucksvolle Narbe blieb, unter der Haut war gelegentlichleichtes Pulsieren wahrzunehmen. DerKriegsdienst hielt Brestowsky bis 1918 fest,erst dann konnte er sein Studium fortset-zen mit den Stationen: Technische Hoch-schule Wien (zwei Semester), UniversitätTübingen mit Hauptfach Germanistik (biszur Promotion 1926), anschließend Semi-nar der Freien Waldorfschule Stuttgart. Un-mittelbar danach begann er zu unterrich-ten an der kleinen Waldorfschule in Buda-pest, die 1927 von Dr. Maria von Nagy, derFrau des ehemaligen ungarischen Innenministers, gegrün-det worden war. Dort blieb Brestowsky vier Jahre lang. –Farbig gestaltete sich auch sein weiterer Berufsweg: 1931-1938 Privatlehrer und Vortragsredner für den Waldorf-schulverein Stuttgart; 1938-1944 Leiter der Berufswerk-schule eines Röhren- und Schweißwerkes in Herne; 1944-1946 wieder Privatlehrer und Vortragsredner, nun für dieAnthroposophische Gesellschaft. Er bereiste jetzt die Städ-te im Rheinland und Ruhrgebiet. Unmittelbar nach dem

Krieg konnte man ihn in Wuppertal bei Vorträgen erleben,die stattfanden in Bahnhofssälen der damals noch betrie-benen Bahnstrecke, die von Düsseldorf kommend über dieBahnhöfe Mirke, Loh und Heubruch führte.

Das Wort stand Brestowsky leicht zu Gebot, schnell undgerne setzte er es ein und freute sich spürbar seiner Fähig-keit zu gewandter Rede. Er sprach als Vortragender zugleichklar und temperamentvoll und ließ wohl kaum einen Zuhö-rer gleichgültig. In den Nachkriegsjahren herrschte eine er-

freuliche Offenheit, bei vielen Menschenstellte sich aber auch Ratlosigkeit ein, siesahen sich um nach Orientierungsmöglich-keiten. Diese Situation brachte für Brestows-ky gefüllte bis überfüllte Säle, seine ohnehingroße Lust am Vortragen wurde dadurchverständlicherweise noch gesteigert. So istauch die Bemerkung aus einem Konferenz-protokoll zu verstehen, das am 31. Oktober1946 geschrieben wurde, also reichlich vierMonate nach der Schulgründung: “In An-

betracht des Lehrermangels und der Entwicklung der Schu-le hält das Kollegium den vollen Einsatz für die Schularbeitdes Herrn Dr. Brestowsky für dringend erforderlich.” Er stell-te eine Entscheidung für die nächste Konferenz in Aussicht;darin erklärte er dann, daß er sich von Dezember des Jah-res an voll in die Lehrerarbeit hineinstellen und seine Vor-tragstätigkeit einschränken wolle.Der geschilderte Tatbestand bedeutete keinesfalls, daßBrestowsky nicht inzwischen Wichtiges für die Existenz der

Portraits dreier GründungslehrerWie die große Weltgeschichte, so wird auch die Geschichte einer Schule von Menschen, von Individualitäten gemacht.Im Folgenden soll versucht werden, drei Lehrerpersönlichkeiten vorzustellen, die schon bei der Gründung dabei waren.

Wilhelm Rauthe

Carl Brestowsky und Wilhelm Rauthe – beide hatten sichschon während der Kriegsjahre mit Plänen für eine Schul-gründung in Wuppertal getragen, am baldigen Zusam-menbruch des “tausendjährigen Reiches” bestand für siekein Zweifel. Sie rüsteten sich für den Augenblick “danach”.Das taten sie zunächst räumlich getrennt und von sehr ver-schiedenen Gegebenheiten aus.Verschieden waren sie überhaupt, in manchem bis zur Ge-gensätzlichkeit. Von internationaler Weiträumigkeit gab esbei Rauthe keine Spur. Geboren wurde er 1910 in Barmen,wo sein Vater in einem Handwerker- und Arbeiterviertel alsSchneidermeister eine eigene kleine Werkstatt hatte. Wirt-schaftlich schlechte Zeiten nach dem ersten Weltkrieg ließenes häufig an Aufträgen mangeln, eingeschränkte Verhält-nisse und ein mehr als bescheidenes Leben der vierköpfi-

gen Familie waren dieFolge. Dennoch hat Rau-the immer mit Dankbar-keit von der Welt seinerKindheit gesprochen, inder die hohen morali-schen Qualitäten der El-tern bei allem materiel-len Mangel den Kindern

das Gefühl von Halt und Geborgenheit schenkten. Rauthewar der ältere von zwei Söhnen.

Wegen schmerzhafter rheumatischer Erkrankungen – vom2. bis zum 12. Lebensjahr immer wiederkehrend – erfolgteseine Einschulung mit einem Jahr Verspätung. Sein Volks-schullehrer setzte sich nach dem 5. Schuljahr bei den zö-gernden Eltern für das Überwechseln des begabten Jungenin die Höhere Schule ein. Auf der Oberstufe lernte er durch

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Schule getan hätte! Mit fragloser Selbstverständlichkeithatte er in den Wochen vor und nach der Gründung alleGespräche übernommen, die sowohl in Düsseldorf als auchin Wuppertal mit den zuständigen Persönlichkeiten der Mi-litärregierung wie der Schulbehörden zu führen gewesenwaren. Darin bewährte Brestowsky sich bestens, und es lagihm dabei – wenn man die Konferenzprotokolle recht ver-steht – offensichtlich der Umgang mit den englischen Cap-tains weit mehr als der mit deutschen Beamten. Sieben-bürgen, Ungarn, Deutschland, – dieser Weg hatte ein Emp-finden veranlagt, das nationale Bindungen nicht aufkommenließ, das Grenzen leicht überspielte.

In der sich bildenden Oberstufe unterrichtete Brestowsky

vor allem Deutsch und Geschichte, gelegentlich half er aberauch, einen Ausfall im Lateinunterricht zu überbrücken. Biszu seinem Ausscheiden aus dem Kollegium, wozu eine be-ginnende schwere Krankheit ihn 1962 zwang, empfand undverstand Brestowsky sich gerne als Schulleiter, und nichtshat in ihm die Einsicht wecken können, daß eine solche Ein-richtung dem Wesen des Waldorfkollegiums nicht entsprach.Ernsthaft hat den Versuch, ihn darauf hinzuweisen, wohlauch niemand unternommen. Die Kollegen kanntenBrestowsky, schätzten ihn hoch als Persönlichkeit und wa-ren ihm dankbar für den Arbeitseinsatz, den er leistete, so-wohl innerhalb der Schule als auch in deren Außenfeld.

Carl Brestowsky starb 1974.

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einen Lehrer erstmals Gedanken der Anthroposophie ken-nen. Damit war der Beginn gesetzt für ein Studium, das denganzen weiteren Lebensgang bestimmte.

