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August 2013 Nr. 81 Fisch und Vogel Rundbrief aus christlicher Solidarität mit den Philippinen Foto: Sina Manger Inhalt Nachrichten Lory Obal in Deutschland Begegnung mit Lory Obal Golden Rice: Ein Mittel gegen Mangeler- nährung? 3 7 8 9 Golden Rice: Versprechen der Wissen- schaft Wahlen im Mai Philippinen Handbuch Lied 13 16 19 20 ISSN 1860-7152

Fisch und Vogelkommen zwischen der Republik der Philippinen und dem neuen autonomen Teilstaat Bangsamoro. Sie sind Teil des übergreifenden Friedensabkommens FAB (Framework

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August 2013 Nr. 81

Fisch und Vogel

Rundbrief aus christlicher Solidarität mit den Philippinen

Foto: Sina Manger

Inhalt

Nachrichten

Lory Obal in Deutschland

Begegnung mit Lory Obal

Golden Rice: Ein Mittel gegen Mangeler-nährung?

3

7

8

9

Golden Rice: Versprechen der Wissen-schaft

Wahlen im Mai

Philippinen Handbuch

Lied

13

16

19

20

ISSN 1860-7152

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Vorwort 2

Liebe Leser_innen,

das Titelbild dieser Ausgabe zeigt Filipinos beim tradi-tionellen Reis pflanzen in der Regenzeit. Im Nordwes-ten Luzons wird diese Art der Bewirtschaftung seit An-beginn des Reisanbaus praktiziert. Die Reissetzlinge kommen dabei in der Regel aus eigener Züchtung. Ein kleiner Teil der Ernte aus der vorherigen Saison wird dabei zum Ziehen und Setzen für die nächste Saison zurückgehalten.

In jüngster Zeit gewinnen jedoch multinationale Saat-gutkonzerne immer größeren Einfluss im südostasiati-schen Raum. Viele Farmer lassen sich von den ver-meintlichen Vorteilen neuer, teils genveränderter Sor-ten blenden und kaufen Saatgut teuer an, statt das ei-gene zu verwenden. Neben Reisvarianten, die beson-ders resistent gegen Salzwasser, Trockenstress oder Schädlinge sein sollen, ist seit einigen Jahren auch eine mit Provitamin A angereicherte Reissorte im öffentli-chen Fokus angelangt – der sogenannte Golden Rice. Forscher versprechen sich von diesem neuen Reis den Vitamin-A-Mangel und dessen Folgen wie Immun-schwächen und Erblindung in den asiatischen Ländern bekämpfen zu können. Fisch und Vogel beschäftigt sich in dieser Ausgabe intensiv mit der Thematik Gol-den Rice und dessen gesellschaftlicher Bedeutung.

Mit der zunehmenden Einführung gentechnisch verän-derter Sorten werden sich Entwicklungen verstärken, die bereits vor längerer Zeit begonnen haben. Alte Sor-ten gehen verloren, die viele Generationen lang zuver-lässig gedeihten und die nötigen, lebenswichtigen Nährstoffe lieferten. Damit werden aber auch Nach-haltigkeit und Zukunftschancen bewährter Landbau-systeme untergraben. An ihre Stelle treten völlig neue Systeme, die weit weniger nachhaltig und selbst be-wirtschaftbar sind. Die Abhängigkeit des_der Einzel-nen, der Staaten und der Staatengemeinschaft von glo-bal agierenden Konzernen nimmt zu.

Die christliche Perspektive auf diese Geschehnisse zeigt, dass der oder die Einzelne in der freien Markt-wirtschaft nur allzu oft auf den eigenen Vorteil be-dacht ist und anderen damit schadet. Die Besinnung auf das Wesentliche im Leben, sich selbst als Teil des irdischen Lebens und in Verantwortung zu diesem zu sehen, hilft gegen den Wunsch der Bereicherung auf Kosten anderer. Eine solche Erkenntnis kann der_die Einzelne in seinen_ihren Rollen als Mitglied der Welt-gemeinschaft weitertragen – sei es als Aktionär_in glo-bal agierender Unternehmen, sei es als Konsument_in internationaler Produkte. Diese Kraft zu ethischem

Handeln ist Christ_innen mitgegeben und wir sollten sie nutzen.

In diesem Sinne wünschen wir trotz der ernsten The-men eine schöne und erlebnisreiche Sommerzeit!

Viel Spaß beim Lesen wünscht

die Redaktion von Fisch und Vogel

Der Name "Fisch und Vogel" bezieht sich auf zwei Symbole:Fisch (griechisch: Ichthys) steht für Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter und Vogel (phil-ippinisch: Ibon Malaya) für den Widerstand gegen die Marcos-Diktatur

Impressum:

Herausgeber: Arbeitskreis Ökumenische Philippinen Konferenzc/o Dorothea Seeliger, Jahnstr. 82, 56179 Vallendar

Website: www.fisch-und-vogel.de

Redaktionsteam:Carolin Blöcher, Zacharias Steinmetz, Martina SeltmannEmail: [email protected]

Nachrichtenredaktion: Gabriele Hafner und Philippinenbüro im Asienhaus

Ständige Mitarbeit: Dr. Rainer Werning und Dieter Zabel

Wir freuen uns über Ihren Unkostenbeitrag, der das Er-scheinen von Fisch & Vogel garantieren hilft:Kontoinhaber: Bischöfliches Ordinariat LimburgKonto 3700010BLZ 51140029 (Commerzbank Limburg)IBAN: DE08511400290379027600BIC: COBADEFFXXXVerwendungszweck: Fisch & Vogel 2013Kostenstelle: 2140 1016 20 (bitte immer angeben)

Die nächste Ausgabe von Fisch & Vogel, Nr. 82, erscheint im Dezember 2013

Fisch & Vogel 81 – August 2013

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3 Nachrichten

Illegal das Fass aufgemacht

Wieder einmal untersuchen Staatsanwaltschaft und Jus-tizministerium einen groß angelegter Betrug von Gel-dern aus dem sogenannten „Pork Barrel“. Der Fonds ist eigentlich für Projekte in den Wahlkreisen von Sena-tor_innen und Abgeordneten gedacht. Bereits Ende März hatte ein Whistleblower die Staatsanwaltschaft in diesem Fall um Hilfe ersucht und gegen die Geschäftsfrau Janet Napoles ausgesagt. Sie soll fünf Schein-NGOs gegründet haben, und insgesamt 230 Millionen Pesos aus dem öf-fentlichen Budget in private Taschen geleitet haben. Die Hauptverdächtige und ihr Bruder konnten sich der Ver-haftung allerdings entziehen. Fünf Senator_innen und 23 Parlamentsabgeordnete sind in den Betrug verwickelt. Die falschen NGOs bedienten sich zum Teil gefälschter Unterschriften angeblicher Nutznießer als Empfangs-nachweis für Hilfen.

Der nationale Kirchenrat der Philippinen (NCCP) und an-dere Organisationen forderten indessen die Abschaffung des Pork Barrels, bei dem alle Abgeordneten und Sena-tor_innen eine Pauschalsumme aus dem Etat für Projekte ihres Wahlkreises zugewiesen bekommen. Diese Gelder sollten lieber gezielt in Gesundheit, Bildung, Wohnraum und soziale Dienste investiert werden, hieß es in der Er-klärung.vgl. PDI 14.08. u.15.08., MB 15.08. u. 16.08.2013, CB-CPnews 14.08.2013

Philippinische Bischöfe mit neuem Vorsitz

Socrates Buenaventura Villegas, Erzbischof von Lin-gayen-Dagupan, wird neuer Vorsitzender der katholi-schen Bischofskonferenz der Philippinen (CBCP). Villegas übernimmt das Amt Anfang Dezember von Erzbischof Jose Palma von Cebu, der auf eine zweite Amtszeit ver-zichtete. Der 63-Jährige wolle sich wieder stärker auf sei-ne Diözese konzentrieren, die 2016 den Eucharistischen Weltkongress ausrichtet. Der neugewählte Vorsitzende sagte in einem ersten Interview, er sei überrascht von der Wahl. „Diese Wahl macht keinen Bischof größer“, be-tonte er, „aber sie gibt einem längere Arme, um mehr Menschen zu umarmen.“ Der Vorsitz sei keine Machtpo-sition, sondern stelle sich in den Dienst der andern Bi-schöfe, deren Anliegen es aufzugreifen gelte.

An der Gegnerschaft der Bischofskonferenz zum Famili-enplanungsgesetz wird sich unter dem neuen Vorsitzen-den nichts ändern. Auch in anderen sozialen Fragen wird es voraussichtlich keinen Kurswechsel geben. Villegas betonte jedoch, die Bischöfe verstünden sich nicht als so-ziale Störenfriede, Demo-Organisatoren oder als Lobby-gruppe. Sie seien vielmehr „Störenfriede des Bewusst-seins“ und Nachfolger Christi. Villegas wurde im Septem-ber 1960 in Manila geboren. Kardinal Jaime Sin ernannte ihn 2001 zum Weihbischof in der Hauptstadtdiözese. 2004 übernahm er die Leitung des Bistums Balanga. Seit Sep-tember 2009 ist Villegas Erzbischof von Lingayen-Dagu-pan. Villegas galt als einer der engsten Vertrauten von Kardinal Jaime Sin, der bis zu seinem Tod 2005 Erzbischof

von Manila war. Außerdem wird ihm eine enge Verbin-dung zur verstorbenen Präsidentin Corazon Aquino nachgesagt. Sin zählte zu den Anführern der friedlichen Revolution, die 1986 zum Sturz des Diktators Ferdinand Marcos auf den Philippinen führte.vgl. KNA 08.07. und 09.07.2013

Geldbitten an Politiker_innen tragen zur Kultur der Korruption bei

In einer pastoralen Erklärung ersuchte der neue, desi-gnierte Vorsitzende der philippinischen Bischofskonfe-renz, Erzbischof Villegas, Priester und Gläubige, keine Gelder von Politikern anzufordern. Solche Bitten um Fi-nanzhilfe trügen zur „Kultur der Korruption“ im Land bei, unterstrich er. „Wenn wir Politiker_innen um finan-zielle Hilfen bitten, bringen wir sie in Versuchung, in den Sack mit dem 'pork barrel' zu greifen oder die Geldkoffer aus illegalen Glücksspielaktivitäten zu öffnen“, sagte Vil-legas. Häufig erweckten die Politiker den Eindruck es handle sich um ihr persönliches Geld. Statt die öffentli-chen Gelder verantwortungsvoll zu verwalten, führe das System des Pork Barrel zu Patronagepolitik, so Villegas. Alle Finanzbeschaffungsaktivitäten kirchlicher Einrich-tungen müssten transparent sein, forderte er.vgl. UCAN 29.07.2013

Wächst der Glaube oder nur die Bevölkerung?

