Upload
mixpan
View
215
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 1/7
Δ Y Ν Λ Μ Ι Σ Μ Ε Τ Α Λ Ο Γ Ο Τ
Heideggers Sprachphilosophie
im aristotelischen Kontext
ι.
Unterwegs zur Sprache - mit diesem Titel hat Heidegger nicht nur
die Beiträge seines späten Buches treffend charakterisiert. Der Titel
kennzeichnet seine Philosophie im Ganzen. Eine Wendung zur
Sprache hat es bei Heidegger niemals gegeben; schon zu Anfang
seines eigenständigen Philosophierens hatte er es mit der Frage
nach der Sprache zu tun, in einer Weise, die im Grunde für jedesPhilosophieren gilt oder gelten müßte: Als Denken, das sich in
der Sprache artikuliert und bemüht sein muß, seinen Vollzug zu
reflektieren, ist die Philosophie immer schon und mehr oder weni
ger ausdrücklich Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Sprachlich
keit. Allerdings betreibt Heidegge r diese Auseinan dersetz ung mit
besonderer Intensität. Schon in seinen frühesten Vorlesungen trägt
ihn nämlich die Uberzeugung, die Sprache sei als Möglichkeit der
Philosophie zugleich deren Gefährdung; so gilt es, philosophie
rend die Sprache der Philosophie gegen die Tendenz der Sprache
selbst zu erringen - und zwar besonders eine Sprachform, die den
Anschein erweckt, der Philosophie angemessen zu sein. Doch mit
den Jahren ist Heidegger immer klarer geworden, daß die Mög
lichkeit philosophischer Artikulation im Wesen der Sprache selbst
liegt. Sie ergibt sich aus der Sprache selbst, sofern man diesemWesen entspricht, ohne es philosophisch je einholen zu können. So
gehört die Philosophie im heideggerschen Sinne zur Sprache und
erreicht diese als ihre Möglichkeit nie. Die Sprache kommt dem
Philosophieren immer zuvor und bleibt ihm voraus. Philosophie,
so kann Heideggers Denken im Ganzen zeigen, ist ein Weg in der
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 2/7
96 Abhandlungen
Sprache, ein Unterwegssein zu ihr ohne verfügbaren Anfang und
ohne erreichbares Zie l. ';>
Heideggers Reflexion der Philosophie in ihrer Sprachlichkeit ist
schon zu Anfang eine Auseinandersetzung mit dem traditionellen
Verständnis der Philosophie. Was dieser als Möglichkeit innewohnt
und sie gefährdet, ist, wie Heidegger es nennt, „das Theoretische". 1
Damit ist die Einstellung gemeint, in der Welt im Ganzen oder in
einzelnen Aspekten zum Gegenstand wird und in dem, was sie ist,
konstatiert, zum Gegenstand von Aussagen werden kann. Dadurchwird verdeckt, daß die Welt primär in Bedeutsamkeit erlebt und
das Leben in ihr als ein welthaftes vollzogen wird. Entsprechend
bedarf es einer Abkehr vom Aussagen und der Ausbildung einer
Sprache, die dieser ursprünglichen Welterfahrung gerecht wird.