Nach dem Abitur (1931) studierte Rauthe in Köln und KielGermanistik, Mathematik, Physik und Sport. Das war eineungewöhnliche und heute gar nicht mehr mögliche Fächer-kombination. – In Köln gehörte der Germanist Friedrich vonder Leyen zu seinen Lehrern. Dessen Frau war Jüdin, für dieNazis Grund genug, ihn aus dem Universitätsdienst zu ent-lassen. Eine Gruppe von etwa fünfzehn Studenten, unterihnen Rauthe, setzte sich für v. d. Leyen ein und fordertedessen Verbleiben. Der damalige Kultusminister eröffneteein Disziplinarverfahren gegen die Studenten mit dem Zielihrer Entfernung von der Universität. Durch die Vermitt-lung zweier Persönlichkeiten konnte dieser Schritt verhin-dert werden, aber Rauthe wurden 1937 die öffentlichenMittel für sein Studium gestrichen. Früher als beabsichtigtmußte er daher mit dem Staatsexamen abschließen. Dieharten Bedingungen, unter denen er Student gewesen war,trugen ihm eine schwere Magenerkrankung ein, unter derer jahrelang litt. Dem jüdischen anthroposophischen Arzt,der ihn damals behandelt hatte, konnte er in letzter Minu-te zur Ausreise nach Skandinavien verhelfen.

Nach der Referendarzeit unterrichtete Rauthe in Barmenam Gymnasium in den Fächern Deutsch, Mathematik undPhysik. Als die Stadt in dem großen Angriff vom Mai 1943zerstört worden war, wurde die gesamte Schule nach Wei-mar evakuiert. Dort erlebte Rauthe das Kriegsende, kehrteso bald wie möglich nach Wuppertal zurück und trat nunmit dem anthroposophischen Freundeskreis in die Vorbe-reitungen zur Schulgründung ein. Er hatte die nötige Er-fahrung in der Schularbeit, kannte sich in Betrieb und Ver-waltung einer Höheren Schule aus, so kam es zur selbst-verständlichen Aufgabenteilung: So wie Dr. Brestowsky nach

außen, bei Militärregierung und Schulbehörden, die Be-dingungen für die Genehmigung der Schule herbeiführte,so arbeitete Rauthe an ihrer inneren Einrichtung, bereite-te das Feld, auf dem Unterricht möglich werden konnte.Mit der Zeit führte ihn das dann auch zu stärkerer Kon-taktnahme mit dem Kultusministerium in Düsseldorf (vgl.dazu: “Besondere Ereignisse”, S. 17). Bis zu seinem Aus-scheiden aus der Schule (1977) blieb dieser Bereich in sei-ner Verantwortung.

In seinem Erscheinungsbild und Auftreten eher zurückhal-tend, ging Rauthe sparsam um mit dem Wort. In Konfe-renzen kam in ihm vor allem der Naturwissenschaftler zumZuge. Gab es zwischen unterschiedlichen Ansichten Aus-einandersetzungen, so beobachtete er den Gesprächsver-lauf wach, ruhig – und schwieg dazu. Meistens war es dannso, daß er erst nach langem Hin und Her wenige Sätze sag-te, die Klarheit schafften und die Dinge an ihren Ort rück-ten. Das konnte leicht jeder sehen, der die Augen nicht ver-schloß.

Stark wirkte Rauthe durch seinen Unterricht, durch seineArt, mit den Schülern ins Gespräch zu kommen. Immer wie-der einmal berichtete eine Ehemalige, ein Ehemaliger, wasalles sie, er dem Lehrer Rauthe zu danken haben. Auf diezwei Wesenszüge in seinem Wirken: klare Führung derSchulgeschicke und verantwortungsvolles pädagogischesArbeiten, weisen Äußerungen hin, die nach seinem Todevon zwei Außenstehenden kamen: Zunächst Prof. Dr. FritzBärmann von der Universität Wuppertal. (Zu dem beson-deren Kontakt zwischen Pädagogischer Hochschule und derRudolf-Steiner-Schule vgl. “Freunde im Umkreis”, S. 23) Ererinnert sich eines Hauptunterrichtes in Kl. 13, an dem ermit Studenten hospitierend teilgenommen hatte. “Unver-geßlich die vollkommene Individualisierung des Lernpro-zesses bei gleichzeitiger Integration aller bei der Wahr-

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heitssuche, ermöglicht von einem Manne mit größterpädagogischer Zurückhaltung, mit höchster Sensibilität fürSprechen und Führen ausgestattet, zugleich mit einem kri-stallklaren Willen. Was für ein Pädagoge!” Rückblickend aufdie Jahre, in denen er als Justitiar des Bundes der Waldorf-schulen tätig war, sieht Prof. Dr. h.c. Hellmut Becker (zu-letzt Leiter des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschungin Berlin) den Waldorflehrer Rauthe, der mit ihm zusam-men wichtigste Voraussetzungen für die Anerkennung derWaldorfschulen schuf: “Ich habe in den vielen Jahren mei-ner Verbindung zum Bund der Waldorfschulen Herrn Rau-the immer ganz besonders geschätzt und seine subtile und

differenzierte Art und Weise für eine ganz besondere Lei-stung im Rahmen der Waldorfpädagogik angesehen. …Esist bewundernswert, wie dieser leise Mensch in der Lagewar, große und nachhaltige Wirkungen zu erzeugen.” (vgl.“Besondere Ereignisse”, S. 19)Nachdem bereits eine tückische Augenkrankheit (beidsei-tiges Glaukom) Rauthe gezwungen hatte, seinen Arbeits-einsatz zurückzustecken, erlitt er 1985 einen Schlaganfall,der ihn halbseitig lähmte und vorübergehend auch seinSprechen beeinträchtigte. Es war beeindruckend, wie er sichgegen diese Behinderungen erfolgreich behauptete. Er starb im September 1989.

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Elsbeth von Esebeck

Die Schule hütet ein großformatiges Heft, in das Elsbethvon Esebeck in der Pfingstzeit 1973 ihre Lebenserinnerun-gen aufzeichnete. Damals war sie 74 Jahre alt. Wer die er-sten Seiten des Heftes mit den sorgfältigen, schönenSchriftzügen liest, fühlt sich unversehens in die Mark Bran-denburg zur Zeit Kaiser Wilhelms II versetzt. Das Bild einerungetrübten Kindheit und Jugend ent-steht. Als die älteste von vier Geschwi-stern mit 21 Jahren das Elternhaus unddas kleine Dorf Stahnsdorf am Stadt-rande von Berlin verläßt, hat sie nachdreijährigem Besuch des Oberlyzeumsin Berlin-Lichterfelde die Befähigungfür das Unterrichten an Höheren, anMittel- und Volksschulen erworben.Nach den ersten beiden Klassen an die-sem Oberlyzeum legten die Schülerin-nen ein dem Abitur gleichgestelltes Ex-amen ab, nach einem weiteren Jahrdann die Lehramtsprüfung. So einfachwar das damals. –Der Vater der ElsbethKielblock war Lehrer an der zweiklassi-gen Schule von Stahnsdorf. Da er dieälteren Schüler unterrichtete, saß Töch-terchen Elsbeth nur als Zaungast abund zu in seiner Klasse; mit zehn Jahren wechselte sie hinü-ber zum Goethe-Lyzeum in Lichterfelde. Günstigerweisewar die alte Pferdebahn gerade ersetzt worden durch eineelektrische Linie, die Lichterfelde mit der Machnower Schleu-se verband; die Bahn fuhr an dem Elternhaus in Stahnsdorfvorbei. Wer Elsbeth von Esebeck später, an der Wupperta-ler Schule erst, kennenlernte, versteht vieles aus ihrem We-

sen und Erscheinungsbild von diesen Kinder- und Jugend-jahren her. Alles verlief harmonisch, “richtig” und konse-quent. Welcher innere Reichtum baute sich durch die Kul-turstadt Berlin in der Achtzehn- bis Einundzwanzigjähri-gen auf! Kein Furtwängler-Konzert wurde versäumt; Bilderaus Max Reinhardts Inszenierungen prägten sich unver-geßlich ein.