Die Zahl der Katholik_innen auf den Philippinen steigt. Von 2010 auf 2011 gehörten rund 70 Millionen der 89 Mil-lionen Einwohner der katholischen Kirche an. In diesem Jahr hat die Zahl der katholischen Gläubigen bereits über 76 Millionen erreicht. Die Bevölkerung stieg auf über 96 Millionen Einwohner_innen an. Besonders die Zahl der Taufen hat zugenommen: Seit 2012 sind knapp 1,4 Millio-nen Taufen verzeichnet worden, die meisten davon in der Erzdiözese Cebu. Erzbischof Oscar Cruz räumte in ei-nem Interview ein, die steigende Zahl der Taufen müsse nicht zwangsläufig ein Zeichen für das Wachsen der Kir-che sein. Der Grund könne auch in der wachsenden Be-völkerung liegen. „Dennoch weist es darauf hin, dass die Kirche hier sehr lebendig ist“, sagte Cruz.vgl. PDI, 12.08.2013

Umgang mit Missbrauchsfällen umstritten

Die philippinischen Bischöfe wehren sich gegen Vorwür-fe, Fälle von Kindesmissbrauch durch Kirchenleute ver-tuscht zu haben. Es gebe eine Reihe von entsprechenden Verfahren in den Bistümern. Durch ihre Vertraulichkeit „glauben die Leute [allerdings], dass die Hierarchie diese Fälle vertuscht“, sagte der Generalsekretär der Bischofs-konferenz, Joselito Asis. Der irische Missionar Shay Cul-len, der seit 1969 mit Straßenkindern auf den Philippinen arbeitet, hatte in einem Interview gesagt: „Wir haben hier Bischöfe, die Missbräuche völlig vertuscht haben, und wir wissen, dass das auch heute noch passiert.“ Er

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Nachrichten 4

hatte die Kirche aufgerufen, „entschieden“ gegen Miss-brauch vorzugehen, schuldig gewordene Priester oder Erzieher_innen aus der Seelsorge abzuziehen und den Justizbehörden zu melden. Cullen ist Träger des Men-schenrechtspreises der Stadt Weimar und war schon mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert. Die phil-ippinischen Bischöfe haben 2003 Richtlinien für den Um-gang mit Missbrauchsskandalen formuliert und dem Va-tikan zur Approbation vorgelegt. Dieser hat auf Änderun-gen bestanden, die jetzt in den Text eingearbeitet wür-den. Im August gingen die Richtlinien dann zu einer er-neuten Prüfung an die römische Glaubenskongregation. vgl. UCAN/KNA 04.06.2013

Philippinisches Gericht prüft Familienplanungs-gesetz

Vor dem Obersten Gericht hat Anfang Juli die Anhörung gegen das neue Familienplanungsgesetz begonnen. Kriti-ker_innen des Gesetzes, das unter anderem die Se-xualaufklärung an Schulen und die Abgabe von Verhü-tungsmitteln regelt, demonstrierten vor dem Gerichtssitz in Manila. 15 Petitionen gegen das Gesetz liegen vor, sechs Gutachter_innen wollen seine Verfassungsgemä-ßigheit verteidigen. Das Gesetz war im Dezember in Kraft getreten. Es ermöglicht armen Frauen Zugang zu Verhü-tungsmitteln sowie Sexualaufklärung an Schulen, Famili-enplanungsprogramme, bessere gesundheitliche Versor-gung von Schwangeren und Müttern sowie die Behand-lung von Komplikationen nach Schwangerschaftsabbrü-chen. Abtreibungen sind auf den Philippinen weiterhin ausnahmslos illegal. Im März hatte das Oberste Gericht das Gesetz für eine Frist von 120 Tagen ausgesetzt. Die katholische Kirche in den Philippinen sieht in dem Ge-setz einen Verstoß gegen den verfassungsmäßig garan-tierten Schutz des Lebens und befürchtet eine künftige Legalisierung von Abtreibungen. vgl. KNA 09.07.2013

Studie: Bedrohung durch BergbauprojektDie Lebensgrundlage und die Rechte tausender indige-ner Bewohner Mindanaos sind durch das größte Kup-fer- und Goldabbauvorhaben in Asien bedroht. Das er-gab eine von MISEREOR, Brot für die Welt und dem Schweizer Fastenopfer finanzierte Studie. Die Realisie-rung der Tamapakan-Mine würde der Studie zufolge zur Zerstörung großer unberührter Waldflächen füh-ren, die Wasserversorgung gefährden und die Umsied-lung von rund 5000 Bewohner_innen nötig machen. Das Recht auf Selbstbestimmung indigener Völker, das Recht auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und Leben würden dadurch auf Spiel gesetzt, folgert die Studie. Zudem würden aus dem Projektgebiet bereits im Vor-bereitungsstadium immer wieder Menschenrechtsver-letzungen an Gegner_innen der Mine gemeldet. Die Bi-schofskonferenz der Philippinen hat eine landesweite Unterschriftenkampagne gegen die Mine gestartet, die

bereits im ersten Monat von 6.000 Gegner_innen un-terzeichnet wurde. In den Projektgebieten wurden zu-vor 170.000 Protestunterschriften gesammelt.vgl. UCAN 24.06. und 31.07.2013

Jobs durch Wasserkraft

Der Bau eines neuen Wasserkraftwerks in Mindoro Orien-tal soll neue Jobs für die indigenen Mangyans schaffen. Das Kraftwerk soll am Fluß Inabasan errichtet werden. Bei den Stellenausschreibungen würden bevorzugt indi-gene Bewerber_innen berücksichtigt werden, sagte ein Sprecher der Betreiberfirma. Vier weitere Wasserkraft-werke sind in Mindoro geplant. Präsident Aquino hatte die Insel im vergangenen Jahr besucht und danach Land-titel an die unter Armut leidende indigene Bevölkerung ausgegeben.vgl. PDI 15.08.2013

Weitere Detailfragen für Bangsamoro geregelt – auf dem Papier

Nach elfmonatigen Verhaltlungen gaben Unterhändler der MILF (Moro Islamic Liberation Front) und die Delega-tion der philippinischen Regierung Mitte Juli die Verab-schiedung eines weiteren Teilvertrags für die Friedensre-gelung in der Autonomen Region in Muslim Mindanao (ARMM) bekannt. Die neu geschlossenen Detailvereinba-rungen betreffen die Verteilung von Vermögen und Ein-kommen zwischen der Republik der Philippinen und dem neuen autonomen Teilstaat Bangsamoro. Sie sind Teil des übergreifenden Friedensabkommens FAB (Framework Agreement on the Bangsmoro), das im Oktober 2012 ge-schlossen wurde. Zwei weitere Anhänge fehlen noch: Der Detailvertrag über die Machtverteilung und über Norma-lisierung. Chefunterhändler der MILF Mohagher Iqbal zeigte sich zufrieden: Man habe nicht alles für die Zu-kunft von Bangsamoro erreicht, aber deutlich mehr als die bisherige Autonome Region in Muslim Mindanao (ARMM). Die Regelungen über die Aufteilung der Gelder sehen vor, dass 75 Prozent die zentralen Steuern aus der Autonomen Region vor Ort investiert werden. In der Übergangszeit wären sogar 100 Prozent möglich. Die An-teile aus den Einnahmen für nichtmetallische Minerale liegen bei 100 Prozent, für metallische Minerale bei 75 Prozent und für fossile Stoffe bei 50 Prozent für die Auto-nome Region.

Der Fortschritt durch das Abkommen wurde konterka-riert durch eine Unabhängigkeitserklärung von Nur Mi-suari, einem früheren ARMM-Gouverneur und Führer der mit der MILF rivalisierenden MNLF. Misuari erklärte ganz Mindanao, die Nachbarinsel Palawan und das zum Staat-gebiet Malaysias gehörende Sabah zur unabhängigen „Bangsamoro Republik“ und soll diesen Schritt auch ge-genüber der Organisation für Islamische Zusammenar-beit (OIC) kommuniziert haben. vgl. MindaNews 13.07. u. 14.07. 2013, MB 16.08.2013, phil-star 15.08.2013

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5 Nachrichten

Friedensvertrag praxistauglich?

Die Umsetzbarkeit des neu geschlossenen Abkommens über die Wohlstandsverteilung beurteilen viele Intellek-tuelle in Mindanao kritisch. Eine große Herausforderung sieht etwa Mussolini Lidasan, Direktor des Islam-Instituts an der Ateneo de Davao Universität, in den Clan-Struktu-ren. So gebe es zum Beispiel unter der Liguasan Marsch in Zentralmindanao natürliche Gas- und Ölvorkommen. Mindestens 17 Clans kontrollierten das betreffende Ge-biet mit eigenen Privatarmeen. Die hohe Armutsquote und die nicht umgesetzte Agrarreform seien Altlasten, betonte eine andere Professorin. Es gehe für wirklichen Frieden nicht nur um die Kontrolle von Ressourcen. Auch sozio-politische Fragen und die muslimische Identität müssten berücksichtigt werden.vgl. Davao Today, 17.07.2013

Internationaler Preis für Friedensgruppe

Die interreligiöse Friedensgruppe Silsilah hat den ange-sehenen japanischen „Goi Peace Award“ zugesprochen bekommen. Die Organisation, gegründet von dem italie-nischen Missionspriester Sebastiano D’Ambra, setzt seit 1984 Trainings und Dialogprojekte in Gang, um den Frie-den zwischen Christen und Muslimen auf Mindanao vor-anzubringen. Inzwischen unterstützt die Gruppe auch nachhaltige Landwirtschaft, Umweltschutz und ganzheit-liche Medizin.vgl. UCAN 28.06.2013

Gegen illegale Deponien an der Bucht

Umweltaktivist_innen haben mit Unterstützung des Greenpeace-Schiffs Esperanza eine illegale Deponie in der Manila Bay blockiert. Sie verhinderten das Auslaufen von Lastkähnen an Pier 18. Auf dem drei Hektar großen Gelände, das offiziell als Müll-Umladestation deklariert ist, lagert seit Jahrzehnten dauerhaft illegal Unrat. Pier 18 ist eine der bekanntesten Müllkippen der Millionen-metropole, die das Wasser in der Bucht verseuchen. Die Regierung gebe jedes Jahr Millionen aus, um die Bucht zu reinigen, doch die Deponien seien ein Grundproblem, kri-tisierten die philippinischen Umweltaktivisten und for-dern die Schließung der Lagerstätten.vgl. UCAN 25.07.2013

Protest durch Ausländer unerwünscht

Nach Protesten während der Präsidentenrede zur Lage der Nation überprüft das Büro für Immigration die Akti-vitäten von ausländischen Bürger_innen, die sich an den Demonstrationen beteiligt hatten. Die philippinischen Behörden haben einen niederländischen Bürger identifi-ziert, der als Delegierter der Konferenz für Menschen-rechte und Frieden eingereist war. Er soll einen Polizei-beamten angeschrien haben, der daraufhin in Tränen

ausbrach und seinen Dienst nicht mehr verrichten konn-te. Der Niederländer habe mit seiner Teilnahme an den Protesten den Rahmen seiner Einreiseerlaubnis über-schritten. Der Betroffene äußerte in einem offenen Brief, er habe an den Protesten teilgenommen, weil er wütend sei über die Menschenrechtsverletzungen des korrupten Regimes. Er sei die außergerichtlichen Tötungen, die ge-waltsamen Zerstörungen von Siedlungen und den Land-raub leid, schrieb er. Möglicherweise wird er nun zur un-erwünschten Person erklärt, ausgewiesen und an der Wiedereinreise in die Philippinen gehindert werden.vgl. PST 23.07.2013

Steigende Armutsrate trotz guter Wirtschaftsda-ten

Keine Veränderung bei den ökonomischen Dauerproble-men Arbeitsplatzmangel und Armutskrise sieht das unab-hängige IBON-Institut. Jenseits seiner „wir packen die Probleme an“-Rhetorik, mit der sich Präsident Aquino im Juli bei seiner Rede zur Lage der Nation gerüstet hatte, unterscheide sich seine Politik nicht substantiell von dem Muster der letzten 30 Jahre. Die gute Nachricht vom stärksten Wirtschaftswachstum in Ost- und Südostasien und die guten Börsendaten werden konterkariert von steigenden Zahlen an Unter- und Nichtbeschäftigten. Diese nahmen allein im letzten Jahr um eine Million zu. Vor allem in der Landwirtschaft nehme die Zahl der Be-schäftigten drastisch ab. Der Anteil des Agrarsektors am Bruttosozialprodukt sei auf den niedrigsten Stand über-haupt gefallen. Nach offiziellen Zahlen des National Stati-stical Coordination Boards blieb die Armutsrate mit rund 28 Prozent beinahe auf dem gleichen Level wie 2006 und 2009. Dementsprechend leben rund 27 Millionen Fili-pin@s in Armut. Das bedeutet einen Anstieg um drei bis vier Millionen Menschen gegenüber dem Jahr 2009, er-rechnete IBON. Wenn man Veränderungen der Berech-nungsmethodik und andere statistische Änderungen her-ausnehme, gebe es einen ungebrochenen Anstieg der Ar-mutszahlen seit 1997, betonte das Wirtschaftsinstitut.vgl. Bulatlat.com, 22.07.2013