Heidegger findet ihr Vorbild in Ausdruck und Explikation des
christlichen Lebens, wie sie in den Briefen des Apostels Paulus
realisiert sind - hier, so glaubt Heidegger, komme zur Geltung,
was in der philosophischen Tradition, speziell in der Ontologie
nie gesehen worden sei: „Geschichte und Leben", 1 und das heißt:
ein Existieren, das sich in zeitlicher Offenheit vollzieht - in einer
Gegenwart, die zwischen der gewesenen Offenbarung und der
zukünftigen Wiederkunft des Herrn ausgespannt und dadurch in
transparenter Weise zeitlich ist. Weil die „Ausdrucksformen der
antiken Wissenschaft", die ins spätere Christentum übernommen
wurden, diese Erlebnisweise verfälschten, gelte es, von ihrer Prä
gekraft „radikal loszukommen". 1 Was theologisch eine Wieder
holung des frühen Christentums in seiner Ursprünglichkeit wäre,
hat Heidegger philosophisch und um der Philosophie willen ver
sucht: Er entwickelt analog zur Sprachform der apostolischen Brie
fe das Konzept einer philosophischen Rede, die das Leben nicht
vergegenständlicht und dabei wie etwas indifferent Gegebenes
behandelt, sondern das zeitlich und „faktisch" vollzogene Leben
auslegt und mitteilt. Heideggers Name für diese Haltung und
Artikulationsweise des Lebens ist „Hermeneutik der Faktizität". 4
Es wäre nun verständlich, sogar naheliegend gewesen, das Pro
gramm einer solchen Hermeneutik im Sinne einer Abwendung
von den „Ausdrucksformen der antiken Wissenschaft" und dem
'.}'· ί
1H e i d e g g e r , D i e I d e e d e r P h i l o s o p h i e , G A 5 6 / 5 7 , 5 9 .
' H e i d e g g e r , G r u n d p r o b l e m e d e r Phänomenol ogi e , GA 58, 146.J Heidegger , Grundprob leme de r Phänomenolog ie , GA 58 , 61.
4 Heidegger , Anz e ig e de r he rmeneu t i schen S i tua t ion , GA 62 , 364 .
ΛΤΝΛΜΙΣ ΜΕΤΑ ΛΟΓΟΥ 97
sie reflektierenden Selbstverständnis auszuarbeiten. Das hätte über
die Orientierung an den paulinischen Briefen hinaus Grundmoti
ven der christlichen Theologie zu neuer Bedeutung verholfen und
zu einem von dieser angeregten Sprachverständnis führen können.
Aber diese Möglichkeit ist nicht von Heidegger, sondern erst von
seinem Schüler Gadamer ergriffen worden: Gadamer greift in sei
nem Hauptwerk gegen die von ihm diagnostizierte Sprachverges
senheit des griechischen Denkens auf den Gedanken der Inkarna
tion zurück, um an ihm das wahre Sein der Sprache verständlichzu machen. Demgegenüber und trotz seiner Kritik bleibt Heid
egger dem griechischen Denken verpflichtet - vor allem demjeni
gen seiner Repräsentanten, der das für die Tradition maßgebliche
Verständnis der Philosophie als Theorie und also auch der Sprache
als dem Medium des Bestimmens und Feststellens etabliert: Ari
stoteles. Ebenso wie Heidegger die ontologische Tradition kriti
siert, indem er sich auf Aristoteles als ihren Urheber besinnt und
aus seinem Denken die Möglichkeiten einer anderen, dem Leben
oder Dasein wirklich entsprechenden „Ontologie der Faktizität"'
zu gewinnen versucht, bleibt er auch als Sprachdenker ein Aristo
teles kritisierender Aristoteliker. In der Ausarbeitung seiner Her
meneutik der Faktizität läßt Fleidegger sich auf die aristotelische
Untersuchung der Sprache als Möglichkeit des Bestimmens und
Beststellens, als Λόγος άποφαντικός, ein, und zwar nicht im Sinne
einer abweisenden Kritik, sondern integrierend. Heideggers Her
meneutik der Faktizität nimmt das aristotelische Programm einer
„Logik" auf, die „kategoriale Interpretation des Ansprechens und
Auslegens" ist.6 Die so verstandene Logik soll, wie Heidegger sagt,
„in die Ursprungseinheit der Faktizitätsproblematik" zurückge
nommen werden; sie sei eine „Ausladung", also ein hervortreten
der Teil der Hermeneutik der Faktizität. 7 Das läßt sich umkehren:
Wenn die Logik als ein Teil zur Hermeneutik der Faktizität gehört,
muß sich diese auch .logisch' artikulieren; sie hebt die aristotelische
Untersuchung des λόγ ος άποφα ντι κός nicht auf, sondern bringt
die in einem übergreifenden Zusammenhang neu zur Geltung.