Doch daneben wurde bereits eine andere Linie angesetztund verfolgt. Durch die Studienrätindes Oberlyzeums hörte die Seminari-stin den Namen von Friedrich Rittel-meyer. Die Lehrerin nahm sie zu des-sen Predigten mit, und sofort wurdendas Empfinden und Denken des jun-gen Mädchens einbezogen in den Ent-wicklungsprozeß, aus dem dann baldschon die Christengemeinschaft sichbilden sollte. Das Schicksal führte siefast lückenlos von der Bewegung fürreligiöse Erneuerung, die durch Frie-drich Rittelmeyer und Emil Bock an-geregt wurde, zur Anthroposophie hin.Als “Mittelpunktsereignis” bezeichnetdie sich erinnernde alte Frau die Be-gegnung mit Rudolf Steiner, den sieMärz 1923 in Stuttgart bei zweipädagogischen Vorträgen erleben

konnte. Sie hatte sich zur Stuttgartfahrt beurlaubt aus ih-rer Erziehungstätigkeit in einem Pfarrhause in der Neumark,hinter Küstrin. Aus diesem Wirken schied Elsbeth Kielblocknun aus und besuchte die Kurse, die es damals (1924) inStuttgart als Einführung in die anthroposophische Pädago-gik gab. Dabei lernte sie Caroline von Heydebrand, Hermannvon Baravalle und Dr. W. J. Stein kennen, Größen aus der

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Frühzeit der Waldorfschule. Daß es zum Unterrichten imRahmen der Pädagogik Rudolf Steiners dann doch erst 1946kam, lag unter anderem daran, daß die junge Lehrerin inStuttgart den Priester der Christengemeinschaft, Konstanzvon Esebeck, heiratete. Die Ehe dauerte nicht lange. Als derjunge Priester nach einigen Jahren Arbeit in Köln versetztwurde in seine Geburtsstadt Königsberg, blieb die (inzwi-schen geschiedene) junge Frau in Köln, wo sie zunächstbeim “Stadtverband Kölner Frauenvereine” sich mit sozia-len Tätigkeiten einsetzte. Unter anderem arbeitete sie ei-nen Winter lang in der städtischen Prostituierten-Fürsor-ge. Vom Umgang mit den von ihr damals Betreuten be-richtet E. v. Esebeck nur Positives.

Schließlich kam sie dann doch zum Unterrichten: von 1933-1945 an Volks- und Mittelschulen im Kölner Raum. Im Früh-jahr 1946 besprach sie sich in Stuttgart mit Sophie Porzelt,die an der Wiedereinrichtung der dortigen Schule ent-scheidend mitgewirkt hatte und später die erste Leiterindes Seminars der Waldorfschulen wurde. Frau Porzelt wiesFrau v. Esebeck auf die geplante Wuppertaler Schule hin.Kurz entschlossen stellte sie sich dort vor und “kam gera-de zurecht, um an der Gründungsversammlung des Schul-vereins und der Vorstandswahl teilzunehmen”. E. v. EsebecksEindruck: “Die Leute sind gründlich, hier wird ernsthaft ge-arbeitet.” Ihre Bereitschaft zur Mitarbeit wurde freudig be-grüßt, und somit gehörte sie zu den Lehrern der ersten Stun-de. Neunzehn Jahre blieb sie als Klassenlehrerin tätig, un-ermüdlich suchte sie sich weiterzubilden. Neben demHauptunterricht waren Französisch, Englisch und Religionihre Fächer. Besondere Sorgfalt widmete sie der Pflege desKontaktes zur Elternschaft. Innerhalb des Kollegiums konn-te sie oft allein durch ihr Dasein in problematischen Situa-tionen als milderndes, ausgleichendes Element wirken.

Sie liebte das Feste-Feiern – im großen wie im privaten Krei-

se. Schon als Schülerin des Goethe-Lyzeums bewog sie dieMutter, ihr zum Geburtstag das Einladen aller 26 Klassen-kameradinnen zu erlauben. – Es gibt ein Foto von Frau vonEsebeck, aufgenommen bei der Abschiedsfeier einer 12.Klasse, die sie in der Klassenlehrerzeit geführt hatte. In vor-nehm dunklem Kleide mit kleiner Goldbrosche sitzt sie auf-recht und vergnügt schmunzelnd da. Auf ihren sorgfältiggelockten grauen Haaren trägt sie einen Heiligenschein.Den hatten die Schülerinnen und Schüler ihr aufgesetzt.Zudem schenkten sie an dem Abend der alten Klassenleh-rerin die Vorführung eines echten Menuetts, zu dessen Ein-studierung sie eigens einen Tanzlehrer engagiert hatten.Neben voller Anerkennung des in bestem Sinne Zeit-gemäßen, das in Elsbeth v. Esebecks Wesen lebte, verbin-det man gerne den scherzhaft (und zugleich aus hoher Ach-tung) verliehenen Heiligenschein ebenso wie das Menuettmit ihrem Bilde. Diese Züge hinderten sie keineswegs, In-teresse, Verständnis und Hilfsbereitschaft gerade den jün-geren Kollegen entgegenzubringen. Wo Neues in Leben undFührung der Schule sich bilden wollte, suchte sie – wennsie erkannte, daß dieses Neue sich nicht vom geistigen Grun-de der Pädagogik Rudolf Steiners entfernte – es zu verste-hen und zu stützen.Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in einem Heim derChristengemeinschaft im Sauerland. Immer wieder be-suchten ehemalige Schüler und Kollegen sie dort.Elsbeth von Esebeck starb einundneunzigjährig im Oktober1990.