Ende eines Dauerstreits

Fast 30 Jahre nach Beginn der Landreform wurde Mitte Juli auch auf der Hacienda Luisita mit der Verteilung der Landtitel an Pächter_innen begonnen. Präsident Benigno Aquino ist über seine Mutter mit der Eigentümer-Familie Cojuangco verwandt. 4.000 Hektar und damit zwei Drittel der Luisita-Ländereien werden an neue Eigentümer über-tragen. Allerdings müssen diese nun eine Kompensati-onszahlung an die Cujuangco-Familie leisten.vgl. Rappler 18.07.2013

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Aktuelles 6

Ankündigung

Einladung zur Ökumenischen Philippinenkonferenz (ÖPK) im Oktober 2013 in Bonn

Sehr geehrte Philippinen-Interessierte,liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den Jahrestagungen der ÖPK,

der Arbeitskreis der Ökumenischen Philippinenkonferenz (ÖPK) grüßt alle herzlich mit diesem traditionellen Sommerrund-schreiben. Die diesjährige Jahrestagung findet vom 25. bis 27. Oktober 2013 in Bonn statt. Mit dem Thema

„Wege zu Frieden und Versöhnung: Zivilgesellschaftliches Engagement im Friedensprozess auf Mindanao“

stellen wir eine ganz aktuelle politische Situation in den Fokus. Seit Jahrzehnten ist die Konfliktsituation auf Mindanao, die immer wieder zu gewalttätigen Aktionen und zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung und der muslimischen Widerstandsgruppe MILF führt, ungelöst. Die Menschen auf Mindanao sehnen sich nach Frieden! Oft ist verhandelt worden – bisher ohne Erfolg.

Es handelt sich nur vordergründig um eine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen. Die Bevölkerung und die Religionen werden instrumentalisiert. Es geht in dem multikausalen Konflikt hauptsächlich um Land, Bodenschätze und de-ren Ausbeutung, sowie um staatliche, politische Macht und den Einfluss ethnischer Gruppen, Klans und mächtiger Familien. Hierunter leiden alle Betroffenen: christlichen Siedler, wie auch Moros und Lumads.

Im Oktober 2012 wurde ein neues Abkommen mit einer „Roadmap“ zur friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Zentralre-gierung und MILF geschlossen, in das viele Beteiligte große Hoffnungen setzen. Zahlreiche Partnergruppen der ÖPK-Mitglie -der auf Mindanao sind von diesem Konflikt betroffen und engagieren sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Friedensinitiativen. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist wesentlich für die Konflikttransformation hin zu einer friedlichen Bewältigung.

Die ÖPK hält es für notwendig, dieses Engagement zu thematisieren und aufzuzeigen, wie wichtig eine solche Friedensarbeit ist. Wir hoffen, damit auch bei den Teilnehmenden der ÖPK und ihren Gruppen vor Ort in Deutschland Denkprozesse anzu-stoßen, wie man mit solchen Ansätzen auf der Suche nach friedlichen Lösungen Probleme auch durch Konflikttransformati-on bearbeiten kann.

Daher laden wir Sie und Euch hiermit recht herzlich zur kommenden Philippinenkonferenz ein:

25. bis 27. Oktober 2013 in Bonn-Bad Godesberg

im „Haus der Begegnung“, Evangelische Akademie des Rheinlands

Namhafte Referent_innen und im Friedensprozess Engagierte haben ihre Teilnahme zugesagt.

Die Einladungen mit detaillierten Hinweisen und Anmeldekarten werden per Post und/oder E-mail im September ver -schickt.

Wir wünschen allen noch schöne Sommertage!

Im Namen des Arbeitskreises

Eleanor Koch und Wolfgang Spohn Haniel

Weitere Informationen bei: [email protected]

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7 Aktuelles

Christen, Indigene und Muslime miteinander engagiert

Lory Obal in Deutschland

von Dieter Zabel

Lory Obal, die NGO-Repräsentantin und Basisaktivistin für Menschenrechte, Umweltschutz, friedliche Konflikt-lösung und gerechte Entwicklung indigener Völker, kam diesen Sommer für fünf Wochen nach Europa, um über aktuelle Herausforderungen der indigenen Bevölkerung in Mindanao zu berichten und Unterstützung für die Ar-beit des 2009 gegründeten Netzwerks Interkultureller Or-ganisationen für Solidarität und Frieden (ICON-SP) zu ge-winnen. Zuvor hatte die studierte Lehrerin und Religi-onspädagogin 25 Jahre in der Diözese Kidapawan (North Cotabato) für die indigene Bevölkerung gearbeitet und war von 1999 bis 2008 maßgeblich an der Planung und Realisierung diverser Studienreisen und Exposure-/Im-mersion-Programme mit deutschen Teilnehmer_innen in Mindanao beteiligt.

In den Jahren 2006 bis 2009 hatte das Bistum Kidapawan schrittweise die diözesanen Programme für Gerechtig-keit, Frieden und Menschenrechte, Basisgesundheits-dienst

Sabrina Schultes und Lory Obal beim Thema „Stark für Menschenrechte“ in Euerbach. Foto: Rita Sauer

und Indigene Bevölkerung eingestellt (s. FuV Nr. 73 / 2010, S.18f und Nr. 77 / 2012, S.14f) und die zu einem er-heblichen Teil langjährig in diesen Feldern tätigen Mitar-beiter_innen (mit Abfindungen) entlassen. Lory Obal ar-beitet seit 2009 als Geschäftsführerin von ICON-SP und weiterhin als Geschäftsführerin der Umweltbewegung von Columbio, Provinz Sultan Kudarat (CMEM: Columbio Multisectoral Ecology Movement), eines Bündnisses von Christen, Muslimen und Indigenen mit derzeit zehn Gruppen, sowie als Generalsekretärin von AGENDA, der Allianz für Echte Entwicklung (Alliance for Genuine De-

velopment), bestehend aus sektoralen Gruppen, Volksor-ganisationen und Kirchen, die sich gegen alle Formen von Umweltzerstörung besonders in Bergbauregionen engagieren. (Das Grundlagendokument „Manifest der Völker. Ein neuer Ansatz echter Entwicklung auf der Ba-sis nachhaltiger Umwelt“ hat Fisch & Vogel in Nr. 74 / April 2011, S.15-17 dokumentiert.) CMEM und AGENDA sind Mitgliedsorganisationen des Netzwerks ICON-SP, dazu kommen die Provinzorganisation der indigenen Be-völkerung ASLPC und das Gemeindeentwicklungszen-trum Tulunan TCDC.

Miteinander realisieren sie im Netzwerk ICON-SP sechs Programme:• Gemeinschaftsbasierte Friedensbildung, zur Förde-

rung einer neuen Friedenskultur• Menschenrechte und staatsbürgerliche Bildung• Nachhaltige Entwicklung der Umweltbewegung• Nachhaltiges Ressourcenmanagement und landwirt-

schaftliche Produktion• Organisationsentwicklung und Führungskräfteschu-

lung• Alternative indigene Bildung und Stipendien

Erstmals kam Lory Obal nun als Christin außerhalb offizi-eller kirchlicher Strukturen nach Europa, nachdem sich die meisten ehemaligen Mitarbeiter_innen des diözesa-nen Teams „Indigene Völker“ nach ihrer Entlassung durch das Bistum als NGO selbständig gemacht hatten, um ihr notwendiges Engagement fortzusetzen. Sie zeigen damit, dass kirchliche Arbeit einen größeren Horizont hat als die verfasste Organisation Kirche. Die Repräsen-tant_innen kirchlicher Institutionen müssen daraus noch Konsequenzen für die Förderung von Projekten ziehen.

Auf ihrer Reise hat sich Lory Obal in einer Fülle von Be-gegnungen und Gesprächen mit Verantwortlichen in Kir-che, Politik und Wirtschaft, Hilfsorganisationen und Kir-chengemeinden sowie mit Journalist_innen unermüdlich eingebracht. Folgende Eckpfeiler spielten dabei eine ent-scheidende Rolle:

• Standpunkten, Gefühlen und Engagement der Fili-pin@s an der Basis vor allem zu Bergbau, Menschen-rechten und außergerichtlichen Tötungen in der in-ternationalen Gemeinschaft Gehör zu verschaffen

• ein Netzwerk philippinischer und deutscher zivilge-sellschaftlicher Organisationen zu etablieren

• solidarische Unterstützung für die marginalisierte indigene Bevölkerung zu erwirken, die sich in kon-kreten Zusagen von Diözesen und Hilfswerken äu-

Fisch & Vogel 81 – August 2013

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Gesellschaft 8

ßert• die philippinische Regierung mit Briefen und Erklä-

rungen auf diverse Missstände aufmerksam zu ma-chen

• das Verständnis der Programme von ICON-SP für sei-ne lokalen und regionalen Partnernetzwerke zu ver-tiefen

• Beziehungen zwischen engagierten Laien in Deutsch-land und den Philippinen aufzufrischen und zu stär-ken.

Bei den Lobbygesprächen mit der Vorsitzenden des Men-schenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments, Barbara Lochbihler, dem zuständigen Referenten des Auswärtigen Dienstes der EU, Marek Repowsky, und mit MdB Uwe Kekeritz (AWZ) wurden konkrete Initiativen verabredet und die Lieferung präziser Fakten bezüglich Menschenrechtsverletzungen in Mindanao zugesagt.

In Gesprächen mit Journalist_innen hat Lory Obal vielsei-tig zu ihren Themen Stellung genommen. Die Palette der Medien reichte dabei von missio online über die Münche-ner Kirchenzeitung, „Fisch und Vogel“, TAZ, Südostasien,

Der Pilger (Bistum Speyer), Kirchenzeitung Würzburg, Heinrichsblatt (Erzbistum Bamberg), einen niederländi-schen Fernsehsender bis zur Lokalzeitung von Euerbach.

Nicht zuletzt konnte Lory Obal als Ausgleich des dichten Programms intensiv ihre bei den bisher zwei Aufenthal-ten auf Einladung von missio München entstandenen persönlichen Kontakte und Beziehungen pflegen.

Insgesamt spiegeln zahlreiche Zeitungsbeiträge aufge-schlossene Reaktionen in Hilfsorganisationen und bei Weltkirche-Verantwortlichen von Diözesen wider. Manch persönliche Äußerung und die erlebte Gast-freundschaft zeigen, dass sich die Erwartungen an die Reise weitgehend erfüllt haben, solidarische Beziehun-gen gestärkt und Hoffnung auf stabile Unterstützung be-lebt werden konnten. Alle Beteiligten dürften motiviert sein, auch in Zukunft verlässliche Partner_innen zu blei-ben.

Dieter Zabel hat als langjähriger Freund und ökumeni-scher Partner von Lory Obal ihre fünfwöchige Reise durch Deutschland (mit Stationen in Belgien, Niederlan-den, Italien und Österreich) geplant, koordiniert und zu-sammen mit ihr ausgewertet.