Heideggers Bindung an Aristoteles ist in seinem Denken der
Zwanziger Jahre bis hin zu Sein und Zeit offensichtlich; wer sie
beschreibt, entdeckt nichts Neues mehr, sondern trägt im günsti-
1 Heidegger , Anze i ge de r he rmeneu t i schen S i tuat ion , GA 62 , 364 .
' He idegger , Anze ige de r he rmeneu t i schen S i tua t ion , GA 62 , 364 .
' Heideg ger, Anz ei ge der hermeneu tische n Situation, GA 6z, 3 6 4 .
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 3/7
y 8 Abhandlungen ^
•*gen Fall zum besseren Verständnis eines grundsätzlich bekannten
Sachverhaltes bei. Aber indem Heidegger das Scheitern des Pro
gramms von Sein und Zeit erkennt, verabschiedet er sich von Ari
stoteles keineswegs. Heideggers Bindung an Aristoteles ist auch
nicht auf seinen frühen Entwurf einer hermeneutischen Ontologie
des Daseins beschränkt. Im Gegenteil, auch die Revision seines '
Denken s, die Heidegger vom Ansatz seines Hauptwerkes wegführt _
und ihn zur Einsicht in die uneinholbare Vorgegebenheit der Spra- ^
che bringt, geht wesentlich auf eine Auseinandersetzung mit Ari-
stoteles zurück. Das ist weder inkonsequent noch Ausdruck der
Befangenheit im aristotelischen Denken. Vielmehr ist es Heideggers
einzige Möglichkeit, seine frühere Konzeption nicht einfach als ihre
Sache verfehlend aufzugeben: Diese Konzeption ist nur revidier-
bar, sofern es eine andere Deutung des in ihr herausgearbeiteten
Zusammenhangs geben kann. Unter der Voraussetzung, daß die
Hermeneutik des Daseins tatsächlich eine aristotelisch verstandene
„Logik" einschließt, ist eine neue, der Sache angemessenere Fas-
sung dieser Hermeneutik von einem anderen Verständnis dieser
„Logik" abhängig. Was all das im einzelnen heißt, sollte nun deut-
lieh werden.
2 .
Heideggers „Logik", wie sie in der Vorlesung aus dem Winterse
mester 1 9 2 5 / 2 6 erstmals ausführlich entwickelt ist, hat eine klar
formulierte Intention. Sie erörtert die aristotelische Bestimmung
des Λόγος άπο φαντι κός, um zu zeigen, daß der Satz „nicht der
Ort der Wahrheit, sondern Wahrheit der Ort des Satzes" ist.8 Nicht
zuletzt weil diese Interpretation mit geringfügigen Veränderungen
in Sein und Zeit aufgenommen wurde, ist sie in ihren Grundzügen
bekannt: Heidegger versucht zu zeigen, daß die Struktur eines Aus-
sagesatzes in der Struktur des Umgangs mit den Dingen gründet:
Etwas kann nur deshalb als etwas zur Sprache gebracht werden,
weil immer schon die Möglichkeit besteht, es als etwas zu entdek-
ken. Indem etwas in einer Aussage zur Sprache kommt, wird es
zwar in bestimmter Weise zugänglich, aber das Bewirken dieser
Zugänglichkeit, das ά π ο φ α ί ν ε σ θ α ι d e s λ όγ ος ά π οφ α ν τι κ ό ς l eb t
von der vorgängigen Zugänglichkeit welthafter Bezüge. Man muß,
um das von Heidegger in Sein und Zeit gebrauchte Beispiel aufzu-
8
H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n a c h d e r W a h r h e i t , G A 2 1 , 1 3 5 .