Erika Dühnfort

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Eindrücke fürs LebenAnfang September 1946 nahm die neugegründete Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal ihre volle Arbeit auf. Wenige Klas-sen hatten schon im Sommer begonnen, aber die meisten, soauch die 5. Klasse, in die ich kam, jetzt erst. In die oberstenKlassen gingen sogar einige “Schüler”, die ihre Schulzeit schonhinter sich hatten und doch wenigstens ein Jahr Waldorfschulefürs Leben mitnehmen wollten. Über diesem Anfang lag beialler Hungersnot und Winterkälte ein strahlender, golden war-mer Glanz von innen. Nach den Verbots- und Kriegszeiten wa-ren die Lehrer wohl überglücklich, endlich anthroposophischorientierte Pädagogik verwirklichen zu können.Dr. Gustav Spiegel war unser erster Klassenlehrer. Das mir ein-drucksvollste Erlebnis bei ihm war, wie er in der Tierkunde ei-nes Tages das röhrende Gebrüll eines Löwen vormachte, vollergeballtem Ernst und mit aller ihm möglichen Lautstärke, ohneseiner Würde etwas zu vergeben. Ein Jahr später bekamen wirDr. Joseph Zimmermann als Klassenlehrer. Er war ein Ur-pädagoge. Nach wenigen Wochen machte er den ersten Ju-gendherbergsaufenthalt mit uns in Hohenlimburg. Abends zeig-te er uns die spätsommerlichen Sternbilder. Zum Ende weckteer einzelne morgens um vier Uhr, damit sie den aufgehendenLöwen wenigstens erstmals gesehen hatten. 58 (achtundfünf-zig!) Schüler waren wir bei ihm in der 8. Klasse, in engge-pferchten Schulbänken. Aber Dr. Zimmermann, der sich ein-mal liebevoll als den Emir seiner Kamele bezeichnete, hatte unsvoll im Griff. Er gab uns eine besondere Liebe zum Singen mit.

ImpulseIn den fünf Jahrzehnten, auf die wir jetzt zurückblicken, ist eine große Schar von Lehrerinnen und Lehrern und eine noch weit-aus größere Schar von Schülerinnen und Schülern in unserer Schule tätig gewesen. Es gab zahllose, sehr unterschiedliche Begeg-nungen zwischen Lehrern und Schülern.Für all die Begegnungen, aus denen lebendige Entwicklungsimpulse für die Beteiligten entsprungen sind, mögen stellvertretenddie folgenden Beiträge ehemaliger Schüler sprechen.

Dr. Vogel

In der Oberstufe beka-men wir prächtige Leh-rer. Deutsch und Ge-schichte gab Dr. CarlBrestowsky, ein Mannvon hoher Selbstdiszi-plin und klarem Den-ken. Später erfuhr ich,daß er als Student vonTübingen mit demFahrrad immer dannnach Stuttgart gefah-ren war (40 km hin; 40km zurück), wenn Ru-dolf Steiner dort einenVortrag hielt. Er muß-

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te nämlich am nächstem Tag seiner Studentengruppe haar-klein den Vortrag referieren. In Menschenkunde, Biologie und Chemie genossen wir dieEpochen des Schularztes Dr. Lothar Vogel. Sein Unterrichtsprühte nicht nur von herzhafter Begeisterung, sondern warvoller Ideen und ebenso schlagfertigem Humor. Es gibt denfragwürdigen Humor aus Ironie und Schadenfreude, Dr. Vo-gel verbreitete hingegen goldenen Humor. Er hatte selbst dieFächer, in denen er uns unterrichtete, als Waldorfschüler beimersten Schularzt, Dr. Eugen Kolisko, gehabt.

Kunstgeschichte hatten wir zuerst bei Georg Dönges, dann beiFerdinand Böcking. Selbst in der Abiturklasse hatten wir nochgeschlossen eine freiwillige Stunde pro Woche in Kunstge-schichte, zumeist mit eigenen Referaten. Wilhelm Rauthe hat-ten wir nur einmal für die Deutschepoche der 10. Klasse undlernten bei ihm durch ganz besonders bewegende Themen-stellungen eine greifbare Methode des Aufsatzschreibens. Dr.

Sabine Lauterbach gab uns die letztenzwei Jahre Englisch in bewundernswerterWeise. Sie kannte rasch den Wortschatzjeder ihrer Klassen, sprach nur in ihm undwar vom ersten Tag an völlig verständlich.

Unser Betreuungslehrer durch die Ober-stufe hindurch aber war Wilhelm Goosses,eine mächtige Statur von cholerischer En-ergie. An ihm ist mir später aufgegangen,daß echte Cholerik nichts mit Wut underst recht nichts mit Profilneurose zu tunhat. Goosses war von unbestechlich-lau-terem Charakter, der für jeden Schüler in

jeder Lebenslage immer selbstlos da war. “Papa Goosses” nann-ten ihn dankbar viele Klassen, die ihn hatten. Auf ihm lastetein jenen Aufbaujahren die Hauptverantwortung für das Ge-lingen der Abiture. Obgleich schon über der Pensionsgrenze,gab er uns und noch einer Reihe folgender Klassen einen

pädagogisch ausgezeichneten Ma-thematikunterricht. Er hatte noch alsjunger Mensch selbst Rudolf Steinerin der übervollen Stadthalle in El-berfeld sprechen hören.Stelle ich mir die Frage, welcher vonmeinen Lehrern am meisten auf michgewirkt hat, so ist das schwer zu ent-scheiden. Wir hatten prächtige Ober-

stufenlehrer - auch in den künstlerischen Fächern, so außer-ordentlich verschieden auchdie Charaktere waren.Brestowsky war der großeLogiker und Methodiker, Vo-gel war der genialische, be-geisternde Gegensatz dazu.Lauterbächin konnte völligin der Sprache aufgehen,Goosses war die stärksteCharakterfigur. Und doch muß ich bekennen, daß die tiefstebiographische Wirkung auf mein Leben der Klassenlehrer Dr.

Zimmermann hatte. Was er in der Mittelstufe veran-lagt hatte, dafür erschien mir dieganze Oberstufe nur wie dieAusführung. Vor wenigen Mo-naten ist er nun im 81. Lebens-jahr verstorben. Er trug in sichin der Stille eine hohe Kraft, dieihn in aller Bescheidenheit undBestimmtheit gleicherweise cha-

rakterisierte. Er hat auf mich den größten Eindruck von allenLehrern gemacht.

Dr. Wolfgang Schad, 1946 in die 5. Klasse aufgenommen,heute tätig als Dozent für Biologie an der Freien Universität

Frau Dr. Lauterbach

Herr Goosses

Herr Goosses und Herr Dönges

Dr. Zimmermann

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Witten-HerdeckeImpulse für das Leben durch unsere LehrerWenn wir Schüler, die noch von der Gründergeneration unse-rer Schule unterrichtet wurden, uns treffen, wird immer wie-der einzelner Lehrer dankbar gedacht, denen wir besondereImpulse für unser Leben verdanken. Für Ehemalige verschie-dener Klassen wird dies verschieden sein, aber für uns warenes in besonderer Weise Herr Goosses (Biologie und Chemie),Herr Dr. Brestowsky (Deutsch und Geschichte), Herr Dr. Vogel(Biologie und Wirtschaft) und Frau Dr. Lauterbach (Englisch).Nach nun bald 40 Jahren schält sich deutlicher heraus, waswir unseren Lehrern verdanken: Sie hatten - wie wir - denKrieg er- und überlebt und wollten für den Aufbau einer men-schenwürdigen Gesellschaft wirken. Sie wollten etwas - auchwenn das Unterrichten mit über 50 Schülern oft schwer ge-nug war. Dieses Wollen sprach durch ihre Darstellungen. Diedamals zeitgenössische Wissenschaft war ihnen auf ihren Ge-bieten vertraut. Immer versuchten sie aber, das Wissen aufden Menschen und die Gesellschaft so zu beziehen, daß sichPerspektiven für eine neue Entwicklungsmöglichkeit eröffne-ten. Vieles, was wir seither als Pädagogen, Wissenschaftleroder Begründer sozialer Initiativen leisten durften, hat sich andem Wollen unserer Lehrer entzünden können. Mögen das inähnlicher Art auch die heutigen Schüler erleben dürfen.