Eigenverantwortliches Lernen als Bewusstseinsbildung

Im Interview beschreibt Lory Obal, Sozialarbeiterin und Aktivistin aus Kidapawan, Mindanao, den pädagogischen Ansatz ihrer Arbeit mit den Indigenen ihrer Region in den Philippinen. Ein

Bericht über eine alternative Form von Bildung.

von Carolin Blöcher

„Wir möchten die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes wahrnehmen und fördern. Bei unserem alternativen Ler-nansatz geht es nicht um Konkurrenz, sondern die Kin-der sollen zusammen lernen und sich gegenseitig dabei unterstützen. Zum Schuljahresabschluss bastelten wir sehr viele Anstecker, denn jedes Kind soll für seine indi-viduelle Leistung und Begabung geehrt werden.“ Die „community based alternative education for indigenous people“, also das gemeinschaftsbasierte alternative Bil-dungsprogramm für Indigene, das Lory Obal im Interview mit Fisch und Vogel beschreibt, hat sie selbst mitentwi-ckelt. In diesem werden vor allem Kinder, aber auch Er-wachsene unterrichtet. Es basiert auf den Einsichten von Paolo Freire, Pädagoge und Befreiungstheologe aus Brasi-lien, dessen Ansatz in den 1970er Jahren bekannt wurde. Freire sah Bildung als einen Prozess der Bewusstseinsbil-dung („conscientization“), bei dem Lernende nicht nur zu füllender Raum seien, sondern in sich schon die Anla-gen für Lernen und Wissen tragen. Lehrende sollen nicht vorhandenes Wissen beibringen, sondern anleiten und die Entdeckung dessen ermöglichen, das bereits im Ler-

nenden angelegt ist. Angewendet wird diese alternative Pädagogik in den Programmen von ICON-SP, dem Netz-werk Interkultureller Organisationen für Solidarität und Frieden.

Die Ideen von Freire wurden aufgenommen, aber auch weiterentwickelt. Theorie und Praxis hängen eng mitein-ander zusammen: Während die Kinder das Alphabet ler-nen, sollen sie auch begreifen welche Bedeutung diese Worte für ihre indigene Gemeinschaft haben. Hausaufga-ben haben zwei Ziele: zum einen die Vermittlung von Le-sen, Schreiben und Rechnen, aber auch die Anwendung des Gelernten. „Wenn das Kind in der Schule das Verb „pflanzen“ schreiben lernt, soll es zu Hause auch lernen, Gemüsesetzlinge zu pflanzen.“ Außerdem werden einhei-mische Beispiele gewählt, so steht A nicht für „apple“, sondern für „avocado“.

Durch die direkte Anbindung an die eigene Erfahrung ge-schieht Veränderung: Immer wieder sind Eltern über-rascht, dass ihre Kinder sich plötzlich stärker in das Fa-milienleben einbringen und zu Hause helfen wollen.

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Während die Kinder sich mit philippinischer Geschichte beschäftigen, lernen sie auch etwas über ihre eigene Ge-schichte und über ihr Selbstverständnis als Indigene. Wie Lory erzählt, ziehen indigene Gemeinschaften die alter-native Pädagogik den staatlichen Schulen oft vor. Die Äl-testen der Gemeinschaft sind Quellen von Wissen und Weisheit, indem sie Geschichten über das Zusammenle-ben der Indigenen erzählen und an die Jüngeren weiter-geben. So hängen global und lokal zusammen, von der ei-genen Familie über das Leben der Gemeinschaft hin zum Leben der Nation. Zur Bewusstseinsbildung gehören dann auch soziopolitische Themen wie Umweltschutz, Ernährungssicherheit und das Armutsproblem. Diese Verbindung von Theorie und Praxis führt dazu, dass die Lernenden motiviert sind und einen direkten Nutzen für sich selbst erkennen können. Durch die Beschäftigung mit den eigenen Rechten werden die Indigenen befähigt für ihr Land und ihre Lebensweise einzustehen. ICON-SP setzt sich unter anderem für Landrechte und gegen ag-gressiven Bergbau ein. Dabei beginnen die Programme damit gegenseitigen Respekt und Einigkeit zu stärken. Wenn das Verhalten untereinander stimme, komme es nicht schon unter den Aktivist_innen zu Spaltung, son-dern man könne sich gemeinsam für Ziele engagieren. Statt nur zu reden, wollen Lory und ihre Mitstreiter_in-nen die Einsichten aus den Lernerfahrungen in die Praxis umsetzen.

Heute haben viele junge Indigene in den Philippinen Pro-bleme mit der sie umgebenden modernen Kultur und ma-chen die Erfahrung von Diskriminierung. Die Schulabbre-cherquoten und Alkoholmissbrauch sind hoch. Die Ab-wertung der indigenen Kultur und Lebensweise kann zu

Gewalt als letztem Ausweg führen. Lory Obal sieht daher die Vermittlung von positiven Werten als eine Hauptauf-gabe der alternativen Pädagogik. Durch den Prozess der Bewusstseinsbildung werden die Lernenden in die Lage versetzt die wahren Probleme zu erkennen und können negative Selbstbilder und Muster ablegen. Die Begabun-gen des_der individuellen Lernenden stehen im Fokus und im Unterricht werden nicht nur Worte gebraucht, sondern auch Lieder gelernt oder selbst geschrieben und Tänze aufgeführt. Auch in Bildern können sich die Ler-nenden ausdrücken. Dabei geht es nicht nur um individu-elles Lernen, sondern auch um eine zu erzielende Verän-derung der gesellschaftlichen Strukturen, die für Indige-ne viele Probleme mit sich bringen.

Das Ziel dieser Pädagogik ist eine Kultur des Friedens zu schaffen. „Wir als Angehörige verschiedener Religionen und Lebensweisen möchten gemeinsam lernen, wie wir in unseren Gemeinschaften friedlich zusammenleben und diese zum Nutzen aller weiterentwickeln können.“ Nur wenn die Beziehungen im Kleinen stimmen, in der eigenen Familie, können wir die Menschen unseres Lan-des in einer solidarischen Gesellschaft vereinen.“ Diese Langzeitperspektive bestimmt die Ausrichtung der Pro-gramme. Die Organisator_innen hoffen auf eine spürbare Veränderung hin zum Frieden in Kidapawan und dass die Indigenen durch den Bewusstwerdungsprozess befähigt werden ihren Anliegen Gehör zu verschaffen.

Carolin Blöcher hat Lory Obal auf ihrer Europareise im Juni und Juli 2013 für einige Tage aufgenommen und mit ihr Institutionen und Freund_innen in Berlin be-sucht.

Wer braucht goldenen Reis?

Der genetisch veränderte Golden Rice soll durch seinen erhöhten Gehalt an Provitamin A einen Beitrag zum Kampf gegen die in Asien weit verbreitete Mangelernährung leisten. Doch das Pro-

blem sitzt tiefer.

Von Wolfram Richter und Zacharias Steinmetz, nach einem Artikel von Charito P. Medina

Von deutsch-schweizer Labors auf die Felder Asi-ens

Der sogenannte „Golden Rice“ ist genetisch verändert und hat die Fähigkeit, Provitamin A zu produzieren. Provitamin A, auch Beta-Carotin genannt, gibt dem Reis seine charakteristische, goldgelbe Farbe. Das erste Beta-Carotin angereicherte Saatgut dieser Art wurde von der Universität Freiburg und dem Eidgenössischen Institut für Technologie in Zürich entwickelt. Allein in Deutschland betrugen die Ausgaben für die knapp zehnjährige Forschung und Entwicklung etwa 100 Mil-lionen US-Dollar [1][2].

Mithilfe besonderer Bakterien wurden anfangs drei Fremdgene in das Erbgut von Reis (Oryza sativa) einge-schleust. Die erste Version des Golden Rice enthielt vergleichsweise geringe Mengen Beta-Carotin. Den-noch feierten Wissenschaft und Industrie bereits eine Lösung für die durch Vitamin-A-Mangel ausgelöste Blindheit gefunden zu haben. Der schweizer Saatgut-konzern Syngenta kaufte die Rechte an Golden Rice I und entwickelte Golden Rice II. Durch ihre Forschung konnte der Beta-Carotin-Gehalt im Reis gesteigert (s. Tabelle) und der Einsatz von Fremdgenen reduziert werden [3]. Am Welternährungstag 2004 gab der Kon-

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zern bekannt, seine Weiterentwicklung dem „Golden Rice Humanitarian Board“ stiften und unter den glei-chen Bedingungen wie den vorherigen Golden Rice I li-zenzieren zu wollen. Farmern, denen umgerechnet weniger als 10.000 US-Dollar Jahreseinkommen zur Verfügung steht, sollten die Lizenzgebühren erlassen werden [4].

Das „Humanitarian Board“ wird geführt von einem der Miterfinder des Golden Rice am Eidgenössischen Insti-tut für Technologie. Das Gremium ist zuständig für die weltweite Entwicklung und Einführung des Golden Rice in diversen Zielländern. Gesponsert wird das Pro-jekt unter anderem von der Gates Stiftung, der Welt-bank, der Rockefeller Stiftung sowie einigen For-schungsinstituten. Das Golden Rice Board, angesiedelt im International Rice Research Institute (IRRI) der Philippinen, ist ferner in die Entwicklung lokaler Gol-den Rice-Sorten in den Ländern Südostasiens invol-viert. In naher Zukunft soll dort Saatgut für den groß-flächigen Anbau auf den Markt gebracht werden.

Grvgl.jpg: Gewöhnlicher Reis und Golden Rice im Ver-gleich (Quelle: International Rice Research Institute)

Vitamin-A-Mangel: Ursache und Folgen

Vitamin A ist wichtig für den Zellstoffwechsel und das Zellwachstum. Es ist zuständig für die Pigmentierung der Netzhaut und sorgt für ausreichend Sehkraft bei Tag und Nacht. So wird Vitamin A im Kontext des phy-siologischen Sehablaufes auch als Retinol bezeichnet [5]. Vitamin A wird im Körper aus dem in vielen pflanzlichen und tierischen Produkten natürlich vor-kommenden Beta-Carotin (Provitamin A) hergestellt, kann aber auch direkt als Vitamin A aufgenommen werden. Vitamin-A-Lieferanten sind Milchprodukte, Fleisch und Fischöl. In den Tropen stellen dunkelgrüne Blattgemüse wie Spinat und die Blätter der Süßkartof-fel, gelbe Wurzel- und Knollengemüse aber auch Papa-ya, Melone und Mango die wichtigsten Lieferanten von Beta-Carotin und Vitamin A dar (s. Tabelle). Da beide Stoffe fettlöslich sind, werden zur Vitaminaufnahme im Körper geringe Mengen Fett benötigt. Ohne jegli-

che Fettzufuhr werden Beta-Carotin und Vitamin A vom menschlichen Körper größtenteils unverdaut aus-geschieden.

Zur körpereigenen Herstellung von Vitamin A muss 6- bis 12-mal so viel Beta-Carotin aufgenommen werden [6]. Der durchschnittliche Tagesbedarf eines Kindes beträgt 250 µg Vitamin A. Erwachsene benötigen etwa die doppelte Menge, vorausgesetzt dass ausreichend Fett in der Nahrung enthalten ist und keine Parasiten die Verdauung stören. Zusätzlich verringert das Ko-chen der Nahrung den Beta-Carotin-Gehalt um etwa zehn Prozent bei Golden Rice [7], bis zu 20 Prozent bei Süßkartoffeln [8]. Es existieren allerdings nur wenige Studien zu dem Thema [9].

Tabelle: Ausgesuchte Nahrungsmittel und ihr Gehalt an Beta-Carotin [13].

Nahrungsmittel Beta-Carotin-Gehalt [μg/g]

Süßkartoffeln 200

Palmöl 92,8

Leber (Ziege, Schaf) 66 – 100

Karotten 46 – 125

Golden Rice 31

Cantaloupe-Zuckermelone 20,2

Korianderblätter 11,6

Blätter der Süßkartoffel 11,4

Blattgemüse 10 – 444

Mango 4,4

Ein Mangel an Vitamin A schwächt das Immunsystem und kann zur Austrocknung der Augenoberfläche so-wie zu Nachtblindheit führen. Im Extremfall kommt es zur irreversiblen Schädigung des Sehgewebes und da-mit zur Erblindung. Kinder sind besonders gefährdet [10]. Laut WHO stirbt jährlich etwa eine halbe Million Kinder an den Folgen von Vitamin-A-Mangel. In Asien, wo die Nachfrage nach Reis weltweit am größten ist, tritt Vitamin-A-Mangel besonders häufig auf. Es wird geschätzt, dass in Indien, Bangladesch, Indonesien und den Philippinen jährlich 500.000 Fälle von Xerophtal-mie (Austrocknen des äußeren Auges bzw. weiße Fle-cken auf der Horn- oder Bindehaut) neu hinzukom-men. Die Hälfte dieser Personen erblindet. Der niedri-ge Fettgehalt in der Nahrung armer Familien ist mit-verantwortlich für den Vitamin-A-Mangel. Rotes Palmöl ist das einzige Pflanzenöl, das reich an Beta-Carotin ist und auch armen Familien ausreichend zur

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Verfügung steht. Doch ist dies nicht in allen asiati-schen Ländern verfügbar [5].