ΛΥΝΛΜΙΣ ΜΕΤΑ ΛΟΓΟΥ 99
nehmen, beim Arbeiten den Hammer als zu schwer und deshalb als
ungeeignet erfahren haben, um den Satz „Der Hammer ist schwer"«
artikulierten zu können. Wenn das „apophantische Als", das in der
Aussage von etwas (dem Hammer) als etwas (schwer) zur Geltung
kommt, im „hermeneutischen Als",' 0 der im Umgang erfolgenden
Auslegung von etwas (dem Hammer) als etwas (zu schwer für die
sen bestimmten Zweck), gründet, kann Heidegger also mit Recht
sagen, daß die Logik als „kategoriale Interpretation des Anspre
chens und Auslegens" in den Zusammenhang der Interpretationwelthafter Bezüge und des Lebens oder Daseins in ihnen, also in
die Hermeneutik, gehört.
Bei der Entfaltung dieses Gedankengangs spart Heidegger kei
neswegs mit kritischen Bemerkungen über Aristoteles. Dieser habe
es „unterlassen" nach dem „Strukturphänomen" des hermeneuti
schen Als zu fragen;" er sei „nicht von der Orientierung an der
Sprache losgekommen" 11 und halte so in einer für die gesamte Tra
dition maßgeblichen Weise am „Logos im Sinne des Bestimmens"' 3
als Leitfaden fest. Andererseits liest Heidegger jedoch aus der
aristotelischen Bestimmung des Λόγος άποφαντικός selbst die
Abhängigkeit der sprachlichen Wahrheit und Falschheit von einem
vorgängigen Entdecken heraus: Wenn Aristoteles sage, nur derje
nige λόγος sei aufzeigend, in dem „das Wahrsein oder Falschsein vorkommt", '
4so sei mit dem „vorkommen" (ύπάρχειν) eigentlich
ein „im vorhinein Vorhandensein" gemeint, oder, in einer hin
zugefügten Erläuterung: „das zum Grunde liegen für etwas, so
daß durch dieses im vorhinein Vorhandene alles andere getragen
wird".'5 Im Zusammenhang dieser Bestimmung kann sich die Kri
tik an Aristoteles nur darauf beschränken, daß er statt dem Dasein
und seinen welthaften Bezügen das Vorhandene, also das Seiende
in seiner Wesensbestimmtheit und Identität (ουσία) als das „zum
Grunde" Liegende versteht.
Gewiß ist das ein zentraler Unterschied; es ist derjenige, aus dem
Heideggers Programm einer Fundamentalontologie des Daseins,
die eine Ontologie der Vorhandenheit als abgeleitete erweisen
' H e id e g g e r , S e in u nd Ze i t , G A 2 , 208 .1 0
H e id e g g e r , S e in u nd Ze i t , G A 2 , 295 .
" H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n a c h d e r W a h r h e i t , G A 2 j , 1 4 1 .
" H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n a c h d e r W a h r h e i t , G A 2 1 , 1 4 2 .
' > H e id e g g e r , Log ik . D i e F r a g e na c h d e r W a h r h e i t , G A 21 , 159 .1 4
H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n ac h d er W a h r h e i t , G A 2 1 , 1 2 9 .
" H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n a c h d e r W a h r h e i t , G A 2 1 , 1 3 2 .
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 4/7
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 5/7
10 2 Abhandlungen
stotelischen Metaphysik gewidmet ist. Hier ist die Sprache selbst nie
Einheit wie auch als Mannigfaltigkeit bestimmt; sie ist nicht mehr
die Gliederung eines ursprünglichen Einfachen, sondern die Mög
lichkeit zur Vereinheitlichung des Mannigfaltigen und zugleich die
Ermöglic hung der Mannigfaltigkeit, die zu dieser Vereinheitlichung
nötigt. Die solcherart als Λόγος verstandene Sprache ist, wie Heid
egger selbst sagt, „lesen, zusammenlesen, sammeln, das eine zum
anderen legen und so das eine zum anderen in ein Verhältnis Set
zen"; sie ist selbst „die Beziehung, das Verhältnis", welches „diu
darin Stehenden zusammenhält". Sie ist „regelndes Gefüge, die
Sammlung des unter sich Bezogenen". 21 Dieses Verbinden und
Beziehen wird jedoch immer nur in bestimmten Hinsichten vollzo-
gen. Die Versammlung geschieht auswählend; sie ist, wie Heideg-
ger sagt, „nur teil-weise In-Besitz-nehmen, weil das zu Besitzende
immer das andere bleibt"." Indem etwas auf anderes bezogen wird,
ist damit immer „je das und das entschieden und ausgeschieden".''