Dr. Ernst Schubert, 1953 in die 9. Klasse aufgenommen,heute tätig als Dozent für Mathematik u. a. im Waldorflehrer-seminar Mannheim

Maria Christiane Benning hat unsere Klasse in den ersten sie-ben Schuljahren in der englischen Sprache unterrichtet. Ichbin dankbar für diese Begegnung, deren tiefer Eindruck michbis heute begleitet.Ich möchte Maria Christiane Benning durch eines ihrer Ge-

Nun gehen Sterne auf...

Nun gehen Sterne auf am Firmament,derweil ich noch am offenen Fenster stehe,in einem Warten, das sich selbst nicht kennt.

Sie gehen leuchtend auf. Und ich verstehe,daß sie aus großen Tiefen kommen müssen.Vielleicht aus Götterleid. Mein kleines Wehe

wird langsam still und ahnt ein heiliges Wissen,das ihm, so wie den Göttern Sterne werden,erstehen will aus eigenen Finsternissen,

und betet: Also auch auf Erden.

Elisabeth Schmidt-Becher, 1950 in die 1. Klasse aufgenommen,heute tätig als Lehrerin in der Waldorfschule Nürnberg

Frau Benning, 1923 - 1957

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Jahre nach meiner Schulzeitbegegnete ich Herrn Reichert,und wir schauten eine Map-pe mit Aquarellen durch, dieich zu dem Zeitpunkt beimehreren Ausstellungen zei-gen wollte. Und da erlebte ichwieder etwas von der Wärmeund Zuneigung, die ich schonals Schüler kennengelernt undso sehr gebraucht hatte. Indieser völligen Hinwendungan meine Bilder und in seinenvorsichtigen Beschreibungendessen, was er an diesen er-lebte und in Worte fassenkonnte, fühlte ich mich ganz

ernst genommen und auch “aufgewertet” in meinem eigent-lichen Wesen. Es war so, als hätte er gar nicht mich als Personneben sich, sondern als wenn er zu meinem höheren Ich spre-chen würde.

Christian von Grumbkow, 1957 in die 6. Klasse aufgenommen,heute tätig als Maler und Lehrer im Bereich der bildenden Kunst

Nach 19-jähriger Tätigkeit verließ Wilhelm Reichert im Jahre1982 unsere Schule und ging später als Mitbegründer derGoetheanistischen Studienstätte nach Wien.

Gefragt nach Herrn B., meinem alten Lehrer, was fällt mir da ein ?Seine abgetragenen Jacken und dickeBrillengläser, hinter denenAugen mal in die Runde blicken,mal für Sekunden - scheinbar nach innen.

Tausend Versuche, Wissen vor uns auszubreitenoder mit uns neu zu erfinden.Momente, in denen er selbst den Faden verliert.

Sprechen üben - Zeichnen üben - Denken üben,immer wider Ideen begreifen.

Und sein Gespür fürs Wesentliche.Dazu das Bild: Wird etwas sehr schwierig, tut so,als steigt Ihr auf einen Bergund betrachtet die Fragen vom Gipfel aus.

So zeigte er sichoft fast unbemerktmit manchem Hinweisund unsichtbarem Augenzwinkernfür mich.

Johannes Wohlgemuth, 1963 in die 1. Klasse aufgenommen heute tätig als Familientherapeut

“In der Einfachheit liegt die Größe”; unter dieses Motto könn-te man das Lebens- und Schaffensprinzip Ferdinand Böckingsstellen.Der Verzicht auf alles Überflüssige zeichnete sein Wirken aus.So verstand er es, in der Regiearbeit durch wenige, aber außer-ordentlich präzise, wie das Wesen einer Rolle umgreifende An-gaben den Grundzug einer Figur in Wort und Geste heraus-zuschälen.Mit gleicher Sicherheit verstand der Künstler Ferdinand Böckinges auch, das Schicksal der ihn umgebenden Menschen mit frei-lassender Zurückhaltung und doch liebevoller Zuwendung zu

impulsieren. Dankbar erinnere ichmich an die Gespräche mit ihm undseiner Frau Vera Böcking zurück, diemir als Jugendlichem Kraft und Mutfür die Zukunft gaben.

Ulrich Maiwald, 1973 in die 1. Klas-se aufgenommen,heute tätig als Sprachgestalter inder Waldorfschule Haan-Gruitenund als Schauspiellehrer an derAlanus-Hochschule

Herr Reichert

Herr Böcking

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Für unsere Heimatstadt Wuppertal war das Jahr 1943 einSchicksalsjahr. Die Stadt war durch zwei große Fliegeran-griffe zerstört worden. So wurde 1944 ein Jahr des all-mählichen Zusammenbruchs des öffentlichen Lebens, undes gab für uns Kinder in diesem Jahr keine Schule mehr.Deshalb taten sich einige Eltern zusammen und baten CarlBrestowsky und Georg Eckert um Privatunterricht für ihreKinder.

Die beiden Persönlichkeiten waren bereit, das damit ver-bundene persönliche Risiko zu tragen. Immerhin lagen sol-che Aktivitäten jenseits der damaligen “Legalität”. Für Dr.Brestowsky kam hinzu, daß sein jüngerer Bruder zur selbenZeit wegen einer unvorsichtigen Äußerung in GeStaPo-Haft saß, so daß die Familie schon aus diesem Grund ge-fährdet war. Der Unterricht fand in der Gartenstadt Schel-lenbeck abwechselnd in zwei Privatwohnungen, und zwarim Hause Hellmannsberger und im Hause Schäfer, statt. Ge-org Eckert gab für die etwa 12 Kinder, deren Alter zwischen10 und 15 Jahren lag, Mal- und Zeichenunterricht und CarlBrestowsky alles andere.

Damals wohnte Dr. Brestowsky mit seiner Frau und den bei-den Kindern Astrid und Michael in Bredenscheid bei Hat-tingen. Er mußte also mit seinen beiden Kindern, die da-mals 10 und 13 Jahre alt waren, zweimal wöchentlich mitder Eisenbahn oder je nach Verkehrslage mit dem Omnibusnach Wuppertal fahren. Manchmal fuhren aber keine öf-fentlichen Verkehrsmittel, und dann legten sie den zwei-stündigen Weg zu Fuß zurück. Das war nicht ungefährlich,denn auf einem solchen Weg kamen sie auch einmal unterTieffliegerbeschuß. Auch die Eisenbahn wurde öfters be-schossen.