Um die Ursachen des Vitamin-A-Mangels angehen zu können, muss eine fundamentale Lösung des Ernäh-rungsproblems in den Entwicklungsländern gefunden werden. In einer ausgewogenen Mahlzeit ist in der Re-gel ausreichend Beta-Carotin vorhanden. Dennoch ist Vitamin-A-Mangel bis heute ein Problem. Hauptgrün-de sind Armut und die damit verbundenen Umstände. Eine einseitige und unzureichende Ernährung, die für etwa zwei Milliarden Menschen derzeit weltweit Reali-tät ist [11], bringt weitere Mangelerscheinungen, wie Blutarmut (Anämie) und Kropfbildung mit sich [3]. Ist der Körper durch Vitaminmangel und deren Folgen wie Immunschwächen oder Parasitenbefall ge-schwächt, wird die weitere Vitaminaufnahme und -umwandlung zusätzlich erschwert. Gleiches gilt bei mangelnder Hygiene und medizinischer Versorgung.

VitA-Mangel.jpg: Erblindung durch Vitamin-A-Mangel (Foto: Lance Bellers, veröffentlicht in Community Eye Health Journal Vol. 22 No.71, 2009)

Verstärkt wird dies durch eine kulturelle Problematik: In vielen ländlichen Gebieten steht im Grunde ausrei-chend abwechslungsreiche und kostengünstige Nah-rung zur Verfügung. Oft werden nahrhafte Eier, selbst angebaute Mangos, Papayas, Melonen oder gelber Mais jedoch auf dem Markt verkauft, um Geld für Softdrinks und Instantnudeln zu haben. Grünblättriges Gemüse gilt als Armenspeise.

Dennoch kam es in den Philippinen zwischen 1998 und 2008 zu einer deutlichen Reduzierung des Vitamin-A-Mangels – auch ohne Golden Rice. Durch Vorsorgeun-tersuchungen und eine entsprechende medizinische Behandlung konnte bei Kindern zwischen 6 Monaten und 5 Jahren sowie bei Schwangeren und Stillenden die Hälfte der Neuerkrankungen verhindert werden [12].

Goldener Reis, goldene Lösung?

Die Fürsprecher des Golden Rice sind stark. Die Regie-rungen Indiens und der Schweiz haben bereits einen Technologietransfer von genetisch verändertem, Beta-Carotin angereichertem Reis unterschrieben [13]. In Bangladesch und den Philippinen wird Golden Rice nicht zuletzt durch das IRRI aktiv beworben. Doch es bleiben Fragen offen. Wie soll Golden Rice die komple-xen ernährungsphysiologischen, kulturellen und öko-nomischen Probleme lösen, die einen Vitamin-A-Man-gel verursachen? Vitaminmangel liegt vor allem in der vielerorts herrschenden Fehl- und Unterernährung begründet. Es ist weiterhin fraglich, in welchem Ver-hältnis das in Golden Rice verpackte Beta-Carotin vom Körper überhaupt in Vitamin A umgewandelt werden kann. Zumindest von der ersten Version des Golden Rice hätte ein_e Erwachsene_r täglich 9 kg zu sich nehmen müssen, um den Tagesbedarf an Vitamin A zu decken [14]. Mit genetisch modifizierten Pflanzen sind außerdem weitere potenzielle Risiken verbunden. Ei-nige Beta-Carotin-Derivate wirken sich möglicherwei-se negativ auf die Gesundheit aus [15]. Noch immer ist ungeklärt, ob der Verzehr von genetisch veränderten Nahrungsmitteln wie Golden Rice auf lange Sicht nachteilige Folgen hat. Gleiches gilt für den Einfluss dieser Organismen auf die natürlichen Ökosysteme.

Ein weiteres Problem ist der sinkende Beta-Carotin-Gehalt während des Einlagerns [16]. Nur eine aufwän-dige und teure Lagerung unter Licht- und Sauerstof-fabschluss könnte die Carotinoide im Reis für längere Zeit konservieren [17]. Gerade in armen und abgelege-nen Gebieten, in denen Vitamin-A-Mangel besonders häufig auftritt, könnte gerade dieser Umstand zu ei-nem unlösbaren Problem werden. Oftmals wird Reis dort wegen der eingeschränkten Transportmöglich-keiten für mehr als ein Jahr eingelagert, um die Ernäh-rung der Familie über das Jahr zu sichern. Familien müssten ihre Konsummuster völlig verändern. Da wäre es sicherlich einfacher, Vitamin-A reiches Gemü-se an die Konsumenten zu verkaufen.

Die Entwicklung von Reis mit angereichertem Beta-Carotin ist zweifelsohne ein wissenschaftlicher Durch-bruch. Doch den Anspruch zu erheben, man könne mit dessen Hilfe Nahrungsdefiziten oder Erblindung vor-beugen, ist schlicht unrealistisch. 70 Patente sind mit der Lizenzierung von Golden Rice verbunden. Trotz der Ankündigung, keine Lizenzgebühren für den An-bau der modifizierten Reissorte zu nehmen, bleibt un-klar, ob die Farmer die Reiskörner zum Wiederanbau nutzen können und dürfen. Golden Rice stellt somit eine teure, unsichere und technokratische Lösung für ein gesellschaftliches Problem dar. Laut Vandana Shi-va, Trägerin des alternativen Nobelpreises, ist „Golden Rice [...] Teil eines Pakets einer globalisierten Agrikul-

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tur, das Unterernährung schafft.“

Golden Rice wurde zu einer Zeit entwickelt, in der die Gentechnik stark in der gesellschaftlichen Kritik stand. Farmer, Verbraucher_innen und Politiker_innen lehn-ten sie mehrheitlich ab. Es liegt die Vermutung nahe, dass Golden Rice und dessen augenscheinlich großzü-gige Lizenzierung dazu dienen sollten, die öffentliche Akzeptanz gentechnisch veränderter Nahrungsmittel zu erhöhen. Deren Schöpfer, die multinationalen Bio-tech-Unternehmen, könnten sich somit ein philan-thropisches und humanitäres Image geben. Dies könn-te Golden Rice und anderen genetisch veränderten Pflanzen den Weg ebnen für einen breiten gentechni-schen Anbau und letztendlich für eine (gentechnisch) veränderte Natur, von der wir uns alle ernähren. Großkonzerne erhielten die direkte Kontrolle über Ackerbau und Lebensmittel.

Bürgerorganisationen, Bauernverbände und Volksbe-wegungen in ganz Asien protestieren daher seit Jahren gegen die Einführung von gentechnisch verändertem Reis in ihrer Region. Sie sehen darin eine Verletzung ihrer Nahrungsmittelsouveränität. In ihren Augen stellt die Gentechnik eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit von Mensch und Umwelt dar. Bürger-initiativen wie „Nein zu Genfood“ (Übersetzung) und „RESIST“ haben Netzwerke aufgebaut, und führen Kampagnen, um Golden Rice durch Foren, Debatten und Massenaktionen zu stoppen. Die Angelegenheit hat die Aufmerksamkeit des Komitees für Landwirt-schaft und Ernährung im philippinischen Senat erregt. Die philippinische Politik steht Golden Rice zuneh-mend kritisch gegenüber. Eine Resolution soll nun die Rechtmäßigkeit des Anbaus von Golden Rice auf phil-ippinischen Testfeldern prüfen.

GR-demo.png: Demonstrationen gegen Golden Rice auf den Philippinen (Bild: Charito P. Medina, PAN AP)

Der andere Weg

Eine Kombination aus gesicherter, gesunder und aus-gewogener Ernährung gilt immer noch als die prakti-kabelste und kostengünstigste Lösung gegen Mangel-

erscheinungen. Zusätzlich können Grundnahrungs-mitteln wie Nudeln, Mehl und Margarine, Vitamine zugesetzt werden. Solche Maßnahmen haben bereits vor Jahrzehnten in den Industrie- und einigen Schwel-lenländern Erfolge gezeigt.

Eine vielfältige Ernährung verbunden mit Aufklärung ist die beste Langzeitlösung für den Kampf gegen den Vitamin-A-Mangel. Vitaminreiche Nahrung ist überall verfügbar in der asiatisch-pazifischen Region, wo mehr als hundert verschiedene Sorten von grünblätt-rigem Gemüse und Früchten zu den gewöhnlichen Mahlzeiten gehören. Kleine Hausgärten zum Anbau von vitaminreichem Obst und Gemüse können Man-gelerscheinungen deutlich abschwächen [11]. Wenn ausreichend Land zur Verfügung steht, können zusätz-lich kleinere Tiere gehalten werden. Ein Teelöffel rotes Palmöl deckt bereits den Tagesbedarf eines Säuglings an Vitamin A, zwei Karotten den einer_eines Erwach-senen. Wer braucht dann noch Golden Rice?

Gekürzte und überarbeitete Fassung des englischen Original-Artikels „Who needs Golden Rice?“, PAN AP Rice Sheets, 2. Ausgabe, 2012, Malaysia.

Dr. Charito P. Medina ist Koordinator der Organisation MASIPAG. Als Doktor der Umweltbiologie lehrt er an zwei philippinischen Universitäten zu den Themen Öko-logie, Erhaltung der Artenvielfalt, Umweltsystemanaly-se, Umweltplanung und Natürliches Ressourcenmana-gement.

Wolfram Richter ist gelernter Fachkrankenpfleger für Intensivmedizin. Er gründete zusammen mit MASIPAG und der Vereinigten Kirche Christi in den Philippinen (UCCP) eine ökologische Versuchsfarm, auf der ver-schiedene Reissorten im Einklang mit der Natur ange-baut werden.

Zacharias Steinmetz studiert Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz-Landau. Im Rahmen eines Internationalen Freiwilligendienstes arbeitete er ein Jahr im Bistum Alaminos (Pangasinan) an der West-küste Luzons in verschiedenen sozialen Einrichtungen.

(1) Shiva, V. 2001. A blind approach to blindness pre-vention. In The Golden Rice Report: All that Glitters is not Gold. http:www.indiatogether.org/reports/goldenri-ce.htm.

(2) Ho, M.W. 2001. An exercise in how not to do science. In The Golden Rice Report: All that Glitters is not Gold. http:www.indiatogether.org/reports/goldenri-ce.htm.

(3) Barry, G. 2007. Current situation of development of GM Rice. Presentation made before SEARICE on re-quest for technical briefing on GE Rice. 18 January 2007, Los Banos, Laguna.

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(4) Steinbrecher, R. Genetically engineered rice: deve-lopment and issues. Pesticide Action Network Asia and the Pacific. Penang, Malaysia. In Press.

(5) Edmunson, W.C. and S.A. Edmunson. 2001. Vit-amin A deficiency – An analysis and solution. In The Golden Rice Report: All that Glitters is not Gold. http:www.indiatogether.org/reports/goldenrice.htm.

(6) Nestel, P., H.E. Bouis, J.V. Meenaksi, and W. Pfeif-fer. 2006. Biofortification of staple food crops. J. Nutr. 136:1064-1067.

(7) Datta, K., N. Baisakh, N. Oliva, L. Torrizo, E. Abrigo, J. Tan, M. Rai, S. Rehana, S. Al-Babili, P. Beyer, I. Potrykus, and S.K. Datta. 2003. Bioengineered ‘golden’ indica rice cultivars with ß-carotene metabolism in the endosperm with hygromycin and mannose selection systems. In: Plant Biotechnology Journal, 1, 81-90.