Das Ausgeschiedene, von der jeweiligen Sammlung Weggehaltene
ist dabei nicht die diffuse und chaotische Mannigfaltigkeit einer
vorsprachlichen, ganz und gar ungegliederten Welt, sondern der
nicht umgrenzte, aber erkundbare Raum des Negativen, des Sag-
baren, das aus dem jeweiligen Sagen ausgeschlossen ist und es doch
umschließt. Der Raum des Negativen ist, mit der Formulierung
Heideggers, „die Vielfältigkeit des auseinanderlegenden Sagens und
Aussag ens", in der sich die als Λόγ ος verstandene Sprache immer
schon „zersplittert und zerflattert" findet. So kommt es, daß dieEinheit „immer Rückeroberung" ist,'4 Wiedergewinnung einer Ein-
heit, die die Sprache wesentlich ist und in sich wesentlich immer
wieder verliert.
Mit der skizzierten Charakterisierung des λόγος entwickelt
Heidegger Bestimmungen, die das Zentrum seines späteren Sprach
denkens bilden. Die Überlegungen von Unterwegs zur Sprache,
nicht weniger die Interpretationen zu Heraklits Verständnis des
Λόγος sind hier vorgeprägt, und daran zeigt sich, daß Heidegger
sie nicht erst im Zusammenhang einer Besinnung auf den dichte-
rischen Charakter der Sprache oder seiner Beschäftigung mit den
Fragmenten Heraklits gewinnt. Daß der λόγος ein Beziehen ist,
" A r i s t o t e l e s , A r i s t o t e l e s , M e t a p h y s i c a Ι Χ , ι ο ; 1 0 5 1 h l .
" H e i d e g g e r , L o g i k . D i e F r a g e n a c h d e r W a h r h e i t , G A 2 1 , 1 8 5 .2» Hei d egg er , A r i s t o t e l es , M et a p hy s i k Θ 1- 3, G A 33, 12 1.
14H e i d e g g e r , A r i s t o t e l e s , M e t a p h y s i k Θ 1 - 3 , G A 3 3 , 1 4 4 - 1 4 5 . 1
Δ Υ Ν Α Μ 1 Σ Μ Ε ΤΑ Λ Ο ΓΟ Ύ 10 3
entwickelt Heidegger vielmehr an der Struktur des apophantischen
Als, wie er sie in der Auseinandersetzung mit Aristoteles gewonne
nen hatte: Indem etwas als etwas gesagt wird, kommt es nicht nur
In seiner unmittelbaren Jeweiligkeit zur Sprache, sondern wird mit
etwas verbunden, das mit dem, was es an ihm selbst ist, nicht iden
tisch ist. Die Aussage steht dabei außerdem in Beziehung zu dem,
was dem Thematisierten nicht zugesprochen wurde. Mit jedem
Zusprechen ist, wie Heidegger sagt, „je das und das entschieden
und ausgeschieden";1 ' etwas ist dasjenige, als was es angesprochen
wird, immer im Zusammenhang anderer, jeweils nicht realisierter
Möglichkeiten, so daß die Bestimmtheit der Aussag e mit der Unbe
stimmtheit, der Vielfältigkeit des Andersseins zusammengehört.
Trotz dieser Charakteristika der Aussage sieht Heidegger nicht
in ihr das Wesen des Aöyoc; am deutlichsten zur Geltung kommen.
Entschiedener prägt sich für ihn das Verhältnis von Einheit und
Mannigfaltigkeit im Herstellungswissen (£7 i iaTr | | a r ] rconycLicr]) aus.