Der Unterricht war ganz anders, als man ihn von der Volks-schule oder vom Gymnasium gewöhnt war. Es war nichtnur die Dorfschulsituation mit mehreren Altersstufen in ei-ner Klasse und auch nicht, daß der Unterricht in Privat-räumen stattfand, vielmehr war es die unmittelbare Mensch-lichkeit, welche die beiden Lehrer ausstrahlten, die uns Kin-dern bis dahin in der Schule so noch nie begegnet war.Dennoch waren wir durchaus keine braven Kinder, - im Ge-genteil – aber wir spürten, daß auch unsere Unarten liebe-voll betrachtet und von den Lehrern als dazugehörig emp-funden wurden. Neben Malen und Zeichnen gab es Rech-nen, Geometrie, Deutsch, Englisch und sogar Latein. Überdem Unterricht schien die wärmende Sonne einer anderenPädagogik, die wir Kinder allerdings hinnahmen wie Regenund Schnee. Wir wußten damals nur, daß wir in einen sol-chen Unterricht gerne gingen.

Neben dem Malunterricht war der Geometrieunterricht fürmich etwas ganz besonderes. Ich lernte mit Lineal und Zir-kel umgehen. Es war schwer, einen Zirkel zu bekommen,und so mußte man sich zuerst mit einer Reißzwecke undeinem Faden behelfen. Die Einsichten, die man gewann,waren der Mühe wert, und so wurde der Grund einer Lie-be zur Geometrie gelegt. Im Sprachunterricht wurde vielrezitiert. Carl Brestowsky erarbeitete mit uns kleine hu-morvolle englische und deutsche Gedichte. Ich erinneremich besonders an „Die Frösche“ von Goethe.

Mit dem Jahr 1945 kam der Zusammenbruch, und die glück-liche Zeit des Lernens in der Schellenbeck war vorbei. DieSchulen nahmen im Herbst ihre Arbeit wieder auf, und das„normale“ Lernen begann wieder. In meiner Schule hatte

Eine Erinnerung aus der Kriegszeit

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sich nichts gegenüber vorher geändert, nur die politischeOrientierung der Lehrer war plötzlich anders. Sie hattensich zu Demokraten gewendet, aber es war nur das schlech-te Futter eines alten Mantels nach außen gekehrt worden.So war ich froh, daß ich bald danach im Jahr 1946 zur neu-gegründeten Rudolf-Steiner-Schule überwechseln durfte,an der der verehrte Lehrer unterrichtete.

Heute darf man sich wohl die Frage stellen, was die Lehrer,die damals die Rudolf-Steiner-Schule in Wuppertal grün-deten, für unsere Generation getan haben? Eine Antwort

darauf ist nicht leicht, aber sicherlich ist eines ganz wich-tig. Sie haben der damaligen jungen Generation, die ja zumTeil vom Kriegsdienst in die Schule kam, den Glauben andie Menschheit und an die Kraft echter Ideale zurückge-geben. Diese Tat war das wichtigste Geschenk für das Le-ben nach der Schule.

Siegen, 2.Januar 1996

Peter Nantke, heute tätig als Lehrer an der WaldorfschuleSiegen

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Das klingt so schön brav, etwa wie: “Mein schönster Feri-entag” – ein Aufsatzthema, mit dem gelegentlich Schülerbelästigt worden sein sollen. Nur deshalb schreibe ich hierüber “Mein erster Schultag”, weil das zufällig auch der er-ste Schultag unserer Schule gewesen ist. Also ein histori-sches Ereignis! Im Stillen war ich immer ziemlich stolz aufdiese Tatsache, daß ich “von Anfang an” dabei gewesen bin,“ab urbe condita” sozusagen. Aber nun gefragt: “Ja, wie wardas denn damals?”, komme ich in Verlegenheit, weil ichmich so genau gar nicht mehr erinnern kann. Deshalb, abernicht nur zur Ablenkung, zunächst ein paar Streiflichter aufdas Leben in jener Zeit. Zwar in Wuppertal geboren, lebteich mit Mutter und Schwester in Hessen auf dem Land beiVerwandten. Der Vater war zu der Zeit als Sanitäter in Ruß-land, dann in Gefangenschaft. Durch einen Bombenangriffauf Wuppertal waren die Möbel, der gesamte Hausrat derFamilie, verbrannt. Im Kindergarten bin ich unangenehmaufgefallen. Die “Tante” kam deshalb ganz besorgt zu mei-ner Mutter: Das Kind könne ja gar nicht anständig grüßen?!Das hieß, ich hatte nicht gelernt, “Heil Hitler” zu sagen, wasein ungünstiges Licht auf meine Mutter warf. Nach Kriegs-ende – der Vater war schwer krank, aber sonst heil heim-gekehrt – zogen wir wieder zurück nach Wuppertal. DieKinder auf der Straße konnte ich zunächst nicht gut ver-stehen. Das klang ziemlich “ausländisch” – das schöne Bar-mer Platt. Ein Ausdruck ist mir noch im Ohr aus diesen Ta-gen: “Wat stuckse?”, das heißt: “was tauschst du?” Lebhaf-ter Handel also der Kinder untereinander! Die Erwachsenenmußten aber auch “handeln” oder gar “organisieren”, da-mit das Lebensnotwendige zusammenkam. So hat der Va-ter zusammen mit einem Kollegen in Köln Kohlen “besorgt”.Da gab es eine Stelle, wo die Waggons ganz langsam fuh-

ren. Wir Kinder haben die Sorgen der Eltern um das tägli-che Leben kaum mitbekommen. Wir spielten auf der Hardt,wo es Versteinerungen und Höhlen gab, oder am KothenerBach – oder machten “Schelle-Türkes”, also: “Schellen undWeglaufen”.Überall in der Stadt waren auf Wänden und Mauern dieWorte angeschrieben: “Aus Ruinen, Trümmerstätten, kannnur Einheit, Aufbau retten”. Ja, Trümmer, die gab es. Daswaren sehr günstige Spielplätze. Manchmal standen nocheinzelne Wände; die verschiedenen Farben und “Müster-kes” der Tapeten wurden von Wind und Regen bearbeitet,eine schöne Tüll-Gardine flatterte im leeren Fensterloch.Nicht lange dauerte es, da begrünten sich die Trümmerhü-gel, schließlich wuchsen und blühten prächtig die soge-nannten Trümmerblumen (Weidenröschen) und im Früh-jahr Weidenkätzchen und Huflattich.“…kann nur Einheit, Aufbau retten”. Für diesen aufmun-ternden Vers ist die Gründung unserer Schule ein gutes Bei-spiel. Wir Kinder ahnten ja nicht, was alles geleistet wer-den mußte, ehe der erste Schultag, der 17. Juni 1946, ge-feiert werden konnte. Auch unter welchen persönlichenVerzichten und finanziellen Opfern die Lehrer uns in denersten Jahren unterrichtet und die Schule aufgebaut ha-ben. In einem Raum im Erdgeschoß des Gebäudeteils, indem unterm Dach Herr Stiller, der Hausmeister, wohnte,drängte sich die erste kleine Schulgemeinde festlich zu-sammen. Vorne – das ist sicher – standen Blumen in großenVasen. Es gab Musik, Ansprachen, wohl auch die Rezitati-on eines Spruches von Rudolf Steiner, etwa “Beim Läutender Glocken”. Gewiß hat auch unsere künftige Lehrerin, Frauvon Esebeck, einige herzlich-kräftige Worte an die I-Dötz-chen gerichtet. All das bleibt aber im Nebel der Ver-