(8) van Jaarsveld, P.V., M. de Wet, E. Harmse, P. Nes-tel, and D.B. Rodríguez-Amaya. 2005. Retention of Be-ta-carotene in boiled, mashed orange-fleshed sweet po-tato. J. Food Compos. Anal. In Press.

(9) Then, C. 2009. The campaign for genetically modi-fied rice is at the crossroads: A critical look at Golden Rice after nearly 10 years of development. Commissio-ned by Foodwatch Germany.http://www.foodwatch.de/foodwatch/content/e6380/e23456/e23458/GoldenRice_english_final_ger.pdf.

(10) Goodhart, R.S. 1968. The Vitamins. M.G. Wohl and R.S. Goodhart (eds) In Modern Nutrition in Health and Disease. Lea and Febiger. Philadelphia. pp. 213-227.

(11) FAO (Food and Agriculture Organisation). 2010. 925 million in chronic hunger worldwide. http://ww-w.fao.org/news/story/en/item/45210/icode.

(12) Food and Nutrition Research Institute. 2008. Natio-nal Survey Results for Vitamin A. http://www.fnri.dost.-gov.ph.

(13) Shiva, V. Undated. The “Golden Rice” HOAX – When public relations replaces science.http://online.sfsu.edu/~rone/GEessays/goldenricehoa-x.html.

(14) Greenpeace. 2001 (February 9). Genetically engi-neered ‘Golden Rice’ is fool’s gold. Greenpeace State-ment. http://www.greenpeace.org/~geneng.

(15) Caldwell, E. Researches Find Potential ‘Dark Side’ to Diets High in Beta-Carotene, Research and Innovati-on Communications, The Ohio State University, May 1, 2012.

(16) Pelegrina, W. R. Oryza Nirvana? 2007. Ten years after – perspectives on IRRI’s rice breeding program. Lopez et al. (eds) In The Great Rice Robbery. Pesticide Action Network Asia and the Pacific. Penang, Malaysia.

(17) WHO. 2006. Guidelines on food fortification with micronutrients, ed. By Lindsay Allen et al.www.who.int/entity/nutrition/publications/ guide_food_fortification_micronutrients.pdf.

(18) Tarwotjo, I. et al. 1987. Influence of participation on mortality in a randomized trial of vitamin A prophylaxis. American Journal of Clinical Nutrition. 45: 1466-1471

Vitaminmangel und die Versprechen der Wissenschaft zum „Gol-den Rice“

In der öffentlichen Debatte wird der gentechnisch mit Provitamin A angereicherte Golden Rice als Mittel propagiert, Hunderttausende von Kindern vor Erblindung zu schützen. Aus Sicht des bischöflichen Hilfs-

werks bringt der Golden Rice aber mehr Fragen als Antworten.

von Anja Mertineit

Es steht für MISEREOR außer Frage, dass Erkrankun-gen und vor allem Erblindung wegen armutsbeding-tem Vitamin-A-Mangel nicht hinnehmbar sind. Vit-amin-A-Mangel ist ein Symptom von Hunger und Armut und betrifft deshalb vor allem unter- und mangelernährte Menschen, insbesondere Kinder. Hunger ist nicht nur ein quälendes Gefühl, sondern nimmt diesen Kindern auch die Zukunft. Ihre kör-perliche und geistige Entwicklung ist eingeschränkt, und sie bleiben in einem Teufelskreis aus Hunger und Armut gefangen. Trotz langjähriger Verspre-chen der Weltgemeinschaft, die Zahl der weltweit hungernden Menschen bis 2015 zu halbieren, leiden

rund eine Milliarde Menschen auf der Welt an Hun-ger. Bestimmt doppelt so viele Menschen leiden an sogenanntem „versteckten“ Hunger, an Mangeler-nährung durch fehlende Spurenelemente und Vit-amine in der Nahrung. Im Hintergrundartikel zu Golden Rice (siehe Seite 9) wird beschrieben, wie vielfältig die Auswirkungen des Vitamin-A-Mangel sind.

Um eine wirksame Lösung für Vitamin-A-Mangel zu finden, ist es ratsam, zunächst die Ursachen zu un-tersuchen. Aus über 50 Jahren Erfahrung in der Ent-wicklungshilfe hat MISEREOR gelernt, dass Armut komplexe Ursachen hat und die Lösung deshalb nie

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eindimensional technisch sein kann.

Warum ist Vitamin-A-Mangel zunächst ein Ar-mutsproblem? Armen Familien fehlen die Mittel, sich ausreichend und ausgewogen zu ernähren. So decken ihre Mahlzeiten nicht den Mindest-Kalorien-bedarf, und tierische Eiweiße, die Vitamin-A liefern, kommen selten auf den Tisch. Auch verhindert der geringe Fettanteil der Nahrung eine effektive Nut-zung vorhandener Vitamine. Mit einer effektiven Verbesserung der Ernährungssicherheit der Famili-en, mit ausreichender und ausgewogener Ernäh-rung, können demnach auch die Folgen von Vit-aminmangel beseitigt werden.

Ein weiterer wichtiger Grund für Vitaminmangel, nicht nur bei armen Familien, liegt in der Verände-rung von Ernährungsgewohnheiten. Gerade in asia-tischen Ländern gibt es zahlreiche Gemüse und Wildpflanzen, die Provitamin A enthalten, die bei ausreichendem Fettanteil der Nahrung den Vit-amin-A-Bedarf der Menschen decken können. Der Verzehr dieser Gemüse und Wildpflanzen hat aber stark abgenommen. Traditionelle Gerichte sind „out“, Fastfood ist „in“. Weißer Reis ist angesagt und nicht der nährstoffreichere ungeschälte dunkle Reis. Frauen, die meist für die Ernährung der Fami-lie zuständig sind, wissen oft nicht mehr, wie eine ausgewogene Ernährung aussehen muss. Durch die Umstellung der traditionellen Landwirtschaft auf Reismonokultur sind viele Vitaminlieferanten schlicht nicht mehr vorhanden. In den Städten ha-ben die Menschen noch weniger Möglichkeiten, sich durch billige Vitaminquellen besser zu ernähren.

Kinder vor einem Sari-Sari-Store, der neben vielem an-deren auch Süßigkeiten verkauft, Foto: MISEREOR / Anja Mertineit

Aus menschenrechtlicher Sicht liegt die Hauptver-antwortung, Unter- und Mangelernährung zu besei-

tigen, bei den Regierungen, die das Recht auf ange-messene Ernährung und das Recht auf Gesundheit ihrer Bevölkerung umsetzen müssen. Der Staat muss sicherstellen, dass seine Bürger_innen entweder die Produktionsmittel, also z. B. Land, haben, um sich selbst zu versorgen, oder aber dass sie existenzsi-chernde Einkommen beziehen können, um sich Nahrung zu kaufen. Für die Bürger_innen, die sich nicht selbst versorgen können, ist der Staat in der Pflicht, sie mit Geld oder Nahrungsmitteln zu ver-sorgen. Im Rahmen der Gesundheitsdienstleistun-gen, die der Staat bereit stellen muss, müsste also auch die Information über gesunde Ernährung und die Versorgung mit Vitaminen bei Vitaminmangel gewährleistet sein.

Nehmen wir das Beispiel der Philippinen, um uns die Situation der Menschen, vor allem der Kinder, die an Vitamin-A-Mangel leiden, zu verdeutlichen. Etwa 40 Prozent der philippinischen Familien leben unter der Armutsschwelle, und die Mehrzahl der Kinder ist fehlernährt. Die Armen und Hungernden leben in den Städten oder als Landarbeitende, Päch-ter_innen oder Kleinstbauern auf dem Land, wo ge-nug Potential vorhanden ist, ausreichend Nahrung für die philippinische Bevölkerung zu produzieren. Allerdings gelingt es der Mehrzahl der Bauernfami-lien nicht, sich selbst zu ernähren. Zum einen ist die Landverteilung trotz Agrarreform extrem ungleich, und die Mehrzahl der Betriebe wirtschaftet auf kleinsten Flächen, während die Großgrundbesitzer den größten Teil des Landes besitzen. Dazu nimmt das sogenannte „land grabbing“, die großflächige Landnahme durch in der Regel ausländische Kon-zerne, rasant zu. Die Menschen, die auf den Hacien-das der Großgrundbesitzer arbeiten, bekommen Niedriglöhne, die für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen. Die Kleinbauernfamilien sind oft hoch verschuldet, weil sie mit der flächendecken-den Einführung der Grünen Revolution seit den 70er Jahren hohe Ausgaben für Saatgut, Düngemitteln und Pestizide haben. Um Produktionsmittel kaufen zu können, nehmen sie Kredite auf. Um diese zu-rückzahlen zu können, verkaufen sie ihre Ernte, wenn die Preise niedrig sind, und müssen dann selbst teuer Reis auf dem Markt kaufen. Bei Ernte-ausfällen klappt die Schuldenfalle zu und sie verlie-ren unter Umständen auch noch ihr kleines Stück Land. Staatliche Förderung für die Landwirtschaft übersieht die Kleinbauern und fördert vor allem die Produktion für den Export. Wälder, die früher ge-sunde Nahrungsmittel geliefert haben, sind großflä-chig abgeholzt, und gesunde Wildpflanzen an

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Feldrändern finden sich kaum noch. Dazu kommt ein Wandel des Lebensstils hin zu Konsum und Fast-food – jeder Philippinenreisende ist überrascht, wie Fastfood-Restaurants und Shoppingzentren das Bild der Städte dominieren.

Kommen wir zurück zum Vitamin-A-Mangel: Wel-che Lösung für Hunger und Mangelernährung bietet sich unter den gegebenen Umständen an? Würde ei-nem wirklich als erstes in den Sinn kommen, den Reis, der in den Philippinen das Nahrungsmittel Nummer eins ist und in Tausenden von Sorten ange-baut wird, gentechnisch zu verändern, damit er Pro-vitamin A enthält, obwohl noch nicht erwiesen ist, wie viel er ernährungsphysiologisch tatsächlich zum Vitamin-A-Bedarf beiträgt? Und dies mit gen-technischen Verfahren, deren Entwicklung extrem teuer ist und deren Risiken bisher nicht ausreichend untersucht wurden?

Es wäre zu fordern, dass die Menschen in den Philip-pinen erst einmal Zugang zu produktiven Ressour-cen, also vor allem Land, erhalten, dass die bäuerli-che Agrarproduktion durch Regierungsprogramme gefördert wird und dass die bäuerlichen Betriebe vor „land grabbing“ und den Auswirkungen einer verfehlten Handelspolitik geschützt werden. Man sollte des weiteren dafür eintreten, dass die Men-schen für ihre Arbeit mit existenzsichernden Löh-nen rechnen können. Außerdem würde man von der philippinischen Regierung verlangen, dem Fastfood-Trend eine Werbung für gesunde, regionale und di-versifizierte Ernährungskultur entgegenzustellen. Man würde auch erwarten, dass die Gesundheits-dienste dort, wo sie Mangelernährung feststellen, mit einfachen Lösungen wie Vitamingaben und Er-nährungsberatung helfen.

Dies sind auch die Forderungen der Mehrzahl der philippinischen Bürger_innen in der Stadt und auf dem Land, die sich in verschiedenen Netzwerken zu-sammengeschlossen haben, um gegen die Regierung und ihre Unterstützung für das „Golden Rice“-Pro-jekt zu demonstrieren, darunter auch viele MISE-REOR-Partnerorganisationen. Die Menschen fordern mehr als nur die Umsetzung des Rechts auf Nah-rung. Sie fordern Ernährungssouveränität. Dieses weltweit von Kleinbauern, aber auch immer mehr Konsumenten eingeforderte Konzept möchte das Recht der Menschen stärken, über ihre Ernährung und damit auch ihre Landwirtschaft selbst zu be-stimmen.