Hier sei der Aöyoc; als Grund dafür zu begreifen, daß die Gestalt
- Heidegger sagt: das „Aussehen" - des herzustellenden Werkes
nicht nur als Ziel und Vollendung des Herstellungsvorgangs ange
sehen werden könne, sondern im Vollzug der Herstellung auf das
bezogen werden könne, was ihr wesentlich „gegenüber" liege. 1 '
Herstellung ist nach dieser Interpretation gleichbedeutend damit,
„etwas in seine Grenzen zu schlagen", und zwar dadurch, daß die
„Umgrenztheit", die zuvor schon „im Blick steht", 17 sich in dem,
wa s ihr als das „Un-begrenzte" entgegengesetzt ist, ausprägt. D a sheißt: Die Gestalt, das el&og, kommt im für sich genommen unbe
grenzten Material (ύλη) zur Geltung, indem sie zu dessen Form
( μ ο ρ φ ή ) wird. Erst daraus, so faßt Heidegger diese Überlegung
zusammen, „daß diese Nachbarschaft von elöoc; und ßAr) im Wesen
des Herstellens liegt, entspringt die Notwendigkeit, daß das Her
stellen in den einzelnen Stadien seines Verfahrens ständig ausschlie
ßend ist, fügend - einfügend und zugleich weglassend". 18 Und weil
das Verhältnis der umgrenzten und sich umgrenzend auswirken
den Einheit des είδος, und der Grenzenlosigkeit des Ungeformten
im λόγος; ausgetragen wird, kann Heidegger sagen, die „Gesam
meltheit des Herstellens" schwinge „in der Sammlung (λέγειν)
" Hei d egg er , A r i s t o t e l es , M et a p hy s ik Θ 1- 3, G A 33, 145.
H e i d e g g e r , A r i s t o t e l e s , M e t a p h y s i k Θ 1 - 3 , G A 3 3 , 1 4 5 .
" Hei d egg er , A r i s t o t e l es , M et a p hy s ik Θ 1- 3, G A 33, 145.
' » H e i d e g g e r , A r i st o t e l e s , M e t a p h y s i k Θ 1 - 3 , G A 3 3 , 1 3 8 - 1 3 9 .
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 6/7
10 4 Abhandlungen
des Durchsprechens und durchsprechenden Kundhabens". Wenn
im λόγος das die Herstellung leitende είδος gegeben ist, so daß
dieses geradezu als λόγος verstanden werden muß, und wenn die
Ausprägung des είδος im Material, ein als λέγειν zu verstehendes
Einfügen und Ausschließen ist, läßt sich das Herstellen in der Tat
als „ein Sichsagen und Sichsagenlassen" charakterisieren.2»
Ob Heidegger mit diesen Überlegungen den aristotelischen
Gedankengang in Metaphysik Θ 2 genau trifft, läßt sich bezwei
feln. Wenn Aristoteles das Herstellungswissen als Vermögen, dasmit dem λόγος einhergeht (δύναμις μετά λόγου), bestimmt und
deshalb von ihm sagen kann, es sei nicht nur auf Eines, nämlich
sein Ziel ausgerichtet, sondern auch auf dessen Gegenteil, so denkt
er bei diesem Gegenteil nicht an das Material, sondern an den dem
Ziel entgegengesetzten Zustand, genauer: an einen Zustand, der
durch die Entzogenheit dessen, was als Ziel Wirklichkeit wär e, cha
rakterisiert ist. Die Heilkunst hat es in diesem Sinne mit Krankheit
und Gesundheit zu tun; beide sind in ihr gegenwärtig, während
das „alogische" Vermögen des Warmen keinen immanenten Bezug
auf die Kälte hat, sondern nur auf das Erwärmen ausgerichtet ist. 30
Aber daß Heidegger diesen Gedanken verfehlt, indem er die Frage
nach dem Verhältnis von είδος und ύλη in die aristotelische Erör
terung hineinliest, hindert ihn nicht daran, genau zu treffen, worauf
es Aristoteles ankommt: daß der λόγος die Möglichkeit und der
Ort des Verschiedenen und Gegensätzlichen ist.