Mein erster Schultag

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mutungen. Genau dagegen erinnere ich, daß wir aufge-fordert wurden, jeder möge aufstehen und seinen Namensagen. Das war ein aufregender Augenblick! Da fing ja dieSchule richtig an, als ein Kind nach dem anderen sich er-hob und durch seinen Namen kundtat: “Ich bin da”. Von ei-ner Mitschülerin –sie möge mir verzeihen – weiß ich diesNamensagen noch ganz genau, da sie drei Silben so be-sonders betonte und bei jedem Akzent ein bißchen mit demKopf nickte: “Ich heiße Margit Barbara Rittershaus.” Unddann kam – wieder ein symbolträchtiges Ereignis – der Mo-ment, als die Eltern schon gehen durften und wir unsereerste echte Schulstunde haben sollten. In diesem Augen-blick weinte ein Junge, der sogar ein wenig älter war alsdie echten I-Dötzchen und eigentlich schon zur zweitenKlasse gehörte. Der weinte! Später hat er sich als hervor-ragender Geiger entpuppt und ist ein bekannter Dirigentgeworden. Ja, und so ging es los mit der ersten echtenSchulstunde. Als vergilbtes Dokument dieser Stunde undder darauffolgenden Schulzeit ab 17. Juni 1946 liegt vormir mein erstes Heft, mit blauem Faden per Hand zusam-mengebunden, ziemlich eng beschrieben, denn wir muß-ten Platz sparen. Papier war etwas ganz Kostbares, Bunt-stifte auch. Mit großer Konzentration wurden “die Gerade

und die Krumme” gemalt, dann die Schneckenlinie, schließ-lich die “Zwergen- und Elfenwege”. Das ist wohl noch im-mer so bei Waldorf-Schulanfängern. Durch den Beginn derSommerferien wurde Ende Juli 1946 der erste Lernabschnittbereits beendet. Da stehen im Heft – schön umrandet – dieersten Worte, die wir schreiben konnten: WO WAS WIR.Diese beiden Frageworte und das WIR können zu mancherleiNachdenken anregen. – Die Gelegenheit ist günstig, hierrasch einzufügen, daß ich von der ersten bis zur 13. Klasseausgesprochen gern zur Schule gegangen bin. Staunendhabe ich später bemerkt, daß das nicht selbstverständlichist. Für mich persönlich – vielleicht auch im Namen meinerKlassenkameraden – möchte ich hier den Lehrern danken,die uns begleitet haben. Stellvertretend nenne ich nur FrauElsbeth von Esebeck, die Klassenlehrerin der Unter- undMittelstufe, Herrn Wilhelm Rauthe, der uns in der Ober-stufe betreut hat. Mein erstes Schulheft schließt – passendauch für den Schluß dieser Darstellung – mit den Worten:“Ich bin der Punkt – ich liebe die Ruh – ich schließe dasEnde des Sätzchens zu.”

Andreas Weymann, heute tätig als Priester der Christengemeinschaft

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An Schule im engeren Sinne, an den Unterricht etwa, andie Monatsfeiern oder was sonst dazugehört haben mag,kann ich mich kaum erinnern.

Ich wurde im Jahre 1947 in die erste Klasse aufgenommen.Wir wohnten damals auf dem Sedansberg, etwa fünf Fuß-minuten vom Alten Markt entfernt.

• In der ersten Zeit durfte ich mit der Straßenbahn zurSchule fahren. Mit der Währungsreform im Juni 1948wurde jedoch das Fahrgeld – 10 Pfennige für eine Fahrt –für meine Eltern unerschwinglich. Von da an ging ichalso zu Fuß. Eine halbe Stunde lang trottete ich mor-

gens und mittags durch eine trostlose Steinwüste.Zunächst war nur ein schmaler Fußweg freigeräumt zwi-schen den Trümmerfeldern. Von Tag zu Tag kam dannmehr zum Vorschein von der Straße – Oberdörnen – Un-terdörnen.

• Schuhe waren kostbare Schätze damals. Sie mußten ge-schont und möglichst lange weitervererbt werden. Da-her gingen wir im Sommer barfuß zur Schule. Wir hüpf-ten über den heißen Asphalt, damit die Fußsohlen nichtallzusehr brannten. – An prägnanten Eindrücken für un-seren Tast- und Wärmesinn fehlte es nicht.

• Im Winter, wenn Schnee lag – und es lag in jedem Win-

Erinnerungen an meine ersten Schuljahre

Unser erstes Klassenfoto:Frau Gerths mit ihrer drittenKlasse

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ter über lange Zeit Schnee –, machte der Schulweg be-sonderen Spaß. Niemand wäre damals auf die Idee ge-kommen, den Schnee von den Wegen und Bürgerstei-gen zu fegen. Wir konnten also nach Herzenslust rut-schen und sogar manchmal von Haus zu Haus auf Skiernzur Schule fahren.

• Papier war sehr knapp in den ersten Nachkriegsjahren;Hefte gab es nicht zu kaufen. Wir schrieben, malten undzeichneten unsere Formen in winzige Heftchen (DIN A6),die unsere Klassenlehrerin für uns genäht hatte. Die Stif-te stammten zum Teil aus amerikanischen Care-Paketen.

• An jedem Schulranzen baumelte irgendein Blechgefäß.In der großen Pause stürmten wir, ausgerüstet mit die-sem Gefäß und einem Löffel, hungrig und erwartungs-voll auf den Schulhof. – “Was gibt’s heute?!” Wir stell-ten uns in langen Schlangen auf und ließen unserenNapf aus riesigen Töpfen mit dampfender, duftender“Quäkerspeise” füllen – humanitäre Hilfsgüter aus Ame-rika. Ich erinnere mich an Nudelsuppe, an süße Bröt-chen – vor allem aber an Kakao! Nie wieder hat mir Ka-

kao so gut geschmeckt wie der Quäker-Kakao in derSchulpause.

Wenn in dem großen Topf noch etwas übriggebliebenwar am Ende der Pause, ließ ich mir mein altes, ver-beultes Kriegskochgeschirr noch einmal füllen – für mei-ne kleinen Geschwister zu Hause.

• Am Nachmittag trafen sich die Kinder der Nachbarschaftin den Trümmern der Umgebung. Trotz der besorgtenWarnungen der Eltern nutzten wir Kinder die traurigenÜberreste der Kriegsjahre als herrliche Abenteuerspiel-plätze mit unerschöpflichen Möglichkeiten: zum Klet-tern, zum Stöbern, zum Verstecken-Spielen, zum Bu-denbauen, … Langeweile?

Um die Weihnachtszeit herum bauten wir uns aus Trüm-merziegeln ein richtiges kleines Haus, richteten es ein – miteinem funktionierenden Kanonenofen sogar – und feier-ten darin unser Kinderweihnachtsfest.