Die Menschen, die für Ernährungssouveränität ein-treten, sind arm, aber sie wollen selbst bestimmen,

ob sie gentechnisch veränderten Reis essen oder aber eine gesunde Mischung aus lokalen Reissorten, Fisch und Gemüse. Ester Norte, Mutter und Aktivis-ten eines Netzwerks städtischer Armer in Balatas, Naga City, sagt: „Wir mögen hungrig sein, aber zwingt die Menschen nicht, gentechnisch veränder-ten Reis zu essen!“. Myrna Acayen, eine Bäuerin aus dem Netzwerk des Misereor-Partners MASIPAG aus Goa, Camarines Sur, macht sich Sorgen um ihre lo-kale Reisvielfalt. Sie ist für ihre ökologisch geführte, diversifizierte Reisfarm 2011 von der philippini-schen Regierung mit einem Preis geehrt worden und ist gegen die Testfelder für Golden Rice, weil sie fürchtet, dass die veränderten Gene die von MASI-PAG gehegte und vergrößerte lokale Reisvielfalt ver-unreinigen. „Wir müssen daran denken, dass Reis unser Grundnahrungsmittel ist, das wir fast zu jeder Mahlzeit essen. Sie sollten nicht am Reis herumpfu-schen, und sie sollten ihn nicht gentechnisch verän-dern.“ [1]

Auch wir in Europa möchten mehrheitlich keine gentechnisch veränderten Lebensmittel, und wir haben diese auf unseren Feldern und in den Super-märkten bisher recht erfolgreich eingedämmt, so-dass die großen Agrarmultis ihre Forschung zur „grünen“ Gentechnik aus Europa in die USA verlegt haben. Wir sollten deshalb auch dafür eintreten, dass die Armen weltweit gehört werden, wenn es um Lösungen für Hunger und Armut geht.

Diversifizierte Landwirtschaft: Neben Reis hat dieser Bauer in Mindanao auch Gemüse angepflanzt und züchtet Fische im Reisfeld.Foto: MISEREOR / Anja Mertineit

Die Regierungen der Länder, in denen Hunger und Mangelernährung auftreten, unterstützt von der Weltgemeinschaft, müssen für effektive Armutsbe-kämpfung sorgen, für Zugang zu Land und die För-derung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, für existenzsichernde Einkommen und Versorgung de-

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rer, die sich nicht selbst helfen können – kurzum sie sollten ihren Staatenpflichten nachkommen.

Viele Entwicklungsinitiativen, unterstützt von MI-SEREOR und anderen Hilfsorganisationen, haben preiswerte Alternativen zu teuren Großprojekten wie der Forschung am Golden Rice zu bieten. Eine diversifizierte und nachhaltige Landwirtschaft, Hausgärten mit Obst und Gemüse, die Herstellung von Kindernahrung aus lokalen Produkten, Ernäh-rungsberatung, die Wiederbelebung traditioneller Rezepte mit Wildpflanzen und die Förderung von Balkongärten in städtischen Siedlungen tragen schon heute zu einer Eindämmung des Vitamin-A-Mangels bei.

Auch die internationale Agrarforschung hat ihre Rolle zu erfüllen. Der Weltagrarbericht, der unter anderem von der Weltbank in Auftrag gegeben wur-de und 2007 erschienen ist, spricht sich gegen die noch zu wenig erforschte Gentechnik aus und emp-fiehlt der Wissenschaft, sich mit den Bauern und Bäuerinnen gemeinsam und unter Nutzung ihres Wissens um lokal angepasste Lösungen zu bemühen.

Trotz allem wird die Entwicklung des Golden Rice in den Philippinen weiter vorangetrieben, allen voran durch das internationale Reisforschungsinstitut IRRI. Kritiker_innen haben schon früh erkannt, dass mit diesem Projekt die Gentechnik hoffähig ge-macht werden soll, die den Agrarkonzernen solch große Gewinne verspricht. Die über 30.000 Mitglie-der des Bauernnetzwerks MASIPAG haben auf der im Juni 2013 durchgeführten Generalversammlung ihrem Ärger und ihrer Angst Ausdruck gegeben, denn während sich die zumeist armen Kleinbauern für den Erhalt der Schöpfung und eine verantwor-tungsvollere Lebensweise engagieren, planen die Regierung und IRRI die dritte Reihe der Freilandver-suche mit Golden Rice. Wer kann diesen dann noch aufhalten?

Anja Mertineit ist Referentin für ländliche Entwicklung der Asienabteilung von MISEREOR.

[1] S. auch MASIPAG-Pressemeldung vom 16.10.2012 „Right to Safe and Adequate Food pushed, Camarines Sur com-munities call for the immediate halt of „Golden“ rice field Trials in DA Pili“.

Maiwahlen und 40 Jahre Widerstand

Am 13. Mai fanden in den Philippinen die Midterm Elections (Halbzeitwahlen) statt. Die Regierung unter Präsident Benigno Simeon Aquino III wirbt für das Land mit dem Slogan „It’s More Fun in the Philippines“. Spaß genießt allenfalls dessen dünne Oberschicht. Die Masse der Bevölkerung hat wenig zu lachen und muss ihr tägliches Überleben organisieren. Derweil weht der einst starken linken Nationa-len Demokratischen Front der Wind ins Gesicht.

von Rainer Werning

Am Montag, dem 13. Mai, waren nach der Hälfte der sechsjährigen Amtszeit von Präsident Aquino landes-weit gut 18.000 politische Ämter neu zu besetzen. Ge-wählt wurden u. a. 292 Abgeordnete des Kongresses (inklusive 58 Sitze für Kandidat_innen von Parteilisten, die laut Verfassung Gruppierungen marginalisierter Schichten vorbehalten sind), 80 Provinzgouverneure und ihre Stellvertreter_innen, die Hälfte des 24-köpfi-gen Senats, die Bürgermeister_innen und Stadträt_in-nen samt Stellvertretenden sowie das komplette Regie-rungsteam der Autonomen Region in Muslim Mind-anao (ARMM).

Zwei politische Hauptblöcke wetteiferten um die Gunst der Wähler: auf der einen Seite das der Regierung na-hestehende Team PNoy, auf der anderen Seite die Ver-einigte Nationalistische Allianz (UNA) unter Führung von Vizepräsident Jejomar Binay. Bewusst wurde mit

Kürzeln geworben: Während UNA darauf spekulierte, mit ihrem noch immer überaus populären Ex-Schau-spieler und Ex-Präsidenten, doch vorzeitig seines Am-tes enthobenen Joseph E. Estrada (1998-2001) zur Num-mer Eins aufzusteigen, setzte das Team PNoy auf dem Präsidenten loyal verbundene Politiker. „PNoy“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus „Pinoy“, einer unter Filipinos gebräuchlichen und liebevollen Selbstbe-zeichnung, und dem Kosenamen „Noynoy“ für Präsi-dent Benigno Aquino.

Politische Beharrlichkeit von Familienclans

Die Kandidat_innenlisten lasen sich wie das Who is Who der politischen Dynastien des Landes, deren Fami-lienmitglieder turnusmäßig Ämter rochieren. Darunter befanden sich mit den früheren Obristen Gregorio Ho-nasan und Panfilo Lacson sowie Vertrauten von Mar-

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cos’ einstigem Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile auch alte Spießgesellen des Diktators. Von Marcos’ Witwe Imelda und Tochter Imee ganz zu schweigen, die als Kongressabgeordnete beziehungsweise Gouverneu-rin der Provinz Ilocos Norte ebenfalls zur Wiederwahl antraten. Und selbstredend haushoch gewannen. Der Marcos-Sohn „Bongbong“ gehört bereits seit Sommer 2010 dem Senat an.

Programmparteien gibt es – bis auf linke Gruppierun-gen – nicht. Was zählt, sind Persönlichkeiten, die es verstehen, ein engmaschiges Netz von Seilschaften zu knüpfen, die nach erfolgreicher Wahl üppig mit Pfrün-den belohnt werden. Aktuell erhält jeder Kongressab-geordnete ein Jahresbudget von bis zu 145 Millionen Peso (umgerechnet rund 2,5 Millionen Euro) aus dem Priority Development Assistance Fund, einem (auch als Pork Barrel bezeichneten) Fonds, aus dem zwar vorran-gig Entwicklungsvorhaben in den entsprechenden Wahlbezirken realisiert werden sollen, dessen Gelder indes erfahrungsgemäß eher für persönliche Zwecke verwandt werden. Darüber hinaus sind Wahlkämpfe eine bunt-schrille Mischung aus Entertainment und Showbusiness, wo der Karaoke- bzw. Videoke-Auftritt eines Politikers oder einer Politikerin mehr zählt als seine Anschauung oder Überzeugung. Für die Ärmsten der Armen bietet all das willkommene Fluchtmomente aus einem irdischen Jammertal, werden sie doch mit T-Shirts, Plastikschlappen, Esspaketen und auch schon mal mit kleinen und größeren Scheinen der unter-schiedlichen Kandidat_innen bedacht.

Wie stets war auch diesmal sehr viel Geld im Spiel, was das ganze Unterfangen als Showdown einer „Elitende-mokratie“ demaskierte, wie es der einstige Senatspräsi-dent Jovito Salonga bereits vor Jahren formuliert hatte. Für einen Posten im Kongress ist ein knapp dreistelli-ger Millionenbetrag vonnöten. Ein Senator in spe hin-gegen muss als Minimum über ein Polster von annä-hernd einer halben Milliarde Peso verfügen. Linke Gruppierungen traten zwar zur Wahl an. Doch ihre Chancen waren und bleiben gering. Bestenfalls nutz(t)en sie diese, um auf eine gänzlich andere Kultur von Wahlprozessen hinzuwirken, in denen wirkliche Probleme diskutiert und angegangen werden. Die Ak-bayan-Aktivistin Risa Hontiveros, die 2010 noch auf Platz 13 der zu wählenden Senatoren landete und da-mit den Sprung in den Senat hauchdünn verpasste, rutschte diesmal auf den 17. Rang ab. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass einige Akbayan-Mitglieder mittlerweile der Aquino-Administration angehören und sich der Präsident selbst mehrfach löblich über diese Liaison äußerte.

Der linke Makabayan-Block, unter dessen Schirm sich Bayan Muna, Gabriela, Anakpawis, Kabataan, Alliance of Concerned Teachers (ACT) und andere fortschrittli-

che Gruppierungen versammelten, konnte immerhin seine insgesamt sieben Kongresssitze behaupten. Doch dessen einziger Senatskandidat, Teodoro „Teddy” Ca-siño, landete abgeschlagen auf dem 22. Platz. Was Bay-an Munas Neri Colmenares nicht daran hinderte, zu be-kräftigen, man gedenke Casiño in drei Jahren erneut ins Rennen zu schicken: „Wenngleich ‚Teddy’ jetzt nicht gut abschnitt”, so Colmenares, „konnte er seinen Bekanntheitsgrad immerhin beträchtlich erhöhen und für einen tatsächlichen Politikwechsel werben.”

„Dümmste Wähler“?

Wie zu erwarten war, obsiegten auch diesmal zig Re-präsentant_innen der politischen Dynastien sowie ex-ponierte Vertreter_innen aus dem Showbusiness bzw. Sport. Neben den Marcoses seien stellvertretend fol-gende Personen aufgelistet: Zunächst mit Paolo Beni-gno „Bam“ Aguirre Aquino IV ein Cousin des Präsiden-ten, der einer der zwölf Senatoren wurde. Ebenfalls schaffte der Sohn von Ex-Präsident Estrada, Joseph Vic-tor „JV“ Ejercito, den Sprung in den Senat. Nancy Bi-nay, Tochter des amtierenden Vizepräsidenten Jejomar Binay, gelang es ebenfalls, in den Senat einzuziehen. Diese Person war im Vorfeld der Wahlen jeder Debatte ausgewichen und bezeichnete sich unmittelbar nach ihrem Sieg selbst als „Coke Zero“ im Vergleich zu ih-rem als „Coke Light“ eingestuften Vater. Nicht wenigen Kommentator_innen blieb darob die Spucke weg und sie fragten sich, wer da eigentlich mit welchem (Sach-)Verstand in den Senat einzieht. Mit Grace Poe, der Adoptivtochter des einst ebenfalls überaus belieb-ten Schauspielers Fernando Poe Junior, gelang es einer weiteren Frau, Senatorin zu werden. Poes Stimmen wa-ren im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass ihr – mittlerweile verstorbener – Vater bei der Präsident-schaftswahl 2004 offensichtlich von der damaligen Sie-gerin, Ex-Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001-2010), um den Sieg gebracht worden war.