Doch geht es Heidegger nicht nur um eine Klärung der δύναμις
μετά λόγου. Deren Bestimmung bei Aristoteles ist für ihn nur
der Ausgangs- und Wendepunkt zu einer anderen Fassung des
menschlichen Daseins überhaupt. Entsprechend tritt in Heideg-'
gers Interpretation auch die Unterscheidung zwischen der δύναμις
μετά λόγου und der δύναμις άλογος zurück. Es geht nicht mehr
nur darum, von einem Vermögen, das sich in der ihr zugehörigen
Wirklichkeit realisiert, ein Können zu unterscheiden, das vom
λ όγος geführt wird und sich im Erkennen eines Mangels und in
seinem Ausgleich vollzieht. Daß der λόγος das Fehlende gegen
wärtig hält, ist nur eine mögliche Ausprägung seines Wesens: Im
λόγος kann alles, was nicht unmittelbar da ist, da sein und etwas,
das da ist, auf etwas von ihm Verschiedenes bezogen sein. So ist
der λόγος der Spielraum des Bezüglichen und Möglichkeit, sich
2 ' He idegger , Ar i s to te le s , Metaphys ik Θ 1-3, GA 33, 138.30
V g l . A r is t o t e l e s , M e t a p h y s i c a I X , 2 ; 1 0 4 6 D 2 - 7 .
ΔΥΝΑΜΙΣ ΜΕΤΑ ΛΟΓΟΥ ι ο5
in diesem zu verhalten. Oder, wie Heidegger es ausdrückt: λ ό γ ο ς
ist „das vernehmende Erkunden und kundehabende Sichbeziehen
auf..."5' und vordem schon „die Möglichkeit des Erkundens und
Kundigwerdens und so des Kundigseins". 32 Jedes Vernehmen und
Entdecken ist schon in den λόγος eingelassen, die Aussage ist wie
jede verlautende Rede nur eine Erscheinung von ihm.
4-
Der λόγος ist also jetzt für Heidegger das Wesen des menschlichen
Daseins; er ist, mit dem Terminus aus Sein und Zeit gesagt, des
sen Erschlossenheit und damit das, was es gegen die Tendenz zur
Selbstverdeckung philosophisch zu erfassen gilt. Nur ist das nicht
mehr gleichbedeutend damit, gegen die Sprache eine „hermeneuti-
sche Intuition" zur Geltung zu bringen. Der Versuch, das Dasein
zur Sprache zu bringen, geht ja nun auf die Sprache selbst zurück.
Und entsprechend kann die Philosophie Aufmerksamkeit auf die
Sprache sein -Äußerung des Wesens der Sprache, das sich zwar
nicht in jedem Sprechen zu erkennen gibt, aber dem Sprechen auch
nicht radikal entzieht.
Nicht nur für die Auslegung und Mitteilung des intuitiv zu erfassenden Daseins, auch, ja gerade für diese sich äußernde Aufmerk
samkeit auf die Sprache kann Heidegger den Begriff „Hermeneutik"
in Anspruch nehmen - ist sie doch von der Vergegenständlichung
ihrer Sache so weit entfernt wie es Heidegger für die Hermeneutik
der Faktizität gefordert hatte: Die sich äußernde Aufmerksamkeit
Hilf die Sprache gehört ja in die Sprache selbst; sie hat es nicht mit
einem Sachverhalt zu tun, sondern ist, wie es Heidegger später for
muliert, selbst ein „Sach-Verhalt"," in dem eine Sache die Mög
lichkeit des Verhaltens vorgibt, ein „Bezug", 34 der kein umgrenztes
lind begrenztes Gegenüber hat, sondern das Übernehmen eines
Sichgebenden ist. Dieses Sichgebende ist die als solche erfahrene
Möglichkeit des Sprechens in und aus der Sprache, das ungegen-
ständlich Vorgegebene, das mit keiner Nennung eines Besonderen
erreicht, aber in jeder als Spielraum des Bezüglichen schon erfahrenist. Es kann nur hermeneutisch e rkundet werden , weil es als das
>' He idegger , Ar i s to te le s , Metaphys i k Θ 1-3, GA 33, 127.