Klaus-Georg Becher, 1947 in die erste Klasse aufgenom-men, heute tätig als Lehrer in der Christian-Morgenstern-Schule Wuppertal

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Steineklopfen (von Mörtel befreien) im Hof – wozu?Lindgrün-Streichen unseres Klassenzimmers (oder war esder Musikraum?)Quäkerspeisung – (in meiner Pflegefamilie gab es Brenn-nesselgemüse oder -Salat, Maisbrot und, wenn wir Glückhatten, nach langem Anstehen noch einen Hering…)Sechs Kinder der uns unterrichtenden Lehrer waren in derzusammengewürfelten Klasse, zu der “heimgekehrte Sol-daten” ebenso gehörten wie Kinder mit Schwierigkeiten inden bisher besuchten Schulen, Kinder von Anthroposophenoder aus ganz anderen Anschauungs- und Lebensbereichen,jedes Kind mit völlig anderen schulischen Voraussetzungenim Alter zwischen 14 und 20 Jahren! – ein Experiment, er-sehnt, erhungert (geistig, seelisch und physisch), gewach-sen aus unermüdlichem Wollen derer, die um das Wesent-

liche dieser Aufgabewußten.Alles war anders fürdie meisten von unsim Vergleich zu denbisherigen Schuler-fahrungen: Gemein-schaftsunterricht ge-genüber streng ge-trennten Buben- undMädchenschulen zu-vor; Epochenunter-

richt gegenüber sonst stündlich wechselnden Fächern; in-dividuelle Förderung der Anlagen – kein Zwang in ein Sche-ma mit dem Ziel Abitur (das mußte damals noch externerstritten werden). Die Lehrer – eher Freunde! – taten al-les, um uns behutsam den Weg zu weisen zu lebenstüchti-gen, kreativen, denkenden Menschen.

Für mich sehr wichtig die Öffnung zu künstlerischer Ent-wicklung, geführt aber mit Respekt gegenüber der persön-lichen Freiheit. Neue Welten taten sich auf durch Euryth-mie, Sprachgestaltung, Kunstgeschichte, Malen, Handwerk,Musik…Anschauungsunterricht und Freizeit verschmolzen und hal-fen der zunächst so ungleichen Gemeinschaft zusammen-zuwachsen.Da war unsere erste Klassenfahrt nach Mehlem (Siebenge-birgs-Wanderung), wo wir auf den Marmorböden eines zer-bombten “Palastes” nächtigten, direkt am Rheinufer. – Wirwaren so anspruchslos – und so aufnahmebereit wie aus-gedrückte Schwämme!Bis wir nach Berlebeck, meinem Heimatdorf, reisten, warenwir wohl schon in 10. und 11. Klasse aufgeteilt. – Auch die-s e

Reise wurde für uns alle sehr wichtig im menschlichen Mit-einander. War nicht jeder von uns ein Baustein für das neue,wachsende “Gebäude” der Rudolf-Steiner-Schule, das fürdie meisten von uns zur entscheidenden Weichenstellungfür den weiteren Lebensweg geworden ist?! –

Maidy Wilke/Melzer, 1946 in die erste Oberstufenklasse

Woran ich mich erinnere:

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......Aber eine Sache aus der ersten Zeit ist mir besondershaften geblieben.Es stand in der Haderslebener Schule an, mehr Räume fürdie Schüler zu bekommen. In einem Teil der Schule war dieSPD von Wuppertal und in weiteren Räumen die Arbeiter-wohlfahrt untergebracht.Um diesen Institutionen anderweitig Raum zu verschaffen,wurde die Aktion “Steineklopfen” ins Leben gerufen, wo-ran die beiden obersten Klassen beteiligt waren.Ca. 2000 Ziegelsteine waren vonnöten, um dieses Ziel zuerreichen. Eine Anzahl von Schülern – wir waren damals 16bis 17 Jahre alt – fand sich mit Beilen bewaffnet zusam-men und ging in die Trümmergrundstücke, um Ziegel zuhacken.Übrigens: Ganz Wuppertal, ja ganz Deutschland war da-mals am “Steineklopfen”. In Berlin nannte man die Steine-klopferinnen “Trümmerfrauen”.Ziegel, auch “gehackte”, waren damals ein begehrter Bau-rohstoff.Wir brachten die benötigten Ziegel in Nachmittagsschich-ten zusammen und fuhren sie mit Handkarren auf denSchulhof, von wo sie dann abgeholt wurden. Es ging nurmit Handschuhen, sonst war man schnell zerschunden.Manche hatten Blessuren davongetragen. Es war eine“Hundsarbeit!” Aber wenn man etwas erreichen wollte,brauchte man “Waren” als Tauschobjekt. Dazu gehörtenauch die Ziegel.

Walter Donfeld, 1946 in die erste Oberstufenklasse aufge-nommen, später tätig als Ingenieur in der Farbindustrie

Lang, lang ist’s her.... In einem Bericht über eine zweite Steineklopf-Aktion, 1948,bei der man sich 20 Pfennige pro Ziegel verdienen konnte,erzählt ein jüngerer Schulkamerad u.a.:

-Man konnte einen Antrag stellen und Schürfrechte an ei-nem Trümmergrundstück erwerben. Die Schule hatte einensolchen Antrag gestellt und bekam ein Grundstück rechtsneben dem Barmer Bahnhof zugeteilt.

-Wenn es allzu heftig goß, flüchteten wir in die Ruine desgegenüberliegenden Opernhauses. Hier wurde dann in derausgeglühten Stahlkonstruktion der Bühne bis hoch in denSchnürboden herumgeklettert.

-Was geblieben ist (nachdem das mühsam erarbeitete Ta-schengeld bald darauf der Inflation zum Opfer gefallenwar): eine wunderbare Erinnerung an eine außergewöhn-liche Zeit, verbunden mit einem diffusen Gefühl von Frei-heit und Abenteuer.

Ulrich Püngel, 1946 in die 4. Klasse aufgenommen,heute tätig als Bauingenieur (Statiker)

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Fritz Christian Gerhard kompo-nierte immer wieder für dieSchüler. Dieses Goethe-Gedicht,daß er für den letzten Schultagvor den Sommerferien vertonthat, drucken wir als Erinnerungfür alle Schüler und zum Ken-nenlernen für alle anderen.

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Kleine Chronik im Überblick1946 Schulgründung

Unterrichtsbeginn in dem Schulgebäude an der Haderslebener Straße 14 am 17. Juni

1974 Umzug in den neuen Schulbau in der Schluchtstraße 21 im Januar,

Einweihung am 27. Februar

1974 Gründung des ersten Waldorf-Kindergartens in Wuppertal

auf dem Schulgelände am 18. September

1976 Einweihung des Kindergartenhauses auf dem Schulgelände am 18. September

1985 Gründung der freien Waldorfschule Haan-Gruiten

Die ersten beiden Klassen begannen ihre Arbeit unter dem Dach unserer Schule und zogen

1987 zum Schuljahresbeginn nach Haan-Gruiten um

1991 Einweihung der Turnhalle am 9. März

1996 Einweihung des Saalbaus am 24. Februar

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Impressum:Herausgegeben durch die Rudolf-Steiner-Schule WuppertalSchluchtstraße 21, 42285 Wuppertal

Satz/Layout/Litho: Dieter Werksnies

Entwurf des Logos: Michael Englert

Druck: Backhaus & Co.