Dem Kongress gehören erneut mehrheitlich Personen aus alteingesessenen Feudalclans sowie traditionelle Politiker_innen (trapos) an, die reichlich Dreck am Ste-cken hatten und haben. Hervorstechend ist hier insbe-sondere Frau Arroyo. Die Lady verbringt aufgrund di-verser Anklagen wegen Amtsmissbrauchs, Veruntreu-ung von Steuergeldern und anderer Delikte seit Mona-ten einen zwangsverordneten, wiewohl privilegierten Aufenthalt im Veterans Memorial Medical Center in Quezon City. Im zweiten Distrikt ihrer Heimatprovinz Pampanga verteidigte sie erneut erfolgreich ihren Sitz im Abgeordnetenhaus. Emmanuel „Manny“ Pacquiao, die herausragende Ikone des philippinischen Box-sports, verteidigte ebenfalls erfolgreich seinen Posten als Kongressabgeordneter der Provinz Sarangani, deren Vizegouverneurin nun seine Frau Jinkee wurde.

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Was die Besetzung der Bürgermeisterposten und der Stadträt_innen betrifft, sind die Resultate auf Mind-anao besonders verblüffend. Rodrigo R. Duterte, der manisch-repressive „law and order“-Mann in Davao City, avancierte erneut zu deren Bürgermeister, dessen Vize nunmehr sein Sohn Paolo wird. Zuvor war es Tochter Sara Duterte, die ihren Daddy im Amt beerbt hatte, diesmal aber zu seinen und ihres Bruders Guns-ten kein politisches Amt anstrebte. Duterte hatte im Wahlkampf all’ jenen mit Erschießung gedroht, die nicht seine bevorzugten Kandidaten wählten. Er ver-suchte das im Nachhinein als Witz abzutun. Doch wer diesen Mann, dem die Ermordung zahlreicher Straßen-kinder als „Verschönerungsmaßnahme seiner City“ zur Last gelegt wird, kennt, weiß, dass der wenig Spaß ver-steht.

In der Provinz Maguindanao buhlten zwei einst be-freundete, doch seit Jahren arg miteinander im Clinch liegende Familiendynastien um die Gunst der Wähler_innen – die Mangudadatus und die Ampatuans. Die Clanchefs der Ampatuans sitzen seit Ende 2009 in Haft. Sie sind angeklagt, 58 Personen – darunter 32 Me-dienleute – umgebracht zu haben, die im November 2009 einen Spross der Mangudadatus auf dem Weg zur Wahlregistrierung begleitet hatten. Als Gouverneur von Maguindanao wiedergewählt wurde Esmael Man-gudadatu, während sich 23 [sic!] Mitglieder des Ampa-tuan-Clans in verschiedenen Orten der Provinz als Bür-germeister_innen, Vizebürgermeister oder Stadträt_in-nen behaupteten. Diese Ergebnisse brachten einige stockfrustrierte Filipin@s dermaßen auf die Palme, dass sie in einem Anflug bitterer Selbstpersiflage im In-ternet ein gefälschtes TIME Magazine-Cover zirkulier-ten mit dem Titel: „Filipinos sind die dümmsten Wäh-ler“.

Wenig Spaß in Manila

Die philippinische Stehauffigur par excellence ist und bleibt zweifellos Ex-Präsident Estrada, der wegen Kor-ruption und Vorteilnahme vorzeitig aus dem Amt ge-jagt, langjährig unter Hausarrest gestellt, schließlich rechtskräftig verurteilt, sodann aber von seiner Nach-folgerin begnadigt worden war. Bei der Präsident-schaftswahl 2010 landete „Erap“ – so Estradas Kosena-me – hinter Aquino auf dem zweiten Platz. Diesmal wurde er als Bürgermeister von Manila gewählt. Viel-leicht ja läutert sich Estrada vom Saulus zum Paulus. Doch sein grandioses Versprechen dürfte uneinlösbar bleiben: Manila, noch in den 1930er Jahren zu Recht als „Perle des Orients“ gepriesen, wird auch während sei-ner Ägide für den Löwenanteil seiner Bevölkerung kei-ne spaßige Heimstätte sein.

It's more fun in the Philippines? Wohl kaum. Laut dem bereits im Oktober 2012 vom Earth Institute der Colum-

bia University veröffentlichten World Happiness Re-port rangiert das Land auf Platz 103 von weltweit 155 untersuchten Ländern. Dabei galten die Filipin@s noch vor Jahren als die glücklichsten Menschen in der Regi-on. Mittlerweile weisen die Philippinen auch die höchs-te Depressionsrate in Südostasien auf. Die stellvertre-tende Gesundheitsministerin, Paulyn Jean Rosell-Ubial, erklärte Ende vergangenen Jahres, dass nur ein Drittel der unter Depressionen leidenden Landsleute um pro-fessionelle Hilfe ersuchte. Gleichzeitig entwickele sich die Hauptstadtregion mit den angrenzenden Provinzen Cavite und Rizal als „Risikogebiete“, in denen die Selbstmordrate am höchsten ist.

40-Jahrfeier der NDFP

Am 28. April 2013 lud das Internationale Informations-büro der Nationalen Demokratischen Front der Philip-pinen (NDFP) im Amsterdamer Volkskrantgebouw zur 40-Jahrfeier ein. Es war ein strahlend blauer Sonn-tagnachmittag, als über hundert Gäste aus dem In- und Ausland die Veranstaltung besuchten. Durch das Pro-gramm führte mit der stets gut gelaunten und souverä-nen Coni K. Ledesma ein Mitglied des NDFP-Führungs-teams und die internationale Sprecherin der militanten Frauenorganisation Makibaka. Ein Film informierte über den Einsatz von NDFP-Mitgliedern beim Wieder-aufbau jener Regionen im Süden des Landes, die im De-zember 2012 von Taifunen heimgesucht wurden und über 1.000 Menschen das Leben kosteten.

Bis zum Sturz von Marcos (Februar 1986) hatte das po-litische Untergrundbündnis NDFP innerhalb des Oppo-sitionsspektrums ideologisch und politisch hegemonial gewirkt. Gemäß den Ideen Mao Zedongs sollte das herr-schende Regime durch eine Kombination von bewaff-netem Volkskrieg im Hinterland und militantem Wi-derstand in den städtischen Zentren zu Fall gebracht werden. An seine Stelle sollte eine volksdemokratische Republik treten, um die Dominanz der ehemaligen Ko-lonialmacht USA (1898-1946) und mächtiger Groß-grundbesitzer im Innern zu brechen. Diese Ideen, ge-bündelt in einem Zehn-Punkte-Programm, hatten lang-jährig das Engagement zahlreicher Menschen geprägt und auf sie große Faszinationskraft ausgeübt.

Seit 1986 fanden zwischen Unterhändlern der Regie-rung und der NDFP zahlreiche Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen statt – zuerst in den Philippi-nen, dann in den Niederlanden und schließlich (unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministe-riums) in Oslo. Zu einem Schlussakkord kam es nicht. Wenig deutet darauf hin, dass es – wie noch vor kurz-em avisiert – bis zum Ende der Amtszeit Aquinos im Sommer 2016 zu einem für beide Seite akzeptablen Er-gebnis kommt. Seit Ende April sind die Gespräche er-neut ins Stocken geraten. Während die Regierung in

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19 Literatur

Manila der NDFP vorwirft, nicht ernsthaft verhandeln zu wollen, kontert deren Führung, Manila halte sich nicht an beidseitig unterzeichnete Abkommen. Darun-ter zählen beispielsweise Sicherheits- und Immunitäts-garantien. Die philippinische Menschenrechtsallianz Karapatan sprach anlässlich des 27. Jahrestages des Marcos-Sturzes Ende Februar von landesweit mindes-tens 300 politischen Festnahmen – darunter über ein Dutzend NDFP-Berater. Deren fortgesetzte Inhaftie-rung bildet denn auch einen Hauptstreitpunkt zwi-schen Aquinos Emissär_innen und NDFP-Unterhänd-ler_innen.

Luis G. Jalandoni, Verhandlungsführer der NDFP bei den Friedensverhandlungen mit der Regierung in Ma-nila, und der politische Chefberater der NDFP, José Ma-ria Sison, betonten in ihren Redebeiträgen in Amster-dam, dass die Organisation gegenwärtig siebzehn Mit-gliedsorganisationen umfasst, in 70 der landesweit 80 Provinzen präsent ist und die NPA in über hundert Guerillafronten operiert. Gemeint sind damit Gebiete, in denen Keimformen einer Gegenregierung entwickelt werden – vom Aufbau eines eigenen Bildungs- und Ge-sundheitsbereichs bis hin zur Senkung von Pachtabga-ben und der Abschaffung von Wucher, wodurch die ländliche Bevölkerung zusätzlich geschröpft wird.

Lesetipps:

2013 elections: Same faces but new foes. Political dyn-asties dominate electoral contests. Inquirer Bureaus, in: Philippine Daily Inquirer (PDI), Makati City, 1.10.2012.

Conrado de Quiros: Still, dynasty, in seiner Kolumne „There’s the Rub“, in: PDI, 29. 4.2013.

José Ma. Montelibano: The continuing shame of our na-tion, in seiner Kolumne „Glimpses”, in: PDI, 3.5.2013.

Carol Pagaduan-Araullo: AES (Automated Election Sys-tem), in ihrer Kolumne „Streetwise”, in: BusinessWorld, Quezon City, 10.-11.5.2013.

A rogues’ gallery of Philippine election candidates. Mel-dung der Nachrichtenagentur Agence France-Presse aus Manila, 13.5.2013.

Political clans are more entrenched after mid-term polls. Issue Analysis No. 02 des Policy Study, Publication, and Advocacy & Center for People Empowerment in Gov-ernance (CenPEG). Diliman, Quezon City: University of the Philippines, 28.5.2013.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, befasst sich seit 1970 intensiv mit den Philippinen. Er ist u. a. Dozent an der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (Bad Honnef), Lehrbeauftragter an der Universität Bonn und gemeinsam mit Niklas Reese Ko-Herausgeber des 2012 in der 4., akt. und er-weit. Aufl. erschienenen Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur (Berlin: Horlemann Verlag).

Handbuch Philippinen ab Mitte September in englischer Sprache er-hältlich

„Perlas ng Silangan – Pearl of the Orient – this is how national hero José Rizal calls the Philippines. This was not a description of the actual state of the country during his time but a metaphor for their aspi-ration of a liberated, free Philippines. It is a vision that is not easy to bring into reality, nonetheless, it endu-res to this day.“

Handbook PhilippinesSociety, Politics, Economy, Culture

edited by Niklas Reese and Rainer Werning

528 pages, 4th & enlarged ed. 2012, distributed by philip-pinenbüro e.V. im Asienhaus, Cologne

Email: [email protected]

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FAITH IN THE SERVICE OF THE PEOPLE

Übersetzung

Ein Glaube im Dienste der Menschen, ein Glaube im Dienste der Armen:

Das ist unsere Antwort auf den Ruf Gottes, ein Glaube im Dienste der Armen.

1. Die Vision der Bauern und Bäuerinnen

2. Die Vision der Arbeiter_innen

3. Die Vision der Frauen auf dem Land

4. Die Vision der Studierenden und jungen Menschen

Aus: Hymnal of our Faith Journey, United Church of Christ in the Philippines

Text: Luna L. Dingayan, 1999

Musik: Perla S. Dingayan, 1999

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