" Heid e gger , A r i s t o t e l e s , M et a p hy s ik Θ 1- 3, G A 33, 12 3.
» Heid eg ger , A u s e inem Gespräch von der Sprache, GA 12, 93.
" Heidegger, Aus einem Gesprä ch von der Sprache, GA 12, 118.
8/8/2019 Figal Dynamis Meta Logou
http://slidepdf.com/reader/full/figal-dynamis-meta-logou 7/7
i o 6 Abhandlungen
„Hermeneutische"3
' selbst schon „das Bringen von Botschaft und
Kunde" ist . 36 Die Sprache als der Spielraum des Bezüglichen stiftet
auch den Bezug zu ihr selbst. Sie ist die Vermittlung, die sich selbst
in einem für das Mögliche ihrer selbst offenen Sprechen vermittelt.
Für diese das Zentrum von Heideggers späterem Sprachdenken bil
denden Gedanken ist die Auseinandersetzung mit Aristoteles vor
bereitend gewesen. Man kann sie deshalb als Zwiegespräch verste
hen, in dem das Wesen der Sprache im Vermitteln des Lesens und
Interpretierens zur Geltung kommt.
4
0-i
• ψ \
Ψ j
$ |ή ] t»
• i'
*
*
«Ii
I
H e i d e g g e r , A u s e i n e m Ges p r äc h v o n d e r S p r ach e , GA 1 2 9 3
Hei d eg g er , Au s e i n em Gesp r äch v o n d e r S p r ach e , GA 1 2 , 1 1 5 .
J
S c h e u v o r d e r D i a l e k t i kZu Heideggers Platon-Interpretation In der Vorlesung Ober
den Sophistes (Winter 1924/25)
1.
In der Philosophie artikuliert sich das Leben. Hier spricht sich aus
oder sollte sich aussprechen, was Leben heißt: was es heißt, da zu
sein in einer Welt. Dieser Gedanke gehört zu den Grundüberzeu
gungen Fleideggers in der ersten Phase seines Philosophierens; er
entwickelt ihn in seinen Vorlesungen seit 1 9 1 9 , und wo er den pro
grammatischen Charakter des Gedankens formulieren will, spricht
er, auf jeden Fall seit 1 9 2 2 , von „Hermeneutik der Faktizität". 1 Im
allgemeinen weiß man, daß Heidegger hier von Kierkegaard und
Dilthey beeinflußt war, auch, wenngleich weniger offensichtlich,
von Nietzsche, und daß er so in den Kontext der Lebensphilosophie
gehört, was ihn einem Philosophen wie Georg Simmel vergleichbar
macht. Doch läßt sich Heideggers frühes Denken andererseits klar
von der Lebensphilosophie in diesem Sinne unterscheiden. Kurz
nachdem Fleidegger sich als eigenständiger Denker erwiesen hat,
geht es ihm darum zu zeigen, daß Leben, Dasein in einer Welt,
vom Wissen geführt ist, genauer: von einem Wissen, durch das die
Welt in verschiedenen Flinsichten offen ist, so daß man sich in ihr
orientieren, also Lebens- und Erfahrungsmöglichkeiten entdecken
kann.
Indem Fleidegger das Wesen dieses Wissens zu klären versucht,
kommt er auf einen Philosophen zurück, der ihm aus seinen aufge
gebenen theologischen Studien vertraut war: Aristoteles. Wie Fleid
egger Aristoteles wieder und dabei gänzlich neu liest, ist ebenso
' Vgl. Heidegger, Ontologie, GA 6 3 .